Andreas Franz / Daniel Holbe
Julia Durants neuer Fall
Knaur eBooks
Andreas Franz’ große Leidenschaft war von jeher das Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman Jung, blond, tot gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor machten. Seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen ist die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken. Andreas Franz starb im März 2011.
Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie im oberhessischen Vogelsbergkreis. Insbesondere Krimis rund um Frankfurt und Hessen faszinieren den lesebegeisterten Daniel Holbe schon seit geraumer Zeit. So wurde er Andreas-Franz-Fan – und schließlich selbst Autor. Als er einen Krimi bei Droemer Knaur anbot, war Daniel Holbe überrascht von der Reaktion des Verlags: Ob er sich auch vorstellen könne, ein Projekt von Andreas Franz zu übernehmen? Daraus entstand die »Todesmelodie«, die zu einem Bestseller wurde. Es folgten »Tödlicher Absturz«, »Teufelsbande«, »Die Hyäne«, »Der Fänger«, »Kalter Schnitt« und »Blutwette«, die allesamt die vorderen Plätze der Sellerlisten eroberten.
Mehr unter: www.daniel-holbe.de.
© 2019 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Rikhy Ray/EyeEm
ISBN 978-3-426-44312-5
Wie kannst du ruhig schlafen,
Und weißt, ich lebe noch?
Heinrich Heine, 1823/24
Panik.
Die letzten Gedanken einer Sterbenden, die verzweifelte Hoffnung auf Rettung.
Wolkenfetzen jagten über die Baumspitzen hinweg. Mitternacht war längst vorbei. Das Licht des Mondes hüllte die Einsamkeit des Waldes in ein eisiges Schwarz-Weiß.
Sie blickte ihn an. Unter dem Strumpf waren die Augen zu erkennen, deren Wachsamkeit nicht die geringste Bewegung entging. Der Rest der Konturen glich denen eines Raubtiers. Wie ein matter, schwarzgrauer Pelz lag der Stoff über der Haut. Zwang Nase und Lippen in ein formloses Dasein. Selbst wenn sie diese Nacht überlebte, sie würde ihn nicht wiedererkennen können. Nicht einmal die Augen, selbst wenn er ihr gegenüberstünde.
Als er ihr die Hände um den Hals legte, war sie sicher, dass sie die Nacht nicht überleben würde.
»Wehr dich nicht!«, hörte sie ihn sagen.
Wie sollte sie auch?
Ihre Gelenke lagen in Handschellen. Ihr nackter Körper lag zum Teil auf einer Picknickdecke, zerwühlt und mit allerlei Laub und Dreck darauf. Ihre Kleider; vom Leib gerissen. Zum Teil hatte sie es selbst getan. Nur BH und Slip hatte er ihr selbst genommen. War mit einer scharfen Klinge daruntergefahren – in diesen Sekunden hatte sie kaum zu atmen gewagt, damit er nicht abrutschte und ihr die Haut zerschnitt.
Als käme es darauf an.
Einige Stunden zuvor hatte sie noch an der Bushaltestelle gesessen.
Nicht weit von einem Parkplatz, der auch von Berufspendlern genutzt wurde. Dorthin kam er, wenn sie sich trafen. Doch heute hatte er sich Zeit gelassen. Vermutlich der dichte Verkehr, es hatte einen schweren Unfall am Frankfurter Kreuz gegeben. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, was ihr sichtlich Unbehagen bereitet hatte. Man las so viel Schreckliches in der Zeitung. Und dann hier an einer abgelegenen Haltestelle in der Nähe eines Parkplatzes, an dem allerlei zwielichtiges Gesindel verkehrte?
Der Mann beobachtete sie seit einer halben Stunde. Jede Muskelbewegung, jeden besorgten Blick, den sie in Richtung Straße warf. Ein Bus näherte sich, er hielt an, Leute stiegen aus. Sie blieb sitzen. Als der Bus sich wieder entfernte, kramte sie eine Zigarette aus der Handtasche. Paffte ein paar Züge, nur um den Glimmstängel dann halb geraucht in den Kanal zu werfen. Der nächste Griff hatte einer Packung Mentos gegolten, der übernächste förderte den Schminkspiegel zutage. Lippenstift, Augenbrauen, sie zupfte an sich herum. An ihrem perfekten Körper. Er betrachtete das Kleid. Sie hatte es schon einmal getragen. Doch heute stand es ihr besonders gut. Als er daran dachte, wie sich der Saum schon bald über ihre Knie nach oben bewegen würde, wurde ihm heiß und kalt. Seine Lenden begannen zu pulsieren. Und je länger er wartete, desto unerträglicher wurde seine Gier.
Doch er durfte seine Deckung nicht verlassen. Noch nicht.
Musste lauern wie ein Raubtier auf seine ahnungslose Beute.
Dann endlich näherte sich das Auto.
Sie sah es auch.
Winkte freudig, schaute sich sofort verstohlen um, aber niemand interessierte sich für sie.
Außer mir, dachte der Beobachter.
Und außer ihm.
Jenem fremden Mann, der hin und wieder in das Leben der jungen Frau trat. Der sie vergessen ließ, dass sie eine Familie hatte, die von ihren Liebesspielen nichts zu ahnen schien.
Er folgte den beiden in den Wald.
Bei dem Gedanken daran, was passieren würde, ergoss er sich in seine Unterhose.
Ein Jumbo näherte sich.
Das Geräusch der Triebwerke übertönte den erstickten Schrei, noch bevor er ihr den Hals zudrückte. Seine Daumen gruben sich tief in die weiche Haut. Die Kette zerriss. Perlen kullerten über die Decke und verschwanden zwischen Nadeln und altem Laub.
Sie sah das Aufblitzen der Landeleuchten über ihren Kopf hinwegziehen.
Dann noch einmal den Mond und die Wolkenfetzen.
Ihre letzten Gedanken galten ihm.
Dann kam die Schwärze.
Für immer.