Jason Reynolds

Patina

Was ich liebe und was ich hasse

Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Jason Reynolds

JASON REYNOLDS studierte Literaturwissenschaften an der University of Maryland. In den USA gehört er zu den neuen Stars der Jugendbuchszene. Seine Bücher wurden von der Presse hochgelobt, mehrfach ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt. Jason Reynolds lebt in Washington, D.C.

Über das Buch

Patina, genannt Patty, läuft schneller als jede andere in ihrer Mannschaft. Dabei gehört sie zu den Neuen im Team, genau wie Ghost, Sunny und Lu. Überhaupt ist vieles neu in Pattys Leben. Seit ihre Mutter im Rollstuhl sitzt, lebt Patty gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Maddy bei ihrem Onkel und dessen Frau. Es ist okay dort, sogar schön, nur manchmal vermisst Patty ihr altes Viertel und den Alltag mit ihrer Ma. Vor allem die neue Schule mit den eingebildeten Mädchen hasst sie. Nur beim Rennen kann Patty alles vergessen, dann spürt sie den Rhythmus, die Geschwindigkeit, Freiheit. Und rennt wie ein Blitz dem Ziel entgegen. Denn Patina hat verdammt viel drauf, und für Ghost und Sunny ist sie das vielleicht coolste Mädchen überhaupt.

 

Die Reihe geht weiter!

Auf »Ghost« und »Patina« folgen »Sunny« und »Lu«. Vier Jugendliche, vier Neue im Team der Laufmannschaft, vier explosive Charaktere, die aufeinanderstoßen und miteinander klarkommen müssen. Alle haben sie viel zu verlieren, aber auch viel zu beweisen, nicht nur sich selbst.

Impressum

© 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 2017 Jason Reynolds

Titel der Originalausgabe: PATINA

Published by Atheneum, an imprint of Simon and Schuster Inc.

Published by arrangement with Pippin Properties, Inc.

through Rights People, London

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky

 

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eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-43446-1 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-64042-8

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423434461

 

 

 

Für alle, die den Staffelstab zu früh im Leben bekommen haben.

1 DRINGEND NOCH ERLEDIGEN:
Alles (unter anderem das Rennen vergessen und meiner Schwester die Haare flechten)

Einen Fehlstart gibt es beim Laufen eigentlich nicht. Weil, irgendwie klingt das so, als hätte man den Start verschlafen, dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall. Man hat den Start nicht verpennt, man ist zum falschen Zeitpunkt gestartet. Zu früh nämlich. Deshalb sollte es eigentlich Frühstart heißen, finde ich. Das wäre viel logischer. Weil es bedeutet, dass man gestartet ist, aber im falschen Moment. Also, man springt auf und rennt los, ohne dass die anderen mit einem mitrennen. Keine Konkurrenz außer dem eigenen Gehirn, das steif und fest behauptet, da würden andere Leute hinter einem laufen. Dabei ist da niemand. Nicht in echt. Keine Verfolger weit und breit. Das meinen die Leute damit, wenn sie von einem Fehlstart sprechen. Ein richtiger Start zum falschen Zeitpunkt. Und bei diesem ersten Wettkampf der Saison wusste das keiner besser als Ghost.

Vor dem Rennen stand ich mit den anderen an der Seitenlinie, und wir klatschten und feuerten Ghost und Lu an, die sich an der Startlinie aufstellten. Natürlich erst, nachdem sie sich gegenseitig heißgemacht und miteinander getuschelt hatten, als wäre außer ihnen niemand sonst auf der Laufbahn. Schon lustig, wie sie seit ihrer ersten Begegnung, wo sie sich nur fies angestarrt haben, mittlerweile zu besten Kumpels geworden sind, eine eigene kleine Zwei-Personen-Gang. Richtige Blutsbrüder. Ghost und Lu, alias Yin und Yang. Oder Pech und Schwefel. Pech. Ha! Es gab da einen Moment beim Wettkampf, wo ich diesen Namen besonders passend fand. Nämlich bei Ghosts Hundert-Meter-Lauf.

Wisst ihr, erst dachte ich, er hätte alles perfekt getimt. Ich dachte, er hätte sich in exakt dem Moment von der Startlinie abgestoßen, als der Pistolenschuss erklang, als hätte er gewusst, dass er kommt. Als hätte er ihn in sich drin spüren können oder so. Aber den zweiten Schuss hörte er nicht. Na ja, das stimmt so nicht ganz. Natürlich hat er ihn gehört. Es war ja ein irre lauter Knall. Unmöglich, den nicht zu hören. Aber er wusste eben nicht, dass dieser Schuss bedeutete, dass er zu früh aufgesprungen war und einen Fehlstart hingelegt hatte. Ich meine, es war sein erstes Rennen, deshalb hatte er keine Ahnung, dass der zweite Schuss das Zeichen für ihn war, stehen zu bleiben und zurückzugehen. Also … tat er es nicht.

Er rannte die gesamten hundert Meter. Und merkte nicht, dass die Leute ihn nicht anfeuerten, sondern ihm zuriefen, endlich anzuhalten und zurück zur Startlinie zu gehen. An der Ziellinie riss er dann die Arme siegessicher hoch und drehte sich mit einem riesenbreiten Grinsen zu uns um, bis er merkte, dass sämtliche anderen Läufer – seine Konkurrenten – immer noch oben auf ihren Bahnen standen. Er schaute zu den Zuschauern hinüber. Alle lachten. Zeigten mit dem Finger auf ihn. Schüttelten die Köpfe, während Ghost seinen hängen ließ. Er starrte auf den schwarzen Teer, seine Brust hob sich, als würde jemand einen Ballon in seinem Innern aufblasen und dann die Luft wieder rauslassen. Und noch mal aufblasen und wieder die Luft rauslassen. Ich fürchtete schon, der Ballon könnte platzen. Dass Ghost ausrasten würde wie damals, als er neu in unser Laufteam gekommen war. Und daran, wie er an seiner Backe kaute, konnte ich erkennen, dass er das auch am liebsten getan hätte. Oder einfach vom Sportplatz wegrennen, aus dem Park und bis nach Hause.

Der Trainer kam zu ihm und flüsterte ihm was ins Ohr. Ich weiß nicht, was er sagte. Aber vermutlich etwas wie: »Schon gut, macht doch nichts, reg dich ab, noch ist nichts verloren. Aber wenn du das noch mal machst, wirst du disqualifiziert.« Ach was, wie ich unseren Trainer kannte, war es etwas viel Tiefsinnigeres, zum Beispiel … keine Ahnung. Mir fällt da im Moment echt nichts ein, aber der Trainer hatte immer irgendwelche tiefsinnigen Sprüche auf Lager. Was es auch war, Ghost hob jedenfalls den Kopf und trottete zurück zur Linie, wo Lu schon mit ausgestreckter Hand auf ihn wartete, um ihn abzuklatschen. Ghost war ganz außer Atem, aber ihm blieb keine Zeit, um sich auszuruhen. Er musste zurück an seinen Startplatz. Sich bereit machen, die ganze Strecke noch mal zu rennen.

Wieder hielt der Startmann die Pistole in die Luft. Wieder schlug mein Magen einen Purzelbaum. Wieder drückte der Mann den Abzug. Wieder der Knall. Bumm! Und Ghost rannte los. Wieder. Es war fast, als wären seine Beine Dynamitstangen und der erste Lauf lediglich die Zündschnur, mit der die Bombe gezündet wurde. Und ich kann euch sagen, Ghost … explodierte förmlich. Er ging hoch im besten Sinne des Wortes. Ich meine, der Typ jagte los und raste wie ein verschwommener Strich die Linie entlang, noch schneller diesmal, seine silbernen Schuhe wie Funken, die von der Laufbahn aufstoben.

Erstes Rennen. Erster Platz.

Und das nach einem Fehlstart.

Und wenn ein Fehlstart ein richtiger Start zur falschen Zeit bedeutet – falsch im Sinne von zu früh –, dann hatte ich wohl einen falschen Zieleinlauf erwischt, das heißt, ich kam schon richtig ins Ziel, nur eben … zu spät. Kapiert?

Wenn nicht, erkläre ich es euch.

Mein Rennen war als Nächstes dran. Und die Sache ist die: Ich renne die achthundert Meter jetzt schon seit drei Jahren. Es ist mein Rennen. Ich habe ein System, eine Methode, wie ich es renne. Ich komme schnell und geduckt aus dem Startblock, und bis ich mich aufgerichtet habe, sind meine Schritte ganz gleichmäßig. Trotzdem erlaube ich mir, mich ein bisschen zurückfallen zu lassen. Ihr wisst schon, die erste Runde ein bisschen ruhiger anzugehen. Tempo. Damit versauen sich die meisten Achthundert-Meter-Läufer nämlich ihr Rennen. Sie rasen zu schnell los und sind dann bei der zweiten Runde total fertig. Ich habe schon viele Mädchen gesehen, die da auf der Aschenbahn völlig untergegangen sind, weil sie auf den ersten vierhundert zu sehr angegeben haben. Aber ich wusste es besser. Ich wusste, dass die zweiten vierhundert die entscheidenden waren. Was ich nicht wusste, war, wie schnell die Mädchen in dieser neuen Leistungsklasse waren. Wie gut in Form. Und als der Pistolenschuss ertönte und wir losrannten, merkte ich sofort, dass ich deutlich schneller laufen musste, als ich es gewohnt war, um mit den anderen mitzuhalten. Aber natürlich dachte ich da noch, die sind alle doof und werden in zwanzig Sekunden komplett erledigt sein.

In dreißig Sekunden.

In vierzig.

Nichts tat sich, stattdessen war ich es, die zu sich sagte: Oh Gott, bin ich fertig. Wieso bin ich nur so erschöpft? Und als wir für die letzten zweihundert Meter um die Kurve bogen, musste ich alle meine Reserven mobilisieren und das Tempo endlich erhöhen. Also schaltete ich den Turbo an.

Und so lief die Sache dann:

Flechtfrisur, rasierter Nacken, Pferdeschwanz und Stummelschwänzchen sind vor mir. Schnapp sie dir, Patty. Zieh, zieh, zieh und atmen! Flechtfrisur ist jetzt neben mir. Die Menge brüllt den üblichen Anfeuerungsruf, wenn jemand überholt wird – Woooop! Woooop! Woooop! Zieh, zieh. Flechtfrisur ist erledigt. Noch hundert Meter. Mund weit offen. Augen weit offen. Lange Schritte. Schnapp sie dir, Patty. Meine Arme schwingen und schaufeln die Luft wie Wasser aus meinem Weg. Rasierter Nacken wird langsamer. Ihr kleiner Erbsenkopf hüpft, als würde er gleich abbrechen. Sie ist müde. Endlich. Woooop! Woooop! Überholt. Noch zwei vor mir. Pferdeschwanz spürt mich kommen. Vermutlich kann sie durch das Geschrei der Menge meine Schritte hören. Sie weiß, ich bin dicht hinter ihr, und dann macht sie den größten Fehler ihres Lebens – das, was man, wie einem jeder Trainer einbläut, niemals tun darf – sie schaut nach hinten. Weil, wenn man sich umdreht, kommt man automatisch aus dem Tritt, und außerdem bringt es dich auch gedanklich völlig aus dem Konzept. Sobald Pferdeschwanz sich umdrehte, gingen die Woooops wieder los wie eine Sirene. Woooop, Woooop, Woooop! Fünfzig Meter. Genau, ich komme. Schnapp sie dir, Patty. Ich komme. Direkt vor ihr konnte ich Stummelschwänzchen sehen, der kleine Haarwedel an ihrem Hinterkopf wackelte wie eine Schlangenzunge. Sie war am Ende. Das erkannte ich daran, wie ihr Tempo eingebrochen war. Pferdeschwanz auch. Wir alle waren am Ende. Und noch schlimmer für mich – die Bahn war es auch.

Pferdeschwanz überholte ich gerade noch um eine Nasenlänge – zweiter Platz –, dann brach ich zusammen. Tränen stiegen mir in die Augen und verwandelten die Leute, die um mich herum jubelten und an den Zuschauerplätzen auf und ab sprangen, in verschwommene Farbkleckse. Zweite? Ein beschissener zweiter Platz? Pfui. Aber ich würde nicht weinen. Glaubt mir, ich hätte gern geheult, das Wasser kribbelte mir schon unter den Augenlidern, aber das kam nicht infrage. Am liebsten hätte ich nach irgendwas getreten, so wütend war ich! Trainerin Whit kam zu mir und half mir auf, und sobald ich stand, riss ich mich von ihr los und humpelte zur Bank. Meine Beine brannten und verkrampften sich, aber ich wollte trotzdem nur nach irgendwas treten. Die Bank umhauen oder so. Die blöden Orangenschnitze zertrampeln, die Lus Mutter uns gebracht hatte. Irgendwas. Stattdessen setzte ich mich einfach hin und sagte den restlichen Wettkampf über kein Wort mehr. Ja, ich bin eine schlechte Verliererin, wenn ihr das so nennen wollt. Ich sehe es eher so, dass ich eben gern gewinne. Ich will einfach jedes Mal die Erste sein. Alles andere ist … falsch. Nicht richtig.

Aber leider Tatsache.

Und wegen dieser Tatsache wollte ich auch am nächsten Tag auf der Fahrt zur Kirche nicht darüber reden. Kein Wort, mit niemand. Nicht mal mit Gott. Ich verbrachte den ganzen Morgen damit, Maddys Haare so zu flechten, wie Ma meine geflochten hatte, als ich noch klein war. Der einzige Unterschied ist, dass Ma wegen ihrer dicken Finger beim Flechten immer so heftig gezogen hat, als würde sie mir sämtliche Haare rausreißen wollen. So nach dem Motto: »Ich muss die Zöpfe möglichst fest anziehen, sonst gehen sie gleich wieder auf.« Klar. Aber ich ziehe nie so fest an Maddys Haaren, und ich schaffe ihren ganzen Kopf in einer halben Stunde, wenn sie stillhält. Was sie nie tut.

»Wie viele noch?«, jammerte Maddy und zappelte vor mir auf dem Boden herum.

»Ich bin fast fertig. Entspann dich einfach, dann kann ich …« Ich nahm die Dose mit den Perlen und schüttelte sie an ihrem Ohr wie eine dieser spanischen Rasseln. Und sofort beruhigte sie sich und ließ mich ihren Kopf nach vorne kippen, damit ich mir den letzten Abschnitt vornehmen konnte, die kleinen Locken, die sich in ihrem Nacken ringelten. Ich tunkte den Finger in die Schmiere an meinem Handrücken und massierte sie in Maddys Kopfhaut. Dann verteilte ich das Fett in dem letzten buschigen Haarknäuel, zog es in die Länge und ließ es los, worauf es wieder zu dunkelbrauner Zuckerwatte zusammenschrumpfte.

»Welche Farbe willst du haben?«, fragte ich und teilte das Büschel in drei Stränge auf.

»Ähmmm …« Maddy legte den Finger ans Kinn und tat so, als würde sie nachdenken. Ich sage, sie tat so, weil sie genau wusste, welche Farbe sie wollte. Sie suchte jede Woche die gleiche aus. Tatsächlich gab es überhaupt nur eine Farbe in der Dose.

»Rot«, sagten wir beide gleichzeitig, ich eher leicht genervt und nicht ganz so begeistert. Maddy wollte herumfahren und mir eine Grimasse schneiden, aber ich war mitten in einem Zopf.

»Nicht. Halt still.«

Dann kamen die Perlen. Heute waren es dreißig Zöpfe. Drei rote Perlen pro Zopf. Neunzig Perlen. Am Schluss wickelte ich noch winzige Stückchen Alufolie um die Enden, damit die Perlen nicht abfielen, obwohl ich genau wusste, dass sie das irgendwann sowieso tun würden. Aber wer hat schon die Zeit, diese kleinen Gummibänder um die Zopfenden zu pfriemeln? Ich nicht. Und Maddy ganz sicher auch nicht.

Als wir fertig waren, tat Maddy, was sie hinterher immer tut – sie rannte ins Badezimmer. Ich folgte ihr, auch wie immer, und hob sie hoch, damit sie sich im Spiegel bewundern konnte. Sie lächelte, und ihr Mund sah aus wie ein Klavier mit nur einer schwarzen Taste, wegen dem einen Zahn vorne, der fehlte. Dann rannte Maddy zurück ins Wohnzimmer und warf einem Foto, das neben dem Fernseher auf dem Tisch stand, einen Kuss zu – jedes Mal demselben Bild – von mir in ihrem Alter, mit sechs, mit einem breiten Grinsen, fehlendem Schneidezahn und Zöpfen, die rote Perlen und Alufolie an den Enden hatten.

Es gibt zwei Gründe, warum ich Maddy jeden Sonntag Zöpfe flechte. Der erste ist, dass Momly es nicht tun kann. Wenn es nach ihr ginge, würden Maddys Haare jeden Tag zu zwei Afro-Puffs frisiert werden. Oder sie hätte sie längst abrasiert. Es ist nicht so, dass es ihr egal wäre. Das ist es nicht. Momly hat nur keinen Schimmer, was sie mit Haaren wie Maddys – wie unseren – anfangen soll. Ma weiß das schon, aber Momly … keine Chance. Sie hatte noch nie vorher mit solchen Haaren zu tun, und es gibt nun mal kein Handbuch für weiße Leute, um zu lernen, wie man schwarze Haare frisiert. Und ihr Mann, also mein Onkel Tony, ist da auch keine große Hilfe. Seit sie uns adoptiert haben, sagt er jedes Mal dasselbe, wenn ich Maddys Haare zur Sprache bringe: »Alles easy.« Als würde er sich hinten in Maddys Klassenzimmer setzen und diesen ganzen sechsjährigen Lästermäulern mit ihren Haarspangen die Hölle heißmachen. Klar. Aber zum Glück für alle Beteiligten, vor allem für Maddy, weiß ich, was ich tue. Schließlich bin ich schon seit meiner Geburt ein schwarzes Mädchen.

Der andere Grund, warum ich Maddys Haare immer sonntags flechte, ist, weil wir da Ma besuchen, und sie will nicht, dass Maddy aussieht, »als wäre sie gerade erst aus dem Bett gekrochen«. Deshalb ziehen wir uns noch an, wenn Maddys Haare fertig sind. Und damit meine ich, wir putzen uns richtig fein heraus. Maddy trägt eines ihrer Kirchenkleider und weiße Lackschuhe, wie sie die meisten Leute nur am Ostersonntag tragen, aber für uns – für Ma – ist jeder Sonntag wie Ostersonntag. Ich ziehe ebenfalls ein Kleid an, fahre mir mit dem Kamm durch die Haare, bis sie einigermaßen nach was aussehen. Dazu hässliche flache schwarze Ballerinas, weil Ma nicht möchte, dass ich »im Haus des Herrn zu flott angezogen bin«. Dann fährt Momly uns durch die Stadt nach Barnaby Terrace, unserem alten Viertel.

Barnaby Terrace ist … in Ordnung. Ich weiß echt nicht, was ich sonst darüber sagen soll, außer dass es nicht wirklich etwas darüber zu sagen gibt. Niemand dort ist reich, das steht schon mal fest. Aber es ist auch niemand wirklich arm. Alle sind ganz normal. Normale Leute mit normalen Jobs und normalen Kindern, die auf normale Schulen gehen und die, wenn sie mal groß sind, zu normalen Leuten mit normalen Jobs und so weiter werden. Und ich schätze mal, an mir war bis vor sechs Jahren auch alles ziemlich normal. Bis … also, ich erklär’s euch. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden, und mein Dad und ich spielten, wir würden eine Teeparty mit unsichtbarem Kuchen feiern. Wie in diesen alten Fernsehserien, wo die kleinen Mädchen mit ihren Puppen Tee trinken spielen, ohne dass echter Tee in den Tassen ist. Ungefähr so. Nur dass ich kein Puppenservice hatte und meine Mutter uns nicht erlaubte, ihre echten Tassen zu benutzen, die eigentlich nur ein paar alte Kaffeebecher waren. Aber Dad hat immer gesagt, Tee würde sowieso viel zu fade schmecken, um ihn wirklich zu trinken. Und er sagte, wenn man so täte, als würde man etwas essen, könnte man auch genauso gut nur so tun, als würde man etwas trinken. Und was gibt es Schöneres, als so zu tun, als würde man Cupcakes essen? Und das gab es bei uns immer – eingebildete Cupcakes.

Aber an diesem Abend unterbrach Ma unser Spiel, weil ich am nächsten Morgen Schule hatte, außerdem war sie damals mit Maddy schwanger und brauchte meinen Vater, damit er ihr die Füße massierte. Deshalb flüsterte er mir ins Ohr: »Schlaf gut, meine kleine Zuckerschnecke, deine Mutter und das Rosinchen brauchen mich.« Dann gab er mir wie immer einen Gute-Nacht-Kuss – erst auf die Stirn, dann auf die rechte Wange, dann auf die linke. Was dann passiert ist, weiß ich nicht. Ich vermute mal, dass er Ma auch einen Gute-Nacht-Kuss gab, nachdem er ihr die Füße massiert hatte. Und Maddy, dem »Rosinchen«, das währenddessen vermutlich in Mas Bauch herumzappelte, auch. Ich wette, Dad drückte einen dicken Kuss direkt auf den Bauchnabel, bevor er sich umdrehte und einschlief.

Nur wachte er leider nicht mehr auf.

Nie wieder.

Es war verrückt. Und hätten wir damals für unsere Spiel-Teeparty die Tassen meiner Mutter nehmen dürfen, wären sie am nächsten Morgen alle zerdeppert worden, als sie mich mit tränennassem Gesicht weckte und stammelte: »Es ist etwas passiert.« Ich hätte jede einzelne der Tassen genommen und sie auf dem Boden zertrümmert. Und zwei Jahre später, als meiner Mutter zwei Zehen von ihrem Fuß abgeschnitten wurden, hätte ich noch mehr kaputt geschmissen. Und sechs Monate später, als man ihr den ganzen Fuß abnehmen musste, wieder. Und sechs Monate danach – also vor drei Jahren –, als man ihr beide Beine abgesägt hat, wäre der Küchenschrank dann komplett leer gewesen. Nur noch zerbrochene Kaffeebecher überall. Nichts mehr, aus dem man trinken könnte.

Aber das tat ich nicht. Stattdessen fraß ich alles in mich rein. Und wünschte mir dabei, das wäre nur irgendein blödes Spiel, wo man so tut als ob, wie bei unserer Teeparty. Aber das war es nicht.

Dass ihr mich nicht falsch versteht: Meine Mutter wollte ihre Beine nicht absichtlich loswerden. Sie hat Zucker. Also, das ist eigentlich eine Krankheit, die Diabetes heißt, aber sie nennt es Zucker, deshalb sage ich auch Zucker dazu, außerdem gefällt es mir besser als Diabetes, weil Diabetes viel zu sehr nach Krankenhaus und Sterben klingt. Der Zucker hat Mas untere Extremitäten kaputt gemacht. So sagen die Ärzte zu Beinen. Er hat einfach in ihrem ganzen Körper verrücktgespielt. Hat den Blutfluss zu ihren Füßen gestört. Ich habe sie jeden Abend massiert und eingecremt, genau wie mein Vater es getan hat, und es war, als würde man zwei alte Baumstämme mit Hautlotion einreiben. So trocken und rissig waren sie. Geschwollen und dunkel, als wäre sie in einem Kohlehaufen gestanden. Aber irgendwann hatte sie einfach kein Gefühl mehr in ihnen, und da habe ich sie nicht nur eingecremt, sondern auch versucht, wieder Leben in sie reinzumassieren. Und danach waren sie im Prinzip … tot. Ich glaube, so lässt es sich vermutlich am besten erklären. Ihre Füße waren gestorben. Ich hasse dieses Wort, aber es gibt keine andere Möglichkeit, es zu sagen. Und offenbar kann der Tod wandern und sich wie ein Feuer im ganzen Körper ausbreiten, deshalb mussten die Ärzte ihr irgendwann die Beine abschneiden – sie nennen es »amputieren«, was für mich aus irgendeinem Grund eher so klingt, als würde etwas wachsen, nicht abgeschnitten werden –, und zwar direkt über dem Knie, damit nicht noch mehr von ihr abstirbt.

Maddy ist erst sechs, und seit sie auf der Welt ist, helfe ich, so gut ich kann, sie zu versorgen. Aber nachdem Ma ihre Zehen und Füße verloren hatte, wurde aus ein bisschen Hilfe ziemlich schnell eine Rundum-Betreuung. Irgendwann hatte ich nur noch Listen im Kopf, von Dingen, die ich erledigen musste.

 

  1. Maddy baden

  2. Maddy anziehen

  3. Maddy füttern

  4. Alles

Nachdem Ma ihre Beine verloren hat, haben sich meine Taufpaten eingeschaltet – das sind Tony, der Bruder von meinem Vater, und seine Frau Emily – und die gesetzliche Vormundschaft für uns übernommen, was zwar furchtbar bürokratisch klingt, aber eigentlich ist es etwas total Schönes. So was wie Schutzengel. Ich wette, Onkel Tony und Tante Emily – die Maddy immer Mom Emily genannt hat, was schließlich zu »Momly« zusammenschrumpfte – hatten keine Ahnung, dass sie mit der Patenschaft für uns auch dieses ganze Drama erben würden. Ich wette, sie sind davon ausgegangen, sie müssten uns nur gelegentlich was schenken, an Geburtstagen, Weihnachten oder zwischendurch. Uns ab und zu mal einen Zehn-Dollar-Schein zustecken. So was eben. Und nicht für uns sorgen, mit allem Drum und Dran. Das ist … verdammt viel. Aber sie tun immer so, als wäre das total okay für sie – als hätten sie genau so was von Anfang an miteingeplant –, und wir sind ihnen dankbar, auch wenn ich mich nach wie vor um Maddy kümmere, weil … na ja, ich mach es eben einfach. Ich habe immer noch die ganze Zeit eine Liste im Kopf. Außerdem hat Momly keine Ahnung, wie man schwarze Haare frisiert.

Warum erzähle ich das alles eigentlich?

Oh, jetzt fällt’s mir wieder ein.

Wegen Sonntag. Weil Maddys Haare an Sonntagen, wie schon gesagt, möglichst hübsch aussehen sollen. Für Ma.

2 DRINGEND NOCH ERLEDIGEN:
Tanzen, als würde meine Mutter zuschauen (oder als würde ich Kakerlaken zertreten)

Wenn wir zu Mas Haus kommen, unserem alten – anderen – Haus, läuft es jedes Mal gleich ab. Maddy springt aus dem Auto und rennt zur Tür. Ihre roten Perlen klackern bei jedem Schritt, und die Alufolie an den Enden glitzert, als wäre jeder Zopf eine Wunderkerze. Ich steige nach ihr aus dem Wagen.

»Nur ein Mal läuten«, sage ich zu Maddy, einfach, weil es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehört, bei anderen Leuten tausend Mal auf die Türklingel zu drücken. Aber bei Ma, die ja nicht laufen kann, wirkt das wie Drängeln, und das ist unhöflich.

»Ich weiß, ich weiß«, sagt Maddy und tut so, als wäre sie nicht kurz davor gewesen, wie verrückt auf dem Klingelknopf rumzuhämmern.

»Ich komme schon!«, dringt Mas gedämpfte Stimme durch die Holztür. Bis sie uns aufgemacht hat, hat Momly das Auto geparkt und steht neben uns. Sie trägt einen weißen Krankenhauskittel und so grässliche Damen-Sneakers, die furchtbar unbequem aussehen, und reibt sich immer noch den Schlaf aus dem Gesicht. Typisch Momly eben.

»Gelobt sei Gott«, trällert Ma und rollt mit ihrem Stuhl zurück, um uns Platz zu machen. Maddy läuft als Erste zu ihr und umarmt sie ganz fest. Das ist jeden Sonntag so, und Ma nimmt die Umarmung immer freudestrahlend entgegen, als hätte sie einen Hochzeitsstrauß gefangen.

»Maddy, mein Rosinchen.« Breites Lächeln. »Mein Mädchen, du wirst mit jedem Mal größer. Und hübscher.«

»Aber du hast mich doch erst letzte Woche gesehen.«

»Stimmt. Und seitdem bist du noch größer und hübscher geworden«, sagt Ma und strahlt. Jede Woche die gleichen Worte. Man sollte meinen, dass die beiden ab und zu mal was anderes sagen würden, aber das tun sie nicht. Ich glaube, wir alle brauchen diesen gewohnten Ablauf. Wir brauchen etwas, das uns daran erinnert, dass wir es bei Momly und Onkel Tony zwar richtig gut haben, aber dass wir trotzdem immer noch zu Ma gehören. Dass sie unsere richtige Mutter ist. Familie.

Wenn Maddy genug gelobt und bewundert worden ist, bücke ich mich und gebe Ma einen Kuss auf die Backe. Ihre Haut fühlt sich trocken und rau an an meinen Lippen, und ich habe vorsorglich kein Lipgloss aufgetragen, weil so was auch viel zu »flott« ist für die Kirche. Sie riecht nach Blumen, die in Kuchenteig getaucht wurden. Und nach Haaröl. Vertraut.

»Hi, Baby«, sagt sie und nimmt meine Hand.

»Hi, Ma.« Ich drücke ihre Finger. Sie drückt zurück.

Und dann schiebe ich Ma, die immer ein buntes, gemustertes Kleid trägt, dazu die Haare frisch gelockt und offen, aus dem Haus und zur Beifahrerseite des Autos. Sie würde das auch allein hinkriegen, aber ich mag es, das für sie zu tun. So bin ich es eben gewöhnt. Manchmal will Momly mir helfen, aber eigentlich weiß sie, dass das meine Sache ist: Erst kümmere ich mich um Maddy, dann um Ma. Ich ziehe die Autotür auf und stelle die Bremse am Rollstuhl fest, damit er nicht unter meiner Mutter wegrollt, wenn sie sich hochstemmt und ins Auto lehnt. Dann schwingt sie das, was von ihren Beinen noch übrig ist, hinein. Anschließend vergewissere ich mich, dass ihr Kleid nicht aus dem Auto hängt. Ich schließe die Tür und schiebe den Rollstuhl nach hinten, klappe ihn zusammen und verstaue ihn im Kofferraum. Das ist gar nicht so einfach. Wenn ich es falsch mache und an die Rollstuhlräder stoße, wird mein Kleid schmutzig, und dann muss ich mir auf der ganzen Fahrt zur Kirche Mas Gemecker anhören, dass »Sauberkeit gleich nach Gottesfurcht kommt«. Aber ich mache es immer richtig, weil ich echt keinen Nerv auf so eine Strafpredigt habe.

Und dann ist es Zeit für ein vorgottesdienstliches Gespräch.

»Und, wie war eure Woche?«, will Ma wissen, während wir aus der Einfahrt fahren. Sie richtet sich an Momly und schaltet dabei wie immer sofort das Autoradio aus (Momly hört sowieso nur so Sender, in denen die ganze Zeit geredet wird).

Und das ist eigentlich auch ein echter Fehlstart, ein falscher Anfang für eine Unterhaltung, weil Ma und Momly ungefähr sechstausend Mal in der Woche miteinander telefonieren. Aber das ist nun mal Mas Art, ein Gespräch zu beginnen, so von hintenherum, um dann irgendwann darauf zu kommen, was sie mir und Maddy eigentlich mitteilen will. Auf die Art steht Momly nicht wie eine Petze da. Auch wenn ich genau weiß, dass sie gepetzt hat. Ich meine, sie ist unsere Tante. Und unsere Adoptivmutter. Geheimnisse zu verraten gehört da einfach dazu.

»Nichts Besonderes. Maddy hat in allen Klassenarbeiten vier Punkte bekommen.« So sah diese Woche Momlys Einstieg in das Gespräch aus.

»Vier Punkte, ja? Das ist doch so was wie eine Eins, oder?« Das fragte Ma jedes Mal, und ich habe keine Ahnung, ob sie wirklich Probleme damit hatte, das Benotungssystem unserer Elite-Schule zu kapieren, oder ob sie sich absichtlich dumm stellte. Sie bezeichnete dieses Punktesystem immer als modernes Zeugs und sagte Sachen wie »Elite heißt noch lange nicht exzellent«.

Ma öffnete das Fenster einen Spalt, um frische Luft reinzulassen. Momlys Auto roch immer wie eine frisch geschrubbte Badewanne … sauber, aber giftig. Sauberkeit kommt eben gleich nach Gottesfurcht. Und zwar so dicht dahinter, dass man davon auch tot umfallen kann. Maddy und ich waren den Geruch schon gewöhnt, aber Ma störte sich jedes Mal daran, wenn sie in Momlys Auto saß.

»Ja, Ma. Das ist eine Eins, weißt du nicht mehr?«, meldete Maddy sich vom Rücksitz. Ma drehte sich nicht um, sie nickte nur.

»Und Patty macht sich wirklich gut in diesem neuen Laufteam. Patty, hast du deine Medaille mitgebracht?« Ich konnte Momlys Augen im Rückspiegel sehen. Sie wusste genau, dass ich die Medaille nicht dabeihatte. Sah ich so aus, als würde ich meine Medaillen mit in die Kirche schleppen? Ich wusste genau, was sie bezweckte. Aber wenn es etwas gab, über das ich an diesem Sonntag nicht reden wollte, dann war es das Laufen. Wie gesagt, ich bin eine schlechte Verliererin. Nachtragend. Und nun bekam ich sofort schlechte Laune.

»Hab ich vergessen«, erklärte ich ausdruckslos.

»Ehrlich, Bev, sie hat den zweiten Platz bei einem –«

»Und was ist mit ihren Noten? Bekommt sie auch immer nur vier Punkte oder fünf oder was auch immer?« Meine Mutter unterbrach Momly mitten in ihrer Prahlerei. Igitt. Das Zweite, worüber ich an diesem Sonntag nicht reden wollte, war die Schule.

»Das kommt schon noch. Sie muss sich erst noch an alles gewöhnen. Mitkriegen, wie es dort läuft.«

Mit »dort« meinten sie meine neue Schule. Bis zum Sommer bin ich erst auf der Barnaby Elementary School und dann auf der Barnaby Middle School gewesen, beides öffentliche Schulen in unserem alten Viertel. Ma fand, es wäre am besten, wenn unser Auszug bei ihr von einem »weichen Übergang« begleitet würde, indem ich erst mal auf meiner bisherigen Schule blieb, wo auch alle meine Freundinnen waren. Brianna, Deena und vor allem meine allerbeste Freundin Ashley, die von allen nur Cotton genannt wird. Cotton und ich sind schon seit dem Kindergarten befreundet, seit damals, als Lu Richardsons Mutter noch unsere Babysitterin war und wir uns immer mit ihr zusammen Choreografien für Neunzigerjahre-R&B-Songs ausgedacht haben. Moves, die ich immer noch kann, aber schon lange nicht mehr mache. Aber Cotton steht da immer noch total drauf. Und wer wird jetzt, wo ich nicht mehr mit ihr auf einer Schule bin, ihre Badezimmer-Tanzeinlagen filmen? Und noch wichtiger: Wer wird ihre Stinkefürze den Jungs in die Schuhe schieben? Wer wird ihr sagen, dass ihre Haare supersüß aussehen werden, sobald sie länger sind und sich nicht mehr so kringeln? Vielleicht Brianna und Deena, aber das war eigentlich nicht ihre Aufgabe. Es war meine. Aber ich konnte das alles nicht mehr so tun, wie ich wollte, weil ich jetzt in einem anderen Stadtviertel lebte, wo ich mich mittlerweile an das Leben bei Onkel Tony und Momly einigermaßen gewöhnt hatte und auf diese doofe neue Schule ging, die sie für mich ausgesucht hatten, drüben in Sunny Lancasters Viertel (er ist auch neu in unserem Laufteam), weil die Fahrt dorthin viel kürzer war. Von Barnaby zu den Bonzen. Toll. Also, eigentlich hieß die Schule ja Chester Academy, was allein schon ein untrügliches Zeichen für eine Bonzenschule war. Ich meine, den Deppen, die die Schule getauft hatten, war das Wort »Schule« wohl nicht gut genug. Eine Akademie? Ja, klar. Jedenfalls, die Chester Academy war … anders. Und ich meine, verdammt anders. Erstens mussten wir dort Schuluniformen tragen, Faltenröcke und steife Blusen. Und dann gab es da nur Mädchen, und sagen wir mal so: Nicht viele von denen hatten einen Spitznamen. Und nicht viele von denen hatten Mütter, die nach Haarfett rochen. Haarspray? Das schon. Aber Haarfett? Nö.

»Tja, dann würde ich vorschlagen, dass sie sich ein bisschen beeilt mit dem Gewöhnen, sonst ist bald Schluss mit dem Lauftraining«, erklärte Ma. Momly schaute in den Rückspiegel und zwinkerte mir zu. Sie wusste, dass Ma ziemlich streng mit mir war, was die Schule anging, aber sie wusste auch, dass ich einfach laufen musste.

Als Momly vor der Kirche anhielt, sagte sie das, was sie jede Woche sagte: »Vergesst nicht, für euren Onkel und mich mitzubeten.«

Worauf meine Mutter die gleiche Antwort gab wie immer: »Gott weiß, ihr könnt es gebrauchen.«