Peter Altmann/Soham Al-Suadi
Essen und Trinken
Herausgegeben von
Alexandra Grund-Wittenberg und Markus Öhler
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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Umschlagmotiv: Römisches Mosaik mit der Darstellung von Lebensmitteln, Rom, Vatikanische Museen; © der Vorlage: akg / Science Photo Library
ISBN 978-3-641-16556-7
V001
www.gtvh.de
Inhalt
TEIL I
EINLEITUNG
ESSEN UND TRINKEN IM BIBLISCHEN ZEITALTER
1. Verortung des Themas in der Bibel
2. Anthropologie des Essens
3. Quellen
TEIL II
ESSEN UND TRINKEN IM ALTEN TESTAMENT
4. Verortung der Esskultur Israels im Alten Orient
a) Das alltägliche Essen im antiken Israel
Lebensmittel
Das alltägliche Essen und Trinken
Nahrungszubereitung
Zu Tisch: Geschirr und Besteck
b) Einflüsse aus den umliegenden Ländern
Mesopotamien
Syrien
Ägypten
Persien und Griechenland (spätere Entwicklungen)
5. Hunger und Hungersnot
6. Organisationsformen (Wie man isst)
a) Form und Funktion göttlicher und königlicher Mähler
Grundlegende Charakteristika
Die Zuteilung von Vorzugsstücken
b) Das Siegesmahl
c) Mähler zu Einsetzungs- und Einweihungsfeierlichkeiten
d) Gastfreundschaft
e) Opfer-, Jahres- und Pilgerfeste
Opfermahl
Der Zehnte und das erstgeborene Tier
Isst JHWH mit?
7. Sexualität und Speise
a) Hoheslied
b) Sprüche Salomos
c) Sexualität und und Verzehr in Erzählungen
8. Theologie, Ethik und Identität
a) Werte und Normen
b) Speisegebote
c) Essen mit JHWH im Gegensatz zu Essen mit Götzen
d) Weitere Gefährdungen durch Essen und Trinken
e) Fasten: Wann man nicht essen soll
9. Zusammenfassung
TEIL III
ESSEN UND TRINKEN IM NEUEN TESTAMENT
10. Verortung der Esskultur im neutestamentlichen Zeitalter
a) Kontinuitäten und Wechsel im neutestamentlichen Zeitalter
b) Der hellenistische Kulturraum und das gemeinschaftliche Mahl
c) Lebensmittel und Getränke im griechisch-römischen Mittelmeerraum
d) Organisationsformen
11. Form und Funktion des hellenistischen Gemeinschaftsmahls
a) Grundlegende Charakteristika der Form
b) Teilnehmerinnen und Teilnehmer
c) Gastgeber und Symposiarch
d) Frauen und Männer – Sexualität und Intimität
e) Sklaven und andere Dienstleister
f) Sitzordnung
g) Verhalten während des Mahls
Beten
Singen und Unterhaltung
h) Religiöse Vielfalt unter den Teilnehmern?
12. Verlauf des Mahls
a) Vorbereitungen
b) Essen / Lebensmittel
c) Einladung
d) Waschungen und Salbungen
e) Deipnon / Symposium
f) Libation
Das letzte Mahl Jesu bei Markus und Matthäus
Das letzte Mahl Jesu bei Lukas und Paulus
13. Theologie und Identität
a) Gemeinschaft, Frieden, Liebe
b) Fasten
c) Gesundheit
d) Sicherheit: Vaterunser
e) Himmlisches Mahl
14. Zusammenfassung
Glossar
Literatur
Anmerkungen
TEIL I
EINLEITUNG: ESSEN UND TRINKEN IM BIBLISCHEN ZEITALTER
1. Verortung des Themas in der Bibel
Und Gott sprach: Seht, ich gebe euch alles Kraut auf der ganzen Erde, das Samen trägt, und alle Bäume, an denen samentragende Früchte sind. Das wird eure Nahrung sein.
(Gen 1,29)1
Essen und Trinken, Mähler, Speisen und Mahlzeiten, aber auch das Leiden an Nahrungsmangel finden sich von den ersten Kapiteln der Bibel bis zu ihren letzten: So werden den am sechsten Tag geschaffenen Tieren und Menschen die Pflanzen, ihre Körner und ihr Obst als Speise zugeteilt (Gen 1,29-30). Das erste Vergehen gegen Gott im Garten Eden ist die Missachtung einer Speisevorschrift: nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen (Gen 2,17; 3,6). Auch eine der ersten Strafen bezieht sich auf das Essen: In seinem Versuch, Nahrung zu erlangen, muss der Mensch nun mit Mühe arbeiten, und es wird ihm gesagt, dass er dabei Rückschläge erleiden wird (Gen 3,17-19). Am Ende der Bibel (Apk 22) kehrt der Anklang an den Garten Eden wieder zurück, aber nun tragen die Bäume des Lebens monatlich ihre Frucht (V.2), und die Einwohner dieser ewigen Stadt – des heiligen Jerusalem – dürfen die Früchte essen (V.14) und vom Wasser des Lebens (V.17) trinken (vgl. Ez 47,1-2). Drei Kapitel früher beschreibt eine weitere Darstellung der eschatologischen Freude diese als »Hochzeitsmahl des Lammes« (Apk 19,9), das sicherlich mit einem reichlich gedeckten Tisch vorzustellen ist.
Trotz der wichtigen Rolle, welche Essen und Trinken an beiden Enden der Bibel, aber auch »dazwischen« spielt, ist dieses selten ein Forschungsthema in der Bibelwissenschaft und der Theologie gewesen, wenn man von den Debatten über die Bedeutung der Einsetzungsworte »Das ist mein Leib für euch« (1Kor 11,24b) mit seinen ähnlichen Formulierungen in den synoptischen Evangelien absieht. Das Desinteresse am menschlichen Essen, das als Thema immerhin ziemlich häufig in der Bibel erscheint, kann als Ausdruck eines mangelnden Interesses der westlichen christlichen Theologie an der Materialität der Lebenswelt, die hinter den biblischen Texten steht, verstanden werden. Dies hat sich erst in den letzten Jahrzehnten mit der steigenden Beachtung der kulturellen, sozialen und politischen Bedeutung von Mählern in der Theologie und der christlichen Praxis geändert, sodass auch die Untersuchungen zu der in den biblischen Texten zum Ausdruck kommenden Materialität des Lebens der Menschen im Alten Israel zugenommen haben. Vieles dieser Materialität ist mit metaphorischen Darstellungen von Essen und Trinken verbunden; dem wird sich dieser Band widmen.
2. Anthropologie des Essens
»Der Mensch ist, was er ißt«2, hat Ludwig Feuerbach bekanntlich geschrieben. Vor den 1980er Jahren haben sich Studien über das menschliche Essen und Trinken hauptsächlich auf die Kalorienzufuhr und Speisegebote verschiedener Kulturen beschränkt: Es ging um das »Was« des Essens und Trinkens.3 Erst in den letzten Jahrzehnten ist eine Flut wissenschaftlicher Untersuchungen zum Essen und Trinken entstanden, die sich mit den zahlreichen sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Aspekten des Themas auseinandersetzen.4 Neu hinzugekommen sind also neben dem »Was« das »Wie«, »Wann«, »Wo« und »Mit wem«.
Diese Verschiebung der Fragestellung ist auch an der Theologie und den Bibelwissenschaften nicht vorübergegangen, und so haben beide ein explosionsartiges Wachstum an Arbeiten zum sozialen Wesen von Mahlpraktiken erlebt5. In ihnen wird nun der Einsicht Rechnung getragen, dass Mähler und ihre Gestaltung eine hohe soziale und auch symbolische Bedeutung haben und nicht nur »Treibstoff« für den menschlichen Körper sind. So wurde die Perspektive auf die Menschen neu gewonnen, darauf, wie sie sich verstehen: ihre Selbstwahrnehmungen, Zugehörigkeiten, Affinitäten und Verknüpfungen. All dies drückt sich beispielsweise durch die Wahl von Mahlpartnerinnen und Mahlpartnern aus: Ein Mensch »ist« nicht nur, was er isst, sondern er »ist« auch, mit wem er isst (und trinkt).
Einen entscheidenden Anstoß zu dieser Neuorientierung der Forschung gab der Anthropologe J. Goody, der sich in seiner Studie »Cooking, Cuisine and Class«6 mit den tieferen Bedeutungen von Mählern jenseits des reinen Erwerbs und der Verteilung von Nahrungsmitteln beschäftigt hat. Eine entscheidende Einsicht seiner Untersuchung für die Bibelwissenschaft ist, dass Mähler auch in Kulturen ohne elitäre Küche wie dem antiken Israel als ein grundlegendes Zeichen von sozialer Differenzierung von Gruppen, aber auch zu individueller Identitätsformierung dienen.
Ein zweiter Anstoß, ebenfalls aus der Kulturanthropologie, stammt von M. Douglas, die die Überschneidung zwischen rituellen und festlichen Mählern mit alltäglichen Mahlzeiten herausgestellt hat, auch wenn bei rituellen und festlichen Mählern versucht wird, sie von alltäglichen und einfachen Mahlzeiten abzusetzen.7 Anders gesagt: Auch wenn es unterschiedliche Mahltypen gibt, weist ein »normales« Mahl in vielerlei Hinsicht eine große Ähnlichkeit mit einem festlichen Mahl auf, schon allein um die »Grammatik« eines Mahles innerhalb einer bestimmten Kultur verständlich zu machen (s.u., 11. Form und Funktion des hellenistischen Gemeinschaftsmahls).
Dennoch gibt es Unterschiede zwischen Mählern, insbesondere zwischen alltäglichen und festlichen. Doch erst in der jüngeren anthropologischen und bibelwissenschaftlichen Forschung sind Untersuchungen dazu entstanden, wer von festlichen Mählern profitiert – und auf welche Art. So stellt sich die Frage, weshalb ein Herrscher ein Bankett veranstaltet, wenn er den Thron besteigt (zum Beispiel Salomo in 1Kön 3,15), oder warum das gemeinsame Essen Jesu mit »Zöllnern und Sündern« in Mk 2,13-18 so viele Probleme verursacht. Drei Fragen können hier weiterführen: (1) Möchte die Gastgeberin oder der Gastgeber durch das Einladen der »richtigen« Leute zu einem besonderen Mahl Sozialkapital erwerben und gesellschaftlich aufsteigen? (2) Oder versucht eine Gruppe eine andere auszuschließen, indem sie nur bestimmte Personen einlädt und andere nicht? (3) Möchte eine Gastgeberin oder ein Gastgeber seine oder ihre Position gegenüber Untergeordneten bekräftigen, indem sie / er ihnen etwas gibt (beispielsweise ein Mahl), was sie nicht »zurückzahlen« können?8 All dies kommt in den biblischen Texten über Essen und Trinken vor, und dies durchaus auch auf verschiedenen Ebenen. So kann Gott die Rolle des göttlichen Königs übernehmen, der als Patron für sein Klientel ein großzügiges Bankett gibt. Das Essen und Trinken mit einer bestimmten Gruppe (bei gleichzeitigem Ausschließen anderer) steht im Zentrum der Gebote, in denen es um das Feiern kultischer Feste ausschließlich für JHWH und ebenso ausschließlich an seinem Heiligtum und gerade nicht an anderen Heiligtümern oder zur Ehrung anderer Gottheiten geht. Schließlich kann ein Gastgeber, sei es JHWH oder ein Mensch, mit einem großen Fest seine eigene Anerkennung von Schlüsselgruppen und -figuren in der Gesellschaft zu erlangen versuchen. Beachtet man solche symbolischen Dynamiken in der Untersuchung des Essens und Trinkens in biblischen Texten, wird das Lesen reich belohnt, wie die folgenden Abschnitte aufzeigen möchten.
3. Quellen
Es freute sich der allmächtige Baal: … Er schlachtete Ochsen und Kleintiere, er schlug nieder Stiere und herrliche Mastschafe, Kälber von einem Jahr, ausgesonderte Böcklein, Zicklein. Er lud seine Brüder in sein Gebäude ein, seine Verwandten in den Palast.
(aus der Schilderung eines göttlichen Festmahls im ugaritischen Baal-Zyklus, 1.4.VI, Z. 35-36.40-45; s. Glossar)9
Da befahl der edle Keret, er erhob seine Stimme und rief: »Höre, oh Dame, Churiya! Schlachte ein Lamm, denn ich will essen, eine Köstlichkeit, denn ich will speisen!« Es gehorchte die Dame Churiya. Sie schlachtete ein Lamm und er aß, eine Köstlichkeit und er speiste.
(Ausschnitt aus dem Keret-Epos (1.16.VI.14-21), in dem der König Keret Churiya befahl, ein Festmahl für Mot, den Gott des Todes, vorzubereiten)10
Um die Küche und die kulinarischen Bräuche der biblischen Länder und ihrer Umgebung zu verstehen, steht eine Reihe von Quellen zur Verfügung. Einige davon entstammen der Bibel, andere finden sich in Texten, ikonographischen Darstellungen und archäologischen Funden aus den benachbarten Ländern.
Die bekannteste Informationsquelle ist natürlich die Bibel selbst, doch kommen in ihr weder die gesamte kulinarische Fülle noch die Vielfalt an Mahlbräuchen und Speisegewohnheiten der Menschen zum Ausdruck. Das liegt daran, dass die Beschreibung von Mahl- und Küchenpraktiken nicht im Vordergrund des Interesses der biblischen Texte steht. Obwohl das Essen und Trinken in vielen biblischen Erzählungen, Prophezeiungen, Briefen und weiteren literarischen Gattungen breiten Raum einnimmt, kommen sie dort zumeist nur als Nebenaspekte vor. Wir erhalten nur wenig Hintergrundinformationen – und das betrifft leider auch die Informationen, die wir bräuchten, um beispielsweise die Bedeutung der Auswahl gewisser Speisen oder von Mahlbräuchen zu verstehen. Daher ist es unerlässlich, weitere Quellen zu befragen.
Abb. 1: Fernhandelswege im Vorderen Orient
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Die wichtigsten Quellen sind sicherlich die außerbiblischen Texte aus Israel und Juda. Aber auch Schriftfunde aus den umliegenden Kulturen, wie Ägypten, Ugarit (eine Hafenstadt in Nordsyrien um 1400 v. Chr.) und den mesopotamischen Regionen von Assyrien und Babylonien, können einen Eindruck vermitteln. Aus diesem geografischen Bereich gibt es beispielsweise Belege für die Zuteilungen von Essensrationen, die den alltäglichen Verbrauch von Tempeldienern oder Soldaten zu erkennen geben. Aber auch die Mythen dieser Gesellschaften stellen Speisen und Mahlbräuche dar. Zwar handelt es sich bei den Akteuren in Mythen um Gottheiten und nicht um Menschen, aber gerade deshalb zeigen sie, was unter Menschen als begehrenswert galt. Andere Texte berichten über die verschiedenen Arten von Opfergaben an Tempeln, die den Priestern und anderen religiösen Funktionären als Unterhalt dienten. Schließlich werden luxuriöse Speisen und Getränke in königlichen Annalen und sogar in überlieferten Rezepten erwähnt. Bemerkenswert ist zudem, dass einige Dokumente die politische Bedeutung von Mählern darstellen, indem sie zeigen, wie Mähler die Bindung zwischen Verbündeten herstellen und aufrechterhalten. Aus späteren Epochen als die altorientalischen Texte stammen die Berichte griechischer Verfasser wie Xenophon und Herodot, welche die Feste für die persischen Herrscher als umfangreich und luxuriös beschreiben.
Zur Zeit des zweiten Tempels und im frühen Christentums dienen neben den Schriften des Neuen Testaments sowie Philon und Josephus vor allem rabbinische Texte (u.a. Babylonischer Talmud, Tosefta) und die Schriften des frühen Christentums (u.a. apokryphe Evangelien und Akten, Origenes, Clemens von Alexandrien, die Didache, Ignatius und Tertullian) als Quellen zur historischen Rekonstruktion der Bedeutung und der Vollzüge bei Mählern. Darüber hinaus sind auch hellenistisch-römische Autoren heranzuziehen, beispielsweise Athenaios, Cicero, Dio Chrysostomus, Diogenes Laertios, Lukian, Plinius, Plutarch, Seneca, Tacitus und Xenophon. Von immer größerer Relevanz werden sogenannte »materielle« Texte: Inschriften und Papyri (z.B. das Corpus inscriptionum latinarum, die Inscriptiones graecae oder die Oxyrhynchus Papyri), bei denen es sich um besonders wertvolle Quellen handelt, weil sie einen Einblick in das Alltagsleben geben und damit die Lebenswelt wiedergeben, auf die sich die biblischen Texte beziehen.
Neben den Texten spielen auch ikonographische Darstellungen eine zentrale Rolle. Für die alttestamentarische Zeit handelt es sich um die Ikonographie Ägyptens, Syriens und Mesopotamiens und für die neutestamentarischen Texte um diejenige aus dem griechisch-römischen Kontext. Doch ist bei ikonographischen Darstellungen zu beachten, dass Speisen und Getränke nicht naturalistisch dargestellt werden, sondern ein äußerst stilisierter Blick auf die Lebensmittel und insbesondere auf deren Verzehr geboten wird. So zeigen Reliefs und Wandmalereien in altägyptischen Gräbern die bedeutende Funktion des Essens und Trinkens in den Vorstellungen der ägyptischen Gesellschaft über das Jenseits.
Abb. 2: Grabstele von Intef und Senettekh, um 2065-2000 v. Chr., Brooklyn Museum, Charles Edwin Wilbour Fund
Brooklyn Museum, Charles Edwin Wilbour Fund
Die Gegensätze zwischen dem reichen Leben der Ägypter in ihrem fruchtbaren Land und ihrem negativ geprägten Verständnis von der Existenz außerhalb des Kulturlandes am Nil werden herausgestellt durch starke Ägypter, die die Früchte der vom Nil bewässerten Region tragen, gegenüber verhungernden Nomaden, die weit entfernt von solcher Fruchtbarkeit leben (s.u., 5. Hunger und Hungersnot). Ein ähnliches Bild bietet sich in neuassyrischen Palästen, in denen die Wände mit zahlreichen Fruchtbarkeitsbildern bedeckt sind. Dazu zählen auch Szenen mit Kriegsbeute, die Tiere für die Tafeln der Könige und Götter zeigen. Dabei werden Opfer- und Festszenen oft in nächster Nähe zu Siegesszenen dargestellt, in denen die Beute in Empfang genommen wird. So gibt es aus der persischen Zeit in den Ruinen des achämenidischen (persischen) Palastes in Persepolis (Iran), des sogenannten Apadana, Darstellungen von Tributträgern, die aus dem gesamten Reich begehrte Güter herbeibringen, die zumeist für den Konsum am Hof bestimmt sind.
Abb. 3: Eine Delegation an der östlichen Treppe der Apadana
Wikimedia Commons, Phillip Maiwald
Schließlich treten noch neben die Ikonographie, deren Zeugnisse wir ja der Archäologie verdanken, die weiteren Funde archäologischer Forschungen. Sie stellen zu dem Text- und Bildmaterial eine wichtige Ergänzung dar. Denn mit Ausnahme der oben erwähnten Zuteilungsbelege konzentrieren sich die Darstellungen der biblischen und nicht-biblischen Texte genauso wie die der Ikonographie auf bestimmte Mahltypen, die zudem eng mit der gesellschaftlichen Elite (s. Glossar) verbunden sind. So ermöglichen die Entwicklungen in der Archäologie in den letzten zwei Jahrzehnten, insbesondere durch die Einbindung der Zooarchäologie (die Untersuchung von Tierresten) und der Paläobotanik (die Untersuchung von Pflanzenrückständen) wichtige Erkenntnisse auch über die Ernährung der breiten Masse der antiken Menschen, die sich nicht in Bildern oder Texten äußern konnten. Für die biblische Welt ist dies auch deshalb von besonderem Interesse, weil es aus Israel-Palästina fast keine ikonographischen und nur wenige Textzeugnisse aus der alttestamentlichen Zeit gibt, sodass diese neuen Forschungszweige zugleich auch regional die Perspektive erweitern und einen Blick auf den Speisezettel der Menschen im alten Israel erlauben.
So ermöglicht die Zooarchäologie die Identifikation von Tierknochen, sodass sich feststellen lässt, welche Tiere in welcher Zahl an bestimmten Orten zu unterschiedlichen Zeiten vorhanden waren. Die Untersuchung, welche Knochen eines Tieres zu finden sind, kann folglich darüber Auskunft geben, was in einer Gesellschaft gegessen wurde. Ebenso kann das Alter der Tiere bei ihrer Schlachtung aussagekräftig sein, denn dieses weist auf die Nutzung eines Tieres hin: Wurde es primär zur Fleischgewinnung gehalten oder eher für andere Zwecke, wie für die Nutzung seiner Zugkraft, seiner Wolle oder Milch?11
Die Paläobotanik ermöglicht ähnlich detaillierte Erkenntnisse in Bezug darauf, welche Pflanzen es gab und welche eventuell verzehrt wurden.12 Pflanzliche Rückstände werden dazu meist aus der gefundenen Keramik oder aus anderen harten Substanzen extrahiert, sodass durch die Mikroanalyse von Pollen und Körnerresten Pflanzen und Getreide bestimmt werden können.
Auch die Größe und die Formen der Keramik, die als Koch-, Trink- oder Essgeschirr genutzt wurde, können darauf hinweisen, was und wie man gegessen und getrunken hat. Schließlich bieten auch anthropologische Analysen vergleichbarer Kulturen in der modernen Zeit Hinweise auf Einzelfragen, z.B. wie Brot hergestellt wurde.13