Ich liebe meinen Garten
Ein literarischer Streifzug
FISCHER E-Books
Herausgegeben von
Julia Gommel-Baharov
»Und da eine Anthologie wörtlich übersetzt eine Blütenlese ist, kann es kaum etwas Passenderes geben, als eine Anthologie über Gärten.« Klaus Modick
Schon Cicero wusste: Dem, der einen Garten und eine Büchersammlung besitzt, fehlt es an nichts. Seit dem biblischen Garten Eden sind Gärten der Inbegriff von Ruhe, Muße und Glück. Sie bieten Schutz gegen die feindliche Umwelt, und sie ermöglichen das friedliche Eintauchen in die Rhythmen der Natur. Dieses Lesebuch macht das Glück und den Zauber spürbar, der vom Leben im Garten ausgeht. Es macht aber auch keinen Hehl daraus, dass die Bedrohung dieses Glücks nicht erst jenseits der Gartenmauer beginnt.
Mit Texten von Elisabeth von Arnim, Johann Wolfgang Goethe, Rainer Maria Rilke und vielen anderen.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: kreuzerdesign Agentur für Konzeption und Gestaltung
Coverabbildung: Max Liebermann, ›Gartenbank unter dem Kastanienbaum - Blühende Kastanien‹, 1916
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491026-0
In cultivirten Ländern ist die Disposition grade umgekehrt. Wirthschaftshof und Küchengarten sind hinter dem Hause versteckt. Vor demselben geniesst man über Rasen, Blumen und Pflanzungen den freien Blick in die Umgegend.
Als diese Schrift schon grösstentheils vollendet war, zeigte man mir die Erscheinung eines dasselbe Thema behandelnden Lehrbuches an, welches vor kurzem in Leipzig herausgekommen ist. Ich glaubte schon meine Arbeit nun einstellen zu dürfen, fand aber bei Durchlesung jenes Werks nichts als eine mühsame Compilation schlecht verdauter Recepte aus englischen Werken. Was Blumenbach von der Schädellehre sagte, passt auch auf dieses Buch: das Wahre darin ist nicht neu, und das Neue ist nicht wahr. Repton hat das meiste Brauchbare dazu geliefert, es ist aber grösstentheils verkehrt angewandt worden.
Meyers Konversations-Lexikon
Garten (franz. Jardin, engl. Garden), ein Stück Land, auf welchem Gewächse mit besonderer Sorgfalt kultiviert werden, sei es ausschließlich zu ästhetischen Zwecken und zum Vergnügen oder um aus den Gewächsen Nutzen zu ziehen. Im letzten Fall spricht man von Nutzgärten, in denen Gemüse, Obst, Arzneigewächse ec. gebaut werden. Auch die Baumschulen, Samengärten, Handelsgärten gehören hierher, während die botanischen und Versuchsgärten zu wissenschaftlichen Zwecken unterhalten werden. Von den nur dem Vergnügen dienenden Lustgärten, bei deren Anlage, Ausschmückung und Unterhaltung mehr oder weniger eine gewisse künstlerische Idee maßgebend ist, unterscheidet man Blumengärten, Parkgärten oder Blumenparks und Parks oder Landschaftsgärten. Auch gehören hierher die öffentlichen Anlagen bei uns in Städten, auf Friedhöfen ec. Der Gartenbau hat, entsprechend diesen verschiedenen Zwecken, welchen die Gärten dienen, seine künstlerische, wissenschaftliche, praktische und gewerbliche Seite. Die Gärten weichen aber nicht nur nach ihrer Bestimmung von einander ab, sondern zeigen auch tief greifende Verschiedenheiten je nach Klima, Lage der betreffenden Länder und den Gewohnheiten der Völker. Im Süden legt man besonderen Werth auf Schatten und Wasser und begnügt sich mit kleinen Räumen, während in Mitteleuropa, Nordamerika, Japan und China die großen Landschaftsgärten ausgebildet worden sind, um Naturgenuß und Bewegung im Freien zu ermöglichen. In Betreff der Anlage von Gärten kommen die allgemeinen für den Pflanzenbau maßgebenden Regeln zur Geltung, und je nach der besonderen Art des Gartens wird man an Klima, Boden, Wasser ec. größere oder geringere Ansprüche zu machen haben. Der Park ist am genügsamsten; die intensive Gartenkultur kann zur Verbesserung des Bodens sehr wesentlich beitragen, und im kleinern Blumengarten sind alle hierzu dienlichen Mittel verwendbar, während der auf Erzielung von Nutzen bedachte Gemüsegärtner von vornherein einen bessern Boden zu suchen hat. Meist erhalten die Gärten Einfriedungen, welche je nach den Verhältnissen sehr verschieden ausgeführt werden. Womöglich trennt man auch bei kleineren Gartenanlagen stets den Nutzgarten vom Lustgarten. Die Kultur wird erleichtert, und man gewinnt an Schönheit, wenn man im Hausgarten dem verzierten Stück einen besondern Raum anweist und den Nutzgarten irgendwie versteckt. Die Lustgärten sind entweder regelmäßig (symmetrisch) oder unregelmäßig (landschaftlich) angelegt, oder es ist beides verbunden, wodurch man die größte Abwechselung erzielt und dem Durchschnittsgeschmack am meisten Rechnung trägt. Welche Anlage man zu wählen hat, hängt besonders von dem Platz und der Umgebung ab. Je kleiner der Gartenplatz, desto besser eignet er sich im allgemeinen zu einer regelmäßigen Anlage. (…) Mit der steigenden Größe tritt das Bedürfnis der Unregelmäßigkeit, der landschaftlichen Gestaltung ebenfalls erhöht auf; denn große Flächen können nie symmetrisch so geformt werden, daß nicht dieselben Linien und Figuren wiederholt vorkämen, während bei der landschaftlichen Anordnung, trotz der Anwendung derselben Bäume, Gruppen, Wiesenflächen und Blumen, die vorhandenen Aehnlichkeiten wegen veränderter Stellung nicht bemerkbar werden.
Hugo von Hofmannsthal
Es ist ganz gleich, ob ein Garten klein oder groß ist. Was die Möglichkeiten seiner Schönheit betrifft, so ist seine Ausdehnung so gleichgültig, wie es gleichgültig ist, ob ein Bild groß oder klein, ob ein Gedicht zehn oder hundert Zeilen lang ist. Die Möglichkeiten der Schönheit, die sich in einem Raum von fünfzehn Schritt im Geviert, umgeben von vier Mauern, entfalten können, sind einfach unmeßbar. Es können im Hof eines Bauernhauses eine alte Linde und ein gekrümmter Nußbaum beisammenstehen und zwischen ihnen im Rasen durch eine Rinne aus glänzenden Steinen das Wasser aus dem Brunnentrog ablaufen, und es kann ein Anblick sein, der durchs Auge hindurch die Seele so ausfüllt wie kein Claude Lorrain. Ein einziger alter Ahorn adelt einen ganzen Garten, eine einzige majestätische Buche, eine einzige riesige Kastanie, die die halbe Nacht in ihrer Krone trägt. Aber es müssen nicht große Bäume sein, sowenig als auf einem Bild ein dunkelglühendes Rot oder ein prangendes Gelb auch nur an einer Stelle vorkommen muß. Hier wie dort hängt die Schönheit nicht an irgendeiner Materie, sondern an den nicht auszuschöpfenden Kombinationen der Materie. Die Japaner machen eine Welt von Schönheit mit der Art, wie sie ein paar ungleiche Steine in einen samtgrünen, dicken Rasen legen, mit den Kurven, wie sie einen kleinen kristallhellen Wasserlauf sich biegen lassen, mit der Kraft des Rhythmus, wie sie ein paar Sträucher, wie sie einen Strauch und einen zwerghaften Baum gegeneinanderstellen, und das alles in einem offenen Garten von soviel Bodenfläche wie eines unserer Zimmer. Aber von dieser Feinfühligkeit sind wir noch weltenweit, unsere Augen, unsere Hände (auch unsere Seele, denn was wahrhaft in der Seele ist, das ist auch in den Händen). Immerhin kommen wir allmählich wieder dorthin zurück, wo unsere Großväter waren oder mindestens unsere naiveren Urgroßväter: die Harmonie der Dinge zu fühlen, aus denen ein Garten zusammengesetzt ist: daß sie untereinander harmonisch sind, daß sie einander etwas zu sagen haben, daß in ihrem Miteinanderleben eine Seele ist, so wie die Worte des Gedichtes und die Farben des Bildes einander anglühen, eines das andere schwingen und leben machen.
Ein alter Garten ist immer beseelt. Der seelenloseste Garten braucht nur zu verwildern, um sich zu beseelen. Es entsteht unter diesen schweigenden grünen Kreaturen ein stummes Suchen und Fliehen, Anklammern und Ausweichen, eine solche Atmosphäre von Liebe und Furcht, daß es fast beklemmend ist, unter ihnen allein zu sein. Und doch sollte es nichts Beseelteres geben als einen kleinen Garten, in dem die lebende Seele seines Gärtners webt. Es wollte hier überall die Spur einer Hand sein, die zauberhaft das Eigenleben aller dieser stummen Geschöpfe hervorholt, reinigt, gleichsam badet und stark und leuchtend macht. Der Gärtner tut mit seinen Sträuchern und Stauden, was der Dichter mit den Worten tut: er stellt sie so zusammen, daß sie zugleich neu und seltsam scheinen und zugleich auch wie zum erstenmal ganz sich selbst bedeuten, sich auf sich selbst besinnen. Das Zusammenstellen oder Auseinanderstellen ist alles: denn ein Strauch oder eine Staude ist für sich allein weder hoch noch niedrig, weder unedel noch edel, weder üppig noch schlank: erst seine Nachbarschaft macht ihn dazu, erst die Mauer, an der er schattet, das Beet, aus dem er sich hebt, geben ihm Gestalt und Miene. Dies alles ist ein rechtes ABC, und ich habe Furcht, es könnte trotzdem scheinen, ich rede von raffinierten Dingen. Aber ein jeder Blumengarten hat die Harmonie, die ich meine: seine Pelargonien im Fenster, seine Malven am Gatter, seine Kohlköpfe in der Erde, das Wasser dazwischenhin, und, weil das Wasser schon da ist, Büschel Schwertlilien und Vergißmeinnicht dabei, und, wenn’s hochkommt, neben dem Basilikum ein Beet Federnelken; das alles ist einander zugeordnet und leuchtet eins durchs andere. Gleicherweise hat jeder ältere Garten, der zu einem bürgerlichen oder adeligen Haus gehört, seine Harmonie, ich rede von Gärten, die heute mehr als sechzig Jahre alt sind: da hat jeder größere Baum seinen Frieden um sich und streut seinen Schatten auf einen schönen stillen Fleck oder auf einen breiten, geraden, rechtschaffenen Weg, die Blumen sind dort, wo sie wollen und sollen, als hätte die Sonne selbst sie aus der Erde hervorgeglüht, und der Efeu hat sich mit jedem Stück Holz und Mauer zusammengelebt, als könnte eins ohne das andere nicht sein. Das ist aber nicht bloß der edle Rost, den die Zeit über die angefaßten Dinge bringt, sondern auch die Anlage, deren selbstsichere Simplizität die paar Elemente der ganzen Kunst in sich hält.
Es hat nicht jeder einen alten Garten bei seinem Hause, und wer heute baut, soll nicht einen alten Garten kopieren, sondern ihm seine paar Wahrheiten ablernen. Wer heute einen Garten anlegt, hat eine feinfühligere Zeit darin auszudrücken, als die unserer Urgroßväter Anno Metternich und Bäuerle war. Er hat eine so merkwürdige, innerlich schwingende, geheimnisvolle Zeit auszudrücken, als nur je eine war, eine unendlich beziehungsvolle Zeit, eine Zeit, beladen mit Vergangenheit und bebend vom Gefühl der Zukunft, eine Generation, deren Sensibilität unendlich groß und unendlich unsicher und zugleich die Quelle maßloser Schmerzen und unberechenbarer Beglückungen ist. Irgendwie wird er mit der Anlage dieses Gartens seine stumme Biographie schreiben, so wie er sie mit der Zusammenstellung der Möbel in seinen Zimmern schreibt. Der Ausgleich zwischen dem Bürgerlichen und dem Künstlerischen (es gibt im Grunde nichts, was dem Dichten so nahesteht, als ein Stück lebendiger Natur nach seiner Phantasie umzugestalten), der Ausgleich zwischen dem Netten und dem Pittoresken, der Ausgleich zwischen dem Persönlichen und der allgemeinen Tradition, dies alles wird unseren neuen Gärten ihre nie zu verwischenden Physiognomien geben. Sie werden da sein und werden ganz etwas Bestimmtes sein, eine jener Chiffern, die eine Zeit zurückläßt für die Zeiten, die nach ihr kommen. Es werden Gärten sein, in denen die Luft und der freigelassene Raum eine größere Rolle spielen wird als in irgendwelchen früheren Zeiten. Nichts wird ihre ganze Atmosphäre so stark bestimmen als die überall fühlbare Angst vor Überladung, eine vibrierende, nie einschlafende Zurückhaltung und eine schrankenlose Andacht zum Einzelnen. Es wird unendlich viel freie Luft nötig sein, um diesem Trieb für das Einzelne so stark nachzuhängen, als er mächtig sein wird. Denn er wird zunächst die ganze Sensibilität dessen ausfüllen, der einen Garten anlegt. Fürs erste wird nichts da sein als ein unendlicher Hunger und Durst nach dem Erfassen der einzelnen Elemente der Schönheit. Man wird sich besinnen, daß man niemals den einzelnen Strauch genossen hat, niemals die einzelne Staude, niemals die einzelne Blume, kaum jemals den einzelnen Baum. Denn immer hatte die Gruppe den einzeln blühenden Strauch verschlungen, das Boskett alles zu einem formlosen Knäuel von Grün vermengt. Die Reaktion gegen diesen gärtnerischen Begriff der »Gruppe« wird heftig sein und von unberechenbarer Fruchtbarkeit, denn man wird erkennen, daß die »Gruppe« den ganzen Reiz der individuellen und so bestimmten Formen verschluckt hat, um an seine Stelle ihre eigenen schablonenhaften Formen zu setzen.
Die Gärtner der neuen Gärten aber werden für sich mit Leidenschaft zunächst die einfachsten Elemente, die geometrischen Elemente der Schönheit, wiedererobern. Dieser Leidenschaft wird fürs erste alles andere weichen, selbst das Bedürfnis nach Schatten. Man möchte schon heute wünschen, es möge die Periode nicht zu kurz sein, in der eine frisch geweckte Feinfühligkeit sich satt trinkt an der Schönheit des Einzelnen: die gefühlte Form eines überhängenden Busches, die gefühlte Form des noch blütenlosen Schaftes der Taglilie, die gefühlten Formen der einzelnen Rispe, der einzelnen Staude, des einzelnen Blümchens, gefühlt mit der äußersten Intimität des Mannes, der jeden Keim in seinem Garten kennt, an jedes glänzende Blatt mit dem Auge gerührt, jeden jungen Trieb in zarten Fingern gewogen und um seine Kraft gefragt hat: auf diesen Elementen wird die zarte, zurückhaltende Harmonie des neuen Gartens ruhen, und die Farbe wird nur das Letzte an Glanz hineinbringen wie das Auge in einem Gesicht. Eine nie aussetzende respektvolle Liebe für das Einzelne wird immer das Besonderste an diesem Garten sein. Nicht leicht wird sich die Farbe eines leuchtenden Beetes wiederholen, und ein schön blühender Strauch wird nirgends da und dort seinen Zwillingsbruder haben.
Ich weiß nicht, was bedeutender und schöner sein kann, als wenn den noch mächtigen, starrenden Strunk eines abgestorbenen Baumes eine wuchernde Rose oder eine dunkelrote Klematis überspinnt; dies ist ein Anblick, in dem etwas Sentimentales sich mit einem ganz primitiven Vergnügen mischt, das Tote vom Leben zugedeckt zu sehen. Aber wenn ich das in einem Garten dreimal finde, so ist es degradiert, und mir wäre lieber, man hätte den Strunk ausgehauen und die Rose an der Stallmauer hinaufgezogen. Ich weiß aus der Zeit, da ich fünf Jahre alt war, was für die Phantasie eines Kindes der Strauch mit den fliegenden Herzen ist. Wären ihrer sechs davon in dem Garten gewesen statt des einen, der in einer Ecke stand, unweit eines alten, unheimlichen Bottichs, unter dem die Kröte wohnte, aus den sechs hätte ich mir wenig gemacht: der eine war mir wie der Vertraute einer Königstochter. Wir dürfen in diesen Dingen keine abgestumpftere Phantasie haben als ein fünfjähriges Kind und müssen fühlen, wie die Vielzahl ein Zaubermittel ist, das wir brauchen dürfen, um den Rhythmus zu schaffen, das aber alles verdirbt, wo wir sie gedankenlos wuchern lassen.
Blütenduft berauscht, von Blume zu Blume fliegt; nein, er wird ein Regenwurm, der in allen geheimnisvollen stickstoffhaltigen und würzigen Genüssen der Erde schwelgt.
Jetzt im Frühling lockt unwiderstehlich der Garten. Kaum haben die Gärtner den Suppenlöffel aus der Hand gelegt, sind sie auch schon bei ihren Beeten anzutreffen, das Hinterteil zum strahlenden Himmel erhoben; hier zerreiben sie eifrig einen Klumpen Erde Zwischen den Fingern, dort pressen sie ein kostbares Stück vorjährigen Mistes an die Wurzeln einer Pflanze, da zupfen sie Unkraut, dort klauben sie Steine auf; hier wieder lockern sie die Erde um die Erdbeeren herum, kurz darauf bücken sie sich, die Nase am Boden, vor einigen Salatpflanzen und streicheln verliebt über die zarten Wurzeln. In dieser gebückten Lage genießen sie den Frühling, während über ihnen die Sonne im feierlichen Fluge um die Erde kreist, die Wolken vorübereilen und die himmlische Vogelschar sich paart. Schon erschließen sich die Kirschblüten, die jungen Blätter entfalten ihr zartes Grün, die Amseln schnippen verliebt; da richtet sich nun der echte Gärtner auf, streckt seinen Rücken und seufzt tiefsinnig: »Im Herbst muß ich tüchtig düngen und mehr Sand zugeben.«
Aber es gibt auch Augenblicke, wo sich der Gärtner zu seiner ganzen Größe aufrichtet und wächst: und das ist die Stunde, wo er seinem Garten die heilige Handlung des Gießens erteilt. Da steht er hoch aufgerichtet und gleichsam erhaben und lenkt das Wasser aus dem Hydranten; das erfrischende Naß ergießt sich in silbrigem rauschendem Strahl, der aufgelockerten Erde entströmt ein duftender Atem von Feuchtigkeit, jedes Blatt wuchert gleichsam ins Grüne und glänzt wohlgefällig vor lauter Freude, daß man es anbeißen möchte. »Aber nun ist es genug«, flüstert der Gärtner verklärt; damit meint er weder den mit Blüten übersäten Kirschbaum noch die rote Johannisbeere, er denkt dabei nur an die braune Gartenerde.
Und während die Sonne langsam versinkt, sagt der Gärtner, auf dem Gipfel der Zufriedenheit angelangt: »Aber heute habe ich mich geplagt!«
Johann Wolfgang Goethe