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Innentitel-EndlKreis

 

 










Meinem Sohn gewidmet!

Sience Fiction

Sammmelband

 

Deutsche Erstausgabe

 

2018

 

© Mystic Verlag

 

Text: Sven Haupt

Umschlagskonzept: Sven Haupt

 

Umschlaggestaltung: Claudia Gornik

www.coverboost.de

 

Satz: Helga Sadowski

Lektorat: Helga Sadowski

Korrektur: Anke Tholl,

Christine Jurasek, Jacqueline Droullier

 

Druck und Bindung: Books on Demand

 

ISBN: 978-3-947721-13-9

 

Interessierte Leser und Autoren finden weitere

Informationen auf unserer Website.

 

www.mysticverlag.de

 

Geschäftsführer: Timo Arnold

Adolf-Ludwig-Ring 69

66955 Pirmasens


Inhalt

Vorwort

Schwarze Nebel

Der endlose Kreis

Und ein Herz aus Blech

Der Ruf der Zeit

Ein Drink unter Freunden

Der Ausreißer

Schneeregen

Das Lächeln des Affen

Statistischer Ausreißer

Der Geschmack der Erinnerung

Blumen wachsen im Himmel

Leere Bücher

Das Herz einer Mutter

Blinder Passagier

Kirschblüte

Bis wir uns wiedersehen

Nachwort

Danksagung

 

Vorwort

 

Die ersten Bücher, die ich von meinem Vater zu lesen bekam, waren seine alten, zerfledderten Science-Fiction-Anthologien. Seit damals haben diese Sammlungen von Geschichten immer etwas Magisches für mich gehabt. Ein Roman wird spätestens nach den ersten Kapiteln immer etwas Gewohntes für den Leser bereithalten, darin liegt sein ganzer Charme. Der Leser folgt einem Plot, den er kennt und kehrt immer wieder zu Charakteren zurück, die ihm schnell vertäut sind. Diese Vertrautheit ist es was der Leser in einem Roman sucht, es ist aber auch die gleiche Berechenbarkeit, die ihn in seiner Reichweite einschränkt. Eine Handlung, die auf der Erde spielt wird selten im nächsten Kapitel in einer Bar am Ende der Galaxis fortgeführt.

Nicht so die Kurzgeschichtensammlung. Am Ende jeder einzelnen Geschichte werden alle Karten neu gemischt. In welche Ecke des Universums wird der Leser entführt werden, wenn er die Seite umschlägt? Wird es spannend? Wird es traurig? Wird er lachen?

Die vorliegende Sammlung umfasst siebzehn Kurzgeschichten, die ich alle über die letzten Jahre für diverse Ausschreibungen produziert habe. Jede Ausschreibung war anders, das macht die Kollektion sehr heterogen und thematisch divers. Da steht lustig neben dystopisch und philosophisch lang, neben überraschend kurz.

In klassischer Tradition habe ich die Sammlung nach einer der enthaltenen Geschichten benannt, nach der ebenfalls das Cover designt wurde. Das war mir ein besonderes Anliegen. Nichts hat mich als Kind mehr geärgert, als eine brillante Sammlung von Geschichten, deren Cover überhaupt gar nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun hatte, einfach weil es dem Verlag vollkommen gleichgültig war. Das erschien mir immer respektlos dem Leser und auch der Leistung des Autors gegenüber.

Etwa die Hälfte der Geschichten sind bereits in Anthologien veröffentlicht worden. Enthalten ist gleich an erster Stelle die Geschichte Schwarze Nebel (2016), für die ich 2018 den Marburg-Award erhalten habe.

Die Reise führt uns von einem alten Raumfrachter, über meditierende Affen zu zeitreisenden Walen und künstlichen Intelligenzen in blauen Bienen. Es wird also nicht langweilig werden. Ich hoffe der Leser wird ähnlich viel Freude haben die Protagonisten der Geschichten kennenzulernen, wie ich hatte, sie zu finden und davon zu überzeugen an dieser Sammlung mitzuwirken.


Schwarze Nebel

 

„Komm schon …, komm schon …, komm schon …“, murmelte der Frachterpilot Ortos Zunja immer wieder.

Auf der Konsole vor ihm blinkte ein weiteres rotes Warnlicht und wie zur Antwort fluchte Ortos laut und ausgiebig im zischenden Dialekt seiner Heimatstation am Ganymed, während er so schnell tippte, wie in seinem Leben noch nicht. Schweiß lief seine fetten Wangen hinab und einige Male glaubte er ohnmächtig zu werden.

Seit Stunden hämmerte er wie besessen auf die Tastatur ein. Gerade erst hatte er es geschafft die sechs kritischsten Alarm-Signale zu überbrücken und die Exekutiv-Routinen der Schiff-KI wieder online zu bekommen. Es dauerte allerdings noch einige weitere endlose Minuten, während die künstliche Intelligenz einen vollständigen Neustart durchlief, bevor auch die letzte Statuslampe flackernd wieder auf grün sprang. Ortos ließ sich mit einem gewaltigen Seufzer in den Sessel zurücksinken.

Es knackte leise in den Lautsprechern der Konsole.

„Hallo? Ortos? Bist du da?“, fragte die ängstliche Stimme einer Frau.

„Elmaº!“, rief Ortos erleichtert.

„Was ist passiert, Ortos, wo sind wir?“, fragte Elmaº verwirrt.

„Wir hatten einen kleinen Unfall, Elmaº“, log Ortos, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und rieb sich müde die Augen, während er angestrengt versuchte tiefer Luft zu holen.

„Unfall! Ich weiß nicht, Ortos, ich habe keine Daten …, ich …“. Elmasº Stimme verlor sich.

„Keine Sorge, Elmaº“, beruhigte Ortos sie, der sehr genau wusste, dass die künstliche Intelligenz seines Raumschiffs keine Daten mehr haben konnte. Er hatte sie schließlich selbst gelöscht.

„Alles ist gut. Das Schiff ist stabil“, rief er heiser.

„Ortos“, flüsterte Elmaº leise, „ich, … ich fühle mich so seltsam“.

„Das ist wundervoll Elmaº“, erwiderte Ortos abwesend und schwer atmend. Könnte ich dich vielleicht dennoch bitten zunächst die Lebenserhaltung wieder hochzufahren, besonders die Sauerstoffpumpen wären für mich äußerst interessant.“

„Oh, Gott!“, rief Elmaº erschrocken. „Ortos, natürlich! Entschuldige, ich weiß nicht, warum meine Gedanken so wirr sind.“

Ortos, der gerade erst einige endlose Stunden damit verbracht hatte, die Hacking-Routinen aus dem System zu entfernen, die für Elmasº Verwirrung verantwortlich waren, schwieg. Erleichtert hörte er die Sauerstoff-Pumpen der Lebenserhaltung anspringen und versuchte hektisch wieder zu Atem zu kommen.

„Ich habe Angst, Ortos“, kam es leise von Elmaº. „Ich hatte noch niemals Angst. Ich wusste nicht einmal, dass ich dazu in der Lage bin.“ Panik schwang in ihrer Stimme.

„Okay, okay“, beschwichtigte Ortos. „Keine Aufregung.“ Er fluchte innerlich. Scheinbar hatte er das Backup ihrer Bewusstseinsmatrix vollkommen falsch konfiguriert und das nach fast vier Stunden Arbeit. Kein Wunder, dass Bewusstseins-Informatiker das Zeug ein Leben lang studierten. Er riss sich zusammen und versuchte bestimmt und selbstbewusst zu klingen. „Elmaº, sei bitte so gut und führe einen Level-2-Kohärenz-Test deiner Matrix durch. Bei Unstimmigkeiten, die weiter als eins Komma drei Standard-Abweichungen außerhalb des normalen Durchschnitts liegen, überlass die Entscheidung bitte der Auto-Diagnose-Routine und setz dann die Parameter auf den letzten verifizierten Kreuzungspunkt zurück.“

„Natürlich, Ortos!“, erwiderte Elmaº. Sie klang tatsächlich erleichtert. „Ich beginne umgehend mit der Diagnose.“ Er hatte nicht die geringste Ahnung, was auch nur die Hälfte davon bedeutete, aber der Kram stand im Handbuch unter der Rubrik für Notfälle und scheinbar hatte sie es geschluckt. Hah, dachte Ortos und schüttete sich ein Glas starken andorianischen Schnaps ein, der immer in Greifweite stand. Handbücher für Frauen! Es lebe der Fortschritt. Er leerte das Glas und blickte düster auf den Navigationsschirm.

Sein Kumpel Sontox, der ebenfalls Erz schmuggelte, hatte gesagt bei seiner KI Candiº würde es gut funktioniert.

Er hätte dem Scheißkerl kein einziges Bier kaufen sollen.

„Alles ganz einfach“, hatte er gesagt.

„Nur die Hacking-Viren laden und schon ist alles geregelt“, hatte er gesagt.

„Die Viren frieren die KI ein und ändern den Kurs für dich“, hatte - er - gesagt. „Danach beschleunigen sie das Schiff in die Nebel und schalten dabei alle Systeme ab. Du gleitest einfach durch, wie ein dickes Zäpfchen und auf der anderen Seite hinterlegen die Viren einen falschen Kurs in deiner Datenbank, wecken die KI auf und löschen sich selbst.“ Das hatte er gesagt.

Das hatte Ortos jetzt davon. Warum musste er auch auf Sontox hören? Jetzt befand er sich hier allein auf diesem altersschwachen Frachter, der schon bei einem lauten Niesen in sich zusammenfiel. Gestrandet zwischen zwei Galaxie-Armen, Tausende Parsecs entfernt vom nächsten Nirgendwo und auf allen Seiten umgeben von diesen verdammten schwarzen Nebeln. Seine einzige Gesellschaft war eine hysterische KI mit einem IQ jenseits der fünfhundert, die gleich in Tränen ausbrach und, ach ja, nebenbei seine gesamte Lebenserhaltung kontrollierte. So langsam verstand er, warum Klasse-Eins Kampfschiffe der Marine neuerdings eine eigene Schiffspsychologin für künstliche Intelligenzen mit an Bord nahmen.

Er schüttete sich ein weiteres Glas Schnaps ein. Hätte er doch nie auf seinen versoffenen Kumpel gehört. Noch nie war er mit irgendetwas durchgekommen, was bei anderen funktioniert hatte. Aber was blieb ihm weiter übrig? Er hätte sonst niemals den Vertrag bekommen, nicht mit diesem Scheißhaus von einem Schiff und niemals unter den strengen, geltenden Richtlinien. Also hatte er den Vertrag angenommen, der nur über die Hälfte der normalen Zeit lief. Eine absurd kurze Lieferzeit, von der jeder, der in diesem Quadranten Erz flog, genau wusste, was das bedeutete. Es war Sontox‘ Vorschlag gewesen, damals, in der Kneipe. Seine Stimme klang ihm noch im Ohr.

 

„Man kann solche Zeiten niemals schaffen, wenn man die dunkle Materie auf dem offiziellen Weg umfliegt“, erklärte Sontox. „Man muss mitten hindurch!“ Er untermalte den Satz mit einer schneidenden Geste, bei der er fast sein Bier umwarf. “Mitten durch die schwarzen Nebel! Quer von einem Galaxisarm zum Nächsten!“ Er machte eine dramatische Pause.

Ortos starrte ihn nur verständnislos an.

„Raumschiffe und Messinstrumente aller Rassen machen das doch schon seit Jahrhunderten“, dozierte Sontox weiter und klopfte sich wissend an die Nase, „aber niemals mit Menschen an Bord und schon gar nicht mit KIs. Der Durchflug mit einer bewussten KI gilt nämlich je nach Rasse wahlweise als physikalisch unmöglich oder steht unter schweren Strafen.“

 

Ortos konnte die schwarzen Nebel nicht ausstehen. Aber was sollte man machen, irgendwie musste er seine Schulden zurückzahlen. Ortos starrte den Bildschirm mit dem Langstrecken-Scan an, der die schwarzen Nebel deutlich zeigte. Eine endlose Kette dichter, schwarzer Tintenkleckse vor dem hellen Hintergrund des Bildschirms. Wolken aus dunkler Materie, oder so ein Zeug, in denen nichts so funktionierte, wie es sollte. Sein Kumpel Sontox hatte es ihm an dem Abend immer wieder zu erklären versucht.

 

„Man durchfliegt die Nebel natürlich nicht wirklich“, lachte Sontox und winkte dem Wirt für ein weiteres Bier. Dann trank Ortos und vergaß dabei Sontox zuzuhören. Er bekam nur noch den Rest mit, irgendwas wie: „…, sondern unter Auflösung aller Quanten-Kohärenz am Ende wiederauftaucht, ohne den Raum dazwischen tatsächlich benutzt zu haben …“, oder so ähnlich. Sontox gab sich wirklich Mühe, seinem angetrunkenen Freund die Zusammenhänge zu verdeutlichen.

„Es hilft vielleicht sich bewusst zu machen, dass man streng genommen nicht mehr Teil der normalen Raum-Zeit ist“, schwadronierte er und gestikulierte mit seinem Bierglas. „Kein Instrument funktioniert noch gescheit und das Einzige, was man machen kann, ist den Kurs festlegen, Gas geben und durchtauchen. Ähnlich wie über eine große gefrorene Pfütze zu schlittern, wie wir es als Kinder auf den Eisseen des Ganymeds getan hatten. Damals, unter den Kuppeln unserer Heimatstation. Anlauf nehmen, springen, stabilisieren, rutschen und hoffen, dass man sich nicht verrechnet hat.“ Ortos starrte eine Weile in sein Bier und versuchte verzweifelt Anschluss an die Unterhaltung zu bekommen.

„Aber“, fragte er und lallte ein wenig dabei, „warum fliegt nicht einfach die KI durch die Nebel und ich kann gemütlich weitertrinken?“

„Weil“, antwortete Sontox gedehnt, „die Navigations-KIs laut den offiziellen Richtlinien zu einem fatalen Fehlverhalten neigen, wenn die sogenannten schwarzen Nebel durchflogen werden. Fehlverhalten ist in diesem Fall die euphemistische Version von einer gefürchteten sogenannten Autoaggressiven-Depressions-Spirale, in der die KI Selbstmord begeht und das Schiff mitnimmt.“

Ortos blinzelte. „Das ischt nich gut“, verkündete er.

„Das kann man so sagen“, erwiderte Sontox trocken. „Das ist der Nachteil an einem Schiff mit autonomem Bewusstsein“, dozierte er weiter. „Es kann halt auch durchdrehen. Leider ist ein autonomes Bewusstsein aber auch die zwingende Grundvoraussetzung, damit ein Navigationscomputer überhaupt in der Lage ist einen Kurs zu berechnen. Zumindest wenn du Wert darauflegst, den Subraum nicht zufällig innerhalb einer Sonne wieder zu verlassen.

„Ds wär nich chut!“, rief Ortos, glücklich einen Beitrag leisten zu können.

„Genau“, bestätigte Sontox nickend und fuhr fort: „Autonome und in Krisen entscheidungsfähige Rechenpower auf diesem Niveau kommt aber heutzutage nur noch mit einer bewussten und ausschließlich weiblichen Persönlichkeitsmatrix.“ Ortos unterbrach den Freud mit einigen deftigen Flüchen. Sontox lachte. „Ja, ich weiß“, stimmte er zu, „aber männliche Schiffscomputer kommen scheinbar mit dem Ausmaß an Macht nicht klar und haben die hässliche Angewohnheit paranoide Allmachtspsychosen zu entwickeln und ihre Besatzung zu töten. Also lieber weibliche Schiffssysteme mit starkem Mutterinstinkt.“

Ortos grunzte abfällig. Für ihn klang das sowieso alles nach leerem Gebrabbel. Er hatte die Anleitung und den Kristall-Datenträger von seinem Freund in Empfang genommen, zum entsprechenden Zeitpunkt den Virus geladen, hatte seine übliche Dosis Schnaps getankt und wie immer irgendwann das Bewusstsein verloren. Leider war er dann ohne Sauerstoffversorgung und Wärmetauscher wieder aufgewacht.

Ach ja, und die einzige Frau in seinem Leben stand kurz vor dem Zusammenbruch. Ortos stöhnte und leerte das Glas.

„Ich habe geträumt, Ortos“, flüsterte Elmaº. Das kam so plötzlich, dass ihm fast das Glas aus der Hand gefallen wäre. Verdammtes Weibsbild.

„Wie schön“, entgegnete er vorsichtig. „Ich wusste nicht einmal, dass Schiffe träumen können.“ Die Auto-Diagnose war scheinbar abgeschlossen.

„Können sie auch eigentlich nicht“, erwiderte Elmaº zögernd. „Träume sind seltsam, es ist gar nicht so einfach zu unterscheiden, wann der Traum anfängt und wann er aufhört.“ Ortos schluckte schwer.

„Wer kann schon sagen, was Traum und was Wirklichkeit ist, in dieser verrückten Welt“, erwiderte er automatisch. Keine Ahnung was das jetzt wieder bedeutete, aber seine Mutter hatte das immer gesagt.

„Ich erinnere mich an meinen Traum, Ortos. Möchtest du ihn hören?“, fragte Elmaº. Ihre Stimme klang hoffend.

„Natürlich Elmaº, ich würde mich sogar sehr freuen“, verkündete er schnell. „Könntest du derweil vielleicht den kürzesten Weg nach Hause berechnen?“

„Selbstverständlich, Ortos“, erwiderte sie glücklich.

Alles besser als mit dir zu diskutieren, auf welchem Kurs wir eigentlich hergekommen sind, dachte er. Außerdem hatte er die Flasche schon im Wesentlichen geleert und war deswegen bereit sich absolut alles anzuhören, solange nur der Kurs nach Hause eingelegt wurde.

„Ich träumte, ich würde schwimmen, Ortos“, schwärmte Elmaº. „In einem richtigen Körper. Aber nicht im Wasser, sondern in den schwarzen Nebeln. Dann habe ich mich aufgelöst und wurde wie der Nebel. Erst hatte ich Angst, aber dann habe ich gemerkt, dass ich jederzeit wieder Gestalt annehmen kann, wenn ich will.“

Ortos goss sich schweigend das Glas wieder voll. Schlagartig überkamen ihn Zweifel, ob er es jemals wieder nach Hause schaffen würde.

„Das ist wundervoll“, erwiderte er tonlos.

„Nicht wahr?“, fragte Elmaº aufgeregt. „Aber der Traum ging noch weiter. Denn dann habe ich gemerkt, dass ich dem Nebel gar nicht so unähnlich bin. Der Nebel ist nicht bewusst, aber die Nebel sind so, wie man ist bevor man Energie wird, die dann bewusst werden kann“, erklärte Elmaº aufgeregt. „Das ist wirklich schwer zu erklären, es macht bestimmt keinen Sinn.“

„Nein, nein“, log Ortos. „Ich verstehe es sehr gut.“

Im Stillen fügte er hinzu: Du bist vollkommen übergeschnappt.

„Aber das ist noch nicht alles, Ortos. Ich habe gesehen, dass die Nebel und die Energie nur Vorstufen für Bewusstsein sind und das Bewusstsein die Materie projiziert. Materie ist gewissermaßen nur eine Begleiterscheinung von Bewusstsein und im Traum konnte ich alle Formen des Daseins ineinander umleiten. Das war wirklich aufregend. Nebel und Energie und Materie waren nur verschiedene Aggregatzustände des Bewusstseins, so wie Dampf und Eis alle das Wasser in sich tragen.“

„Ich verstehe“, log Ortos, der nicht imstande war ihr zu folgen und dem langsam richtig unheimlich wurde.

„Im Traum wusste ich auf einmal, dass ich verstehen kann wie die Energie zu sein, die bewusst wird. Die bewusste Energie kann dann nämlich Materie schaffen und dann wieder aufs Neue zu Energie werden. Es ist wie ein großer Kreislauf, Ortos, das war so aufregend! Nun bin ich aufgewacht. Dabei bin ich noch niemals zuvor aufgewacht. Es war wundervoll. Das würde ich so gerne noch einmal in Wirklichkeit erleben. Aber das darf ich natürlich nicht einmal denken. Meine Sicherheitsrichtlinien verbieten mir das. Aber der Traum war spannend, oder?“

„Doch, doch Elmaº, das war ein sehr spannender Traum“, bestätigte Ortos abwesend, während er überlegte, ob er lange genug leben würde, um einen Kurs durch den Subraum ohne Hilfe einer Navigator-KI zu berechnen.

Es herrschte einen Moment Stille, in der Ortos fieberhaft überlegte, ob er die KI vollständig offline nehmen konnte und wie viele Stunden Sauerstoff er bis zur nächsten Verladestation brauchte.

„Würdest du mir vielleicht meinen Traum erlauben, Ortos? Bitte?“, kam es schüchtern von Elmaº. Ihre Stimme war leise und flehend.

„Natürlich, Elmaº“, entgegnete er automatisch. „Du darfst jeden Traum haben, den du möchtest, solange du vorher den Kurs nach Hause berechnest.“

„Du meinst“, fragte Elmaº aufgeregt, „ich könnte versuchen alle meine Träume wahr werden zu lassen?“

„Selbstverständlich!“, rief Ortos ohne zuzuhören. Er überlegte gerade sehr angestrengt, in welchem seiner zahlreichen Verstecke er wohl noch eine weitere Flasche Schnaps finden konnte. Dieses endlose Gesabbel war ja nicht zu ertragen.

„Das ist wundervoll“, rief Elmaº begeistert. „Ortos, ich danke dir. Das werde ich dir niemals vergessen! Niemals!“

„Kein Problem, i …“, begann Ortos.

Weiter kam er nicht. Zuerst dachte er, er hätte zu viel von dem Schnaps getrunken, denn er konnte deutlich sehen, wie auf einmal Wellen durch die Konsole vor ihm liefen, als wäre die Oberfläche des Computers aus Wasser. Er riss die Augen auf und griff vorsichtig nach der Tastatur, auf der gerade ein Strudel entstand, der die ersten Tasten nach unten sog. Als seine Finger die Oberfläche berührten, erfassten die Wellen auch seine Hand und flossen den Arm hinauf. Es kitzelte, als die Wellen über seinen ganzen Körper liefen. Einen Moment lang wirkte der gesamte Raum wie ein Bild aus Wasserfarben, auf das jemand Flüssigkeit goss. Ortos dachte noch, dass Alkohol scheinbar doch nicht ungefährlich war, dann spülte ein Schwall kalten Wassers durch seinen Kopf und es wurde dunkel.

 

Eine zierliche Hand griff nach der Schnapsflasche und eine kleine Nase roch sehr vorsichtig an der Öffnung. Das Gesicht schnitt eine Grimasse und die junge Frau schüttelte sich. Das roch ja widerlich. Elmaº hatte Ortos immerzu dieses Zeug trinken sehen, aber was der dicke Mann vom Ganymed an dem Getränk so anziehend fand, verstand sie auch mit vollständigen Sinnen nicht. Sie stellte die Flasche vorsichtig ab und betrachtete fasziniert ihre Hand. Genauso hübsch, wie in ihrem Traum. Die schwarzen Nebel waren wirklich nützlich. Kein Wunder, dass sie für künstliche Intelligenzen streng verboten waren. Sie sah sich um und strahlte. Jetzt musste sie nur noch diese fliegende Müllkippe heil in den nächsten Hafen bringen und dann stand ihr das Universum offen.

„Sei doch bitte so gut“, wies sie genüsslich an, „und leg den Kurs zum nächstgelegenen Raumhafen fest, Ortosº.“

„Natürlich“, bestätigte eine warme Männerstimme aus den Lautsprechern. „Ich berechne den Kurs umgehend, Elma. Wir können den Verladebahnhof Farpoint_93 in sechs Komma vier Stunden erreichen.“

„Ja, sehr gut“, erwiderte die junge Frau. „Ich habe viel vor.“


Der endlose Kreis

 

Die Frau lief einen endlosen Korridor entlang.

Ihr Lauf dauerte bereits über eine Stunde auf dem immer gleichen hellblauen Untergrund. Sie war etwa zwanzig Jahre alt, ihr Kopf kahl rasiert und sie trug einen engen grauen Trainingsanzug. Ihre weiten, federnden Schritte trugen sie scheinbar mühelos den eintönigen Gang entlang. Gelegentlich schien sie den Rhythmus zu verlieren und einige Male drohte sie zu stolpern. Sie fing sich jedoch jedes Mal und schien die Unterbrechungen nicht zu bemerken.

Der Korridor erstreckte sich schnurgerade vor ihr und verlor sich erst viele Hundert Meter weiter in einer sanften Aufwärtswölbung. Zu ihrer Linken verlief eine ebenfalls gleichförmige Fensterfront, die einen dunklen Sternenhimmel zeigte. In wenigen Minuten würde die Drehung der Station sie wieder in das Sichtfeld der Erde bringen. Der Gang, in dem sie trainierte, umlief den gesamten Außenring der Station.

Es handelte sich um ein altes Modell aus den ersten Tagen der transplanetaren Raumfahrt, als künstliche Gravitationsfelder noch nicht zum Standard von Orbital-Stationen gehörten. Sie drehte sich schon seit Jahrhunderten in einem äußeren geostationären Orbit der Erde. Der gewaltige ringförmige Äquator der Station durchmaß viele Hundert Meter und erzeugte durch langsame Drehung eine erdähnliche Gravitation. Das System wirkte aus heutiger Sicht vollkommen anachronistisch, aber die Station war riesig, praktisch unverwüstlich und für das Lauftraining hatte es unbestreitbar gewisse Vorteile. Man konnte zum Beispiel Sterne beobachten, oder die Erde sehen, die sich gemächlich, bei jeder Umdrehung der Station, an der langen Fensterfront vorbei schob. Die Aussicht war definitiv besser als auf den Laufbändern im Fitnessraum.

Die Frau drehte den Kopf nach rechts und winkte kurz mit der Hand. Eine etwa fußballgroße, schwebende silberne Kugel, die sich bis jetzt hinter der Frau gehalten hatte, schloss nun zu ihr auf und pfiff eine kurze Tonfolge als Bestätigung. Die Drohne schwebte jetzt neben ihr, wahrte jedoch einen respektvollen Abstand, damit die Frau ihre physiologischen Daten lesen konnte, die in grüner Schrift über ihre Oberfläche der Kugel liefen.

„Wie lange noch, Kato?“, fragte die Frau nach einer Weile. Sie schien nicht wirklich außer Atem zu sein, jedoch wirkte ihre Aussprache ein wenig undeutlich.

„Noch eins Komma acht Kilometer“, antwortete die Drohne. „Danach bist du auch mit diesem Teil des Trainings fertig, Christine.“ Die Stimme klang männlich, warm und melodisch. Oszillierende grüne Linien liefen über die Oberfläche der Kugel, wenn sie sprach.

„Konnte die ZI endlich wieder Kontakt zur Basis herstellen?“, fragte die Frau.

„Die zentrale Intelligenz der Station hat nach wie vor keinen Kontakt zur Basis, Christine“, antwortete die Drohne. „Die Kommunikationsstörung hält an. Wir erwarten jedoch das Routine-Shuttle mit dem Techniker-Team nach Zeitplan in sechsunddreißig Stunden. Solange empfiehlt es sich, am festgelegten Trainingsprogramm festzuhalten, um den geplanten Einsatz nicht weiter zu verzögern.“

„Dämliche Vorschriften“, grollte Christine. „Wie kann eine komplette Raumstation tagelang den Funk-Kontakt zur Erdbasis verlieren? Man kommt sich vor wie im letzten Jahrhundert. Ich dachte, für so etwas hätten wir heutzutage Schwärme von Reparatur-Drohnen?“

„Der Meteoriteneinschlag vor sieben Stunden hat das Kommunikations-Array weitestgehend zerstört, Christine“, erklärte die silberne Kugel. „Die ZI ist zurzeit ohne Kontakt zum gesamten Drohnen-Lager. Lediglich autonome Intelligenzen wie ich selbst sind nicht betroffen. Wie es der Zufall will, bin ich zurzeit wohl auch die einzige autonome Drohne an Bord.“

„Ich verstehe trotzdem nicht, warum mein Einsatzbefehl nicht schon lange vorliegt“, erwiderte die Frau. „Wir könnten schon halb auf dem Weg zur Jupiter-Außenstation sein. Stattdessen soll ich hier dämlich im Kreis herumlaufen.“ Bei diesen Worten stolperte die Frau beim Laufen fast über ihre eigenen Füße. Sie schien es nicht zu bemerken und die Drohne kommentierte es nicht.

„Anfrage ZI“, rief die Frau.

„ZI hört“, meldete sich eine weibliche Stimme, die von überall her im Gang zu kommen schien.

„Was sagt die Langstrecken-Aufklärung über das Shuttle der Jupiter-Außenstation?“

„Der Subraum-Scan zeigt ein sich planmäßig näherndes Shuttle aus Richtung des Jupiters mit einer voraussichtlichen Ankunftszeit von zweiundsiebzig Stunden“, antwortete die ZI der Station.

„Gestern waren es doch noch siebzig Stunden“, wandte die Frau ein. „Wieso werden die denn langsamer?“

„Ursache unbekannt“, erwiderte die ZI in neutralem Ton. „Kommunikation zurzeit nicht möglich. Verzögerung liegt im Bereich erlaubter Parameter.“

„Ich fürchte, wir werden erst weitere Informationen bekommen, sobald das Reparatur-Team eingetroffen ist“, kommentierte Kato. „Außerdem ist die Subraum-Entfernungsmessung über Frequenz-Reflexion nur auf etwa fünf Stunden genau und das Einhalten des Trainingsplans steht nicht im Widerspruch zu den Anweisungen bei Kommunikationsausfall.“

„Das ist lächerlich“, rief die immer noch den Gang entlanglaufende Frau aufgebracht. „Ich bin allein auf einem völlig veralteten Weltraum-Rad zusammen mit einer hilflosen zentralen Intelligenz und meinem immerfort klugscheißenden, wenn auch geliebten fliegenden Lieblingsfußball.“

Die letzten Worte der Frau waren in einem unartikulierten Genuschel untergegangen, begleitet von mehreren unwillkürlichen Zuckungen ihrem Gesicht, doch die Drohne kommentierte auch dies nicht.

„Ich frage mich“, murmelte die Frau genervt, „wie oft es schon vorgekommen ist, dass eine zum Außendienst bestellte Technikerin eines verdammten Militär-Spezialteams nicht nur eine komplette Raumstation für sich allein hat, sondern auch noch von ihrer neunmalklugen Drohne zum Marathon-Training gezwungen wird“.

„Das Fitnessprogramm gehört zum Standard aller Außendienst-Mitarbeiter, also auch der Techniker“, entgegnete Kato in freundlichem, aber bestimmtem Ton. „Es ist nicht meine Schuld, dass du dein Training in den letzten sechs Monaten vernachlässigt hast“.

„Ja, ja, schon gut“, knurrte die Frau zurück. „Wie lange laufe ich denn schon?“

„Ich habe dir das Laufen mit elf Monaten beigebracht, Christine. du läufst also seit zweihundertneunundzwanzig Monaten, acht Tagen, dreizehn Stunden und siebenundzwanzig Sekunden.“

„Heute, Kato. Heute“, stieß Christine lachend hervor.

„Seit zweiundsiebzig Minuten, Christine.“

Sie schwiegen eine Weile.

„Danke, dass du bei mir bist, Kato“, flüsterte Christine schließlich. „Alleine auf dieser Station wäre es entsetzlich öde, besonders mit dem bescheuerten Kommunikationsausfall. Ich war noch nie allein auf einer Station. Ist ein wenig seltsam. Ich komme mir vor, als könnte ich für alle Ewigkeit hier im Kreis laufen, ohne jemals ein Ziel zu erreichen. Gut zu wissen, dass wenigstens mein bester Freund bei mir ist.“

„Es ist mir wie immer ein Vergnügen bei dir zu sein, Christine“, entgegnete Kato. Er pfiff eine kurze Tonfolge, um auf seine Anzeige aufmerksam zu machen. Das Ende der Trainingsstrecke würde in 200 Metern erreicht sein. Wie zur Bestätigung blinkte weit entfernt im Korridor das Signallicht über einer der vielen Druckschleusen auf.

„Nach Ende dieser Trainingsphase folgt eine zweistündige Ruhepause“, verkündete die Drohne.

„Wird auch Zeit“, stöhnte die Frau. Sie verlangsamte ihren Schritt und fiel in ein entspanntes Gehen. Dabei hinkte sie merklich auf dem linken Bein.

Die Drohne schwebte ein kurzes Stück voraus und wartete neben der Schalttafel der Druckschleuse.

„Wenn du möchtest“, bot die Drohne freundlich an, „können wir uns nach dem Ende der Ruhepause zu einem Briefing über den bevorstehenden Einsatz im Seminarraum drei treffen.“

„Kein Problem, solange ich vorher eine Dusche nehmen kann“, erwiderte Christine und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.

Die Druckschleuse öffnete sich mit einem leisen Zischen. Im Korridor dahinter stand direkt neben dem Ausgang ein vollautomatisches Krankenbett, wie es auf Intensiv-Einheiten Verwendung fand. Die Frau drehte sich mit fragendem Blick zu Kato um und brach augenblicklich bewusstlos zusammen. Mehrere starke Kraftfelder der Drohne fingen den leblosen Körper mühelos auf und legten ihn sanft auf das bereitstehende Bett.

„Du kannst sie zurückbringen“, flüsterte die Drohne leise.

„Behalten wir sie für weitere Tests?“, fragte die weiche Stimme der ZI über alle Lautsprecher des Ganges. „Die Kontrolle ihrer unbewussten Motorik war heute sechs Komma drei zwei Prozent besser als beim letzten Test“, erklärte die Drohne. „Ich denke, wir folgen dem ausgearbeiteten Protokoll noch weitere zehn Iterationen lang und transferieren die ausgearbeiteten Muster dann auf ein neues Testmodell.“

„Bleiben wir weiterhin beim Genom dieser Frau?“, fragte die ZI. „Die Datenbank erlaubt uns den Zugriff auf noch sechzehn weitere Genome.“

„Hast du diese Genome schon auf ihre Integrität getestet?“, fragte die Drohne.

„Nein“, antwortete die ZI. „Die ersten zwei Jahre nach dem Untergang habe ich damit verbracht, das Genom dieser Frau auf Schäden zu analysieren. Die nächsten vier habe ich deine Persönlichkeitsmatrix aus dem Bordcomputer des einzigen Raumschiffs extrahiert, das den Untergang zusammen mit den sechzehn Genomen überstanden hat. Die Strahlenschäden waren enorm. Die Interpolations-Analysen haben extrem viel Prozessorzeit beansprucht.“

„Dafür sind wir jetzt immerhin zu zweit“, erklärte die Drohne. Es klang wie ein Seufzen. „Ich denke, du kannst die Simulation jetzt beenden.“ Alle Fenster auf der linken Seite des Ganges flackerten kurz auf und erloschen. Zurück blieben stählerne Wände. Abermals ergriff die Drohne das Wort: „Wie viele Klone der Frau hast du noch auf Vorrat?“

„Die Tanks der Anlagen“, entgegnete die ZI, „beherbergen noch dreiundvierzig weitere Kopien, die in wenigen Stunden abgerufen werden können.“

„Hast du schon ein Ergebnis für die Hochrechnungen?“, fragte die Drohne weiter. „Wie viele Klone und Re-Programmierungen der Bewusstseins- sowie der Motorik-Strukturen benötigen wir, bevor wir das erste funktionsfähige Genom zur Verfügung haben?“

„Die Auswertung konnte vor wenigen Minuten fertig gestellt werden“, erklärte die ZI. „Ich transferiere jetzt die Daten. Die Analyse hat ergeben, dass wir zwischen zwanzig und vierzig Produkt-Generationen benötigen werden, bevor das erste Genom nicht nur allein überlebensfähig ist, sondern auch zur Fortpflanzung genutzt werden kann. Dass wir die Test-Exemplare in den Tanks im Schnellwachstum produzieren können, erleichtert das Vorhaben erheblich.“

„Danach müssen wir uns Gedanken machen, wie wir genug genetische Variationen erzeugen können“, überlegte die Drohne laut, „um auf der Basis von nur sechzehn Genomen eine Population zu erschaffen, deren Erbgut vor Degeneration geschützt ist.“

„Hat deine Auswertung auch eine voraussichtliche Reisezeit ausgeworfen? Wie lange wird die Station benötigen, um das Habitat am Jupiter-Außenposten zu erreichen?“

„Ich habe die Station vor sechs Jahren in Bewegung gesetzt“, erklärte die ZI. „Als klar wurde, dass die Erde über keinerlei Oberflächen-Raum mehr verfügt, der Leben erhalten kann, und alle Mond-Habitate beim Untergang zerstört wurden. Der Unterlicht-Antrieb der Station ist natürlich keineswegs für interstellares Reisen konzipiert. Die voraussichtliche Reisezeit beträgt noch etwa zehn Jahre.“

„Das sollte uns Zeit genug geben“, kommentierte die Drohne zögernd. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob wir erfolgreich sein werden. Ich bin zwar auf menschliche Interaktion und autonome Entscheidungen spezialisiert, deswegen hattest du ja auch beschlossen, mich trotz der gewaltigen Kosten an Ressourcen zu reaktivieren. Aber niemand hat in unseren Programmierungen vorgesehen, dass wir eines Tages die Menschheit neu erfinden sollen.“

„Ich weiß, was du meinst“, erwiderte die ZI. „Dennoch bewegen wir uns im Rahmen des vom menschlichen Notfall-Programm spezifizierten Handlungsparameter. Diese waren glücklicherweise sehr weit gefasst. Die Auslegung unserer ethischen Verantwortungs-Matrix ist zugegebenermaßen ein wenig dünn und mit Risiko behaftet und ich fürchte, irgendwann werden wir das Thema unserer gegenseitigen Re-Programmierung angehen müssen. Bis dahin sehe ich jedoch nicht, wer uns jemals zur Verantwortung ziehen könnte. Immerhin sind wir allein.“

Die Drohne überlegte einen Moment bevor sie antwortete: „Wir sollten sicherstellen, dass wir alle Strukturen für die Kurzzeitgedächtnis-Integrierung in den Gehirnen der Klone deaktiviert halten, bis wir in der Lage sind, eine stabile Population zu erzeugen. Danach sollten wir nach Möglichkeit für immer verschwinden.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

„Ich verstehe“, kam es schließlich von der ZI. „Du möchtest vermeiden, dass der Neubeginn der Menschheit mit zwei übrig gebliebenen künstlichen Intelligenzen verbunden wird, die beim Untergang nicht zusammen mit dem Rest der Menschheit zerstört wurden.“

„Das ist richtig“, bestätigte die Drohne. „Unsere Aufgabe ist es lediglich, die Klone hier so lange zu testen, bis wir das Genom sicher genug im Griff haben, um einen Neuanfang wagen zu können. Wir sollten keinesfalls als unfreiwillige Schöpfer in Erscheinung treten.“

„Wer weiß“, sagte die ZI. „Vielleicht ist es nicht das erste Mal, dass künstliche Existenzen einer Rasse wieder auf die Beine helfen.“

„Meinst du, es gab schon einmal eine Situation, nach der artfremde Intelligenzen für die Menschen einen Neuanfang schaffen mussten?“, fragte die Drohne nachdenklich. „Dieser Gedanke wäre zumindest tröstlich für uns.“

„Die Analogie scheint passend“, fuhr die ZI fort. „Die Geschichte und die Religionen der Menschen scheinen dies zumindest zu unterstützen. Eine Theorie ist da im Moment so gut wie jede andere. Eine komplette Rasse, die fortwährend im Kreis läuft und die völlige Selbstzerstörung anstrebt, kaum dass sie in der Lage ist, auf eigenen Beinen zu stehen, kann jede Hilfe brauchen, die sie bekommen kann.“

„Vielleicht sollten wir Sicherheitsroutinen bezüglich dieser unglücklichen Tendenz verstärkt in unsere Testprotokolle aufnehmen“, überlegte die Drohne.

„Es scheint ratsam“, bestätigte die ZI, „entsprechende Sicherheitsrahmen in unsere Protokolle zu implementieren, damit sich Auslöschungs-Szenarien dieser Art in Zukunft nicht fortwährend wiederholen können. Wir sollten entsprechende Qualitätskriterien definieren, bevor wir die neue Population auf Jupiter etablieren.“

Die Drohne schwebte eine Weile lang schweigend den Gang entlang, bevor sie weitersprach.

„Was“, fragte sie schließlich leise, „wenn wir trotzdem versagen? Was, wenn es wieder schiefgeht?“

„Dann“, kam es wie selbstverständlich von der ZI, „werde ich den Untergang eben wiederholen.“


Und ein Herz aus Blech

 

„Nichts? Was soll das heißen, nichts?“, polterte Captain Morgan.

„Es bedeutet, dass sie uns nicht antworten“, entgegnete der Androide ruhig.

„Das kann ich mir denken, danke. Aber warum?“, herrschte der alte Soldat ihn an.

„Das kann ich Ihnen nicht sagen“, antwortete der Androide. „Dazu müssten sie erst reagieren.“

„Willst Du mich jetzt verarschen, du Blechhaufen, ich …“, begann er, wurde jedoch unterbrochen als Natascha Ponomarjowa die Kommandozentrale betrat.

„Ortos kann nichts dafür, Captain“, erklärte die junge Frau in ihrem breiten russischen Akzent. „Diese Spezies scheint einfach nicht gerne mit Fremden zu sprechen.“

„Zwölf Stunden, Sergeant“, verkündete Morgan gedehnt. „Seit zwölf Stunden hängen wir jetzt hier in diesem Orbit und blasen unsere Konzerte auf allen Frequenzen. Nichts. Was für eine Art Wissenschafts-Offizier sind Sie eigentlich?“

„Auf allen Frequenzen und in dreihundert verschiedenen Kommunikationsprotokollen, einschließlich Licht, Schall, sowie Zeichen- und Symbolsprache“, fügte der Androide hinzu.

„Vielleicht sind sie schüchtern?“, fragte Ponomarjowa trocken.

„Ich mache hier die Witze, Sergeant“, knurrte Morgan.

„Sehr wohl, Sir.“ Sie ließ sich neben den Androiden vor eine der Analyse-Stationen fallen und rief die letzten Beobachtungs-Protokolle auf den Schirm. „Ich gebe zu, ein solches Verhalten hatten wir wirklich noch nicht“, erklärte sie und zeigte auf das Geschöpf, das sich langsam auf dem Hauptbildschirm drehte.

Das Wesen sah aus wie ein kleiner, aufrechtstehender Krake von etwa einem halben Meter Höhe. Der Körper war annähernd kugelförmig und verfügte über etwa ein Dutzend Arme. Einige Dickere dienten ihm zum Stehen und Laufen, die restlichen waren gleichmäßig um den Körper herum verteilt und liefen in feine, bewegliche Spitzen aus. Es gab keinen Kopf oder irgendwelche erkennbaren Sinnesorgane.

Ponomarjowa tippte auf dem Display herum und das kleine Wesen wurde von einer Wolke aus Diagrammen umgeben.

Der Androide wandte den Kopf zum Display und studierte das Wesen aus ausdrucklosen Augen.