Roman Israel erzählt, wie es dazu kam, dass er seinen Besitz abwarf und loszog, um mit einem Koffer auszukommen. In mehreren Kapiteln erforscht er die verschiedenen Stadien seines persönlichen Nomadentums in der Stadt und auf dem Land, zwischen Prag, Görlitz, Bautzen, Dresden, Leipzig, Berlin, und gibt Tipps für notwendige und praktische Regelungen, etwa zum angemeldeten Wohnsitz, zu Versicherung, Fortbewegung, aber auch zu Beziehungen und Wohnungssuche. Mit einem Exkurs zum Nomadismus im Allgemeinen und vielen Anekdoten aus dem nomadischen Alltag. Minimalismus, nicht als Trend, sondern als Lebensmotto!
Roman Israel gehört den folgenden Lesebühnen an: Sax Royal in Dresden, Book Brothers in Leipzig und ab 2019 Reformbühne Heim & Welt in Berlin.
Roman Israel
Minimal ist besser
Vom süßen Leben ohne Besitz
ein mikrotext
Erstellt mit Booktype
Coverdesign: Inga Israel
Covertypo: PTL Attention, Viktor Nübel
www.mikrotext.de – info@mikrotext.de
ISBN 978-3-944543-70-3
Alle Rechte vorbehalten.
© mikrotext 2018, Berlin
Roman Israel
Minimal ist besser
Vom süßen Leben ohne Besitz
„So allein geht es“, sagen wir. Es geht aber auf so vielerlei Weise.
Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
Seit mehr als zwei Jahren lebe ich als Nomade und ziehe von Stadt zu Stadt, von Zwischenmiete zu Zwischenmiete. Ich besitze kaum mehr als einen Koffer mit Klamotten und einen Laptop. Begonnen hat alles einmal mit Konsumverzicht und der Beschränkung auf die Dinge, die ich unmittelbar zum Leben brauche. Deswegen wird es hier auch um Sparsamkeit und Minimalismus gehen. Minimalismus und Nomadentum sind nämlich eng miteinander verknüpft. Von der Entscheidung sich auf das Lebensnotwendigste zu beschränken, ist es nur ein kleiner Schritt dahin, irgendwann auch noch die eigene Wohnung aufzugeben.
Einst als Gegenentwurf zur Konsumgesellschaft angedacht, ist minimalistisch zu leben heute im Mainstream angekommen. Sich auf wenige, aber dafür qualitativ hochwertige Konsumgüter zu beschränken, wird von Trend- und Lifestyle-Magazinen als hip und wohltuend für Körper und Seele beschrieben. Dagegen steht man einem nomadischen Lebensstil zumindest in Deutschland eher skeptisch gegenüber. Es hieße Sicherheiten aufzugeben, Risiken einzugehen und große Unwägbarkeiten auf sich zu nehmen, und das, wo mancher hierzulande sein Leben bereits mit Abschluss der Ausbildung bis zur Rente durchgeplant hat und später vor allem eins, gut abgesichert sein möchte.
Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Menschen weltweit oder in Europa nomadisch leben. Schon allein weil die Begriffe „Nomade“, „Nomadentum“ und „nichtsesshaftes Leben“ sehr vielfältig verwendet werden. Als Nomaden bezeichnet man landläufig Menschen, die aus ökonomischen Gründen gezwungen sind, eine nichtsesshafte Lebensweise zu führen, wie beispielsweise einige Reiter- und Hirtenvölker in der Mongolei oder in Afrika. Menschen, die aus kulturellen oder weltanschaulichen Gründen nicht sesshaft sind, werden dagegen normalerweise nicht zu den Nomaden gezählt1. Trotzdem findet das Wort „Nomade“ auch in den Begriffen „Mietnomade“ und „Jobnomade“ Verwendung oder wird im Zusammenhang mit Menschen benutzt, die permanent auf Reisen sind oder häufiger ihren Wohnort wechseln. Außerdem ist in letzter Zeit immer häufiger von einem sogenannten digitalen Nomadentum die Rede. Als digitale Nomaden bezeichnet man Menschen, die ihre Erwerbsarbeit vorwiegend über das Internet verrichten und gleichzeitig ein nichtsesshaftes Leben führen, indem sie beispielsweise in Hotels übernachten oder die Möglichkeiten von Airbnb nutzen. In dieser Hinsicht könnte man auch mich ein Stück weit dem digitalen Nomadentum zurechnen, da ich ebenfalls davon profitiere, dass mich das Internet ortsunabhängig arbeiten lässt.
Dieses E-Book ist ein Erfahrungsbericht. Ich beschreibe darin meine persönlichen Nomaden-Erlebnisse und hinterfrage meine Vorstellungen von Besitz und Heimat. Wer meinem Beispiel folgen möchte, findet hier einige Anregungen. Anderen gibt dieser Bericht vielleicht Gelegenheit, das eigene Lebensmodell zu bestätigen oder infrage zu stellen.
Ich erläutere, wie es zu meiner Entscheidung gekommen ist, auf eine Vielzahl von Annehmlichkeiten im Leben inklusive einer eigenen Wohnung zu verzichten. Was mich angetrieben hat. Welchen Vorteil ich davon habe. Wie sich für mich die Begriffe „Besitz“ und „Heimat“ geändert haben. Wo es sich besser leben lässt, wenn man keine eigene Wohnung hat, in der Stadt oder auf dem Land. Wie ich mich organisiere. Wie ich eine Unterkunft finde, bis hin zu den kleinen Malheurs, die mir unterwegs passiert sind. Was dieses Leben mit mir gemacht hat. Wie es mich verändert hat. Ob es Fluch oder Segen ist. Ob es die erhoffte große Freiheit mit sich gebracht hat oder doch eher eine Schnapsidee war.
Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler (Hrsg.): Nomaden, Flaneure, Vagabunden: Wissensformen und Denkstile Der Gegenwart. Wiesbaden, 2006. S. 11–13.
Besitz hat für jeden eine andere Bedeutung. Ich möchte mir hier eine allgemeine Definition ersparen (da Wikipedia, siehe dort) und stattdessen von mir selbst ausgehen. Besitz kommt für mich ein Stück weit von „besessen sein“. Besessen sein von der Idee, es könnte einem überhaupt irgendetwas gehören. Dabei gehört uns nicht einmal unser eigener Körper. Alle Atome, aus denen wir bestehen, sind uns nur geliehen, und der Tod wird diesen Leihvorgang eines Tages wieder rückgängig machen. Wir geben alles zurück. Selbst unsere Erinnerungen. Wozu also überhaupt etwas besitzen wollen?
Zuallererst möchte ich mich daran erinnern, was sich einmal alles in meinem Besitz befand, bevor ich mich entschied, es loszuwerden.
Da war als erstes mein Fahrrad: weder schön, noch besonders komfortabel. Wenn ich in eine Verkehrskontrolle hineingekommen wäre, hätten es findige Polizeibeamte höchstwahrscheinlich als verkehrsuntauglich eingestuft. Trotzdem vermisse ich es manchmal, weil es das einzige Rad war, von dem mir nachher nicht Knie und Rücken wehtaten. Allerdings habe ich mich von ihm nicht freiwillig getrennt. Es wurde mir bereits wenige Tage, nachdem ich aus meiner alten Wohnung ausgezogen war, aus dem Hinterhof meiner ersten Unterkunft geklaut, obwohl es an einem Geländer angeschlossen war. Das Fahrrad war nicht besonders wertvoll, aber es hätte mir so manchen Weg verkürzen können. Da das aber nicht das erste Rad war, das mir in meinem Leben gestohlen wurde, beschloss ich, mir vorerst kein neues zu besorgen. Stattdessen versuchte ich, alle meine Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Denn die konnten nicht gestohlen werden, und wenn doch, dann war das nicht mein Problem.
Als nächstes: meine Schallplattensammlung. Ich sammelte Jazz, frühen Rock und Klassik. Einige wenige LPs befinden sich zusammen mit meinem Plattenspieler in einer Kiste, die jetzt auf dem Dachboden meiner Eltern steht. Den Rest der Sammlung habe ich verschenkt. Oder weggeworfen. Manchmal denke ich wehmütig an die Zeit zurück, als ich auf dem Sofa liegen und meinen Platten lauschen konnte. Aber es ist nicht so, dass ich das jetzt nicht mehr könnte. Heute kann man jede Art von Musik übers Internet hören. Der Klang ist zwar manchmal grauenhaft blechern, weil mein Laptop, auf dem ich übrigens auch diesen Text hier schreibe, nicht mehr das neueste Modell ist, und ich aus Platzgründen keine zusätzlichen Lautsprecher besitze, die ihn verbessern könnten. Aber dann fallen mir jene Menschen ein, die früher Musik übers Grammophon gehört haben. Der Grammophonklang war ebenfalls gewöhnungsbedürftig, und heute gibt es Menschen, die ihn gerade deswegen cool finden. Aus einem ähnlichen Grund habe ich meine Schallplatten gehört. Eben weil die Platte manchmal eierte und die Nadel so schön knisterte. Ich stelle mir gerade vor, wie zukünftige Generationen ihre Musik über die Lautsprecher eines alten Laptops hören und zwar wegen des blechernen, verzerrten Klangs.
Dann waren da meine Bücher. Ich besaß fünf Regale voll. Bücher, die mir Kollegen geschenkt hatten, Belegexemplare eigener Veröffentlichungen, Lyrikbände, Romane, antiquarische Bücher. Ich hatte sie über die Jahre zusammengesammelt. Auch Schulbücher waren darunter und einige Kinderbücher, aus denen mir meine Eltern früher vorgelesen hatten. Als ich mit dem Aussortieren begann, versuchte ich pragmatisch an die Sache heranzugehen. Ich fragte mich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass ich eines Tages je wieder in dieses oder jenes Buch hineinsehen würde? Auch bei den Kinderbüchern ging ich so vor. Ich überlegte, wann ich das letzte Mal eines davon in die Hand genommen hatte, um mich beispielsweise an meine eigene Kindheit zu erinnern. Meine Kindheit war schön. Ich habe mich sehr behütet gefühlt. Ich bin in einer Kleinstadt in der Oberlausitz an der tschechischen Grenze aufgewachsen. Es gab riesige Felder, die man durchstreifen, und Wälder, in denen man Buden bauen konnte. Es gab viel zu entdecken, und ich spielte zusammen mit anderen Kindern weit weg von zu Hause. Kein Erwachsener weit und breit, mitten in der Natur. Ich genoss es damals schon, viel unterwegs zu sein. Doch wenn ich mich daran erinnern wollen würde, brauchte ich doch dafür meine Bücher nicht.