Zum Buch
Feminismus ist schick geworden und angekommen in der Popkultur. Aber was kann guter Feminismus heute wirklich sein? In ihrem hochgelobten Essayband sprengt Roxane Gay das ideologische Korsett eines guten und starren Feminismus und bezeichnet sich selbst ironisch als bad feminist – stimmgewaltig, bestechend klug und fern jeder Ideologie unterzieht sie unsere Gegenwart einer kritischen Analyse und zeigt, wie man alles auf einmal sein kann: eine der bedeutendsten Feministinnen der Gegenwart und dabei definitiv nicht perfekt.
Zur Autorin
ROXANE GAY, geboren 1974, ist Autorin, Professorin für Literatur und eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen und literarischen Stimmen ihrer Zeit. Mit ihrem großen Essay »Hunger«, ebenfalls bei btb erschienen, war sie genau wie mit »Bad Feminist« wochenlang auf der New-York-Times-Bestsellerliste und wurde von der Kritik hochgelobt. Sie schreibt u. a. für die New York Times und den Guardian, sie ist Mitautorin des Marvel-Comics World of Wakanda, Vorlage für den Actionfilm Black Panther (2018), dem dritterfolgreichsten Film aller Zeiten in den USA. Roxane Gay ist Gewinnerin des PEN Center USA Freedom to Write Awards. Sie lebt in Indiana und Los Angeles.
ROXANE GAY BEI BTB
Hunger. Die Geschichte meines Körpers
Essays
Aus dem amerikanischen Englisch
von Anne Spielmann
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Die Originalausgabe erschien 2014
unter dem Titel »Bad Feminist« bei Harper Perennial, New York.
Copyright © der Originalausgabe 2014 by Roxane Gay
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: Semper Smile München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
mr · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-22755-5
V003
www.btb-verlag.de
www.facebook.com/btbverlag
Inhalt
Einleitung: Feminismus (m.): Plural
[ICH]
Fühl mich. Sieh mich. Hör mich.
Fragwürdige Privilegien
Typisch Anfänger
To scrabble: tasten, scharren, wie wahnsinnig herumwühlen
[GENDER & SEXUALITÄT]
Wie man mit einer anderen Frau befreundet ist
Girls, Girls, Girls
Ich war einmal Miss America
Performance, Show, Reality
Nicht hier, um Freunde zu finden
Wie wir alle verlieren
Die Sehnsucht nach Katharsis: abnehmen und zunehmen und ein Buch von Diana Spechler
Die glatten Oberflächen des Idylls
Das achtlose Sprechen über sexuelle Gewalt
Wonach wir hungern
Die Illusion von Sicherheit, die Sicherheit von Illusion
Das Spektakel der kaputten Männer
Das Märchen von drei Comingout-Geschichten
Jenseits männlicher Maßstäbe
Manche Witze sind lustiger als andere
Liebe junge Ladys, die ihr Chris Brown so sehr liebt, dass ihr euch von ihm schlagen lassen würdet
Blurred Lines, verwischte Grenzen
Das Problem mit dem Märchenprinzen, oder Er, der uns erniedrigt
[RACE & ENTERTAINMENT]
Wie tröstlich es ist, Hühnchen zu braten, und andere fragwürdige Erinnerungen aus dem Mississippi der 60er-Jahre: Anmerkungen zu The Help
Wie ich Django überlebte
Wie erzählen wir weiter?
Die Moral von Tyler Perry
Der letzte Tag im Leben eines jungen Schwarzen Mannes
Wenn weniger mehr ist
[POLITIK, GENDER & RACE]
Die Politik der Respektabilität
Was Twitter kann und Journalismus nicht
Die veräußerlichen Rechte von Frauen
Warten auf einen Helden
Profiling ist nicht Profiling
Unser aller Rassismus
Tragödie. Appell. Mitgefühl. Antwort
[ZURÜCK ZU MIR]
Bad Feminist: Take One
Bad Feminist: Take Two
Dank
Die Welt verändert sich so schnell, dass wir kaum noch mitkommen. Sie ist kompliziert und wird komplizierter, das verwirrt und lässt uns oft fassungslos zurück. Das kulturelle Klima verändert sich, besonders für Frauen, wie Freiheit einschränkende Regelungen zu Abtreibung und Verhütung, anhaltende Rape Culture und falsche, Schaden verursachende Darstellungen von Frauen in Musik, Film und Literatur zeigen.
Wir sehen uns einem Fernsehkomiker gegenüber, der seine Fans auffordert, sich an wildfremde Frauen ranzumachen und ihren Bauch zu streicheln, weil es so lustig ist, persönliche Grenzen zu ignorieren. Wir hören jeden Tag jede Menge Songs, in denen die Herabsetzung von Frauen gefeiert wird, und diese Musik ist verdammt eingängig, weshalb ich mich oft beim Mitsingen eines mich selbst erniedrigenden Textes erwische. Sänger wie Robin Thicke wissen: »We want it«. Rapper wie Jay-Z verwenden das Wort »bitch« als eine Art Satzzeichen. Die meisten Filme erzählen Geschichten von Männern, als wären Geschichten von Männern die einzigen Geschichten, auf die es ankommt. Wenn Frauen darin vorkommen, dann als Sidekick, zum Zweck des romantischen Zwischenspiels, als Nebenrolle. Selten stehen Frauen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Selten kann man sagen, dass es unsere Geschichten sind, auf die es wirklich ankommt.
Wie können wir auf diese Dinge aufmerksam machen? Wie schaffen wir es, wirklich Gehör zu finden? Wie finden wir die Sprache, die nötig ist, um über die Ungleichheit und die kleinen und großen Ungerechtigkeiten zu sprechen, denen Frauen ausgesetzt sind? Je älter ich geworden bin, desto besser hat mir der Feminismus geholfen, diese Fragen zu beantworten, wenigstens zum Teil.
Der Feminismus ist nicht perfekt, aber er vermag es im besten Fall immer noch, uns durch die sich verändernde kulturelle Landschaft zu steuern. Der Feminismus hat mir auf jeden Fall dabei geholfen, meine eigene Stimme zu finden. Der Feminismus hat die Überzeugung in mir gestärkt, dass meine Stimme zählt, selbst in unserer heutigen Welt, in der so viele Stimmen danach verlangen, gehört zu werden.
Wie können wir die Fehler und Schwächen des Feminismus mit all dem Guten, das er bewirkt, versöhnen? Der Feminismus ist deshalb nicht perfekt, weil er eine Bewegung von Menschen ist und Menschen nun einmal unvollkommen sind und Fehler machen. Aus allen möglichen Gründen neigen wir dazu, aus dem Feminismus ein unerreichbares Ideal zu machen, eine Bewegung, die alle unsere Wünsche erfüllen muss und immer nur das Richtige tut. Wenn der Feminismus unsere Erwartungen nicht erfüllt, glauben wir, dass das am Feminismus liegt, statt an den mangelhaften Wesen, die im Namen der Bewegung handeln.
Das Problem mit Bewegungen ist, dass sie meistens nur mit denjenigen ihrer Repräsentanten und Repräsentantinnen in Verbindung gebracht werden, die am sichtbarsten sind, die Leute mit den größten Plattformen und den lautesten und provokantesten Stimmen. Aber der Feminismus ist nicht das oder nur zum Teil das, was in den Medien gerade als coolster neuer feministischer Trend gefeiert wird.
In letzter Zeit hat der Feminismus darunter gelitten, dass es Frauen gab, die ihn zu einem Bestandteil ihres persönlichen Markenzeichens machten. Wenn diese Leitfiguren das sagen, was wir von ihnen hören wollen, stellen wir sie auf den feministischen Sockel, und wenn sie etwas tun, was wir nicht mögen, zerren wir sie wieder herunter und sagen dann, der Feminismus ist schuld, weil unsere feministischen Ikonen uns enttäuscht haben. Wir vergessen den Unterschied zwischen Feminismus und professionellen Feministinnen.
Ich nehme ganz offen die Bezeichnung bad feminist, schlechte Feministin, für mich in Anspruch. Und zwar deshalb, weil ich ein unvollkommenes menschliches Wesen bin. In feministischer Geschichtsschreibung bin ich nicht besonders bewandert. Ebenso wenig kenne ich alle feministischen Schlüsseltexte so gut, wie ich sie gerne kennen würde. Ich habe gewisse … Interessen und persönliche Eigenschaften und Meinungen, die mit dem feministischen Mainstream vielleicht nicht übereinstimmen, und dennoch bin ich Feministin. Ich kann gar nicht sagen, wie befreiend es gewesen ist, das zu akzeptieren.
Ich nehme die Bezeichnung bad feminist in Anspruch, weil ich ein Mensch bin. Ich bin chaotisch. Ich versuche nicht, ein gutes Beispiel für andere zu sein. Ich versuche nicht zu sagen, ich hätte auf alles eine Antwort. Ich versuche nicht zu sagen, mit mir würde alles stimmen. Ich versuche nur das nach außen zu tragen, woran ich glaube. Ich versuche, etwas Gutes zu tun in dieser Welt, versuche, mit meinem Schreiben Aufmerksamkeit zu erregen und dabei ich selbst zu bleiben: eine Frau, die Pink liebt und es manchmal mag, einfach auszuflippen, und die manchmal wild zu Musik tanzt, von der sie weiß – ja, sie weiß es! –, dass sie schrecklich über Frauen spricht, und die sich manchmal dumm stellt, wenn ein Handwerker da ist, weil es einfach leichter ist zuzulassen, dass er sich als Macho fühlt, als den weiblichen Moralapostel zu spielen.
Ich bin eine schlechte Feministin, weil ich nicht auf einen feministischen Sockel gestellt werden will. Von Menschen, die man auf Sockel stellt, wird erwartet, dass sie etwas darstellen, und zwar perfekt. Und wenn sie es versauen, stürzt man sie. Ich versaue es regelmäßig. Betrachten Sie mich also als bereits gestürzt.
Als ich jünger war, distanzierte ich mich mit alarmierender Regelmäßigkeit vom Feminismus. Ich verstehe, warum Frauen sich noch immer so vehement dagegen wehren, als Feministinnen bezeichnet zu werden. Ich habe mich früher distanziert, weil sich die Bezeichnung Feministin für mich wie eine Beleidigung anfühlte. Tatsächlich war es meistens auch so gemeint. In einer Situation dachte ich mal: Aber ich hab doch gar nichts gegen Blowjobs! Ich hatte die fixe Idee, dass sich Feministinsein mit sexueller Offenheit nicht vertragen. Ich hatte jede Menge fixer Ideen, als ich jünger war.
Ich distanzierte mich vom Feminismus, weil ich keine Vorstellung von der Bewegung hatte. Wenn man mich als Feministin bezeichnete, hörte ich: »Du bist ein zorniges, Sex und Männer hassendes weibliches Opfer.« Diese Karikatur haben Menschen aus Feministinnen gemacht, die den Feminismus am meisten fürchten. Die, die am meisten zu verlieren haben, wenn der Feminismus Erfolg hat, diffamieren die feministische Bewegung und verdrehen ihre Ziele. Jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere, wie ich früher auf den Feminismus hinabgeschaut habe, schäme ich mich für meine Ignoranz. Ich schäme mich für meine Angst, denn der Grund für meine Missbilligung und Distanzierung war zum größten Teil die Angst, ausgegrenzt und missachtet zu werden, als Spielverderberin betrachtet und vom Mainstream nicht akzeptiert zu werden.
Ich werde wütend, wenn Frauen auf den Feminismus herabschauen und nicht wollen, dass man sie als Feministinnen bezeichnet, obwohl sie sagen, sie unterstützen alle Verbesserungen, die wir dem Feminismus verdanken, denn ich sehe eine Trennung, die nicht sein muss. Ich werde wütend, aber ich verstehe und hoffe, dass wir eines Tages in einer Kultur leben werden, in der wir es nicht nötig haben, uns vom Feminismus zu distanzieren, in der die Bezeichnung Feministin nicht die Angst hervorruft, allein zu bleiben, zu anders zu sein und zu viel zu wollen.
Ich versuche, meinen Feminismus einfach zu halten. Ich weiß, Feminismus ist komplex und vielfältig und nicht perfekt. Ich weiß, Feminismus wird und kann nicht alles in Ordnung bringen. Ich trete ein für die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Ich trete dafür ein, dass Frauen die Freiheit haben zu verhüten und abzutreiben, und dass sie uneingeschränkten Zugang zu bezahlbarer medizinischer Versorgung haben. Ich trete dafür ein, dass Frauen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie Männer bekommen. Feminismus ist ein Angebot, und wenn eine Frau keine Feministin sein will, ist das ihr Recht, aber es liegt dennoch in meiner Verantwortung, für ihre Rechte zu kämpfen. Ich bin davon überzeugt, dass Feminismus grundsätzlich dafür kämpfen muss, dass Frauen Entscheidungen frei treffen können, auch wenn ich selbst mit ihren Entscheidungen nicht übereinstimme. Ich glaube, dass Frauen nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall auf der Welt Gleichheit und Freiheit verdienen, aber ich weiß auch, dass ich nicht dazu befugt bin, Frauen aus anderen Kulturen zu sagen, wie diese Gleichheit und diese Freiheit aussehen sollen.
Als ich um die zwanzig war, missbilligte ich den Feminismus, weil ich befürchtete, dass er mir nicht erlauben würde, die chaotische Frau zu sein, die ich nun einmal war. Aber dann erfuhr ich mehr darüber. Ich lernte, den einfachen Feminismus von dem einzigartigen, idealen, heiligen Feminismus und den einzigartigen, idealen, heiligen Feministinnen zu unterscheiden – dem einzig wahren Feminismus, der über allen Frauen thront. Es war leicht, sich den Feminismus zu eigen zu machen, als ich erkannte, dass er für die Gleichheit der Geschlechter in allen Bereichen eintritt, während er sich gleichzeitig um Intersektionalität bemüht, das heißt, alle anderen Faktoren zu berücksichtigen versucht, die Einfluss darauf haben, wer wir sind und wie wir uns in der Welt bewegen. Feminismus hat mich Frieden finden lassen. Feminismus hat mir Orientierung für mein Schreiben und Lesen und für mein Leben gegeben. Natürlich folge ich seinen Prinzipien nicht immer, aber ich weiß auch, es ist okay, dass ich meinem besten feministischen Selbst nicht immer gerecht werde.
Frauen of Color, queere Frauen und Transgender-Frauen müssen im feministischen Projekt besser verankert werden. Frauen aus diesen Gruppen sind vom Ideal-Feminismus beschämenderweise immer wieder vernachlässigt worden. Das ist eine harte, schmerzliche Wahrheit. Deshalb kommt es immer wieder dazu, dass zwischen der Bewegung und diesen Gruppen von Frauen eine künstliche Distanz hergestellt wird. Glauben Sie mir, das verstehe ich. Jahrelang war ich selbst der Meinung, dass Feminismus mir als Schwarze und sich manchmal als queer identifizierende Frau nichts sagen könne, weil Feminismus sehr oft für die Verbesserung des Lebens heterosexueller weißer Frauen eintritt – zum Nachteil aller anderen.
Aber ein Unrecht hebt das andere nicht auf. Die Versäumnisse des Feminismus bedeuten nicht, dass wir ihn komplett aufgeben sollten. Menschen tun ständig schreckliche Dinge, aber das heißt nicht, dass wir unser Menschsein einfach abstreifen können. Wir missbilligen die schrecklichen Dinge. Wir sollten die Versäumnisse des Feminismus kritisieren, ohne die vielen Erfolge zurückzuweisen und zu verleugnen, dass wir schon weit gekommen sind.
Wir müssen nicht alle an den gleichen Feminismus glauben. Feminismus kann pluralistisch sein, solange wir die verschiedenen Feminismen respektieren, die wir mit uns herumtragen, solange wir die heilige Einheit fahren lassen und einfach versuchen, die Brüche zwischen uns möglichst klein zu halten.
Feminismus wird erfolgreicher sein, wenn wir uns gemeinsam für seine Ziele einsetzen, aber es gibt auch Erfolge, die durch persönliches Verhalten entstehen. Ich habe von vielen jungen Frauen gehört, dass sie sich mit den bekannten Feministinnen nicht identifizieren können. Das ist sicherlich entmutigend. Aber ich sage, lasst uns die Feministinnen werden (oder es wenigstens versuchen), die wir in dieser Welt gern sehen würden.
Wenn man niemanden finden kann, dem man folgen will, muss man selbst als ein Beispiel vorangehen. In dieser Sammlung von Essays versuche ich auf meine eigene kleine, unvollständige Art voranzugehen. Ich erhebe meine Stimme als bad feminist, als schlechte Feministin. Ich beziehe Stellung als schlechte Feministin. Ich gebe Einblicke in unsere Kultur und unser Konsumverhalten. Die Essays in dieser Sammlung untersuchen auch die Darstellung von Race im zeitgenössischen Kino, die Grenzen der »Diversität«, und wie unbefriedigend Neuerungen sein können, weil sie selten genügen. Ich fordere andere Maßstäbe, um die Qualität von Texten zu beurteilen, und schaue mir die HBO-Serie Girls und die Shades-of-Grey-Trilogie genauer an. Diese Essays sind politisch, und sie sind persönlich. Sie sind, wie der Feminismus, unvollkommen, aber authentisch. Ich bin ganz einfach eine Frau, die versucht, mit der Welt, in der wir leben, zurechtzukommen. Ich erhebe meine Stimme, weil ich zeigen will, dass wir auf vielfältige Weise Räume schaffen können, um mehr zu wollen und Besseres zu tun.
Datingseiten für ein Nischenpublikum sind interessant. Es gibt JDate oder Christian Mingle oder Black People Meet und jede Menge anderer Seiten, die eigens dafür gemacht sind, um Leute, die sich irgendwie ähnlich sind, zusammenzubringen. Wenn man bestimmte Kriterien eingibt, kann man Menschen finden, die aussehen wie man selbst oder dem gleichen Glauben anhängen oder die gern in Plüschkostümen Sex haben. In der Welt des Internets ist niemand allein mit den eigenen Vorlieben. Wenn man diese Nischen-Datingseiten besucht, kann man hoffen, es mit einer begrenzten Anzahl von Nutzern zu tun zu haben. Man kann hoffen, dass in Sachen Liebe online eine Lingua franca alles möglich macht.
Ich denke ständig über Beziehungen und Einsamkeit und Gemeinschaft und Zugehörigkeit nach, und ich denke viel, vielleicht zu viel, darüber nach, wie mein Schreiben von den Überschneidungen und Durchdringungen dieser Themen erzählt. So viele von uns strecken die Hand aus und hoffen, dass irgendjemand da draußen sie ergreift und uns daran erinnert, dass wir nicht so alleine sind, wie wir befürchten.
Ich erzähle einige Geschichten immer und immer wieder, weil mich bestimmte Erfahrungen tief berührt haben. Manchmal hoffe ich, dass ich durch das wiederholte Erzählen dieser Geschichten besser verstehe, wie die Welt funktioniert.
Ich habe es noch nicht oft mit Onlinedating versucht, und außerdem habe ich mich eigentlich noch nie mit jemandem verabredet, mit dem ich viel gemein hatte. Ich denke, daran ist mein Sternzeichen schuld. Im Lauf der Zeit finde ich natürlich immer Gemeinsamkeiten in einer Beziehung, aber die Menschen, die ich date, sind meistens wirklich anders als ich. Eine Freundin sagte kürzlich, ich würde mich ja nur mit weißen Jungs treffen und das sei … Ich weiß nicht genau, was. Sie lebt in einer Stadt und glaubt, es gebe überall auf der Welt die kulturelle Vielfalt, an die sie sich gewöhnt hat. Im Gegenzug sagte ich, dass ich mich auf dem College regelmäßig mit einem chinesischen Jungen getroffen hätte. Ich sagte, dass ich mich mit den Männern treffe, die mich einladen. Wenn mich ein Brotha einladen würde und ich ihn mag, würde ich sehr gern mit ihm ausgehen. Aber die wollen nichts von mir, außer, sie sind über siebzig, und ein Date mit einem Greis interessiert mich nicht. Außerdem habe ich offenbar ein Faible für Libertäre. Ich kriege wirklich nie genug von ihnen und von ihrem radikalen Bedürfnis nach Freiheit von Tyrannei und Steuern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, viele Gemeinsamkeiten mit einer Person zu haben, die ich date, wie sich die weiteren Treffen dann gestalten würden. Das soll nicht heißen, dass ich mit jemandem besonders viel gemeinsam habe, nur weil die Person auch Schwarz ist oder auch demokratisch oder auch schreiben würde. Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemanden auf der Welt gibt, mit dem ich vieles gemeinsam habe, vor allem nicht im Sinne dieser Webseiten, wo man ein paar Charakterzüge und Vorlieben eingibt und dann irgendwie irgendjemanden mit ähnlichen Eigenschaften erwischt. Das habe ich noch nie versucht, und das finde ich gar nicht schlecht. Ich mag es, mit einer Person zusammen zu sein, die unendlich interessant ist, weil wir so verschieden sind. Wenn man den Wunsch hat, zu einer Gruppe von Menschen oder zu einem einzigen Individuum zu gehören, geht es nicht darum, einfach ein Spiegelbild seiner selbst zu finden.
Black Entertainment Television schaue ich relativ selten, weil Lifetime Movie Network und Kabelfernsehen mir lieber sind. Außerdem ist das schlechte Programm bei BET wirklich außergewöhnlich schlecht, und wenn ich bedenke, dass ich mir zwei ganze Folgen von Amsale Girls angeschaut habe, kann ich sagen, dass meine Toleranz gegenüber schlechten Filmen wirklich groß ist. Es ist furchtbar, dass Schwarze Menschen eine so kleine Rolle im Qualitätsfernsehen spielen und dass sie außerhalb von BET so selten auftauchen. Dagegen gibt es so unfassbar viel Raum für Weiße, abgesehen von den von Shonda Rhimes produzierten Serien (Grey’s Anatomy, Private Practice, Scandal), deren Cast reflektierter mit Themen wie Race, Gender und, etwas weniger, Sexualität umgeht. Davon abgesehen sehen sich Schwarze Menschen – eigentlich alle Menschen of Color – fast ausschließlich in der Rolle des Anwalts oder der Anwältin oder der als schicke Freundin oder exotischer Freund dargestellt, und, natürlich, wie in The Help. Sogar beim Schauen einer Serie wie Lena Dunhams Girls, die verspricht, etwas Neues, nie da Gewesenes zu zeigen, und die Geschichte vierer Freundinnen Mitte zwanzig erzählt, die mitten in Brooklyn, New York wohnen, ist man gezwungen, das immer Gleiche zu sehen – die völlige Ignoranz und das Ausblenden racespezifischer Kontexte.
Die BET-Sitcom Girlfriends hingegen ist anders und wird absolut unterschätzt. Es dauerte eine Weile, bis ich die Serie zu schätzen lernte, aber dann merkte ich, dass sie etwas Wichtiges zeigt und sie viel mehr Anerkennung verdient, als ich ihr habe zukommen lassen, auch wenn die Leute darin mir äußerlich ähnlich sehen, und ich das manchmal sehr gerne anschaue. Braune Haut ist schön; und ich mag es, verschiedene Geschichten zu verfolgen. Das Problem ist, dass ich in der Serie Leute sehe, die zwar aussehen wie ich, aber damit hört es mit den Ähnlichkeiten schon auf. Teilweise deshalb, weil ich schon Ende dreißig bin. Nach den Maßstäben der Serie bin ich uralt. So sehr ich mit der Popkultur verbunden bin, gibt es doch immer wieder Dinge, von denen ich keine Ahnung habe, und da helfen weder Geografie noch die Dinge, die ich durch mein Schreiben und meine Lehre weiß. Als ich diesen Essay zu schreiben begann, gab es, vom gleichen Sender produziert, eine Realityshow namens Toya. Sie tauchte schon ein paarmal in den Vorschlägen auf, die mir angezeigt wurden, aber ich habe sie mir nie angeschaut. Diesmal sah ich sie mir an, und ich begriff nicht das Geringste. Ich googelte die Hauptdarstellerin und erfuhr, dass sie die Exfrau von Lil Wayne ist, aber das war’s. Ich glaube, sie ist nicht einmal eine Backgroundsängerin oder so etwas, sie ist einfach berühmt für gar nichts.
Ich sah mir also Toya an, und mir war wirklich überhaupt nichts von dem, was sie war oder tat, nahe, das Einzige war vielleicht, dass ich vermute, dass ihre Familie ihr wichtig ist, und auch mir ist meine Familie wichtig. Aber ganz sicher bin ich mir bei ihr nicht, denn meistens reden die Leute in der Show einfach über langweilige Dinge. Irgendwann datet Toya jemanden namens Memphitz (sie sind inzwischen verheiratet), der ständig irgendwelche Diamantringe betrachtet. Ist er Rapper? Wovon leben diese Leute? Lil Waynes Unterhaltszahlungen können unmöglich so hoch sein. Ich wünschte, der Sender würde mehr tun, um das ganze Spektrum Schwarzer Erfahrungen darzustellen. Wenn man diese Serien schaut, hat man den Eindruck, dass Schwarze Menschen nur als Profisportler oder -musiker Erfolg haben können oder weil sie jemanden heiraten/mit ihm ins Bett gehen/ein Kind bekommen, der Sportler oder Musiker ist.
Zur Abwechslung würde ich gern mal Beispiele erfolgreicher Schwarzer Menschen sehen, die in anderen Berufen tätig sind. In vielen Fernsehserien zeigen weiße Protagonisten ihren Zuschauern ein weites Spektrum von Antworten auf die Frage »Was ich werden will, wenn ich groß bin«. Es gibt ein paar Ausnahmen, klar. Zum Beispiel Lawrence Fishburne in CSI oder Blair Underwood, der einen Anwalt in L.A.Law spielt oder die Serien von Shonda Rhimes. Wahrscheinlich steckt aber sonst die Idee dahinter, dass eine nichtweiße Anwältin oder Ärztin oder Schriftstellerin oder – mein Gott, natürlich – eine Jazzmusikerin oder ein Lehrer oder Professor oder Postbeamter oder eine Kellnerin aus Mangel an tatsächlichen Berufsmöglichkeiten für Jugendliche weniger interessant wären. Und trotzdem. Irgendwann müssen wir aufhören, jedem Schwarzen Kind in diesem Land die Vorstellung zu vermitteln, dass er oder sie nur einen Ball oder ein Mikrofon in der Hand zu halten bräuchte, um im Leben etwas zu erreichen. Bill Cosby ist heute aus anderen Gründen nicht mehr zumutbar, aber diesen Kampf hat er zeit seines Lebens geführt. BET frustriert mich einfach, weil es einem so schmerzhaft vor Augen führt, dass man gleichzeitig etwas gemeinsam haben kann, obwohl man gar nichts gemeinsam hat. Ich mag Unterschiede, aber manchmal würde ich gerne einen kleinen Teil von mir selbst in anderen aufblitzen sehen.
An der Uni war ich Beraterin in der Schwarzen Studentenvereinigung. Es gab eine zu vernachlässigende Zahl Schwarzer Lehrender (man konnte sie an einer Hand abzählen), und sie alle waren entweder überarbeitet, oder sie hatten Burn-out, oder sie interessierten sich nicht im Geringsten für ihren Job. Nach vier Jahren verstand ich das. Je älter ich werde, desto mehr Dinge verstehe ich. Beraterin in einer Schwarzen Studentenorganisation zu sein ist anstrengend und herzzerreißend, eine undankbare Aufgabe. Nach einer Weile zerstört es jegliche Zuversicht, die man irgendwann hatte. Einmal kam eine neue Professorin, und ich fragte sie, warum sie nicht mit den Schwarzen Studierenden arbeitete. Sie sagte: »Das ist nicht meine Aufgabe.« Und sie sagte: »Ich kann sie doch sowieso nicht erreichen.« Ich hasse es, wenn Leute sagen, etwas sei nicht ihr Job oder etwas sei unmöglich. Klar, wir alle sagen das manchmal, aber es gibt Leute, die wirklich glauben, sie müssten nicht mehr tun als das, was in ihrer Jobbeschreibung steht und sie müssten nicht wenigstens versuchen, diejenigen zu erreichen, die scheinbar nicht zu erreichen sind.
Meine Arbeitsmoral habe ich von meinem nimmermüden Vater. Wenn es darum geht, jungen Schwarzen Studierenden zu zeigen, dass es gute Lehrende gibt, die aussehen wie sie selbst, wenn es darum geht, sie zu betreuen und zu unterstützen, glaube ich, dass jeder (unabhängig von seiner ethnischen Zugehörigkeit) diese Aufgabe hat, und wenn man das als Schwarze Professorin und als Schwarzer Lehrer nicht als seine Aufgabe ansieht, sollte man Selbstkritik üben und dann noch einmal Selbstkritik üben, bis man es begreift.
Als ich in der Studentenvereinigung arbeitete, respektierten mich die Schwarzen Studierenden wahrscheinlich, aber sie mochten mich nicht besonders. Ich weiß. Ich bin gewöhnungsbedürftig. Die meisten bezeichneten mich als »bourgeois«. Viele sagten, meine Haut sei nicht schwarz genug, und sie lachten, wenn mich das ärgerte. Sie störten sich daran, wie ich bestimmte Slangwörter ausspreche. Es gibt Wörter, die ich eher singe als spreche. Sie sagten oft »Sag noch mal ›holla‹«, was ich tat, weil es eins meiner Lieblingsworte ist, auch wenn ich es nach ihren Regeln vielleicht nicht richtig aussprach. Oder zum Beispiel das Wort »gangsta«, für das sie mich immer wieder aufzogen. Das machte mir nichts aus. Es machte mir aber etwas aus, dass sie glaubten, ich würde zu viel von ihnen erwarten, weil dieses »zu viel« bedeutete, überhaupt etwas zu erwarten.
Ja, ich war eine anstrengende Zicke, und gelegentlich war ich wahrscheinlich ziemlich unverschämt. Ich bestand auf sehr gute Leistungen. Das habe ich von meiner Mutter. Meine Erwartungen waren von der Art, dass ich von den leitenden Leuten verlangte, dass sie bei wichtigen Meetings auftauchten, und dass leitende und gewöhnliche Mitglieder zu den Vollversammlungen erschienen, und zwar fünf Minuten vor dem angesetzten Termin, weil das pünktlich ist; ich verlangte, dass Studierende, die zugesagt hatten, etwas zu tun, ihr Wort hielten; ich verlangte, dass sie Hausaufgaben machten und um Hilfe baten, wenn sie welche brauchten; ich verlangte, dass sie eine 3 oder eine 4 nicht als gute Noten betrachteten und ihr Studium ernst nahmen; ich verlangte, dass sie nicht überall Verschwörungen witterten und dass nicht jeder Prof, der etwas tat, was ihnen nicht gefiel, ein Rassist war.
Wie ich bald merkte, wussten viele dieser jungen Leute gar nicht, was es heißt zu studieren. Wenn wir in akademischen Kreisen oder in intellektuellen Kreisen über soziale Probleme sprechen, geht es meist um Privilegien und darum, dass wir alle Privilegien haben und uns dessen bewusst sein müssen. Ich wusste immer, dass ich privilegiert bin, aber als ich mit diesen Studierenden arbeitete, die größtenteils aus der City von Detroit stammten, merkte ich erst, wie sehr. Wenn jemand zu mir sagt, ich sei mir meines privilegierten Status nicht bewusst, denke ich, er oder sie soll gefälligst die Klappe halten. Du glaubst, ich wüsste das nicht? Ich weiß es besser als jede andere. Die Behauptung, ich hätte mich mit dem Status quo abgefunden, weil er mich eigentlich nicht betrifft, ist abscheulich.
Diese jungen Leute konnten nicht lesen, also besorgte ich ihnen Wörterbücher, und weil sie zu schüchtern waren, um ihre Lese- und Schreibunfähigkeit öffentlich anzusprechen, fingen sie mich irgendwo auf dem Campus oder im Gang vor meinem Büro ab und flüsterten: »Ich brauche Hilfe beim Lesen.« Es war mir noch nie zuvor in den Sinn gekommen, dass es möglich ist, dass ein Kind in diesem Land erzogen wird und es aufs College schafft, ohne auf College-Level lesen zu können. Ich sollte mich dafür schämen, dass ich von den empörenden Unterschieden in der Kindererziehung hierzulande nichts wusste. Ja, ich sollte mich dafür schämen. An der Uni lernte ich außerhalb der Unterrichtsräume viel mehr als bei akademischen Debatten über theoretische Konzepte. Ich erfuhr, wie unwissend ich bin. Ich arbeite immer noch daran, das zu ändern.
In Einzelgesprächen kam ich mit den Studierenden besser aus. Sie waren viel offener. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Wie bringt man jemandem bei zu lesen? Regelmäßig konsultierte ich Dr. Google. Ich kaufte ein Buch mit simplen Grammatikübungen. Manchmal lasen wir einfach Wort für Wort die Texte, die sie als Hausaufgaben bekommen hatten, und wenn sie ein Wort nicht kannten, ließ ich sie es aufschreiben und nachschlagen, weil meine Mutter es mir so beigebracht hatte. Ich hatte eine Mutter, die nachmittags nach der Schule zu Hause war und die sich Tag für Tag, Jahr um Jahr mit mir hinsetzte und lernte, bis ich auf die Highschool ging, sie spornte mich an und verlangte gute Leistungen. Es gab Dinge in meinem Leben, die meine Mutter nicht verstehen konnte, aber was Erziehung und Bildung betraf, war sie großartig.
Gelegentlich hasste ich es, dass ich so viel zu Hause zu tun hatte. Meine amerikanischen Klassenkameraden und -kameradinnen mussten das alles nicht tun. Ich verstand nicht, warum meine Mom, eigentlich meine beiden Eltern, so darauf erpicht waren, dass wir lernten, unseren Verstand zu gebrauchen. Es gab jede Menge Druck bei uns. Jede Menge. Ich war als Kind ziemlich gestresst, und es gab Druck, den ich mir selbst machte, und Druck von außen. Mir gefiel es, die Beste zu sein und meine Eltern stolz zu machen. Mir gefiel das Gefühl, Kontrolle über Dinge zu haben, und ich hatte diese Kontrolle, weil ich gut in der Schule war, während es andere Teile meines Lebens gab, in denen ich gar nichts unter Kontrolle hatte. Man erwartete von mir, dass ich Einsen mit nach Hause brachte. Eins minus war keine Option, und ich hielt mich daran. Das ist die typische Immigrantenkind-Story, überhaupt nicht interessant. Als ich mit den Jugendlichen auf dem College arbeitete, verstand ich, warum meine Eltern uns zeigten, dass wir dreimal härter arbeiten mussten als weiße Kinder, um die Hälfte der Belohnung zu kriegen. Sie vermittelten uns das ohne Bitterkeit. Sie beschützten uns.
Am Ende unserer gemeinsamen Stunden sagten die Studierenden, mit denen ich arbeitete, meist: »Sagen Sie niemandem, dass ich bei Ihnen war.« Es war ihnen nicht so sehr peinlich, Hilfe bekommen zu haben. Es war ihnen peinlich, dabei gesehen zu werden, dass sie sich für ihre Bildung anstrengten, dass sie die Sache ernst nahmen. Manchmal erzählten sie mir etwas aus ihrem Leben. Viele der jungen Leute, mit denen ich arbeitete, hatten Eltern, die sie nicht so auf die Welt vorbereiten wollten oder konnten, wie es meine Eltern taten. Sie waren oft die ältesten Geschwister und die Ersten, die es aufs College schafften. Ein Junge hatte acht Brüder und Schwestern. Ein Mädchen sechs. Es gab viele abwesende Väter und viele Mütter oder Väter oder Cousins oder Tanten oder Geschwister im Gefängnis. Es gab Alkoholismus, Drogensucht und Missbrauch. Es gab Eltern, die es nicht gern sahen, dass ihre Kinder aufs College gingen, und versuchten, sie davon abzuhalten. Es gab Studierende, die ihre Stipendien oder ihr von der Bank geliehenes Geld nach Hause schickten, um ihre Familien zu unterstützen, und das Semester über ohne Lehrbücher und ohne ausreichendes Essen auskommen mussten, weil zu Hause so viele hungrige Mäuler zu stopfen waren. Sicherlich gab es Studierende mit großartigen Eltern oder Elternteilen, mit hilfsbereiten und wohlwollenden Familien, die nichts von Armut wussten und gut vorbereitet waren auf das College und die neuen Anforderungen, die auf die Jugendlichen warteten. Doch sie waren die Ausnahme. Ich denke oft über die Gefahr der »einen, einzigen Geschichte« nach, wie sie sie Chimamanda Adichie in ihrem TED-Vortrag genannt hat, aber manchmal gibt es tatsächlich nur eine einzige Geschichte, und sie zerreißt mir das Herz.
Am Ende meines letzten College-Jahres war ich wegen all der anderen Dinge, die sich in meinem Privatleben ereigneten, völlig erschöpft. Ich konnte nichts mehr geben. Viel zu oft zeigten sich die Studierenden gleichgültig, und ich war es schließlich auch. Ich bin nicht stolz darauf, aber das, womit ich mich auseinandersetzen musste, war groß. Das sage ich mir selbst. Die Studierenden kamen nicht zu den angesetzten Meetings. Sie ließen die Dinge schleifen, setzten sich für nichts ein und bauten Mist, und ich hatte keine Kraft mehr, um wütend zu sein und zu schreien und anzuspornen und Mut zuzusprechen und sie dazu zu bringen, es besser machen zu wollen. Wenn sie nach vier Jahren nichts gelernt hatten, hatte ich versagt, und ich konnte wenig tun, um das wiedergutzumachen. Natürlich waren sie nicht anders als alle Studierenden an einem College oder einer Universität, aber es war frustrierend. Als das letzte Semester zu Ende ging, war ich erleichtert. Ich würde sie vermissen, weil sie mir, wohlgemerkt, viel Freude machten – intelligent, witzig, charmant, lieb und verrückt, wie sie waren. Und doch brauchte ich eine Pause, eine sehr, sehr lange Pause.
Die Frau, die mir diese Arbeit am College vermittelte, hatte zwanzig Jahre lang mit Schwarzen Studierenden gearbeitet. Als sie in Rente ging, war sie so erschöpft, dass sie nicht über sie reden konnte, ohne von ihrer Frustration überwältigt zu werden – über ihren Unwillen, sich zu verändern, das Unrecht, das ihnen immer wieder zugefügt wurde, ihren fehlenden Glauben daran, dass es anders und besser gehen könnte, die jämmerlich unzureichenden Bemühungen der Verwaltung, etwas zu verändern, all das. Ich verstand auch ihre Erschöpfung. Ich brauchte vier Jahre dazu, aber dann war es mir klar. Und trotzdem. Es gab ein Neujahrsbankett, bei dem die Studierenden mich überraschten. Sie schenkten mir eine Plakette und hielten eine wunderschöne Rede, in der sie sagten, ich sei der Inbegriff von Anstand und Integrität. Sie dankten mir dafür, dass ich erkannte, wie überaus begabt und kraftvoll sie sind. Sie sagten, ich stünde für sie ein, auch wenn sie Fehler machten, und dass ich zur Familie gehöre, was unsere Beziehung sehr gut beschrieb: bedingungslos und kompliziert. Sie sagten eine Menge anderer ungeheuer schmeichelhafter Dinge. Sie hätten nichts davon zu sagen brauchen. Ich verließ das College mit dem Gefühl, sie erreicht zu haben. Ganz gewiss hatten sie mich erreicht und mir das Gefühl gegeben, ein Teil von etwas zu sein, obwohl es ja meine Aufgabe war, ihnen das Gefühl zu geben, ein Teil von etwas zu sein.
Als Mitglied des Lehrkörpers an meinem jetzigen College habe ich die Organisation der Schwarzen Studierenden bis heute noch nicht kontaktiert, weil mir die Kraft dazu noch fehlt. Ich fühle mich schuldig, weil ich mir so lange damit Zeit lasse. Ich fühle mich verantwortlich. Ich fühle mich schwach und dumm.
Im ersten Jahr hatte ich einen Schwarzen Studenten in meiner Klasse, der das Gefühl hatte, wegen seiner Hautfarbe von mir schikaniert zu werden. Man hat mir gesagt, dass Schwarze Lehrende öfter vor diesem Problem stehen. Ich habe diesen jungen Mann nicht schikaniert. Erstens, weil ich für solche Spielchen keine Zeit habe. Und zweitens, weil ich von all meinen Studenten und Studentinnen Leistung verlange, ohne Ausnahme. Er hatte vorher einen sehr guten Notendurchschnitt und konnte einfach nicht glauben, dass ich ihm nicht ständig Einsen gab. Er konnte nicht glauben, dass ich ihn nicht schon dafür lobte, dass er mit guten Noten zu mir kam. Und ich konnte diese Arroganz nicht glauben. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich mit seiner Besonderheit, mit seiner Erstklassigkeit beeindrucken und mich dazu bringen, dass ich ihn aufgrund seiner vergangenen Leistungen beurteilte, statt aufgrund dessen, was er in meinem Unterricht tat. Einmal sagte er mir: »Ich bin nicht wie die anderen Scheißschwarzen auf dem Campus.« Ich entgegnete, er solle sich gefälligst um eine andere Haltung und eine andere Sprache bemühen. Wir hatten einige recht heftige Debatten. Eine davon war so heftig, dass mein mir bis dahin unbekannter Chef hinter einem Pfeiler versteckt am Tor stehen blieb und lauschte, weil er fürchtete, dass dieser junge Mann gewalttätig werden könnte. Ich selbst fürchtete, dass er gewalttätig werden könnte. Ich brauchte ein ganzes Semester, um das Problem zu erkennen, das ihn umtrieb. Am Ende wurde mir klar, dass er sich unbedingt von denjenigen unterscheiden wollte, die nicht genug wissen, um das College zu schaffen, oder denen es egal ist, ob sie es schaffen oder nicht. Seine Art, das zu tun, seine Besonderheit zu beweisen, war, dass er ständig von seinem hervorragenden Notendurchschnitt sprach. Er bestand alle Prüfungen, und ich weiß nicht, wo er jetzt ist, aber ich hoffe, dass er seine trotzige Antihaltung zum (angeblich von Weißen bestimmten) akademischen Verhaltenskodex nicht sein Leben lang beibehält.
Ich arbeite hart. Ich arbeite in gewissen Fällen auch ohne Geld für meine Arbeit zu bekommen. Ich versuche, etwas zu leisten, wenn ich Leistungen zugesagt habe. Ich versuche, meinen Job gut zu machen. Ich versuche, mich weiterzuentwickeln, dafür verausgabe ich mich. Ich arbeite an der Uni, und ich arbeite zu Hause. Ich nehme die Bewertungen ernst, die ich bekomme, und versuche, meine Schwachpunkte beim Unterrichten auszugleichen, um besser zu werden. Ich sitze mit meinen Kollegen zusammen und denke: Bitte mögt mich. Bitte mögt mich. Bitte mögt mich. Bitte respektiert mich. Hasst mich wenigstens nicht. Die Leute verstehen mich oft falsch, missverstehen meine Motivation. Ständig gibt es Druck, und er macht mir zu schaffen. Ich behaupte, ein Workaholic zu sein, und vielleicht bin ich das auch, aber vielleicht versuche ich einfach, wie dieser Student, allen zu zeigen, dass ich anders und besonders bin.
Als ich noch selbst Studentin war, hörte ich einmal eine Kommilitonin über mich reden. Sie wusste nicht, dass ich sie hören konnte. Sie stand mit anderen zusammen und sagte, ich wäre da, damit die Quote stimmt. Ich ging in mein Zimmer und versuchte, mich auf dem Weg zusammenzureißen. Ich wollte nicht vor aller Augen heulen. Aber kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, fing ich an zu schluchzen, denn genau das war meine größte Angst: dass ich nicht gut genug war und dass das jeder wusste. Vom Verstand her wusste ich, dass das absurd war, aber als ich hörte, wie dieses Mädchen und vielleicht andere mich sahen, verletzte es mich tief. Es gab niemanden, mit dem ich darüber reden konnte, weil ich in diesem Studienprogramm die einzige nichtweiße Studierende war. Es gab niemanden, der mich verstehen würde. Natürlich hatte ich Freunde und Freundinnen, gute Freundinnen, die Mitgefühl hätten, aber sie erlebten nicht dasselbe, und ich konnte nie sicher sein, dass sie nicht dasselbe von mir dachten wie das Mädchen.
Ich machte keine Witze mehr darüber, wie faul ich sei. Ich verdreifachte die Zahl der Projekte, für die ich arbeitete. Ich war die meiste Zeit sehr gut. Nur ein paarmal erreichte ich meine Ziele nicht. Ich sorgte dafür, dass ich gute Noten bekam. Ich sorgte dafür, dass meine fachübergreifenden Prüfungen gediegen ausfielen. Ich schrieb Konferenzbeiträge, die angenommen wurden. Ich veröffentlichte. Ich entwarf ein überehrgeiziges Forschungsprojekt für meine Dissertation, bei dem mir selbst schwindlig wurde. Egal, was ich tat, ich hörte eine Frau, irgendeine Frau, die weit weniger geleistet hatte als ich, zu einem Kreis von Mitstudierenden sagen, ich sei diejenige, die es nicht verdiene, zu unserem Studienprogramm zu gehören. Diese Mitstudierenden übrigens dachten nicht daran, mich zu verteidigen. Sie sagten nicht, dass sie das anders sähen. Und das tat auch weh. Ihre Worte hielten mich nächtelang wach. Ich kann sie immer noch hören, diese Worte, ihre hohe Stimme, und wie überzeugt sie von ihrer Meinung war. Bei der Arbeit frage ich mich ständig: Glauben diese Leute, ich bin nur wegen der Quote hier? Ich frage mich: Verdiene ich es, hier zu sein? Ich frage mich: Arbeite ich genug? Ich habe einen Doktortitel, den ich verdammt noch mal verdient habe, und ich frage mich ständig, ob ich gut genug sei. Das ist absurd, irrational und anstrengend. Nein, es ist deprimierend.
Ich weiß, das alles ist vielleicht verrückt, aber für mich ist es ein Teil der Wahrheit.
Ich schreibe immer noch, um endlich irgendwo anzukommen, wo ich hinpasse und hingehöre, aber ich finde auch Menschen, die zu mir gehören, an den unerwartetsten Orten – Kalifornien, Chicago, Upper Michigan und anderswo, manchmal an Orten, die auf keiner Karte verzeichnet sind. Schreiben überbrückt viele Unterschiede. Auch Güte überbrückt Unterschiede, oder die gemeinsame Liebe zu One Tree Hill oder Lost oder zu wunderbaren Büchern oder schlechten Filmen. Es gibt Momente, in denen ich mir wünschte, das Finden von Gleichgesinnten könnte so leicht sein wie das Eintippen von ein paar persönlichen Eigenschaften auf einer Webseite, worauf ein Algorithmus mir dann zeigt, wo ich hingehöre. Und dann wird mir klar, dass es das ist, was das Internet und soziale Netzwerke für mich getan haben – ich habe viele Gleichgesinnte gefunden.
Aber vielleicht möchte ich gar nicht, dass der Algorithmus das für mich tut.
Ein Algorithmus ist eine Methode zur Problemlösung nach einer begrenzten Zahl von Schritten. Ein Algorithmus führt zur Lösung eines Problems, das zu komplex ist, als dass der menschliche Verstand es lösen könnte.
Das ist es nicht, wonach ich suche. John Louis von Neumann sagte: »Wenn Leute nicht glauben, dass Mathematik einfach ist, dann nur deshalb, weil sie nicht verstehen, wie kompliziert das Leben ist.« Die Mathematik mag einfach sein, doch die komplexen Probleme von Race und Kultur sind oft nicht zu entwirren. Man kann sie in einem einzigen Essay oder Buch oder Film nicht klären.
Ich werde über die Schnittpunkte dieser Probleme weiterhin nachdenken und schreiben, als Schriftstellerin und Lehrende, als Schwarze Frau und als bad feminist – als schlechte Feministin –, bis ich nicht länger das Gefühl habe, die Verwirklichung meiner Wünsche wäre unmöglich. Ich will nicht länger glauben, diese Probleme seien zu komplex für uns.