Gottfried Keller

Das große Lesebuch

Herausgegeben von
Thomas Hürlimann

FISCHER E-Books

Inhalt

Über den Autor und den Herausgeber

Gottfried Keller wurde am 19. Juli 1819 in Zürich geboren. Nach dem Verweis von der Industrieschule Zürich bildete er sich autodidaktisch weiter. 1840 ging er nach München, um sich zum Landschaftsmaler auszubilden. 1842 kehrte er nach Zürich zurück und widmete sich, unterstützt von der Mutter, dem Schreiben. 1848/49 lebte er in Heidelberg, ab 1850 in Berlin, wo sein Roman »Der grüne Heinrich« und der Novellenzyklus »Die Leute von Seldwyla« entstanden. Nach erneuter Rückkehr in die Schweiz wurde er 1861 Erster Staatsschreiber des Kantons Zürich. Nach Aufgabe dieses Amtes arbeitete er an einer Neufassung von »Der grüne Heinrich« und seinem letzten Roman »Martin Salander«. Gottfried Keller starb am 15. Juli 1890 in Zürich.

 

Thomas Hürlimann wurde 1950 in Zug, Schweiz, geboren. Er besuchte das Gymnasium an der Stiftsschule Einsiedeln und studierte in Zürich und an der FU Berlin Philosophie. Neben zahlreichen Theaterstücken schrieb er die Romane »Heimkehr«, »Vierzig Rosen« und »Der große Kater« (verfilmt mit Bruno Ganz), die Novellen »Fräulein Stark« und »Das Gartenhaus« sowie den Erzählungsband »Die Tessinerin«. Für sein dramatisches, erzählerisches und essayistisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, seine Werke wurden in 21 Sprachen übersetzt. Nach vielen Jahren in Berlin lebt er wieder in seiner Heimat.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Thomas Hürlimanns großartige Auswahl aus dem Werk Gottfried Kellers verzichtet nicht auf schöne Stellen aus dem »Grünen Heinrich« oder die bekannte Novelle »Romeo und Julia auf dem Dorfe«. Zugleich aber finden sich in diesem Lesebuch auch kenntnisreich aufgespürte Briefe und weniger bekannte Texte Kellers. Sie bestätigen seinen epochalen Rang als Autor und zeichnen wie nebenbei das Bild eines Mannes, der voller Tatendrang ins Leben aufbricht und am Ende melancholisch zurückblickt.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: kreuzerdesign Agentur für Konzeption und Gestaltung

Coverabbildung: akg-images, Berlin

 

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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491024-6

Fußnoten

Düse am vorderen Ende des Feuerwehrschlauchs

Fett

dreispitziger Hut

Likör

Schnurren

Ansichten, Erkenntnisse

Jagdhunde

Angehörige eines Laienordens

Geschäftemacher, der mit seinem Spazierstock wichtigtut

Lump, Taugenichts

Bankrotteure

kurze Jacke

Art der Hellebarde

bewegliche Gegenstände, im Unterschied zur Immobilie

biblischer Held aus dem Alten Testament, der durch seine Stärke die Säulen eines feindlichen Tempels zum Einsturz brachte

Buße, Strafe

hier: verheiraten

hier: gebrandmarkt

Handtuch

Sammler

Formular für die Einquartierung von Soldaten

von Napoleon diktierte Verfassung für die Schweiz

nach dem Sturz Napoleons vom Konservatismus geprägte Epoche (bis 1848)

der antikisierende Stil des napoleonischen Zeitalters

Spazierstock

Gesteinsbrocken

Tante

Französische Schweiz

nordische Seefahrer und Piraten

der Pirat Klaus Störtebeker

mehrstimmige Choräle

Name von Heinrichs Mallehrer

Reisetasche

Pferd

in Terrassen angelegter Weg

Täfelung

Der Blick der Medusa aus der griechischen Mythologie verwandelte jeden zu Stein, bis der Held Perseus ihn mit seinem glänzenden Schild wie in einem Spiegel zurückwarf und die Medusa versteinerte.

Thingstätte, heidnischer Kultplatz

geschoren, zum Zeichen der mönchischen Demut

ironisch für katholische Geistliche

phantasieren

Modistin

bequeme Unterbrechung

Verwaltung

Vortragende dramatische Texte

kostümierte Personen

Hersteller von Siegeln

jemand, der Besteck mit Namen, Initialen oder Wappen versieht

Als Herkunftsort der Musen galt die Landschaft Pierien am Nordfuß des Olymp.

Muse des Chorliedes

Muse des Tanzes

Muse des Flötenspiels

Ambrosia (Unsterblichkeit) ist die Speise der olympischen Götter.

Muse der Liebeslyrik

Zürich, 16. September 1845

… Mich und meine Umsattlung anbetreffend, ist die Geschichte kürzlich folgende: Als ich vor nun bald drei Jahren in Zürich ankam, hoffte ich soviel Geld auftreiben zu können, als nötig sei, um wieder nach München zurückzukehren und meine Studien mit besserem Erfolge fortzusetzen. Aber alle Kräfte waren erschöpft. Ich vegetierte den Winter hindurch ziemlich langweilig und elend. Im Frühling 1843 wachte mein Schöpfungstrieb wieder auf; da ich aber im Malen keinen Trost und Erfolg empfand, verfiel ich unwillkürlich und unbewußt aufs Versmachen und entdeckte höchst verwundert, daß ich reimen könne! Ich machte Gedichte die schwere Menge und faßte den Entschluß, sie herauszugeben, damals nur, um eine Summe zu erschwingen, um nach München zu kehren, wohin alle meine Gedanken noch gerichtet waren. Es war aber dummes und schlechtes Zeug, das ich machte, das längst beiseite geworfen ist. Einzelnes davon verschaffte mir aber Aufmunterung, bis ich zuletzt eine Sammlung besserer Sachen beisammen hatte, welche ich kompetenten und einflußreichen Personen mitteilte. Sie wurde hin und her beguckt und geworfen; endlich hieß es, ich sei ein »Dichter«, und von da an kam ich in ausgezeichnete ehrenvolle Gesellschaft, und begann literarische Studien. Das Malen ist nun an den Nagel gehängt, wenigstens als Beruf. Was von mir gedruckt wurde, erschien nur als Beitrag in Zeitschriften und Taschenbüchern, und die Hauptexpedition, die Herausgabe eines Buches, wird erst nächsten Frühling stattfinden. Daneben habe ich dramatische und andere Spukereien die Menge im Kopf, und, falls es nicht ein Strohfeuer gewesen ist, eine schöne Zukunft. Diese wird auch teilweise von der Gestaltung der politischen Dinge abhängen, denn Du mußt wissen, daß ich ein erzradikaler Poet bin, und Freud und Leid mit meiner Partei und meiner Zeit teile.

Dicht zu seinen Füßen lag ein altertümliches Städtlein, wo um ein graues mächtiges Kirchenschiff rund um den Giebel des Rathauses sich einhundert kleine Häuser zusammenkauerten. Heinrich sah in die paar Sträßlein und auf den Platz hinein, wie auf einen Pfannkuchen, und sah zu seiner Verwunderung, daß die ganze Einwohnerschaft trotz des Regenwetters auf den Beinen war und die kleine Öffentlichkeit des Ortes erfüllte. Er bemerkte auch alsbald, daß einige Feuerspritzen, begleitet von vielen Männern in kühnen Feuerkappen, sich durch das Gedränge bewegten, und da er keinen Rauch sah, so nahm er an, daß diese Leute wohl ihre herbstliche Feuermusterung und Spritzenprobe hielten. So war es auch; denn indem um das Rathaus herum Platz gemacht wurde und man Feuerleitern daran anlegte, fingierte man kühnlich einen Brand auf dem Dache desselben, und alle Fenster des Städtleins waren geöffnet und die Einwohner, so nicht auf der Straße waren, harrten vergnügt unter den Fenstern der tapferen jährlichen Bespritzung ihres Rathausgiebels. Um die Übung unternehmender und künstlicher zu gestalten, waren die Spritzen in kleinen Seitengäßchen verteilt, und die langen Schläuche zur Freude der Stadtjugend, die verstohlen darauf herumtrampelte, zogen sich in mäandrischen Windungen bis zu dem unsichtbaren Feuer hinan. Männer standen hoch auf den Leitern und schritten auf dem Dache, die metallenen Wendröhren[1] in der Hand, während andere ihnen von unten auf Befehlsworte zusandten und sie auf die gefährlichsten Punkte aufmerksam machten. Aber als nun das Abenteuer vonstatten gehen sollte, da gab es eine große Verwirrung, ein Rufen, Schreien, Schelten, und zuletzt ein bedenkliches Durcheinanderdrängen und Puffen, ohne daß die Leute wußten, woran es lag und

Heinrich ging still an dem Städtlein vorüber voll Nachdenken über dies wunderbare Gesicht. Dann rief er mit allem Feuer, dessen sein ausgehungertes und erfrorenes Leibwerk noch habhaft war: »Dies ist das Geheimnis! O wer allezeit auf rechte Weise zu sehen verstände, unbefangen mitten in der Teilnahme, ruhig in edler Leidenschaft, selbstbewußt, doch anspruchlos, kunstlos und doch zweckmäßig! Ich will nun aber doch gehen und noch irgend etwas Lebendiges lernen, wodurch ich unter den Menschen etwas wirke und nütze!«

Ein Märchen

Wenn ein Seldwyler einen schlechten Handel gemacht hat oder angeführt worden ist, so sagt man zu Seldwyla: Er hat der Katze den Schmer[2] abgekauft! Dies Sprichwort ist zwar auch anderwärts gebräuchlich, aber nirgends hört man es so oft wie dort, was vielleicht daher rühren mag, daß es in dieser Stadt eine alte Sage gibt über den Ursprung und die Bedeutung dieses Sprichwortes.

Vor mehreren hundert Jahren, heißt es, wohnte zu Seldwyla eine ältliche Person allein mit einem schönen, grau und schwarzen Kätzchen, welches in aller Vergnügtheit und Klugheit mit ihr lebte und Niemandem, der es ruhig ließ, etwas zu Leide tat. Seine einzige Leidenschaft war die Jagd, welche es jedoch mit Vernunft und Mäßigung befriedigte, ohne sich durch den Umstand, daß diese Leidenschaft zugleich einen nützlichen Zweck hatte und seiner Herrin wohlgefiel, beschönigen zu wollen und allzusehr zur Grausamkeit hinreißen zu lassen. Es fing und tötete daher nur die zudringlichsten und frechsten Mäuse, welche sich in einem gewissen Umkreise des Hauses betreten ließen, aber diese dann mit zuverlässiger Geschicklichkeit; nur selten verfolgte es eine besonders pfiffige Maus, welche seinen Zorn gereizt hatte, über diesen Umkreis hinaus und erbat sich in diesem Falle mit vieler Höflichkeit von den Herren Nachbaren die Erlaubnis, in ihren Häusern ein wenig mausen zu dürfen, was ihm gerne gewährt wurde, da es die Milchtöpfe stehen ließ, nicht an die Schinken hinaufsprang, welche etwa an den Wänden hingen, sondern seinem Geschäfte still und aufmerksam oblag und, nachdem es dieses verrichtet, sich mit dem Mäuslein im Maule anständig entfernte. Auch war das Kätzchen gar

Spiegel, so war der Name des Kätzchens wegen seines glatten und glänzenden Pelzes, lebte so seine Tage heiter, zierlich und beschaulich dahin, in anständiger Wohlhabenheit und ohne Überhebung. Er saß nicht zu oft auf der Schulter seiner freundlichen Gebieterin, um ihr die Bissen von der Gabel wegzufangen, sondern nur, wenn er merkte, daß ihr dieser Spaß angenehm war; auch lag und schlief er den Tag über selten auf seinem warmen Kissen hinter dem Ofen, sondern hielt sich munter und liebte es eher, auf einem schmalen Treppengeländer oder in der Dachrinne zu liegen und sich philosophischen Betrachtungen und der Beobachtung der Welt zu überlassen. Nur jeden Frühling und Herbst einmal wurde dies ruhige Leben eine Woche lang unterbrochen, wenn die Veilchen blühten oder die milde Wärme des Alteweibersommers die Veilchenzeit nachäffte. Alsdann ging Spiegel seine eigenen Wege, streifte in verliebter Begeisterung über die fernsten Dächer und sang die allerschönsten Lieder. Als ein rechter Don Juan bestand er bei Tag und Nacht die bedenklichsten Abenteuer, und wenn er sich zur Seltenheit einmal im Hause sehen ließ, so erschien er mit einem so verwegenen, burschikosen, ja liederlichen und zerzaus’ten Aussehen, daß die stille Person, seine Gebieterin, fast unwillig ausrief: »Aber Spiegel! Schämst Du Dich denn nicht, ein solches Leben zu führen?« Wer sich aber nicht schämte, war Spiegel; als ein Mann von Grundsätzen, der wohl wußte, was er sich zur wohltätigen Abwechslung erlauben durfte, beschäftigte er sich ganz ruhig damit, die Glätte seines Pelzes und die unschuldige

Allein dies gleichmäßige Leben nahm plötzlich ein trauriges Ende. Als das Kätzchen Spiegel eben in der Blüte seiner Jahre stand, starb die Herrin unversehens an Altersschwäche und ließ das schöne Kätzchen herrenlos und verwaist zurück. Es war das erste Unglück, welches ihm widerfuhr, und mit jenen Klagetönen, welche so schneidend den bangen Zweifel an der wirklichen und rechtmäßigen Ursache eines großen Schmerzes ausdrücken, begleitete es die Leiche bis auf die Straße und strich den ganzen übrigen Tag ratlos im Hause und rings um dasselbe her. Doch seine gute Natur, seine Vernunft und Philosophie geboten ihm bald, sich zu fassen, das Unabänderliche zu tragen und seine dankbare Anhänglichkeit an das Haus seiner toten Gebieterin dadurch zu beweisen, daß er ihren lachenden Erben seine Dienste anbot und sich bereit machte, denselben mit Rat und Tat beizustehen, die Mäuse ferner im Zaume zu halten und überdies ihnen manche gute Mitteilung zu machen, welche die Törichten nicht verschmäht hätten, wenn sie eben nicht unvernünftige Menschen gewesen wären. Aber diese Leute ließen Spiegel gar nicht zu Worte kommen, sondern warfen ihm die Pantoffeln und das artige Fußschemelchen der Seligen an den Kopf, so oft er sich blicken ließ, zankten sich acht Tage lang untereinander, begannen endlich einen Prozeß und schlossen das Haus bis auf Weiteres zu, so daß nun gar Niemand darin wohnte.

Da saß nun der arme Spiegel traurig und verlassen auf der steinernen Stufe vor der Haustüre und hatte Niemand, der ihn hinein ließ. Des Nachts begab er sich wohl auf Umwegen unter das Dach des Hauses, und im Anfang hielt er sich einen großen Teil des Tages dort verborgen und suchte seinen Kummer zu verschlafen; doch der Hunger trieb ihn bald an das Licht und nötigte ihn, an der warmen Sonne und unter den Leuten zu erscheinen, um bei der Hand zu sein und zu gewärtigen, wo sich

Als der edle und kluge Spiegel so heruntergekommen war, saß er eines Tages ganz mager und traurig auf seinem Stein und blinzelte in der Sonne. Da kam der Stadthexenmeister Pineiß des Weges, sah das Kätzchen und stand vor ihm still. Etwas Gutes hoffend, obgleich es den Unheimlichen wohl kannte, saß Spiegelchen demütig auf dem Stein und erwartete, was der Herr Pineiß etwa tun oder sagen würde. Als dieser aber begann und

Spiegel hatte schon längst die Ohren gespitzt und mit wässerndem Mäulchen gelauscht; doch war seinem geschwächten Verstande die Sache noch nicht klar und er versetzte daher: »Das ist soweit nicht übel, Herr Pineiß! Wenn ich nur wüßte, wie ich alsdann, wenn ich doch, um euch meinen Schmer abzutreten, mein Leben lassen muß, des verabredeten Preises habhaft werden und ihn genießen soll, da ich nicht mehr bin?« »Des Preises habhaft werden?« sagte der Hexenmeister verwundert, »den Preis genießest Du ja eben in den reichlichen und üppigen Speisen, womit ich Dich fett mache, das versteht sich von selber! Doch will ich Dich zu dem Handel nicht zwingen!« Und er machte Miene, sich von dannen begeben zu wollen. Aber Spiegel sagte hastig und ängstlich: »Ihr müßt mir wenigstens eine

»Es sei!« sagte Herr Pineiß mit anscheinender Gutmütigkeit, »bis zum nächsten Vollmond sollst Du Dich alsdann Deines angenehmen Zustandes erfreuen dürfen, aber nicht länger! denn in den abnehmenden Mond hinein darf es nicht gehen, weil dieser einen vermindernden Einfluß auf mein wohlerworbenes Eigentum ausüben würde.«

Das Kätzchen beeilte sich zuzuschlagen und unterzeichnete einen Vertrag, welchen der Hexenmeister im Vorrat bei sich führte, mit seiner scharfen Handschrift, welche sein letztes Besitztum und Zeichen besserer Tage war.

»Du kannst Dich nun zum Mittagessen bei mir einfinden, Kater!« sagte der Hexer, »Punkt zwölf Uhr wird gegessen!« »Ich werde so frei sein, wenn Ihr’s erlaubt!« sagte Spiegel und fand sich pünktlich um die Mittagsstunde bei Herrn Pineiß ein. Dort begann nun während einiger Monate ein höchst angenehmes Leben für das Kätzchen; denn es hatte auf der Welt weiter nichts zu tun, als die guten Dinge zu verzehren, die man ihm vorsetzte, dem Meister bei der Hexerei zuzuschauen, wenn es mochte, und auf dem Dache spazieren zu gehen. Dies Dach glich einem ungeheuren schwarzen Nebelspalter[3] oder Dreiröhrenhut, wie man die großen Hüte der schwäbischen Bauern nennt, und wie ein solcher Hut ein Gehirn voller Nücken und Finten überschattet, so bedeckte dies Dach ein großes, dunkles und winkliges Haus voll Hexenwerk und Tausendsgeschichten. Herr Pineiß war ein Kann-Alles, welcher hundert Ämtchen versah, Leute kurierte, Wanzen vertilgte, Zähne auszog und Geld auf Zinsen lieh; er war der Vormünder aller Waisen und Witwen, schnitt in seinen Mußestunden Federn, das Dutzend für einen Pfennig, und machte schöne schwarze

Doch im Anfang gewann er keine Aufmerksamkeit für andere Dinge, als für das Essen. Er schlang gierig alles hinunter, was Pineiß ihm darreichte, und mochte kaum von einer Zeit zur andern warten. Dabei überlud er sich den Magen und mußte wirklich auf das Dach gehen, um dort von den grünen Gräsern abzubeißen und sich von allerhand Unwohlsein zu kurieren. Als der Meister diesen Heißhunger bemerkte, freute er sich und dachte, das Kätzchen würde solcherweise recht bald fett werden, und je besser er daran wende, desto klüger verfahre und spare er im Ganzen. Er baute daher für Spiegel eine ordentliche

Er vertiefte sich nun in vielfältige Grübeleien, wie das gelingen möchte; aber da die Zeit der Gefahr noch nicht da war, so wurde es ihm nicht klar und er fand keinen Ausweg; aber als ein kluger Mann ergab er sich bis dahin der Tugend und der Selbstbeherrschung, welches immer die beste Vorschule und Zeitverwendung ist, bis sich etwas entscheiden soll. Er verschmähte das weiche Kissen, welches ihm Pineiß zurechtgelegt hatte, damit er fleißig darauf schlafen und fett werden sollte, und zog es vor, wieder auf schmalen Gesimsen und hohen gefährlichen Stellen zu liegen, wenn er ruhen wollte. Ebenso verschmähte er die gebratenen Vögel und die gespickten Mäuse und fing sich lieber auf den Dächern, da er nun wieder einen rechtmäßigen

Spiegel unterbrach sein behagliches Spinnen[5], das er angefangen, um seine Fassung zu behaupten, und sagte: »Ich weiß kein Sterbenswörtchen davon, daß in dem Kontrakt steht, ich solle der Mäßigkeit und einem gesunden Lebenswandel entsagen! Wenn der Herr Stadthexenmeister darauf gerechnet hat, daß ich ein fauler Schlemmer sei, so ist das nicht meine Schuld! Ihr tut tausend rechtliche Dinge des Tages, so lasset dieses auch noch hinzukommen und uns beide hübsch in der Ordnung bleiben; denn Ihr wißt ja wohl, daß Euch mein Schmer nur nützlich ist, wenn er auf rechtliche Weise erwachsen!« »Ei du Schwätzer! rief Pineiß erbos’t, willst Du mich belehren? Zeig’ her, wie weit bist Du denn eigentlich gediehen, Du Müßiggänger? Vielleicht kann man Dich doch bald abtun!« Er griff dem Kätzchen an den Bauch; allein dieses fühlte sich dadurch unangenehm gekitzelt und hieb dem Hexenmeister einen scharfen Kratz über die Hand. Diesen betrachtete Pineiß aufmerksam, dann sprach er: »Stehen wir so miteinander, du Bestie? Wohlan, so erkläre ich Dich hiermit feierlich, kraft des Vertrages, für fett genug! ich begnüge mich mit dem Ergebnis und werde mich desselben zu versichern wissen! In fünf Tagen ist der Mond voll, und bis dahin magst Du Dich noch Deines Lebens erfreuen, wie es geschrieben steht, und nicht eine Minute länger!« Damit kehrte er ihm den Rücken und überließ ihn seinen Gedanken.

Diese waren jetzt sehr bedenklich und düster; so war denn die Stunde doch nahe, wo der gute Spiegel seine Haut lassen sollte? Und war mit aller Klugheit gar nichts mehr zu machen? Seufzend stieg er auf das hohe Dach, dessen Firste dunkel in den schönen Herbstabendhimmel emporragten. Da ging der Mond

Da schied Spiegel von der weißen Freundin, welche zufrieden und kühl miauend ihrer Wege ging, und wandte sich stolz seinem Henker zu. Dieser stieg in die Küche hinunter, raschelte mit dem Kontrakt und sagte: »Komm Spiegelchen, komm Spiegelchen!« und Spiegel folgte ihm und setzte sich in der Hexenküche trotzig vor den Meister hin in all’ seiner Magerkeit und Zerzaus’theit. Als Herr Pineiß erblickte, wie er so schmählich

Spiegel beruhigte sich wieder und sprach ehrlich: »Nein, ich bin kein Zauberer! Es ist allein die süße Gewalt der Leidenschaft, welche mich so heruntergebracht und zu meinem Vergnügen Euer Fett dahin genommen hat. Wenn wir übrigens jetzt unser Geschäft von neuem beginnen wollen, so will ich tapfer dabei sein und drein beißen! Setzt mir nur eine recht schöne und große Bratwurst vor, denn ich bin ganz erschöpft und hungrig!« Da packte Pineiß den Spiegel wütend am Kragen, sperrte ihn in den Gänsestall, der immer leer war, und schrie: »Da sieh zu, ob Dir Deine süße Gewalt der Leidenschaft noch einmal heraushilft und ob sie stärker ist, als die Gewalt der Hexerei und meines rechtlichen Vertrages! Jetzt heißt’s: Vogel friß und stirb!« Sogleich briet er eine lange Wurst, die so lecker duftete, daß er sich nicht enthalten konnte, selbst ein Bißchen an beiden Zipfeln zu schlecken, ehe er sie durch das Gitter steckte. Spiegel fraß sie von vorn bis hinten auf, und indem er sich behaglich den Schnurrbart putzte und den Pelz leckte, sagte er zu sich selber: »Meiner Seel! es ist doch eine schöne Sache um die Liebe!

Als Spiegel in seinem Käfig ihm endlich fett genug dünkte, säumte er nicht länger, sondern stellte vor den Augen des aufmerksamen Katers alle Geschirre zurecht und machte ein helles Feuer auf dem Herd, um den lang ersehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er ein großes Messer, öffnete den Kerker, zog Spiegelchen hervor, nachdem er die Küchentüre wohl verschlossen, und sagte wohlgemut: »Komm, Du Sapperlöter! wir wollen Dir den Kopf abschneiden vor der Hand, und dann das Fell abziehen! Dieses wird eine warme Mütze für mich geben, woran ich Einfältiger noch gar nicht gedacht habe! Oder soll ich Dir erst das Fell abziehen und dann den Kopf abschneiden?« »Nein, wenn es Euch gefällig ist, sagte Spiegel demütig, lieber zuerst den Kopf abschneiden!« »Hast Recht, Du armer Kerl!« sagte Herr Pineiß, »wir wollen Dich nicht unnütz quälen! Alles was Recht ist!« »Dies ist ein wahres Wort!« sagte Spiegel mit einem erbärmlichen Seufzer und legte das Haupt ergebungsvoll auf die Seite, »o hätt’ ich doch jederzeit getan, was Recht ist, und nicht

Pineiß aber rief heftig: »So halt doch endlich inne, Du Schwätzer! und sage mir: Wo ist eine Solche und hat sie zehntausend Goldgülden?«

»Zehntausend Goldgülden?« sagte Spiegel.

»Nun ja, rief Pineiß ungeduldig, sprachest Du nicht eben erst davon?«

»Nein«, antwortete jener, »das ist eine andere Sache! Die liegen vergraben an einem Orte!«

»Und was tun sie da, wem gehören sie?« schrie Pineiß.

»Niemand gehören sie, das ist eben meine Gewissensbürde, denn ich hätte sie unterbringen sollen! Eigentlich gehören sie jenem, der eine solche Person heiratet, wie ich eben beschrieben habe. Aber wie soll man drei solche Dinge zusammenbringen in dieser gottlosen Stadt. Zehntausend Goldgülden, eine weise feine und gute Hausfrau, und einen weisen rechtschaffenen Mann? Daher ist eigentlich meine Sünde nicht allzugroß, denn der Auftrag war zu schwer für eine arme Katze!«

»Wenn Du jetzt, rief Pineiß, nicht bei der Sache bleibst, und

»Da Ihr es befehlt, so muß ich die Sache wohl erzählen«, sagte Spiegel und setzte sich gelassen auf seine Hinterfüße, »obgleich dieser Aufschub meine Leiden nur vergrößert!« Pineiß steckte das scharfe Messer zwischen sich und Spiegel in die Diele und setzte sich neugierig auf ein Fäßchen, um zuzuhören, und Spiegel fuhr fort:

»Ihr wisset doch, Herr Pineiß, daß die brave Person, meine selige Meisterin, unverheiratet gestorben ist als eine alte Jungfer, die in aller Stille viel Gutes getan und Niemandem zuwider gelebt hat. Aber nicht immer war es um sie her so still und ruhig zugegangen, und obgleich sie niemals von bösem Gemüt gewesen, so hatte sie doch einst viel Leid und Schaden angerichtet; denn in ihrer Jugend war sie das schönste Fräulein weit und breit, und was von jungen Herren und kecken Gesellen in der Gegend war oder des Weges kam, verliebte sich in sie und wollte sie durchaus heiraten. Nun hatte sie wohl große Lust, zu heiraten und einen hübschen, ehrenfesten und klugen Mann zu nehmen und sie hatte die Auswahl, da sich Einheimische und Freunde um sie stritten und einander mehr als ein Mal die Degen in den Leib rannten, um den Vorrang zu gewinnen. Es bewarben sich um sie und versammelten sich kühne und verzagte, listige und treuherzige, reiche und arme Freier, solche mit einem guten und anständigen Geschäft, und solche, welche als Kavaliere zierlich von ihren Renten lebten; dieser mit diesen, jener mit jenen Vorzügen, beredt oder schweigsam, der Eine munter und liebenswürdig, und ein Anderer schien es mehr in sich zu haben, wenn er auch etwas einfältig aussah; kurz, das Fräulein hatte eine so vollkommene Auswahl, wie es ein mannbares Frauenzimmer sich nur wünschen kann. Allein sie besaß außer ihrer Schönheit ein schönes Vermögen von vielen tausend Goldgülden und diese waren die Ursache, daß sie nie dazu kam, eine Wahl treffen und einen Mann nehmen zu können, denn sie verwaltete ihr Gut mit trefflicher Umsicht und Klugheit und legte