N3RDASTY Teil 2

Stefanie Mühlsteph

N3RDASTY

Teil 2

Die Macht von verlorenen Träumen

 

 

Impressum

 

Originalausgabe | © 2019

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100 | 45145 Essen

 

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Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Herausgeber: Mike Hillenbrand

verantwortlicher Redakteur: Björn Sülter

Lektorat und Korrektorat: Telma Vahey

Cover- und Innenseitengestaltung: Grit Richter

E-Book-Erstellung: Grit Richter

 

 

Das war ich nicht, das war schon so!

 

Der Diebstahl war vorgestern gewesen, vor zwei verdammten Tagen, doch er fühlte sich in meiner Erinnerung noch so nah an, als seien nur wenige Sekunden vergangen. Ich hätte nie gedacht, dass Sabine dazu fähig wäre, einen Diebstahl zu begehen, doch genau das hatte sie getan. Es lag nicht am Wert der Elektronik, was mich so schockierte, sondern einfach die Tatsache, dass sie es tat. Wie lange kannte ich Sabine schon? Es waren bestimmt zwei Jahre und seit geraumer Zeit verhielten wir uns, als seien wir Freundinnen. Keine Besties, aber dennoch Freunde, die irgendwie zueinanderstanden, wenn der Wind aus der Richtung unserer klasseninternen Mobberkönigin Franziska nicht so heftig wehte. Nie hätte ich Sabine so eingeschätzt.

So schnell konnte man sich in Menschen täuschen, die eine angebliche moralische Instanz darstellten.

Es war fast schon beängstigend.

Ich hatte den kompletten Sonntag nicht gebloggt. Immer wieder war ich Möglichkeiten durchgegangen, wie ich Sabine am besten abfangen und zur Rede stellen konnte. Und immer wieder war es meine Angst, die mir einen Strich durch die Rechnung machte. Ich war nicht gerade für meine Feinfühligkeit bekannt und so niedergeschlagen, wie Sabine momentan war, konnte ich ihr die Fakten nicht direkt vor den Latz knallen – wenn ich mich denn traute, irgendetwas knallen zu lassen.

Auf der anderen Seite rang ich mit mir, ob ich meinen zukünftigen Stiefbrüdern Sven und Lukas davon erzählen sollte. Mama wäre ausgeflippt und zu Sabines Vater gerannt, um ihm von den Umtrieben seiner Tochter zu erzählen und das wollte ich auf gar keinen Fall. Also blieben nur Sven und Lukas übrig … genauer gesagt, nur Sven, schließlich kannte er Sabine persönlich. Sven und ich hatten zwar eher das Verhältnis von besten Feinden zueinander – was sich aber auch gebessert hatte, seit wir durch unsere turtelnden Eltern und den hamsterausgelösten Kabelbrand in unserer nun recht verkohlten ehemaligen Wohnung dazu verdammt waren, die schulfreie Zeit miteinander zu verbringen –, aber selbst das war besser, als wieder bei Null anfangen zu müssen.

Aber es Sven einfach sagen? Konnte ich das vor mir selbst verantworten, bevor ich mit Sabine gesprochen hatte? Ich war am Sonntag ein paarmal kurz davor gewesen, es Sven zu erzählen, kniff dann aber immer im letzten Augenblick. Es kam mir wie ein Verrat vor – und ich wusste auch nicht, wie sehr ich ihm vertrauen konnte. Wir waren schließlich über zwei Schuljahre hinweg nicht gerade freundlich zueinander gewesen, egal wie sich die jetzige Lage auch darstellte.

Jetzt war Montag, ich hatte kaum geschlafen und mein Hirn fühlte sich an, als hätte es sich einen Wurm eingefangen, der sich durch die Windungen fraß.

»Greta?« Svens Stimme schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich drehte meinen Kopf. Unsere Blicke begegneten sich und wieder konnte ich Sorge in seinen blauen Augen lesen. »Wir sind da«, setzte er hinzu.

»Ja«, antwortete ich lahm. »Danke.« Ich hatte nicht bemerkt, dass wir schon an der Haltestelle der Schule angekommen waren. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, als stünde ein großer Vokabeltest an.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Sven. Er erhob sich vom Platz und stieg aus der Straßenbahn aus. Ich folgte ihm mühsam.

»Mir geht es super«, log ich und versuchte mich an einem freudlosen und kaum überzeugenden Lächeln.

»Ich werde auch immer kreidebleich, wenn mir die Sonne aus dem Arsch scheint«, sagte er. Doch ich ging auf seine provokante Rhetorik nicht ein. Mir war so schlecht, dass die Häuser vor meinen Augen verschwammen.

»Bist du sicher, dass dir nichts fehlt?« Sven lief neben mir und wieder hatte ich das Gefühl, er haderte damit, was er tun konnte oder sollte.

»Es ist monatliche Frauenscheiße«, verwob ich meine Lüge mit einer neuen Ausrede. »Wenn du nochmal fragst, erzähle ich dir detailliert und für alle Sinne, wie man sich mit so etwas fühlt.« Ich war ein Arschloch, ihn derart anzufahren, aber ich wollte einfach nicht mit ihm reden. Nicht, bevor ich Sabine zur Rede gestellt hatte.

Sven kniff die Lippen zusammen und blieb bis zum Klassenraum an meiner Seite – wortlos. Dann begab er sich an seinen Platz und würdigte mich keines Blickes mehr.

Ich hatte es mehr als verdient.

Ein tiefer Seufzer entrang sich meiner Kehle. Ich war so unfair gewesen, dass ich mir am liebsten selbst ein Highfive ins Gesicht gegeben hätte.

Da sah ich sie.

Sabine.

Sabine war nicht bleich oder sah merklich anders aus als letzte Woche, doch irgendetwas hatte sich an ihr verändert. Oder lag es an mir?

Ich erhob mich von meinem Platz. Meine Knie schwankten unter mir wie bei starkem Wellengang. »Hey!«, sagte ich und ging auf sie zu.

»Guten Morgen«, erwiderte Sabine und schenkte mir ein Grinsen.

Meine Aufregung sprudelte fast über wie ein auf dem Gasherd tanzender Wasserkessel. »Bist du wieder fit?«, fragte ich vorsichtig und setzte mich auf einen freien Stuhl neben ihrem. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

»Ja«, erklärte sie knapp. »Ich hatte nur eine kleine Erkältung, nichts Schlimmes.«

Erkältung. So, so.

Mein Puls schlug mit einer Gewalt gegen meine Schläfen, als müsste ich mich jede Minute übergeben.

»Auch am Samstag?«, fragte ich leise. Die Worte kamen nur zögerlich über meine Lippen. Ein tief verankerter Widerwille wollte, dass ich einfach meine Klappe hielt und Sabines Tun ignorierte. Über diese Art der Freundschaft waren wir allerdings schon längst hinaus. Es ging mich vielleicht nichts an, was Sabine in ihrer Freizeit trieb, aber es ging mich sehr wohl etwas an, wenn es sich auf ihr schulisches Verhalten auswirkte – und sie unfähig war, es vor mir erklärtem Blitzmerker zu verstecken.

Außerdem sorgte ich mich um sie.

Das Lächeln in Sabines Gesicht versteinerte augenblicklich und ihre Augen weiteten sich.

»Ich habe dich gesehen«, sagte ich gedämpft. »Und ich weiß, was du da gemacht hast.«

Ihre Mimik glich einer Maske.

»Ich will mit dir darüber sprechen«, redete ich weiter. »In der großen Pause.«

Sie nickte nur – zu mehr schien Sabine nicht mehr fähig zu sein.

Hoffentlich verging die Doppelstunde zügig.

 

***

 

Sven hatte nichts von dem verstanden, was Greta und Sabine besprachen, aber es war offensichtlich, dass es Sabine schockiert hatte. Und aus einem unerfindlichen Grund wusste er, dass es etwas mit dem Elektronikfachmarkt zu tun haben musste.

Was dort auch immer geschehen war, Greta und Sabine mussten involviert gewesen sein.

Ein Kitzeln auf den Unterarmen schreckte Sven auf. Er fühlte sich nicht nur beobachtet, sondern geradezu von Blicken durchbohrt. Es dauerte keine Sekunde, bis er denjenigen ausgemacht hatte, der ihn derart intensiv musterte: Franziska.

Sie blickte von ihm zu Greta und Sabine und schließlich wieder in seine Richtung. Franziska musste keine Geste vollführen, um ihm verständlich zu machen, dass auch sie mitbekommen hatte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Kälte jagte beißend durch Svens Venen. Wenn Franzi Blut gerochen hatte, brachte sie nichts von der Spur ihrer Beute ab. Sie war wie einer der wolfsähnlichen heimtückischen Warge aus Der Herr der Ringe. Sie würde nicht ruhen, bevor sie Greta oder Sabine bloßgestellt und ihre Selbstwertgefühle bis zur Unkenntlichkeit zerrissen hatte.

Und es würde ihr Freude bereiten, durchzuckte es Svens Kopf. Es würde ihr so viel Spaß machen wie damals, als er von ihr entzweigerissen worden war.

***

 

»Und hier ist wirklich niemand?«, fragte ich.

Sabine nickte stumm. Sie hatte auf dem ganzen Weg in den ehemaligen Internatsflügel der Schule kein einziges Wort mit mir gesprochen.

Der Klassenraum mit den Gitterstäben vor den Fenstern schrumpfte auf ein Minimum, als ich mich auf einen Tisch setzte und Sabine endlich ins Gesicht blickte.

Sie sah aus, wie ich mich fühlte: vollkommen am Arsch und mit den Nerven am Ende.

»Es tut mir leid«, sagte ich. Blöder konnte man eine Konversation nicht beginnen. Aber wie sagte man jemandem, dass man ihn beim Diebstahl ertappt hatte? »Es ist nur …« Ich wischte mir mit der Hand kalten Schweiß aus dem Nacken. »Ich kann es nicht einfach verdrängen und vergessen.«

»Du warst am Samstag auch dort?«, fragte Sabine. Ihre Stimme klang wie die von Miss Piggy.

Ich nickte. »Ich habe nur ein paar Schritte entfernt von dir gestanden.«

Sie nickte stumm. Ihr Mienenspiel wirkte auf mich, als würde sie jede Minute Frösche hochwürgen und ausspeien. »Ich kann das einfach nicht mehr«, platzte es aus Sabine heraus. Tränen schwappten aus ihren glasigen Augen. »Ich bin fertig, am Ende. Ich will nicht mehr.« Sie schlug sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte.

Boah, scheiße. Vorsichtig näherte ich mich ihr und strich mit der Hand über ihren zitternden Rücken. Sollte ich sie in den Arm nehmen? Ich war mit der Situation vollkommen überfordert.

»Alles ist gut«, plapperte ich und hoffte, dass die Worte die gewünschte Wirkung erzielten. »Du musst das nicht tun.«

»Doch!«, schluchzte Sabine. »Wenn ich aufhöre, sagen sie es meinem Vater. Oder schlimmer noch, sie verklagen uns.«

In meinem Kopf begann es zu arbeiten. »Du wirst dazu gezwungen?«

Sie schniefte geräuschvoll, blickte mich aus geröteten Augen an und nickte.

»Aber … wie? Und wer?«

»Sie wissen, wo ich wohne.« Sabine wischte Tränen mit dem Saum ihres Shirts aus ihren Augen. »Und ich bin auch noch daran schuld.«

»Wer sind sie denn?«, fragte ich vorsichtig und streichelte Sabines Rücken weiter.

»So eine Internetfirma, die Abos verkauft.«

»Aha«, erwiderte ich. Internetbetrug also. Phishing. »Hast du deine Bankdaten an die weitergegeben?«

Sabine schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, woher die meine Mailadresse haben oder wissen, wo ich wohne. Ich bin noch nie auf deren Seite gewesen.«

»Du hast keine E-Mail mit einem merkwürdigen Anhang bekommen? Und diesen vielleicht aus Versehen geöffnet?«

Sabine sah mich mit ihrem tränenverschmierten Gesicht an, als hätte ich ihr eben erklären wollen, woher die Babys kommen.

»Du klaust für die?«, fragte ich weiter.

Nur noch wenige Tränen bahnten sich den Weg durch ihr Gesicht. Der Knoten war geplatzt. »Ich habe ansonsten keine Ahnung, wie ich an das Geld kommen soll.«

Sie klaute nicht nur, sondern verkaufte das Diebesgut auch noch an einen Hehler. Na, Juhu! Das hieß: bis zu fünf Jahre auf Bewährung oder eine enorme Geldstrafe, wenn ich mich recht entsann. Gut, dass mir Papa zum sechzehnten Geburtstag ein Strafgesetzbuch geschenkt hatte. »Warum gehst du damit nicht zu deinem Vater?«

Sabines Augen weiteten sich. »Er würde mich nicht mehr aus dem Haus lassen, wenn ich ihm sage, dass ich im Netz Mist gebaut habe.«

»Ist er so streng?« Ich kannte Sabines Vater nicht, geschweige denn ihre Familienverhältnisse. Es war im Grunde erschreckend, wie wenig ich von ihr wusste.

»Seit meine Mama uns verlassen hat, hat sich mein Vater sehr zurückgezogen«, flüsterte sie. »Er wird bei jedem empfindlichen Thema aggressiv. Eigentlich sitzt er den ganzen Tag nur noch an seinem PC, hackt auf der Tastatur herum und will nicht gestört werden.« Sie pausierte kurz. »Er ist aber auch Webdesigner und muss am PC sitzen.«

»Oh«, machte ich. Ich war wirklich so sensibel wie ein Baumschubser.

»Er ist ein guter Papa, versteh das nicht falsch«, sagte Sabine. »Er hat sich seit jeher große Sorgen um mich gemacht und will nur das Beste für mich. Er hat Angst, dass mir etwas passiert. Papa hat sogar Kameras installieren lassen, damit er während seiner Geschäftsreisen über mein Befinden Bescheid weiß.«

Da blieb mir die Spucke weg – und das nicht aus Entzücken.

»Er will mich beschützen«, fuhr Sabine fort. »Früher hat er mich überall hingefahren und das hat sich jetzt verstärkt, als uns Mama verlassen hat. Ich kann ihn nicht alleinlassen … geschweige denn ihm erzählen, dass ich Mist gebaut habe. Ich würde Papa enttäuschen und ihm das Herz brechen. Er hat doch nur noch mich.« Sabine blickte mich an, als müsste auch ich Verständnis für sie und ihren Vater haben – was ich für Sabine aufbringen konnte, aber nicht für ihren Vater.

Wow! Ein Helikopter-Vater mit Psychose.

»Das tut mir leid«, sagte ich, völlig unfähig, einen nachsichtigen Gedanken zu fassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Mutter mich so unmündig behandeln würde.

»Ich habe versucht, das Problem allein zu lösen«, erklärte Sabine und schniefte erneut. »Aber ich komm da einfach nicht mehr raus. Sie verlangen immer mehr Geld und drohen mit dem Anwalt, wenn ich die Rechnungen nicht bezahle.« Sie blickte mich voller Erwartung an. »Greta, bitte hilf mir. Ich weiß nicht mehr weiter.«

So konnte es auch nicht weitergehen, da musste ich Sabine zustimmen. Ich nahm ihre Hände in meine und drückte sie. »Ich helfe dir, Sabine.« Auch wenn ich noch nicht wusste, wie.

Eines jedoch wurde mir schlagartig klar: Das Problem konnte ich niemals allein bewältigen. Dazu fiel mir nur ein Mensch ein, dem ich diesen Schlamassel anvertrauen konnte.

***

 

Er war ihnen heimlich durch die Flure der Schule gefolgt und bekam vor Fassungslosigkeit und Bestürzung einen trockenen Hals.

Sven lehnte wenige Meter entfernt von dem Klassenzimmer, in dem sich Sabine und Greta befanden, an einer Mauer und konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Sabine hatte nicht einfach Dreck am Stecken, sondern stand mit einem Bein im Jugendknast, wenn das alles aufflog.

Und Greta wusste davon.

Er konnte kaum atmen. Greta musste Sabine am Samstag auf frischer Tat ertappt haben und konnte es nicht über sich bringen, sie zu verraten.

Hatte Sabine Greta um Hilfe ersucht? Es klang jedenfalls so, als sähe sie keine Möglichkeit mehr, allein mit diesen Phishern klarzukommen. Aber was konnte Greta gegen eine solche durch und durch kriminelle Vereinigung machen? Besonders furchteinflößend sah Greta nicht aus und Sven vermutete auch nicht, dass sie großartige Kontakte zur Kripo oder dem Bundesnachrichtendienst pflegte. Was konnte Greta gegen solche Menschen unternehmen?

Klackern von Absätzen durchbohrten die Stille des Flurs. Svens Nackenhaare stellten sich auf und Franzis Blick erschien wie ein Mahnmal vor seinem inneren Auge. Wenn Franziska davon Wind bekam, würde sie Sabine in Grund und Boden stampfen. Sie würde von ihr nichts mehr übriglassen, nichts außer Gerüchten und wilden Spekulationen.

Er schluckte und spürte einen dicken Kloß in seinem Hals anwachsen. Auch vor Greta würde Franziska nicht haltmachen. Der Gedanke peinigte Sven.

Es würde schrecklich werden, wenn diese Frau hinter Sabines Geheimnis kam.

Nein!, durchstieß eine trotzige Stimme seine Gedanken.

Er hatte schon zu oft weggesehen und Bosheiten von dieser Frau erduldet. Franziska musste ihre Grenzen aufgezeigt bekommen – auch wenn es für ihn entsetzlich werden würde.

Sven wollte Greta nicht weinen und verzweifeln sehen. Das konnte er auf gar keinen Fall ertragen oder zulassen.

 

Oh, ein Fettnäpfchen!  – warte, ich nehme Anlauf…

 

»Ich könnte dir deine Überlebenschancen ausrechnen, aber du wärst nicht begeistert.«

(Marvin aus Per Anhalter durch die Galaxis)

Von GadgetHackwrench Pro @ 19.08.2013 – 19:07:27

 

Irgendwann musste ich mein Handtuch vergessen haben, obwohl es in dieser Galaxis essenziell ist, eines zu besitzen und immer mit sich zu führen, wie wir von Douglas N. Adams wissen und diesen heiligen Tag (Towel Day) am 25. Mai feiern und zelebrieren.

 

Meine Hände stoppten und zitterten. Es kam mir plötzlich falsch vor, über diesen Tag zu bloggen. Es war Sabine gegenüber unfair … und vielleicht sehr unvorsichtig, schließlich wusste ich nicht, welche Möglichkeiten diese Kriminellen hatten.

Sabine hatte mir über diese Organisation nicht sonderlich viel erzählen können und auch diese wenigen Informationen waren unverhältnismäßig lückenhaft.

Wie ich Sabine verstanden hatte, hatte sie keine Anhänge geöffnet oder auf unbekannte Links geklickt und anders als bei jedem normalen Phishing-Versuch lag auch keine vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern strotzende Mail im Postfach, sondern ein analoges Schreiben im Briefkasten – mit Stempel einer Anwaltsfirma, die es laut Google Earth sogar wirklich gab.

Das brachte selbst meine Paranoia auf ein völlig neues Level.

Nehmen wir an, Sabine war auf dem Portal gewesen, ohne es zu merken, wie kamen diese Leute dann an ihre Adresse, ohne wenigstens ihre E-Mail-Adresse zu kennen?

Ich wusste, dass man über das Internet Protocol den Zugangsort des Providers finden konnte, in dem die IP ansässig war, allerdings war es das auch schon mit der Recherche – immerhin werden in Deutschland alle 24 Stunden neue IP-Adressen vergeben. Nur der Provider konnte Auskunft über eine bestimmte Adresse geben, die an einem bestimmten Tag und zu einer genauen Uhrzeit auf jener Webseite war – und dies geschah meist nur, wenn sich die Polizei einmischte. Sozusagen mit digitalem Durchsuchungsbefehl.

Aus einem unerfindlichen Grund musste ich an Svens und mein Gespräch über das Ausspähen zurückdenken.

Wenn ich es hier mit normalen Usern zu tun hatte, waren sie wohl irgendwie auf Sabines Rechner gekommen. Das konnte ich mit Ad-Aware, Spybot und einem Antivirenprogramm leicht herausfinden.

Wenn hier allerdings echte Hacker am Werk waren, sah die Sachlage schon wieder ganz anders aus. Ich war kein Hacker und kannte nicht einmal ansatzweise die Methodik, wie man einen Standort lokalisierte, oder besser gesagt, den Provider hackte.

Ich klappte das Netbook zu und atmete tief ein und aus.

Die flammenden Strahlen der untergehenden Sommersonne fielen durch die Vorhänge und malten blutige Streifen an die kalkweißen Wände meines Zimmers.

Das alles behagte mir überhaupt nicht, aber wenn nicht ich Sabine helfen konnte, wer dann? Ihr Vater würde sie wahrscheinlich wie Rapunzel in einen Turm sperren und den Schlüssel wegwerfen, wenn er herausfand, was sich hinter seinem Rücken abspielte.

Überhaupt war es nicht ratsam, einen Erwachsenen in die Sache einzubeziehen. Oft verkomplizierten sie es noch, oder es endete in einem Rechtsstreit, der bis zum Weltenende durch countrymusikliebende Aliens andauerte.

Nein, das war absolut keine Option.

Einen Alleingang wollte ich aber auch nicht wagen. Ich musste jemanden einweihen.

Mit einem Hopser hatte ich mich vom Bett auf meine Beine befördert und ging zur Tür. Kurz vor der Klinke stoppte ich. Es war noch nicht spät und Sven war mit Sicherheit noch wach. Aber war ich mir sicher, dass ich ihm vertrauen konnte?

Mein Gefühl sagte Ja, schließlich zeigte sich Sven mir von einer Seite, die ich in den Monaten zuvor niemals an ihm erahnt hätte. Trotzdem fürchtete ich mich davor, mit ihm etwas derart Sensibles zu teilen. Ich hatte schließlich keine Kontrolle darüber, wem er das alles erzählte. Mir blieb nur mein Vertrauen in ihn.

Trocken schluckte ich, richtete meine Augen auf die Tür, nahm die Klinke in die Hand und drückte sie hinunter.

Svens und mein Verhältnis zueinander hatte sich verändert und ich war möglicherweise soweit, zu akzeptieren, dass er mehr für mich wurde als bloß ein mehr oder minder extraordinärer Mitbewohner.

 

***

 

Forsch hämmerte er mit den Fingerspitzen auf die Tastatur seines Laptops. »Kommt nur her, wenn ihr euch traut!«, wisperte Sven und erschlug mit seinem Marauder ein paar Monster, die ihn angegriffen hatten.

Path of Exile