Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
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Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:
ISBN Printausgabe 978-3-499-24131-4
ISBN E-Book 978-3-688-11443-6
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-688-11443-6
Zehn Wochen war es her, seit das Krankenhaus sein hochmodernes neues Sicherheitssystem installiert hatte. Und seit zehn Stunden war das Baby Kilo Finnegan jetzt verschwunden.
Shivaun Reilly rannte mitten durch den hochsommerlichen Platzregen zu ihrem Mazda, schloss ihn auf und schlüpfte hinein wie in einen Kokon, ihre persönliche Schutzhülle, in der sie endlich die Maske energischer Munterkeit abstreifen konnte, die sie den ganzen Tag getragen hatte. Irgendwie fühlte man sich im eigenen Auto wie unsichtbar, man konnte sich dort ganz ungeniert an der Nase kratzen oder falsch singen oder einfach drauflosheulen, wie sie jetzt. Es war eine enorme Erleichterung, den Tränen endlich freien Lauf zu lassen, und sie startete den Motor, ohne auch nur ein Taschentuch zu suchen, denn sie wusste, dass sie während der zwölf Kilometer langen Strecke – siebzig Minuten Stoßverkehr – ohnehin die meiste Zeit weinen würde.
Kilo Finnegan war ihr Baby. Ihr magerer, zappelnder, großartiger Erstgeborener, über dessen Geburt sie vor fast fünf Wochen als frisch beförderte Krankenhaushebamme triumphierend gewacht hatte. Genau genommen war Fionnuala Finnegan seine Mutter, und diese war von Dr. O’Hara entbunden worden, doch das waren reine Details, Papierkram. Kilo war ihr Seelenverwandter, ein zarter, kleiner Kämpfer, der sich wacker geschlagen und es entgegen aller Wahrscheinlichkeit geschafft hatte.
Er war als Frühchen mit nur einem Kilo Gewicht auf die Welt gekommen, und als Dr. O’Hara den Mundschutz abstreifte, hatte Shivaun daran, dass er sich ganz kurz auf die Lippe biss, erkannt, dass Kilo Finnegan einen schweren Start haben würde. Erschreckend schwer, genau wie Shivauns eigener Eintritt ins Leben vierundzwanzig Jahre früher.
Sein richtiger Name war Danny. Aber sein aufs Gramm genaues Geburtsgewicht hatte ihm sofort seinen Spitznamen eingetragen, und alle hatten sich darauf eingeschworen, ihn auf dem steinigen Weg zum Ziel, dem Gewicht von zweieinhalb Kilo, in Fahrt zu bringen und auf Kurs zu halten. Wenn er einmal die Zielmarke erreicht hatte, hieß das, dass seine besorgten, aber optimistischen jungen Eltern ihn mit nach Hause nehmen durften. Gleich im ersten Moment, als Shivaun sein Gesichtchen sah, verblüfft und zerknautscht wie ein winziger ET, hatte sie sich in ihn verliebt und von da an jeden noch so minimalen Fortschritt genau mitverfolgt. Jeden Morgen eilte sie zur Neugeborenenintensivstation, um ihn strahlend anzulächeln – oder zumindest das, was zwischen all den Schläuchen und Kabeln von ihm zu sehen war: Er lag im Brutkasten, war an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, bekam durch einen Infusionsschlauch Antibiotika zugeführt und wurde mittels einer Magensonde ernährt. Er sah aus, als hätte er eine Mondlandung vor sich, als wäre er ein winziger Marsmensch. Er war ihr Projekt. Sie jubelte, wenn er zwei Gramm zulegte, geriet vor Begeisterung außer sich, wenn es fünf waren, und brachte seiner Mutter Fionnuala sogar einmal einen ziemlich bescheuert dreinblickenden Donald Duck mit, für den Tag, «wenn er schön dick und rund ist und nach Hause darf». Und er hatte tatsächlich langsam zugelegt und war zu einem niedlichen Baby herangewachsen, dessen Heimkehr kurz bevorstand, bis man plötzlich an diesem Morgen sein Bettchen leer vorgefunden hatte.
Leer! Es war unvorstellbar, wollte keinem in den Kopf und löste beinahe eine Hysterie aus, bis die Oberschwester herangestampft kam wie ein Schlachtross, in das Bettchen schaute, als könne sie allein durch ihre Entschlossenheit Kilos Wiederauftauchen bewirken, und dann davonmarschierte, um die Polizei anzurufen. Die Dienst tuende Stationsschwester stammelte ihr mit tränenerstickter Stimme hinterher: «Vielleicht … vielleicht ist er einfach nur …?»
Die Oberschwester wirbelte auf dem Absatz herum. «Vielleicht ist er einfach nur was, Orla? Mal eben in die Pinte einen heben gegangen? Oder zur Bank, einen Scheck einlösen?»
Für die Oberschwester, die bekannt dafür war, dass sie, komme was wolle, zu ihren Leuten hielt, war das ungewöhnlich sarkastisch. Aber sie hatte in letzter Zeit enorm unter Druck gestanden, eine Budgetsitzung nach der anderen, dazu ein Volltrottel von Gesundheitsminister – so einer, in dessen Augen überarbeitete, unterbezahlte Krankenschwestern in Krankenhäusern mit viel zu wenig Personal die Voraussetzung für ein «effizientes» Gesundheitssystem waren. Die Oberschwester verabscheute diesen Mann, der darauf bestand, sie Pflegedienstleiterin zu nennen, als wäre sie die Führungskraft eines Unternehmens, wo doch jeder wusste, dass der dumme Schwätzer nur darauf wartete, das St. Jude’s bei der erstbesten Gelegenheit dichtzumachen. Das Krankenhaus bestand schon seit hundertzwanzig Jahren und war gewissermaßen die Geburtsstätte der gesamten Gemeinde, von den Großeltern bis zur jetzigen Generation, doch so etwas kümmerte den Minister nicht. Er wollte, dass das Krankenhaus von einer monströsen Großklinik geschluckt wurde, weil kleine Krankenhäuser nicht mehr «lebensfähig» seien.
Tja, auch Kilo Finnegan wäre um ein Haar nicht lebensfähig gewesen. Aber er hatte es geschafft, und seine Eltern, Pflegerinnen und Ärzte hatten begeistert verfolgt, wie der Zeiger an der Babywaage nach oben kletterte, bis man ihn – Hurra! – von den Geräten nehmen und an die Brust legen konnte. Shivaun würde den Moment, als er mit dem Mündchen seine Mutter suchte und sich in ihren Armen räkelte, niemals vergessen. Mein Bambino, jauchzte sie bei sich, hat es geschafft! Zwar hatte sie seitdem Dutzende weitere Kinder zur Welt gebracht (mit Unterstützung der Ärzte, wie sie das gerne sah), doch Kilo Finnegan hatte sich einen festen Platz in ihrem Herzen erobert.
Und jetzt war er also weg. Einfach verschwunden. Shivaun, ganz in ihre Gedanken versunken, bemerkte plötzlich, dass sie sich falsch eingeordnet hatte, und signalisierte dem Fahrer auf der Nachbarspur, dass sie sich einfädeln wollte. Doch der gab absichtlich Gas und wollte sie partout nicht reinlassen. Das Schwein! Fluchend drängte sie sich vor ihn und machte ihm mit einer unmissverständlichen Geste klar, was sie von ihm hielt. Zur Erwiderung hupte er wie wild, und sie spürte einen nahezu unkontrollierbaren Drang, zu bremsen, aus dem Wagen zu springen, zu seinem zu rennen und ihm mit der Faust die Scheibe einzuschlagen.
Verkehrsrowdys. O Mann. War das der Anfang, wurde es allmählich vollkommen unmöglich, in diesem Land zu leben? Sie gab sich einen Ruck, machte widerwillig eine entschuldigende Geste und bog nach links auf eine völlig verstopfte Straße ein, die so aussah, als hätte sich dort seit Stunden nichts mehr bewegt. An regnerischen Abenden war diese Straße, mit Ausnahme der Busspur, regelmäßig ein einziger Stau. Aber es gab keine Buslinie, die sie rechtzeitig zu ihrem Arbeitsbeginn um acht Uhr morgens zum St. Jude’s gebracht hätte, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als das Auto zu nehmen … Seufzend legte sie den Leerlauf ein, doch ihre Gedanken kreisten weiter hartnäckig um Kilo Finnegan. Was, wenn irgendein Spinner ihn entführt hatte, jemand, der selbst bei einem Säugling vor nichts zurückschreckte? Aber wer hätte ihn entführen können und warum?
Ihr Gefühl sagte ihr, dass die Polizei mit ihrer voreiligen Schlussfolgerung auf der falschen Spur war. Die Beamten vermuteten nämlich eine trauernde Mutter als Täterin: eine der Frauen, deren Kind bei der Geburt gestorben war oder die es zur Adoption freigegeben hatten. In den letzten Jahren waren am St. Jude’s nur drei Säuglinge gestorben; allerdings hatte es mehrere Adoptionsfälle gegeben, und die Polizeibeamtin, die neben ihrem männlichen Kollegen mit der Untersuchung betraut war, hatte eine vollständige Liste mit den Namen und Adressen der Mütter angefordert.
«Hormone», hatte sie mechanisch im Besserwisserton von sich gegeben, «die spielen verrückt. Irgendeine verwirrte Mutti, die aber nichts Böses im Sinn führt … wir haben das Kind in null Komma nichts gefunden und bringen es pünktlich zum Mittagsschläfchen zurück.»
Sicher doch. Genau. Aber der Tag war vergangen, ohne dass es Neuigkeiten von Kilo gegeben hätte, und Shivaun dachte erbittert an das neue, mit allen Schikanen ausgestattete Sicherheitssystem. Wie viel hatte das wohl gekostet? Fünfzigtausend? Hunderttausend? Wie viel auch immer, das Geld war für die Katz. Jeder Angestellte konnte doch die Tür mit der Sicherheitskarte öffnen und sie, höflich wie man ist, noch für fünfzehn weitere Leute aufhalten. Genial. Wenn Stan noch Pförtner wäre, hätte so etwas garantiert nicht passieren können, in seinen dreißig Dienstjahren war wohl nicht einmal eine Maus ungesehen ins Gebäude gelangt. Anstatt das Geld in die Sicherheitstechnik zu stecken, hätte man lieber sein Gehalt aufbessern sollen – oder es in medizinische Geräte investiert, statt von den Eltern zu erwarten, dass sie es mit Kuchenverkäufen, Karaoke-Abenden und gesponserten Wanderungen durch Thailand zusammenbrachten. Hundertfünfzig Eltern hatten sich auf einer Ochsentour durch dieses Land gequält, zusätzlich zu ihren Steuerzahlungen, mit denen ja eigentlich all das angeschafft werden sollte, was ganz offensichtlich nicht mit ihnen angeschafft wurde. Shivaun war durchaus nicht die Einzige, die sich fragte, was man mit ihren Steuergeldern – abgesehen von einem flotten Mercedes für den Gesundheitsminister – eigentlich so finanzierte.
Die Eltern waren großartig. Sie hielten dem St. Jude’s unverbrüchlich die Treue, klemmten sich mit ganzer Kraft hinter jedes neue Projekt, um Gelder aufzutreiben, leisteten unermüdlich ehrenamtliche Arbeit und spendeten insgeheim privat, aber ihr Vertrauen in das Krankenhaus würde ernstlich Schaden nehmen, wenn sie von dem verschwundenen Säugling erfuhren. Es musste wie Schlamperei aussehen, und es war nicht einmal auszuschließen, dass die Finnegans die Oberschwester verklagten, obwohl diese sich gegen das neue Sicherheitssystem gewehrt hatte.
Shivaun kochte vor Wut bei dem Gedanken an all die Kämpfe, die der Oberschwester nun bevorstanden, und an all die armen Frauen, die man als Täterinnen verdächtigte. Als ob das Leben für sie nicht schon schwer genug war; dass die Polizei nun auch noch vor ihrer Haustür erschien und so «einfühlsam» und «diplomatisch», wie das Polizistenart war, auf einer Haussuchung bestand, war wirklich das Letzte, was sie gebrauchen konnten. Wenn die Frauen dabei blieben, nichts über Kilos Aufenthaltsort zu wissen, überlegte Shivaun, würde es ja wohl unweigerlich zu einer Haussuchung kommen – was für eine bodenlose Frechheit! Unterdessen hatte man einen psychologischen Betreuer auf Fionnuala Finnegan gehetzt, die natürlich laut losgeweint hatte, als sie erfuhr, dass ihr Baby verschwunden war. Fionnuala war verständlicherweise vor Entsetzen außer sich gewesen, dabei aber keineswegs irrational. Als Shivaun erfuhr, dass Fionnuala dem wohlmeinenden Psychologen erklärt hatte, er solle sich verpissen, hatte sie ihr insgeheim gratuliert. Trotz ihrer Jugend war Shivaun eine altmodische Krankenschwester und wusste, dass jeder Mensch Schmerz und Kummer auf seine eigene Weise und in seinem eigenen Tempo verarbeiten muss. Medikamente konnten Linderung bringen, die Ursache aber nicht beseitigen; früher oder später musste man die Sache selbst angehen. Kilos Vater Martin hatte Fionnuala in die Arme genommen und sie für den viel innigeren Trost, den sie brauchte, in ein abgelegenes Zimmer geführt. Nach Shivauns Überzeugung waren Liebe und Umarmungen weit heilsamer als die klugen Sprüche irgendeines hyperschlauen Psychoklempners, der kalifornisches Seelengewäsch von sich gab. Sie konnte sich noch lebhaft an die oberschlauen Gefühlsprofis erinnern, die sie nach ihrem «Trauma» vor fünf Jahren «therapieren» sollten … Sie hatte ihnen zugehört, aber niemals mit ihnen gesprochen, denn was gab es schon zu sagen?
Alle Psychoberatung dieser Welt konnte nichts an den Tatsachen ändern, und erst als ihr das klar geworden war, hatte sie den ersten unsicheren Schritt Richtung Heilung getan. Nicht dass nun alles wieder gut war oder es jemals werden würde, aber wenigstens konnte sie inzwischen wieder ein halbwegs normales Leben führen, den Albtraum in ihren Alltag integrieren und weitermachen.
Ist doch gar nicht so schlecht, dachte sie. Ich lebe selbständig, bin weder in einer Anstalt, noch stehe ich unter Aufsicht, ich komme zurecht, schlage mich durch, tue mein Bestes.
Plötzlich aber, als sie das Autoradio anstellte, um zu erfahren, ob die Nachrichten etwas Neues über Kilo brachten, merkte sie, dass sie am Rand ihrer Kräfte war. Das war bisher der schlimmste Tag ihrer Laufbahn gewesen; sie hatte seit sechs Uhr morgens nichts mehr gegessen und sich kaum auf das Kind der Hughes konzentrieren können, das mit einem verdrehten Handgelenk zur Welt gekommen war, und ebenso wenig auf das Kleine der Killeens, das, nachdem es seine Ankunft mit einem einzigen, durchdringenden Schrei kundgetan hatte, plötzlich aufhörte zu atmen. Beiden Kindern ging es inzwischen gut, aber – aber wo war Kilo?
Keiner wusste es, meldete der Nachrichtensprecher. Um sieben Uhr morgens sei ein Säugling aus dem St.-Jude’s-Krankenhaus entführt worden, aber die Polizei habe noch keine heiße Spur … die Eltern hätten jegliche psychologische Betreuung abgelehnt … Shivaun freute sich, dass Martin Fionnuala in diesem Punkt unterstützte, dass beide Eltern in Übereinstimmung mit der Oberschwester einen Betreuer ablehnten, dessen Dienste keiner erbeten hatte. Diesen Seelenklempner hatten die Behörden angeschleppt, und jetzt wischten die Finnegans den Behörden eins aus. Gut so.
Ein Therapeut hatte nichts Brauchbares zu bieten, es sei denn, er schaffte eins: nämlich Kilo Finnegan gesund und unversehrt herbeizuzaubern. Shivaun schaltete abrupt das Radio aus, betrachtete den endlosen Verkehrsstau und ließ die Augen zum grau verhangenen Himmel wandern. Mein Gott, sie konnte es kaum erwarten, Ivor zu sehen und mit ihm zu reden! Davor aber erst einmal zu Hause ankommen, bei Alana, die bestimmt schon das Essen fertig hatte und mit ihrem typisch trockenen Humor einen Spruch über das Baby vom Stapel lassen würde, zum Beispiel, dass da ja nur ein Winzling abhanden gekommen sei.
Alana Kennedy war tatsächlich dabei, das Abendessen vorzubereiten; sie stellte gerade Wasser für den Reis auf, der als Beilage zu einem Hähnchen-Masala gedacht war. Selbst in Anbetracht des Freitagabendverkehrs und des Regens, der den Stoßverkehr auf unerklärliche Weise verdoppelte, müsste Shivaun nun bald zu Hause eintreffen. Außer sich vor Aufregung wegen des Finnegan-Kindes, würde sie jammern, sich vor Sorge verzehren und sich weigern, an etwas anderes als ihre Arbeit zu denken, die sie mit Haut und Haaren verschlang. Auch Alana war Krankenschwester, aber für sie war das nur ein Job – ein schlecht bezahlter, noch dazu –, während die Arbeit für Shivaun eine Berufung darstellte. Eine wahre Berufung in dem Sinne, dass die Säuglinge immer und ewig nach ihr riefen und schrien. Jeden Moment würde sie hereinstürzen, an ihrem Haar zupfend, das davon schon Spliss hatte, und ihren haselnussbraunen Augen würde man ansehen, dass ihr die Kinder nicht aus dem Sinn gingen. Alana würde ihr gut zureden müssen, damit sie ein paar Happen zu sich nahm und das Essen nicht völlig kalt werden ließ, während sie ununterbrochen redete und sich über die Misswirtschaft im irischen Gesundheitswesen aufregte. Anschließend würde sie über das schreckliche Wetter jammern, das jeder andere gut nannte – denn in Irland galt das Wetter bereits als «schön», wenn es nicht gerade in dem Moment regnete, in dem man den Satz aussprach. Dann käme noch das Lamento über die Steuern, den Verkehr, die zunehmende Kriminalität und das schnelle und vollständige Abgleiten des Landes in eine geradezu sagenhafte Korruption …
Es war wirklich ein Wunder, dass Shivaun nicht in die Politik ging, wo sie sich alles immer so zu Herzen nahm, genau wie bei ihrer Arbeit, wo sie auch ständig gegen Windmühlen ankämpfte. Vom Wohlstand wurden die Leute nicht anständiger, sagte sie, und sie war überzeugt, dass Irlands neuer Überfluss die Korruption nur nährte und das Land in ein Dorado für protzige und gewalttätige Ganoven verwandelte.
Alana musste einräumen, dass nach den letzten Skandalen die Mafia im Vergleich fast wie ein Wohltätigkeitsverein erschien. Lügen, Raub und Untersuchungskommissionen waren an der Tagesordnung, die Priester waren anscheinend alle sexbesessen, und unter der glänzenden neuen Oberfläche brodelten Drogenhandel, faule Deals und Bestechungen. Die Leute stürzten sich mit kräftiger Unterstützung der Banken in ein uferloses Schuldenmeer, verstiegen sich in Phantastereien … aber das alles konnte man ja nicht auf den eigenen Schultern tragen, und schon gar nicht, wenn man ein so kleines, zierliches Wesen war wie Shivaun Reilly. Sie war unter ihrer makellosen Erscheinung so verletzlich.
Natürlich war es der schreckliche Schock vor fünf Jahren, mit dem alles angefangen hatte. Alana hatte Shivaun erst danach kennen gelernt, doch nachdem sie nun schon über vier Jahre das Haus mit ihr teilte, wusste sie, was mit Shivaun los war. Shivaun hatte ihr Leben und ihre Gefühle wieder im Griff, den Vorfall aber bisher weder vergeben noch verstanden, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. In ihrem tiefsten Inneren schrie und argumentierte sie noch immer, hämmerte mit den Fäusten auf die Wahrheit ein, leugnete den Albtraum und versuchte, ihn von sich wegzuschieben. Wenn sie Ivor heiratete, was sicherlich in näherer Zukunft zu erwarten war, wäre es wohl am besten, mit ihm aus Dublin wegzuziehen, in irgendeine friedliche ländliche Gemeinde. Sie könnte dort eine Stelle in einem Dorfkrankenhaus finden, und Ivor konnte ohnehin überall arbeiten, er brauchte nur seinen Computer und einen Internetanschluss.
Dann bekämen sie sicher bald Kinder, und die würden Shivaun auf Trab halten und ablenken. Alana hegte nicht die geringsten Zweifel daran, dass Shivaun mehrere Kinder haben würde – vier, fünf oder vielleicht sogar sechs. Sie sehnte sich verzweifelt nach einer Familie und würde sich, so gut es ging, dahinter verschanzen. Alana wusste warum. Kinder, Sicherheit, Ivors Liebe und Treue: Shivaun brauchte all das auf eine Weise, die Alana in ihrer Intensität manchmal beunruhigend fand. Wie der Regen ließ dieses Bedürfnis gelegentlich nach, überflutete sie aber immer wieder aufs Neue. Es ging dabei nicht um Romantik oder häusliches Glück, sondern praktisch ums Überleben. Um ihr seelisches Überleben und, wie Alana manchmal mit einem gewissen Unbehagen dachte, vielleicht auch um das körperliche. Es war absolut unumgänglich, dass Shivaun Ivor heiratete, nachdem er nun seinen Abschluss hatte, und dass sie Kinder mit ihm bekam, und zwar bald.
Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, dachte Alana an ihre erste Begegnung mit Shivaun zurück. Das war an einem regnerischen Märztag im Jahre 1994 gewesen. Damals war sie zweiundzwanzig und hatte gerade in Ardkean ihre Ausbildung zur Hebamme abgeschlossen; die erst neunzehnjährige Shivaun war eine Lernschwester, die erstaunlicherweise ein ganzes Haus besaß und nach einer Mitbewohnerin suchte. Alana meldete sich auf ihre Anzeige am schwarzen Brett des Krankenhauses und stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass ihre Vermieterin in spe sogar jünger war als sie selbst, eigentlich noch ein Teenager, und dass sie für ein großes Zimmer und die Nutzung von Garten, Küche und Waschmaschine nur eine lächerlich niedrige Miete verlangte. Vorläufig allerdings nur zur Probe: Shivaun erklärte, sie wolle sichergehen, dass sie miteinander auskamen, und Alana hatte sich, ehrlich gesagt, gefragt, ob es mit ihnen beiden klappen würde.
Shivaun hatte bei dieser ersten Besprechung nervös und gereizt gewirkt, ganz anders als Alana es von ihrem eigenen Zuhause gewöhnt war, das von einer fröhlichen, frotzelnden Horde von Brüdern und Schwestern überquoll. Bei den Kennedys in Waterford ging es so entspannt zu, dass man eigentlich auch gleich liegen bleiben konnte. Es waren immer so viele Leute im Haus, dass keiner je wusste, wo irgendetwas war oder wem was gehörte oder wer die überzählige Person, die mit am Tisch saß, eigentlich sein mochte. Die Kennedys waren ein chaotischer Haufen, ein sehr fröhlicher, gesprächiger chaotischer Haufen: Acht Kinder, zwei Eltern, drei Hunde, ein Esel, und dazwischen lief noch eine Hand voll Hühner herum. Alana war die Älteste und die Erste, die nach Dublin aufbrach, wobei sie sich, dort angekommen, durchaus nicht sicher war, ob sie diese Stadt mochte oder ob ihr Shivauns abartig sauberes, ordentliches Haus gefiel. Es wirkte irgendwie – festungsartig, so kam es Alana zumindest vor, als sie zusammensaßen und sich bei einer Kanne Tee über ihre jeweiligen Vorstellungen von einer Wohngemeinschaft unterhielten. Richtige Tassen mit Untertassen.
«Was ist mit dem dritten Zimmer?», hatte Alana gefragt, vielleicht weil sie gar nicht genug Leute um sich haben konnte. «Hast du vor, das auch zu vermieten?»
«Nein», hatte Shivaun ohne Zögern geantwortet, «mein Freund bleibt manchmal übers Wochenende, und er braucht ein eigenes Zimmer zum Lernen. Er macht eine Ausbildung zum Steuerberater.»
Alana war eher angenehm überrascht von der Mitteilung, dass Shivaun einen Freund hatte. Vielleicht war er ein netter Kerl, brachte Shivaun gelegentlich zum Lächeln und ließ ihre leicht kämpferisch-kantig anmutenden Gesichtszüge etwas weicher werden. Nicht dass Shivaun niemals lächelte – sie lächelte einige Male während dieses ersten Gesprächs –, nur vermittelte sie Alana irgendwie das Gefühl, die Jüngere zu sein, obgleich sie doch immerhin drei Jahre älter war. Auf eine merkwürdige Art wirkte Shivaun für neunzehn Jahre schrecklich erwachsen.
Alana fragte sich, warum Shivauns Freund eigentlich nicht bei ihr wohnte, denn selbst im katholischen Dublin waren «wilde Ehen» schon längst nichts Ungewöhnliches mehr. Doch als hätte Shivaun ihre Gedanken gelesen, merkte sie von sich aus an, dass die Mutter ihres Freundes Witwe sei, weshalb er sich verpflichtet fühle, sich um sie zu kümmern. Alana hatte daraus geschlossen, dass sie die Art von Mutter war, die man nicht sich selbst überlassen konnte. Nun lebte also stattdessen Shivaun allein und bot Alana in diesem picobello Haus ein Zimmer zum absoluten Spottpreis von nur fünfzig Pfund pro Woche an. Damals hatte Shivaun sich aufmerksam vorgebeugt und Alana allen Ernstes nach ihren «besten und schlechtesten» Eigenschaften gefragt.
Alana, die dringend eine Wohnung suchte, nahm es als Übung in Schadensbegrenzung.
«Na ja», antwortete sie, «ich bin ein bisschen unordentlich, aber andererseits kann ich gut kochen und habe Humor … vielleicht haben wir ja jede Menge Spaß zusammen?»
Shivaun, fand Alana, sah so aus, als könnte sie ein bisschen Spaß gut vertragen, Rumalbern und sich um Mitternacht bei Pizza und billigem Wein einen abkichern. Auch wenn eine Hebamme ihren Job von seiner schönen Seite sah, konnte die Arbeit doch bedrückend und anstrengend sein und brachte besondere Verantwortung mit sich. War Shivaun vielleicht irgendein gravierender Fehler unterlaufen, vielleicht eine tragische Verwechslung von Medikamenten oder falsche Dosierung? Aber dann würde sie jetzt nicht mehr am St. Jude’s arbeiten, und ihre Karriere wäre zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte.
«Ja», nickte Shivaun nachdenklich, «schon möglich. Ich muss dir allerdings sagen, dass ich nicht der Disco-Typ bin und nicht möchte, dass du um Mitternacht laute Musik spielst oder wilde Partys schmeißt, aber wenn du meinst, dass du damit klarkommst, dann zieh doch, sagen wir, für einen Monat ein, und dann schauen wir mal, wie es läuft.»
Also war Alana eingezogen, und die Reibungen ließen nicht lange auf sich warten, weil überall im Bad ihre feuchten Handtücher rumlagen, weil die Spüle mit ihrem ungewaschenen Geschirr voll stand oder weil sie Shivauns Haarbürste benutzte, wenn sie ihre eigene nicht finden konnte. Als sie am Monatsende die Miete auf den Tisch legte, rechnete sie ganz klar mit einem Rauswurf. Doch Shivaun zeigte einfach nur aus dem Küchenfenster.
«Wann mähst du den Rasen? Du bist dran, und wir hatten uns geeinigt, abwechselnd zu mähen, Alana.»
Überrascht und leicht zerknirscht, beschloss Alana, sich Mühe zu geben. Shivaun war ein bisschen heikel, aber sie war ehrlich und fair, und sie besaß eine gewisse Zähigkeit, die etwas Einnehmendes hatte. Doch es verging ein ganzer weiterer Monat, bevor Alana zu fragen wagte, wie es kam, dass sie ganz allein wohnte und ihr noch dazu das Haus gehörte.
«Meine Eltern sind gestorben», antwortete Shivaun nüchtern, «und ich habe das Haus geerbt.»
«Oh. Oje. Das ist ja echt hart. Dafür bist du aber noch furchtbar jung.»
«Ich bin», erwiderte Shivaun knapp, «seit meiner Geburt verwaist.»
Alana keuchte laut auf und meinte, dieses Keuchen selbst heute noch in der Erinnerung zu hören.
«Was? D-du willst sagen, du warst noch ein Baby, als deine Eltern starben?»
«Nein. Die Eltern, die gestorben sind, waren meine Adoptiveltern. Meine leiblichen Eltern setzten mich an einer Kirchentür aus, als ich gerade mal ein paar Stunden alt war.»
Alana starrte sie sprachlos an. Shivaun berichtete weiter im selben ausdruckslosen Tonfall, als läse sie einen Busfahrplan vor: «Ich weiß nicht, ob meine Mutter mich dort zurückließ oder mein Vater oder beide, ich weiß nicht, ob sie sich von der Geburt erholte oder nicht oder wie es weiterging … aber jetzt weißt du Bescheid, okay?»
Ihr Blick war so herausfordernd, dass Alana zurückzuckte. Aber okay war es mit Sicherheit nicht. Alana war geschockt und hätte nur zu gerne gewusst, wie Shivaun dann auch noch ihre Ersatzeltern verloren hatte. Aber sie wagte nicht, danach zu fragen, und erkundigte sich nur nach dem Zeitpunkt ihres Todes.
«Das war vor acht Monaten. Ich möchte eigentlich nicht darüber reden.»
Alana nickte stumm, und sie ließen das Thema fallen. Doch von da an veränderte sich ihre Beziehung, und sie waren einander mehr als nur Vermieterin und Mieterin. Alana empfand plötzlich das Bedürfnis, Shivaun zu beschützen, und außerdem wuchs ihre Achtung: Nach einem solchen nur wenige Monate zurückliegenden Verlust wären die meisten Menschen am Boden zerstört und ständig von Heulkrämpfen heimgesucht. Es war ja ein doppelter Verlust – was mochte da passiert sein? Ein Autounfall, ein Flugzeugabsturz? Irgendetwas noch Schrecklicheres, an das man lieber gar nicht denken mochte? Nach Shivauns Miene und Tonfall zu schließen, musste es etwas ziemlich Schlimmes sein – und doch wirkte sie so gefasst. Nie drängte sie Alana ihren Kummer auf oder jammerte über ihr Unglück, und während sich ganz langsam eine Freundschaft entwickelte, wuchs Alanas Bewunderung für Shivauns Charakter. Anfangs waren sie alles andere als Vertraute, aber sie lernten, zunächst noch recht unbeholfen, sich einander mitzuteilen.
Manchmal fragte sich Alana, was Shivaun an ihr finden mochte. Sie wusste, dass sie schlampig war, dass sie sowohl Küche als auch Badezimmer vernachlässigte; sie war zu dick, war mit ihren Gedanken ständig woanders und musste zu dieser verdammten, langweiligen Hausarbeit geradezu geschoben werden. Aber als sie einmal brüllend vor Lachen vor irgend so einer TV-Komödie saß, hatte sie mit einem Mal gespürt, dass jemand hinter ihr stand, und als sie sich umdrehte, war es Shivaun, die sie anlächelte.
Alana sah in Shivaun Reilly jemanden, nach dessen Vorbild man sich richten konnte. Sie hatte etwas beinahe Strenges an sich. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und war dabei so aufrichtig und freimütig, dass man sie einfach dafür bewundern musste, und wie sich herausstellte, besaß sie sogar Humor. Außerdem war sie verdammt attraktiv und sah sogar in ihrer Schwesterntracht gut aus; wenn sie sich aber für eine Verabredung mit Ivor hübsch machte, strahlte sie nur so vor Schönheit. Dennoch gab sie niemals mit ihrem fabelhaften Ivor an und hielt sich auch mit Ratschlägen zu Alanas Liebesleben zurück, was diese zu schätzen wusste, beschämt wie sie war, noch immer keinen Freund zu haben. Alana war überwältigt, als sie Ivor kennen lernte: Er war toll gebaut und sah einfach zum Anbeißen aus. Hilflos wie ein zappelnder Fisch am Haken ließ sie sich vollkommen von seinem Charme und seiner Freundlichkeit einnehmen. Von Anfang an war Ivor immer nett zu ihr und kam oft mit einem Strauß Blumen, den er auf galante Art beiden Frauen gemeinsam schenkte, während er gleichzeitig Shivaun umarmte und sie mit Komplimenten für ihr Aussehen überhäufte.
Paradoxerweise war es jedoch ausgerechnet Shivauns Neid erregend makelloses Aussehen, das ihre Freundschaft endgültig besiegelte. Als die Miete für den dritten Monat anstand, war Alana gezwungen, ein peinliches Geständnis abzulegen.
«Shivaun … tut mir wirklich Leid, ich bin diesen Monat ein bisschen knapp dran, mein Scheck würde vielleicht platzen … könntest du mir wohl ein paar Tage Gnadenfrist einräumen?»
Sie hatte sich vor diesem Gespräch gefürchtet, fühlte sich wie ein Kind, das dem Lehrer gestehen muss, dass es die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Als Shivaun lächelte, wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen.
«Lass mich raten. Es ist wegen der Kosten für das Fitnessstudio, stimmt’s?»
Ja. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Alana, die inzwischen um jeden Preis abnehmen wollte, hatte einen Vertrag mit einem so sündhaft teuren Fitnessstudio abgeschlossen, dass sie sich dort nun auch wirklich abmühen musste, um diese Ausgabe zu rechtfertigen.
«Ja. Ich habe so ein schlechtes Gewissen – aber, ach Shivaun, du wiegst ja kaum fünfzig Kilo, du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist …»
«Reizende Grübchen zu haben und rosige Haut und babyblaue Augen? Ich nehme an, es fühlt sich so gut an, wie es aussieht.»
Alana war überrascht, nicht nur von dem unerwarteten Kompliment, sondern auch weil ihr plötzlich Tränen in die Augen schossen. Seit ihrem fünften Lebensjahr hatte niemand jemals etwas Schmeichelhaftes über ihr Aussehen gesagt.
«Na ja, ich … ich hätte viel lieber schlanke, lange Beine und herrliches kastanienbraunes Haar wie deines. Ich habe Rottöne schon immer toll gefunden …»
Shivauns Haar war tatsächlich eher schwarzbraun und schimmerte nur rötlich, wenn die Sonne darauf schien; außerdem fummelte sie ständig an ihren Haarspitzen herum. Aber es war gewiss glänzender als Alanas strohige Mähne, die ursprünglich rötlich blond gewesen war und seitdem alle nur denkbaren Schattierungen durchlaufen hatte. Ihr Friseur verlockte sie mit immer neuen Versprechungen von Schönheit und Pracht ständig zu neuen Experimenten.
Shivaun bedachte Alana mit einem aufrichtigen Blick aus ihren haselnussbraunen Augen, die manches verbargen, aber niemals logen. «Alana, ich weiß, dass du ein bisschen empfindlich bist, was dein Äußeres angeht, aber darf ich dir mal ganz offen etwas sagen?»
«Was denn?», fragte Alana verzagt.
«Du bist hinreißend. Nicht, weil du massenhaft Geld für Kosmetika und Frisuren und Fitness und Klamotten ausgibst, sondern weil du so oft lächelst. Du lachst und du bringst mich zum Lachen, und dafür hab ich dich von Herzen gern.»
Alana starrte sie ungläubig an. Sie wusste, dass ihre Familie sie gern hatte, aber keiner machte sich je die Mühe, es auszusprechen, und kein Außenstehender hatte ihr jemals etwas dergleichen gesagt. Jetzt wusste sie kaum, was sie mit dem Kompliment anfangen sollte.
«Ach, komm schon! Ich versuche einfach … versuche einfach nur, das Leben nicht so ernst zu nehmen, das ist alles.»
«Ja. Stell dir mal vor, alle wären so wie ich und immer auf dem Kriegspfad! Du bist so locker und gelassen und außerdem kein bisschen neugierig. Als du hier eingezogen bist, hatte ich Bedenken, du könntest die Nase in meine Angelegenheiten stecken, aber das hast du nie gemacht.»
«Nein … na ja, ich komme aus einer großen Familie, da weiß ich, wie wertvoll einem ein bisschen Privatsphäre sein kann. Und ich weiß, dass du eine schwere Zeit hinter dir hast. Zwei Elternpaare zu verlieren, das ist wirklich ziemlich … ziemlich nachlässig von dir, Shivaun!»
Zynismus war ihre Art, den Dingen ihre Schärfe zu nehmen, doch als sie die Worte aussprach, krümmte sie sich innerlich. Guter Gott, sie war zu weit gegangen; Shivaun würde sie umbringen.
Doch Shivauns Antwort kam mit einem schiefen Lächeln. «Ja. Ich werd versuchen, in Zukunft besser aufzupassen.»
Puh. Alana erwiderte ihr Lächeln erleichtert, und plötzlich waren sie Freundinnen. Seitdem hatten sie das Haus in friedlichem Miteinander geteilt, und auch all ihre Geheimnisse hatten sie miteinander geteilt, langsam und allmählich, aber vollständig. Alle Geheimnisse, bis auf eines.
Shivaun hielt in der Einfahrt und zog den Zündschlüssel ab, blieb aber noch eine Weile sitzen und atmete tief und konzentriert durch. Gott sei Dank hatte Alana heute dienstfrei gehabt, sodass man ihr nicht wie der unglückseligen Orla die Schuld in die Schuhe schieben konnte! Sie hatte Alana angerufen und ihr von Kilos Entführung berichtet, aber schließlich war heute Alanas kostbarer freier Tag, und da wollte sie nicht schon beim Hereinkommen Weltuntergangsstimmung verbreiten.
Trotzdem, es war ein Skandal! Wenn nur dieser hirnlose Minister auf die Oberschwester gehört hätte, dann wäre keine Sicherheitslücke entstanden und das Baby wäre noch da. Heftig auf der Unterlippe kauend sprang sie aus dem Wagen und klaubte den Müll auf, der im Vorgarten herumlag, den ganzen Abfall, den die Kinder auf dem Heimweg von der Schule jeden Tag über die Mauer warfen. Am liebsten hätte sie jedes Einzelne der kleinen Bälger gepackt und ihm seine verkrumpelte Cola-Dose eigenhändig in den Ranzen gestopft.
Ihre Bemühungen, den Garten so gepflegt zu erhalten wie zu Lebzeiten Jimmys, waren ein aussichtsloser Kampf. Aber sie gab trotzdem nicht auf, weil dieses Haus ihr Zuhause war, ihr Zufluchtsort. Architektonisch gesehen war es, genau wie die anderen Allerweltshäuser der Vorstadt, ein phantasieloser Klotz, aber hierher war sie zu Mum gerannt, wenn sie vom Fahrrad gefallen war oder von Devitts Apfelbaum, und sie konnte noch immer die sonnenwarmen Verandakacheln unter den Fußsohlen spüren, wie damals, als sie sich an Sommerabenden auf Dad gestürzt hatte, wenn er von der Arbeit heimkam, und in seine ausgebreiteten Arme gesprungen war. Es war ein geborgenes, glückliches Zuhause gewesen, das nach gewaschenen Baumwollsachen, Holzpolitur, Mums Parfüm von Tweed und Dads gelegentlich gerauchter Pfeife roch. Später, nach … danach war Alana gekommen, Alana, das Experiment, zu dem ihr alle dringend geraten hatten. Sie könne nicht allein in diesem Haus leben, nicht nach allem, was vorgefallen war. Sie brauche dringend Gesellschaft.
Also war Alana ins Haus eingefallen und um ein Haar sofort wieder rausgeworfen worden, aber eben nur um ein Haar. Zunächst war es Shivaun ein Gräuel gewesen, das Haus mit ihr teilen zu müssen, und sie hatte dieser ihr vollkommen Fremden ihre bloße Anwesenheit verübelt. Doch allmählich war Alanas weiche, warme, tröstliche Persönlichkeit ein Fixpunkt in ihrem Leben geworden. Natürlich hatte Alana sich seit damals verändert, einen großen Teil ihrer überflüssigen Pfunde verloren und sich auch sonst in vieler Hinsicht weiterentwickelt, aber sie war noch immer jederzeit bereit, ihr mit einer Kanne Tee und einem Lächeln zur Seite zu stehen. Außerdem waren sie Kolleginnen und Verbündete in ihrem Kampf um das St. Jude’s, einer für die Gesellschaft weit wichtigeren Einrichtung als jedes technisch noch so hoch gerüstete Klinikmonstrum. Vielleicht mussten die Eltern der Gemeinde Thailand durchwandern, damit das Haus erhalten blieb, aber allein die Tatsache, dass sie dazu bereit waren, sprach Bände. Das Damoklesschwert, das über dem Krankenhaus schwebte, bot Shivaun und Alana mehr als genug Gesprächsstoff.
Shivaun winkte Fintan Daly im Nachbarhaus zu, legte ein Lächeln auf und drehte den Haustürschlüssel im Schloss.
«Hi, Ally! Ich bin da!»
Es roch gut. Im Flur warf Shivaun ihre Tasche auf den Boden, nahm ihre Post und ging dann in die Küche, wo Shivaun in einem Topf rührte, aus dem Dampf und Duft aufstiegen.
«Indisch? Lecker!»
Sie lächelten sich an, und Alana nahm ein Glas vom Tisch und streckte es ihr entgegen.
«Hier. Eine Dosis Gin Tonic. Ärztliche Anweisung.»
Shivaun hatte das Gefühl, zwanzig Gin Tonics brauchen zu können. Aber sie war hinterher mit Ivor verabredet und wollte im Omniplex nicht mitten in Titanic einschlafen. Als sie das Glas hob, war ihr Alanas unausgesprochene Frage bewusst.
«Sláinte. Auf dass Kilo rasch und wohlbehalten in unsere Arme zurückkehrt.»
Alana, die neben ihr am Herd stand, musterte Shivaun eindringlich.
«Alles in Ordnung mit dir?»
Nein. Es war überhaupt nichts in Ordnung. Aber – «Ja, bestens. Nachdem er so weit gekommen ist, packt er das sicher auch noch, macht’s dann wie Aschenputtel und ist um Mitternacht daheim.»
Alana grinste. «E.T. nach Hause telefonieren!»
Shivaun nahm einen Schluck von ihrem Drink. Am liebsten hätte sie das ganze Glas auf einmal hinuntergestürzt.
«Hat Ivor angerufen?»
«Ja. Du hast ihn um paar Minuten verpasst. Er sagte, er holt dich um neun Uhr ab, aber wenn dir nicht nach Kino zumute ist, ist es auch okay, er bringt auf jeden Fall ein Video mit, falls du lieber zu Hause bleiben möchtest.»
Das wäre Shivaun tatsächlich lieber, und sie war Ivor dankbar für seinen siebten Sinn. Er schaffte es immer, ihre Gedanken und Stimmungen zu lesen. Sie würden das Video zu dritt anschauen, und wenn Alana dann irgendwann ging, konnte Shivaun einfach mit Ivor reden und erfahren, was er von der ganzen Sache hielt. Er war entsetzt gewesen, als er von Kilos Verschwinden erfuhr.
«Hab ich noch Zeit zum Duschen und Umziehen, bevor Madame Bocuse ihr Meisterwerk serviert?»
«Wenn du dich beeilst.»
Sie stand auf und stellte ihr Glas ab, als ihr ein ganz anderer Gedanke kam, einer, der hoffentlich nichts mit Kilo zu tun hatte.
«Gibt es schon irgendwas Neues von diesem Mädchen aus Kildare?»
Alana stöhnte insgeheim auf. In Kildare wurde eine junge Frau vermisst, die nächste Verschwundene einer ganzen Serie in Irland verschollener Frauen. So ging das schon seit Jahren, und es waren auch einige Leichen gefunden worden, aber niemand wusste, ob es sich um einen Serientäter handelte oder um lauter Einzelfälle oder um was auch immer. Shivaun behielt das Ganze besorgt im Auge, aufmerksam wie ein Terrier.
«Nein. Nichts. Aber weißt du, Shivaun, ich glaube wirklich, dass du im Moment schon genug Sorgen für den einen Abend hast. Jetzt geh doch erst mal unter die Dusche, und dann essen wir was, okay?»
«Okay. Ich bin in fünf Minuten wieder da.»
Erst als Shivaun einen Blick in den Badezimmerspiegel warf, bemerkte sie, dass ihre Maskara verschmiert war und sie aussah wie ein Pandabär. Sie wischte sich die Augen sauber, zog sich aus, stieg unter den wunderbar heißen, kraftvollen Duschstrahl und griff nach ihrem Lieblingsduschgel. Ach, himmlisch! Umstrudelt von Wasser und duftendem Schaum, fühlte sie sich schlagartig besser, was hieß, dass sie dann sicher auch besser aussah, wenn Ivor gleich kam. Ivor, ihr Liebster, ihr Fels in der Brandung, das Einzige, was ihr von ihrem früheren Leben geblieben war.
Ivor Lawlor und Shivaun Reilly hatten von Anfang an gewusst, dass sie heiraten würden. Darauf hatten sie sich gleich bei ihrer ersten Begegnung geeinigt, deren Anlass der Streit um einen KitKat-Riegel gewesen war, doch sie hatten beschlossen, ihre Verlobung nicht sofort öffentlich zu machen. Damals war sie gerade vier und er fast schon fünf.
«Der gehört mir», hatte sie energisch klargestellt. Er hatte eine empörte Schnute gezogen.
«Gar nich wahr.»
«Wohl wahr.»
Er hatte sie gehauen. Sie hatte zurückgehauen. Dann hatten sie einander noch fester gehauen. Das KitKat war außer Reichweite geflogen und, nachdem Shorty Maxwell es geschnappt hatte, nie wieder gesehen worden. Als die Erzieherin ankam, hatte sie so etwas wie einen im Staub kreiselnden Derwisch vorgefunden, der in alle Richtungen Kies und Blut verspritzte. Die Erzieherin hatte das Etwas hochgezerrt und in seine zwei Bestandteile zerlegt, die noch immer kreischend aufeinander eintraten.
«Hört sofort damit auf! Ihr seid zwei sehr unartige, freche kleine … Ivor, Schluss jetzt, habe ich gesagt!»
Ivor verpasst Shivaun einen letzten, triumphierenden Hieb und sah dann anklagend zur Erzieherin auf.
«Sie hat mir mein KitKat geklaut.»
«Und wer ist sie? Hat sie etwa keinen Namen?»
Es war für beide der erste Tag im Kindergarten, und sie hatten sich noch nicht kennen gelernt. Ivor zuckte die Schultern.
«Weiß nicht.»
«Also, sie hat einen Namen, und zwar Shivaun Reilly, und sie ist ein sehr liebes kleines Mädchen. Ich hätte nie gedacht, dass du ein Mädchen haust, Ivor!»
«Aber sie hat mein KitKat …»
«Entschuldige dich. Auf der Stelle.»
Ivor überlegte. Sie hatte wirklich seinen Schokoriegel geklaut. Andererseits … er war größer als sie, und sein Vater hatte ihn ermahnt, niemanden zu hauen, der kleiner war als er selbst. Vielleicht gab es ja Arger, wenn … ach, na gut.
«’tschuldigung», nuschelte er.
«Das ist schon besser. Jetzt geht euch beide waschen, da ist ein Taschentuch, das könnt ihr unters Wasser halten – ach, du liebe Güte, du hast da ja einen richtigen Schnitt, ich weiß nicht, wie ich …»
Die Erzieherin war, leise vor sich hin murmelnd, abgezogen, und die Kinder waren zum Wasserhahn im Schulhof getrottet, wo Ivor, als er das Taschentuch feucht machte, sah, dass Shivaun wirklich einen ziemlichen Kratzer am Arm hatte, der zu seiner Befriedigung, aber auch Beunruhigung, deutlich sichtbar blutete. Was, wenn sie ihrer Mum – oder schlimmer noch, ihrem Dad? – petzte, dass er das gewesen war?
Am besten suchte er irgendwas, um den Schaden wieder gutzumachen. Nachdenklich betrachtete er das kleine Mädchen mit den rostbraunen Löckchen.
«Wenn wir erwachsen sind, heirate ich dich.»
Sie wollte widersprechen, doch er nahm ganz sanft ihren Arm und hielt ihn unter das kühl aus dem Hahn strömende Wasser.
Das tat gut, und erst jetzt sah sie ihn richtig an. Er war ein ziemlich großer Junge, aber über dem Auge hatte er eine Schramme. Er hatte auch was von ihr abgekriegt, sie hatte ihre Spuren hinterlassen. Sie kicherte.
«Einverstanden.»
«Aber der Kindergartentante erzählen wir noch nichts davon. Und sonst auch keinem.»
«Nein. Das ist unser Geheimnis!»
«Genau.»
Als das Wasser ihre Schuhe nass spritzte, lachten sie beide und schubsten sich freundschaftlich an. Eine geheime Verlobung. Na ja, das war nun mal nichts, was man so einfach den anderen Kindergartenkindern erzählte.
Von diesem Tag an hatte Ivor seine Verlobte unter seine Fittiche genommen und mit Beschlag belegt. In der Schule hatten sie nebeneinander gesessen, bis sie zur beiderseitigen Empörung in eine Mädchen- und eine Jungenklasse kamen und getrennt wurden. Doch Liebe kennt, wie man weiß, keine Grenzen, und so trafen sie sich in der Pause immer auf dem Schulhof und tauschten ihre Schulbrote, Plastikpferdchen und Aufkleber. Alle anderen blieben bei ihnen außen vor, und als Shorty Maxwell einmal einen Turnschuh nach Shivaun Reilly warf, bezog er von Ivor Lawlor richtig Prügel. Ivor bekam deswegen großen Ärger und durfte nicht mit zum Schulpicknick in Glendalough, aber das war ihm egal. Shivaun Reilly war seine Freundin, und keiner sollte es wagen, ihr blöd zu kommen.
«Wir werden Kinder haben», teilte sie ihm mit, als sie zehn waren.
«Warum?», fragte er durchaus vernünftig.
«Weil … weil wir keine Geschwister haben. Zum Ersatz kriegen wir dann Kinder, wenn wir groß sind.»
Sie wusste, dass er ja sagen würde. Er sorgte immer dafür, dass sie bekam, was sie wollte, weil er ihr bester Freund war, für immer und ewig, bis dass der Tod euch scheidet, amen.
«Na gut. Kinder.»
Sie strahlte ihn an, und der Vertrag wurde mit einem Kuss besiegelt. Ivor, Shivaun und ganze Arme voll Babys. So harmonisch setzte sich ihre Kindheit fort, damals, als Kinder noch keine Designerklamotten kannten und kein Mädchen mit zwölf schwanger wurde und Kinder lange Kinder blieben. Keiner von den beiden hatte auch nur die geringste Ahnung, wo die Babys eigentlich herkamen. Aber mit zehn, elf oder zwölf Jahren waren sie viel zu beschäftigt, um sich darüber Gedanken zu machen. Sie waren den ganzen Tag mit den Fahrrädern unterwegs, beim Schulsport und im Sommer beim Schwimmen am Red Rock, sie zerlegten Insekten und zelteten hinten im Garten. Shivauns Dad Jimmy baute ihnen ein Baumhaus, und das war ihr gemeinsames Versteck; da kletterten sie hinauf und verbrachten manchmal den ganzen Tag mit vertraulichen Gesprächen über alles Mögliche, was sie niemals einem anderen erzählten. Das interessiert sowieso keinen, erklärten sie herablassend, wenn jemand sie fragte, und es durfte auch keiner ins Baumhaus hinaufkommen. Oben angekommen, zogen sie die Strickleiter hoch und ließen den Rest der Welt hinter sich. Mit der Zeit ersetzten sie immer mehr von ihren Spielsachen durch Bücher, Atlanten, Karten und Ivors Kompass. Sie sahen sich begeistert Bilder aus fernen Ländern an und suchten kichernd nach Städten mit komischem Namen: Allahabad, Cyangugu, Ryukyu oder Swerdlowsk. Gemeinsam ließen sie ihre Gedanken zu den weißen Flecken auf der Landkarte schweifen.
Ivor sagte, wenn er erwachsen sei, werde er all diese Orte bereisen und Shivaun mitnehmen; sie würden sich Rucksäcke besorgen, sich auf und davon machen und als Nomaden leben. Sie würden sich die Gesichter blau färben und eine Zeit lang mit einer Gruppe Tuareg wandern, anschließend vielleicht eine Wildwasserfahrt durch die Rocky Mountains unternehmen und mit einem Hundeschlitten in die Antarktis fahren … Na ja, für die Schlitten und Rafts und so würden sie wohl Geld brauchen, aber darum solle Shivaun sich keine Sorgen machen, denn das werde er schon irgendwie besorgen, ganz bestimmt. Er werde sich um alles kümmern, sagte er, und sie lachte, und ohne es auch nur im Mindesten zu bemerken, verliebte sie sich in ihn.
Es war, als hätten sie den ganzen Tag lang nur Spaß, sie tummelten sich unter der Sonne auf dem duftenden Rasen und hatten nur hin und wieder ein aufgeschlagenes Knie zu beklagen. Immer gab es etwas Neues zu entdecken, kaum waren sie mit irgendetwas fertig, kam das Nächste dran, sie erforschten ihre Umwelt, sie wurden größer und waren allerbeste Freunde. Und dann kam es ganz unerwartet zu einem Bruch.
Sie fand, dass er komisch wurde, und er fand, dass sie komisch wurde. Sie sagte, das Baumhaus sei was für Kinder, und verbrachte ihre Zeit mit anderen Mädchen, statt mit ihm zusammen da hochzuklettern. Sie hörte Musik und las Zeitschriften, die er «doof» nannte, während er noch «doofere» Fußballerposter sammelte und mit einer Stimme redete, die zwischen quietschig-fistelig und brummelig-schroff schwankte, sodass sie noch nicht einmal mehr mit Gewissheit feststellen konnte, in was für einer Stimmung er gerade war. Und doch hielt er dagegen, sie sei launisch geworden; er behauptete, ihre Stimmung sause rauf und runter wie ein Jo-Jo, und dann nahm er tatsächlich und unglaublicherweise ihre Andeutungen nicht zur Kenntnis, dass sie mit ihm zu einer dieser Tanzveranstaltungen in seinem neuen Tennisclub gehen wollte. Es war nur eine Tanzveranstaltung für Jugendliche, aber er wollte sich partout nicht dafür interessieren.
Es war das erste Mal, dass er ihr irgendetwas abgeschlagen hatte, und sie war am Boden zerstört. Sie entschied, sich einen anderen Freund zu suchen, und wies ihre Mutter Viv in bebendem, aber entschlossenem Tonfall einer jungen Ophelia an, Ivor Lawlor, wenn er das nächste Mal an der Tür läute, mitzuteilen, dass sie nicht zu Hause sei. Dann musste sie aber den Schlag hinnehmen, dass er beinahe eine Woche lang nicht an der Tür läutete, worauf sie beschloss, das Pferd von hinten aufzuzäumen und sich vor der Hochzeit erst einmal scheiden zu lassen. Als Viv darüber lachte, bekam Shivaun ihren ersten pubertären Wutanfall, einen von der übleren Sorte, der mit zitternden Lippen begann und mit einer zugeschlagenen Tür endete, hinter der sie schluchzend brüllte, dass keiner, gar keiner sie verstehe.