eine fantastische Geschichte
für Luna
Monachamaer kauerte sich in den Schatten des mächtigen Felsens, der sich drohend, wie die versteinerte Kralle Gradubals, des Drachengottes, aus dem Nichts heraus zu erschreckender Größe erhob. Das Nichts, in dem Monachamaer Zuflucht suchte, waren die Sümpfe und Moore am Rande des Heiligen Hains, hinter dem sich weitläufige Wälder bis an die Ufer des großen Stromes erstreckten. Für die meisten Dorfbewohner stellten die tückischen, selbst an lieblichen Sommertagen bedrohlich wirkenden Sümpfe und Moore, ein unüberwindbares Hindernis dar, das zu bezwingen nur das eigene Leben zum Preis hatte. Schon viele tapfere Krieger wagten den Gang durch Gluddacht, aber niemals hörten sie die Berichte der Verlorenen, denn Fraeyoun, die Herrin von Gluddacht, zog sie tief hinab in ihr Reich, still und lautlos, um sie zu willenlosen Helfern ihres unersättlichen Bluthungers zu machen. Hart presste Monachamaer seinen bebenden Körper an die rundliche, beinahe glatte Haut des schweigenden Riesen. Seine Sinne waren gespannt wie die Sehne seines Bogens. Dicht hinter ihm verharrten seine treuesten Gefährten, sein Weib und seine Kinder. Er hatte es gewagt, sein Leben eingeworfen in das Orakel des alten Thmyrrnus - und - gewonnen. Dennoch wollte der verschlagene Zauberer das Rätsel um die Querung von Gluddacht nicht preisgeben. Monachamaer überkam Zorn, und er fühlte das glühende Heft Gwyndimms in seiner Faust. Ein Streich nur, und das Haupt des Alten rollte in den staubigen Grund von Liá Fal. Er beschwor die Götter der Anderswelt, bat um Schutz und Weisung für sich und seine Liebsten, die durch bösen Zauber, durch Verrat und Trug aus Tanhaman vertrieben wurden. Monachamaer erbat von Math, dem Meister der Zauberer, das Zeichen des Pfades. Und Math erschien seinem ergebenen Freund in traumloser Nacht - und wies ihm den Weg durch Gluddacht. Alles gab Monachamaer in die Lenkende Hand Maths - das Leben seiner Familie und seiner besten Freunde. Im Rat der Ältesten befand sich Monachamaer auf verlorenem Posten. Zu oft schon erhob er seine Stimme gegen Gwydion, aus dem vierten Zweig des Mabinogion, Sohn des Mathonwy und Schüler seines Meisters Math. Obwohl Math, der erste unter allen Wissenden um die Zauber von Gluddacht, die verwerfliche Gesinnung seines ehemaligen Schülers Gwydion kannte, vermochte er doch nichts gegen die Häme und Hetze des “Bluttrinkers” zu unternehmen. Gwydion wusste die Interessen des Rates hinter sich und suchte seinen Vorteil im Tod seiner Gegner. Behäbig entstiegen dicke Nebelschwaden dem unergründlichen Leib Gluddachts, der schon unzählige der Besten für immer verschlang. Wie die Wasser des großen Stromes, die mit der Schneeschmelze unaufhörlich stiegen und weite Teile von Liá Fal bedeckten, so begruben die Nebel der großen Erdmutter das Antlitz von Gluddacht, ließen die Stimmen und Rufe verstummen, legten eine unergründliche, ewig schweigsame Stille über Sümpfe und Moore, aus deren Mitte sich der Felsen Gradubals wie ein unüberwindbares Bollwerk erhob.
“Sind wir hier sicher?” flüsterte Shermood, Sieger über zwei Ure und einen Bären zu Monachamaer.
“Pssscchht - “ hob Monachamaer die Hand und lauschte angestrengt in die Finsternis. Schwerfällig und behäbig verfärbte sich im Osten das graue Dunkel des Himmels.
Lunisis, die bleiche Mondgöttin, legte der nachtdunklen Welt ihr silberhelles Gewand an. Von Ferne trugen die Winde auf den Flügeln der Lüfte die Rufe der Wildgänse heran, und aus dem morastig-trägen Leib Gluddachts entstiegen blubbernd die Gase der Verwesung.
“Hört ihr - das ist der Atem Gradubals, des großen Drachens. Es wird Zeit, wir müssen weiter, wenn wir den Drachengott nicht erzürnen wollen.”
“Weiter - aber wohin” klagten die Frauen der Krieger.
“Auf uns wartet doch nur der Tod - wir finden niemals hinaus aus Gluddacht” weinte Gimerne, die Gattin Monachamaers.
“Doch - habt nur Mut - und Vertrauen. Vertraut mir - ich weiß den Weg” flüsterte Monachamaer zu seinem Weib.
“Und jetzt folgt mir - und denkt daran. Jeder stellt seinen Fuß genau in den Schritt des Vorgängers. Habt nur Vertrauen.”
Still, beinahe lautlos setzte sich die kleine Schar in Bewegung. Die Kinder schliefen traumlos und tief auf den Rücken ihrer Mütter, und Monachamaers Gefährten lauerten mit gespannten Sinnen wie Wölfe in die fahlhelle Nacht hinaus. Wie Silber floss das Licht des Mondes vom sternenübersäten Himmel herab; seine lautlosen Wellen umspülten die Ufer des großen Stromes, den Heiligen Hain, die Sümpfe und Moore von Gluddacht, den mächtigen Felsen Gradubals und das Dorf Tanmahan, ihre verlorene Heimat. Gurgelnd und schmatzend schloss sich hinter jedem Schritt der gierige Mund Gluddachts, doch der Schritt der Getreuen um Monachamaer war sicher und ruhig. Leicht verklang das Geräusch ihrer nächtlichen Wanderung, und mit einem mal umhüllte sie eine finstere, angstgesättigte Stille, die durch die nebelerfüllte Nacht das Merkmal vollkommener Lautlosigkeit auf sich zog. Monachamaers angespannter Gang stockte. Witternd hob er sein Haupt und blickte angestrengt in die vom Lichte Lunisis erhellte Dunkelheit. Doch so sehr sich der Krieger auch mühte, die Nebel Gluddachts verwehrten ihm und seinen Gefährten letzte sichtbare Gewissheit. Aus dem milchigen Dunst formloser Dämpfe schwappte wie leichter Wellengang das Geheul von Hunden an ihre Ohren. Gwydions Meute hatte ihre Fährte gefunden und nahm Witterung auf. Aber nicht von den Hunden Gwydions drohte den Flüchtlingen Gefahr; sie mieden die Sümpfe und Moore und wussten um die Zeichen, wenn es an der Zeit war umzukehren. Nein - eine andere, alles vernichtende Gefahr erwartete die Freunde bereits, und keiner von ihnen ahnte, dass ihr hoffnungsvolles Leben in dieser Nacht auf den Feldern von Gluddacht sein Ende finden würde.
Gwydion - der Zauberer - auf Kylmans Haupt stand er in dieser Nacht, und beide Arme streckte er aus nach Gluddacht. Hoch schwang Gwydion die Drachenklaue, fürchterlich waren seine Flüche und Verwünschungen, bis er sich seinen Mantel vom Körper riss und die Drachenkralle mit Urgewalt über seinen nackten Leib zog. Hoch spritzte das Blut Gwydions, und wo die Tropfen zu Boden fielen bildeten sich kleine Feuer, die wie rasend in die Nacht hinausstoben und den Weg nach Gluddacht nahmen, wo ihr Herr und Meister, wo Gradubal auf ihre Ankunft wartete.
“Warum geht es nicht weiter - haben wir uns verlaufen?”
“Nein - wir sind auf dem rechten Weg. Habt Geduld Freunde - alles wird gut” beruhigte Monachamaer seine Frau, Kinder und Freunde.
“Riecht ihr - was ist das - was mag das sein? - Solch einen Dunst machte der alte Thmyrrnus. Aus einem gelben Pulver, das er sich aus den Bergen holte.”
Brohanwagys Frage wurde nicht mehr beantwortet, wenngleich er die Antwort auf seine Gedanken seit Beginn ihrer Flucht aus Tanmahan kannte. Sie brannte in seinem Herzen wie ein loderndes Feuer und er war sicher, dass die anderen Krieger ebenso fühlten. Ein stampfendes Dröhnen erfüllte die neblig-trübe Luft, der Boden erbebte, die weiße Dunstschicht zwischen Erde und Himmel begann zu leuchten, erst schwach und an einzelnen Stellen, was bei den Männern und Frauen um Monachamaer zu großer Unruhe und Besorgnis führte. Nur mit Mühe konnte der erfahrene Krieger seine Gefährten ein letztes mal um sich vereinen. Von einem zum anderen Augenblick löste sich der bis dahin undurchdringliche Nebel vom Leib Gluddachts, und Das Licht des Mondes beleuchtete ein unwirkliches und gespenstisches Geschehnis. Die Nacht war erfüllt vom Gebrüll eines ungeheuren Wesens, dessen Körperlichkeit sich den Blicken der Schutz Suchenden auf unerklärliche Weise entzog. Ganz nah musste diese gewaltige Kreatur sein, aber so sehr sich Monachamaer und seine Freunde auch mühten, sie konnten nichts entdecken. Gimerne, die Gattin Monachamaers, hatte sich auf einem Binsenhügel niedergelassen und verschnaufte einen Moment. Unter ihren Füssen, die von zerschlissenen Sandalen leidlich geschützt wurden, quatschte und blubberte das Blut Gluddachts. Plötzlich spürte Gimerne einen Hauch auf ihrer verschwitzten, dampfenden Haut. Ein Schwall stickiger Wärme hüllte sie und ihr Kind in einen Mantel kurzlebiger Erquickung. Schläfrig eingelullt wandte Gimerne ihr Haupt - und blickte geradewegs in das rote Auge Gradubals, der sie aus nur wenigen Schritten Entfernung ansah, unbeweglich, starr und zum Tode bestimmt. Gimernes Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei abgrundtiefen Leids, und bevor noch ihr Kind aus seinem lieblichen Schlummer erwachte, erfüllte sich das Schicksal Gimernes. Wie ein Orkan brandete der flammende Atem des Drachens über Gluddacht. Berauscht vom Duft des frischen Blutes tobte Gradubal im Leibe Gluddachts und spie sein feuriges Vergnügen lustvoll in den finsteren Himmel hinaus. Kaum vernahm Monachamaern den stinkenden Atem des Reptils, als er Gwyndimm aus der Scheide riss und sich mit wildem Kampfesschrei dem Untier entgegen warf.
“Auf meine Freunde, seid Männer und Krieger, erschlagen wir diesen Lindwurm.”
Von allen Seiten stürzten sich die mutigsten der Mutigen aus dem Dorfe Tanmahan dem Drachen entgegen, fauchend und brüllend schlug Gradubal mit den Klauen und seinem Schwanz nach den Kriegern. Sein feuriger Atem fuhr wir eine brennende Lanze über Gluddacht und Liá Fal. Bald standen die Wälder bis zum großen Strom lichterloh in Flammen. Der Heilige Hain hörte auf zu existieren und verwandelte sich in ein einziges Flammenmeer. Blitzend und zischend fuhr Gwyndimm in den schuppigen Leib des Drachens, allein die Zauber Gwydions bewahrten Gradubal vor tödlichen Verletzungen. So sehr sich die Tapferen auch mühten, mit Todesverachtung kämpften, einer nach dem anderen ließ sein wertvolles Leben unter den fürchterlichen Krallen Gradubals. Selbst vor den Frauen und Kindern hielt das Untier nicht inne. Bald lagen alle zusammengeworfen auf dem großen Felsen des Drachengottes, und ihr warmes, unaufhörlich strömendes Blut, versickerte lautlos im sumpfigen Leib Gluddachts. Lachend und tanzend beobachtete Gwydion vom Haupte Kylmans aus das mörderische Wüten Gradubals. Von einem zum anderen Ende der Welt brannte die Erde, und die Nacht verwandelte sich in ein blutrotes Flammenmeer. Als aber Math dieses sah, überkam ihn tiefe Trauer und schrecklichen Zorn. Mit einem mächtigen Schlag befreite er Gradubal von seiner bösartigen Verwünschung, die ihm von Gwydion auferlegt wurde, und der schändlich missbrauchte Drache erkannte die Verheerungen seiner Tat. Untröstlich und voller Trauer stürzte sich Gradubal aus höchster Höhe auf die Spitze des Drachensteins, wo sein gepanzerter Leib unter fürchterlichen Qualen zerschmetterte. Das leidvolle Heulen des sterbenden Riesen erschütterte Gluddacht. Sie schenkte dem Drachen Linderung ob seines Leides, ewigen Frieden und nahm ihn für immer zu sich. Rasch woben erste Schleier aus dem Leib Gluddachts ihr dichtes, undurchdringliches Band. Zart, wie der milde Hauch des Frühlings, umhüllte leichter Atem die Körper der Toten, trugen Gluddachts weiße Flügel die Seelen der gefallenen Kämpfer, der gemeuchelten Frauen und Kinder auf leichtem Flug in die Anderswelt, nach Walhall, wo die Nebel der Ewigkeit ihren göttlichen Reigen vollziehen. Noch bevor die nächtliche Stunde die Mitte der Nacht erreichte, bedeckte der Frieden eines langen, sehr langen Schlafes die Wallstatt in Gluddachts Reich.
4000 Jahre später.
"Benni - Süßer, du kannst die Wäsche in den Waschraum tragen. Es ist bestimmt eine Maschine frei. Deine Hemden benötigen dringend Wasser und Seife - und die Ente braucht noch fünfzehn Minuten. Bitte - sei lieb."
Langsam wandte Bernhard, genannt Benni, seinen Kopf in Richtung jener Stimme, und seine Augen erblickten sein ihm vor Jahren angetrautes Eheweib, das mit Lockenwicklern in den Haaren, einer Zigarette im sinnlich-roten Mund und einem schwarz-seidenen Überrock bekleidet, der von ihrem üppigen Körper mehr preisgab als verbarg, zwischen Töpfen und Schüsseln hantierend, mit dem Fuß den Wäschekorb ins Wohnzimmer schob und ihm dabei aus der Küche heraus ihre Wünsche zurief. Benni rekelte sich in seinem Sessel, der ihm uneingeschränkte Aus- und Einsicht bescherte, ohne dabei in Blickkontakt mit Morghild zu kommen, die, wenn es um ihre Wohnung ging, ihm mit ihren Ermahnungen und Hinweisen auf die Raumpflege zuweilen gehörig auf die Nerven ging. Aber sie war eine tolle Frau, dieses prächtige Weib, sie kochte verdammt gut und war eine fantastische Liebhaberin. Doch - er hatte es nicht schlecht getroffen mit Morghild, die nicht nur in Küche und Bett außergewöhnliches leistete. Eine gebildete Frau war sie, aus gutem Hause, mit ausgeprägtem Hang zu klassischer Literatur und modernem Theater. Und Klavier spielte sie auch, was ihren Rauhaardackel Schnuff zuweilen animierte den Part des Lohengrin zu übernehmen. Benni fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, währenddessen er Morghild unter dem angewinkelten Arm hindurch betrachtete. Genüsslich sogen seine Blicke den Schimmer rosigen Fleisches in sich ein, der im gedämpften Licht der Deckenlampe unter dem Gewebe eines raffiniert geschnittenen Textils zum Vorschein kam. Morghild, liegt das alles schon so weit zurück? Wo ist sie geblieben, unsere Zeit, damals, als die Welt stillstand und nur uns gehörte. Ein Tagtraum, der nie enden würde, ein ewiger Kreis, in dem wir der Mittelpunkt, das Zentrum waren. Es brauchte seine Zeit, bis wir uns bekamen. Doch zuvor verbissen wir uns ineinander wie Wölfe. Nichts schenkten wir uns, keiner wollte dem anderen Untertan sein, ihm nachgeben, einen Kompromiss eingehen. Dennoch fühlten wir instinktiv, dass wir füreinander bestimmt waren. Und wir fanden zueinander, damals, in jener Nacht, oben auf dem Drachenfels, diesem verwunschenen Ort, wo einstmals böse Geister und Feuer speiende Drachen ihr Regiment führten und die Menschen, die sich in ihre Nähe wagten, erbarmungslos jagten und töteten. Es war eine verrückte Zeit - jene Tage und Nächte. Die Invasion der Russen in der Tschechoslowakei mit der Angst vor einem Atomkrieg, und wir versprachen uns einander für immer. Im Angesicht furchterregender Drachen und Dämonen, die ja nach der Überlieferung immer noch in jenen Nebel verhangenen, undurchdringlichen Gemäuern hausen sollen. Wir ließen die Sektkorken knallen, und der prickelnde schäumende Rausch erfüllte unsere Sinne, machte uns sorglos und glücklich, ließ uns alles vergessen und auf den Wolken der Seligkeit in das Meer der Erfüllung gleiten. Mein Gott Morghild, was hatte ich eine Angst in jener Nacht. Nicht vor den Drachen und Dämonen, nein, die hatte ich längst zu meinen Gehilfen gemacht. Schiss hatte ich vor dir und dem was kommen musste. Meine Großmäuligkeit in Sachen Frauen, im Freundeskreis immer wieder erprobt, verblasste schlagartig, als ich nur allein mit dir, dem Unvermeidlichen entgegensteuerte, und du hast keinen Zweifel daran gelassen, mich beim Wort zu nehmen. Und dann ist es passiert im Angesicht der Drachen und Geister, wir haben gelacht, geschrien und unsere Leidenschaft hinausgebrüllt in tiefschwarze Nacht, nur erhellt durch den fernen Glimmer ungezählter Sterne. Diese eine Nacht Morghild, ist mir bis heute ein unvergängliches Erlebnis geblieben. Sie ist einzigartig. Aber ob die Drachen und Dämonen ebenso glücklich waren und Verständnis aufbrachten für die Lust an uns und unserer Leidenschaft füreinander, ich weiß es nicht. Und je länger diese Nacht zurückliegt, um so mehr bedrückt mich die Erinnerung an diese glückseligen Augenblicke, die mir wie ein Darlehn erscheinen. Ein Darlehn auf unser Glück, unsere Liebe und Freundschaft, die in mehr als fünfundzwanzig Jahren ein Feuerwerk an Emotionen und Gefühlsausbrüchen über sich ergehen lassen musste, aber an all den Zerreißproben menschlicher Unzulänglichkeiten niemals zerbrach. Zuweilen ängstigt mich das Wissen um jene Tage, die schon lange vergangen und fast vergessen sind. War das alles Zufall? Nur ein chemischer Streich der Natur der sich Liebe nennt? Wer will letztlich das beruhigende Wort, den alles vergebenden Satz sprechen, auf den schon Zehntausende Generationen vergeblich warteten? Benni atmete seufzend aus und genoss mit lächelndem Gesicht die erotisierenden Bewegungen seiner Frau, wobei ihn die Anwesenheit von Töpfen und Schüsseln in keiner Weise störte.
"Benni - wie oft soll ich dich noch bitten? Bringst du nun die Wäsche in den Keller oder muss ich selber gehen?"
"Ja-ja, ich gehe schon" grinste Benni, denn Morghild bückte sich gerade vor dem Sichtfenster des Herdes, in dem eine Ente nach Peking Art schmorte, und dabei streckte sie ihm ihr prachtvolles, hüllenloses Hinterteil entgegen.
"Da siehst du es Schnuff, wenn du dich mit einer Frau einlässt, macht sie mit dir was sie will. Überlege es dir gut, ob du jemals in den heiligen Stand der Ehe treten willst? Bedenke meine Worte."
Benni tätschelte seinen Rauhaardackel, der ihn mit sehr viel Verständnis und einer für Dackel typischen Leidensmiene anschaute. Sicher hätte es zum formalen "mein Beileid" auch noch gereicht, aber soweit wollte nun Schnuff, der Rauhaardackel, doch nicht gehen.
"Also dann bis gleich. Die Wäsche schleift mich in den Keller. Ach - bevor ich es vergesse - du siehst hinreißend aus. Ich kann es kaum erwarten mit dir Peking Ente zu essen."
"Besonders die in schwarz-seidener Unterwäsche" erwiderte Morghild mit silberhellem Lachen, das Benni vom ersten Tag an faszinierte.
"He - Schnuff, was gibt es? Nun lass schon meine Hose los, ich trage nur die Wäsche in den Keller, nichts sonst. Ich bin gleich wieder da. Nun komm alter Junge, sei lieb und leiste Frauchen Gesellschaft."
Benni kraulte seinen Hund, griff sich den vollen Wäschekorb und verließ die Wohnung.
Rauhaardackel Schnuff jaulte und knurrte und wollte Bennis Hosenrand nicht loslassen.
"Schnuff - nun lass den Unsinn. Ich gehe nur in die Waschküche, Wäsche waschen, das ist alles. In zehn Minuten bin ich wieder da. Morghild - hole Schnuff aus der Diele, ich bin jetzt im Keller."
Doch da ließ der Hund unverhofft von Bennis Hosenbein ab und rannte in die Küche, wo er sich unter der Sitzbank versteckte.
"Seltsam, dieser Hund. Was ist nur in Schnuff gefahren?"
Schmatzend fiel die schwere Wohnungstür ins Schloss, und das Echo des schnappenden Riegels hallte meckernd durch das dunkle Treppenhaus.
"Mist - kein Licht."
Bennis Hand tastete mitsamt dem gefüllten Wäschekorb nach dem Schalter, aber so sehr er auch auf den Knopf drückte, es tat sich nichts.
"Scheißdreck, immer das gleiche in diesem alten Kasten. Nichts wird in Ordnung gebracht, bis auf die Mieten. Was der Hammelbach mit der Kohle macht würde mich brennend interessieren."
Durch den Korridor in Parterre fiel Streulicht in das Treppenhaus, so dass Benni den Handlauf des Geländers und die Stufen in der Dämmerung erkennen konnte. Leicht zog die Luft aus dem Keller und Parterre an seinem Gesicht vorbei. Es war ein eigenartiger Geruch, der zu ihm herüberwehte, ein Geruch, wie er nur in solchen alten Häusern zu finden ist. Dieses Aroma strahlte Vergänglichkeit aus und legte die Schleppe seines Dunstes wie einen klebrigen Film auf Wände und Decken, Treppenstufen, Türen und Klingelknöpfe. Selbst die Fußmatten vor den Wohnungstüren hatten längst die Eigenarten dieses Hauses übernommen. Aus den Wohnungen drang verhaltenes Stimmengemurmel, durchmischt mit langweiligen Musikakkorden, bruchstückhaft an seine Ohren. Benni stützte sich bei jedem Schritt am Geländer ab, und dann erreichte er schnaufend die Kellertür, hinter der es nochmals dreizehn Stufen abwärts ging, bevor er sich auf den Weg zum Waschraum machte, der entgegengesetzt zu den Kellerräumen der Hausbewohner zur Straße hin lag, was den Aufenthalt in diesem lieblosen, in Toilettenfarben gestrichenen, vom Wasch- und Seifenlaugendunst geschwängerten Raum ein wenig erträglicher gestaltete. Durch die Drahtglasscheiben zum Gehweg hin fiel an wolkenfreien Tagen sogar Sonnenlicht, was dem Innenleben dieses Raumes und den angrenzenden Kellerverschlägen mithin eine unheimliche, ja eine gespenstische Aura verlieh.
Benni war allein im Waschraum, nicht einmal die Maschinen liefen. Still und unbeweglich standen sie im Halbkreis um ihn herum, mit offenen und halbgeschlossenen Bullaugen, die ihn an die Rachen der Walhaie erinnerten, wenn diese mit offenem Maul durch den Ozean pflügten und Plankton in sich hineinschaufelten. Der Lärm der Straße drang undefinierbar und wattig in den Waschraum. In regelmäßigem Abstand plitschte ein Wassertropfen auf den Gitterboden des Abflussschachtes, über dem sich ein roter, mehrfach geflickter Schlauch wie ein Reptil zur Decke wand, um dann plötzlich sein Ende an einem Wasserhahn zu finden, der auch für die Versorgung der Maschinen zuständig war. Benni schaute sich um, und seine Augen hefteten sich auf die dunklen Eingänge zu den einzelnen Kellern, in deren schummrig-diffusem Licht jegliche Kontur zerfloss. Unergründlich und beängstigend, schweigend und unbeweglich warteten die verstaubten Mäuler auf den Besuch ihrer Herrschaft.
<<Die Drachenhöhle>>
Ein Gedanke durchzuckte Benni, nein, eigentlich kein Gedanke, mehr eine flüchtige Sequenz, der zerbröckelnde Rest einer weit zurückliegenden Erinnerung, die aus dem nebelumwobenen Besitzstand intellektuellen Verstandes zu ihm herüberwehte. Der Drachenfels, der Eingang zur Drachenhöhle, die Nibelungensage, der Schatz, ihre Träume und Fantasien, die ewigen Schwüre, am nächsten Morgen schon brüchig wie das Eis im Frühling. Alberich - der Nibelung. Fafner und Fasold - jene Riesen, die im Auftrag der Götter Walhall errichteten, betrogen um ihren Lohn vom listenreichen Nibelung. Siegfried der tragische Held, Hagen von Tronje - der Wölfische, Brunhild, Kriemhild, Gunther und Giselher. Eine Sequenz nur, ein Augenblick, verglühender Funke am Firmament, ewiger Atem tellurischen Seins. Umhüllt vom Hauch der Geschichte, umfangen vom Mantel der Vergänglichkeit, Morghild - seine Brunhilde, seine dunkelhaarige Brunhilde. Im Angesicht des Drachens liebten sie sich, die Glut ihrer Leidenschaft ließ die steinerne Kammer des Reptils zerbrechen. Mit den Schreien ihrer Lust zerschmetterten sie die Fesseln unwürdiger Gefangenschaft, befreiten sie den verratenen Drachen vom Joch verderblichen Unrechts. Ihre nackten, dampfenden Leiber umschlangen sich zu einem unauflösbaren Band tiefer Verbundenheit, und das Tropfwasser aus dem schiefernen Baldachin der Drachenhöhle zerspritzte zischend auf den glühenden Körpern. So wurde der Bund besiegelt, ein Bund, der nur durch den Tod zu lösen war.. Benni fröstelte, er schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Unsinn, so ein Unsinn. Was ist nur los mit mir? Ich habe keinen Tropfen getrunken. Drachenhöhle, Nibelung, Siegfried. Ich befinde mich in der Waschküche unseres Wohnhauses und muss die Wäsche in die Maschine füllen. Das ist doch kein Grund solche verrückten Gedanken zu haben. Na schön, Morghild und er, sie liebten sich in der Drachenhöhle, eine ganze Nacht, und am nächsten Morgen wanderten wie an jedem Tag Heerscharen von Touristen an ihrem Liebesversteck vorbei ohne sie zu bemerken, denn ihre Augen galten nur der Unheimlichkeit der Anlage, die sie mit ehrfurchtsvollen Blicken bewunderten. Wären die Ahnungslosen doch nur ein paar Schritte weitergegangen. Sie hätten die ungezügelte Heimlichkeit zweier Verliebter hautnah erleben können, die sich im Antlitz des Drachens für immer versprachen. So aber entging ihren lustvoll-verängstigten Augen eine Darbietung, die sie über alle Massen entzückt hätte, und die so gar nicht in die alles verschlingende Gegenwart eines Feuer speienden Drachens passte. Bennis Erinnerungen verließen die geordneten Ufer einer genormten Vernunft. Dieser Keller, diese Waschküche, die dunklen, sich im Nichts verlierenden Kellereingänge, all das drängte in seinem Inneren zur Entladung. Niemals zuvor empfand er diesen Raum, diese Umgebung so bedrohlich, so unnahbar, so kalt und erbarmungslos, wie an diesem vergehenden Tag. Ein lauer Frühlingsabend hüllte den millionenfachen Herzschlag unzähliger Seelen in die beginnende Stille der Nacht, und an diesem Abend bat ihn seine geliebte Morghild ihre Wäsche in den Gemeinschaftswaschraum des Wohnhauses zu tragen und der reinigenden Fürsorge der Waschmaschine zu übertragen. Unmerklich aber unaufhaltsam rückten die weit geöffneten Mäuler der Waschmaschinen auf ihn zu, wobei ihre grünlich schimmernden, metallischen Leiber einen Kreis bildeten, der ihn gänzlich umschloss und aus dem es kein entrinnen gab.
<<Gib mir meinen Frieden wieder>>
Unheil verkündend drang der fordernde Klang einer entfernten Stimme in sein Bewusstsein.
"Was - wer ist da? Ist noch jemand im Keller? Hallo - ich bin's, Benni aus der Ersten."
Unsicher und verloren zersplitterten Bennis dünnhäutige Worte im dämmrigen Gewirr des Kellergewölbes, aus dessen verbretterten Eingängen ihm der fordernde Atem einer weit entfernten Zeit entgegenwehte. Knarrend bewegten sich uralte Türen auf altersschwachen Scharnieren, und ihr Stöhnen klang verloren zu ihm herüber in den Waschraum. Im dunklen Zentrum seiner weit entfernten, nebulösen Vergangenheit, glaubte er sich an dieses Stöhnen zu erinnern.
<<Fafnir - Fasold - ihr ewig Betrogenen, seid ihr es?>>
Ich bin verrückt, schoss es Benni durch den Kopf, verrückt. Kreischend drang der zerfetzte Schrei gequälten Gummis durch das milchig-trübe Keller-Waschraumfenster an sein Ohr und riss ihn mit Urgewalt in die Gegenwart seines vergehenden Lebens zurück.
"Zur Hölle - verdammt, ich bin hier unten um Wäsche zu waschen, nichts sonst - gar nichts."
Benni fluchte, atmete tief aus und ein, griff unwillig und wütend in den Wäschekorb und stopfte die Textilien in das weit geöffnete Rund der vor ihm stehenden Maschine. Ein abgestandener Geruch von kalter Seifenlauge und altem Fett schwappte ihm entgegen, durchmischt mit einem faulig-stechenden Aroma, das ihm aus seiner Zeit im Hüttenwerk vertraut war.
"Schwefel, wie um alles in der Welt kommt dieser Dunst in unsere Waschmaschine?"
Benni beugte sich vor und betrachtete misstrauisch das Innere der Edelstahltrommel, in der nichts Auffälliges zu entdecken war. Wild und verschlungen lagen Morghilds und seine Wäschestücke im glitzernden Bottich, aus dem heraus ihn der üble Schwefelgestank anblies.
"Das ist ja widerlich" entfuhr es Benni, "so eine Sauerei. In so einem Dreckskübel wasche ich doch nicht meine Klamotten. Was sind hier nur für Schweine im Haus, das ist unfassbar."
Benni schimpfte wütend und zerrte die Kleidungsstücke aus dem Bauch der Maschine zurück in den Wäschekorb. Tief musste er hineinlangen, um die letzten Textilteile zu greifen. Dabei steckte er seinen Kopf notgedrungen in die Trommel. Der Schwefelgestank wurde unerträglich und Benni eilte sich, seinen Kopf so schnell wie möglich aus dem Behälter herauszuziehen. Doch so sehr er sich auch mühte, seine Absicht aus dem stählernen Behältnis zu entkommen, war vergebens. Wie rasend drückte und stemmte der kräftige Mann gegen das Gehäuse der Maschine, allein er blieb mit Kopf und rechtem Arm im Bauch der Waschtrommel arretiert. Wie eine eiserne Klammer schloss sich das mächtige Maul des Apparates um seine Schultern, um alles Leben für immer aus ihm herauszupressen. Benni brüllte, schrie, kreischte und heulte wie von Sinnen, aber es gab niemanden in seiner Nähe der ihn hörte, geschweige denn in der Lage war ihm zu helfen. Vor Bennis Augen öffnete sich die metallisch-glitzernde Rückwand des Waschautomaten, und bedrohlich rasch bildeten sich verwirbelnde Nebel, aus deren rötlich-gelbem Zentrum geschmeidige Fäden erwuchsen. Schnüre, muskulöse Stränge, die in erschreckender Geschwindigkeit das Aussehen eines gewaltigen Reptils, eines Drachens annahmen, schuppig und ölig-glänzend, behaftet mit den Sedimenten einer grauenvollen Ewigkeit, die sich aus ihrem granitenen Kerker herauswand und sich anschickte ihn zu verschlingen. Blitze züngelten um den aufgerissenen Rachen der Kreatur, aus dem Benni der Aasgeruch der Verwesung entgegenschlug. Donner um Donner rollte aus dem düsteren Schlund der Hölle gegen Bennis Gesicht, und für Augenblicke flackerten im Antlitz des dem Wahnsinn nahen Mannes winzige Bewegungen, Bewegungen, die sich zu Bildern, Abläufen, Geschehnissen formierten, Begebenheiten, die Benni vor vielen Jahren erlebte. Für die Winzigkeit eines Augenblicks sah er sich und Morghild in der Höhle des Drachenfels, wie sie sich im Angesicht des versteinerten Fafnir liebten. Fauchend öffnete sich der Panzer des Lindwurms, heraus schnellten zwei horn- und krallenbewährte Klauen, umfassten seinen Kopf, drehten diesen um sich selbst, um ihn dann von Bennis Schultern zu reißen. Der erstarrte Schrei grässlichen Leids und unvorstellbarer Angst stak im weit geöffneten Mund Bennis, und bevor noch der zersplitternde Blick seiner verlöschenden Augen sich im ewigen Dunkel endloser Finsternis verlor, verschwand sein Schädel im feurigen Schlund des Drachens. Bennis Körper rutschte aus dem metallenen Schlund der Waschmaschine und glitt, eine rote Spur dampfenden Blutschleims nach sich ziehend, zwischen Wäschekorb und Maschine zu Boden. Knarrend schloss sich die alte Kellertür, und das Quietschen der rostigen Riegel klang wie das ängstliche Wimmern eines Kindes, das voller Bangen auf die Rückkehr der Mutter wartet. Plitschend fiel ein neuer Tropfen zu Boden, zerstob wie unzählige seiner Vorgänger auf den verkalkten Kacheln, wo sich im Laufe der Jahrzehnte eine hässlich braune Stelle bildete. In das Plitschen des Wassertropfens mischte sich ein ungewohnter Ton, ein eigenartiges, saugend-quatschendes Geräusch, ein Ton, wie er in dieser Waschküche noch niemals vernommen wurde. Es war das Blut Bennis, das von seinem immer noch pumpenden Herzen aus dem blutigen Stumpf seines Halses herausgedrückt wurde. Der Rhythmus der sich schließenden und öffnenden Herzklappen erzeugte ein saugendes, quatschendes Geräusch, das die Waschküche des großen Mietshauses mit seiner sterbenden Stimme erfüllte. Das wimmernde Jaulen der Schleuder war in ein gemächliches unrundes Japsen übergegangen und kam mit den nächsten Umdrehungen zum Stillstand, kurz bevor die metallische Stimme der Waschmaschine für immer verstummte. Die auf dem Boden und im Korb verstreut liegende Wäsche sog sich mit Bennis Blut voll, das immer noch aus dem zerrissenen Körper ausströmte. Langsamer, viel langsamer, aber es strömte, gleichmäßig und unaufhörlich. Bennis Hände umfassten wie marmorne Krallen das Innere des Trommelrandes mit einer Gewalt, als wollten sie den Stahlzylinder zerreißen. Im trüben Schein der Waschküchenlampen bot sich ein gespenstisches Bild. Auf dem Körper des Toten begannen kleine blaue Flämmchen zu tanzen, ohne ihn jedoch zu verbrennen. Wie Irrlichter huschten diese Erscheinungen über Benni hinweg. Von Sekunde zu Sekunde nahm ihre Zahl zu, bis der Leib des toten Mannes gänzlich vom kalten Schimmer eines fremden Lichtes eingehüllt war. Dann begann der Körper zu schweben, wobei er in Rotation versetzt wurde, die an Geschwindigkeit zunahm, bis sie sich in ein flimmerndes feuriges Rad verwandelte, aus dem ein Schreien und Brüllen herausschallte, wie es nur Lebewesen in höchster Todesangst ausstoßen können. Von einem Augenblick zum anderen kippte die Erscheinung um sich selbst, und Bennis Leib wurde mit den Schultern zuerst in den Boden gerammt, wo er wie ein umgedrehter Baumstumpf stecken blieb. Die Waschmaschinen schüttelten sich auf ihren Podesten und sprangen schließlich aus den Verankerungen, die Kellertüren schlugen wie wild hin und her, bevor sie splitternd zerbrachen, der Wasserschlauch wand sich wie eine Schlange um sich selbst, um dann die Leitung bis zum Boden aus der Wand zu reißen. Hoch spritzte das Wasser und verwandelte die Waschküche und angrenzenden Keller in atemberaubender Geschwindigkeit in einen See, als sollte alles in diesem Raum an schrecklichem Geschehenen für immer darin verschwinden. Die rot-braune Brühe schwappte höher und höher, bis sie den elektrischen Schaltkasten erreichte, aus dem Sekunden später feurige Blitze schlugen. Die Stromzufuhr im ganzen Haus war von einem Augenblick zum anderen vollständig unterbrochen. Die Dunkelheit legte sich wie ein erstickender Teppich über den Waschraum, in dem Bennis Körper wie ein zerbrochener Baumstamm nach verheerender Sintflut aus dem Boden ragte, umspült vom leisen Gesäusel sachter Wellen, auf denen blutverschmierte Wäsche mit den durch die plötzliche Flut aufgescheuchten Ratten um die Wette schwamm und diesen auf makabre Weise als Rettungsinsel diente, in den durch die schmalen, staubverkrusteten Fenster zur Straße Reste von Licht eine Szenerie flankierten, die vor wenigen Minuten noch von keinem Menschen für möglich gehalten wurde. Die Zufuhr des Wassers hatte aus welchen Gründen auch immer aufgehört, der Pegel begann ebenso rasch zu sinken, und die Ratten fühlten im einen oder anderen Fall bereits festen Boden unter ihren Füssen. Blassgelbe Schaumblasen blubberten kaum hörbar auf der schmierigen Oberfläche des Brackwassersees, bevor sie fast lautlos in Sekundenbruchteilen zerstoben. Wie überladene Äste standen Bennis Beine von seinem Rumpf ab, während die Arme durch die Verkeilung des Oberkörpers im Boden bizarre Winkel bildeten, an deren Enden die zerfetzten Unterarme völlig verdreht im Schlamm staken. Von den Schnürsenkeln der Schuhe, die wie gekappte Schiffstaue über dem Leder baumelten, fielen dicke Wassertropfen zeitlupenartig zu Boden, wo sie beim Aufschlag winzige Trichter im glitschigen Boden hinterließen. Die hauseigenen Ratten kehrten erstaunlich schnell, aber dennoch vorsichtig zur Normalität zurück. Sie beschnupperten neugierig das seltsame Gebilde, das sich plötzlich und unerwartet aus dem Boden ihres Reiches in den dunklen Waschraumhimmel emporreckte. Doch dann besannen sich die klugen Tiere auf ihre seit Generationen vererbten Erfahrungen und liefen wieder dorthin, wo sie sich sicher fühlten und nahezu unangreifbar waren. Bevor die Mieter im Haus wutentbrannt und mit Taschenlampen bewaffnet dem Hausmeister ihre Aufwartung machten, hatten die Ratten längst das andere Ufer erreicht. Dort scharten sie sich um ihre Anführerin, die sie seit der Eroberung der Keller sicher und mit sehr viel Fürsorge und Umsicht führte und alle Kämpfe um ihr Überleben siegreich bestehen ließ. Von einer Sekunde zur anderen fiel Dunkelheit über das Mehrfamilienhaus; Fernsehgeräte, Geschirrspüler, Haartrockner, Kaffeemaschinen, HiFi Anlagen und Elektroherde, gefüllt mit Kuchen, Aufläufen und Peking Ente versanken ohne Vorwarnung im Strudel energieloser Finsternis, und während Morghild fluchend durch ihre Küche zum Wandschrank stolperte wo sie die Taschenlampe vermutete, klapperten und quietschten im Treppenhaus hörbar die ersten Türen. Kurzlebige Lichtstrahlen, durchsetzt von wüsten Beschimpfungen und derben Flüchen, formten sich zu einem akustischen Torpedo, der in Richtung des Hausmeisters gefeuert seine Wirkung nicht verfehlte, und diesen, selbst nur in Hemd und Hose haspelnd und stolpernd zu größter, wenn auch konfuser und wenig ergiebiger Eile Antrieb.
"Scheiß Bau. Dieser verdammte Rattenkasten bringt uns noch alle um. Der Teufel soll Hammelbach holen und ihn Kopf voran in seinen Arsch stecken. - Teller - bewege dich oder soll ich dir Beine machen? In den Keller mit dir, und dann sorge dafür, dass es ganz schnell wieder hell wird in diesem gottverdammten Haus."
Wie ein Orkan brandete Bergers Stimme durch das lichtlose Treppenhaus, wirksam unterstützt von den tanzenden Irrlichtern der Handlampen, die dem Tribunal der Mieter eine bedrohliche Ausstrahlung verliehen.
"Was regen Sie sich denn so auf? Ich bin schließlich genauso betroffen. Was kann ich denn dafür? Sie haben einfach zu viele überflüssige Geräte in Betrieb, das ist alles."
"Das einzige Gerät das in dieser Ruine überflüssig ist bist du Teller"
dröhnte es abermals aus Bergers Mund, einem Bauarbeiter von ungeschlachtetem Format, der durchaus eine gewisse Gefährlichkeit besaß. Auf keinen Fall wollte sich Teller mit diesem Urian anlegen. Wozu auch. Er war schließlich nur der Hausmeister. Sollte die Bande doch ausziehen, wenn ihr die Räumlichkeiten nicht mehr zusagten. Trotzdem war es mehr als ärgerlich, denn durch den Stromausfall versäumte auch er, der Hausmeister Teller, die Sportnachrichten, was ihn schon in Rage brachte. Auf den Zustand der elektrischen Anlage und der damit einhergehenden Energieunterversorgung hatte er Hammelbach schon mehrfach hingewiesen, worauf dieser ihn vertröstete;
<<Wird alles gemacht Teller, wird alles gemacht. Sehr bald schon.>>
"Also das mit dem Strom, das ist ja wirklich ein Skandal, finden Sie nicht?" fiel Morghilds Nachbarin aus der zweiten Etage mit greller Stimme in den Chor der Missgestimmten ein, "da wo ich früher gewohnt habe, dass war ein vornehmes Haus, da wäre so etwas undenkbar gewesen."
"Warum sind Sie denn ausgezogen?" klang es schadenfroh durch das Treppenhaus.
"Teller, schlafe nicht ein unterwegs. Mach Licht - aber dalli" brüllte Berger erneut in Richtung Kellereingang, den der Hausmeister Teller soeben erreichte.
"Leck mich doch - du Kackarsch" entfuhr es Teller giftig, und dann verschwand der wippende Strahl seiner Taschenlampe im Treppenschacht zum Keller und Waschraum.
"Was hast du gesagt?" fegte Bergers überschlagende Stimme hinter ihm her, aber das bekümmerte Teller in keiner Weise. In seiner nächsten Mieterbeurteilung würde Berger das bekommen was er brauchte. Und dann war er weg vom Fenster, raus aus dem Haus auf seine Baustelle, da wo er hingehörte.
"Benni ist im Keller, ich meine in der Waschküche. Hoffentlich hat er sich nicht zu sehr erschreckt?" wehte Morghilds Stimme fast tonlos in das Treppenhaus, und in ihren verklingenden Silben schwang kaum wahrnehmbar aber doch existent ein Hauch von Angst, eine Ahnung mit, die unterschwellig ihre Instinkte in höchste Unruhe versetzte.
"Ach Kindchen - nun sorge dich nicht. Dein Benni ist doch ein kräftiger Mann. Den haut so leicht nichts aus der Fassung. Ich an deiner Stelle wäre schon bei ihm - ich meine- so eine Gelegenheit - so schön im Dunkeln - oh - oh, da kann so viel passieren" summte Silvia, ihre Wohnungsnachbarin und Freundin hüftwackelnd einen Evergreen.
"Na hör mal Silvi, da weiß ich aber gemütlichere Ecken als unseren Waschraum" lachte Morghild verkrampft.
"Okay - okay, gleich geht das Licht wieder an und jeder verzieht sich in seine Höhle. Machs gut und bis zum nächsten Stromausfall."
"Du auch - einen schönen Abend noch" gab Morghild an ihre Freundin zurück.
Wie lange braucht denn dieser Teller für den Strom, ging es Morghild durch den Kopf. Ein paar Sicherungen auswechseln dauert doch keine Ewigkeit. Der Hausmeister Teller tastete sich durch das Labyrinth der Kellergänge zum Hauptsicherungskasten vor. Der flackernde Schein der Taschenlampe spiegelte sich auf tropfnassem Boden. Hausmeister Tellers Schritt stockte einen Moment.
"Was ist denn das für eine Schweinerei, alles nass und verschmiert. Das ist ja ein Ding - das ist ein Ding."
Das Geräusch tropfenden Wassers drang klar und deutlich an Tellers Ohr. Ein Rohrbruch, ein gottverdammter Rohrbruch.
Und dieser Hundesohn hat sich davongemacht um was weiß ich zu tun, überlegte Teller so schnell er konnte.
"Jetzt wird mir auch der Kurzschluss verständlich. Na klar, das Wasser - um Gotteswillen, die Wände, die Kellerräume, alles trieft vor Nässe - und dann diese Trümmer, die Türen."
Tellers Lampenschein glitt über die zerborstenen Kellertüren, die wie Hackholz verstreut umher lagen.
"Pfützen - richtige Wasserlachen sind da zwischen den Regalen. Oh Benni - Benni, das wird ein teurer Spaß werden. Da muss der Installateur her, der Elektriker. Aber bis die kommen vergehen wahrscheinlich Stunden, es ist schon auf den Abend zu. Ich muss das Wasser ab ... na so was, das hat der Bursche schon selbst besorgt. Der Sicherungskasten - erst der Sicherungskasten."
Der Lichtkegel wanderte auf den vor Feuchtigkeit triefenden Wänden entlang und blieb endlich auf einem grau-schwarzen Gehäuse kleben, dessen Abdeckung aufgesprungen verbogen in den Scharnieren hing.
"Mann -Mann - das ist ein Ding. Nein - nein lieber Teller, da lässt du die Finger von. Du bist doch nicht lebensmüde. Sollen sich doch die Herrschaften Strippenzieher die Griffel verbrennen. Tut mir leid Freunde, für heute fällt die Sportschau aus. Ich muss Hammelbach anrufen und dann die Notdienste. Die müssen das umgehend in Ordnung bringen" murmelte Teller sichtlich erschüttert. "Nur weiter, ich muss sehen was sonst noch hin ist, bestimmt hat es den Waschraum noch schlimmer erwischt. Hier stand ja alles unter Wasser. Wie konnte die Suppe aber so schnell abfließen - so rasch füllt sich doch der Keller nicht mit Wasser, fast einen Meter?."