Paul Collier
Sozialer
Kapitalismus!
Mein Manifest gegen den
Zerfall unserer Gesellschaft
Aus dem Englischen
von Thorsten Schmidt
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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »The Future of Capitalism. Facing the New Anxieties« bei Allen Lane, London.
Das Foto zeigt Paul Collier und seine Cousine Sue 1954 im Alter von vier Jahren.
Copyright © 2018 by Paul Collier
© 2019 für die deutsche Ausgabe by Siedler Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Umschlagfoto: Getty Images/David Levenson
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-23342-6
V004
www.siedler-verlag.de
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Teil I: Krise
1 Die neuen Ängste
Teil II: Die Ethik erneuern
2 Die Grundlagen der Moral: Vom egoistischen Gen zur ethischen Gruppe
3 Der ethische Staat
4 Das ethische Unternehmen
5 Die ethische Familie
6 Die ethische Welt
Teil III: Die inklusive Gesellschaft erneuern
7 Die geografische Spaltung: Boomende Metropole, niedergehende Städte
8 Die soziale Spaltung: Überfluss und Entbehrung
9 Die globale Spaltung: Gewinner und Abgehängte
Teil IV: Eine inklusive Politik
10 Den Extremen Einhalt gebieten
Danksagung
Bibliografie
Anmerkungen
Register
Für Sue
Leben, die auseinanderstreben –
Ängste, die sich einander annähern
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Dieses Buch handelt von den neuen sozialen Spaltungen, die in vielen westlichen Gesellschaften sichtbar werden. Zwar gehört Deutschland zu den erfolgreichsten westlichen Industriestaaten, doch die Konzentration von Vermögen nimmt auch hierzulande rasch zu. Und wie andernorts lassen sich zwei tiefe kulturelle Verwerfungen beobachten: zum einen zwischen den selbstbewussten Großstädtern und den abgehängten Bürgern im Rest des Landes, zum anderen zwischen den Hochqualifizierten und den Geringqualifizierten. Diese Gruppen stehen sich heute immer unversöhnlicher gegenüber, und die Entzweiung wird zunehmend von Aggression und gegenseitiger Verachtung begleitet.
Knapp dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es zudem Anzeichen, dass die Gräben zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen sich eher noch vertiefen. Die Gefahr einer solchen Spaltung wurde bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2018 von führenden deutschen Politikern endlich – wenn auch verspätet – zum Thema gemacht.
All dies hat einen hohen politischen Preis. Wie in anderen Ländern auch haben die großen Volksparteien der Mitte massiv an Rückhalt verloren, und die Nutznießer sind die Parteien am rechten und linken Rand des politischen Spektrums. In Deutschland ist die Große Koalition nicht mehr groß: Laut Umfragen würde sie im Fall von Neuwahlen keine Regierungsmehrheit mehr erhalten. In Österreich führte die politische Polarisierung zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass in der heftig umkämpften zweiten Runde der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2016 keine der beiden Volksparteien mehr vertreten war. Vielmehr standen sich dabei Rechtspopulisten und die linksorientierten Grünen – beide keine traditionellen Volksparteien – gegenüber. Sie zwangen die Mitte zu einer inhaltlichen und politischen Neuaufstellung: Unter der Führung des charismatischen Jungpolitikers Sebastian Kurz gewann die konservative ÖVP die Kanzlerschaft. Indes hat sich in Deutschland eine seit dreizehn Jahren regierende Bundeskanzlerin aus der Volkspartei CDU an ihr Amt geklammert, obwohl ihre Autorität nachhaltig beschädigt ist. Offenbar ist niemand in Sicht, der den gebeutelten Parteien der Mitte in Deutschland neues Leben einhauchen könnte. Wie andernorts ist es auch hier zu einer »Umkehrung von Autorität« gekommen: Die Bürger vertrauen ihren Regierungen immer weniger und dafür den sozialen Medien immer mehr. Ungeachtet seiner wirtschaftlichen Erfolge sind in Deutschland zudem zwei Symptome kollektiver Angst besonders ausgeprägt. Wenn Menschen Zukunftsängste haben, bekommen sie weniger Kinder: Deutschland hat eine der niedrigsten Fertilitätsraten in der westlichen Welt. Und wer sich um die Zukunft sorgt, neigt zum Sparen: Deutschland weist eine der höchsten Sparquoten in der westlichen Welt auf.
Jede Gesellschaft hat ihre Besonderheiten und kulturelle Eigenschaften, die dem Außenstehenden verborgen bleiben. Bei der Lektüre werden Sie bemerken, dass dies ein sehr persönliches Buch ist. Der Anstoß dazu ging letztlich von meinen eigenen schmerzlichen Erfahrungen mit den sozialen Spaltungen aus, die ich beschreibe – mit dem Spagat, den ich selbst machte. Wie viel davon auf Deutschland und Österreich zutrifft beziehungsweise auf die Regionen in diesen Ländern, die Sie aus eigener Erfahrung kennen, mögen Sie als Leser selbst beurteilen. Wie bei meinen anderen Büchern freue ich mich über Kommentare und Anregungen von Lesern. Meinem Übersetzer, Thorsten Schmidt, möchte ich für seine gewissenhafte Arbeit danken – er versteht sein Handwerk. Meine Vermutung ist, dass ein Großteil dessen, was ich in diesem Buch beschreibe, auch auf die deutschsprachigen Länder zutrifft. Und werden die neuen Verwerfungen nicht effektiv eingedämmt, wird dies gravierende Folgen haben. Die Kernbotschaft des Buches ist allerdings keine Warnung, sondern ein Aufruf zum Handeln. Alle westlichen Gesellschaften sind so reich, dass sie es sich leisten können, den neuen Spaltungen entgegenzuwirken – dies gilt vor allem für Deutschland und Österreich.
Noch zwei Bemerkungen zur Terminologie. Zum einen gebrauche ich den Begriff Sozialdemokratie zuweilen im weiter gefassten Sinne einer politisch-philosophischen Grundlage für die gesamte demokratische Mitte, einer Programmatik über Parteigrenzen hinaus, der sich sowohl die Mitte-links- als auch die Mitte-rechts-Parteien verpflichtet fühlten. Nach diesem Verständnis haben in Deutschland auch die Unionsparteien sozialdemokratische Politik gemacht. Zum anderen benenne ich Faktoren des Niedergangs, wie ihn alle sozialdemokratischen Parteien in der westlichen Welt gegenwärtig durchmachen. Daraus lassen sich auch Erkenntnisse über die Herausforderungen für die krisengeschüttelte SPD gewinnen.
Teil I
Krise