Eine freundschaftliche Begegnung der Kulturen, der Religionen, der unterschiedlichen Denkweisen: In Dharamsala trafen sich der Religionswissenschaftler Michael von Brück und der Dalai Lama, um über die Transformation von Lebensprozessen und die Zukunft der Menschheit zu diskutieren.
Die Überschrift ihrer Gespräche lautet »Wagnis und Verzicht«. Es geht um persönliche Erfahrungen, Misserfolge, Hoffnungen, Ängste der beiden langjährigen Freunde. »Wagnis« beinhaltet Mut, Abenteuer, Fortschritt ohne Angst vor dem eigenen Leben. »Verzicht« enthält Zurückhaltung, Illusionen verlassen, bescheiden sein, sich selbst zurücknehmen, realistisch sein angesichts der Misserfolge, die man gehabt hat. Dieses persönliche Gespräch soll den Menschen die Hoffnung bringen, die sie aufgrund von Fehlschlägen und Zukunftsängsten aufgegeben haben.
Dalai Lama
Michael von Brück
Wagnis und Verzicht
Die ermutigende Botschaft
des Dalai Lama
Kösel
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Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Übersetzerin: Elisabeth Liebl
Umschlag: Weiss Werkstatt, München
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN 978-3-641-24213-8
V001
www.koesel.de
Inhalt
Vorwort
Einführung
Wagnis und Verzicht
Gespräche
Persönliche Erfahrungen
Autorität und vernunftbasierte Selbstverantwortung
Persönliche Begegnungen
Buddhistisch-christliche Wechselbeziehung
Bildung und Erziehung
Das Gesetz wechselseitiger Abhängigkeit – Urteilsvermögen und Liebe
Kultur und Institutionen
Familie und Freundschaft
Politische Beziehungen und Medien
Religionen
Wettbewerb und wechselseitige Abhängigkeit
Ökologie und Technologie
Zukunft gestalten
Transformation der Religionen
Vernunft und Fantasie
Verantwortung heute
Globale Ethik im interkulturellen Kontext Michael von Brück
Einleitung
Das Problem im Licht des Pluralismus
Klassische Fragen der Philosophie und die Problematik einer globalen Ethik: Wahrnehmung, Wirklichkeit, Bewusstsein
Wahrheit und religiöse Konstrukte der Wertebegründung
Schlussfolgerung
Die Praxis des Mitgefühls und unserer Verantwortung für die Welt Tenzin Gyatso, XIV. Dalai Lama
Die Praxis des Mitgefühls
Universelle Verantwortung und die globale Umwelt
Grund zur Hoffnung auf eine bessere Welt
Anmerkungen
Vorwort
Der Weg meditativer Erfahrung ist offen. Er ist nicht die Flucht in ein inneres Jenseits; er führt in die Gegenwart, in die Vernunft zurück.
Carl Friedrich von Weizsäcker1
Hat die Menschheit überhaupt noch eine Chance? Sind die zerstörerischen Potenziale des Menschen inzwischen so unkontrollierbar geworden, dass nur noch Resignation oder Verdrängung bleibt?
Die Antwort ist ein klares: Nein! Denn nichts ist und bleibt, was es ist, sondern entwickelt sich. Der Mensch muss jedoch lernen, vertraut Gewordenes aufzugeben. Dafür brauchen wir das Wagnis, Neues zu erproben, aber eben auch Verzicht auf manche Ansprüche, die wir, um unser Ego zu stabilisieren, für selbstverständlich halten. Vor allem brauchen wir Geduld, und das ist die kluge Balance von Wagnis und Verzicht, von Mut einerseits und Selbstbeschränkung andererseits.
Zwar wird in buddhistischer Perspektive das Bewusstsein als anfangs- und endlos begriffen, doch unter dem Gesichtspunkt des Entstehens aller Dinge in wechselseitiger Abhängigkeit und der Evolution erscheint alles Leben im Wandel. Die menschliche Kulturgeschichte wird ebenso wie die Geschichte der Natur durch das Gesetz von Ursache und Wirkung in Gang gehalten: Wie wir heute denken, fühlen und leben, ist das Resultat der Vergangenheit, und deshalb sind wir durch genetisch ererbte und kulturell geformte Verhaltensmuster zwar geprägt, aber nicht festgelegt. Denn das, was wir jetzt denken und tun, ist wiederum Ursache für Wirkungen, die sich in der Zukunft zeigen werden. Gedanken und Taten haben nicht nur Wirkungen nach außen, sondern sie wirken auf den Verursacher oder Täter zurück. So gestalten wir uns selbst durch unser Tun, d.h. der Mensch gestaltet sich durch seine eigene Gestaltung. Das bedeutet: Wir sind verantwortlich für das, was wir sind. Und wir sind im Werden.
Mutationen in der Geschichte der Evolution waren dann erfolgreich, wenn sie die verbesserte Anpassung der betreffenden Lebewesen an ihre Umwelt ermöglicht und damit die Lebensqualität erhöht haben. Fehlanpassungen und Fehlentscheidungen hingegen führen langfristig zu Verlust an Lebenskraft. Lebewesen werden, leben und vergehen in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt. Ohne dass steuernde Rückkopplung zu Korrekturen anregt, würde die Fehlerquote in jeder Entwicklung zunehmen und ein System sich letztlich selbst zerstören.
Wir sind also nicht festgelegt, sondern können lernen. Menschliche Natur und Kultur lassen sich nicht trennen, denn der Mensch hat zwar von Natur genetische Programme ererbt, doch umgekehrt ist des Menschen eigene Natur auch geprägt durch die Kulturgeschichte. Kultur, die durch Bildungsprozesse über die Generationen hinweg weitergegeben und gestaltet wird, ermöglicht neue und angepasste Formen der Erkenntnis, der Emotionen und des Verhaltens, die auf früheren Entwicklungen aufbauen, diese aber auch korrigieren. Der Anpassungs- und Transformationsdruck ist groß – andernfalls zerstören die Kräfte der Aggressivität (Kriege) und der Gier (Umweltzerstörung) die Grundlage für das menschliche Leben auf der Erde.
Im Rückblick auf die uns bekannte Menschheitsgeschichte beobachten wir, dass Menschen von zwei Kräften angetrieben werden: einerseits von dem Verlangen, einer Gruppe anzugehören, und andererseits sich durch Eigenleistung von einer Gruppe abzuheben. Der erste Faktor macht uns zu sozialen Wesen, der zweite zu Individuen. Wir streben gleichzeitig nach Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und nach individuellem Status. Die Gemeinschaft ist Voraussetzung für unsere Entwicklung als Individuen, und als Individuen leisten wir einen Beitrag zur Gemeinschaft, denn wir sind soziale Wesen und Teil der Gemeinschaft. Kulturelle Traditionen setzen dieses Wechselspiel auf unterschiedliche Weise um, aber beide Kräfte sind ständig präsent. Gier, Macht- und Herrschaftssuche, Eifersucht, Liebe, Empathie, Hingabe etc. – alle »negativen« und »positiven« Emotionen können als funktionale Faktoren in dieser Dynamik betrachtet werden. Sie müssen in ein Gleichgewicht gelangen, das das Leben verbessert, anstatt es zu zerstören. Dies geschieht nicht von selbst, sondern durch kulturelle Praxis auf allen Ebenen menschlichen Handelns – individuell, in sozialen Gruppen, politisch und in einer globalen Wirtschaft. Kein Zweifel: Wirtschaft ist heute die treibende Kraft, aber auch die Wirtschaft wird von Wissenschaft und Technologie mit der Motivation menschlicher Emotionen angetrieben.
Wie können diese Prozesse auf der Grundlage von Einsicht gesteuert bzw. rational kontrolliert werden? Dies war und ist die zentrale Frage bei den Gesprächen zwischen Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und Michael von Brück, die über mehrere Tage im April 2018 in Dharamsala, dem Sitz des Dalai Lama, stattfanden, von Michael von Brück herausgegeben und durch den Dalai Lama autorisiert wurden. Die Gespräche spiegeln die Lebenserfahrungen zweier Freunde, die sich vor dem Hintergrund ihrer Biographie in ganz verschiedenen sozialen Kontexten und Funktionen Gedanken um die Zukunft der Menschheit machen. Trotz sehr unterschiedlicher Lebenswege sind beide nunmehr über vier Jahrzehnte hinweg im Geiste intellektueller und emotionaler Diskurse vereint. Was ist dieser »Geist«, was bedeutet »vereint«? Natürlich werden wir unterschiedliche Meinungen und Ansichten zu den aufgeworfenen Fragen und den Möglichkeiten der Implementierung von Instrumenten für eine kulturelle Erneuerung vertreten, die einander ergänzen, aber auch widersprechen. Rückblickend auf unsere Lebenserfahrungen stellen wir fest, dass Mut und Frustration, Erfolg und Misserfolg, Hoffnung und Trauer zu dem beigetragen haben, was wir in diesen Gesprächen zum Ausdruck bringen wollen. Die Transformationsprozesse, über die wir sprechen werden, sind möglich. Und: Sie sind keine unerträgliche Last, sondern sie setzen Kräfte der Kreativität, der Freude, der gesteigerten Lebensqualität frei! Sie können uns ein erfüllteres Leben bereiten. Unter dem Titel »Wagnis und Verzicht« geht es uns einerseits darum, vorläufig Bilanz zu ziehen, und andererseits ein »Programm« zu entwerfen, das viele Menschen berühren und ermutigen möge, um ein transformiertes Bewusstsein als Grundlage für konstruktives Handeln zu entwickeln.
Tenzin Gyatso, XIV. Dalai Lama
Michael von Brück
Die Gespräche wurden auf Englisch geführt. Als ich dem Dalai Lama deutlich machte, dass wir im Deutschen zwei Möglichkeiten haben, das englische »you« zu übersetzen, nämlich in der distanzierteren, aber auch Respekt ausdrückenden Form des »Sie«, oder mit dem familiär-freundschaftlichen »Du«, das Nähe signalisiert, insistierte er kategorisch auf dem »Du«. Die Rücksprache mit den Privatsekretären ergab, dass ich unbedingt beim »Du« bleiben solle, denn das entspreche nicht nur dem ausdrücklichen Wunsch des Dalai Lama, sondern auch der Atmosphäre der Gespräche.
Im Übrigen begegnet der Dalai Lama jedem seiner Gäste mit jener ungeteilten freundschaftlichen Präsenz, die so charakteristisch für ihn ist. Denn alle Lebewesen stehen zueinander in einer familiär nahen Beziehung und sollten dies täglich verinnerlichen, damit wir in einer Welt leben können, die stärker von Mitgefühl füreinander und Hinwendung zueinander geprägt werde, als das heute der Fall ist.
Michael von Brück
Einführung
Wagnis und Verzicht
Michael von Brück (im Folgenden: MvB): Was ist unter dem Thema »Wagnis und Verzicht« zu verstehen? Einige Vorbemerkungen sind angebracht, damit wir, aber auch unsere Leser wissen, worüber wir reden.
Wagnis hat mit Mut zu tun, kann aber auch in Übermut umschlagen. Im Wagnis steckt Grenzüberschreitung, auch Risiko. Wagnis ist immer auch Abenteuer, es bedeutet meistens, gegen den Strom zu schwimmen und alte Gewohnheiten abzustreifen. Ein Wagnis ist es, Vertrauen zu haben, ohne das wir nicht leben können, das aber oft genug enttäuscht wird. Wagnis ist Aufbruch zu neuen Ufern. Wagnis riskiert das Scheitern. Verzicht kann eine kluge Selbstbeschränkung sein, manifestiert sich aber gelegentlich auch als Verzagtheit oder Resignation. Verzicht kann aus Einsicht in die Notwendigkeit folgen, bedeutet aber manchmal auch das mutlose Aufgeben eines brennenden Wunsches oder eines lang erstrebten Zieles. Verzicht kann Vermeidung sein oder eine Beschränkung, die sich der Herausforderung nicht zu stellen vermag. Verzicht kann jedoch auch einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten, wenn dadurch intensivere Konzentration möglich wird.
Offensichtlich wird das Leben aller Wesen, uns Menschen eingeschlossen, von Energien geformt, in denen sich ein Wechselspiel widerstreitender Kräfte manifestiert. So, und nur so, kommt es zu Bewegung. Bewegung ist die Grundlage allen Lebens, sie ist der Ausgleich von Gegensätzen: Vor und Zurück, Aktion und Ruhe, Systole und Diastole, Einatmung und Ausatmung, Bewegung und Stillstand. Der Puls des Herzens, der Puls des Lebens. Diese antagonistischen Kräfte reagieren miteinander und stellen ein gewisses Gleichgewicht her. Solche Gleichgewichtszustände existieren entwicklungsgeschichtlich immer nur für einen kurzen Moment, da das Pendel, schlägt es in die eine Richtung aus, bestrebt ist, wieder in die Gegenrichtung zurückzuschwingen. Der Gleichgewichtspunkt liegt in der Mitte dieser Bewegung, und das Leben ist ein Schwingen bzw. Kreisen um eben diesen Gleichgewichtspunkt. Wagnis oder Mut heißt vorwärtsstreben, Verzicht heißt, das Tempo zu drosseln und, damit verbunden, bestimmten Impulsen nicht oder nicht sofort zu folgen. »Mut« bedeutet, die Stimme zu erheben, tätig und risikobereit zu sein. »Selbstbeschränkung« oder Verzicht heißt, den Augenblickswünschen nicht sofort nachzugeben, sondern abzuwarten und zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Verzicht erfordert und ermöglicht Geduld – und diese ist gewöhnlich verbunden mit einer gewissen, durch Lebenserfahrung gewonnenen Weisheit.
Es liegt auf der Hand, dass Leben nur möglich ist in Wagnis und Verzicht, mit Mut und Selbstbeschränkung. Doch ist Verzicht vielleicht auf eine noch viel grundlegendere Weise unverzichtbar: Das Universum scheint über unerschöpfliche Energien zu verfügen, und es strahlt diese Energien mit Dynamik in alle Richtungen ab. Allein aufgrund der Ausstrahlungen von Energie einerseits und der Gravitation, die Ausbreitung zurückhält, konnte sich in der Frühzeit des Universums feste Materie bilden. Das heißt, Form ist nur möglich, weil es diese Anziehungskraft gibt, und das wiederum ist, auf der Ebene des Physikalischen, ein Aspekt der Beschränkung. Nur durch Beschränkung entsteht aus unbegrenzter Energie etwas Spezifisches, ein »Etwas«, das mit vielen anderen »Etwas« interagiert und kooperiert.
Dass jedes »Etwas« genau dieses (und nicht ein anderes) ist, hat seine Ursache in der Beschränkung. Einige Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von »ermöglichender Beschränkung«, weil nur das Spezifische, dieser Körper, diese Richtung, dieser Moment es uns ermöglichen, etwas zu sein, zu haben und es zu erfahren. In diesem Augenblick. Aus dem unermesslichen Raum, der unermesslichen Zeit werden dieser Raum und diese Zeit. Und dies wiederum ist die Grundlage für jede Erkenntnis, jede Emotion und jede Erfahrung.
Man könnte Wagnis und Verzicht, Mut und Beschränkung als Energien oder Kräfte betrachten, die dem Einatmen und Ausatmen gleichen. Möglicherweise handelt es sich dabei um komplementäre Bewegungsrichtungen, welche unsere Handlungen von Körper, Rede und Geist prägen. Vielleicht hängt die Dynamik dieser Polarität aber auch von unserem Alter ab, davon, an welchem Punkt wir im Rhythmus des Lebens stehen. Gewöhnlich legen junge Menschen Mut, Tatendrang und Ungestüm an den Tag. Sie haben ganz bestimmte Vorstellungen und Wünsche, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Sie wagen viel, um etwas zu erreichen, und dürsten danach, die Welt zu verändern. Ältere Menschen lassen sich hingegen meist weniger auf Wagnisse ein, ihre Lebenskreise sind zunehmend eingeschränkt und oft schon aus gesundheitlichen Gründen durch Verzicht geprägt. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass man nicht alles erreichen kann, was man hätte erreichen wollen. Sie zügeln ihren Enthusiasmus, und ihre Lebenserfahrung lässt sie die Dinge nüchterner sehen, aus einem erfahrenen Realismus heraus, manchmal aber auch aus Frustration oder Verbitterung.
Wir sind beide in einem Alter, wo Rückschau Eindrücke widerspiegelt, die mit Wagnis und Verzicht zu tun haben. Wir fragen uns, was wir erreicht haben. Und wo wir haben verzichten müssen, vielleicht aber auch ganz bewusst verzichtet haben, um möglichen Schaden abzuwenden? Alter bedeutet ja auch Befreiung, es kann nämlich eine Haltung erleichtern, in der wir weniger müssen, sondern vielmehr dürfen und wollen und auch verzichten können. Wir sind vielleicht gelassener geworden und müssen nicht mehr so viele und teils widerstreitende Rollen spielen. Dennoch stellt sich die Frage: Haben wir noch genug Mut zum Wagnis, um uns auf die drängenden Fragen und Probleme, mit denen sich die Menschheit heute konfrontiert sieht, einzulassen? Und wenn ja, woher, aus welchen Ressourcen, beziehen wir unseren Mut und unsere Hoffnung und unsere Bereitschaft zum Wagnis?
Jeder Mensch wächst in einer spezifischen Umgebung auf. Ob dies Bestimmung bzw. Karma ist oder Zufall, erleben und deuten Menschen verschieden. Durch unsere Eltern geprägt, dann durch die Sprache, in der wir aufwachsen, beeinflusst uns auch die Religion bereits in jungen Jahren mit ihren Erzählungen und Ritualen. Später hinterlassen dann Freunde und Lehrer Eindrücke in unserem Geist und in unserem Herzen. Was wir sind, das sind wir in wechselseitiger Abhängigkeit von anderen, unsere natürliche Umgebung inbegriffen. In Abhängigkeit von ererbten physischen wie psychischen Prägungen und diesen frühen Einflüssen bilden wir, während wir heranwachsen, bestimmte Vorstellungen, Bestrebungen und damit unseren Charakter aus. Wir sind also keineswegs Individuen, die von anderen unabhängig wären. Was wir sind, sind wir aufgrund vieler unterschiedlicher Einflüsse, denen wir ausgesetzt waren und sind. Was wir aber mit diesen Einflüssen, die uns geformt haben, anfangen, ob wir sie bewusst ausgestalten oder uns davon frei machen, sie annehmen oder zurückweisen, das liegt ganz entscheidend an uns selbst, an unserem Willen und unseren Fähigkeiten. Aber auch dieser Wille zum Wagnis oder die Fähigkeit zum Verzicht sind eine Folge von Erziehung und Vorbildern, die uns besonders in der Jugend geprägt haben. Wir können bestimmte Ziele akzeptieren oder aufgeben, mit unseren Erfolgen und Fehlschlägen auf unterschiedliche Weise umgehen. In jede Biographie sind Erfahrungen des Erfolgs und des Scheiterns eingezeichnet, und wir vermögen aus beidem zu lernen. Erfolg wie auch Scheitern können uns zum Wagnis ermutigen oder Verzicht lehren, und es gibt keine absolut gültigen Lösungen. Wenn wir Bilanz ziehen, ist immer beides im Spiel: Wagnis und Verzicht.