Anmerkung der PARTEI: Ja, was sollen sie wohl denken? Z.B. »Verdammter Wodka, hab ich hier etwa auch Lokalverbot?«
Ich bitte um Verzeihung für die Wortwahl, aber ich genieße Immunität.
Empfohlene Google-Suchworte: Spott für grüne Teletubbies, Fremdschäm-Video. Leider geht unser Sabotageplan nicht auf, das Video zerstört die Karrieren der drei Jungpolitiker nicht nachhaltig; Terry Reintke wird später »Person of the Year« im Time-Magazine, Ska Keller Fraktionsvorsitzende und Albrecht Minister in Schleswig-Holstein.
József Nyírö 1941: »Das Blut reinigt Europa, es lebe Adolf Hitler«
Also in einer Fraktion mit CDU/CSU. Smiley!
Mit Redenschreibern ist das so eine Sache, meiner ist bekanntlich depressiv und leitet mir statt ausgefeilter Reden Spammails ins Plenum: »Wieso verdient diese Oma 459 Euro pro Tag und Sie NICHT?«
Die Ausgaben (bei der AfD für Gold, bei der PARTEI für GELD) hingegen bleiben unberücksichtigt. Nur die Einnahmen zählen. Irre, oder? Und jetzt hopp, auf, überweisen! Alles, was Die PARTEI von den 157 Millionen nicht bekommt, geht an die CDU!
0,25 Liter Stella Artois für 1,50 Euro
Janice Atkinson (UKIP) trat bei, nachdem sie aus ihrer Fraktion ausgeschlossen worden war. Zuvor hatte sie in England eine Thailänderin öffentlichkeitswirksam als »ting tong« beleidigt und nach einer politischen Veranstaltung in einem Restaurant eine weit überhöhte Quittung verlangt.
Achtung, der Name »Gollnisch« wird bisweilen vom Korrekturprogramm in »Goldfisch« geändert. Bruno Goldfisch war lange Jahre zweiter Mann hinter Jean-Marie Le Pen beim Front National und darf nicht mit in Marine Le Pens rechtsradikale EU-Fraktion ENF, weil er zu justiziable Ansichten zum Holocaust vertritt.
Vgl. Internet: »Deutschland wählt: Ein neues Gesicht für Angela Merkel«, »Darf das Kanzler werden?« etc.
Seine Fremdsprachenkenntnisse sind limitiert, er sagt tatsächlich »Lieber Präsident Hollands«. Das aber ist Mark Rutte.
Henkel hat seine Klage nicht zurückgezogen; eine Beleidigung konnte allerdings vom Richter auch in der zweiten Instanz nicht festgestellt werden. Ätsch!
Finanz-/Premierminister Luxemburg von 1995–2013. Vgl. Google, Seite 949ff., Suchworte »Lux-Leaks«, »Schandfleck des Jahres«, »Amazon-Steuersatz 0,5 Prozent«.
Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen errangen PARTEI-Kandidaten über 20 Mandate.
Vgl.: Das PARTEI-Buch, Seite 77ff.
Für den Fall, dass Sie bewegte Bilder mögen: Sie finden die Rede »Auf ein Wort, Monsieur Macron!« auf meiner Homepage – und bei Youtube viele lustige Kommentare.
Alter Titanic-Witz. Aber in Zeiten, in denen Trump zu Protokoll gibt, »Belgien ist eine wunderschöne Stadt!«, praktisch wie neu.
Europarat: Gremium mit Vertretern von 47 Staaten, kämpft für die Wahrung demokratischer Prinzipien, Menschenrechte und gegen Korruption; nicht zu verwechseln mit dem Rat der Regierungschefs der EU.
»Man soll nur von Europa sprechen,
denn die deutsche Führung
ergibt sich ganz von selbst.«
Außenpolitisches Amt der NSDAP
Die endgültige Teilung Europas –
das ist unser Auftrag.
Die PARTEI
Liebe Leser,
Sie sind doch verrückt! Einen bekennenden EU-Kritiker und »Politclown« (Süddeutsche Zeitung) nach Brüssel zu schicken, das ist kein Spaß. Mit anderen Worten: Die Grenzen der Satire sind weit überschritten, wenn Typen wie Günther Oettinger, Udo Voigt (NPD) und ich plötzlich Typen wie Sie von Brüssel aus regieren müssen.
Wobei meine Situation dabei wohl am dramatischsten ist – herausgerissen aus dem halbwegs seriösen Umfeld von Titanic und »heute show« und hineingeworfen mitten in ein Brüsseler »Spaßparlament« (BVerfG, kein wörtliches Zitat), das schon wegen des fehlenden Initiativrechtes über ein ausgeprägtes Demokratiedefizit verfügt und bei uns in Deutschland nicht den allerbesten Ruf genießt.
Schuld ist natürlich wie immer der Wähler. 184709 wahlberechtigte Bürger haben in der Europawahl 2014 ihre Stimme der PARTEI gegeben. Schuld sind aber auch das Bundesverfassungsgericht und der Bundestag, denn 184709 Stimmen sind lediglich 0,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ein Mandat erringen konnten wir damit lediglich, weil das höchste deutsche Gericht die Fünfprozenthürde als verfassungswidrig eingestuft hatte. Immerhin verzerrt diese ohne triftigen Grund das Wahlergebnis und verstößt gegen die Chancengleichheit der Parteien.
Der Bundestag dagegen war zu bequem, sich inhaltlich mit dem Urteil auseinanderzusetzen, und beschloss daraufhin mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen die Einführung einer – Dreiprozenthürde.
So war es eigentlich keine große Überraschung, dass das Verfassungsgericht dann auch dieser reduzierten Sperrklausel auf die – von Anwälten mit Krawatten höflich vorgetragene – Bitte einiger unseriöser Kleinparteien hin dieselbe Verfassungswidrigkeit bescheinigte. Unnötig, zu erwähnen, dass Die PARTEI mit geklagt hat.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle stellte klar, dass gerade bei der Wahlgesetzgebung die Gefahr bestehe, »dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt«. Die Stimme jedes Wählers müsse grundsätzlich denselben Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben, sagte Voßkuhle.
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien erfordere zudem, dass jeder Partei gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. Ausnahmen seien nur durch gewichtige Gründe zu rechtfertigen.
Soso. Ein Mandat also. Für das EU-Parlament. Verdutzt stehe ich am Wahlabend inmitten fröhlich feiernder PARTEI-Mitglieder vor der Manyo Bar in Ostberlin, als die Mathematiker in der PARTEI mir erklären, dass wir mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Mandat erhalten werden. Der Bundestag hatte offenbar vergessen, die Sitzzuteilungsmethode, die eigentlich auf eine Sperrklausel ausgerichtet ist, zu ändern. Angesichts des überhasteten Gesetzgebungsverfahrens, bei dem die Wahlrechtsänderung innerhalb von einer Woche durch den Bundestag getrieben wurde, mag man das niemandem zum Vorwurf machen, Smiley! Dennoch hat dieses Versäumnis zur Folge, dass schon ab etwa einem halben Prozent aufgerundet wird und einer der 96 deutschen Sitze im EU-Parlament an uns fällt. Dass das nicht jedem gefallen wird, ist klar.
CDU und CSU im EU-Parlament kritisierten das Karlsruher Urteil. »Nun müssen wir mit dem Urteil leben und auch damit, dass wir Splitterparteien und radikale Kräfte aus Deutschland im EU-Parlament haben werden. Das ist keine sehr angenehme Situation«, erklärten der Vorsitzende und der Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe, Herbert Reul und Markus Ferber.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), griff das Gericht wegen der Abschaffung der Dreiprozenthürde bei Europawahlen scharf an. »Mit dem Urteil schwächt Deutschland sich selbst. Einerseits klagt das Verfassungsgericht über zu wenig Demokratie in der EU, und dann hindert es das Parlament, vernünftige demokratische Kontrolle auszuüben«, sagte Brok. In dem Urteil komme »die Verachtung einiger Richter für Politik zum Ausdruck. Ich würde die Damen und Herren gern einmal zu einem vierwöchigen Praktikum ins EU-Parlament einladen, damit sie dessen Funktionsweise verstehen.«
Diese politikparodistische Spaßguerilla verhöhnt die Menschen in nicht demokratischen Ländern. Was sollen eigentlich die Wählerinnen und Wähler in der Ukraine denken, die nicht ins Wahllokal gelassen wurden?[1]
Ich habe nichts gegen Mandate. Einige unserer besten Politiker hatten Mandate. Aber mein Leben auf den Kopf stellen, um irgendwo in einem Parlament herumzuhängen? Kommt nicht in Frage. Zum ersten Mal haben wir von ZDF Neo ordentlich dotierte Verträge für längere Dokumentationen angeboten bekommen. Der 25. Jahrestag der Wiedervereinigung stand an, sollte der ohne unsere Filmbeiträge gefeiert werden? Und was hatte der eine Typ in der Welt gesagt, vier Wochen reichen, um die Funktionsweise des Europaparlaments zu verstehen? Da traf es sich ja gut, dass wir vorgesorgt und bei unserem Bundesparteitag in Bremen etwas großspurig und für den Fall der Fälle 96 Leute auf die Europaliste der PARTEI gewählt hatten. Ein paar Jever später steht mein Plan fest. Dass ich auf der frühmorgendlichen Fahrt nach Hause offenbar noch einen Anruf entgegengenommen habe, wird mir erst bewusst, als ich beim Aufwachen am nächsten Tag meine Stimme überraschend klar im Radio höre. Der anschließende Kommentar vermeldet, dass ich bereits mit der Arbeit begonnen hätte, während viele andere noch schliefen.
Die Satire-Partei »Die PARTEI« hat bei der Europawahl einen Sitz im Parlament bekommen. Parteichef Martin Sonneborn ist der gewählte Abgeordnete, will aber schon nach einem Monat sein Amt wieder abgeben. »Ich werde mich vier Wochen lang intensiv auf meinen Rücktritt vorbereiten«, sagte er. Damit will der frühere Chefredakteur der »Titanic« eine Rotation einleiten. Der Plan: Die Parteimitglieder sollen monatlich zurücktreten, um 60 Kollegen »durchzuschleusen durch das EU-Parlament«, vor allem wegen des Geldes. »Wir melken die EU wie ein kleiner südeuropäischer Staat.«
Der Plan ist einfach und gut. Fünf Jahre Mandat ergeben 60 Monate, in denen wir mittels monatlichen Rücktritts einen Abgeordneten und 59 Nachrücker durch das Parlament schleusen können. Eine kurze Recherche bei Wikipedia ergibt, dass sich der Monat finanziell nicht nachteilig auswirken muss: rund 8000 Euro monatliches Grundgehalt, zuzüglich einer Büropauschale in Höhe von 4300 Euro und noch mal 21000 Euro für Mitarbeiter – das machte summa summarum rund 33000 Euro, mit denen man politisieren kann. Hartz 33! Dafür konnte man sich schon mal einen Monat lang Brüssel ansehen. Zumal Wikipedia auch noch ein sechsmonatiges Übergangsgeld versprach, um die Wiedereingliederung nach vier Wochen Belgien zu erleichtern.
Frank-Walter Steinmeier regt das auf: »Parteien, die sich am Tag nach der Wahl einen Spaß daraus machen, sich publikumswirksam zurückziehen, leisten keinen Beitrag zur Demokratie, eher das Gegenteil.« Auch wegen Sonneborns »Jux-Partei« müsse man sich fragen, »ob es wirklich für alle Zeiten unzulässig sein soll, über eine Sperrklausel für das Europaparlament nachzudenken«. Wenn dies über das nationale Recht nicht gehe, müsse man halt überlegen, eine Hürde auf europäischer Ebene einzuführen.
Was ist eigentlich das Gegenteil von einem Beitrag, frage ich mich und empfehle dem Kollegen Steinmeier auf Twitter, am Volkshochschulkurs »Grammatik für Außenminister (I)« teilzunehmen. Und darüber nachzudenken, ob nicht die SPD mit einem publikumswirksamen Rückzug einen Beitrag zur Demokratie leisten sollte. Apropos »Demokratie«, vielleicht sollte Steinmeier den Kurs auch gleich dazubuchen: auf europäischer Ebene ein Wahlrecht einführen zu wollen, das auf nationaler Ebene nicht mit unserer Verfassung zu vereinbaren ist – wer ist hier eigentlich der Politclown?
Aber Kritik kommt auch aus dem EU-Parlament. Eine CDU-Abgeordnete namens Inge Gräßle bombardiert die Medien mit einer Pressemitteilung. Empfängt man so neue Kollegen?
»Eisberg voraus!«
Neukollege Sonneborn zeigt peinliche Schwächen bei den Inhalten seines angeblichen 1-Monat-Jobs: Europaabgeordnete verdienen weit weniger als er behauptet, sagte die CDU-Europaabgeordnete und Sprecherin der EVP-Fraktion im Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments, Inge Gräßle.
Der Parteivorsitzende der »Partei«, Martin Sonneborn, hat behauptet, Europaabgeordnete würden pro Monat über mehr als 30000 Euro verfügen. Tatsächlich verdient ein deutscher Europaabgeordneter ungefähr so viel wie ein Bundestagsabgeordneter und muss sein Gehalt selbstverständlich in Deutschland versteuern. Sonneborn will sich die Gelder für seine Mitarbeiter unter den Nagel reißen. Das wäre ein Betrugsversuch. Offensichtlich ist Sonneborn schon vor seinem Einzug ein Fall für das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung!
Sie rät dem ehemaligen Titanic-Chefredakteur: »Volle Kraft zurück und die Wende einleiten. Satire lebt von Witz und Tiefgang und nicht von billigen Gags und Halbwahrheiten. Sonst sinkt der Satiredampfer«, so Gräßle.
Etwas weniger metapherngesättigt, aber schwerwiegender klingt die Kritik in einem offenen Brief an den Generalsekretär des EU-Parlaments. Sven Giegold aus der Fraktion der Grünen hat ihn verfasst. Schwerwiegender, weil Wikipedia offenbar die Durchführungsbestimmungen des Parlaments nicht bis ins Detail studiert hat. Kann man sich denn auf wirklich nichts mehr verlassen?
Sehr geehrte Damen und Herren,
unser neuer Abgeordnetenkollege, Herr Martin Sonneborn, hat für seine Partei angekündigt »Wir melken die EU wie ein kleiner südeuropäischer Staat.« Er präzisiert: »Wir werden die Zeit vor allem damit verbringen, unsere Rücktritte zu organisieren und uns zu bereichern.« In den 5 Jahren der Legislatur möchte er 60 Parteimitglieder durchs Europaparlament rotieren und sie jeweils 33000 Euro und das Übergangsgeld kassieren lassen (taz, 26.05.2014). Gerade weil ich seine Arbeit als Comedian außerordentlich schätze, bitte ich Sie hiermit förmlich, die Verschwendung von Steuergeldern zu verhindern und dafür alle rechtlichen Möglichkeiten vollständig zu nutzen. Ich liebe Sonneborns Witze auf Kosten von uns PolitikerInnen, aber ich lasse keine zu auf Kosten der SteuerzahlerInnen.
Im Abgeordnetenstatut unseres Europäischen Parlamens heißt es:
Artikel 13
Die Abgeordneten haben nach Ende des Mandats Anspruch auf ein Übergangsgeld in Höhe der Entschädigung nach Artikel 10.
Dieser Anspruch besteht für jedes Jahr der Ausübung des Mandats für einen Monat, mindestens jedoch für sechs und höchstens für 24 Monate.
Im Übrigen zweifle ich an der Freiwilligkeit von evtl. Mandatsverzichtserklärungen der Herr Sonneborn nachfolgenden VertreterInnen der »Partei« (…) Dies wird noch verstärkt durch Herrn Sonneborns Einlassungen zur innerparteilichen Demokratie: »Wir sind ja eine straff führerzentrierte Partei.« (taz, 26.02.2014) Daher fordere ich Sie auf, nicht zuletzt die freie Willensentscheidung zum Mandatsverzicht ausführlich zu prüfen. Wenn uns die Große Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen die Abschaffung von Bürokratie schon schwer macht, wollen wir wenigstens Sonneborns Ringen mit ihr sehen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Sven Giegold
Nachdem Spiegel Online den Brief etwas sehr unanständig und faktenreduziert auf die Formulierung zuspitzt, der grüne Abgeordnete Sven Giegold wolle »Sonneborns Einzug ins Parlament verhindern«, kommt es zu einem kleinen, äußerst unterhaltsamen Shitstorm auf Twitter.
Auch Sonneborn selbst schaltete sich via Twitter in die Diskussion ein. »Hahaha, Giegold, dass die Grünen Probleme mit dem Rotationsprinzip haben, ist keine Überraschung … Smiley!«, schrieb er in dem Kurznachrichtendienst.
Wirklich bedeutsam für mich ist allerdings eine Wortmeldung in der Legal Tribune Online. Der renommierte Parteienrechtler Herbert von Arnim gesteht zwar zu, dass wir mit unserem Vorgehen »die überzogenen Pauschalen und sonstigen Kostenerstattungen in den Fokus der Öffentlichkeit gezogen« haben …
Dabei hat der ehemalige Chefredakteur der Titanic die verrückteste Regelung noch gar nicht erwähnt. Die 33000 Euro, die Sonneborn sich und jedem seiner Kollegen vor dem jeweiligen Rücktritt künftig monatlich sichern will, werden auch an EU-Abgeordnete aus Ländern mit sehr viel niedrigerem Preis- und Einkommensniveau gezahlt. Das Geld ist dort real das Drei- oder Vierfache wert und beschert den Abgeordneten sehr viel höhere Einkommen, als ihre Staats- oder Ministerpräsidenten beziehen, und eine übergroße Zahl von Assistenten.
… aber den angekündigten Rücktritt und die geplante monatliche Rotation von 60 PARTEI-Freunden sieht er als »Verächtlichmachung des Parlamentes«, »gegen das die Geschäftsordnung ausreichend Sanktionsmittel zur Verfügung« stelle. Das Parlament müsste lediglich vermuten, dass die angekündigten Rücktritte »dem Geist des Direktwahlaktes widersprechen«, um meinen Rücktritt zurückzuweisen. Und so stehe ich plötzlich in der Verantwortung, vor Ihnen und vor Europa: »Gäbe Sonneborn sein Mandat faktisch dennoch auf, könnten andere Listenbewerber nicht nachrücken.«
Nun gut. Wenn Wähler und Parlament es nicht anders wollen, nehme ich den Auftrag eben an. Und gehe nach Brüssel, ins Parlament.
Aber natürlich nicht allein. Nachdem ich ein paar alte Freunde und Kollegen, die gerade nichts Besseres zu tun hatten, als Redenschreiber und Berater eingestellt habe, frage ich den Landesvorsitzenden der PARTEI in Berlin, ob er mich als parlamentarischer Assistent und Büroleiter nach Brüssel begleiten möchte. Dustin Hoffmann, zwei Jahre vor dem Fall der Mauer im Osten Berlins geboren und benannt, hatte den Landesverband der PARTEI in Berlin aufgebaut und sich dabei als kommunikationsfreudiges Organisationstalent erwiesen.
Und da ich ab sofort offenbar über ausreichend Tagesfreizeit verfüge – Silvana Koch-Mehrin (FDP) hatte als Abgeordnete des Europaparlaments bekanntlich über mehr als ein Jahr hinweg sämtliche Sitzungen ihres einzigen Ausschusses geschwänzt –, kann ich Ihnen auf den kommenden Seiten ein paar kleine Einblicke in mein neues hochpolitisches Umfeld geben.
Spiegel Online bekommt noch ein schnelles Interview, dann machen wir uns auf nach Westen, in ein Land, das die Deutschen eher als Durchmarschgebiet kennen.
SPON: Sie haben im Wahlkampf eine Faulenquote, eine Mauer um die Schweiz, ein Wahlalter von 12 bis 52 gefordert. Was gehen Sie als Erstes an?
Martin Sonneborn: Ich glaube, das Europaparlament kann keine eigenen Punkte setzen. Außer Resolutionen zu verabschieden, kann man dort nicht viel erreichen. Ich sehe mich eher als Stimmvieh, das die Vorgaben der Europäischen Kommission im Hauruckverfahren abnickt.
SPON: Wie stimmen Sie ab, wenn Jean-Claude Juncker und Martin Schulz im Plenum zur Wahl stehen?
Martin Sonneborn: Juncker werde ich auf keinen Fall wählen, der ist Ausländer und für Europa nicht tragbar. Schulz? Nun ja …
Das erste Jahr
»Hoffmann, was verdiene ich jetzt eigentlich wirklich? Lohnt sich die Sache?« Hoffmann lächelt: »Wenn die Richter am Europäischen Gerichtshof zufrieden sind, kannst du es zu 38,5 Prozent auch sein. Du erhältst 38,5 Prozent ihres Gehalts als Diät, das sind etwas über 8600 Euro brutto. Nach Abzug einer Gemeinschaftssteuer werden rund 6700 Euro ausgezahlt, die im Prinzip versteuert sind, aber in Deutschland noch mal auf deinen persönlichen Steuersatz hin überprüft werden.«
»Aha.«
»Außerdem gibt es ein Tagegeld in Höhe von gut 300 Euro, steuerfrei natürlich, für jeden Tag, an dem du an offiziellen Aktivitäten in der EU beteiligt bist. Das kommt automatisch, sobald du deine Anwesenheit nachgewiesen hast, zum Beispiel durch deine Unterschrift in einem Anwesenheitsbuch. Wenn du Vorsitzender einer Fraktion wirst, musst du nicht einmal selbst unterschreiben, da wird das einfach gemeldet. Und als Parlamentspräsident kriegst du Tagegeld für jeden Tag im Jahr, auch für Sonn- und Feiertage. So wie Präsident Schulz.«
»Wie werde ich am schnellsten Vors… Pardon: Parlamentsprä… Entschuldigung, ich meinte: Ist das alles?«
»Natürlich nicht.« Hoffmann schaut mitleidig. »Dazu kommt eine Bürokostenpauschale von 4416 Euro, monatlich, steuerfrei natürlich, für Ausgaben wie …
»… Faxpapier? Bleistift? Titanic-Abo?«
»Im Prinzip: ja. Du kannst sie für alle Büroausgaben verwenden, zum Beispiel für Handyrechnungen, IT-Geräte über die Computer und iPads hinaus, die das Parlament uns stellt«, Hoffmann zieht sein Smartphone und ruft eine Seite des Parlaments auf, sucht kurz, findet die entsprechende Richtlinie und doziert weiter: »Zeitungen, Zeitschriften, ein Büro in deinem Wahlkreis …« Plötzlich fängt er an zu lachen: »Vor der Aufzählung steht ›nachstehende Liste ist nicht erschöpfend‹ – ein Schelm, wer Böses … Also, das Geld ist für alle Ausgaben, die im Zusammenhang mit der Ausübung deines Mandats stehen und von anderen Pauschalen nicht abgedeckt werden.«
»Gut zu merken. Weiter, ich will mehr. Was ist mit Reisekosten? Falls ich mal … reisen muss … Soll ich das etwa privat bezahlen?«
»Natürlich nicht. Der Bundestag stellt allen deutschen Parlamentariern eine BahnCard 100. Außerdem kannst du einmal pro Arbeitswoche zwischen Berlin und Brüssel hin- und herfliegen. Business-Class. Oder in andere Städte, wenn der Preis den eines Business-Class-Fluges nach Berlin nicht übersteigt.«
»Und wenn ich mal mit dem Auto fahren müsste …?«
»Kein Problem: In Brüssel, Straßburg und Berlin selbst kannst du kostenfrei den Limousinen-Service des Parlaments nutzen. Wenn du selbst mit dem Wagen von Berlin nach Brüssel fährst, erhältst du Spritgeld: 51 Cent pro Kilometer. Zuzüglich Entfernungspauschale, 23,12 Euro, zuzüglich 13 Cent für den 51. bis 250. Kilometer, sechs Cent für Kilometer 250 bis 1000 und drei Cent darüber hinaus.«
»Ist das schon alles?«
Hoffmann liest. »Nein, wir haben die Zeitaufwandsvergütung vergessen: Du erhältst zusätzliches Tagegeld je nach Dauer der Reise, wobei wir von einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 70 Kilometern in der Stunde ausgehen.«
»Realitätsfern.«
»Es gibt 39,13 Euro für zwei- bis vierstündige Fahrten, 78,25 Euro, also ein Viertel Tagegeld, wenn du vier bis sechs Stunden unterwegs bist, ein halbes Tagegeld bei über sechsstündiger Reise ohne Übernachtung, 313 Euro bei einer Übernachtung, allerdings nur bei ›unvermeidlicher Übernachtung‹. Und: ›Nicht berücksichtigt wird eine Verlängerung der Reisedauer, die sich dadurch ergibt, dass nicht die direkteste Route gewählt wurde.‹«
»Gilt das auch für die Kilometerpauschale?«, frage ich. »Ich würde mich dann ab und zu verfahren zwischen Berlin und Brüssel. Einmal falsch abgebogen – Ostsee.«
Dustin Hoffmann
»Mach das besser nicht, ich muss mich dann hinterher mit der Verwaltung auseinandersetzen. Ich meine, ich hätte gelesen, dass die erstattungsfähigen Reisen mit dem Auto auf 24000 Kilometer begrenzt sind. Aber wenn du drüberkommst, kannst du sie dir aus dem Additional-Travel-Budget erstatten lassen. Oder aus Budget 400? Nee, das geht nicht, sehe ich gerade.«
»Budget 400? Lass mich raten, 400 Euro für Notfälle, in denen die nicht erschöpfende Büropauschale nicht greift, man mit Tagegeld, Kilometerpauschale und Zeitaufwandsvergütung nicht auskommt und …«
»Nicht ganz«, korrigiert mich Hoffmann. »Budget 400 sind rund 45000 Euro im Jahr für Veranstaltungen, Kugelschreiber bzw. Werbematerial, Druckerzeugnisse wie Flyer, Broschüren etc. Das wird aber direkt vom Parlament verwaltet.«
»Schön, da können wir einiges an lustigen Dingen produzieren.«
»Und jetzt aber zum wichtigsten Budget, der Mittelausstattung für parlamentarische Assistenten. Das sind knapp 25000 Euro im Monat, aus denen alle Personalausgaben gedeckt werden.«
»Den Posten kenne ich«, werfe ich triumphierend ein, »ich habe gehört, dass nach dem EU-Beitritt ihrer Länder einige osteuropäische Abgeordnete für zigtausend Euro Assistenten eingestellt haben und sich insgeheim von denen einen Großteil zurückzahlen ließen!«
Mein Büroleiter schüttelt bedauernd den Kopf: »Das geht nicht mehr, die Richtlinien wurden 2009 geändert. Du bekommst das Geld gar nicht mehr in die Hand. Das geht alles über eine Zahlstelle.«
Wir haben uns nicht angemeldet, deswegen wartet am Flughafen von Brüssel kein Wagen des Fahrdienstes auf Hoffmann und mich. Ich beschließe, den Flughafenbus in die Stadt zu nehmen. Es ist jetzt wichtig, den Kontakt zu den einfachen Menschen nicht zu verlieren.
Der Zweite Weltkrieg hatte in Brüssel kaum Zerstörungen verursacht, aber der Bau des EU-Quartiers vermochte das locker auszugleichen. Da die EU in den siebziger und achtziger Jahren keine langfristigen Garantien für diesen Standort geben wollte, blieb der Bürohausbau der privaten Wirtschaft überlassen. Bodenspekulanten kauften vorsorglich ganze Stadtquartiere auf und zerlegten elegante, etwas heruntergekommene Jugendstilquartiere. Korrupte Verflechtungen zwischen Politik, Verwaltung und Bauwirtschaft ergänzten sich schön mit einer fehlenden Stadtplanungspolitik. Baugenehmigungen wurden höchst freizügig erteilt und den Forderungen der Investoren angepasst. Um für Europa Platz zu schaffen, folgte »eine beispiellose Abrisstragödie«, wie die Bauwelt 1993 konstatieren musste.
Das Ergebnis befindet sich hinter mir. Steht man mit dem Rücken zum EU-Parlament, hat man den fast idyllischen kleinen Place Luxemburg vor sich; schmale weiße, typisch belgische Häuschen, drei Stockwerke hoch, mit kleinen Restaurants, Bars und Pubs im Erdgeschoss. Dreht man sich um, steht man vor einem riesigen, beeindruckend hässlichen, vollverspiegelten Bürogebäudekomplex, der auch im Quartier um den Berliner Hauptbahnhof nicht weiter auffallen würde. Hier befindet sich mein neuer Arbeitsplatz: das Europäische Parlament. Über einen großen Vorhof schlendere ich auf eine der beiden Drehtüren zu, die von Sicherheitsleuten bewacht werden.
Lässig nehme ich die letzten Stufen, schlendere auf die Einlasskontrollen in der Haupthalle zu. Ein interessantes Gefühl, zum ersten Mal seit Jahren ist mein Ausweis nicht gefälscht. Aber obwohl er viel weniger eindrucksvoll wirkt als die selbstgebastelten, mit denen ich oft für Titanic oder die »heute show« unterwegs war, versucht niemand, mich aufzuhalten, im Gegenteil, die Wachmänner grüßen höflich. Sie haben eine eingebaute natürliche Gesichtserkennung, die es ihnen ermöglicht, die meisten der 751 MEPs (Members of the European Parliament), rund die Hälfte von ihnen neu im Parlament, freundlich durchzuwinken. Im Inneren ist das Parlament nicht wesentlich charmanter, dafür aber recht unübersichtlich. Die Ein- und Ausgänge liegen auf unterschiedlichen Ebenen, und viele Fahrstühle halten nicht auf allen Stockwerken. Die Ebene null schließe ich gleich ins Herz. Hier gibt es kleine Geschäfte, Banken, Fahrdienstschalter, ein Fitnessstudio, zwei Saunen, Friseure, ein Café – und die MEP-Bar, die den Abgeordneten vorbehalten bleibt.
Mein Hochgefühl vergeht schlagartig, als mir eine osteuropäisch konturierte Dame resolut den Weg verstellt. Sie erweist sich als Assistentin der fraktionslosen Parlamentarier, die den Finger hebt und mich streng fixiert: »Haben Sie sich eingetragen?« Schuldbewusst verneine ich. »Das müssen Sie jeden Tag tun! Das ist das Allerallerwichtigste, was Sie hier im Parlament tun können! Wenn Sie sich nicht eintragen, bekommen Sie kein Tagegeld. Und da müssen Sie auch die Geschenke eintragen, die man Ihnen machen wird. Und Einladungen, wenn Aserbaidschan Sie einlädt und den Flug bezahlt …« Tagegeld, Geschenke, Einladungen? Hier bin ich richtig!
Sie zieht mich am Arm, und zusammen machen wir uns auf die Suche nach dem Raum, in dem sich die non-attached members, also die Abgeordneten, die noch keiner Fraktion angehören, in ein schmuckloses Anwesenheitsbuch eintragen können. Der Raum wird in den ersten Wochen täglich wechseln, vermutlich soll diese Taktik die Ortskenntnis der Neuparlamentarier fördern. Das tut sie sehr trickreich – als wir nach zwanzigminütiger Suche den im Intranet annoncierten Raum finden, ist er verschlossen. Zwei bizarr große und kantig wirkende Blondinen, vermutlich nordische Kommunis- oder niederländische Faschistinnen, stoßen zu uns, offensichtlich in ähnlicher Mission. »They changed the room«, raune ich ihnen zu, »it’s cheaper for the EU!« Die beiden verziehen keine Miene und machen auf dem spitzen Absatz kehrt. Wir folgen ihnen unauffällig. Nach insgesamt 45 Minuten Schnitzeljagd erreichen wir das Ziel, eine Minute vor Türschluss. Nachdem ich mich unter den gelangweilten Blicken eines überbezahlten EU-Beamten eingetragen habe, kontrolliere ich, wer so alles da ist, und erlebe eine Überraschung. Marine Le Pen hat unterzeichnet, ihr alter Herr nicht. Warum hat sie nicht schnell für ihn mit unterschrieben: Ist sie ehrlich? Oder hasst sie ihn nur?
Um meine Überwacherin abzuschütteln, verabschiede ich mich auf eine Herrentoilette. Als ich mir zum Zeitvertreib die Hände waschen will, fällt mein Blick auf eine DIN-A4-große Tafel, auf der mir in zehn Schritten erklärt wird, wie man sich in 40 bis 60 Sekunden korrekt die Hände wäscht. Gerade bricht sich der Gedanke Bahn, dass die EU wirklich zu viele Details unseres Lebens reglementieren will, als mir klar wird, dass ich bisher beim Händewaschen offenbar der Säuberung meiner Daumen nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt habe. Und immer viel zu schnell fertig war – ich bin mit meinem Routineprogramm (ohne intensive Daumenreinigung) normalerweise schon nach geschätzten 30 Sekunden fertig. Das werde ich überprüfen, die Stoppuhr meines Smartphones läuft zur Kontrolle mit. Leider verliere ich am Seifenspender wertvolle Zeit, er ist leer. Trotz drei- bis viermaligen Drückens kommt nichts. Egal, nehme ich halt möglichst heißes Wasser. Ich drehe den linken Drehknopf. Es passiert nicht viel. Der Andeutung eines hohlen Dröhnens folgt ein Tropfen, dann noch einer. Ich drehe den Kaltwasserhahn auf. Kaltes Wasser läuft. Verblüfft wasche ich mir damit die Hände, eine neue Bestzeit springt unter diesen Umständen nicht heraus. Später erfahre ich, dass im gesamten Hauptgebäude der EU in Brüssel das warme Wasser abgestellt wurde, weil sich Legionellen in den Warmwasserleitungen tummeln. Zum Glück befindet sich unser Büro für die nächsten fünf Jahre in einem der großen Nebengebäude, im siebten Stock des Willy-Brandt-Gebäudes.
Die Verwaltung hat uns drei nebeneinanderliegende Büroräume zugewiesen. Da ich plane, eher in Cafés zu arbeiten, überlasse ich Büroleiter Hoffmann die beiden verbundenen Räume und nehme den dritten; einen schmucklosen, fast quadratischen Raum mit Schreibtisch, Garderobenständer, drei Stühlen, ein paar furnierten Schränken und einem überraschend langsamen Parlamentscomputer. Hoffmann sagt, wenn mich etwas stören sollte, könnten wir von der Verwaltung jederzeit den Grundriss, Türen versetzen und Möbel kommen lassen, aber ich erbitte mir lediglich ein Sofa.
Zwei Wochen später wird ein gebrauchtes IKEA-Sofa mit Kaffeefleck in meinem Büro stehen und Hoffmann ein paar PARTEI-Plakate an den Wände angebracht haben. Nachdem er sein Bürotelefon in einem Gespräch mit einer Dame in der Verwaltung zum ersten Mal im Bildübertragungsmodus verwendet hat, tauscht er das Plakat hinter seinem Sitzplatz aus. Statt »Hände weg von deutschen Titten! Nein zur EU-Norm-Brust!« prangt dort nun etwas weniger irritierend »Das Brot ist voll!«.
An diesem Mittag begebe ich mich zunächst auf einen kurzen Parcours durch das Hauptgebäude. Dort erhalte ich ein paar überwiegend in Blau gehaltene Broschüren mit Pflichten und Rechten der Abgeordneten. Und einen Badge, der mir überall Zugang gewähren soll. Zwei freundliche Mitarbeiter des Parlaments bitten mich vor eine Kamera, damit ein Passbild gemacht werden kann. Ich halte still, dann blitzt es, dann zeigen mir die Fotografen das Bild. Und dann versichern sie mir mehrfach, dass sie aber auch noch ein anderes Foto machen könnten. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht später? Ich könnte jederzeit vorbeikommen, dann würden sie einfach noch ein Foto machen. Ein anderes. Mir gefallen das Foto und die ausgesuchte, fast übertriebene Höflichkeit, die uns Abgeordneten entgegengebracht wird.
Zurück im Büro sitze ich den Bürostuhl probe, lege zufrieden die Füße auf den Schreibtisch und lese die kleine Presseschau, die mir in Berlin mein (depressiver) Redenschreiber täglich zusammenstellt. In der Frankfurter Rundschau plädiert ein MEP namens Jo Leinen von der SPD für ein neues europäisches Wahlrecht. Begründet wird die Forderung damit, dass der Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Florenzo, bei der nächsten Europawahl nicht wieder in zwei Ländern wählen können soll, in Italien und Deutschland. Das ist zwar auch heute schon illegal, wird aber eben nicht überprüft. Außerdem solle ein Teil der Europaabgeordneten zukünftig über sogenannte »transnationale Listen« gewählt werden. Die sollten von den europäischen Parteifamilien länderübergreifend aufgestellt werden und dann europaweit auf den Wahlzetteln stehen.
Im ersten Moment komme ich gar nicht auf den Gedanken, dass die Meldung etwas mit Außenminister Steinmeiers Verärgerung oder unserem Mandat zu tun haben könnte. Und dass uns das leidige Thema Wahlrechtsreform durch die kommenden vier Jahre begleiten wird, weil das politische Establishment beschlossen hat, mit erheblichem Aufwand dafür zu sorgen, dass dieses Mandat der PARTEI eine Ausnahme bleiben wird.
Über Twitter kommt von den vier Abgeordneten der polnischen KNP eine Einladung zu Sondierungsgesprächen. Über Twitter? Klingt unseriös und ist es auch. Die KNP ist eine rechtslastige Partei, das ergibt eine schnelle Internetrecherche, von ihren Standpunkten der amerikanischen Tea-Party-Bewegung nicht unähnlich. Ihr Vorsitzender Janusz Korwin-Mikke will die Demokratie bekämpfen und hatte im Wahlkampf angekündigt, er wolle das EU-Parlamentsgebäude »verkaufen und dort ein Bordell« errichten.
Ich reagiere nicht auf die Anfrage. Später schließen sich drei der Abgeordneten der Fraktion von Marine Le Pen an, zusammen mit der Partei »Recht und Ordnung« aus Litauen. Deren Vorsitzender, Rolandas Paksas, ist ehemaliger Präsident von Litauen und das erste europäische Staatsoberhaupt, gegen das ein Amtsenthebungsverfahren erfolgreich durchgeführt wurde. Korwin-Mikke selbst ist überraschenderweise in der rechtsextremen Fraktion nicht willkommen, der Niederländer Geert Wilders wirft ihm »antisemitische Äußerungen« vor. So bleibt der Pole fraktionslos. Noch ahne ich nicht, dass er mein bester Kumpel im Parlament werden wird.
Es klopft an meine Bürotür. Ich öffne, mein Büroleiter steht davor: »Ah, Hoffmann, immer herein, was gibt’s Neues?«
Es ist das erste und gleichzeitig letzte Mal in dieser Woche, dass an meine Tür geklopft wird. Links von uns liegen die Büros von fraktionslosen Nationalisten aus den Benelux-Ländern, gegenüber französische Kommunisten und rechts residieren Abgeordnete der »Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer« (ECR), wahrscheinlich britische Torys und Vertreter der polnischen PiS-Partei.
Dustin Hoffmann hat eine politische Idee, die mir gefällt. Er schlägt mir vor, die legendäre EU-Gurkenkrümmungsverordnung, die 2009 abgeschafft wurde, weil zu viele Bürger darüber gelacht haben, wieder einzuführen: für Exportwaffen. Ein Zentimeter Krümmung auf je zehn Zentimeter Länge würde die Welt sicher nicht schlechter machen. Ein guter Plan. Aber wie kann ich das legislativ umsetzen lassen?
Hoffmann schaut in sein Smartphone: »Offenbar musst du fünf Prozent der Abgeordneten dazu bringen, mitzumachen. Und dir eine Unterschrift zu geben.«
»Das sind knapp 40 Leute. Klingt aufwendig. Aber gut, für ein europaweites Gesetz zur Verbesserung der Welt … Und dann?«
Hoffmann liest weiter: »Dann nichts. Alles, was du machen kannst, ist, die Kommission schriftlich zu bitten, sich zu dem Thema Gedanken zu machen und sie dir mitzuteilen.«
»Toll. Aber hat das Parlament denn überhaupt keine Art von Initiativrecht?«, hake ich nach. »Können wir absolut kein Gesetz in Auftrag geben?«
»Doch«, entgegnet Hoffmann, »der Vertrag von Maastricht räumt dem Parlament ein ›legislatives Initiativrecht‹ ein …«
»Siehst du, ich wusste es!«
»… das sich jedoch auf die Möglichkeit beschränkt, die Kommission zur Vorlage eines Vorschlags aufzufordern. Und die müssen nicht mal reagieren. Ich weiß, dass vor Jahren ein britischer Kommissar mal auf die Forderung des Parlaments, eine Gesetzesvorlage zur Finanzmarktregulierung zu erstellen, einfach gar nicht reagiert hat.«
Fraktionsverhandlungen! Die Fraktionen der Linken und der Grünen haben Interesse signalisiert, mit uns Gespräche zu führen. Büroleiter Hoffmann macht für die kommenden Tage Termine aus, dann treffen wir uns in kleinem Kreis jeweils mit den Fraktionsvorsitzenden in deren Räumen.
»Zonen-Gabi Zimmer« (Die Zeit), die das Kunststück fertigbringt, einen disparaten Haufen linker Parteien aus ganz Europa unter einen Hut zu bringen, macht einen netten, ausgeglichenen Eindruck und dürfte mir politisch etwas näher stehen als Rebecca Harms, die leicht überdreht wirkende Ulknudel der Grünen. Zwar sind alle Fraktionen naturgemäß daran interessiert, möglichst viele Abgeordnete aufzunehmen, um an Bedeutung zu gewinnen, aber in beiden Gesprächen gibt es anfangs deutliche Vorbehalte gegenüber der PARTEI. Wir nehmen es mit Gelassenheit.
Um nicht wie blutige Anfänger zu wirken, fragen wir in beiden Verhandlungen mit Pokermiene, was die Fraktionen uns für den Fall eines Eintritts anbieten. Was wir mitbringen, wissen wir bereits: Unser Budget 400 würde im Falle eines Beitritts im Fraktionsbudget aufgehen.
Die Generalsekretärin der Linken, eine auffällige blonde Finnin, die ihre Rolle offenbar bei Claire Underwood gelernt hat, bietet uns an, dass wir das komplette Budget selbst verwalten können. Hoffmann fragt besorgt, ob man eigentlich als Mitglied der Linken auch Champagner trinken dürfe. Die finnische Generalsekretärin strahlt ihn an und haucht: »I personally doooo drink champagne!« Der Tonfall lässt bei mir den Verdacht aufkommen, sie würde grundsätzlich nichts anderes anrühren.
Die Grünen wollen uns nur die Hälfte des Budgets zugestehen, bieten uns aber dafür eine Stelle in der Administration an, die wir besetzen dürfen – das ist natürlich praktisch, wenn man Freunde oder Familienmitglieder unterbringen muss –, und sie reservieren die Position eines stellvertretenden Vorsitzenden im Kulturausschuss für mich.
Obwohl die bilateralen Gespräche in sehr netter Atmosphäre verlaufen, entschließe ich mich nach kurzer Bedenkzeit, in keine der beiden Fraktionen einzutreten. Ich befürchte, dass wir uns andernfalls für jeden Unsinn, den wir im Parlament anstellen, zu rechtfertigen haben.
Die Linke nimmt es komplett gelassen. Die Grünen, bei denen es im Vorfeld offenbar heftige Diskussionen gab – die progressiveren, jüngeren Grünen waren dafür, uns aufzunehmen, die älteren strikt dagegen –, können sich damit trösten, dass Julia Reda zu ihnen kommt, die einzige Piratin im Europäischen Parlament. Nachdem ich abgesagt habe, bleibt die Grüne Helga Rüpel stellvertretende Vorsitzende im Kulturausschuss. Obwohl sie mir praktisch ihre Karriere verdankt, erhalte ich nicht mal ein paar Blumen.
Die Fahrt von Brüssel nach Straßburg ist gar nicht so unangenehm, es gibt eine durchgehende Autobahnverbindung. Sie beginnt auf der belgischen Autoroute du Soleil, führt durch Ardennen und Vogesen, zwischendurch ein kurzer Halt in Luxemburg, wo der Liter Super rund 25 Cent billiger ist als in Belgien und Deutschland, und drei noch kürzere an französischen Mautstellen. In den ersten 45 Minuten herrscht noch Verkehr, aber dann wird er spärlicher und nimmt erst vor Straßburg wieder zu. Bei einem Tempolimit von 120 auf den belgischen Autobahnen fährt man mit 140 entspannt auf der linken Spur, wird nur drei-, viermal von Irren mit Höchstgeschwindigkeit überholt. Oder von der Kolonne des Parlamentspräsidenten. Zum Glück zeigen die vorausfahrenden Polizisten auf ihren Motorrädern dabei keinerlei Interesse an meiner eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung. Wir selbst fahren auch so eine Art Kolonne. Ich fahre als Erster, weil ich mit 51 Cent das größte Kilometergeld erhalte, mein Büroleiter und Sarah, die belgische Assistentin, die uns das Parlament stellt, fahren mit ihren Autos in meinem Windschatten. Sie erhalten nur rund 23 Cent pro Kilometer.
Aber warum eigentlich Straßburg? Bevor ich das Mandat antrat, hatte ich natürlich meinen Arbeitsplatz gegoogelt und war auf Brüssel gestoßen. Dass das EU-Parlament Filialen in Luxemburg und Straßburg unterhält, hatte mich nicht nachhaltig irritiert. Dann musste ich feststellen, dass fast die gesamte Firma zwölf Mal im Jahr nach Frankreich umzieht. Drei- bis viertausend Mitarbeiter machen sich per Zug, Flugzeug oder Pkw einmal im Monat montags auf den Weg ins Elsass. Begleitet werden sie von mehreren Trucks, die in Tausenden genormter grüner Plastikkisten Büromaterial transportieren – und von den schwarzen Limousinen des Fahrdienstes, die leer zwischen den Städten hin- und hergefahren werden, weil sie den Abgeordneten natürlich auch in Straßburg zur Verfügung stehen müssen.
Nach fünf Stunden Fahrt passiere ich in Straßburg den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Danach taucht zu meiner Linken ein abgerundetes Tortenstück aus Glas, Holz und Stahl auf. Das Parlamentsgebäude schmiegt sich fast idyllisch an den Zusammenfluss eines kleinen Straßburger Kanals mit dem Flüsschen Ill und wirkt schon von außen wesentlich freundlicher als sein belgisches Pendant.
Und von innen auch! Nachdem ich meinen 20 Jahre alten Audi im MEP-Bereich zwischen überwiegend PS-starken Limousinen in der Tiefgarage geparkt habe, mache ich mich daran, mein neues Büro zu suchen. LOW T0503 – was soll das heißen? Zum Glück ist Büroleiter Hoffmann vor mir eingetroffen und kann mich per Handy dirigieren. Im Erdgeschoss sehe ich Hans-Olaf Henkel herumirren, den ehemaligen Präsidenten des BDI. Eine Schande, dass unsere Industriellen mit fast 75 Jahren noch arbeiten müssen! Dann springe ich in einen von acht Aufzügen, fahre in den fünften Stock des runden Gebäudes und stehe wenig später beeindruckt vor einer Bürotür mit meinem Namen.
Das Büro selbst ist klein, vielleicht zehn Quadratmeter groß, aber nett.
Das kleine Büro im fünften Stock einer der Büroetagen neben dem Plenarsaal ist noch nicht eingerichtet. In den ansonsten leeren Regalen stehen eine kleine Flasche Gewürztraminer und ein Glas mit in Gewürztraminer marinierter Straßburger Pastete – ein Präsent der Stadt an jeden Abgeordneten zu Beginn der Legislaturperiode. Martin Sonneborn: »Kleines Bestechungsgeschenk der Stadt Straßburg. Wenn Sie mögen, es gibt noch ein Stück.«
Das Gebäude ist so konzipiert, dass es im Fall einer existenziellen Krise der EU auch als Studentenwohnheim genutzt werden kann. Direkt hinter dem Eingang meines Büros führt eine schmale Tür in ein Miniaturbad mit Toilette, Waschbecken und Dusche. Über zwei Seiten des Büros ziehen sich Schrankwände aus freundlichem Holz. Aus der einen Wand kann man eine mit rotem Samt bezogene Liege klappen – ideal für ein Mittagsschläfchen nach anstrengendem Regieren! Ein Schreibtisch mit Telefon, drei Bürostühle, ein Computer-Arbeitsplatz mit Kopierer und Drucker, ein Fernseher und eine Fensterfront, durch die man in den freundlich gestalteten Innenhof schauen kann, komplettieren das Ensemble. Leider zeigt der Fernseher auf fast allen Knöpfen das gleiche langweilige Programm, das allerdings in rund 20 verschiedenen Sprachen: Hier werden die Plenarsitzungen übertragen. Andererseits: Wer schaut heute noch linear?
Ich trage mich noch kurz in die Anwesenheitsbücher ein, dann erkunde ich mit meinem Büroleiter die Gastronomie der Straßburger Altstadt. Sie scheint für Typen wie uns gemacht zu sein. Bei Sauerkraut und drei verschiedenen Sorten Wurst erzählt mir Hoffmann, dass Hans-Olaf Henkel sich über die unzureichende Größe seines Büros beschwert habe, das ihm eher als Kaninchenstall gegeignet scheine.