Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

In ihrem überaus hilfreichen Pevsner Architectural Guide to Dublin bemerkt Christine Casey mit Blick auf die Kirche St Andrew’s sehr treffend: »Es gibt nur wenige Gebäude in Dublin, bei denen die Erwartungen des katholischen Mittelstands an die Emanzipation so sehr geradezu mit Händen zu greifen sind.«

Meine Sehnsucht hatte immer dem Haus Nummer zwei in der Percy Place gegolten, einem kleinen Backsteinhaus, das direkt an der Huband Bridge stand, mit Blick auf den Canal und im Schatten einer wunderschönen Trauerweide. Kürzlich habe ich entdeckt, dass dieses Haus und noch zwei weitere von William Beckett erbaut wurden, dem Vater von Samuel, und dass Samuel und sein Bruder Frank diese drei Häuser gemeinsam geerbt hatten – jedenfalls standen in den Übertragungsurkunden, zumindest für das Haus Nummer zwei, noch bis in die siebziger Jahre die Namen der beiden Brüder. Ach ja …

fugalen Joyce’sche Erinnerungen: Das Sirenen-Kapitel des Ulysses spielt im mittlerweile abgerissenen Dubliner Ormond Hotel. Joyce hat die Technik des Kapitels in seinem Schema als »fuga per canonem« bezeichnet, und es wird darüber gestritten, ob die Fugenstruktur wirklich zutrifft. (A.d.Ü.)

Natürlich wäre auch ich bei diesem Anlass mit von der Partie gewesen, hätte ich mich zu dieser Zeit nicht im kalifornischen Berkeley inmitten der Afros, der Hippies und der Unruhen aufgehalten.

An Wittgenstein erinnert eine Tafel im Palmenhaus des Botanischen Gartens in Glasnevin. In den späten vierziger Jahren lebte der Philosoph in Dublin, wo sein guter Freund Dr. Maurice Drury als Facharzt für Psychiatrie am St Patrick’s Hospital tätig war. Er wohnte im Ross’s, dem heutigen Ashling-Hotel, an dem eine weitere Tafel an ihn erinnert, nahm seinen Lunch im Bewley’s oder im Members’ Dining Room des Zoologischen Gartens, und hin und wieder saß er auf den Stufen des Palmenhauses und arbeitete dort in der Wärme.

Man kann sie immer noch betrachten, reicher gewandet denn je und in einer Vielzahl ebenso eleganter wie anzüglicher Posen zwinkert sie uns zu aus den ferneren Galaxien des Internets.

Fürs Protokoll: Er ist Gründer des Point Village, des Konzert- und Veranstaltungszentrums 3Arena und des Bord Gáis Energy Theatre sowie Mitbegründer des National Conference Centre, des Veranstaltungszentrums in der Vicar Street und des Gibson Hotel. Eine Bilanz, die wahrlich nicht zu verachten ist … was allerdings eh niemand wagen würde.

Das ist ein Zweisitzer von MG, 1275cc, ein Oldtimer von 1957, »der letzte echte britische Sportwagen«, sagt Cicero, der ihn vor vierzig Jahren für schwerverdiente 400 Pfund gekauft hat. »Hörst du, wie der Motor röhrt – man kommt sich vor, als würde man eine Spitfire fliegen.«

Ich möchte wissen, woher dieser abschätzige Begriff für die Leute kommt, die früher »die niederen Ränge« genannt wurden. Ein echter Dubliner, der hier geboren ist, kann mir das sicher sagen. Ich werde Cicero fragen …

Aber vielleicht sollten wir uns bemühen, Fosters doch recht strenges Urteil ein wenig abzumildern, indem wir uns daran erinnern, dass der gealterte Yeats reumütig auf jene Zeit zurückblickt, zum Beispiel in einem Gedicht wie Der Verrat der Zirkustiere, in dem er bekennt:

Die Schauspieler und den Prospekt hab ich gesehn,

Nicht jene Dinge, für die beide bildlich stehn.

Und wo ihm klar wird, wie hohl doch zumindest manches ist, das seine Erfolge ausmacht:

Der frohe Mut, der Kampf, die Ruhe: reiner Wahn,

Stoff eines bittren Herzens …

Auf mindestens einer Karte aus dem achtzehnten Jahrhundert ist als Schreibweise »Baggat« angegeben.

The Boys, eine Doppelbiographie von Christopher Fitz-Simon, ist eine wunderschöne warmherzig und manchmal auch ein wenig scharfzüngige Huldigung auf dieses einzigartige Paar. Mac Liammóirs Memoiren hingegen, die unter dem Titel All for Hecuba erschienen, sind zwar höchst unterhaltsam, entsprechen aber in der Sache nicht immer so ganz der Wahrheit …

Oder in der etwas antiquierten, aber einfühlsamen englischen Übersetzung von Leishman und Spender, in der ich sie kenne:

… because being here is much, and because all this

that’s here, so fleeting, seems to require us and strangely concerns us. Us the most fleeting of all. Just once,

everything, only for once. Once and no more. And we, too,

once. And never again. But this

having been once, though only once,

having been once on earth – can it ever be cancelled?

noch einmal Rilke, aus der achten Elegie:

… we always,

do what we may,

retain the attitude of someone who’s departing …

… dass wir, was immer wir auch tun, in jener Haltung

sind

von einem, welcher fortgeht? …

Es ist bemerkenswert, dass Flanagan seine Antrittsrede in der Dáil im Juli 1943 dazu nutzte, die Juden anzuprangern, »die vor 1.900 Jahren unseren Heiland ans Kreuz geschlagen haben und die heute jeden einzelnen Tag in der Woche uns ans Kreuz schlagen … Das eine muss man Deutschland zugutehalten, nämlich dass es die Juden aus seinem Land vertrieben hat. Solange wir die Juden nicht aus diesem Land vertrieben haben, spielt es nicht die geringste Rolle, was für Anordnungen Sie hier treffen [er redete von den Kriegsnotstandsgesetzen]. Wo die Bienen sind, da ist der Honig, und wo die Juden sind, da ist das Geld.« In den allgemeinen Wahlen im darauffolgenden Jahr bekam er doppelt so viele Stimmen; 1978 wurde er von Papst Johannes Paul I. zum Ritter des Gregoriusordens geschlagen.

Maurice Craig bezweifelt die These, dass das Weiße Haus in Washington eine Kopie von Leinster House sei. Allerdings wurde der Architekt des Weißen Hauses, James Hoben, im County Kilkenny geboren, studierte Architektur an der Dublin Society’s School, »wo er 1780 mit einem Preis für ›Treppen, Dach &c.‹ ausgezeichnet wurde und 1792 den Wettbewerb für das Weiße Haus gewann«.

Ich erinnere mich, dass mir die Archäologin Máire De Paor in den achtziger Jahren einmal erzählte, wie sie bei irgendeinem öffentlichen Anlass Gelegenheit hatte, mit Charles Haughey, unserem damaligen Taoiseach, zu reden, der sich – in mancher Hinsicht nicht einmal zu Unrecht – für einen kultivierten Menschen hielt; sie bat ihn eindringlich, eine Sammlung von kostbaren georgianischen Silbergerätschaften zu kaufen, die versteigert werden sollte und dem Land verloren zu gehen drohte. Worauf ihr Haughey mit seiner berühmten knarzenden Stimme entgegnete: »Die Briten können ihre verdammten Löffel gerne kriegen.«

Der, wie mir gerade auffällt, auf diesen Seiten immer wieder mal auftaucht, ein bisschen wie das Kasperle im Puppentheater, und wenn ich so darüber nachdenke, erinnerte er äußerlich in der Tat ein wenig an den dreisten Schelm mit seiner Pritsche, den man früher auf dem Jahrmarkt sehen konnte.

Man könnte meinen, Ó Grádas Bewusstsein sozialer Unterschiede sei schärfer als das von Maurice Craig. Doch was die Gegensätze zwischen der Aristokratie und der übrigen Bevölkerung im georgianischen Dublin angeht, so macht auch Craig sich keine Illusionen: Im Hinblick darauf, wie viel von der Altstadt gegen Ende der vierziger Jahre, als er sein Buch schrieb, noch intakt war, bemerkt er: »Die Armut war zum großen Teil das Konservierungsmittel, und die wirtschaftlichen Verbesserungen, die bald darauf in Gang kamen, kann niemand bedauern.«

Weit das Fenster aufgemacht,

Davor ein wimmelnder Sternenbogen, und die Nacht

Reagiert sacht auf die mathematische

Leidenschaft einer Cello-Suite …

Die Mutter meiner lieben, mir verlorenen Freundin Caroline Walsh, die nicht mehr unter uns weilt und die meine Nachfolgerin als Redakteurin des Literaturteils der Irish Times war. Caroline fehlt mir noch immer, ich vermisse ihre Freundlichkeit, ihre Fröhlichkeit, ihre Respektlosigkeit und ihre Integrität.

Für Cicero – und der kennt sich mit Behan wesentlich besser aus als ich – war dieser ein »Bengale«, genauer gesagt ein Windhund oder, wie das bei uns heißt, ein »Chancer«, was sich übrigens mit »Bengal Lancer« reimt, und so nennt man bei uns einen, der keinen blassen Schimmer hat von seinem Job. Eines von Ciceros vielen Talenten ist seine Meisterschaft auf dem Gebiet des Rhyming Slang.

Einmal entdeckte ich ihn auch im Schaufenster von Parsons Buchhandlung; er war buchstäblich im Fenster, denn er war auf die abgeschrägte Auslage geklettert und saß da, die Ellbogen auf die Knie gestützt, zwischen und auf den zum Verkauf ausgestellten Büchern und blätterte geflissentlich im London Magazine. Das war vielleicht ein Anblick, wie er da saß in seinen Nagelstiefeln, den verbeulten Hut auf dem Hinterkopf, verächtliche Kommentare brabbelte und so tat, als würde er die Passanten, die ihn angafften, gar nicht bemerken. Im Grunde ihres Herzens waren sie alle Angeber, sogar die Widerborstigsten.

Neulich entdeckte ich in meinen Bücherregalen eine längst vergessene postkartengroße Mappe Georgian Dublin: Fünfundzwanzig Farbaquatintaradierungen von James Malton, erschienen bei Dolmen und mit einem Vorwort von – na wem schon? – Maurice Craig. Sehen Sie? Es hängt alles mit allem zusammen.

Eines Tages diktierte Beaverbrook David am Telefon einen Leitartikel, und David musste ihn wegen der schlechten Verbindung immer wieder bitten, ein Wort zu wiederholen, bis es Seiner Lordschaft schließlich reichte und er wütend durch den Hörer brüllte: »Facing: F wie fool, A wie ass, C wie cunt, I wie I, N wie nothing und G wie God Almighty!«

Mein Agent hat mir später Davids hierarchisches System erklärt: Kleine Fische wie ich wurden in London auf einen Drink ins Coach and Horses in der Greek Street eingeladen, aufsteigende Sterne bekamen einen Lunch im Jardin des Gourmets, ebenfalls in der Greek Street, und für solche, die auf der Shortlist für den Booker Prize standen oder so, gab’s Speis und Trank im Garrick Club.

Cicero weiß zu berichten, dass der enorm würdevolle Mr Ryan den unglaublichen Spitznamen »Bongo« hatte.

Und auch im Süden, nicht zu vergessen: Bei Sprengstoffattentaten in Dublin und Monaghan, ausgeführt von der Ulster Volunteer Force, wahrscheinlich mit Hilfe der britischen Sicherheitsdienste, wurden am 17. Mai 1974 dreiunddreißig Menschen und ein ungeborenes Kind getötet; es war das blutigste der koordinierten Massaker während der Unruhen.

Es wird berichtet, dass auch Wittgenstein während seines Dublin-Aufenthalts auf die Säule gestiegen sei. Anscheinend haben er und sein Freund Dr Drury sich wie zwei Jungs, die die Schule schwänzen, bei Woolworths billige Fotoapparate gekauft und sind hinaufgestiegen, um sich in den Schatten des Admirals zu stellen und Panoramaaufnahmen von der Stadt zu machen. Das erinnert mich an eine Stelle gegen Ende des Tractatus: »Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist.«

Christine Casey bemerkt, besonders auffällig sei, dass der Bau der King’s Inns der Henrietta Street gewissermaßen »die kalte Schulter gezeigt« habe, und damit hat sie gewiss recht. Das Gebäude der Inns, das auf einem Gelände errichtet wurde, das früher den hübschen Namen Plover Fields hatte, hockt in all seiner steinernen Majestät wie ein gigantischer unförmiger aufgeblasener und übermäßig prachtvoll herausgeputzter Frosch am oberen Ende der Straße. Von der anderen Seite, gegenüber dem Constitution Hill, sieht es wesentlich besser aus. Immerhin war sein Erbauer der geniale James Gandon.

Von Maurice Craig erfahren wir, das Adressbuch von Dublin habe 1792 als daselbst wohnhaft »einen Erzbischof, zwei Bischöfe, vier Peers, also dem Hochadel angehörende Mitglieder des Oberhauses, und vier Parlamentsmitglieder (davon einer der älteste Sohn eines Peer) verzeichnet«.

Diarmuid Ó Gráda stellt fest, dass »die Stadt in der Zeit um siebzehnhundertsechzig eintausend Rechtsanwälte hatte und ihre Zahl immer weiter anstieg. Bis zum Ende des Jahrhunderts waren es noch einmal halb so viele.«

KRACHER DES TAGES: PRÄSIDENT IM PARK BEIM PINKELN ERWISCHT.

Zudem besaß er einen trockenen Humor und einen feinen Sinn für Ironie. Als er um 1650 in Frankreich im Exil war, hatte einer seiner Freunde, ein Schotte und gleichfalls Flüchtling, Streit mit seinem französischen Gastgeber und bat Ormonde um Rat, was er tun solle, da es sonst niemanden in der Stadt gab, der ihn bei sich aufnehmen wollte. Ormonde riet ihm, zurückzugehen zu seinem Gastgeber und zuerst dessen Worte zu schlucken und dann sein Abendessen.

Blood hatte die zweifelhafte Ehre, in einem Gedicht verewigt zu werden, und zwar von keinem Geringeren als dem widerwärtigen Earl of Rochester, der in seiner History of the Insipids über ihn schreibt:

Blood, dieser Erzschurke im Priesterzwirn,

Der Ormond raubte und die Krone, der

Genießt des Königs Gunst! Steht auf der Stirn

Ihm auch Verrat. Treue frommt keinem mehr!

Drum auf! Entführen wir den König. Keine Bange!

Denn das, was Blood kann, können wir schon lange.

Craig: »… die Dame ließ sich mit Ländereien in England beschwichtigen (erstaunlicherweise); doch erst, nachdem sie Ormonde angezischt hatte, sie hoffe bloß, sie werde ihn noch hängen sehen. Der Duke erwiderte honigsüß, er für sein Teil wäre schon zufrieden, wenn er sie sehe, wenn sie alt geworden sei.«

Christine Casey hat für den imposanten Klotz nur ein Stirnrunzeln übrig: »Dieses Gebäude ist von einer solchen wuchtigen Massigkeit und schlichten Flächigkeit, dass nicht einmal der hellste Sonnenschein ihm seine trübsinnige Aura nehmen kann.«

Passenderweise gibt es heute in der Harcourt Street einen nach ihm benannten Nachtclub, aus dem wohl manch ein Clubbesucher des Nachts vielleicht nicht kupferrot, sondern eher aschfahl im Gesicht getorkelt kommt, auf alle Fälle aber sturzbetrunken.

Das Wort »culchie«, auf Deutsch so viel wie Landei oder Bauerntölpel, ist die verächtliche Bezeichnung der Dubliner für die Landbevölkerung und leitet sich angeblich her von Kiltimagh, einer durch und durch unschuldigen Stadt im County Mayo. Wie aus einer Verballhornung des Städtenamens ein Synonym für Hinterwäldlertum werden konnte, vermag niemand zu erklären, obwohl die Herkunft als gesichert gilt – zumindest nach Meinung der Dubliner.

Er wirkte auf ihn wie »ein äußerst feinnerviges, vornehmes Tier – eine Gazelle in einem Wohnzimmer«.

1958 kam es erneut zu Beeinträchtigungen des Dublin Theatre Festivals: Sean O’Casey wurde aufgefordert, Änderungen an seinem Stück Irische Trommeln (OT The Drums of Father Ned) vorzunehmen, worauf er das Stück umgehend vom Festival zurückzog; dann erzwang das Bord Fáilte – jawohl, ausgerechnet das Tourismusministerium –, dass Bloomsday, eine Bühnenadaption des Ulysses, zurückgezogen wurde. Beckett hatte dem Pike Theatre zunächst gestattet, Alle, die da fallen (OT: All That Fall) und Endspiel (OT: Endgame) zusammen auf die Bühne zu bringen, schrieb jedoch am 27. Februar 1958 an Carolyn Swift:

Ich ziehe alles zurück. Solange die Verhältnisse in Irland so sind, wünsche ich nicht, dass meine Arbeiten dort aufgeführt werden, und zwar weder bei Festivals noch sonst. Wenn keiner Protest erhebt, werden sie ewig so bleiben. Dies ist der stärkste, den ich erheben kann.

Die einzige andere Stadt, in der man das Gefühl hat, dass die Berge sich am Ende beinah jeder Straße im Äther gegenseitig anrempeln, ist Triest.

»Schau dir den Granit an«, sagt Cicero und streicht mit den Fingern über die rauen Steinquader der Toreinfassung. »Stockhammertechnik, so heißt dieser Effekt. Steinmetze mit kleinen scharfen Hämmern, poch, poch, poch. Die haben damals noch gewusst, wie man mit Material umgeht.« Wie schon in dem Haus in der Henrietta Street fordert er mich auch hier auf, mit der Hand über den Stahl des großen Tors zu streichen, der sich noppig und lauwarm anfühlt unter den Jahrhunderten von schwarzer Farbe, damit ich die Schwere und die Qualität des Materials spüre und die mit sicherem Geschick ausgeführte Handwerkskunst. Er liebt Zeugnisse guten Handwerks, ob es sich um einen Tisch der Dubliner Werkstatt Moore handelt, den er mir einmal gezeigt hat, um 1760 – Satinholz, demi-lune, konische Beine mit Kragen, das ganze Ding so schlank und ausbalanciert wie eine Antilope –, oder so ein großes funktionelles Eisentor wie dieses hier. Er ist das, was sich Thomas Hardy zu sein erhoffte: ein Mann, »dem solche Dinge auffallen«.

Ein Freund von mir traf vor vielen Jahren einen Priester, der früher am Belvedere College als Lehrer gearbeitet hatte, er unterhielt sich mit ihm und war so unvorsichtig, im Verlauf des Gesprächs den Namen Joyce zu erwähnen. Die Folge war ein jähes, zentnerschweres Schweigen, das der ehrwürdige Pater schließlich brach, indem er sich räusperte, zur Decke hinaufsah und murmelte: »Ach ja, der Joyce. Nicht unbedingt einer unserer Erfolge.«

Zu dem Rotunda-Ensemble gehört auch das Gate Theatre, das Maurice Craig mit dem ihm eigenen dezenten Humor zu der Bemerkung verleitete, mit der Rotunda sei »die enge Verbindung von Geburtshilfe und Unterhaltung ein für alle Mal zementiert«.

Man fragt sich, ob dies der Tickell war, den Beckett im Sinn hatte, als er in seinem frühen Roman Murphy die Figur des »Austin Ticklepenny, Kneipenpoet aus der Grafschaft Dublin« entwarf. Wobei unfreundliche Geister meinen, Ticklepenny sei in Wahrheit eine boshafte Karikatur von Austin Clarke.

Amelia Stein hat hier phantastische Fotos gemacht – zu betrachten in ihrem herrlichen Buch The Palm House, erschienen im Verlag Lilliput Press.

Siehe Anhang II.

 

Merrion Square, Südseite

Grand Canal an der Percy Place

Georgianischer Hauseingang, Merrion Square

Über Zeit

DUBLIN WAR NIE MEIN DUBLIN, was es nur umso reizvoller machte. Ich bin in Wexford geboren, einer kleinen Stadt, die zu jener Zeit noch kleiner und noch abgelegener war, im Abseits ihrer eigenen Vergangenheit. Mein Geburtstag fällt auf den achten Dezember, den Feiertag der Unbefleckten Empfängnis – für mich immer der Beleg dafür, wie lächerlich ungenau der Himmel sein kann und was für einen Pfusch er abliefert, wenn es um Geburtsdaten geht. Der Achte war sowohl ein kirchlicher als auch ein allgemeiner Feiertag – ein Tag, an dem die Leute aus der Provinz scharenweise in die Hauptstadt fuhren, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen und die weihnachtliche Festbeleuchtung zu bewundern. Und so bestand meine Geburtstagsüberraschung in der ersten Hälfte der Fünfziger über mehrere Jahre darin, dass wir mit der Bahn nach Dublin fuhren,

Früh am Morgen fuhren wir bei winterlicher Dunkelheit vom Nordbahnhof der Stadt ab. Ich glaube, es gab damals noch Dampfzüge, obwohl Diesel bereits groß im Kommen war. Wie aufregend war es doch, noch ganz verschlafen durch die dunklen, menschenleeren Straßen zu gehen, vor mir all die Abenteuer eines langen Tages. Der Zug kam aus Rosslare Harbour und beförderte trübäugige Fahrgäste von der Nachtfähre aus Fishguard in Wales, wovon die eine Hälfte betrunken war, die andere noch gezeichnet von der eben überstandenen Seekrankheit. Dann ging es schnaufend los, das Fenster neben mir ein Spiegel aus schwarzem Glas, in dem ich mein bedrohlich verschattetes Abbild sah und mir vorstellte, ich wäre ein Agent in geheimer Mission, wie man die Spione in den Spionageromanen früher nannte, im Orientexpress, unterwegs zu einem Auftrag im finsteren, gefährlichen Osten.

Als wir irgendwo kurz vor Arklow waren, begann es hell zu werden, und das Weiß der mit Reif überzogenen Felder ging über in eine grell glitzernde Nuance von Glimmer-Pink.

Gewisse Augenblicke an gewissen Orten, beide scheinbar bedeutungslos, prägen sich dem Gedächtnis mit einer unfassbaren Lebhaftigkeit und Deutlichkeit ein – unfassbar, weil, so klar und so lebendig sie auch sind, dennoch der Verdacht aufkommt, sie müssten Erfindungen der eigenen Phantasie sein, wir hätten sie uns, kurz gesagt, nur

Auf der anderen Flussseite zog sich ein flaches Feld bis an den Rand eines bewaldeten Hügels, und am Fuße dieses Hügels stand ein Haus, nicht sonderlich groß, doch einsam und wuchtig mit steilem Dach. Ich starrte auf das stumme Haus und fragte mich voll nagender Neugier, welche Leben dort gelebt wurden. Wer schichtete das Brennholz, hängte die Stechpalmkränze auf, hinterließ Spuren im Raureif auf dem Hügel? Ich kann das seltsam schmerzliche Vergnügen eines solchen Augenblicks nicht schildern. Doch wusste ich natürlich, dass dieses verborgene Leben sich kaum von meinem unterscheiden würde. Darum aber ging es gerade. Mich interessierte nicht das Exotische, sondern das Gewöhnliche, dieses merkwürdigste und flüchtigste aller Rätsel.

•  •  •  •  •

Wann wird die Vergangenheit zur Vergangenheit? Wie viel Zeit muss vergehen, bevor das, was einfach bloß geschehen ist, auf diese mysteriöse, numinose Weise zu leuchten beginnt, die das Merkmal wirklichen Vergangenseins ist? Die prächtigen Bilder, die wir in der Erinnerung mit uns herumtragen, waren einmal einfach bloß die Gegenwart, fade und alltäglich und ganz und gar nicht bemerkenswert, außer in manchen Momenten, wenn man, sagen wir mal gerade frisch verliebt war oder im Lotto gewonnen oder der Arzt einem eine schlechte Nachricht mitgeteilt hatte. Was ist das für ein Zauber, der auf die Erfahrung einwirkt,

Sagen wir so: Die Gegenwart ist das, worin wir leben, die Vergangenheit hingegen das, worin wir träumen. Wenn sie jedoch ein Traum ist, dann einer mit Substanz, ein tragender. Die Vergangenheit gibt uns Auftrieb, wie ein Heißluftballon, der stillsteht und sich immer weiter ausdehnt.

Und doch, ich frage noch einmal: Was ist sie? Welche Verwandlung muss die Gegenwart durchmachen, damit sie zur Vergangenheit wird? Die Alchimie der Zeit, sie wirkt in einem hellen Abgrund.

•  •  •  •  •

St Andrew’s Church, Westland Row

Der Bahnhof Westland Row Station – erst Jahre später wurde daraus Pearse Station – bestand im Wesentlichen aus einer rußgeschwärzten gläsernen Kuppel, ein paar trostlosen Bahnsteigen und einer Rampe, die hinunterführte zur Straße. Heute kommt es mir so vor, als ob es jedes Jahr am achten Dezember regnete, wenn wir dort aus dem Zug stiegen. Aber das war nicht der strömende,

Wandten wir uns draußen vor dem Bahnhof nach links zur Westland Row, dann sahen wir dort auch schon die Kirche St Andrew’s vor uns aufragen, die in meinen Augen so ziemlich den eigenartigsten Standort in der ganzen Stadt hat: Wie mit der himmlischen Dampframme hineingequetscht, klemmt sie mitten in einer Zeile unscheinbarer, entschieden säkularer Häuser aus dem achtzehnten Jahrhundert. Mir kam der Bau immer ein bisschen verrückt vor mit diesen zwei übergroßen pseudokorinthischen Säulen, der mächtigen, durchaus nicht einladenden Pforte und dem mäßig steilen Dach, an dessen höchster Stelle eine Statue des heiligen Andreas, des älteren Bruders des berühmteren Petrus, steht und in Frustration erstarrt den Arm erhoben hält, als warnte er, von niemandem beachtet, vor einer nahenden Apokalypse.[1]

Unnötig zu sagen, dass ich zu der Zeit, über die ich hier schreibe, von alledem nicht die geringste Ahnung hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damals überhaupt schon einmal von dem armen Oscar gehört hatte, an den heute eine scheußlich bunt bemalte Statue erinnert, die ihn an der vis-à-vis von seinem Geburtshaus gelegenen Ecke des Platzes auf einem von einem Geländer umfassten Felsbrocken lümmelnd darstellt. Was für Demütigungen wir uns doch gegenüber den berühmten Toten herausnehmen! Nach Samuel Beckett, dem friedliebendsten Menschen weit und breit, haben wir einen Kampfhubschrauber benannt, und ein paar Fetzen Prosa aus dem Ulysses sind,

Hier halte ich inne, um mit Verwunderung darüber zu sinnieren, wie erstaunlich doch die Dinge miteinander zusammenklingen, sei es auch nur leise, und das durch die Jahrhunderte hindurch. Der Vater von Jane »Speranza« Wilde war in Wexford Anwalt gewesen, und erst kürzlich übernachtete ich in Paris in dem Hotelzimmer, in dem Oscar, ihr Sohn, unter der Last seiner Schulden, ächzend und die schreckliche Tapete beklagend, seinen letzten Atemzug getan hat. So groß sie ist, die Welt, mitunter kommt sie einem doch bedenklich klein vor.

 

Das Haus Merrion Square Nr. 1

 

Zur Zeit meiner ersten Geburtstagsausflüge bewohnte meine Tante Nan, die die Schwester meiner Mutter war und ihr ganzes Erwachsenenleben in Dublin verbracht hat, eine winzige Wohnung in der Percy Place.[2] Sie befand sich im Erdgeschoss eines Hauses, das es schon längst nicht mehr gibt; was ich dort noch am deutlichsten in Erinnerung habe, ist, dass man drinnen direkt an der Haustür eine hohe Stufe hinuntergehen musste, um vom