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ZUM BUCH

Cato rannte schon los, während Macro noch fiel. In diesem Moment dachte Cato nicht an seine Verantwortung gegenüber den anderen Männern oder an die Pflicht eines Kommandanten, den Verlust eines Einzelnen in Kauf zu nehmen. Er sah jetzt nur noch Macro verletzt daliegen, während die Aufständischen triumphierend losstürmten und die Waffen schwangen, um den römischen Centurio zu töten. Im Laufen riss Cato das Schwert aus der Scheide und ging mit zusammengebissenen Zähnen vor dem bewusstlosen Freund in Position, um Macro zu verteidigen.

Die ersten Rebellen stürmten mit dem Speer voran auf ihn zu; jeder wollte die Ehre erringen, einen hochrangigen römischen Offizier zu töten. Der Kampf begann …

Ein ausführliches Werkverzeichnis finden Sie hier.

ZUM AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter
www.simonscarrow.co.uk

SIMON SCARROW

DAS BLUT ROMS

Roman

Aus dem Englischen von
Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

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Die Originalausgabe THE BLOOD OF ROME erschien 2018
bei Headline Publishing Group, London

Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2019

Copyright © 2018 by Simon Scarrow

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Lars Zwickies

Umschlagillustration: animagic / Splitter GmbH & Co KG,
unter Verwendung von © Arcangel / Rekha Garton: Fotolia / Luis Lour

Umsetzung Ebook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-23982-4
V002

www.heyne.de

Für die Oberfeldwebel Coates und Hillary
und alle anderen Macros unserer Zeit.

KAPITEL 1

Die untergehende Sonne beleuchtete das breite Band des Tigris, sodass der Fluss wie geschmolzenes Gold unter dem blassen Orange des Himmels erstrahlte. Die Luft war kühl und windstill, die letzten Wolken des Gewitters, das sich über der Stadt entladen hatte, waren nach Süden weitergezogen und hatten einen feinen Eisengeruch zurückgelassen. Die Diener des königlichen Palastes eilten hin und her, um im Pavillon am Fluss alles für die Zusammenkunft des Königs mit seinen engsten Vertrauten vorzubereiten. Sie würden heute Abend darüber beraten, wie man mit der wachsenden Bedrohung durch die Römer umgehen sollte. Überwacht wurden die Arbeiten vom Kammerherrn des Königs, der die Diener mit ungeduldigen Zurufen und Schlägen antrieb. Er war ein zaundürrer Mann, frühzeitig ergraut angesichts der ständigen Unsicherheit, in der man in den Diensten eines jähzornigen Herrschers lebte, dessen Reich sich von den Ufern des Indus bis zur Grenze der römischen Provinz Syrien erstreckte. König Vologaeses war fest entschlossen, den Einfluss des Partherreichs auszuweiten und seine Pläne von niemandem durchkreuzen zu lassen. Wer sich ihm und seinem Schicksal in den Weg stellte, musste die Konsequenzen tragen – ob es sich um einen rebellischen Adligen oder nur um einen ungeschickten Diener handelte. Der letzte Kammerherr hatte es bei einem Festmahl verabsäumt, dafür zu sorgen, dass das Essen dem König heiß genug serviert wurde. Dafür hatte man ihn beinahe zu Tode gepeitscht und danach auf die Straße geworfen. Der jetzige Kammerherr war fest entschlossen, diesem Schicksal zu entgehen. Deshalb trieb er seine Untergebenen mit wütenden Befehlen und Schlägen an, während diese die Diwane aufstellten, die Kohlebecken befüllten und an drei Seiten des Pavillons dicke bestickte Wandschirme anbrachten. Die vierte Seite blieb offen, damit der König und seine Gäste die Aussicht auf den Fluss genießen konnten, während die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Sterne nach und nach am Himmel erschienen und das dunkle Wasser des Flusses schimmern ließen.

Als die letzten Seidenkissen sorgfältig ausgelegt waren, warteten die Diener an den Seiten des Pavillons, während der Kammerherr ihre Arbeit überprüfte und noch geringfügige Änderungen vornahm, bis er absolut nichts mehr fand, woran sein Herr Anstoß nehmen könnte. Zwar neigte Vologaeses nicht unbedingt dazu, den Luxus, von dem er umgeben war, bis ins kleinste Detail zu begutachten. Dennoch, dachte sich der Kammerherr, war es besser, Sorgfalt walten zu lassen, als auch nur das kleinste Risiko einzugehen, den Zorn des Königs auf sich zu ziehen. Nachdem er alles überprüft hatte, klatschte er laut in die Hände.

»Los, ihr Hunde! Bringt Früchte und Wein.«

Während die Diener sich anschickten, seine Anweisungen auszuführen, wandte er sich seinem Stellvertreter zu: »Und du, sag dem Küchenmeister, er soll alles vorbereiten, damit er das Essen jederzeit auftragen kann, sobald ich die Anweisung gebe.«

Sein Stellvertreter, ein junger, fülliger Mann, der zweifellos damit liebäugelte, ihn möglichst bald zu ersetzen, nickte und eilte los. Der Kammerherr warf einen letzten prüfenden Blick auf die Arbeit seiner Leute, dann trat er vor das Podium des Königs und begutachtete mit zusammengekniffenen Augen den großen Diwan, die Kissen und Decken. Er beugte sich vor, strich den Stoff an einer Stelle glatt, wo er eine kleine Falte bildete, trat einen Schritt zurück und verschränkte zufrieden die Arme. Dann schlich sich ein seltenes Lächeln in sein Gesicht, und er sah sich rasch um. Er war allein. Solche Momente waren ihm nicht oft vergönnt – zu zahlreich waren die Pflichten, die sein Amt mit sich brachte. Die Augenblicke der Muße verstrichen allzu schnell; bald würden die Diener mit Früchten und Wein zurückkehren, und der königliche Vorkoster würde von jeder Schüssel essen und aus jedem Krug trinken, um sicherzugehen, dass König Vologaeses sich gefahrlos an Speis und Trank laben konnte. Das Reich der Parther war groß und beständig – nicht ganz so beständig war die Herrschaft seiner Könige. Nicht selten fiel der Herrscher einer Verschwörung durch mächtige Adlige oder den ehrgeizigen Plänen eines Mitglieds der königlichen Familie zum Opfer.

Der Kammerherr atmete tief durch und betrachtete lächelnd den Diwan des Königs. Ihn überkam ein starkes Verlangen, sich in die seidenen Kissen zu werfen, solange er allein und unbeobachtet war. Es würde ganz schnell gehen, niemand würde es bemerken. Sein Herz raste bei der Aussicht auf eine so gewagte Überschreitung seiner Befugnisse. Für einige Augenblicke war er drauf und dran, der Verlockung nachzugeben. Doch dann trat er einen Schritt zurück, als ihm mit Schaudern bewusst wurde, was ihm blühte, falls der König herausfände, was er getan hatte. Obwohl der Kammerherr im Moment völlig allein war, beherrschte die Angst vor seinem Herrn sein Herz, und er zitterte angesichts des wahnwitzigen Gedankens, der ihn für einen kurzen Moment in Versuchung geführt hatte. Er drehte sich um, eilte zur Treppe und blickte auf den Garten zu beiden Seiten des Weges hinaus, der zum Palast führte. Der erste Diener näherte sich bereits mit einem riesigen silbernen Teller, auf dem sich Feigen, Datteln und andere erlesene Früchte türmten.

»Lauf, du fauler Hund!«, blaffte der Kammerherr. Der Mann beschleunigte seine Schritte und bemühte sich, nichts zu verlieren und die sorgfältig arrangierten Früchte nicht durcheinanderzubringen.

Der Kammerherr schaute sich noch einmal prüfend um und schickte ein rasches Stoßgebet zu Mithra mit der Bitte, dass sein Herr nichts finden möge, was sein Missfallen erregte.

Als der König mit seinem kleinen Gefolge aus dem Palast kam, war die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden, und ein bronzefarbenes Band zierte den Himmel über der verdunkelten Landschaft jenseits des Flusses. Nach oben hin ging der Bronzeton ins Violette und schließlich in die samtschwarze Dunkelheit der Nacht über, in der bereits die ersten Sterne als kleine silbrige Lichter leuchteten. Ein Trupp Leibwächter marschierte, mit Speeren bewaffnet, voraus. Sie trugen weite, reich bestickte Hosen, die in ledernen knöchelhohen Schuhen steckten. Ihre Schuppenharnische und konischen Helme glänzten im Lichtschein der Fackeln und Kohlebecken, die zu beiden Seiten des Weges brannten. Doch ihr Äußeres wirkte wie schlichtes Eisen neben purem Gold, verglichen mit der prachtvollen Erscheinung ihres Herrn. Vologaeses war ein hochgewachsener, stattlicher Mann mit breiter Stirn und kantigem Kinn, das durch den sorgfältig getrimmten schwarzen Bart noch betont wurde. Ebenso dunkel waren seine Augen, die wie blank poliertes Ebenholz glänzten und seinem Blick etwas Eindringliches, Ehrfurchtgebietendes verliehen. Dennoch war auch ein Funke Humor in seinem Gesicht zu erkennen. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem angedeuteten Lächeln, wenn er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme sprach. Er besaß durchaus Witz und konnte sich auch gütig zeigen – Eigenschaften, die seine Klugheit und seinen Ehrgeiz trefflich ergänzten, sodass er bei seinen Soldaten und im Volk recht beliebt war. Alle, die ihn etwas besser kannten, wussten jedoch, wie schnell seine Stimmung kippen konnte. Also lächelten sie, wenn er lächelte, und schwiegen ängstlich, wenn er tobte.

An diesem Abend war seine Stimmung eher gedämpft. Aus Rom war die Nachricht vom – angeblich gewaltsamen – Tod Kaiser Claudius’ ins Partherreich gelangt. Nun, da dessen Adoptivsohn Nero die Nachfolge auf dem Thron angetreten hatte, stellte sich für Vologaeses die Frage, wie sich dieser Machtwechsel auf die angespannten Beziehungen zwischen den Parthern und Rom auswirken würde. Wieder einmal war Armenien zum Zankapfel zwischen den beiden mächtigen Reichen geworden, jenes unglückselige Grenzgebiet, auf das es sowohl Rom als auch die Parther abgesehen hatten. Vor vier Jahren war Prinz Rhadamistus aus dem benachbarten Königreich Iberien in Armenien eingefallen, hatte den König und seine Familie getötet und selbst den Thron übernommen. Rhadamistus hatte sich als ebenso grausam wie ehrgeizig erwiesen, und die Armenier hatten sich mit der Bitte an Vologaeses gewandt, sie von dem Tyrannen zu befreien. Also hatte er seine Armee nach Armenien entsandt, Rhadamistus vertrieben und seinem Bruder Tiridates den Thron übergeben. Vologaeses wusste, dass die Römer dies als Provokation auffassen würden, da sie Armenien seit über hundert Jahren ihrem Einflussbereich zurechneten. Rom würde den Einmarsch der Parther nicht tatenlos hinnehmen.

Der Kammerherr, der beim Eingang zum Pavillon gewartet hatte, verbeugte sich tief, während der König mit seinem Gefolge die Stufen hochstieg. Die Leibwächter nahmen ihre Posten vor dem Pavillon ein, nur zwei besonders kräftige Wächter gingen zu beiden Seiten des königlichen Podiums in Stellung. Vologaeses ließ sich auf dem Diwan nieder und machte es sich bequem, ehe er den Angehörigen seines Rates ein Zeichen gab.

»Setzt euch.«

Bei einer förmlichen Zusammenkunft wären seine Gäste vor ihrem Herrn stehen geblieben, doch Vologaeses hatte sie diesmal aus gutem Grund in den Pavillon kommen lassen und auf strenge Etikette verzichtet, um seine Untergebenen zu ermutigen, offen ihre Meinung zu äußern. Nachdem sie ebenfalls auf ihren Diwanen Platz genommen hatten, beugte der König sich vor, nahm sich eine Feige vom Teller und biss hinein, womit er den anderen die Erlaubnis gab, sich ebenfalls zu bedienen.

Vologaeses warf die halb verzehrte Frucht auf den Teller und sah in die Runde. Seine engsten Berater waren anwesend: Sporaces, sein bester General, Abdagases, der königliche Schatzmeister, und Prinz Vardanes, der älteste Sohn des Königs, der ihn eines Tages auf dem Thron beerben würde. Ein Gesandter von Tiridates vervollständigte die Runde – ein junger Mann namens Mithraxes, der etwa im gleichen Alter wie der Prinz war.

»Meine Freunde, wir wollen keine Zeit verschwenden«, begann Vologaeses. »Ihr werdet mir also nachsehen, dass ich mich nicht lange mit Nebensächlichkeiten aufhalte und gleich zur Sache komme. Ihr habt alle die Nachricht aus Rom vernommen. Wir haben es mit einem neuen Kaiser zu tun. Nero.«

»Nero?« Sporaces schüttelte den Kopf. »Der Name sagt mir nichts, Herr.«

»Das überrascht mich nicht. Kaiser Claudius hat ihn erst vor wenigen Jahren adoptiert. Seine letzte Frau hatte ihn in die Ehe mitgebracht.«

»Die Frau, die zugleich Claudius’ Nichte ist«, ätzte Prinz Vardanes, schnalzte mit der Zunge und hob eine Augenbraue. »Diese Römer, ein dekadentes Pack. Immer für einen Skandal gut.«

Die anderen lächelten über seine Bemerkung.

»Was wissen wir über diesen Nero?«, fuhr Sporaces fort. Der General war ein Veteran, der wenig Zeit für die schönen Seiten des Lebens hatte, was sich in seinem hageren Gesicht widerspiegelte. Am Königshof gab es nicht wenige, die den Mann wegen seiner ungehobelten Manieren verachteten, doch Vologaeses schätzte ihn als hervorragenden Soldaten. Dazu kam, dass Sporaces als Sohn eines griechischen Söldners und einer Hure aus Seleukia von den Adligen im Partherreich mit Ablehnung betrachtet wurde und somit keine Bedrohung für Vologaeses darstellte.

Der König deutete mit einem Kopfnicken auf Abdagases. Dieser leitete das Netzwerk von Spionen, deren Aufgabe es war, Informationen aus dem Römischen Reich zu sammeln. »Du hast den vollständigen Bericht gelesen. Sag du es ihnen.«

»Ja, Herr.« Abdagases räusperte sich. »Erstens ist Nero sehr jung – er ist erst sechzehn. Also mehr ein Junge als ein Mann.«

»Das mag ja sein.« Sporaces neigte den Kopf zur Seite. »Aber Augustus war auch erst achtzehn, als er seine Gegner beseitigte und sich zum ersten Kaiser Roms aufschwang.«

»Nero ist kein Augustus«, widersprach der Schatzmeister energisch. »Vielleicht wird er es eines Tages, obwohl laut unseren Informanten in Rom die Wahrscheinlichkeit nicht allzu hoch ist. Der neue Kaiser sieht sich eher als Künstler, als Musiker und Poet. Er umgibt sich mit Schauspielern, Musikern und Philosophen. Rom will er zum Mittelpunkt der Kunst machen. Für Krieg und Eroberung interessiert er sich kaum.«

»Ein Künstler? Ein Musiker?« Sporaces schüttelte den Kopf. »Was ist das für ein verrückter Kaiser?«

»Einer, der uns hoffentlich in die Hände spielen wird«, sagte Vologaeses. »Wenn es nach mir geht, darf sich der junge Nero gerne weiter den Künsten widmen – dann wird ihn das Geschehen in Armenien vielleicht nicht weiter stören.«

Abdagases nickte. »Jawohl, Herr, darauf können wir hoffen. Trotzdem wäre es klug, sich nicht allein von der Hoffnung leiten zu lassen. Nero mag ein Dilettant sein, dennoch sollten wir ihn nicht unterschätzen. Er ist von Beratern umgeben, die klug und erfahren genug sind, um uns große Probleme zu bereiten. Vor allem auch deshalb, weil sie an der römischen Krankheit leiden.«

»Wie bitte?« Vardanes hob eine Augenbraue, nahm sich eine zweite Feige und biss hinein. Er kaute einen Moment, ehe er mit vollem Mund hinzufügte: »Von welcher … Krankheit … sprichst du?«

»Einige hier am königlichen Hof verwenden diesen Ausdruck für jene Römer, die von ihrem Streben nach Ruhm und ihrem starren Ehrbegriff besessen sind. Kein römischer Aristokrat von Rang lässt sich eine Gelegenheit entgehen, Ruhm und Ehre für seine Familie zu erlangen. Um jeden Preis. Deshalb hat Crassus versucht, unser Reich einzunehmen, und ist daran gescheitert. Und Marcus Antonius ebenso. Sie sind von dem Ehrgeiz zerfressen, die Leistungen ihrer Vorfahren zu übertreffen und Dinge zu erreichen, an denen andere gescheitert sind.« Abdagases hielt einen Moment inne. »Es scheint, als würden die Römer nach dem Scheitern von Crassus und Antonius das Partherreich als besondere Herausforderung betrachten, die es zu meistern gilt. Es gibt gewiss auch vernünftige Männer unter ihnen, die die richtigen Schlüsse aus Niederlagen ziehen. Doch der Ehrbegriff der römischen Aristokraten hat sich bisher noch jedes Mal gegen ihre Vernunft durchgesetzt. Augustus war schlau genug zu erkennen, dass er in seinen Beziehungen zu uns mit diplomatischem Geschick mehr erreichen konnte als mit militärischen Mitteln, und seine Nachfolger sind mehr oder weniger seinem Beispiel gefolgt. Auch wenn das vielen Senatoren nicht gepasst hat, die lieber Krieg gegen uns geführt hätten. Die Frage ist: Wird dieser neue Kaiser den vielen Einflüsterern in seinem Umfeld und dem Druck des Senats nachgeben?«

»Ich will es nicht hoffen«, beantwortete Vologaeses seine Frage. »Wir können uns keinen Krieg mit Rom leisten, solange uns Feinde an anderen Fronten bedrohen.«

Vardanes seufzte. »Du sprichst von den Hyrkaniern, Vater?«

Vardanes war der Lieblingssohn des Königs. Er besaß Mut, Intelligenz und eine charismatische Ausstrahlung –Eigenschaften, die ein zukünftiger Thronerbe gut gebrauchen konnte. Er war jedoch auch ehrgeizig – ein Charakterzug, den man ebenso fürchten wie bewundern musste. Vor allem im Partherreich. Das Gesicht des Königs verdüsterte sich.

»Ja, die Hyrkanier. Ich fürchte, sie sind nicht einverstanden mit der Erhöhung der Tributzahlungen, die ich angeordnet habe.«

Vardanes lächelte. »Das ist keine Überraschung. Und es kommt gerade jetzt sehr ungelegen, da wir unsere griechischen Untertanen gezwungen haben, ihre Sprache und ihre Traditionen abzulegen und unsere anzunehmen, obwohl Griechisch die vorherrschende Sprache in der östlichen Welt ist. Dazu kommt der Streit mit den Römern um Armenien.« Er nahm einen Schluck Wein. »Ich fürchte, wir haben uns ein bisschen übernommen. Vor allem mit Armenien. Rom und Parthien sind wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen streiten.«

Der Schatzmeister hüstelte höflich, ehe er sich zu Wort meldete. »Ich möchte trotz allem doch darauf hinweisen, dass der Knochen uns gehört. Die römischen Eindringlinge haben kein Recht, ihn für sich zu beanspruchen. Die meisten Angehörigen der armenischen Oberschicht sind mit uns blutsverwandt. Armenien war dem Partherreich seit Jahrhunderten treu verbunden, bis die Römer ihren Blick nach Osten wandten.«

»Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, dass Rom kein Anrecht auf Armenien hat. Dennoch erheben die Römer Anspruch auf das Land, und wenn es zum Krieg kommt, werden sie es erobern. Ich habe viel über die Schlagkraft der römischen Legionen gehört. Wir werden ihnen nicht standhalten können.«

»Nicht in offener Feldschlacht, mein Prinz. Aber wenn wir einer direkten Konfrontation aus dem Weg gehen, können wir sie zermürben und sie im richtigen Moment vernichtend schlagen. So wie Jagdhunde einen Bären töten. Habe ich nicht recht, General?« Abdagases wandte sich, Unterstützung suchend, an Sporaces.

Der General dachte einen Moment nach, bevor er antwortete. »Wir haben die Römer in der Vergangenheit mehrmals besiegt. Damals sind sie ohne ausreichende Kenntnis des Landes und ohne entsprechenden Nachschub in unser Gebiet einmarschiert. Sie kommen eher langsam voran, selbst wenn sie ohne großen Tross und schwere Belagerungswaffen unterwegs sind. Unsere Einheiten sind viel schneller, besonders unsere berittenen Bogenschützen und Kataphrakten. Wir können es uns leisten, sie kommen zu lassen, bis sie ihre Kraft und ihre Vorräte erschöpft haben. Aber diesen Vorteil haben wir nur, wenn sie die Konfrontation in den Wüstengebieten und Flussebenen Mesopotamiens suchen. In Armenien sieht die Sache anders aus. In dem bergigen Gelände sind die römischen Fußsoldaten gegenüber unseren Reitern im Vorteil. Ich fürchte, Prinz Vardanes hat recht. Wenn die Römer Armenien wirklich einnehmen wollen, werden wir es nicht verhindern können.«

»Da hört ihr’s!« Vardanes schnippte mit den Fingern. »Ich habe es euch gesagt.«

»Trotzdem möchte ich eines hinzufügen«, fuhr Sporaces fort. »Wenn die Römer tatsächlich in Armenien einmarschieren, müssen sie eine entsprechende Truppenstärke aufbieten. Ihre Soldaten sind zwar die besten auf der Welt, aber sie können nicht an zwei Orten zugleich sein. Wenn sie nach Armenien ziehen, müssen sie Syrien vernachlässigen. Wir können das natürlich nicht ausnutzen, um Syrien auf Dauer zu erobern. Dafür reichen unsere Streitkräfte nicht aus. Das Partherreich wird niemals stark genug sein, um Rom zu vernichten, genauso wie Rom niemals genug Soldaten haben wird, um Parthien zu erobern und zu besetzen. So war es immer, und so wird es immer sein, mein Prinz. Es ist ein Krieg, den keine Seite gewinnen kann. Deshalb ist eine friedliche Lösung der einzige Weg.«

»Frieden!«, schnaubte Vologaeses verächtlich. »Wir haben versucht, mit den Römern Frieden zu schließen. Wir haben alle Verträge eingehalten, die wir mit ihnen abschlossen, aber diese verfluchten Römer haben sie immer wieder gebrochen.«

Vologaeses runzelte frustriert die Stirn, während er einen Moment lang nachdachte. »Und deshalb müssen wir in der Armenienfrage sehr bedächtig vorgehen.«

Er wandte sich an den Gesandten seines Bruders. »Mithraxes, du hast noch gar nichts gesagt. Hast du keine Meinung zum neuen Kaiser und seinen Absichten in Armenien?«

Mithraxes zuckte mit den Schultern. »Meine Meinung ist kaum von Bedeutung, Majestät. Ich stamme aus einem alten armenischen Adelsgeschlecht – aber keiner meiner Vorfahren hat je erlebt, dass unser Land frei von parthischem oder römischem Einfluss war. Unsere Könige werden meist schnell wieder abgesetzt oder ermordet. Dein Bruder ist jetzt gerade mal knapp zwei Jahre auf dem Thron. Er ist nicht schlimmer als andere, die Armenien regiert haben, und …«

»Du solltest vorsichtig sein, wie du über meinen Bruder sprichst«, warnte Vologaeses.

»Majestät, ich wurde hierhergesandt, um über die Situation in Armenien zu berichten und dich um Hilfe zu bitten. Ich glaube, das kann ich am besten, wenn ich ganz offen spreche.«

Der König musterte ihn eingehend und stellte fest, dass der Armenier unter seinem prüfenden Blick nicht zusammenzuckte. »Mut und Integrität? Sind alle armenischen Adligen wie du?«

»Leider nein, Majestät. Und das ist das Problem, vor dem dein Bruder steht. Wie ich schon sagte, er ist nicht schlimmer als andere Herrscher, sogar besser als viele andere. Doch er sieht sich gezwungen, mit harter Hand zu regieren, um seine Autorität zu behaupten.«

»Wie hart?«

»Einige von uns würden Rom bevorzugen, andere sind gegen jeden Herrscher, der von außen kommt. König Tiridates hat schon so manches Exempel statuiert, um den vorhandenen Widerstand gegen ihn zu brechen. Leider hat er dabei einige aus dem Land verbannt, andere hinrichten lassen. Damit ist es ihm gelungen, das Aufbegehren gegen ihn mehr oder weniger im Keim zu ersticken.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Vardanes lächelte. »Aber die Unzufriedenheit dürfte dadurch bei manchen noch größer geworden sein.«

»Völlig richtig, Hoheit. Dennoch hat König Tiridates seinen Thron in Artaxata gefestigt. Seine Feinde sind zumindest vorläufig eingeschüchtert. Ich bin mir jedoch sicher, dass sie bald Unterstützung suchen werden, um den König doch noch loszuwerden. Wenn sie es nicht schon getan haben.« Mithraxes wandte sich wieder dem König zu. »Deshalb fordert dein Bruder, dass du eine Armee nach Armenien schickst, um seine Herrschaft abzusichern. Genügend Männer, um alle einflussreichen Adligen zu besiegen, die sich gegen ihn auflehnen, und um Rom davon abzuhalten, in sein Land einzumarschieren.«

»Eine Armee? Ist das alles, was er von mir will?«, spottete der König des Partherreichs. »Glaubt mein Bruder vielleicht, ich kann die Armeen nur so aus dem Ärmel zaubern? Ich brauche meine Soldaten hier in Parthien, um mit den Bedrohungen fertigzuwerden, mit denen wir es hier zu tun haben.«

»Er bittet nicht um eine große Armee, Majestät. Nur eine Streitmacht, die stark genug ist, um alle Angriffe gegen ihn niederzuschlagen.«

»Die armenischen Rebellen sind eine Sache, aber die Römer sind ein ganz anderes Problem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich von einer kleinen Streitmacht abschrecken lassen.«

Mithraxes schüttelte den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so sicher, Majestät. Unsere Spione in Syrien melden, dass die römischen Legionen dort gar nicht auf einen Krieg vorbereitet sind. Sie sind unterbesetzt und schlecht ausgerüstet. Es ist viele Jahre her, seit sie zum letzten Mal gekämpft haben. Ich glaube kaum, dass sie eine große Bedrohung für König Tiridates darstellen.«

Vologaeses wandte sich an seinen General. »Ist das wahr?«

Sporaces überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete. »Es deckt sich mit unseren eigenen Informationen, Majestät. Falls die Römer sich jedoch zu einem militärischen Eingreifen entschließen, werden sie zusätzliche Legionen nach Syrien schicken und die dortigen Legionen mit frischen Rekruten ergänzen. Natürlich müssen sie diese erst ausbilden. Außerdem müssten sie Ausrüstung und Vorräte aufstocken, Straßen ausbessern, Trosse zusammenstellen. Es braucht Zeit, einen Feldzug vorzubereiten. Vielleicht Jahre. Aber wenn die Römer erst einmal beschlossen haben zu handeln, dann werden sie sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. So sind die Römer nun mal.« Er hielt kurz inne, um den anderen Gelegenheit zu geben, seine Worte zu verarbeiten. »Mein Rat wäre, den Feind nicht weiter zu reizen. Für Rom ist es ohnehin schon eine Beleidigung, dass Tiridates auf dem Thron sitzt. Dennoch haben sie sich noch nicht zu einem Krieg entschlossen. Falls wir nun Truppen nach Armenien schicken, um deinen Bruder zu unterstützen, könnte das die Römer endgültig zum Eingreifen bewegen. Außerdem wissen wir noch nichts über den Mut und die Entschlossenheit dieses neuen Kaisers Nero. Er kann so oder so entscheiden. Deshalb sollten wir den Kriegsbefürwortern in Rom keine zusätzlichen Argumente liefern, mit denen sie ihn zu einem Feldzug überreden könnten. Wir sollten vielmehr versuchen, ihm mit warmen, freundschaftlichen Worten zu schmeicheln und ihn zum Thron beglückwünschen. Falls er an unserem Vorgehen in Armenien Anstoß nimmt, dann sagen wir, dass wir einen Tyrannen beseitigen mussten und kein Interesse an anderen Ländern haben, die an Roms Territorium angrenzen.« Er schloss mit einer Verbeugung. »Das ist mein bescheidener Rat, Majestät.«

Vologaeses lehnte sich in seine Kissen und faltete die Hände ineinander, während er alles bedachte, was er von seinen Beratern gehört hatte. Es stimmte, man durfte die Römer nicht übermäßig reizen. Zudem konnte er nicht riskieren, seinem Bruder Soldaten zu schicken, solange in Hyrkanien ein Aufstand drohte.

»Wie es aussieht, muss ich abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Die Entscheidung liegt bei Kaiser Nero. Von ihm hängt es ab, ob wir Frieden haben werden. Oder Krieg.«

KAPITEL 2

Es gibt Krieg«, meldete Centurio Macro, nachdem er das Quartier seines befehlshabenden Offiziers betreten hatte. Er nahm seinen Umhang ab und legte ihn auf eine Truhe neben der Tür. Er war von der morgendlichen Inspektion der Soldaten zurückgekehrt, die das Haus des Seidenhändlers bewachten, in dem General Corbulo untergebracht war.

»Krieg?« Cato blickte vom Fußboden auf, wo er mit seinem kleinen Sohn Lucius saß. Der Junge spielte mit den hölzernen Soldaten, die ein paar Prätorianer unter dem Kommando von Tribun Cato für ihn geschnitzt hatten. Die Zweite Prätorianerkohorte war aus Rom entsandt worden, um die Rolle der Leibgarde für General Corbulo zu übernehmen. Cato musste sich erst daran gewöhnen, nun mit seinem offiziellen Rang eines Tribuns angesprochen zu werden. Bisher war er für Soldaten und Offiziere »Präfekt Cato« gewesen, da er sich in dieser Eigenschaft einigen Ruhm erworben hatte. Doch General Corbulo nahm es sehr genau, deshalb musste es ab jetzt Tribun Cato heißen. Während der langen Reise von Brundisium war der kleine Lucius für die Soldaten zu einem Maskottchen geworden, und sie verwöhnten ihn, wo sie nur konnten. Cato zerzauste seinem Sohn zärtlich das feine dunkle Haar und stand auf. »Wo hast du das gehört?«

»Kaiserliche Proklamation. Ein Sendbote aus Rom hat sie soeben auf dem Forum verlesen. Sieht so aus, als hätte der junge Nero den Entschluss gefasst, es den Parthern zu zeigen und Armenien zurückzugewinnen.« Macro blies die Wangen auf. »Das bedeutet Krieg.«

Beide Männer schwiegen einen Moment, während sie an die Konsequenzen dieser Neuigkeiten dachten. Allzu überraschend kam die Nachricht nicht, zumal General Corbulo schon vor Monaten entsandt worden war, um das Kommando über die Armeen der östlichen Provinzen zu übernehmen. Dennoch, dachte Cato, hatte Rom oft seinen Willen bekommen, indem es lediglich mit einem militärischen Eingreifen gedroht hatte. So groß war der Respekt der meisten angrenzenden Reiche, die die Kampfkraft der römischen Legionen bereits zu spüren bekommen hatten. Vielleicht hatten der Kaiser und seine Berater darauf spekuliert, dass die Entsendung eines Offiziers von Corbulos Rang genügen würde, um die Parther von ihrem Anspruch, Armenien in ihr Reich einzugliedern, abzubringen. Nun sah es jedoch so aus, als wäre Nero gezwungen, seine Drohung wahr zu machen. Oder Neros Berater hatten ihn davon überzeugt, dass ein Krieg nötig sei, um seinen Thron dauerhaft abzusichern. Es erhöhte die Beliebtheit eines Kaisers beim römischen Volk, wenn er verkünden konnte, dass ein weiterer Krieg erfolgreich geschlagen war.

»Eins ist sicher«, fuhr Macro fort. »Es wird eine ganze Weile dauern, bis wir so weit sind, in Parthien einzumarschieren. Der General hat längst nicht genug Männer und Ausrüstung beisammen. Es könnte Monate dauern, bis wir für den Feldzug bereit sind.«

»Ich würde sogar sagen, mindestens ein Jahr«, erwiderte Cato. »Und diese Zeit werden auch die Parther zu nutzen wissen. Sie werden auf unseren Angriff vorbereitet sein, lange bevor Corbulo die Grenze überschreitet.«

Macro zuckte mit den Schultern. »Die können vorbereitet sein, wie sie wollen. Es wird ihnen nicht viel nützen. Du weißt ja, wie die Leute hier im Osten sind. Ein Haufen Tucken, die in Seidengewändern herumlaufen. Wir sind ihnen ja schon auf dem Schlachtfeld begegnet und haben ihnen tüchtig in den Arsch getreten.«

»Das stimmt«, räumte Cato ein. »Aber beim nächsten Mal könnte es umgekehrt laufen. Du darfst nicht vergessen, dass Crassus bei Carrhae einen großen Teil seiner fünf Legionen verloren hat. Ein solches Desaster kann Rom sich nicht noch einmal leisten.«

»Corbulo ist nicht Crassus. Der General hat viele Jahre am Rhein gekämpft, und es gibt kaum einen Feind, der verbissener kämpft als diese verdammten Germanen. Wenn die Parther auch nur einen Funken Verstand besitzen, dann geben sie nach, bevor es ernst wird.« Macro durchquerte den Raum und warf einen Blick ins Nebenzimmer. Die Fensterläden waren geschlossen. Trotzdem konnte er im spärlichen Licht die Frau erkennen, die auf dem großen Bett lag. »Ah, ich hab mich schon gefragt, wo du steckst, meine Liebe.«

Sie regte sich im Schlaf und stöhnte auf, dann zog sie die Decke noch enger um ihre Schultern.

»Lass die arme Frau schlafen.« Cato zog ihn von der Tür weg. »Petronella hat heute Nacht kein Auge zugetan, weil der Junge Zahnschmerzen hatte.«

»Warum ist er dann immer noch auf, und sie schläft?« Macro zwinkerte vergnügt. »Ich glaube, mit meiner Frau stimmt irgendwas nicht, Cato. Wirklich, sie ist ein richtiger Faulpelz geworden.«

»Komm her und sag das noch mal«, brummte das Kindermädchen des kleinen Lucius. »Dann gibt’s was auf die Ohren.«

Macro lachte. »So kenne ich meine Liebste. Die Frau hat Temperament für drei.«

Er drehte sich um und schloss leise die Tür, dann trat er an den Tisch, auf dem noch die Reste des Frühstücks übrig waren: etwas Brot, Käse, Honig und ein Krug mit dem gewürzten Wein, den die Einheimischen bevorzugten. Macro nahm den Krug, schüttelte ihn kurz und lächelte zufrieden, als er den Wein darin plätschern hörte. Er schenkte sich einen Becher voll ein und sah seinen Freund an. »Du auch einen Schluck?«

»Warum nicht? Was kann man hier schon anderes machen, als sich betrinken, bis Quadratus die Stadt erreicht?«

Macro schüttelte den Kopf. »Dieses Zusammentreffen wird nicht gerade harmonisch verlaufen.«

Cato nickte. Ummidius Quadratus war der Statthalter von Syrien, einer der begehrtesten Posten, die ein Senator erlangen konnte. Zumindest bis Corbulo in die Region entsandt worden war, mit der kaiserlichen Vollmacht, auf alle zivilen und militärischen Ressourcen der an das Partherreich angrenzenden Provinzen zurückgreifen zu dürfen. Der General hatte den Statthalter vor seiner Ankunft in einer Nachricht aufgefordert, nach Tarsus zu kommen, um die Vorbereitungen für den bevorstehenden Feldzug zu besprechen. Cato konnte sich vorstellen, wie Quadratus reagieren würde, wenn Corbulo einen großen Teil seiner Soldaten und Ausrüstung für sich beanspruchte. Außerdem würden die Steuern erhöht werden, um die Straßen in der Region auszubessern und die nötigen Zugtiere und Wagen für den Tross sowie Pferde für die berittenen Einheiten beschaffen zu können. Quadratus würde sich mit den Protesten wütender Magistrate aus verschiedenen Städten konfrontiert sehen, die wenig Bereitschaft zeigen würden, die zusätzlichen Lasten zu tragen. Natürlich würden alle Proteste und Klagen umsonst sein. Es war nun einmal die unumstößliche Pflicht der Provinzen, die Kosten zu tragen, wenn die Armee sich auf einen Feldzug in ihrer Region vorbereitete. Wer sich weigerte, dieser Pflicht nachzukommen, zog unweigerlich den Zorn des Kaisers auf sich, sobald dieser von der Unbotmäßigkeit erfuhr.

»Quadratus wird nicht gerade erfreut sein«, stimmte Cato seinem Freund zu. »Aber die Kommandokette ist nun mal, wie sie ist. Er wird sich in das Unvermeidliche fügen müssen. Außerdem ist Corbulo kein Mann, der ein Nein akzeptiert.«

Sie tauschten ein amüsiertes Lächeln aus. Während der Anreise aus Rom hatten sie den General gut genug kennengelernt, um ihn einschätzen zu können. Corbulo war Soldat durch und durch, ein Aristokrat, der Geschmack am militärischen Leben gefunden hatte und auch die nötigen Fähigkeiten dafür mitbrachte. Deshalb war er nach seiner Zeit als Tribun bei den Legionen geblieben, statt nach Rom zurückzukehren und sich der Politik zu widmen, wie so viele seiner Standesgenossen. Die Laufbahnen der römischen Aristokratie waren zum großen Teil vorgezeichnet; eine der wenigen Freiheiten bestand darin, die für den Militärdienst Ungeeigneten auszusieben, während fähige Männer dieses Standes die Möglichkeit hatten, in der Armee zu bleiben. Corbulo war ein typischer Soldatengeneral. Für ihn war es selbstverständlich, alle Entbehrungen mit seinen Männern zu teilen. Wenn sie im Freien schliefen, tat er das auch. Sobald er in einer Schlacht alle nötigen Anweisungen gegeben hatte, stellte er sich an die Spitze und kämpfte an vorderster Front. Er verlangte seinen Männern alles ab, war jedoch ebenso hart zu sich selbst. Auf diese Weise hatte er sich den Respekt und die Zuneigung seiner Soldaten erworben. Das hatten Macro und Cato von den wenigen Stabsoffizieren erfahren, die Corbulo von seinem Einsatz an der Rheingrenze mitgebracht hatte. Die beiden Freunde hatten allzu oft unter unfähigen Kommandanten gedient und waren umso zufriedener, dass sie es diesmal besser getroffen hatten.

Zudem waren sie ganz froh darüber, nicht mehr in Rom zu sein. Ein neuer Kaiser bedeutete immer Veränderung. Leute, die noch die Gunst des früheren Kaisers Claudius genossen hatten, sahen nun einer ungewissen Zukunft entgegen. Neue Männer würden in hohe Positionen gelangen und dadurch Gelegenheit erhalten, alte Rechnungen zu begleichen. So ging es nun einmal zu in der Schlangengrube der römischen Politik. Man würde mächtige Männer beschuldigen, unter der Herrschaft des früheren Kaisers irgendwelche Verbrechen begangen zu haben; einige Senatoren würden verbannt, andere still und leise beseitigt werden, und ihr Besitz würde zwischen den Denunzianten und dem kaiserlichen Schatzmeister aufgeteilt werden. Ein Angeklagter mochte noch so unschuldig sein – sein Schicksal war besiegelt, sobald Denunzianten und Anwälte Blut, oder vielmehr Geld, witterten.

Cato hatte wenig Lust, in solche Dinge hineingezogen zu werden. Vor allem, da er das Anwesen seines Schwiegervaters geerbt hatte, der so leichtsinnig gewesen war, sich an einer Verschwörung gegen Kaiser Nero zu beteiligen, kurz nachdem dieser auf den Thron gelangt war. Die überlebenden Freunde von Senator Sempronius machten kein Geheimnis daraus, was sie von Catos neu erworbenem Reichtum hielten. Ihm war bewusst, dass er sich mit diesem Erbe Feinde gemacht hatte, die bei der erstbesten Gelegenheit versuchen würden, ihn zu Fall zu bringen. Darum hatte er sich bereitwillig den Truppen des Generals angeschlossen, um mit ihnen zur Ostgrenze des Reiches zu ziehen. Er hatte außerdem beschlossen, seinen Jungen und dessen Kindermädchen mitzunehmen, anstatt zu riskieren, dass Catos Feinde sie möglicherweise als Geiseln benutzten, um gegen ihn vorzugehen. Mit seiner Entscheidung hatte er auch Centurio Macro eine Freude gemacht, der eine enge Beziehung zu Petronella eingegangen war, einer Frau, die ihm mit ihrer Trinkfestigkeit und ihrem Temperament ebenbürtig war und sich von nichts und niemandem unterkriegen ließ.

Und so lebten sie nun in den gemieteten Räumen eines Hauses, das einem jüdischen Silberschmied gehörte, nicht weit vom Forum in Tarsus entfernt. Sie hielten sich bereits einen Monat in der Stadt auf, und Quadratus hatte sich noch immer nicht blicken lassen. Tarsus war zwar ein recht angenehmer Ort, doch die Einwohner hatten es langsam satt, einen römischen General und eine Kohorte Prätorianer zu beherbergen. Besonders zuwider war ihnen der Lärm, den die römischen Soldaten veranstalteten, wenn sie sich in ihren freien Stunden betranken. Normalerweise hätte Cato die erzwungene Untätigkeit nervös gemacht, doch in diesem Fall war er dankbar für die Zeit, die er mit seinem Sohn verbringen konnte. So wie Macro dankbar für Petronellas charmante Gesellschaft war.

Macro schenkte ihnen beiden Wein ein. Sie setzten sich auf zwei Hocker zu beiden Seiten des Tisches und schauten auf den kleinen, gepflegten Hof hinunter. Von einem Springbrunnen plätscherte Wasser in ein Becken; ringsum standen bequeme Liegen im Schatten von Spalieren. Der Anblick erinnerte Cato an den Garten seines Hauses in Rom, und er fragte sich unwillkürlich, wann er es wiedersehen würde.

»Dieser Krieg gegen die Parther«, nahm Macro den Faden ihres Gesprächs wieder auf. »Was glaubst du, wie lange wir brauchen werden, um Vologaeses eine Abreibung zu verpassen?«

»Das hängt von Corbulo ab. Wenn er sich auf seinen Auftrag konzentriert, wird er dafür sorgen, dass wir unseren Mann auf den armenischen Thron bringen, und sich damit zufriedengeben. Falls ihn aber die Ruhmsucht packt … wer weiß? Dann könnte es uns am Ende genauso ergehen wie Crassus. Und das wäre gar nicht gut. So oder so wird es wohl Krieg geben, wie du gesagt hast. Nero wird erst zufrieden sein, wenn er in Rom einen großen Triumph zu feiern hat.«

Macro nickte und deutete auf den kleinen Lucius. Der Junge saß auf dem Boden, die dünnen Beinchen gespreizt, einen hölzernen Soldaten in jeder Hand, und murmelte aufgeregt vor sich hin, während er die beiden Figuren gegeneinander kämpfen ließ. »Was ist mit Lucius und Petronella? Was wird aus ihnen, wenn der Feldzug beginnt?«

»Sie können hierbleiben. Ich werde die Miete lange genug im Voraus bezahlen, damit Yusef zufrieden ist. Er ist ein anständiger Kerl. Ich bin sicher, er kümmert sich um sie, bis wir zurückkommen. Falls wir zurückkommen.« Cato war froh, dass er bei einem Anwalt in Rom ein Testament hinterlegt hatte. Damit war wenigstens Lucius’ Zukunft gesichert, wenn seine eigene es schon nicht war.

»Falls? Was soll das heißen?« Macro schüttelte den Kopf. »Wie immer ist der Krug bei dir halb leer … Und da wir gerade davon sprechen …« Er schenkte ihnen beiden nach. »Uns passiert schon nichts. Sobald wir den Parthern in den Arsch getreten haben, werden sie uns Armenien gern überlassen und sich in die Wüste verpissen, oder wo immer sie herkommen.«

Catos Miene verdüsterte sich. »Siehst du, genau das ist das Problem: in einem fremden Land zu sein und keine Ahnung davon zu haben. Das gefällt mir gar nicht – und es sollte auch dem General zu denken geben.«

Macro warf ihm einen finsteren Blick zu, doch Cato schüttelte den Kopf. »Ich spreche nicht von dir. Ich meine, dass wir so wenig militärisch wichtige Dinge über diese Leute und ihr Land wissen.«

»Ach so, verstehe.«

»Wir wissen nicht genug über das Gelände auf der anderen Seite des Euphrat«, führte Cato aus. »Wo kann man den Fluss überqueren? Außerdem gibt es sicher noch andere Flüsse – aber wo? Wir sollten eigentlich auch wissen, wo die Gebirgspfade verlaufen und wo Festungen, Städte und Dörfer liegen. Wir haben keine Ahnung von der Truppenstärke des Feindes, von seinen Absichten und der Position seiner Streitkräfte. Wir brauchen ortskundige Führer, die unsere Armee auf den sichersten Routen ans Ziel bringen – aber woher sollen wir wissen, ob wir ihnen trauen können? Crassus wurde der Verrat seiner Führer zum Verhängnis.« Cato nahm einen Schluck Wein und überlegte einen Moment. »Ich bin in die kaiserliche Bibliothek gegangen, bevor wir aus Rom aufgebrochen sind. Ich wollte etwas über Parthien und Armenien erfahren.«

»Na klar – Bücher. Du glaubst, mit Büchern lassen sich alle Probleme lösen«, spöttelte Macro gutmütig. »Irgendwo da drin muss doch die Antwort zu finden sein.«

»Du kannst spotten, so viel du willst, aber ich habe tatsächlich ein paar nützliche Dinge in Erfahrung gebracht. Nicht viel, das gebe ich zu. Immerhin habe ich eine Wegbeschreibung von Antonius’ Feldzug gefunden. Es war keine angenehme Lektüre, das kann ich dir sagen. Ich hatte keine Ahnung, wie groß Parthien ist, bis ich mir die Entfernungen zwischen den Städten und Ortschaften angesehen habe, in die Antonius kam. Der Verfasser des Berichts hat dazu angemerkt, dass unsere Legionen laut seinen Quellen kaum ein Drittel der Region durchqueren konnten. Er spricht von ausgedehnten Wüstengebieten und vielen Tagesreisen, bis sich die nächste Gelegenheit bietet, Wasser und Nahrung für Männer und Pferde zu finden. Auch über den Feind habe ich einiges gelesen. Die Parther sind einer offenen Feldschlacht möglichst aus dem Weg gegangen. Sie haben sich darauf beschränkt, unsere Kolonnen mit nadelstichartigen Angriffen zu schwächen und ansonsten Patrouillen und Nachzügler zu überrumpeln.«

»Dann beten wir zu den Göttern, dass Corbulo sich nicht nach Parthien locken lässt, sondern sich ganz auf Armenien konzentriert, wie es der Kaiser befohlen hat.«

Cato nahm einen Schluck und ließ dann den Wein nachdenklich im Becher kreisen. »Er wäre nicht der erste römische General, den es reizt, im Osten Ruhm zu erwerben.«

»Und er wäre mit Sicherheit nicht der letzte. Darauf haben wir zwei aber keinen Einfluss. Ich bin nur ein einfacher Centurio, und du bist der Tribun, der seine Leibgarde befehligt. Wir sind hier, um die Befehle des Generals auszuführen, nicht, um Ratschläge zu verteilen, die wir aus irgendwelchen verstaubten Schriftrollen in Rom gesammelt haben. Davon wäre Corbulo auch nicht begeistert, glaube ich.«

»Das mag sein. Jedenfalls habe ich irgendwie das Gefühl, dass unser Aufenthalt hier kein kurzer sein wird.«

»Damit kann ich leben.« Macro leerte seinen Becher und wischte sich mit dem behaarten Handrücken über die Lippen. »Das Wetter hier ist meistens angenehm warm. Der Wein ist billig, die Huren noch billiger.« Er blickte zur Tür des Nebenzimmers. »Äh, nicht dass mich das irgendwie reizen würde.«

Cato grinste. »Centurio Macro, du überraschst mich. Petronella hat einen neuen Menschen aus dir gemacht. Ich erkenne dich kaum wieder.«

»Bei allem Respekt, du kannst mich mal, Herr.« Macro lehnte sich zurück und verschränkte seine kräftigen Arme. »Ich bin derselbe Soldat, der ich immer war. Daran hat sich nichts geändert. Bloß ein bisschen grau an den Schläfen, ab und an mal ein kleines Zipperlein. Aber für einen letzten großen Feldzug bin ich allemal bereit. Auch wenn er so lange dauern sollte, wie du befürchtest.«

»Ein letzter Feldzug?« Cato hob eine Augenbraue. Er wusste, dass Macro über sechsundzwanzig Jahre in der Armee gedient hatte. Er war berechtigt, aus dem Militärdienst auszuscheiden und sich mit einer Prämie ins Privatleben zurückzuziehen. Falls er das wollte. Doch Macro hatte bisher keinen derartigen Antrag gestellt, weil, so hatte er gemeint, der Moment des Abschieds noch nicht gekommen sei. Er war überzeugt, noch ein paar gute Jahre als Soldat vor sich zu haben. Cato war durchaus froh darüber. Es grenzte an Aberglauben, wie sehr er Macro an seiner Seite brauchte, wenn er in den Kampf zog. Ihm graute jetzt schon vor dem Tag, an dem sein Freund seinen Abschied nahm und sich in irgendeine verschlafene Gegend zurückzog, während Cato seine Laufbahn allein fortsetzen musste. Er zwang sich, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.

»Ich frage mich, was Petronella dazu sagen wird. Falls dieser Feldzug sich in die Länge zieht, wird sie über die lange Trennung von dir nicht erfreut sein.«

Macro zuckte mit den Schultern. »Das muss man nun mal akzeptieren, wenn man sich mit einem Soldaten einlässt.«

»Sehr rücksichtsvoll von dir.«

»Es ist, wie es ist. Sie weiß das und versteht es.«

»Dann ist sie wirklich eine großartige Frau.«

»Ja, das ist sie.« Macro goss den Rest des Weins in ihre Becher. »Und wenn ich eines Tages die Armee verlasse, werde ich sie mit Stolz zu meiner Frau nehmen.«

Cato lächelte breit. »Ich hab mich schon gefragt, ob du wohl daran denkst.«

»Wir haben darüber gesprochen. Ich kann nicht heiraten, solange ich diene. Das Mindeste, was ich tun kann, ist aber, ihr ein wenig Sicherheit zu geben, falls mir was zustößt. Ich habe ein Testament aufgesetzt. Ich brauche nur noch einen Zeugen – wenn es dir nichts ausmacht, Herr?«

»Im Gegenteil, ich mache es mit Freude.« Cato hob seinen Becher. »Auf ein langes, glückliches Leben zu zweit – ein Leben, das dem Militärdienst gewidmet ist, versteht sich.«

Macro zog ein finsteres Gesicht. »Red du nur, ich weiß schon, was ich tu.«

Dann hob er seinerseits den Becher und stieß mit Cato an. »Auch dir ein langes, glückliches Leben. Dir und Lucius.«

Sie wandten sich dem Jungen zu, der auf dem Bauch lag, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, die Augen geschlossen und gleichmäßig atmend.

»Im Dienst eingeschlafen?« Macro sog scharf den Atem ein. »Was ist die Strafe dafür? Heute Abend kein Huckepack durch den Hof und kein Picknick mit Onkel Macro.«

Cato schüttelte den Kopf. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein unnachsichtiger Bastard bist?«

»Ich doch nicht. Ich bin sanft wie ein Lamm. Frag die Burschen in meiner Centurie.«

Lachend leerten sie ihre Becher. Der Wein, der angenehm warme Nachmittag, die Gesellschaft seines langjährigen Freundes und der friedliche Schlaf seines Sohnes schenkten Cato ein seltenes Wohlgefühl, und er betete im Stillen, dass Statthalter Quadratus sich noch ein paar Tage Zeit lassen möge, bis er zur Besprechung mit dem General erschien.

Plötzlich hörte er Schritte am Ende des Ganges und Augenblicke später ein scharfes Klopfen an der Tür.

Cato räusperte sich. »Ja, was gibt es?«

Mit einem leisen Knarren schwang die Tür auf. Ein Prätorianer trat ein und salutierte vor den beiden Offizieren.

»Verzeihung, Tribun, aber der General will dich im Hauptquartier sprechen.«

»Was gibt’s?«, fragte Macro.

»Die Trireme des Statthalters wurde gesichtet, Herr. Er sollte binnen zwei Stunden im Hafen eintreffen. Der General befiehlt, dass die Kohorte sich zu einer Ehrengarde formiert.«

»Scheiße«, seufzte Macro. Er stand vom Hocker auf und sah auf den schlafenden Jungen hinunter. »Wie gesagt, das Picknick fällt heute aus …«