INHALT

Vorwort von Wolfgang Thierse

Im Namen der Aufklärung

Warum wir dieses Buch schreiben (mussten)

1. »Ich bin kein Populist«

(K)eine Definition eines gespenstischen Begriffs

2. »Wir gegen die da oben«

Die »korrupte Politik«, das »verräterische Establishment« und die »Lügenpresse«

3. »Wir schaffen das nicht«

»Verdummen« und »verdrängen« uns die »Fremden«?

4. »Her mit allem Guten, weg mit allem Schlechten«

Einfache Lösungen für komplexe Probleme

5. »Sprechen Sie Rechts?«

Die Renaissance des Nazisprech

6. »Sorgen Sie sich!«

Neue Kampfbegriffe für Scheinprobleme

7. »Endlich spricht es jemand aus!«

Tabubrüche, Beschimpfungen und
weitere Grenzüberschreitungen

8. »Wir werden verarscht«

Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch

Schlussfrage

Wie umgehen mit rechtspopulistischer Sprache?

Anmerkungen

Literatur

Rechtspopulistische Quellen

VORWORT VON WOLFGANG THIERSE

Demokratie – als politische Lebensform der Freiheit – ist Streit, ist Debatte, allerdings nach Regeln der Fairness. Und das, weil in der Gesellschaft verschiedene Interessen vorhanden sind und politisch zur Geltung kommen können sollen. Das Volk pflegt eben immer im Plural aufzutreten. Volkes Stimme ist gelegentlich ein schrilles, immer aber ein vieltöniges Konzert.

Die wirkliche Demokratie ist keine Kuscheldemokratie und demokratische Politik ist weder Unterhaltung noch Erlösung. Sie ist – durchaus pathetisch gesagt – grau, schweißtreibend, enttäuschungsbehaftet und müht sich von Kompromiss zu Kompromiss, sie verlangt geradezu revolutionäre Geduld! Ich lobe die Langsamkeit von Demokratie, auch wenn sie mich und uns Nerven kostet. Denn nur diese Langsamkeit eröffnet die Möglichkeit, dass sich an ihren Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen möglichst viele Bürger beteiligen können, wenn sie es denn wollen! Populisten ertragen diese Langsamkeit der Demokratie nicht. Sie sind die großen und kleinen Vereinfacher und Schuldzuweiser und Verfeinder!

Streit ist also der Normalfall und er verlangt gute Nerven und Geduld. Wehleidigkeit ist unpassend. Aber müssen sich Demokraten alles bieten lassen? Scharfe Kritik und Polemik ja, aber auch Verachtung und Hass? Mit dem Einzug der AfD in deutsche Parlamente werden nun auch hier (und nicht mehr »nur« auf der Straße und im Internet) Hass und Demagogie lautstark und unüberhörbar ausgedrückt. Der bisherige parlamentarische Common Sense ist durch die AfD aufgekündigt. Mit absichtsvollen rhetorischen Tabuüberschreitungen und politisch-moralischen Grenzverletzungen verschieben die AfD-Parlamentarier Sitzungswoche für Sitzungswoche das, »was man doch noch mal sagen darf«. Wir Bürger sollten genau hinhören und hinschauen, was die AfD innerhalb und außerhalb der Parlamente sagt und tut. Welche Sprache sie spricht. Und wir sollten deren Framing erkennen, die sprachliche Strategie durchschauen lernen.

Wir Demokraten müssen die Auseinandersetzung mit Populisten, Demagogen, Extremisten (immer wieder neu) lernen. Das ist nicht nur Aufgabe der Parlamentarier, sondern ebenso der Bürger. Wir müssen das rechte Maß finden zwischen Verständigungsanstrengung und Konfrontationsbereitschaft. Wie kann inhaltlich-argumentative Debatte gelingen, wenn Austausch und Bestätigung starker Meinungen an die Stelle der Verständigung über Fakten getreten sind? Wie können wir »Hermeneuten der Wut« (Bernhard Pörksen) werden, also zu versachlichendem Streitgespräch verführen? Denn Beschimpfung und Dauerempörung helfen nicht. Aufklärungsarbeit ist nötig. Von Demokraten, die die sprachlichen Manöver der Rechtspopulisten durchschauen.

Jana Reissen-Kosch und Thomas Niehr haben die unfairen sprachlichen Methoden der Populisten akribisch untersucht. Aus den Analysen in ihrem Buch können wir, sollten wir lernen.

Berlin, im August 2018

Wolfgang Thierse
Bundestagspräsident a. D.

IM NAMEN DER AUFKLÄRUNG

Warum wir dieses Buch schreiben (mussten)

Rechtspopulistische Politiker und Parteien feiern in vielen europäischen Ländern und in den USA zurzeit sehr große Erfolge. Die AfD in Deutschland, der Front National in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn und Donald Trumps America-First-Politik sind nur die bekanntesten Beispiele. Viele Menschen der westlichen Welt – Süd- und Osteuropa eingeschlossen – folgen den scheinbar plausiblen Lösungsvorschlägen von Rechtspopulisten und geben ihnen ihre Stimme.

Wie aber rechtfertigen sie ihre Unterstützung dieser Bewegungen? Meist damit, dass es politisch keinesfalls so weitergehen könne wie bisher. Die Wahl rechtspopulistischer Politiker und Parteien ist also in erster Linie als Protest zu verstehen. Doch es gibt offensichtlich noch mehr Gründe für den Erfolg der Rechtspopulisten: Sie haben Parolen und Argumente im Angebot, die eine unvergleichliche Überzeugungskraft haben, der sich viele nicht entziehen können. Zu selten wird erkannt, dass diese Parolen und Argumentationsketten auf Realitätsverzerrung und Desinformation beruhen. Rechtspopulismus funktioniert also zu einem Großteil auf der sprachlichen Ebene, und Rechtspopulisten feiern ihre Erfolge auf dem Fundament einer Sprache, die polarisiert, Sachverhalte verzerrt, Hass und Zwietracht sät.

Wir sind der Meinung, dass Aufklärung nottut. Das beste Mittel, das beste »Medikament« gegen Rechtspopulismus und die Umdeutung von Falschaussagen zu »alternativen Fakten« sind Wissen und Bildung. Nicht zuletzt deshalb haben wir uns entschieden, dieses Buch zu schreiben.

Bei der Bundestagswahl im Jahr 2017 wurde eine politisch rechts außen stehende Partei, die AfD, in den Deutschen Bundestag gewählt – ein Ereignis, das in den deutschen Medien breit diskutiert wurde. Doch bereits zuvor konnten die AfD und ihre Vertreter große mediale Aufmerksamkeit verzeichnen, die sicherlich nicht zuletzt ihren wiederholten Provokationen und Tabubrüchen zu verdanken war. Es mag in diesem Zusammenhang erstaunen, dass die ARD im Jahr 2016 dazu überging, die AfD nicht mehr konsequent als rechtspopulistisch zu kennzeichnen. Dass dies allerdings nicht einer veränderten Einschätzung dieser Partei, sondern journalistischer Neutralität zu verdanken sei, erklärte in diesem Zusammenhang der Chef von ARD aktuell, Kai Gniffke: »Nach wie vor halte ich die AfD für eine rechtspopulistische Partei. Das bedeutet aber nicht, dass wir permanent das Attribut ›rechtspopulistisch‹ vor dem Parteinamen ›AfD‹ nennen müssen. Denn mittlerweile ist die Partei den meisten Menschen bekannt.«1

Was aber ist das Rechtspopulistische an dieser Partei? Gibt es auch andere rechtspopulistische Parteien und Personen? Und woran bemisst sich eigentlich, ob ihnen das Attribut »(rechts-)populistisch« zu Recht verliehen wird?

»Populist«, »Rechtsextremist«, »Rechtsradikaler« – solche und ähnliche Ausdrücke werden gerne und häufig in der öffentlichen Debatte verwendet, um den jeweiligen politischen Gegner zu stigmatisieren. Auch als gebildeten Bürgern ist uns häufig nicht ganz klar, was diese Ausdrücke konkret bedeuten sollen. Offensichtlich ist allerdings, dass sie wie Schimpfwörter verwendet werden, um die damit Bezeichneten abzuwerten. Häufig erweisen sie sich als bloße Kampfbegriffe. Möglicherweise aber wird mit ihnen auch einfach ein diffuses Unbehagen ausgedrückt.

Eine beliebte Methode ist es, die »ursprüngliche« Bedeutung solcher Ausdrücke herzuleiten und diese Bedeutung als die einzig richtige zu verkaufen. Danach wären »Radikale« Menschen, die den Dingen wirklich auf den Grund gehen und bis an die Wurzel (lat. radix) vordringen. »Populisten« sind dieser Logik zufolge Menschen, die sich in besonderer Weise auf das Volk (lat. populus) berufen und sich an dieses wenden. Derartige Definitionen sind sicherlich nicht ganz falsch – zweifelsohne enthalten sie auch Zutreffendes. Allerdings helfen sie nicht dabei, wirklich zu verstehen, wie die Ausdrücke in den aktuellen Debatten verwendet werden. Und erst recht nicht erklären sie, auf welche Weise mit Wörtern wie »Populist« oder »populistisch« Politik gemacht wird. Denn Sprache dient nicht nur dazu, Informationen weiterzugeben, sondern auch dazu, unsere Sicht der Welt zu kommunizieren. Sprache ist immer perspektivisch und damit subjektiv – eine Sprache, die die Dinge und Sachverhalte in der Welt objektiv bezeichnet, gibt es nicht.

Kommunikationsprofis – und dazu gehören Populisten zweifelsohne – nutzen diese Perspektivengebundenheit von Sprache immer wieder gezielt, um ihre Sicht der Welt zu propagieren. Wir möchten mit diesem Buch einen Beitrag dazu leisten, die sprachlichen Manöver von Rechtspopulisten durchschaubar zu machen. Wenn unsere Beschreibung dazu beiträgt, dass unsere Leserinnen und Leser für deren Sprachgebrauch sensibilisiert werden, hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt.

Wir wissen, dass die Verwendung des generischen Maskulinums ganz im Sinne der rechtspopulistischen Stimmungsmache gegen das Gender-Mainstreaming ist. Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass wir die Entscheidung gegen das Gendern in diesem Buch ausschließlich im Sinne der besseren Lesbarkeit und ohne jeden politischen Hintergrund getroffen haben. Selbstverständlich sind Frauen und Männer stets gleichermaßen gemeint.

Für die sehr angenehme und professionelle Zusammenarbeit danken wir unseren Lektoren Juliane von Laffert und Dr. Peter Schäfer.

Aachen, im August 2018

Thomas Niehr
Jana Reissen-Kosch

»ICH BIN KEIN POPULIST«

(K)eine Definition eines gespenstischen Begriffs

»Ich bin kein Populist.« Das sagen die Politiker Norbert Hofer und Heinz-Christian Strache von der österreichischen FPÖ über sich.1 Auch in Deutschland ist es nicht gerade angesagt, sich selbst als Populisten zu bezeichnen. Dennoch geht in Europa ein Gespenst um: das »Gespenst des Populismus«2, um Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung zu zitieren.

In diesem Buch beschäftigen wir uns zwar mit diesem Gespenst, doch in erster Linie beschäftigen wir uns mit dem Sprachgebrauch von Rechtspopulisten. Dies zu betonen scheint uns wichtig, weil wir sonst unversehens in eine Falle tappen. Denn auch Sprach- oder Politikwissenschaftler haben nicht die Macht, ein für alle Mal per Definition festzulegen, was ein Populist »wirklich« ist. Vielmehr handelt es sich bei »Populist« und »populistisch« um Zuschreibungen, die Menschen mit Bezug auf andere Menschen oder deren Äußerungen vornehmen: um Fremdzuschreibungen also. Derartige Zuschreibungen aber lassen sich nicht wie andere Aussagen auf ihre Richtigkeit oder Falschheit überprüfen.

Sätze wie »Der AfD-Politiker Alexander Gauland kommt in einem Roman Martin Walsers als Staatssekretär Tronkenburg vor« oder »Wolfgang Amadeus Mozart hat Johann Sebastian Bach noch persönlich gekannt« kann man ohne größere Mühen als wahre oder falsche Aussagen klassifizieren. Man kann sie sozusagen an der Realität messen, Übereinstimmungen und Abweichungen feststellen und klar benennen.

Bei Sätzen, in denen bewertende Zuschreibungen vorgenommen werden, funktioniert ein solcher »Faktencheck« allerdings nicht. So wird es uns nicht gelingen, Sätze wie »Schmidt war ein besserer Bundeskanzler als Kohl« oder »Rembrandt war ein ausdrucksstärkerer Maler als Rubens« als eindeutig wahr oder falsch zu klassifizieren. Dies liegt daran, dass sie (politische oder ästhetische) Bewertungen enthalten, die über Fakten, die man an der Realität messen kann, weit hinausgehen. Man müsste also zunächst Einigkeit über die zugrunde liegenden Kriterien erzielen, um derartige Bewertungen argumentativ bekräftigen oder bestreiten zu können.

Ein abwertender Ausdruck

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Zuschreibung von Populismus. Da es für diesen Ausdruck keine unumstrittene Definition gibt und eine Definition ihrerseits Bewertungen enthält, kann es keine eindeutige Beurteilung als »richtig« oder »falsch« geben.

So liest man etwa im aktuellen Duden Universalwörterbuch unter dem Stichwort »Populismus«: »1. (Politik) von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen. […]«3

Da es sich aber bei »Opportunismus«, »Volksnähe«, »Demagogie« und »Dramatisierung« um Ausdrücke handelt, die ihrerseits bewertend sind und über die sich daher trefflich und ausdauernd streiten ließe, lässt sich nicht ohne Weiteres festlegen, welcher Politik das Attribut »populistisch« zukommen soll und welcher nicht.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Der Begriff »Populist« wird in der gesellschaftlichen Debatte meist abwertend verwendet. Wenn jemand als Populist bezeichnet wird, ist dies normalerweise nicht als Kompliment gemeint. Denn, wie Jan-Werner Müller sagt, »zumindest in Europa gilt: Wer einem anderen das Etikett ›Populist‹ ankleben kann, hat politisch schon viel gewonnen. Das Publikum assoziiert den politischen Gegner dann automatisch mit Figuren wie Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider, vor denen viele Bürger – sogar viele, die irgendwie Protest zum Ausdruck bringen wollen – am Ende doch eher zurückschrecken.«4

Dies ist auch gut daran abzulesen, dass kaum jemand für sich selbst in Anspruch nimmt, Populist zu sein – auf die Ausnahmen werden wir noch zu sprechen kommen.

Solche Ausdrücke bereiten daher bei der (sprach-)wissenschaftlichen Analyse Schwierigkeiten. Dies liegt daran, dass immer die Gefahr besteht, Teile der (abwertenden) Bedeutung auf den wissenschaftlichen Terminus zu übertragen. Dies gilt beispielsweise auch für den Ausdruck »Extremismus«. In Bezug auf »Populismus« schreibt Heribert Prantl: »Das Wort Populismus ist nun vom übermäßigen Gebrauch so überdehnt und ausgeleiert wie ein alter Gummiring; es ist selbst populistisch. Es taugt für fast nichts mehr; nur noch zur Verharmlosung der Demokratieverächter.«5

Was bedeutet das für uns als Autoren dieses Buchs und all jene, die das Problem des Populismus dennoch sehen und diskutieren wollen? Zunächst einmal, dass es an dieser Stelle nicht darum gehen soll, Antipathien gegen eine (oder gleich mehrere) politische Strömungen sozusagen wissenschaftlich zu untermauern. Hier geht es vielmehr um die Analyse eines Kommunikationsstils, der als rechtspopulistisch bezeichnet werden kann. Dabei gehen wir davon aus, dass es sinnvoller ist, Äußerungen als rechtspopulistisch einzustufen als Personen oder gar ganze Parteien: »Nicht an ihren vermeintlich ressentimentgeladenen Wählern sollt ihr Populisten erkennen – sondern an ihren eigenen Worten«6, schreibt in diesem Zusammenhang Jan-Werner Müller. Der Vorteil einer solchen Herangehensweise besteht darin, dass wir es bei Äußerungen, mit denen Populisten ihre Gesinnung kundtun, mit greifbaren Tatsachen zu tun haben. Damit haben wir eine objektiv überprüfbare Grundlage, anhand derer wir Einblick in das Denken von Populisten gewinnen.

Im Fokus: rechtspopulistische Sprache

In diesem Buch geht es um Sprache. Deshalb werden wir uns vorrangig mit der Sprache solcher Zeitgenossen beschäftigen, die mehrheitlich als Rechtspopulisten gelten. Einschätzungen dazu sind den Massenmedien zu entnehmen. Dabei geht es uns nicht darum, bestimmte Personen als Rechtspopulisten an den Pranger zu stellen. Stattdessen möchten wir analysieren, welche Muster in der Kommunikation dieses Personenkreises typisch sind. Auf diese sprachlichen Muster machen wir anhand von Beispielen aufmerksam. Eine gesteigerte Wachsamkeit und Sensibilität für den rechtspopulistischen Kommunikationsstil und seine Eigenheiten trägt am ehesten dazu bei, ein Abrutschen der gesellschaftlichen Debatte nach rechts zu verhindern und damit letztlich einer Gefährdung unserer Demokratie zu begegnen.

Stolze Populisten eher die Ausnahme

Wie aber sind Äußerungen einzuschätzen, in denen Politiker sich selbst stolz als Populisten bezeichnen? Steckt eine Strategie hinter solchen Selbstzuschreibungen? Und wie könnte sie aussehen?

Hier hilft ein Blick auf die sogenannten Geusenwörter (aus dem Niederländischen geuzennaam) – Wörter, die ursprünglich zur Abwertung oder Beschimpfung anderer verwendet wurden. Wenn nun die Beschimpften diese Wörter aufgreifen und sich offensiv selbst damit bezeichnen, kann der Gegner sie bald nicht mehr als Schimpfwörter verwenden. Der Gegner wird sozusagen mit den eigenen Waffen geschlagen und verbal entwaffnet. Das gelang im Jahr 2001 dem ehemaligen Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, der in einer Rede vor seiner Nominierung erklärte: »Ich bin schwul, und das ist auch gut so.«7 Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie man versuchen kann, ein Wort »umzudrehen«. Zwar muss diese Taktik nicht von Erfolg gekrönt sein, aber wenn die Umstände günstig sind und sich diesem Sprachgebrauch viele anschließen, wird das Schimpfwort irgendwann nicht mehr als solches funktionieren. Bei »schwul« ist genau dieser Fall eingetreten. Zumindest gilt dies für öffentliche Debatten; nach wie vor mag das Wort allerdings Zwölfjährigen auf dem Schulhof gute Dienste leisten, um sich gegenseitig zu beleidigen.

Wenn Politiker wie Peter Gauweiler (CSU), Horst Seehofer (CSU) oder Alexander Gauland (AfD) erklären, dass sie Populisten seien und »Populismus« für sie kein Schimpfwort sei, dann dürfte das Ziel dabei sein, dem Wort »Populist« seinen abwertenden Charakter zu nehmen. Dazu ist dieses Wort in besonderer Weise geeignet, weil Politiker ja Volksvertreter sein sollen, und das Wort populus (»Volk«) auf diese Zielsetzung verweist. Dies machte sich beispielsweise Alexander Gauland in einem Interview mit der FAZ zunutze, als er sagte: »Ich kann nicht sehen, was daran rechts sein soll, dem Volk aufs Maul zu schauen. Populistisch bestimmt. Aber populistisch heißt für mich weiter nichts wie schauen, was die Bevölkerung will. […] Populismus heißt, stärker die Nöte und Sorgen der Menschen zu akzeptieren.«8

Dass »Populismus« zweifelsfrei genau dies im öffentlichen Sprachgebrauch nicht bedeutet, ist beispielsweise dem entsprechenden Eintrag im Duden Universalwörterbuch zu entnehmen.

In Bezeichnungen wie »Populist«, »populistisch« und »Populismus« finden wir wie gesagt das lateinische Ursprungswort populus (»Volk«). Es liegt also der Verdacht nahe, dass das Volk – wer oder was auch immer das sein mag – für Populisten eine besondere Bedeutung hat. Dies gilt für Politiker generell, deren Berufsbeschreibung ja darin besteht, das Volk und die Interessen des Volkes zu vertreten. So gesehen könnte man sagen, dass ein gewisser Populismus zur Politik dazugehört. Was aber zeichnet Populisten, denen man Maßlosigkeit und Grenzüberschreitung im Sich-beliebt-Machen unterstellt, aus?

Dem Volke nahe, aber nicht jedem

Populisten verstehen sich als Anwälte des Volkes. Fast das Wichtigste ist dabei aber die Abgrenzung. Populisten berufen sich auf eine wie auch immer zusammengesetzte Gruppe, die sie als »das Volk« bezeichnen und stellen dieses Volk »den anderen«, also denen, die für sie nicht das Volk sind, gegenüber. Praktisch daran ist, dass diese anderen für mehr oder weniger alles verantwortlich gemacht werden können, was aus Sicht der Populisten schiefläuft.

Die Besonderheit eines rechtspopulistischen Volksbegriffs wird an mehreren Dingen deutlich. Zunächst bedarf es einer Klärung, wer oder was eigentlich das Volk ist, auf das Rechtspopulisten sich immer wieder beziehen. Dies wird häufig nicht klar ausgesprochen und lässt sich nur anhand von Indizien ermitteln. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung, die mit den griechischen Wörtern ethnos und demos verdeutlicht werden kann. Das Wort demos (»Volk«) kennen wir aus dem Wort »Demokratie«, das wir üblicherweise mit »Herrschaft des Volkes« übersetzen. Auch bei dieser (vagen) Begriffsbestimmung bleibt zunächst offen, wer zum (jeweiligen) Volk gehört.

Für die Bundesrepublik Deutschland ließe sich etwa konkret sagen, dass mit dem Volk die Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland gemeint sind, also die Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Sie genießen (Staats-)Bürgerrechte und haben beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen das Wahlrecht (jedoch keineswegs eine Wahlpflicht). Zu den Voraussetzungen, das Wahlrecht ausüben zu dürfen, gehört, dass man ein bestimmtes Alter erreicht hat und nicht dauerhaft unter Betreuung steht.

Definiert man also das Volk auf Grundlage der Staatsbürgerschaft, muss man sich im Klaren darüber sein, dass damit auch Unterschiede gemacht werden: Nicht die gesamte Bevölkerung eines Landes gehört demnach auch zum (Staats-)Volk. Die Definition schließt beispielsweise Personen aus, die sich illegal in dem betreffenden Staatsgebiet aufhalten oder auch Menschen, die nicht über die entsprechende Staatsangehörigkeit verfügen, wiewohl sie in dem jeweiligen Land wohnen.

Rechtspopulisten machen jedoch häufig einen noch weitergehenden Unterschied, der über die Unterscheidung von (Staats-) Volk (demos) und Bevölkerung hinausgeht. Sie pflegen einen ethnischen Volksbegriff, der aufgrund von Herkunft und Abstammung bestimmt wird. Das deutsche Volk in diesem (ethnischen) Sinne setzte sich demnach keineswegs aus allen Staatsbürgern, also allen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit und deutschem Pass, zusammen. Ausgeschlossen seien beispielsweise Arbeitsmigranten (»Gastarbeiter«), die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben. Ausgeschlossen seien ebenso deren Nachkommen, auch wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und ihre Muttersprache in sehr vielen Fällen Deutsch ist. Die Begründung für diesen Ausschluss lautet, dass diese Personen nicht deutscher Abstammung seien. Wie eine solche »deutsche Abstammung« exakt zu definieren ist, bleibt bei den Forderungen nach einer Rückkehr zum Abstammungsprinzip allerdings häufig ungeklärt.

Beschwörung des »Einfachen«

Im Rechtspopulismus wird das Volk als vermeintlich homogenes »Wir« konstruiert, das kollektiv dasselbe denkt, fühlt und fordert. Für diejenigen, die sich als Teil dieses Wir empfinden, bedeutet das eine starke Gemeinschaft. Ihr werden – zum Beispiel im Grundsatzprogramm der AfD – eine Geistesgeschichte, ein Selbstverständnis und ein Bündel an gemeinsamen Werten zugeschrieben. Dieser ethnisch fundierte Volksbegriff ist für die rechtspopulistische Kommunikation charakteristisch und lässt die Forderungen nach Volksentscheiden, nach Berücksichtigung und Umsetzung des Volkswillens in einem besonderen Licht erscheinen.

Weiterhin ist in diesem Zusammenhang ein Adjektiv von Interesse, das fast regelmäßig in Zusammenhang mit dem Wort »Volk« auftritt: »einfach«. Populisten sprechen stets im Namen des »einfachen Volkes«, das meist gegen die (politischen) Eliten ausgespielt wird. Diese Entgegensetzung hat häufig einen ökonomischen Hintergrund. Auf der einen Seite stehe eine korrupte Elite, die – statt die Interessen des Volkes zu vertreten – in die eigene Tasche wirtschafte, und zwar auf Kosten des Volkes. Der Populist hingegen stehe auf der Seite des betrogenen Volkes und kämpfe gemeinsam mit diesem Volk gegen die Elite. Es muss sich bei dieser Elite nicht unbedingt um eine im engeren Sinne politische Gruppierung handeln. Hier ist etwa auch an eine Meinungselite gedacht, bei der die Meinung und der Wille des Volkes angeblich gar nicht mehr zu ihrem Recht kommen.

Festzuhalten bleibt: Populisten wissen stets – oder geben dies zumindest vor –, was das »einfache« Volk will. Woher sie das wissen, bleibt häufig ihr Geheimnis. Jedenfalls behaupten sie von sich, den Willen des Volkes zu kennen. Und sie kämpfen dafür, dass dieser Wille gegen die Widerstände des angeblich korrupten politischen Systems durchgesetzt wird. Insofern gerieren Populisten sich als die einzig wahren Volksvertreter, als die einzig wahren Demokraten. »Populist« genannt zu werden wird vor diesem Hintergrund zu einer Auszeichnung, auf die man stolz sein darf.

Was Sie in diesem Buch erwartet

Mit welchen kommunikativen Mitteln Rechtspopulisten ihren Kampf führen, sollen die folgenden Kapitel verdeutlichen.

Es wird einerseits um einen sehr speziellen Volks- und Elitenbegriff gehen (Kapitel 2 und 3), wir werden uns sodann mit einer Argumentationsstrategie beschäftigen, die darin besteht, einfache Lösungen für komplexe Probleme anzubieten (Kapitel 4). Zwei Kapitel widmen wir besonderen Wörtern, die von Rechtspopulisten gerne verwendet werden. Dies sind einerseits historisch belastete Wörter (Kapitel 5), andererseits »neue« Wörter, die von Rechtspopulisten in einer ganz bestimmten Weise verwendet werden (Kapitel 6). Kalkulierte Tabubrüche, die von Rechtspopulisten immer wieder sehr gezielt eingesetzt werden und für große mediale Aufmerksamkeit sorgen, nehmen wir danach in den Blick (Kapitel 7). Schließlich beschäftigen wir uns noch mit Verschwörungstheorien, die Rechtspopulisten gerne bemühen, insbesondere wenn es für sie nicht so gut läuft (Kapitel 8). Abschließend soll es kurz um die Möglichkeiten gehen, rechtspopulistischem Sprachgebrauch zu begegnen.

Zwei Punkte möchten wir vorab klären:

Der erste bezieht sich auf die bereits angesprochene mediale Aufmerksamkeit. Mitunter wird zu Recht kritisiert, dass die Berichterstattung über Rechtspopulisten und ihre kommunikativen Strategien ihnen in die Hände spiele: »Es kann der AfD eigentlich egal sein, ob ihre Vertreter ins Fernsehen eingeladen werden oder nicht: Wenn sie nicht eingeladen werden, findet das mindestens die Beachtung, die auch die Einladung gefunden hätte. Die Debatte über Einladung, Ausladung oder Nichteinladung […] wird so innig geführt, dass sich die Partei Öffentlichkeitsarbeit sparen kann. Der Minderheitenschutz, gegen den sich die AfD in ihrer Politik aggressiv stellt, wird ihr selbst auf diese Weise in fürsorglichem Maß zuteil.«9 Durch extensive Berichterstattung – so lautet ein weiteres Argument – würden rechtspopulistische Parolen und Argumente über Gebühr medial verbreitet, auch wenn das sicherlich nicht in der Absicht der Journalisten liege. Wir sind uns des Problems bewusst, dass auch wir mit unserem Buch zahlreiche Äußerungen von Rechtspopulisten zitieren, also wiederholen. Dennoch sind wir der Meinung, dass wir mit unseren Ausführungen zur Aufklärung über die kommunikativen Strategien von Rechtspopulisten beitragen können. Dies geht aber nicht, ohne auf ihre Parolen und Argumente dezidiert einzugehen. Am Rande sei hier noch bemerkt, dass sämtliche Passagen, die im Folgenden zitiert werden, originalgetreu übernommen wurden. Im Sinne des ungestörten Leseflusses wird auf eine abweichende Orthografie nicht gesondert hingewiesen.

Der zweite Punkt betrifft die in diesem Kontext häufig gestellte Frage, ob es nicht auch einen Linkspopulismus gebe – und ob wir womöglich auf dem linken Auge blind seien.

Das sind wir keineswegs. Wir sehen Linkspopulismus, wenn etwa durchschnittlich Verdienende oder Wohlhabende mit Reichen, Superreichen und multinationalen Konzernen undifferenziert als Verbrecher hingestellt werden und jegliche Form des Wirtschaftens abgewertet wird. Doch zum Ausschluss von Ethnien kommt es beim Linkspopulismus nicht in vergleichbarer Weise. Dies hängt damit zusammen, dass Linke sich traditionell als Vertreter von Minderheiten verstehen und internationale Solidarität von ihnen als hoher Wert angesehen wird.

Fraglos gibt es auch Linkspopulismus in Deutschland – und stärker noch in anderen Ländern. Man muss schon einige argumentative Verrenkungen machen, um ein Phänomen wie den Linkspopulismus wegzudefinieren. Dies liegt keineswegs in unserer Absicht. Allerdings sind wir der Überzeugung, dass der Rechtspopulismus das vorherrschende Phänomen unserer Zeit ist. Und vom Rechtspopulismus geht die größte Gefahr für unsere Demokratie aus.

In diesem Zusammenhang schreibt Heribert Prantl: »Wer, wie dies die Extremisten tun, die Feinderklärung in die Demokratie trägt, wer dem Volk das »Anti-Volk« als Feind gegenüberstellt, wer behauptet, das Monopol der authentischen Repräsentation zu haben, wer für sich allein die Führerschaft beansprucht und sich anmaßt, die alleinige Stimme des Volkes zu sein, wer ein moralisches Monopol für sich beansprucht und damit Grundrechte und Grundwerte aushebeln will – der ist ein Feind der Demokratie.«10

Alles das, was Prantl hier Extremisten zuschreibt, kennzeichnet auch die kommunikativen Strategien von Rechtspopulisten.

Ihre Art der Kommunikation führt nicht nur zu einer Verrohung der gesellschaftlichen Diskussion, sondern stellt gleichzeitig wichtige demokratische Werte infrage, ohne dass dies offen kommuniziert wird.

Der Zweck unseres Buches liegt auch darin, auf diese Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen aufmerksam zu machen.