Für meine Frau Tamara und meine Kinder LariAnn, Shala, Molly, Harry und Laszlo, die mein Leben mit Liebe erfüllen.
Und für meine Eltern, Harry und Sylvia.
Ab einem gewissen Punkt gibt es kein Zurück mehr.
Diesen Punkt gilt es zu erreichen.
Kafka
Prolog
1.Brooklyn
2.The Grove
3.Woodstock, New York
4.Wallkill
5.New York City
6.Downtown
7.Yasgurs Farm
8.Bethel
9.13.–14. August 1969
Three Days of Peace and Music
10.15. August 1969
11.16. August 1969
12.17. August 1969
13.Nachwehen
Epilog
Danksagung
Die vollständigen Setlisten
Quellen
Es ist 10 Uhr am Montag, 18. August 1969: Jimi Hendrix spielt vor vierzigtausend Zuschauern. Etwa eine halbe Million Menschen sind in der Nacht zuvor abgereist. Viele müssen arbeiten, andere sind zu ihren Familien zurückgekehrt, die sich wegen der widersprüchlichen Meldungen über das Chaos in Woodstock Sorgen gemacht haben. Während ich von der Bühne auf die Menge hinabschaue, sehe ich, wie immer mehr Menschen aufbrechen. Jimi registriert das auch und sagt: »Ihr könnt gehen, wenn ihr wollt. Wir jammen hier bloß ein bisschen. Ihr könnt gehen oder klatschen.« Er blickt hinauf zu ein paar Sonnenstrahlen, die durch die Wolken brechen – es sind die ersten seit geraumer Zeit. »Der Himmel steht uns noch bei, wie ihr seht«, murmelt er.
Wir, die wir ganz nahe bei der Bühne stehen, sind völlig gebannt von Jimi und seiner Band of Gypsys. Die Jungs haben die ganze Nacht durchgemacht, womöglich sind sie sogar noch viel länger wach – wie viele von uns, die seit Tagen kaum mehr als ein paar Stunden geschlafen haben. Trotz allem haftet Jimi, der deutlich Dreck unter seinen Nägeln hat, in seinem weißen Fransenhemd immer noch etwas Majestätisches an. Jerry Velez, der blutjunge Percussionist, bearbeitet schweißgebadet die Congas. Juma Sultan schwingt wie ein purpurner Derwisch die Maracas und seine Percussionschlegel. Und dann sind da noch Jimis alte Kumpel aus Armyzeiten: Gitarrist Larry Lee mit einem grünen Fransentuch um den Kopf, das seine Augen bedeckt, und Billy Cox, Jimis treuer Bassist, der einen bunten Turban trägt. Im Hintergrund immer in Bewegung der famose Experience-Drummer Mitch Mitchell.
Jimi entschuldigt sich, weil er zwischen zwei Songs seine Gitarre stimmt. »Nur Cowboys sind nie verstimmt«, sagt er lachend. In einem Augenblick scherzt er mit dem Publikum und ruft einem »Mädchen in gelben Unterhosen« hinterher, mit der er am Abend zuvor herumgeschäkert hat, in einem anderen dirigiert er die Band mit einem Blick oder einer Handbewegung und schließlich versinkt er in seinem Riff, taucht mit seiner Gitarre in ferne Sphären ab. Als er wieder auftaucht, konzentriert er sich ganz auf die relativ kleine, aber enthusiastische Menge vor ihm. Mitgefühl und Dankbarkeit schwingen mit, als er das Wort an uns richtet: »Ihr habt alle sagenhaft viel Ausdauer – drei Tage lang habt ihrs ausgehalten! Ihr habt der Welt gezeigt, was ein bisschen Liebe, Verständnis und Musik ausrichten können.«
Kurz darauf erleben wir etwas vollkommen Einzigartiges: Von »Voodoo Child« leitet er über zu »The Star-Spangled Banner«. Billy Cox und Larry Lee strecken sich, fast so, als stünden sie stramm. Ich bin, wie alle anderen, völlig gebannt davon, wie Jimi die Melodie aufbaut, wie er Rückkopplungen und Verzerrungen hinzufügt. Die Nationalhymne, das wird mir schlagartig klar, wird nie mehr dieselbe sein wie zuvor. Jimi hat sich in unsere kollektive Erfahrung eingeklinkt. All das emotionale Chaos und die Verwirrung, die wir als in den 1960er-Jahren aufgewachsene junge Amerikaner durchlebt haben, strömen in diesem Moment aus den Lautsprechern. Jimis Song versetzt uns auf ein Schlachtfeld, auf dem uns Raketen und Bomben um die Ohren fliegen, auf Demonstrationen und Friedensmärsche, bei denen sich die Polizei und wütende Bürger gegenüberstehen. Es ist eine eindrucksvolle Stellungnahme gegen den Krieg, gegen ethnische und soziale Ungerechtigkeit und ein Weckruf, der uns mahnt, die Risse zu kitten, die durch unsere Gesellschaft gehen.
Während ich Jimi zuhöre, wandern meine Gedanken zurück zu einem Abend in einem kleinen Nachtclub in Manhattan, in dem ich als 16-Jähriger aus Brooklyn John Coltrane Saxofon spielen sah. Auch er nahm mich mit auf eine musikalische Reise, und wie Hendrix war er eine Offenbarung.
Dieses ganze Unternehmen – das Festival und der Weg dorthin – war gekennzeichnet von Augenblicken wie diesen. Was getragen war von unerschütterlichem Optimismus und wahnwitzigen Ideen und sich anfühlte wie eine Abfolge etlicher Beinahecrashs und kleiner Siege, die nur durch das Zusammenwirken engagierter und nimmermüder Helfer errungen wurden, gipfelte in einem dreitätigen Festival, wie es die Welt zuvor noch nie gesehen hatte. Erinnerungsfetzen flackern auf. Ich sehe die schwangere Joan Baez im Regen stehen, wie sie einfach nur den Augenblick genießt. Ich sehe Jerry Garcia, der an der free stage rumhängt und sich mit ein paar Kids, die er nie zuvor gesehen hat, einen Joint teilt. Ich sehe die Blitze, die nachts über den Himmel zucken, und die Mitglieder der Hog-Farm-Kommune, die den Leuten vor der Hauptbühne, die ihre Plätze nicht verlassen wollen, Schalen mit Müsli reichen. Ich sehe, wie Crosby, Stills and Nash um halb vier Uhr morgens auf der Bühne stehen und »Suite: Judy Blue Eyes« spielen, den Song, der mich Monate zuvor von den Socken gehauen und davon überzeugt hatte, die damals noch unbekannte Band zu buchen. Ich sehe, wie Pete Townshend Abbie Hoffman mit seiner Gitarre eins überbrät und Sly Stone mit seiner Family die Menge zu einem mitreißenden call and response animiert, das niemanden unberührt lässt.
Unter denjenigen, die bis jetzt geblieben sind, sehe ich eine Menge müder Gesichter; es sind die Hardcorefans und diejenigen, die einfach nicht gehen wollen.
Ich gehe quer über die Bühne und nehme den Weg über die provisorisch errichtete Fußgängerbrücke in unser Trailerlager, wo ich ein paar Minuten für mich allein sein will, bevor ich mich mit den Folgen und Nachwirkungen dieses sagenhaften Wochenendes beschäftige. In den vergangenen vier Tagen habe ich insgesamt vielleicht sechs Stunden geschlafen, und so langsam spüre ich das auch.
Meine Partner John Roberts, Joel Rosenman und Artie Kornfeld sind bereits abgereist. Mir wird klar, dass ich Joel und John das ganze Wochenende über nicht gesehen und fast nichts von ihnen gehört habe, und ich frage mich, was sie von der ganzen Sache halten. Wie es Artie ergangen ist, weiß ich. Als ihm klar wurde, dass es keine Möglichkeit gab, die Menge davon abzuhalten, unsere Zäune zu überrennen, dass von den Zehntausenden, die zu unserer kleinen Party kamen, keiner für ein Ticket zahlen würde, wurde er kurz panisch. Doch er sammelte sich schnell wieder, und während er diverse LSD-Trips einwarf und den Künstlern, die er zur Bühne führte, die Erlaubnis, sie filmen zu lassen, abzuringen versuchte, hatte er die beste Zeit seines Lebens.
Wir alle hatten die beste Zeit unseres Lebens.
Für mich war Woodstock ein Test, bei dem es darum ging herauszufinden, ob die Menschen meiner Generation tatsächlich aneinander glaubten und an die Welt, die wir aufbauen wollten. Wie würden wir uns verhalten, wenn wir Verantwortung übernahmen? Konnten wir das friedvolle Miteinander, das uns vorschwebte, tatsächlich verwirklichen? Ich war überzeugt davon, dass, wenn wir unseren Job richtig machten und mit dem Herzen dabei waren, wenn wir den Weg ebneten und den richtigen Ton trafen, alle sich mit ihrem höheren Selbst verbinden würden und etwas ganz und gar Unglaubliches schaffen konnten.
Woodstock wurde zu einem Symbol für unsere Solidarität. Das bedeutete mir am meisten – die gegenseitige Verbundenheit, die alle empfanden, die auf dem Festival arbeiteten, die dorthin kamen, um es mitzuerleben, und die auch Millionen von Menschen erreichte, die nicht dabei sein konnten, aber davon berührt wurden. An diesem einen Wochenende im August, zu einer Zeit, zu der es in unserem Land ziemlich hoch herging, zeigten wir uns von unserer besten Seite und schufen – wenn auch nur für kurze Zeit – genau die Art von Gesellschaft, nach der wir uns alle sehnten. Alles war richtig, die Zeit, der Ort, unsere Einstellung – wir waren richtig. Schlussendlich zelebrierten und bestätigten wir damit unsere Menschlichkeit. Es war meines Wissens eines der wenigen Ereignisse in der Geschichte, in der etwas durch und durch Freudvolles für Schlagzeilen sorgte.
Auf Max Yasgurs 600 Morgen Farmland gab jeder für sich seine Vorbehalte auf und alle wurden zu einer einzigen großen Familie. Zusammenzurücken, sich an der Musik und aneinander zu erfreuen und Teil einer so großen Menge zu sein, während ein Ungemach aufs nächste folgte – die vielen Staus, der ganze Regen –, war ein einschneidendes Erlebnis. Keine dieser Widrigkeiten konnte unsere Stimmung trüben. Tatsächlich rückten wir durch sie nur noch näher zusammen. Wir nahmen uns als das wahr, was wir im Kern tatsächlich sind: Brüder und Schwestern – und genau so nahmen wir einander an. Wir teilten alles, wir applaudierten jedem, wir überlebten gemeinsam.
Während Jimi sein Set beendet, verlasse ich meinen Trailer und schwinge mich auf mein Bike, um den Hügel hinaufzudüsen. Ich fahre eine BSA Victor, die beim Anlassen oft Zicken macht, aber heute Morgen springt der Motor gleich beim ersten Versuch an. Bei meinem Weg über das Areal, das sich mittlerweile in einen riesigen Sumpf verwandelt hat, steigt mir der strenge, üble Geruch der im Abbruch befindlichen »Stadt« in die Nase. Während ich den Hügel hinauffahre, sehe ich, wie die Crew Jimis Equipment abbaut und sich Hunderte von Menschen anschicken, den Müll von den völlig zertrampelten Feldern einzusammeln. Die Bühne, auf der eine total ausgelaugte Crew Kabel aufrollt und Instrumente verpackt, hebt sich eindrucksvoll von dem schlammigen Flickenteppich ab. Ein überdimensionales Leinentuch flattert darüber im Wind. Es sieht aus wie ein riesiges Segel, das sich von seinem Mast losgerissen hat, und erinnert mich an das Schiff aus Nimmerland. Es ist mit uns zu einem großen Abenteuer aufgebrochen und hat alle wieder sicher nach Hause gebracht. In der Ferne erkennt man den See, der uns als Haupttrinkwasserreservoir gedient hat; sein Wasserstand ist sichtbar gesunken. Noch weiter hinten, auf den Hügeln rund um das Gelände, sieht man Menschen, die von den Zeltplätzen strömen und sich auf den Heimweg machen. Die Erfrischungsstände hinter mir sind leer und verlassen. Sanitärwagen und Gülletransporter fahren über die inzwischen wieder passierbaren Straßen zum Festivalgelände hinab. Im Wald zu meiner Linken jenseits der Hurd Road entdeckt man allenthalben bunte Stoffreste und farbige Markierungen – Überbleibsel der vielen Marktstände, die hier aufgebaut worden waren.
Ich stelle den Motor ab und parke meine Maschine neben den Trümmern eines ehemaligen Gartenstuhls, in dessen Umkreis auch noch ein versiffter Schlafsack, eine kaputte Sandale und eine zerbeulte Feldflasche liegen. Das lange Wochenende, das hinter uns liegt, hat uns auf die Probe gestellt, doch wir haben den Test bestanden.
Der Weg, der uns hierherführte, war außergewöhnlich – gelegentlich sogar ein wenig magisch. Hunderte von Menschen begleiteten mich auf dieser Odyssee und arbeiteten unermüdlich selbst gegen die ärgsten Widrigkeiten an.
Ich weiß nicht genau, wie es jetzt weitergehen wird. Finanzielle Probleme sind absehbar und man wird sich um die angeschlagene Woodstock-Ventures-Gesellschaft kümmern müssen. Aber das Wichtigste ist, dass Woodstock überhaupt zustande gekommen ist.
Während ich hier oben vom Hügel aus hinabschaue, erinnere ich mich an den vergangenen Freitag, an den Moment, als Richie Havens, ein Kerl wie ein Baum, in einem orangefarbenen Dashiki die Bühne betrat. Er eröffnete das Festival, was schlicht und einfach daran lag, dass er und seine Band bereits da waren und als Erste loslegen konnten. Als wir über die Brücke zur Bühne gingen, verriet sein Blick großes Erstaunen und dann flackerte sogar ein wenig Angst in seinen Augen auf, angesichts der atemberaubend großen Menschenmasse, die sich über mehrere Kilometer vor der Bühne zu erstrecken schien.
»Wir fangen gerade an zu begreifen«, sagte ich.
Woodstock war eine Chance, ein Augenblick, ein Zuhause, etwas, worauf wir alle gewartet und hingearbeitet hatten. Als Richie zu singen begann und rhythmisch auf seine Akustikgitarre eindrosch, als wäre es eine talking drum, war ich mir zum ersten Mal richtig sicher, dass alles gut würde. Die Show lief, das Festival hatte begonnen. Es war der Moment, auf den alles ausgerichtet war, was wir in den vergangenen zehn Monaten getan hatten – und ich war überglücklich.
Plötzlich hält ein Pick-up hinter mir an und jemand reißt mich aus meinen Träumen. »Michael! Artie hat gerade angerufen. Sie brauchen dich an der Wall Street – und zwar pronto!«
Ich sitze im dunklen, verqualmten Five-Spot-Club in der Bowery in Lower Manhattan und erlebe, wie John Coltrane mit seiner Musik die Grenzen auslotet – ohne Netz und doppelten Boden. Er wirkt, als sei er einfach gespannt zu sehen, wo ihn seine Musik hinführt, er lässt sie heraus und sein Saxofon folgt seiner inneren Stimme. Er sorgt sich nicht um das, was vor ihm liegt. Er weiß um die Gefahren, die damit einhergehen, aber auch, dass alles irgendwie gut werden wird und dass es unheimlich spannend ist, auf dieser Grenze zu balancieren. Genau dort wollte er sein. Für mich, den 16-jährigen Grünschnabel aus Brooklyn, war das ein völlig neues Konzept. Die Vorstellung, keine konkrete Form einhalten oder vorgegebenen Regeln folgen zu müssen, sondern zu improvisieren, einer inneren Inspiration zu folgen, leitete mich fortan.
Ich wuchs in den späten 1940er- und 1950er-Jahren in Bensonhurst inmitten zahlreicher jüdischer und italienischer Familien auf. Meine Eltern, Harry und Sylvia Lang, hatten osteuropäische Wurzeln, und wie viele andere Mittelschichtfamilien in diesem Viertel führten sie ein einfaches Leben. Mein Vater war Heizungsinstallateur und besaß ein eigenes Unternehmen, Lang Engineering. Um die Buchhaltung des Betriebs kümmerte sich meine Mutter. Nebenbei war mein Vater aber auch Erfinder. In jungen Jahren hatte er ein Ballastsystem für Marine-U-Boote und eine Schadstofffilteranlage für Kohlekraftwerke entwickelt. Ich vermute, dass er wohl ein wirklich spannendes Leben hätte führen können, wenn meine ältere Schwester Iris und ich nicht gewesen wären.
Mein Vater hat mich immer zur Selbstständigkeit erzogen. Sie war für ihn das Wichtigste. Sie musste man sich bewahren, komme was wolle. Schon früh zeigte er mir, wie man sich aus heiklen Situationen heil wieder herauslavieren kann. »Verantwortung übernehmen und weitermachen«, lautete sein Motto, sich nur so viel Abstand zu den Dingen zugestehen, dass man in der Lage ist, klare Gedanken fassen zu können, und den eigenen Instinkten vertrauen. Das war seine Strategie, mit der auch ich immer gut gefahren bin.
Neben der Firma investierten meine Eltern mit wechselndem Erfolg immer wieder in diverse Nebenprojekte. Das Coolste war ein lateinamerikanischer Nachtclub an der Upper West Street, das Spotlight. In den 1950er-Jahren war Mambo der letzte Schrei und Musiker aus Puerto Rico und Kuba lockten das Publikum in Scharen an. Der Spotlight-Club war nichts anderes als ein langer, dunkler Raum mit einer großen Bar an einer der Längswände. Im hinteren Bereich befand sich eine große Tanzfläche und am Ende der Bar gab es eine Empore für die Band. Tagsüber wirkte der Raum ziemlich trist, aber sobald es dunkel wurde, funkelte und glitzerte die Einrichtung um die Wette und alles sah richtig glamourös aus. Im Stockwerk darunter gab es einen großen Keller, der sich über die gesamte Tiefe des Clubs erstreckte. Der berühmte Kapellmeister Tito Puente, der auch unter dem Namen El Rey bekannt war und lateinamerikanische Musik als Vorläufer der heutigen Salsa berühmt machte, lagerte dort einige seiner Trommeln. Ich war elf oder zwölf und hatte gerade selbst mit dem Schlagzeugspielen begonnen, als ich El Rey im Spotlight-Club traf. Er sah wahnsinnig gut aus mit seinen tiefschwarzen Haaren und bestärkte mich darin, mit dem Schlagzeugspielen weiterzumachen. Er ließ mich sogar ein paar Takte auf seinem eigenen Kit spielen. »Oye Como Va« war damals eines seiner bekanntesten Stücke, das ein Jahrzehnt später, nachdem es Santana in Woodstock gespielt hatten, auch zu einem Hit für die Band wurde.
Der frühe Rock ’n’ Roll, der zu seinem Siegeszug ansetzte, als ich noch klein war, beeindruckte mich gewaltig. Elvis Presley, Buddy Holly, Chuck Berry, Little Richard und vor allem Bill Haley and the Comets’ »Rock Around the Clock« sowie der Film Die Saat der Gewalt, dessen Titelsong diese Nummer war, hatten es mir angetan. Damals gab es in unserem Viertel viele Musiker, die auf der Straße a capella sangen. Mit einem fantastischen Doo-Wop-Sänger, der im selben Block wohnte wie ich, spielte ich Stickball.
Ich war der Einzige in meiner Familie, der ein Instrument spielte, und mit zwölf schloss ich mich einer Rock-’n’-Roll-Band an – was hauptsächlich bedeutete, dass ich fortan mein Drumkit etliche Treppenabsätze rauf- und runterschleppen konnte, um an so angesagten Orten wie dem jüdischen Gemeindesaal am Bay Parkway auftreten zu dürfen. Trotz allem vermittelten mir diese Gigs eine Ahnung davon, welche Kraft von der alles verbindenden Musik ausgeht. Darüber hinaus spielte ich noch Schlagzeug im Musikkorps der Seth Low Junior High. Doch Umzüge und Uniformen waren nichts für mich. Als ich am St. Patrick’s Day zum ersten Mal mit dem Korps die Fifth Avenue entlangmarschierte, bog ich in null Komma nichts in die Sixtieth Street ab und damit hatte es sich für mich. Das war die erste und letzte Parade, an der ich teilnahm.
Jeden Sommer fuhr ich in ein Ferienlager ins Sullivan County, hundertfünfzig Kilometer nördlich von New York City in den Catskill Mountains. Ich war sehr gerne in der freien Natur, vor allem liebte ich das Reiten. In meinem letzten Jahr im Ferienlager, ich war damals elf, überredete ich einen ziemlich lustlosen Stallburschen dazu, mich an seiner Stelle die Pferde pflegen und Urlauber auf Ausritte begleiten zu lassen. Er vertraute mir ein prächtiges Paint Horse namens Bobby an. Ohne Sattel in vollem Galopp auf ihm durch die Gegend zu reiten, war für mich der Inbegriff der Freiheit. In diesem Sommer machte ich auch meine allererste sexuelle Erfahrung, in einer Scheune.
Im Winter fuhren wir mit der Familie immer mit dem Auto runter nach Miami, und im Herbst ging es Richtung Norden nach Kanada, wobei uns der Indian Summer mit den bunt verfärbten Laubwäldern immer wieder aufs Neue faszinierte. Meine Eltern liebten diese langen Autofahrten mit Iris und mir. Ich war vom Autofahren ebenso begeistert wie mein Vater, der mir schon zeigte, wie es geht, als ich erst zehn oder elf war. An dem Tag, an dem ich meinen Lernführerschein erhielt, dank dem ich begleitet fahren durfte, fuhr er mit mir nach Manhattan und ließ mich durch ein unglaubliches Verkehrschaos nach Brooklyn zurücknavigieren. Kurz nachdem ich die Prüfung bestanden und meinen richtigen Lappen hatte, kaufte ich mir ein Motorrad. Und mit diesem Bike war ich ziemlich waghalsig unterwegs. Ich legte mich auf den Sitz, um den Luftwiderstand so weit wie möglich zu verringern, und gab auf dem Belt Parkway ohne Rücksicht auf Verluste Gas. Nach ein paar Jahren hörte ich auf, auf der Straße zu fahren, weil mir klar wurde, dass ich sonst irgendwann draufgehen würde, doch der Kick, den ich von der Raserei bekam, war wie eine außerkörperliche Erfahrung. Es war ein Gefühl, das ich immer wieder nachzuerleben versuchte.
Es war nicht lange nach meinem vierzehnten Geburtstag, als mein Freund Irwin Schloss und ich zum ersten Mal Gras rauchten. Sein älterer Bruder Marty, der heute als radikaler Rabbi in Israel lebt (und in den 1980er-Jahren die Bar-Mizwa für einen der Söhne von Bob Dylan zelebrierte), leitete damals das Cauldron, ein irres makrobiotisches Restaurant im East Village, das seiner Zeit ziemlich weit voraus war. Marty beeinflusste uns stark. Er beschäftigte sich mit fernöstlicher Philosophie, führte ein sehr unbürgerliches Leben – und eines Tages gab er Irwin ein bisschen Gras. Damals war Marihuana zwar unter Jazzmusikern und Beat-Autoren schon sehr angesagt, aber weit davon entfernt, ein Thema für die breite Öffentlichkeit zu sein. Unseren ersten Joint rauchten Irwin und ich an einem Herbstnachmittag im Seth Low Park direkt vor unserer Schule. Ich erinnere mich noch sehr genau daran. Wir hatten die Tüte mit gelbem Papier gedreht und nach dem Anzünden hörte man die ganze Zeit über die Marihuanasamen darin aufplatzen. Das war lange vor der Zeit der Hydrokulturen und der Züchtung samenloser Pflanzen.
Eine Wirkung konnte ich beim ersten Mal nicht feststellen. Marty hatte uns erklärt, wie man inhaliert. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich es versuchte, bis ich endlich high wurde, aber als es dann so weit war, hatte ich einen stundenlangen Lachflash. Es war ein echtes Aha-Erlebnis. Fortan legten Irwin und ich beim Kiffen Musik auf und begannen uns dann irgendwann schlappzulachen, bis der Fressflash einsetzte. Meine Experimente mit Marihuana und später auch LSD brachten mich weiter als jedes Zweirad oder Auto, das ich je besaß.
An den Wochenenden kaufte ich Nickelbags, Marihuana im Wert von 5 Dollar, das in kleinen braunen Umschlägen verkauft wurde. Ich lümmelte in meinem Zimmer rum, stellte den Radiosender WJZ ein und hörte mir die Freitagnachtsendung von Symphony Sid an, durch die ich auf Musiker wie Charlie Parker, John Coltrane, Thelonious Monk, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Max Roach und Celia Cruz aufmerksam wurde. Dabei saß ich am offenen Fenster, rauchte meinen Joint und blies den Qualm in die Nachtluft hinaus. Ich liebte es, Jazz zu hören, wenn ich stoned war. Während der Sendung sagte Symphony Sid manchmal, dass er müde sei und dass Zuschauer, die etwas hätten, das ihn wach halten könne, eingeladen seien, ihn im Studio zu besuchen. Irgendwann wurde er nach einer Marihuanarazzia von WJZ gefeuert.
Bald fand ich heraus, dass mein Freund Kenny, der die Schule geschmissen hatte, ein leidenschaftlicher Kiffer war. Wir gingen zu ihm nach Hause und zogen uns die Joints rein. Seine Eltern waren nie zu Hause. Als ich eines Tages von einem Besuch bei Kenny zurückkam, stellte mich meine Mutter zur Rede. Sie hatte meinen Schrank aufgeräumt und dabei ein paar Gramm aus meinem Vorrat gefunden. Ich wollte das Zeug unbedingt retten, also musste ich mir blitzschnell was einfallen lassen. Da kam mir die Idee: Ich griff mir die Encyclopædia Britannica, schlug unter Cannabis sativa nach und hielt meiner Mutter den Artikel unter die Nase. Ich wusste, dass das, was dort geschildert wurde, ziemlich harmlos war, denn ich hatte mir den Eintrag bereits durchgelesen, als ich mit dem Kiffen begonnen hatte. Ziemlich sachlich wurde darin erklärt, dass Marihuana nicht abhängig macht. »Ich weiß, was ich tue«, erklärte ich meiner Mutter. »Dass Gras eine Einstiegsdroge ist und unweigerlich zum Konsum härterer Sachen führt, ist bloß ein Ammenmärchen. Das Rauchen macht Spaß und hilft mir dabei, Dinge von einer anderen Warte aus zu betrachten. Und du weißt ja, dass ich keinen Alkohol trinke.«
Dieses Gespräch entschärfte die Situation insoweit, dass wir uns, als mein Vater nach Hause kam, alle zusammen an den Küchentisch setzten und nüchtern über die Angelegenheit sprachen. Meine Eltern verhielten sich dabei ziemlich vernünftig. Sie waren nicht gerade begeistert von dem, was ich tat, ließen sich aber mit der Erklärung beruhigen, dass der Konsum nicht schädlich sei. Dass sie selbst die Prohibition miterlebt hatten, hatte sicher auch etwas damit zu tun, dass sie so gelassen reagierten. Mein Vater hatte kurzzeitig sogar mal für einen Schwarzbrenner gearbeitet. Im Schuljahr 1958/59 gab es an unserer Schule bereits eine kleine Kampagne gegen Drogenkonsum. »Seht euch vor, Marihuanakonsum ist der erste Schritt in die Drogensucht«, hieß es da. Die wirklich großen Antidrogenkampagnen begannen aber erst später. Die Behörden machten zu jener Zeit noch hauptsächlich Comics und Rock ’n’ Roll für die Jugendkriminalität verantwortlich.
Mit sechzehn kam ich zum ersten Mal mit LSD-25 in Kontakt – dem klassischen Pharmazeutikum, das vom Schweizer Chemiekonzern Sandoz entwickelt worden war. 1961 war LSD als Droge noch so gut wie unbekannt. Das war noch vor Timothy Leary und seinem Slogan „Turn on, tune in, drop out!“, und die Substanz selbst wurde erst fünf Jahre später verboten. Ich hatte also keine Ahnung, auf was ich mich da einließ. Meinen ersten Trip schmiss ich bei Kenny. Er zeigte mir eine kleine Phiole mit einer klaren, blauen Flüssigkeit. Ich weiß nicht, wie er daran gekommen war oder wer ihm erklärt hatte, wie man das Zeug einnimmt. Mit einer Pipette träufelte ich mir ein klein wenig Flüssigkeit auf ein Stück Würfelzucker, steckte mir den Zucker in den Mund, wo er sich langsam auflöste, und wartete.
Und dann wurde urplötzlich alles glasklar und hyperreal. Jeder meiner Sinne war geschärft. Einige sogar mehr als das. Nie werde ich das Gefühl vergessen, das sich einstellte, als ich alles plötzlich ganz klar sah. Ich liebte es, Musik aufzulegen, wenn ich auf LSD war. Man ging voll auf in dieser Welt, ganz gleich ob man Jazz, klassische Musik, indische Klänge oder später auch Psychedelic Rock von Leuten wie Hendrix oder den Mothers of Invention hörte. Es spielte keine Rolle, was es für Musik war: Sie saugte einen geradezu auf. Man selbst wurde zur Musik.
LSD eröffnete mir eine ganz neue Art des Denkens. Ich begann Bücher zu lesen wie Hermann Hesses Siddhartha, die Schriften von Khalil Gibran und Aldous Huxleys Die Pforten der Wahrnehmung (Orig. The Doors of Perception – die Essaysammlung, auf die der Name der Band von Jim Morrison und Ray Manzarek zurückgeht). Mit einem Mal war ich ein Reisender. Trips zu werfen bedeutete, sich selbst an seine Grenzen zu bringen, die eigene Bequemlichkeit und das, woran man gewohnt ist, hinter sich zu lassen. Es war, als gebe man die vernunftgesteuerte Kontrolle ab. Schon bei meinem ersten Trip hatte ich den Eindruck, dass sich eine Tür zwischen meinem Bewusstsein und meinem Unterbewusstsein öffnet, zwischen mir und dem Kosmos. Ich konnte einen umfassenden Blick auf meine eigene Persönlichkeit werfen. Ich war mit allem verbunden. Ich fühlte mich immer sehr wohl in diesem veränderten Bewusstseinszustand. Der ein oder andere meiner Bekannten flippte auf LSD schon mal aus, aber ich hatte nie Probleme mit den Empfindungen, die die Droge hervorrief, ich konnte sie immer gut verarbeiten. Es war eine Lernerfahrung, eine Offenbarung. Eine Paranoia habe ich kein einziges Mal erlebt. Ich war nie auf einem Horrortrip.
Als ich zum zweiten oder dritten Mal auf LSD war, beschlossen meine Freunde und ich, mit der U-Bahn nach Manhattan zu fahren. Ich saß gleich neben der Türe und beobachtete, wie sich der Typ mir gegenüber in einen Hasen verwandelte. Zuerst zuckte er mit der Nase, dann wuchsen ihm Schnurrhaare und lange Ohren. Das rief bei mir keine Panik hervor, ich ließ es einfach geschehen und beobachtete die Metamorphose interessiert. Um etwa vier Uhr in der Frühe kamen wir am Times Square an und schlenderten durch die leeren Straßenschluchten. Ich war ungeheuer fasziniert von allem, was ich sah, und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich alleine war. Meine Freunde waren verschwunden. Irgendwann, nachdem ich, wie mir schien, meilenweit gelaufen war, kam ich in einen dunklen Wald. Ich setzte mich auf eine Bank und verlor mich in einem stundenlangen Dialog mit der Natur. Dann blickte ich auf und stellte fest, dass die Sonne aufgegangen war. Ich sah das Empire State Building vor mir aufragen und das holte mich zurück in die Realität. Es stellte sich heraus, dass ich lediglich im Park der Little Church Around the Corner nahe der Fifth Avenue gelandet war.
In dem Sommer, als ich die elfte Klasse beendet hatte, entdeckte ich Greenwich Village. Ich war zuvor schon ein paarmal mit meiner Familie dort gewesen. Wir hatten in einem Theater an der Christopher Street Die Dreigroschenoper gesehen oder waren einfach ein bisschen herumspaziert. Aber 1961, als ich Kenny und seine neue Freundin Kathy, eine aparte Rothaarige, dort in einem kleinen Laden names Village Corner traf, war ich auf Anhieb begeistert von der nachbarschaftlichen Atmosphäre, dem kulturellen Vibe und den Menschen, die dort lebten. Kenny und Kathy hatten eine Freundin, eine unglaublich gut aussehende Afroamerikanerin namens Pauline. Sie und Kathy teilten sich ein Apartment am West Broadway 500. Zwischen Pauline und mir funkte es sofort. Ich verbrachte fast den ganzen Sommer bei ihr und machte mich in dem Apartment der beiden breit.
Pauline und Kathy arbeiteten als »Hostessen«, wobei Pauline keine Kunden bediente, sondern sich um die Organisation kümmerte. Sie vergab Termine und brachte die Mädchen an zuvor verabredete Orte, wo sie sich mit ihren »Dates« trafen. Ich habe mir keinen großen Kopf um das gemacht, was sie tat. Ich dachte mir einfach, das ist ihr Leben und ihre Art und Weise, Geld zu verdienen. Ich hatte zuvor schon die ein oder andere Freundin gehabt, aber die Zeit mit ihr war wirklich außergewöhnlich. Abends warf sie sich in Schale, wie Frauen das damals taten, trug High Heels und enge Cocktailkleider, ganz das glamouröse Callgirl, immer elegant, nie trashy. Ihre Kundschaft bestand aus wohlhabenden Geschäftsmännern, die viel Geld für ihre Dienstleistungen bezahlten – sie nahm mehrere Hundert Dollar für ihre Services. Das war damals eine Menge Holz.
Die Mädchen wohnten in einem kleinen Hinterhofgebäude auf der Grenze zwischen dem Village und dem heute als SoHo bekannten Viertel, das damals noch sehr industriell geprägt war, mit vielen alten Fabriken und Lagerhallen, die erst ganz allmählich zu Künstlerlofts umgebaut wurden. In dem Apartment der beiden herrschte ein unkonventionelles, bohemehaftes Flair. Matratzen lagen auf dem Boden, Kerzen brannten in jeder Ecke, ständig lief Musik, dunkle Schals hingen vor den Fenstern und über den Lampen. Wir verbrachten allerdings nicht viel Zeit dort, in der Regel waren wir nur zum Schlafen da. Nachmittags zeigte mir Pauline das Village. Meist trug sie dabei einen Rock über einem hautengen Body und eine Perücke. Den Abend begannen wir in der Regel im Village Corner und zogen dann von dort aus weiter ins Village Gate oder Five Spot, um Jazz zu hören. Ich fand es immer faszinierend zu beobachten, wie vier oder fünf Musiker ohne jegliche Vorgabe miteinander spielen und improvisieren konnten. Gelegentlich endete unser Abend auch in Harlem, wo wir uns die Jazz- und R&B-Clubs ansahen.
Die ganze Welt, in der Pauline lebte, faszinierte mich. Allmählich entwickelte sich aus der ehemaligen Beatszene die Folkszene als neue Gegenkultur. Das Leben zwischen all den Fotografen, Malern, Minderheiten und Außenseitern, die ihren eigenen Weg gingen, statt mit der Masse mitzuschwimmen, war ungeheuer inspirierend. Die Leute machten kleine Läden auf, deren Angebot auf die speziellen Wünsche der Anwohner zugeschnitten war. Bei A Different Drummer etwa am St. Mark’s Place im East Village konnte man Secondhandklamotten kaufen. Die Mode veränderte sich, die Leute zogen sich anders an als früher. Ich ließ meine Haare wachsen. Das Village präsentierte mir einen sehr reizvollen Lifestyle, der so ganz anders war als das, was ich aus Bensonhurst kannte.
Nach etwa zwei Monaten erklärte mir Pauline, dass sie den Eindruck habe, ich würde mich in sie verlieben, unsere Beziehung jedoch nichts für die Ewigkeit sei. Sie entlarvte mich als genau den Grünschnabel, der ich war, und wollte vermeiden, dass ich mich zu sehr an sie band. Es tat weh, aber sie sorgte dafür, dass es eine sehr freundschaftliche Trennung wurde. Ich sah Pauline nie wieder, doch der Sommer mit ihr veränderte mich. Sie öffnete Türen, die sich nie wieder schlossen.
In meinem letzten Jahr an der Highschool bekam ich – dank meines Studienberaters Mr. Bonham – die Chance, früher als geplant an die Uni zu wechseln. Die New York University erlaubte mir, mich schon im Januar einzuschreiben, allerdings unter der Voraussetzung, dass ich die Highschool in Abendkursen beendete. Und so kehrte ich bereits Anfang 1962 ins Village zurück.
Meine Eltern waren sehr angetan davon, wie sich die Dinge entwickelten. Es war immer ihr Ziel gewesen, dass ich studiere, und die NYU war damals nicht teuer, außerdem konnte ich von Brooklyn aus dorthin pendeln. Im Sommer ergatterte ich einen Job in einem angesagten Laden namens Village Cobbler an der Bleecker Street. Wir verkauften ausgefallene Ohrringe, Lederwaren, Kunsthandwerk und eine Menge anderen Nippes. Ich liebte das Leben inmitten der sich entwickelnden Folkszene im Village. Die neue Musikrichtung war gerade mächtig im Kommen und eine ganz neue Generation von Singer-Songwritern erklomm die Bühnen in den Villageclubs. Bob Dylans erstes Album war bereits bei Columbia herausgekommen, aber gelegentlich trat er immer noch irgendwo im Viertel auf. Ich trieb mich herum in den Kaffeehäusern und Clubs rund um die Bleecker und die MacDougal Street – Café Wha?, Bitter End, Gerde’s Folk City und Gaslight – und sah dort Leute wie Bob Gibson, Phil Ochs, Jack Elliott, Fred Neil und Dave Van Ronk. Im Washington Square Park wimmelte es von Bongospielern und allen möglichen anderen Musikern, Künstlern und Dealern. Gras bekam man dort rund um die Uhr.
Ich saß oft in einem kleinen Kaffeehaus namens Rienzi’s an der MacDougal Street und beobachtete die flippige, bunte Menge durch das Fenster. Richtige Hippies waren das damals noch nicht, eher eine frühe Vorform. Um das lebhafte Villagetreiben zu dokumentieren, hatte ich mir eine Super-8-Kamera zugelegt. Ich plante eine Doku mit dem Titel A View from Rienzi’s und machte dafür auch einige Aufnahmen, ein fertiger Film wurde daraus allerdings nie.
Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag im Dezember erhielt ich ein Schreiben mit der Aufforderung, mich für den Militärdienst mustern zu lassen. 1962 waren die Vereinigten Staaten noch nicht direkt in den vietnamesischen Bürgerkrieg involviert, doch die Situation spitzte sich mehr und mehr zu. Meiner Meinung nach gab es für die USA keinen Grund, sich in einen seit bereits über vierzig Jahren schwelenden Konflikt in Südostasien einzumischen. Ich hatte nichts gegen die Vietnamesen. Drei Wochen lang ging ich in der Hoffnung zum Psychiater, eine Untauglichkeitsbescheinigung zu erhalten. Dem Arzt war schnell klar, dass ich keinen Respekt vor Autoritäten hatte und niemals auf einen anderen Menschen schießen würde, nur weil mir das befohlen wurde. Er schrieb einen Bericht, der mit dem Fazit endete, dass ich kein guter Kandidat für den Militärdienst sei. Ich dachte, damit wäre für mich alles geklärt und ich hätte die Untauglichkeitsbescheinigung bereits in der Tasche. Stattdessen wurde ich zur Musterung in die Brooklyner Borough Hall bestellt.
Ich ließ das ganze Prozedere an Tests und ärztlichen Untersuchungen über mich ergehen und wartete nur darauf, dass man mich vortreten ließ und mir mitteilte: »Sie sind nicht das, was wir suchen.« Doch das passierte nicht. Schließlich entschied ich mich, die Anweisungen der Uniformierten, die uns während der Musterung begleiteten, zu missachten, scherte aus der Reihe aus und rannte nach unten ins Büro des Psychiaters. Ich stürmte in den Raum und platzte los: »Hören Sie, ich weiß nicht, ob Sie sich meine Papiere überhaupt angesehen haben, aber Sie werden mich in Ihrer Truppe nicht haben wollen.« Anschließend besprach ich meine Angelegenheit in Ruhe mit dem Therapeuten. Ich erklärte ihm, dass ich moralische Bedenken gegen den Krieg als solchen hatte und das Töten anderer für sinnlos hielt. Der Vietnamkonflikt war damals noch nicht so weit fortgeschritten, dass das Militär verzweifelt Soldaten suchte. Vier, fünf Jahre später sah das völlig anders aus, da war es kaum möglich, sich der Einberufung zu entziehen. Ich hingegen erhielt nach meinem langen Gespräch mit dem Seelenklempner meine Untauglichkeitsbescheinigung.
Das war das Letzte, was ich von der Einberufungsbehörde hörte. Es war mir gelungen, mich dem Einsatz in einem Krieg zu entziehen, an den ich nicht glaubte. Ich hätte mir damals niemals vorstellen können, dass am Ende des Jahrzehnts Millionen gleichgesinnter junger Menschen in Woodstock die gleiche Auffassung wie ich vertreten und sich für den Frieden einsetzen würden.