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HAFENKLANG

So ist das also, wenn es zu Ende geht, dachte er. Nichts geht mehr, nicht einmal im Kopf. Klares Denken fiel ihm schwer, er hatte nur noch Angst. Die überlagerte alles. Er spürte feuchtes Gras im Gesicht. Mitten im Hafen? Wie konnte das sein? Lag er am Boden? Er versuchte, seinen Kopf zu heben. Oder zu drehen. Nichts. Ging einfach nicht. Seine Arme, was war mit seinen Armen? Er spürte sie nicht. Er fühlte eigentlich gar nichts. Nur der Kopf ratterte noch, ein bisschen. Slow Motion. Wie im Energiesparmodus. Die Lampen brannten noch, aber es wurde nicht richtig hell.

Und die Ohren! Konnte nicht jemand mal den Ton abdrehen? Das Tuten der Barkassen. Das Rasseln der Gangways. Das Klong der Containerbrücken. Die Stimmenfetzen von den Stehkneipen an den Anlegern. Einfach ausschalten. Das zerreißt einem sonst den Schädel!

Er wunderte sich, dass ihm nichts wehtat. Stattdessen fühlte sich alles nur irgendwie hohl an. Und dumpf. Wie eine leere Hülle. Mit Watte gefüllt. Nichts Festes, nur weich. Wie diese wabbeligen Kinderbonbons. Wie hießen die noch mal? Marshmallows? Mäusespeck? Oder wie im Bällebad bei IKEA, wenn er da seinen Jüngsten abholt. Wenn man nach ihm greift, sinkt der immer tiefer. Bis nach unten. Auf den Grund.

War er schon unten? Er konnte nur zwei Sportschuhe sehen. Keine Marke, Sneakers für Arme. In den Schuhen steckten zwei Hosenbeine. In Jeans. Dazu ein paar Lichter auf Höhe der Grasnarbe. Warum hingen die so tief? Er versuchte es noch einmal und wollte den Kopf heben. Wieder nichts. Keine Power. Er hörte leises Stöhnen. Ein Zwischenton im Hafenklang. War er das?

So weit ist es also schon, dachte er. Er wollte etwas sagen, schreien vielleicht. Hilf mir, du Penner! Oder so. Aber da kam nichts. Kein einziger Ton. Irgendwo gurgelte es. Er schmeckte Süßliches. Was zum Teufel war das? Schmeckte so Blut? Er konnte nur noch häppchenweise denken. Das konnte es doch nicht schon gewesen sein. 50 Jahre und ein paar Tage war er alt. Das halbe Leben lag doch noch vor ihm, fast jedenfalls. Jetzt lag er hier. Platt auf dem feuchten Boden. Wie ein Butt im Watt.

Er fühlte keinen Schmerz. So schlimm konnte es dann eigentlich doch nicht sein. Er versuchte, sich an dem Gedanken festzuklammern. Aber es half nicht, er spürte einfach nichts. Nur die Augen funktionierten noch und der Kopf. Etwas zumindest. Wie im wahren Leben. Auf seinen Kopf hatte er sich immer verlassen können. Bis zuletzt. Und auf seinen Instinkt. Trotzdem war diesmal alles schiefgegangen. Ausgerechnet dieses Mal.

Er war total arglos gewesen. Was denn auch sonst. Er selbst hatte den Kerl einbestellt. Auf die dunkle Seite der Elbe. Gegenüber der Lichterkette von den Landungsbrücken und der Glitzermeile von St. Pauli. Um dem Typen ein bisschen Angst zu machen. Ihm eine Lektion zu verpassen. Damit er wieder spurte. Und nicht noch ein Spiel versaute. Dieses Weichei. Gezittert hatte der, als er aus dem Auto stieg. Das konnte jeder sehen. Also echt, wie ’ne Pussy. Und dann war alles aus dem Ruder gelaufen. Irgendwie.

Er wollte nicht sterben. Nicht hier, auf einer dreckigen Brachfläche im Hafen. Nicht jetzt. Nicht so. Wann rief der Typ endlich nach den Sanis? Oder waren die schon auf dem Weg? Die Lampen wurden schwächer. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Als er ankam, war alles dunkel gewesen. Nur die Scheinwerfer und Laternen brannten hell herüber von den Containerterminals und von den Schiffsanlegern. Jetzt gehen irgendwie die Lichter aus. Ich will noch nicht sterben, dachte er. Schon gar nicht wegen dieses Mistkerls. Der traute sich doch sonst nichts.

Er selbst hatte seinen Sohn weggeschickt. Er brauchte ihn nicht. Der große Milan, der alles im Griff hatte. Der King. So einer wie er brauchte niemanden. Vor dieser Memme musste keiner Angst haben. Er schon gar nicht. Wie gern hätte er jetzt seinen Sohn hier. Er brauchte Hilfe. Merkte das denn niemand? Der Notarzt musste doch längst auf dem Weg sein. Die billigen Turnschuhe gingen aus dem Bild. Was hatte das zu bedeuten? Um die Retter in Empfang zu nehmen? Ihnen den Weg zu weisen? War das Dröhnen in seinem Kopf ein Motorengeräusch? Endlich. Er spürte den feuchten Boden im Gesicht nicht mehr. Endlich hatte die Qual ein Ende.

Das Licht ging aus.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7822-1476-6

ISBN 978-3-7822-1321-9

© 2018 by Koehler,

im Maximilian Verlag GmbH & Co. KG

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Fred Münzmaier

Layout: Inge Mellenthin

ePub Konvertierung: Datagrafix GmbH, Berlin

Freitag, 25. September

HERAKLION | Hafen

Bonde war froh, die Morgenfähre unbehelligt erreicht zu haben. Es war noch früh gewesen, kaum jemand war um diese Zeit schon unterwegs. Auf dem Parkplatz für Mietwagen am Flughafen hatte noch keiner der Mitarbeiter mit der Arbeit begonnen. Genauso hatte er es erwartet. Er stellte das Auto ab und warf den Schlüssel durch den Schlitz in eine Holzkiste, die mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert war. So machten es hier alle kleinen Autovermieter, damit ihr Personal nicht stundenlang warten und vor allem bezahlt werden musste, um einen oder zwei Kunden abzufertigen. Dann hatte Bonde vor dem Terminal ein Taxi genommen und sich zum Hafen fahren lassen. Gott sei Dank waren überhaupt schon einige da gewesen. Die aufgehende Sonne kam gerade erst über die Berge gekrochen, die ersten Maschinen sollten frühestens eine Stunde später landen. Aber frühes Kommen sicherte offenbar auch in Heraklion gute Touren.

Sein Fahrer war deshalb auch überhaupt nicht glücklich gewesen, dass er nur bis zum Hafen wollte. Und er ließ ihn das überdeutlich spüren. Er sei bestellt, behauptete er frech und forderte Bonde auf, einen anderen Wagen zu nehmen. Erst ein saftiges Trinkgeld von 20 Euro hatte den Droschkenkutscher gefügig gemacht. Das Geld wechselte den Besitzer, schwarz versteht sich, und der Grieche setzte sich endlich in Bewegung. Nach all dem Theater würde der sich bestimmt gut an ihn erinnern können, fürchtete Bonde, aber das ließ sich nun nicht mehr ändern. Bis jemand den Fahrer fragen konnte, wäre er längst außer Landes. Und vielleicht half das Trinkgeld ja sogar, sein Erinnerungsvermögen ein wenig einzutrüben. Im Hafen legte er noch einmal fünf Euro drauf, konnte ja nicht schaden.

Bis zum Ablegen der ersten Fähre um 6.20 Uhr hatte er gerade noch Zeit für einen Espresso gehabt. Dann musste er auch schon an Bord. In Athen würde sich alles Weitere finden, da war er sicher. Am besten mit dem nächsten Flieger schnell zurück. Wenn nicht nach Bremen, dann notfalls nach Hamburg oder Hannover. Oder wer weiß, vielleicht waren ja auch ein oder zwei Tage Akropolis drin. Das würde sich finden. Er konnte sich im Büro vielleicht telefonisch krankmelden. Und in der wuseligen griechischen Hauptstadt, die in der Krise ganz andere Probleme hatte, würde ihn sowieso niemand aufspüren können. Aber vielleicht war es doch besser, das Land ganz schnell zu verlassen. Er war unsicher. Der Schock saß bei ihm immer noch tief. Es brauchte, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte.

Das Unglück des kleinen Mädchens hatte sich in den Dörfern im Süden schnell rumgesprochen. Ihn erreichte die schlechte Nachricht gleich am nächsten Morgen beim Frühstück unten am Strand. In der kleinen Taverne am Ende der Straße, in der Deutsch gesprochen wurde und die deshalb bei Touris so beliebt war, quatschte ihn ungefragt ein älteres Ehepaar zu. Das kam aus Delmenhorst und saß am Nebentisch, er hatte die beiden vorher noch nie gesehen. Die Alte verbesserte ihren Mann ständig. Als der sich Spiegeleier mit Speck bestellte, korrigierte sie das beim Kellner: »Mein Mann nimmt lieber Schinken, der Speck ist zu fett.« Er schaute dabei wie ein geprügelter Hund. Mein Gott, Alltag in Delmenhorst, hatte Bonde gedacht.

»Haben Sie schon gehört?«, hatte ihn die Frau plötzlich angesprochen, »wie schrecklich, sie war doch noch so ein kleines Mädchen.« Er war spürbar zusammengezuckt. Was wollten die bloß von ihm? Die Kleine sei am Vorabend offenbar angefahren worden. »Von einem Auto«, ergänzte der Dicke mit dem Hundeblick. Das Mädchen sei einen kleinen Abhang hinunter zwischen die Olivenbäume geschleudert worden. »Direkt zwischen die Bäume und die dort aufgestellten Sonnenkollektoren«, verbesserte sie ihren Mann. Dabei hätte der Autofahrer die Kleine doch sehen müssen, in ihrem weißen Kleidchen. »So was sieht man doch.« Der Unfallfahrer sei einfach abgehauen. »So ein Schwein.«

Die Kleine sei erst Stunden später gefunden worden, die nervige Alte war überhaupt nicht zu bremsen. Als ein angetrunkenes Liebespaar zu Fuß auf dem Weg zurück ins Dorf war und plötzlich lautes Stöhnen gehört hätte. Dann dauerte es offenbar noch einmal über 45 Minuten, bis der alarmierte Krankenwagen aus dem nächsten größeren Ort endlich eingetroffen war. Der Fahrer musste erst mal gesucht und dann überredet werden. Sie kannte alle Einzelheiten. »Typisch griechisch«, quengelte sie. Nun lag das Mädchen angeblich im Krankenhaus und kämpfte um sein Leben.

Die Spiegeleier auf Bondes Teller waren kalt geworden. Sunny side up mit Speck, wie immer, hatte er bestellt, der Typ vom Nachbartisch schaute neidisch zu ihm rüber. Dazu hatte er frisches Weißbrot, Tomaten und Fetakäse geordert. Verdammt, das konnte doch einfach nicht wahr sein, dachte er, und versuchte möglichst lässig und unbeteiligt zu wirken. »Sie essen ja gar nichts«, hatte die Quasselstrippe bemerkt. Aber der Appetit war ihm gründlich vergangen. Er hatte hastig seinen Kaffee ausgetrunken und gezahlt. »Mir ist nicht gut«, sagte er zu seiner Entschuldigung. Und ihr Mann hatte gierig zu seinem Teller geschielt. Dann war er den Hügel hinauf zu seinem Haus gestiegen. Unterwegs überlegte er, was er tun konnte. Sich bei der Polizei melden und erst mal fragen, ob das Ganze etwas mit seinem Vorfall vom Vorabend zu tun hatte? Aber innerlich kannte er deren Antwort schon, irgendwie. Das konnte nicht gut gehen. Bei der Polizei würde ihn niemand verstehen. Entweder weil dort niemand Deutsch sprach. Oder falls doch, weil er sich nicht noch am selben Abend freiwillig gemeldet hatte. Auf Verständnis brauchte er dort jedenfalls nicht zu hoffen.

Sein Plan war schnell gereift. Schon als er oben beim Haus ankam, stand seine Entscheidung. Glücklicherweise hatte er bereits bezahlt, weil er sich offengehalten hatte, seine letzte Nacht in Heraklion zu verbringen. Das kam ihm nun sehr entgegen. Er konnte sich einfach vom Hof machen, ohne groß Fragen zu provozieren. Er packte seine Reisetasche und bewegte sich den ganzen Tag nicht mehr fort. Den Wagen hatte er bis dicht ans Ferienhaus gefahren, damit niemand zufällig den Schaden vorne rechts entdecken konnte. Die Vorsichtsmaßnahme traf er mit Bedacht. Denn manchmal kam sein Vermieter spontan vorbei, um frische Eier oder selbst gemachten Rotwein zu bringen. Und um etwas zu schnacken.

In der Nacht, als die Dörfer der Gegend schon lange schliefen, hatte er sich auf den Weg und aus dem Staub gemacht. Die Scheinwerfer des Wagens schielten ein bisschen, aber nachts war hier wenig Verkehr, niemand störte das.

Langsam wurde er innerlich ruhiger. Der Hafen lag bereits einige Stunden hinter ihm. Er saß draußen auf dem Achterdeck im Windschatten, die Vormittagssonne wärmte schon ordentlich. Für die Griechen noch nicht genug, und allzu viele Touristen hatten sich so früh noch nicht zum Hafen gequält. Deshalb waren nur wenige Passagiere aufs Außendeck gekommen. Und er hatte wenigstens seine Ruhe. Er sah die Insel hinter der Gischt schnell kleiner werden. Was für eine Scheiße, dachte Bonde, wo bin ich da nur reingeraten. Erst das schiefgelaufene Spiel, dann der Unfall. Er hatte echt ’ne Strähne. Dann schlief er auf der unbequemen Schiffsbank ein.

Mittwoch, 23. September

KALAMAKI | Südküste Kreta

Zwei Tage hatte Bernd Bonde noch. Zwei von diesen wunderbaren immer gleichen Tagen. Morgens, nach dem Aufwachen, fiel sein erster Blick aus dem Fenster auf die noch tief stehende Sonne hinter den Bergen, die wie in Aquarellfarben getaucht vor ihm lagen. Er schlief nicht lange an diesen Tagen, zu viel ging ihm durch den Kopf, aber der Blick entschädigte für vieles. Früher Vogel fängt den Wurm? Hier waren es eher die berauschenden Farben, die ihn gefangen nahmen, wenn die Sonne tief über Kretas silberschimmernden Olivenhainen hing. Und die rostroten Lehmhänge in grellen Flammen explodierten.

Den ersten Kaffee nahm er auf der kleinen Dachterrasse, von der aus man bis in die Bucht sehen konnte, direkt auf das Hinterteil von Nepomuk. So hatten irgendwann mal Urlauber die kleine Inselgruppe getauft, zwei im eigenen Windschatten liegende, karge und unbewohnte Felshügel mitten im Meer. Von Land aus sahen die manchmal aus wie das Nilpferd aus dem Kinderbuch mit seinen kleinen Ohren, das im Wasser liegt und sich den müden Bauch umspülen lässt.

Irgendwann dann mit dem Wagen zum Strand. Er hätte den Weg auch laufen können. Zweieinhalb Kilometer, das war zu schaffen. Und es hätte seiner Fitness sicher gutgetan. Aber wer wollte das schon bei diesen Temperaturen. Ende September kletterte das Thermometer hier in der Sonne noch immer auf fast 30 Grad. Also lieber schlecht gefahren als fit gelaufen.

Am Wasser orientierte er sich meistens zum Nacktbadestrand. Ein bisschen was fürs Auge konnte nicht schaden und lenkte ab. Ein paar junge und nett anzusehende Mütter waren immer da mit ihren Kleinen, die zu Hause in Deutschland noch nicht in die Schule mussten. Nur gucken, nicht anfassen. Mehr brauchte er gar nicht, Hauptsache Ruhe. Mit der frühen Abendsonne ging’s dann zurück zu seinem kleinen Haus auf dem Hügel. Keine Nachbarn weit und breit, ein paar Züge im kleinen Swimmingpool, danach ein Gläschen Rosé und ein paar Oliven zum Sonnenuntergang.

Seit elf Tagen genoss er das nun schon. An sein Handy ging er seit Bremen nicht mehr, die Mails hatte er nur in den ersten Tagen noch gecheckt. Seitdem lagen Handy und iPad unberührt neben dem Bett. Zu Hause hatten die Journalisten ihn noch bestürmt. »Sie müssen was sagen«, forderten sie, »was war da los?« Einer war besonders dreist. Der Schmierfink für die fettesten und fiesesten Balkenüberschriften hatte ihm regelrecht aufgelauert und gedroht. »Sie haben die Wahl, mit uns zu reden oder nicht. Wir können auch anders.« Das war glatte Nötigung. Aber so waren sie. Doch er ließ sich nicht einschüchtern. Mit ihm nicht.

Als er nicht mehr ans Telefon gegangen war und kaum noch aus dem Haus, bedrängten sie ihn per SMS oder Mail und baten mit guten Worten um einen Rückruf. Sogar hier im Urlaub. Es ist immer das Gleiche, dachte er. Erst versuchen die Schreiberlinge es mit einem Honorar, dann mit Schmeicheleien, dann mit Druck. Er als Mensch war ihnen dabei völlig egal. Es ging allein um eine gute Geschichte, und die heiligte alle Mittel. Die Währung, die zählte, waren Auflage, Quoten und neuerdings auch Klicks. Wenn man vorne liegen wollte vor der Konkurrenz, musste man besser sein. Oder jedenfalls schneller und skrupelloser. Dahinter verschwammen Einzelschicksale allzu schnell zu einer breiigen Masse. Schreibtischtäter, dachte er.

Niemand interessierte sich wirklich für ihn. Für seine Motive, seine Nöte. Oder Reue. Es ging darum, was er gemacht hatte. Ihm aber bislang nicht nachzuweisen war. Es ging nicht um das Warum, das große Ganze. Dabei ging es um Fußball und wie verdorben der Profisport inzwischen war. Trotzdem verloren die Journalisten irgendwann endlich doch das Interesse und trieben die nächste Sau durchs Dorf. Die Bundesliga hatte schon nach den ersten sechs Spieltagen Wichtigeres zu bieten. Hamburg feuerte nach nur einem Punkt aus sechs Begegnungen seinen Trainer, wieder einmal. Es war bereits der dreizehnte in siebeneinhalb Jahren. Die Nerven wurden immer dünner. Auch seine.

Wer hätte denn ahnen können, dass ein lausiger Trainingskick so viele Probleme nach sich ziehen würde? Er konnte es noch immer nicht recht glauben. Zwei Wochen lang hatten sich die Hamburger Ende Juli in Österreich auf die neue Saison vorbereitet. In einem abgelegenen Tal sollten die Grundlagen für Fitness und Ausdauer gelegt werden. Und beim Drachenfliegen der Teamgeist gefördert. Endlich sollte alles besser werden, eine optimale Vorbereitung den Grundstein dafür legen. Aufstellen für Europa, Bayern wir kommen! Trainingsspiele gehörten dazu, aber wer maß denen schon eine besondere Bedeutung bei. Außer der Trainer vielleicht. Ob der bedeutungslose türkische Erstligist nun 4 : 1 oder 7 : 2 geschlagen wurde, wen interessierte das wirklich? Die meisten wussten doch nicht mal, wo diese namenlosen Klubs aus Anatolien überhaupt zu Hause waren. Die Zeitungen schrieben ihre Geschichten über solche Testspiele, aber ohne bleibenden Nachhall. Heute gedruckt, morgen vergessen.

Echte Skrupel hatte er deshalb auch kaum, als das Angebot an ihn herangetragen wurde. Umstrittene Schiedsrichterentscheidungen gab es immer, sogar in Pflichtspielen. Zwei fragwürdige Elfmeter, einen umstrittenen Platzverweis, wen juckte das schon? Vor allem, solange es nur um Training ging.

So hatte er gedacht, als er den Auftrag annahm, das Spiel gegen die Türken zu pfeifen. Und zwar möglichst so, dass am Ende ein bestimmtes Ergebnis stand. Ein Sieg der Hamburger mit mindestens fünf Toren Unterschied sollte es sein, das war die Maßgabe. Sein Honorar hatte gestimmt. 30.000 Euro für eine verlängerte Übungseinheit. Anfangs hatte er sich gewundert, was sich jemand so ein unwichtiges Spiel kosten ließ. Was durch Wetten auf ein Trainingsspiel zu verdienen war, davon hatte er bis dahin keine Ahnung. Aber das war ihm auch egal. Sein Honorar stimmte, es war mehr als sonst, und das allein zählte. Und natürlich der Endstand. 6 : 1. Bis sich auf einmal die Medien dafür interessierten. Erst die Hamburger, dann die überregionalen. »Wettskandal beim Trainingsspiel?«, fragte das Blatt mit den größten Überschriften, »Skurrile Schiri-Entscheidungen belasten das Spiel«. Eine andere Zeitung fragte: »Was war da los? Millioneneinsätze auf Trainingskick«. Dann hatte sich die Meute auf ihn gestürzt. Und die Ermittler standen vor der Tür.

Daran wollte er jetzt aber nicht denken. Nicht mehr, solange er die kretische Sonne noch unbeschwert genießen konnte. Er warf noch einen letzten Blick auf Nepomuk, hinter dem sich langsam die Sonne senkte. Warum die beiden Felshügel auf Griechisch angeblich so viel wie »Zwieback« bedeuten sollten, wird auf ewig das Geheimnis der Griechen bleiben, dachte er. Während der Besatzung durch deutsche Truppen hatten sich dort in Höhlen angeblich Partisanen versteckt, später dienten kleine windgeschützte Buchten einheimischen Fischern als Schutz, wenn sie von plötzlichen Fallwinden überrascht wurden. Aber Zwieback? Er schüttelte den Kopf und trank sein Glas in einem Zug aus. Danach verließ er die Terrasse.

Er warf sich in seine hellen Sommerjeans und zog ein leichtes Hawaiihemd über. Schrille Farben, grelle Muster. Er musste grinsen. Von der Lippe würde seine helle Freude an ihm haben. Er mochte den Kölner Künstler mit seinem Hang zu schreiend bunten Hemden und obszönen Witzen. Kölle Alaaf auf Kreta. Für mehr reichte seine Aufmachung sicher nicht. Musste es aber auch nicht. Die jungen Mütter aßen sowieso auf ihren Terrassen, weil sie ihre Kinder nicht alleine lassen konnten. Und darüber hinaus waren die Gelegenheiten für einen handfesten Flirt in der Nebensaison eher spärlich gesät.

Eine nette kleine Affäre hätte ihm eigentlich mal wieder ganz gutgetan. Für einen Moment wurde er sentimental. In seinem Schlafzimmer in Bremen war schon seit Monaten ziemlich tote Hose. Klar, ab und an mal etwas Sex mit einer befreundeten Kollegin, den gab es schon. Aber von echtem Liebesleben konnte wirklich keine Rede sein. Kein Wunder, dachte er, wenn man das ganze Wochenende in kurzen Hosen auf Fußballplätzen in unbedeutenden Stadien bei noch unbedeutenderen Spielen der dritten und vierten Ligen zubrachte. Havelse gegen Wolfsburg II, solche Begegnungen brauchte doch kein Mensch. Und alles für ein Honorar, das kaum den Verschleiß an seinem alten Volvo und die Spesen deckte.

Vielleicht hätte er sie doch fragen sollen, ihn nach Kreta zu begleiten? Bonde wischte den Gedanken schnell beiseite. Ein Korb war so ziemlich das Letzte, was er in dieser Phase gebrauchen konnte. Bloß nicht noch mehr Sorgen. Doch dass sich an seinem Frauenmangel ausgerechnet auf Kreta was ändern sollte, gut zwei Tage vor der Abreise, den Kopf voll mit anderen Problemen, daran war nun wirklich nicht zu denken. Wozu also großer Aufwand. Flip-Flops mussten reichen für die kurze Strecke zur Taverne. Drei enge Kurven, eine Kreuzung, ein kurzer Anstieg auf den Nachbarberg und dann das Auto auf dem kleinen Platz vor der Kirche abstellen. Passte schon.

Vorsichtig rangierte Bonde seinen Mietwagen rückwärts aus der Auffahrt des Ferienhauses. Für das enge Tor und den schmalen Schotterweg war die Karre eigentlich fast schon zu groß. Und zu behäbig. Zu Hause würde er keine fünf Meter in einem Ford fahren. Schon aus Prinzip. Er kaufte ja auch keinen HD-Fernseher made in Germany. Aber hier musste man nehmen, was man für kleines Geld gemietet bekam. Als es hinter ihm knirschte, wusste er, dass er am Maschendraht hing.

Ein schrottreifes Motorrad neben der Einfahrt behinderte das Rangieren zusätzlich. Jedes Mal wieder ärgerte er sich darüber. Die rostige Kiste sah aus, als stünde sie schon seit Jahren an derselben Stelle. Müllentsorgung auf Griechisch. Vielleicht sollte er seinen Freund Joannis doch mal darauf ansprechen. Oder dessen deutsche Frau. Die müsste ihn doch verstehen. Er schlug das Steuer ein und rollte vorsichtig an dem alten Hobel vorbei den steilen Sandweg runter zur Straße.

Die kleine Landstraße ging aus seinem Dorf durch Olivenplantagen bergab zur Hauptstraße, die nach etwa 15 Kilometern in die Kreisstadt führte. Das war eigentlich nur eine triste Ansammlung schmuckloser Stein- und Betonkästen. Aber es war der zentrale Ort des Bezirks, hier saß die Bezirksverwaltung, hier war die Polizeistation, hier fand man fast alles. Auf Griechisch natürlich.

Er fummelte am Radio rum, um einen lokalen Sender zu finden. Ein bisschen Sirtaki und Volksmusik würde ihm guttun, Lady Gaga und Pink konnte er schon zu Hause nicht ertragen. Nebenbei versuchte er, mit der Sonnenblende die tief stehenden Sonnenstrahlen abzuschirmen. Als er drei Kurven weiter am Hang zwei Motorräder in hohem Tempo ihm bergauf entgegenkommen sah, zog er den Wagen mit der anderen Hand etwas nach rechts. »Idioten!«, sagte er halblaut zu sich selbst, »die sind doch nicht ganz normal.« Die Griechen fuhren wie die Henker. Mitten auf der Straße. Und ohne Helm sowieso. Das Gesetz schrieb zwar vor, dass jeder Motorradfahrer einen Helm dabeihaben musste. Aber die Betonung lag offenbar auf »dabei«. Jedenfalls trugen die meisten Biker ihren Helm cool über dem Arm. Das musste reichen. Bei den beiden schleiften sie fast auf der Fahrbahn, wenn sie sich in die Kurve legten.

Total verrückt. Er hielt sich wohl besser noch etwas mehr am Rand der Straße, dachte er. Ob zu ihrem Schutz oder seinem eigenen, das war ihm im Moment ganz egal. Er versuchte etwas abzubremsen, aber die Flip-Flops verhedderten sich unter dem Gaspedal. Irgendwas blitzte rechts am Straßenrand weiß auf, als er mit links den Ford in der Spur zu halten und zugleich mit rechts die Augen gegen die Sonne zu schützen versuchte und dabei leicht auf den Sandstreifen kam. Es gab einen dumpfen Schlag. Der Wagen schlingerte kurz, endlich konnte er etwas abbremsen und Tempo rausnehmen. Sollte er anhalten und nachsehen? Aber im Rückspiegel war im Abendlicht nichts auszumachen.

Die Maschinen knatterten bereits hinter der nächsten Kurve. »Scheiße«, fluchte er. Die plötzliche Stille hatte was von Friedhofsruhe. Er verscheuchte den Gedanken. Wahrscheinlich eine große Katze oder ein Hund, überlegte er. Von denen gab es hier eh viel zu viele. Er fuhr weiter und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Bloß nicht noch ein Problem. Im Radio verzehrte sich ein griechischer Sänger vor Kummer und Leid. Sein Herz klopfte heftiger, als er sich eingestehen wollte.

Als er das Auto vor der Kirche abstellte, sah er die Bescherung. Der rechte Scheinwerfer war gesplittert, der Kotflügel hatte eine kräftige Beule. Ob er doch noch mal zurückfahren sollte und nach dem Tier sehen? Aber da war doch nichts gewesen. »Kalimera, du siehst nicht gut aus«, sagte Xenia. Zu spät. Die junge Wirtin seiner Lieblingstaverne war im Schwäbischen aufgewachsen. Warum es sie irgendwann zurück nach Kreta verschlagen hatte, wusste sie inzwischen selbst nicht mehr so genau. Klar, Kreta war die Heimat ihrer Familie, seit Generationen. Aber musste man deshalb unbedingt dahin zurück? Sie war längst Deutsche, sie dachte deutsch, fühlte deutsch. Und so wirtschaftete sie auch. Das war hier nun wirklich nicht immer ganz leicht. Wenn sie davon erzählte, musste er meistens lachen. Aber er lebte ja auch nicht da.

Immerhin hatte sie guten Wein und perfekte griechische Speisen, vor allem die Mezes waren ein Gedicht. Nicht mächtige Grillplatten »Alexis Sorbas« mit riesigen Fleischbergen, die kleinen Tellerchen mit verschiedenen marinierten Gemüsen, Pürees und Salaten oder frittierten Fischchen waren die eigentlichen Merkmale guter griechischer Küche. »Was ist los mit dir, ist was passiert?«, fragte sie und drückte ihn zur Begrüßung wie üblich an den mächtigen Busen. Küsschen links, Küsschen rechts. Dann sah sie ihn besorgt an. »Alles supi«, antwortete er schnell und ärgerte sich sofort, dass er wieder diesen blöden Ossislang gebrauchte. Er hatte sich geschworen, den endlich aus seinem Vokabular zu streichen. »Alles super, was soll sein?«, verbesserte er sich und knipste sein Profilächeln an. Dann bestellte er weißen Hauswein aus dem Fass. »Ich bin schließlich im Urlaub.«

HAMBURG | Elbvororte

Eigentlich müsste sie sich doch langsam mal melden, dachte Robin Goldmann, wie konnte man nur so ignorant sein. Okay, sie waren nicht im Besten auseinandergegangen, als er sich vor drei Monaten von ihr getrennt hatte. Urplötzlich. Zumindest für sie. Laufpass wäre noch eine schmeichelhafte Bezeichnung dafür gewesen. Seine Entscheidung hatte Saskia völlig überrumpelt. Und aus der Bahn geworfen. Aber anrufen könnte sie doch zumindest mal. Das war doch nicht zu viel verlangt. Auch nicht im Urlaub und nach einer schweren Trennung. Verdammt, dachte er, wie plump, jetzt will sie sich rächen. Hatte er das verdient?

Er tigerte unruhig auf der Terrasse hin und her. In der späten Herbstsonne perlten die weißen Häuschen des Süllbergs den Hang hinunter bis zur Elbe. Wie in der Tourismuswerbung. Auf dem Strom schob sich ein unförmiger Containerriese an ihm vorbei Richtung Mündung. Nicht einmal eine echte Brücke für den Steuermann konnte man ausmachen. Am Strand sprangen die Kinder ein paar Schritte zurück, als der Schwell des Schiffes über die Uferböschung schwappte. Sie hatten Angst, sich nasse Füße zu holen. Aber Robin bekam davon nichts mit. Er glotzte Löcher in die Luft und war in Gedanken ganz weit weg.

Über fünf Jahre waren sie ein Paar gewesen. Es waren gute Jahre. Birte, ihre gemeinsame Tochter, sollte im nächsten Sommer in die Schule kommen. Ihr Haus hoch über der Elbe, in dem sie drei Jahre lebten, war teuer, aber ein Paradies. Zum Hundestrand mit den beiden Doggen war es nicht weit. Blankenese war sein Heimatdorf geworden. Kleine Läden, nette Kneipen. Und den Geruch von Großstadt immer in der Nase. Eigentlich hatte alles gepasst. Bis er von einem Tag auf den anderen sein komplettes Leben umstürzte.

Die letzte Saison war eine echte Katastrophe gewesen. Adduktoren, Schambein, Knorpel. Immer neue Verletzungen und Wehwehchen. Sie hatten ihn den Stammplatz gekostet. Er brachte es nur noch auf 22 Spiele, davon gerade mal 14 in der Startelf. Drei Tore und zwei Vorlagen waren viel zu wenig, gemessen an den Ansprüchen, die er selbst an sich hatte. Den Abstieg hatte der ruhmreiche Hamburger Klub nur um Haaresbreite verhindern können. Daran immerhin hatte er seinen Anteil durch ein wichtiges Tor im vorletzten Spiel. Bei der WM, für die er im letzten Moment noch in den Kader gerutscht war, hatte er ganze sechs Minuten auf dem Platz gestanden, in einem nahezu unbedeutenden Vorrundenspiel. Und das nur, weil der Schiri vier Minuten nachspielen ließ. Er wurde in der 88. Minute eingewechselt, eigentlich nur, um Zeit zu schinden. Nun durfte er sich Weltmeister nennen. Aber was hatte er damit wirklich zu tun? Eigentlich war er nur Meister im WM-Tourismus.

In den Tagen im WM-Quartier war sein Entschluss gereift. Er wollte sich nicht länger quälen, zwischen Reha und Physio, Aufbau- und Mannschaftstraining. Zwölf Jahre Profifußball hatten Spuren hinterlassen. Auch in seinem Kopf. Schon mit 18 hatte er an der Fußballakademie in Burnley in der ersten Mannschaft gespielt. Mit 19 war er nach Holland in die erste Division ausgeliehen worden, mit Mitte zwanzig kehrte er nach Deutschland zurück. Drei Länder, sechs Vereine, dazu 37 Länderspiele und sieben in der U21, er wollte endlich seine Ruhe haben. Erst fiel es ihm schwer, sich das einzugestehen. Aber dann wurde die Sehnsucht danach immer deutlicher. Der Druck, die Fremdbestimmung, die Quälereien, er hatte einfach genug davon.

Und dann das Geld, immer ging es nur um Kohle. Natürlich war es schön und eine große Versuchung, seinen Batzen davon einzustreichen. Seine letzte Vertragsverlängerung, mit der mitten in einer der vielen Hamburger Krisen niemand gerechnet hatte, war fast so etwas wie ein goldener Handschlag für ihn gewesen. Aber der Fußball wurde durch die Wahnsinnssummen immer mehr fremdbestimmt. Wer das nicht sehen wollte, mit dem stimmte doch etwas nicht. Aberwitzige Millionenzahlungen für junge Spieler, die fast noch Teenager waren und ihr Talent noch nicht einmal eine komplette Saison nachweisen mussten, selbstherrliche Investoren, die sich Fußballklubs wie Spielzeuge kauften – die Kluft zu den Menschen auf den Stadionrängen wurde immer größer und tiefer. Und das kotzte ihn immer mehr an.

Die Gelegenheit zu einem radikalen Schnitt war günstig gewesen. Sein Vertrag lief aus, eine Verlängerung war nur unter erheblichen Gehaltseinbußen denkbar, wenn überhaupt. Denn die ewig klammen Hamburger mussten an allen Ecken und Enden sparen. Wieder einmal. Zu den Top 20 in Europa wollten sie gehören. Aber nur im Ranking der Chaosklubs lagen sie weit vorn. Und das nervte zusätzlich. Krisen und Intrigen innerhalb des Klubs waren nicht gerade die Stimmungsaufheller, die er noch ein paar Jahre brauchte. Dazu kam, dass die Mitglieder wie bei so vielen Vereinen gespalten waren, wie es weitergehen sollte. Manchmal fragte er sich, warum immer noch 50.000 Leute Spiel für Spiel ins Stadion strömten.

Der Fußball wurde immer mehr fremdbestimmt, die Spielpläne immer stärker auf die Interessen der TV-Sender ausgerichtet und auf Kommerz getrimmt. Die Stimmung in den Stadien, die auf einmal Arenen heißen mussten, litt darunter spürbar, so wie er es schon Jahre zuvor in England beobachtet hatte. Und bei ihm litt die Lust.

Mit fast dreißig war er selbst eigentlich noch im besten Fußballalter. Er hatte durchaus noch zwei, drei Jahre auf höchstem Niveau. Seine Erfahrung konnte noch für manchen Verein von Nutzen sein. Und er hatte auch Angebote. Marseille hatte um ihn geworben, in Genua arbeitete sein früherer Sportchef, der ihn sehr schätzte. Einige Bundesligaklubs und Zweitligisten zeigten Interesse. Und in die Wüste oder nach China konnte er für viel Geld immer gehen. Sehr viel Geld. Profifußball war inzwischen wie ein moderner Sklavenmarkt.

Sein Berater hatte ihm gut zugeredet. Vor allem Dubai, aber auch Shanghai versuchte er ihm schmackhaft zu machen. Kein Wunder. Der wäre mit zwölf Prozent des Jahresgehalts als Honorar dabei gewesen. Unterm Strich, bei einem Dreijahresvertrag sogar mal drei. Kein schlechter Schnitt zum Abschluss ihrer Zusammenarbeit. Aber wollte er das alles wirklich noch einmal? Einen Neuanfang in einer fremden Stadt oder sogar in einer total anderen Welt? Neue Herausforderungen und Spielregeln, aber natürlich auch neue Konkurrenz. Zurück auf Los, ziehen sie einen Sack voll Kohle ein?

Er schüttelte seinen Kopf, als wollte er sich selbst noch mal die passende Antwort geben. Und ging zurück ins Wohnzimmer. Der Herbst schickte seine kühle Botschaft den Hang hoch, sobald die Abendsonne ihre Kraft verlor. Hamburger Wetter, er mochte das. Vor allem die Luft, auch wenn so viel über die Verschmutzung durch die Schifffahrt geredet wurde. Aber hier oben auf dem Süllberg war die Luft noch in Ordnung. Er dachte an den alten Witz, dass es kein schlechtes Wetter gebe, nur falsche Kleidung, und musste lächeln. Wenn sich doch alle Probleme so einfach lösen ließen.

Robin war in seinen fast sieben Jahren an der Elbe leidenschaftlicher Hamburger geworden. Er fühlte sich heimisch in der Stadt mit den breiten Straßen, den Kanälen und Fleeten, Parks und Bäumen. Er mochte die Mentalität der Menschen. Angenehm zurückhaltend, aber verlässlich. Das Schmuddelwetter, den Dies, der sich manchmal in grauen Schichten über die Stadt legte, feucht und schwül, darunter immer eine frische Meeresbrise. Sie nannten das hier Sommer, aber Lust machte es nur auf eines: auf ein kühles Bier. Das war seins. Er war vielleicht nicht immer glücklich, aber er war zufrieden. Oder etwa nicht?

Im WM-Quartier hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Und gemerkt, wie die Kluft zwischen ihm und den anderen wuchs. Er fand Playstation zum Kotzen und hasste die jungen Kollegen, die nach einer Niederlage mit dicken Kopfhörern auf den Ohren und breitem Grinsen durch die Katakomben liefen, als wäre nichts gewesen. Er identifizierte sich mit seinem Klub und verachtete Spieler, die jedes Jahr für einen anderen Verein spielten, Hauptsache die Kohle stimmte. Und die bei einem Tor mit großen Gesten auf das Klubemblem über ihrem Herzen klopften, aber an ihre Geldbörse dachten. Die jede Saison den Klub wechselten, ihre Lebenslügen aber nie. Elf Freunde müsst ihr sein? Davon war schon lange keine Rede mehr. Jeder war sich selbst der Nächste.

Robin interessierte sich inzwischen für Kunst und Politik. Er las Bücher über die Weltgeschichte und die vielfältige Auslegung des Korans. Er wollte Politikwissenschaften studieren und sich politisch engagieren. Vor einigen Wochen war er Mitglied der Grünen geworden. Er war nicht überzeugt von den etablierten Parteien, aber er wollte etwas tun. Man kann nichts ändern, außer man tut es. Blöder Spruch eigentlich, und doch irgendwie wahr. Ökologie und Klimawandel, Toleranz und Offenheit, das waren seine Themen. Damit war er bei den Grünen noch am besten aufgehoben. »Sie sind die beste aller schlechten Möglichkeiten«, hatte er mal in einem Interview gesagt. Er wollte sich einmischen. Denen im Rathaus ab und an mal die Meinung geigen. Aber nicht auf die plumpe Wutbürgerart. Manche Medien spotteten darüber, vor allem die mit den größten Überschriften. »Vom Fußballgott zum Grünen-Guru«, höhnte eines der Blätter. Als wenn Fußballer nicht intelligent sein oder zumindest eine politische Meinung haben dürften.

Robin war ein anderer geworden, und auf dem Weg dahin hatte er Saskia verloren. Wo war der Robinho geblieben, als den ihn die Fans verehrt hatten, der Fußballgott? Sein Feuer für den Sport war erloschen. Er beendete seine Karriere, ohne mit seiner Frau ein Wort darüber zu reden. Und als sie am verstörtesten über seinen Wandel war, trennte er sich auch noch von ihr. »Ich will nicht mehr«, hatte er eines abends zu ihr gesagt. Einfach so. Ohne Vorspiel. »Was ist los, was hab ich falsch gemacht?«, hatte Saskia verzweifelt gefragt. Immer wieder. Eine Antwort bekam sie nie.

Nicht dass er ihr etwas Konkretes vorzuwerfen gehabt hatte. Er mochte sie, fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Sie war keine dieser Spielerfrauen, die ihre Zeit nur beim Visagisten oder mit dem Personaltrainer im Gym verbrachten. Sie hatte ihr eigenes Leben. Hatte Sozialpädagogik studiert und war Abteilungsleiterin in einem Altenstift am Stadtpark. Man konnte gut mit ihr reden, nicht nur über die Klatschgeschichten in der »Gala« oder neue Schuhe. Aber alles war so eingelaufen, so vertraut, so normal. So langweilig? Robin wusste es nicht. Er hatte nur das Gefühl, etwas ändern zu müssen. Alles neu. Alles muss raus.

Die Hunde tobten durch den kleinen Garten, sie brauchten dringend Bewegung. Sollte er mit ihnen runter zur Elbe? Dort hatten sie mehr Auslauf. Und er war gern am Ufer. Ließ seine Gedanken auf den Wellen treiben und sah den Dampfern hinterher. Er mochte den Hafen, die Schiffe und das Meer. Fast wie bei Lale Andersen, dachte er und musste wieder grinsen. Um an Deck eines Schiffes zu stehen, und sei es nur auf einer Fähre, nahm er sogar Umwege in Kauf. Wenn er in die Gischt des Kielwassers schauen konnte und das Rauschen hörte, war seine Welt in Ordnung. Jetzt war sie es nicht. Was, wenn Saskia und Birte grade anrufen würden, während er mit den Hunden unten am Wasser war? Würde er sie dann kurz aus den Augen lassen können? Und sich auf das Telefongespräch konzentrieren? Wahrscheinlich war es besser, oben zu bleiben und zu warten.

Verdammt, warum geht sie nicht ans Telefon, fluchte er vor sich hin. Der Tag ging langsam zur Neige und noch immer nichts. Er schrieb ihr eine SMS. »Geh doch mal ran.« Das war doch nicht zu viel verlangt. »Das ist doch nicht zu viel verlangt«, tippte er. Roter Wut-Emoji. Nicht einmal im Urlaub in Griechenland. Nach zwei Wochen. Schließlich war Birte auch seine Tochter. Er wollte doch nur mal ihre Stimme hören.

SARAJEVO | Bosnien

»Pisswetter«, fluchte Dragan mit zusammengekniffenen Lippen, als er vor die Haustür trat. Der dünne Regen, der wie ein feuchter Schleier herabfiel, war zu wenig für einen Schirm, aber doch zu viel, um trockenen Fußes auch nur einige hundert Meter Richtung Altstadt zu kommen. Der Niesel drang durch alle Poren seiner Klamotten. Aber es nützte nichts, er musste los. In knapp einer Stunde war Anpfiff, und er hatte bis dahin noch einiges auf dem Zettel. Er zögerte kurz. Ob er vielleicht doch besser einen Regenschirm holen sollte, zumindest einen kleinen, den man in der Tasche verschwinden lassen konnte? Doch dann entschied er sich dagegen.

»Weiberkram«, knurrte er so laut, dass eine vorbeieilende Frau abstoppte und ihn irritiert ansah. »Du nicht, geh einfach weiter«, fauchte Dragan sie an, dass sie erschrak. Bloß nicht noch irgendwelche Scherereien mit einer selbsternannten Emanze, ermahnte er sich. Und rief sicherheitshalber ein »’schuldigung« hinterher. Das sollte freundlich sein, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.

Er kannte solches Wetter aus Deutschland und Österreich. Hatten sie es nicht »Schnürlregen« genannt, überlegte er, als er die leicht abfallende Straße zum kleinen Park an der Miljacka runterhastete und aufmerksam den Pfützen auswich. Als Flüchtling vor den serbischen Nationalisten hatte er Anfang der Neunziger mit seiner Mutter sein Heimatdorf in der Nähe von Pale verlassen müssen. Damals war er gerade zwölf, und sie waren zunächst einige Monate in der Nähe von Salzburg untergekommen. Danach hatte er vier Jahre in Deutschland in einem Dorf bei Nürnberg gelebt, bevor er in seine Heimatstadt zurückkehren konnte.

Ein Friedensabkommen auf Druck der Westmächte hatte das möglich gemacht, aber die Ruhe war äußerst trügerisch. Den Nationalismus und Hass hatte das Abkommen nicht eindämmen können. Die Tagespolitik wurde beherrscht von Provokationen und Differenzen, er las davon fast jeden Tag in den Zeitungen. Aber Dragan liebte seine Heimat. Bis auf das Wetter, das im Talkessel von Sarajevo im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt war, und zwischendurch oft zu nass. Aber wenn er nicht pünktlich war, drohte ihm mächtiger Ärger, das wusste er. Die Spiele wurden auf die Minute genau angepfiffen, sogar in Griechenland, wo doch sonst fast nichts klappte. Er sollte auf einige setzen. Den Zettel mit den Spielpaarungen hatte er in der Tasche. Nicht unbeträchtliche Summen. Das war sein Auftrag. Vor allem aber sollte der diesmal auch für ihn was abwerfen. Mehr als die üblichen 500 Euro Provision. Das hatte er sich fest vorgenommen.

Er wollte selbst spielen, obwohl das für Leute wie ihn strikt untersagt war. Wer als sogenannter »Läufer« unterwegs war, um an verschiedenen Orten Tipps für die Geldgeber zu platzieren, durfte nicht setzen. Das war eiserne Regel. Zu leicht konnte man als privater Tipper ins Visier der Bullen geraten und dann als Verbindungsmann zum Syndikat identifiziert werden. Dragan wusste um das Risiko. Trotzdem hatte er sein letztes Geld zusammengekratzt und sich noch was bei Freunden geborgt. Er brauchte die Kohle, seine Schulden drohten, ihn zu erdrücken. Er hatte keine Wahl und fühlte sich auch ein bisschen im Recht. Jetzt war er mal dran. Auf die Regeln gab er einen Scheiß. Er hatte genug davon, immer nur Laufbursche zu sein, damit andere abkassieren konnten. Er träumte schon lange vom großen Geld. Aber jetzt musste er sich beeilen, auch wenn er nass werden würde.

Er hatte es nicht weit. Er musste nur geradeaus über das Flüsschen, das Sarajevo in Nord- und Südstadt teilte, dann links abbiegen und zwei Straßen weiter nach rechts, dann hatte er es geschafft. Wie ein nasser Hund betrat er einen heruntergekommenen Laden am Rande der Altstadt, schräg gegenüber der Kathedrale. Von außen sah der Laden wie tot aus, die Fenster waren verklebt, damit man nicht reinsehen konnte. Drinnen standen ein paar Barhocker um zwei wackelige Bistrotische herum, auf denen sich Tippzettel und Informationsblätter zu verschiedenen Sportarten stapelten. In dem muffigen Verschlag von vielleicht drei mal vier Metern stank die Luft nach altem Zigarettenrauch. Die Aschenbecher quollen über, von der Decke strahlte müdes Neonlicht. An den Wänden hingen lange Reihen mit Zetteln, auf denen Spielpaarungen, Ergebnisse und Tabellen aufgelistet waren. Norwegen Liga eins bis drei, sah er, daneben Dänemark und die zweite Liga Aserbaidschans. Etwas weiter zur anderen Seite hin hing Israel an der Wand, zweite Liga, Seite an Seite mit Finnland und der dritten Spielklasse der Schweiz. Darunter hing Deutschland, alles bis zur Bezirksliga.

Neben der Eingangstür öffnete sich ein halbrundes Loch in einer Holzwand, hinter der offenbar ein ältlicher Mann saß. So genau konnte man das nicht erkennen. Wie früher an den Stadionkassen oder im Kino, wo man Tickets kaufte. Hier wurde gezahlt, aber nichts gekauft. Hier sollte dem großen Glück Beine gemacht werden. Um jeden Preis. Außer Dragan waren nur drei andere Männer in dem Wettlokal, das seinen Namen nicht verdiente. Alle mittleren Alters, etwas heruntergekommen. Er hatte sie noch nie gesehen. Sie starrten auf drei Monitore, die unter der Decke hingen, und nahmen keine Notiz von ihm. Es wurde kein Wort gesprochen. Hier interessierte sich niemand für den anderen.

Dragan kümmerte sich nicht um die Anschläge an der Wand und holte ein Bündel Geldscheine aus der Jackentasche. Eigentlich wurde in Sarajevo in bosnischer Mark gezahlt. Aber in den Wettbüros war harte Währung gern gesehen. Dragan zählte 1.000 Euro in Hundertern ab und reichte sie durch das Loch in der Holzwand. »Auswärtssieg auf Alta IF bei Nybergsund IL in der zweiten Liga von Norwegen«, sagte er.

»Quote 1 : 2,1«, kam es aus dem Verschlag zurück.

»Besser als nichts«, sagte Dragan. Dann blätterte er 500 Euro hin. »Elfmeter zwischen der 60. und 75. Minute im Spiel Niki Korfu gegen Peristeri FC in Griechenland, auch zweite Liga.« Er hatte die Spiele im Kopf.

»1 : 6,5!« Die Antwort aus dem Verschlag bekam einen irgendwie anerkennenden Ton.

Weitere 500 Euro gingen über den Tresen. »Elfmeter und Rote Karte in der ersten Halbzeit für Skjold Birkerød im Spiel gegen Fremad Amager, dritte Liga von Dänemark.« Er vergewisserte sich über die Quote. 1 : 9, das ging in Ordnung.

Der unsichtbare Buchmacher stellte die Quittungen aus. Dragan holte seinen kleinen Zettel aus der Tasche und kontrollierte noch einmal seine Notizen. Dann verließ er die Wettstube, ohne auf den Anpfiff auf den Monitoren zu warten.

Draußen schaute er sich sorgfältig um, aber er konnte niemanden entdecken. Sie hatten ihm einen Aufpasser zur Seite gestellt, das wusste er. »Nur zu deiner Sicherheit«, hatten sie gesagt, »bei so viel Bargeld in der Tasche.« Er wusste es aber besser. Sie wollten auf Nummer sicher gehen, dass er sich nicht einfach aus dem Staub machte. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. So viel Sozialismus war noch immer in ihren Köpfen. Aber die kleine Fußgängergasse war menschenleer. Hatte der sich schon vom Acker gemacht?

Er ging nur wenige Meter, an zwei irischen Pubs vorbei, wo er am liebsten einen Cider getrunken und die englische Premier League auf den Fernsehschirmen hinterm Tresen verfolgt hätte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. An der nächsten Straßenecke lagen zwei weitere Wettstuben fast nebeneinander, die von außen nach nichts aussahen. Ein blaues Schild mit einem Fußball und dem Schriftzug »Sportska kladionica Premier« über der linken Tür war der einzige Hinweis auf den Verwendungszweck. Er ging zielstrebig in die Spelunke, die sich drinnen kaum von der ersten unterschied. Hier gab es keine Hocker, dafür einen Getränkeautomaten in der Ecke, Cola, Wasser, Limonade. Bier oder Alkohol waren Fehlanzeige. Hier wollte jeder den Durchblick behalten.

Dragan kümmerte sich nicht um die zwei Männer, die zusammen mit einer Frau auf einen Zettel starrten und an ihren Zigaretten zogen. Er ging zu einem ähnlichen Verschlag und setzte auf die gleichen Spiele. Diesmal allerdings nur 500 Euro auf den Auswärtssieg in Norwegen, dafür 1.000 Euro auf den Elfmeter in Griechenland. »1 : 5«, kam es hinter der Trennwand hervor. Dragan wunderte sich, wie schnell die Quote auf seinen Einsatz reagiert hatte. Hatten noch andere Wind von dem Tipp bekommen? Egal, dachte er, ich mach nur meinen Job. Und wenn ich gleich von meiner eigenen Kohle setze, habe ich heute Abend für den Rest des Monats ausgesorgt.

Er stopfte die Quittungen in die Jackentasche und ging nach nebenan. Dort platzierte er nur eine Wette. 1.000 Euro. »Auf Auswärtssieg in der zweiten Halbzeit von Hapoel Ramat Gan bei Ironi Nesher«, sagte er und schob das Geld langsam über den Tresen.

»Israel?« Die Stimme hinter der Holzwand hörte sich für einen Moment erstaunt an. Dann wurde sie gleich wieder geschäftig. »1 : 2,5«, sagte sie.

Dragan zögerte einen kurzen Moment, bevor er das Geld losließ. »Verrückt«, sagte er, »irgendwie verrückt.«

»Ich mach die Quoten nicht«, kam es von drinnen.

»Das mein ich nicht«, antwortete Dragan, »ich mein, es ist doch irgendwie verrückt: Wen interessiert schon die israelische zweite Liga.«

»Du setzt doch auch darauf«, echote der Unsichtbare.

»Ja, klar, aber ich bin ja auch Experte.« Dragan wurde schlagartig klar, dass er zu viel redete und mit seinen Zweifeln nur Misstrauen wecken konnte.

»Das sagen sie alle«, kam es von drinnen, »ich seh hier nur Experten.«

Dragan stopfte die Quittungen zu den anderen und sah zu, dass er loskam. Denn langsam drängte die Zeit. Draußen regnete es jetzt stärker, aber er hatte keine Wahl. Noch einmal drehte er sich mit prüfendem Blick um. Nichts zu sehen. Er hatte seinen Job getan, warum sollte man ihn jetzt auch noch weiter kontrollieren, dachte er. Trotzdem schielte er noch einige Male zurück über die Schulter, als er zügig durch die Nebenstraße zur Straßenbahn ging, die ihn nach einer Schleife um die Altstadt herum bis zur Endstation in den Vorort bringen sollte. In der Bahn konnte er endgültig sicher sein, dass ihm niemand auf den Fersen war. In Ilidža, einem in die Jahre gekommenen Kurort zwischen Stadtgrenze und Flughafen, wo ihn niemand kannte, wollte er seine Tipps loswerden. 1.500 Euro auf den Elfer mit Roter Karte in Dänemark. Eine Quote von 1 : 7,5 sollte dafür immer noch drin sein, endlich war er mal dran.

Dragan hatte Glück. Er war kaum an der Haltestelle angekommen, als die Bahn angerumpelt kam. Er fand einen Sitzplatz und gab sich seinen Gedanken und Träumen hin. Als er 25 Minuten später an der Endstation ausstieg, waren es noch acht Minuten bis zum Anpfiff. Er griff in seine Jackeninnentasche und holte einen braunen gefütterten Briefumschlag heraus. In dem hatte er sein Privatgeld, abgezählt in kleinen Scheinen. Er knallte dem Buchmacher den Packen auf den Tresen. Der hob erstaunt die Augenbrauen, als er die vielen Zehn- und Fünf-Euro-Scheine nachzählte, von denen einige feucht und klamm waren. »Kleiner ging’s wohl nicht«, knurrte er. Endlich schob er Dragan die Quittung rüber.