Nr. 3023
Der On-Pirat
Ein Onryone begegnet Atlan – und führt den Kampf seines Leben
Michael Marcus Thurner
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Buunyn Paccnarash: Auf der Rückreise
2. Atlan: Treffpunkt voraus!
3. Buunyn Paccnarash: Der On-Legat
4. Atlan: Ogygia
5. Buunyn Paccnarash: Analysen
6. Atlan: Verhandlungen
7. Dror Dorashag: Ideenspaziergänge
8. Atlan: Im Nest
9. Buunyn Paccnarash: Freunde
10. Atlan: Nägel mit Köpfen
11. Dror Dorashag: Strategische Banausen
12. Atlan: Das Opfer
13. Buunyn Paccnarash: Schiffswechsel
14. Dror Dorashag: Der Große
15. Atlan: Verhandlungen
16. Buunyn Paccnarash: Zusammenarbeit
17. Dror Dorashag: Also schön!
18. Atlan: Die Falle
19. Buunyn Paccnarash: Hoppla
20. Atlan: Aufräumarbeiten
Leserkontaktseite
Risszeichnung Hypertrans-Progressor der RAS TSCHUBAI
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.
Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.
Auf der Suche nach Wissen und Verbündeten haben sich Perry Rhodan und Atlan getrennt. Rhodan ist mit einem Beiboot losgeflogen – ins neue Heimatsystem der Liga und ins Solsystem, auf der Suche nach der verschwundenen Erde. Atlan wartet mit der RAS TSCHUBAI ab und sammelt an Informationen, was er finden kann. Ehe die beiden einander nun wiedertreffen, kommt ihnen jemand dazwischen: DER ON-PIRAT ...
Buunyn Paccnarash – Der On-Pirat wittert Beute.
Atlan – Der Arkonide wittert Gefahr.
Gucky – Der Mausbiber wittert Verrat.
Aurelia – Die Posmi wittert eine Chance.
Dror Dorashag – Der Ladhone wittert Rache.
1.
Buunyn Paccnarash:
Auf der Rückreise
Ich überließ die Routinearbeiten während des Anflugs auf das heimische Nest meinen Leuten in der Zentrale.
Chadashe Conccur war eine ausgezeichnete Pilotin und benötigte kaum einmal Unterstützung. Minplycc Grorm lümmelte sich in seine abgedunkelte Essnische und kümmerte sich nicht weiter um die Geschehnisse an Bord. Er griff als Entermeister bloß dann ein, wenn es die Situation erforderte. Sobald wir einen Angriff flogen und Beute einbringen wollten.
Nur zu gerne hätte ich mich ebenfalls zurückgezogen und in aller Intimität eine Mahlzeit zu mir genommen. Aber ich hatte zu tun. Ich musste die Stimmung hochhalten. Ich musste von meinen Erfolgen erzählen, ohne allzu viel zu übertreiben.
Meine Leute liebten mich. Sie gingen leuchtenden Emots für mich durchs Feuer. Ich brachte ihnen seit Jahren fette Beute, jede einzelne Kaperfahrt hatte Erfolg. Selbst die Kommandantin des heimischen Nests, Bhan Fenshe, kam nicht umhin, mich zu loben und zu hofieren. Sie tat es widerwillig, aber sie tat es.
Sie sah einen Konkurrenten in mir. Ich hatte bis jetzt stets abgewiegelt und ihr glaubwürdig versichert, dass ich sie niemals hintergehen würde. Ich hielte sie für die kompetente Anführerin des Piratennests, die unersetzbar wäre.
Zu meinem eigenen Erstaunen begann sie mir zu glauben und gab mir immer mehr Freiheiten. Sie hätte wissen müssen, dass ich nicht nur der beste, sondern auch der ruchloseste Pirat der Milchstraße war.
»Wollt ihr noch einmal hören, wie ich ganz allein ein Raumfort der Akonen erobert und gewaltige Beute eingefahren habe? Habe ich diese Geschichte denn in den letzten Tagen schon mal erzählt?«
Einige Besatzungsmitglieder ließen ihr Emot eilfertig und in Dunkelgrün als Zeichen ihrer Zustimmung aufblinken, andere blickten beiseite. Sie wollten mich mit ihrer Ehrerbietigkeit nicht beschämen.
»Also schön.« Ich sammelte meine Gedanken. »Es war an einem ruhigen Patrouillentag im Sternenquadranten der Quosse, und ich ruhte mich ein wenig von vergangenen Heldentaten aus«, erzählte ich, »als mich mein damaliger Entermeister weckte. Er hätte ein neues Ziel ausgemacht und ...«
Ein Alarm gellte. Conccur war mit einem Mal hellwach, Grorm kam aus seiner Nische hervor.
Ich beendete widerwillig meine Erzählung und konzentrierte mich auf die Meldung der Schiffspositronik.
»Annäherung im On-Flug auf das heimische Raumnest bis auf sechs Lichtjahre«, sagte ein strategischer Offizier. »Wir haben die Fahrt gestoppt, weil es Unregelmäßigkeiten in der Ortung gibt. Spuren, die auf ein anderes Schiff schließen lassen, die wir aber noch nicht verstehen.«
»Ich will Informationen«, befahl ich. »So viele wie möglich, so schnell wie möglich!«
»Funk und Ortung haben noch nicht viel. Es sind bloß Vermutungen. Indifferenzen im normalenergetischen Strahlungsbereich. Es scheint, als würde sich jemand vor uns verbergen.«
»Dann erforscht die Hintergründe. Flott! Womit haben wir es zu tun? Ist es ein Schiff der Cairaner? Der Vorbote einer größeren Flotte, der das heimische Nest entdeckt hat?«
Ich gab eine Reihe von Anweisungen, meine Leute spurten. Ich verbarg meine Nervosität.
Die Cairaner waren nicht sonderlich nett. Sie hinderten uns immer wieder an unserer Arbeit und kamen mit moralischen Bedenken daher. Ausgerechnet sie, die die Milchstraße besetzt hatten!
Was, wenn es ein Handelsraumer oder Expeditionsraumer war? Eine Privatjacht, die es rein zufällig ins Traccnarsystem verschlagen hatte?
Ich fühlte dieses ganz besondere Jagdfieber in mir erwachen. Wenn es in unmittelbarer Nähe des Nests Beute gab, würde ich sie mir schnappen.
2.
Atlan:
Treffpunkt voraus!
Das Mhoragsystem war etwas Besonderes.
Atlan blickte interessiert auf die Darstellung im Zentralholo der RAS TSCHUBAI. Sie zeigte einen gewaltigen Hyperriesen der Spektralklasse O mit 288 Sonnenmassen. Die Werte, die ANANSI für dieses Monstrum auswarf, beeindruckten ihn.
»Neununddreißigtausend Kelvin Oberflächentemperatur«, sagte Gucky neben ihm. »Gravitationswerte weit jenseits der achtzig Gravos. Stürme, höherenergetische Phänomene und Flares, die selbst der RAS TSCHUBAI Probleme bereiten könnten.«
»Das bezweifle ich«, sagte Atlan. »Aber ich gebe dir recht. Mhorag bietet viel.«
»Damit bestätigt sich im Grunde die Zielvorgabe vom Ort jenseits aller Wahrscheinlichkeit, den ANANSI geprägt hat, ehe das Mhoragsystem ausgewählt wurde.«
Atlans Blicke wanderten zu einem winzigen Flecken. »ANANSI hat diese Bezeichnung für das gesamte System gewählt. Dieser Zwergstern namens Haika hätte hier eigentlich nichts zu suchen.« Er deutete in Richtung der kleinen Sonne der M-Klasse. »Irgendwann muss sie vom Gravitationsfeld Mhorags eingefangen worden sein.«
Muddy Waffers, Chef der Astronomischen Abteilung, meldete sich zu Wort. »Das System ist nicht sonderlich stabil«, sagte er. »Der einzige Begleiter von Haika hat nur noch diesen Trabanten namens Antos Welt. Es gibt aber astronomische Unregelmäßigkeiten, die darauf hindeuten, dass der Zwergstern vor nicht allzu langer Zeit drei oder gar vier Begleiter hatte.«
Atlan unterdrückte ein Seufzen. Waffers war ein ausgezeichneter Mann. Aber er wurde geschwätzig, sobald es um seine Kernkompetenzen ging. Dennoch war es wichtig, Waffers Analysen zu kennen. Schließlich sollte das Wiedersehen mit Perry Rhodan im Mhoragsystem stattfinden.
»Ist die Umlaufbahn von Antos Welt stabil?«, fragte Gucky.
»Wie man's nimmt«, antwortete der Astronom. »Der mittlere Abstand zu seiner Sonne wächst von Jahr für Jahr um einige Meter. Antos Welt wird von der Riesensonne Mhorag aus der an und für sich engen Umlaufbahn in eine stark ausgebeulte Ellipse gezwungen. Irgendwann wird das labile System kippen und Antos Welt seinem Muttergestirn entrissen werden.« Waffers lachte. »Oder entzweigerissen.«
Atlan betrachtete den etwa marsgroßen Planeten in einer größeren Darstellung und besseren Auflösung. Die Wissenschaftler an Bord würden Freudenfeste feiern, wenn er ihnen erlaubte, Antos Welt einen Besuch abzustatten.
Derzeit war der Planet auf der Reise in Richtung des größeren Gestirns. Gesteinsschichten auf Antos Welt, die auf der engen Umlaufbahn um Haika verflüssigt worden waren, verfestigten sich nun wieder und bildeten bizarre Formen aus. Sie würden in einigen Wochen erneut schmelzen, wenn der Planet dem Riesenstern am nächsten kam.
Atlan würde seine Leute enttäuschen müssen. Das Mhoragsystem war ein Treffpunkt. Nicht mehr, nicht weniger. Sobald Perry Rhodan an Bord der BJO BREISKOLL eingeschleust hatte, würden sie ihr Wissen über die Vorgänge in der Milchstraße austauschen, Pläne schmieden und so schnell wie möglich wieder von hier verschwinden.
»Tausend Galax für deine Gedanken«, sagte Gucky.
»Das ist Geld, das du uns beiden sparen könntest.« Atlan schmunzelte. »Wenn du möchtest, könntest du sie jederzeit lesen.«
»Du hast deinen Monoblock. Schon vergessen?«
»Du hast bis jetzt immer einen Weg gefunden, in meinen Kopf zu gelangen.«
»Nur, wenn du es erlaubt hast.«
»Und das habe ich oft. Vor dir habe ich keinerlei Geheimnisse.«
»Wenn man von deinen Frauengeschichten absieht. Die schottest du ab, als wären sie wertvoller als ein Sack goldener Mohrrüben.«
»Das sind sie auch«, sagte Atlan. »Jede einzelne von ihnen hat mich geprägt.«
»Ich stelle fest: Du hast eine ganz schöne Menge Prägungen erlebt.«
»Frechdachs!«
»Wenn schon, dann bitteschön Frechilt.«
Da war er, der berühmteste Zahn des Universums. Er zeigte sich zwischen den aufgeplusterten Mausbiberwangen. Gucky grinste. Er, der im Innersten seines großen Herzens einsam war wie kein anderes Geschöpf der Milchstraße, sorgte wieder einmal für ein wenig gute Laune in der Zentrale der RAS TSCHUBAI.
Selbst Cascard Holonder, der wie so oft Bilder und Symbole auf Schreibfolien kritzelte, schreckte hoch und lächelte dünn.
»Ich habe das System so gut es ging durchforstet«, meldete sich Lit Olwar zu Wort. Der Ortungschef blieb undurchschaubar ernst und sachlich. »Es gibt keinerlei Hinweise auf andere Schiffe.«
»Die BJO BREISKOLL ist also noch nicht hier?« Atlan ließ sich Datenreihen in ein Holo legen, sie bestätigten Olwars Worte.
»Nein. Perry hätte gewiss Funkbojen ausgesetzt, die auf uns angesprochen hätten. Aber schließlich sind es noch zwei Tage bis zum geplanten Treffen.«
Atlan überlegte. »Wir warten bis dahin im Ortungsschutz von Haika.«
»Wir könnten uns auch im Umfeld von Mhorag bewegen«, sagte Muddy Waffers.
»Abgelehnt«, erwiderte Holonder, bevor Atlan sich einmischen konnte. »Die Strahlungsintensität Mhorags ist enorm hoch. Das ist mir zu heiß, im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Ich bin mir sicher, dass wir uns dagegen schützen könnten.« Waffers leckte sich mit der Zunge über die Lippen, wie immer, wenn seine wissenschaftliche Neugierde geweckt war. »Denk an die Forschungsergebnisse, die wir in der Nähe dieses Riesendings gewinnen könnten.«
»Ich wiederhole: abgelehnt! Dies ist keine Wissenschaftsmission. Wir werden gejagt, wir bleiben in bestmöglicher Deckung und werden ganz gewiss keine Forschungsschiffe ins Innere Mhorags schicken. Solltest du auf die Idee kommen, Atlan oder mich um die Erlaubnis zu bitten, eine Expedition zu Antos Welt zu starten: nein! Niemand verlässt die RAS TSCHUBAI. Wir bleiben fluchtbereit.«
Atlan unterdrückte ein Lächeln. Der Schiffskommandant blockte ihn ab und übernahm jene Entscheidungen, die die Schiffsführung betrafen. Holonder war ein ausgezeichneter Mann, der sich ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein erarbeitet hatte.
»Aber ...«
»Was an dem Wort nein hast du nicht verstanden, Muddy?« Holonder kritzelte wie beiläufig ein paar Symbole auf eine Folie und ließ das Blatt achtlos zu Boden fallen. »Wir verstecken uns in Haikas Chromosphäre, aber nicht allzu tief. Die Strahlungsbilder Mhorags wirkten auch dort noch und erschweren feindlichen Schiffen die Ortung. Es reichen die normalenergetischen Schirme zu unserem Schutz. Wir können auf die HÜ-Schirme verzichten und damit selbst ausreichend gut orten. Sollte sich eine Gefahr abzeichnen, tauchen wir einfach tiefer in die Sonnenatmosphäre ein. Das Risiko, die BREISKOLL zu verpassen, ist dadurch minimiert.«
Die letzten Sätze hatte Holonder laut und an alle Zentralemitglieder gerichtet gesagt.
Waffers ließ die Schulter nach vorne fallen. Er wusste, wann er verloren hatte, nickte dem Kommandanten sowie Atlan zu und kehrte in seinen Bereich zurück.
Stille breitete sich aus, alle Entscheidungen waren gefallen. Allerorts wurde konzentriert gearbeitet. ANANSIS Wispern war da und dort zu hören, die Semitronik beriet die Zentralemitglieder bei ihren Arbeiten.
Die Annäherung an den Roten Zwerg begann.
3.
Buunyn Paccnarash:
Der On-Legat
Der wohlverdiente Heimaturlaub im Nest war vergessen. Ich, der tüchtigste On-Pirat der Milchstraße, war zurück auf der Pirsch. So sehr meine Untergebenen auch murren mochten und sich auf ein wenig Erholung freuten – wir durften diese Beute nicht entkommen lassen.
Dieses riesige Kugelschiff durfte ich keinesfalls ignorieren. Es versprach reiche Beute. Ruhm. Weitere Erzählungen, die ich in aller Bescheidenheit ausgeschmückt an den sanften Anuupi-Feuern des heimatlichen Nests zum Besten geben konnte.
Minplycc Grorm nahm zu meiner Rechten Platz. Natürlich saß er eine Stufe tiefer als ich. Er war ein ausgezeichneter Analyst und Stratege, dessen Arbeit ich mochte und dessen Kompetenz im Bereich Kampfstrategie an meine heranreichte. Ich würde ihn irgendwann still und leise loswerden müssen.
Nein, natürlich würde ich ihn nicht ermorden! Ich folge stets den strengen moralischen Richtlinien meiner Zunft. Ich bin ein On-Pirat!
Es würde einen bedauernswerten Unfall geben. Einen, bei dem ich Lichtjahre entfernt sein würde, sodass kein Verdacht auf mich fallen konnte. Wozu hatte man denn gedungene Handlanger?
Noch aber war mir Grorm von Nutzen. Er würde die Schwächen der Riesenkugel analysieren und mich beraten, sobald es ans Entern des Schiffs ging.
»Was meinst du?«, fragte ich ihn.
»Das ist ein Riesending«, sagte der Entermeister und ließ sein Emot grünzweifelnd aufleuchten. »Aber es hat Schwächen.«
»Ich bin derselben Meinung. Aber lass uns unsere Meinungen abgleichen: Welche Schwächen vermutest du?«
»Die Fremden verfügen über eine ähnliche Ortungstechnologie wie wir – aber sie beherrschen sie bei Weitem nicht so gut. Insbesondere in der Feinortung an den Randbereichen des Erfassbaren fehlt ihnen die Erfahrung im Umgang mit den Messgeräten. Andernfalls hätten sie uns längst registriert.«
»Du meinst also die ...«
»... die Ortung aus dem On-Raum in den Normalraum selbstverständlich.«
Grorm deutete auf die holografischen Darstellungen, die mich an das Gekritzel eines Betrunkenen erinnerten.
»Wir haben sie längst identifiziert«, fuhr der Entermeister fort. »Auch wenn sie ähnliche Instrumente wie wir besitzen mögen, so suchen sie doch ... falsch. Ungeübt. So, als wären sie mit der On-Technik nicht ausreichend vertraut. Der Spektralbereich ihrer Ortung ist eingeschränkt.«
»Natürlich, natürlich.« Ich zupfte einige Informationen aus einem anderen Holo hervor. »Das Beuteschiff steht dicht oberhalb der Photosphäre Voccs ...«
»... der Chromosphäre ...«
»... oberhalb der Chromosphäre Voccs. Richtig. Wie ich eben sagte. Und wir haben den Kugelraumer bereits erfasst, weil ...«
»... weil wir die Strahlungsabschattung des Kugelkörpers registriert haben. Wir sind nahe genug am Beuteschiff und von Traccnar abgewandt. Unsere Sensoren werden also nicht von den Strahlenschauern der großen Muttersonne irritiert.«
»Ganz richtig. Ich hätte es nicht besser formulieren können, Grorm.«
Das Emot des Entermeisters dunkelte ein klein wenig ab. Er war zornig, unterdrückte aber seine Gefühle so gut es ging. Er hasste mich gewiss. Es war wirklich Zeit für einen kleinen, bedauerlichen Unfall. Wenn ich nur wüsste, wo ich einen neuen, gleichermaßen begabten Entermeister herbekommen sollte!
Ich betrachtete die Bilder des Riesenraumers genauer. »Das sind definitiv keine Ladhonen«, sagte ich. »Die Bauweise des Schiffs erinnert an die der Liga-Terraner oder der Arkoniden.«
»Mag sein.« Grorms Emot spiegelte nun ein ruhiges, ausgeglichenes Braun wider. »Die Kugelform hat für sich allein genommen wenig zu sagen, sie ist weitverbreitet in der Milchstraße. Auch unsere eigenen Raumer haben eine ähnliche Bauweise.«
»Was, wenn es sich um einen alten Raumvater handelt?«, spekulierte ich. »Einen, den man in der Phase nach dem Weltenbrand umgebaut hat, um der Wirkung dieser Plage zu entkommen und weit genug reisen zu können?«
»Es wäre viel zu aufwendig gewesen, die bewegliche Antriebsgondel mit dem Impulstriebwerk ins Innere eines Raumvaters zu versetzen. Was hätte das für einen Sinn ergeben? Die Schwenkbarkeit der Triebwerke ist ein ausgezeichnetes, ein so gut wie unübertroffenes Prinzip.«
»Wir können es nicht ausschließen«, beharrte ich. »In der Zeit nach dem Weltenbrand geschahen die wundersamsten Dinge.«
»Und selbst wenn es so ist, Buunyn: Würde dich die Anwesenheit von Onryonen im Beuteschiff daran hindern, es anzugreifen und zu erobern?«
»Wo denkst du hin? Das wäre gegen unser Piratenethos!«
»Na also.«
»Aber wir sollten wissen, womit wir es zu tun haben.«
»Hat der berühmteste On-Pirat etwa Angst?«, fragte Grorm provokant.
»Nein. Der beste On-Pirat der Milchstraße manövriert sich aber nicht sehenden Auges in ein gefährliches Abenteuer. Dort drüben erwarten uns womöglich Tausende Wesen, die mit einer Kaperung nicht so recht einverstanden sein könnten. Sie könnten sich weigern, unsere Forderungen nach ein wenig Wegezoll zu erfüllen. So bescheiden unsere Bitten um Ablasszahlungen sein mögen.«
Ich dachte an Hyperkristalle, die der fremde Raumer in seinen Lagern liegen haben musste. An Technologien, die wir selbst nutzen oder auf einer illegalen Wissensbörse an den Meistbietenden verkaufen könnten. An wichtige Informationen.
Die Milchstraße, dieser Hort der Unwahrheiten, lechzte stets nach neuen Informationen, nach Interpretationen und nach dem, was allgemein als Wahrheit bezeichnet wurde.
Wahrheit ... Was für ein sinnentleertes Wort es doch war.
»Wir gehen so wenig Risiko wie möglich ein«, befahl ich mit lauter Stimme, damit jeder in der Zentrale mich hören konnte. »Wir setzen einen On-Legaten ein. Die Enterkommandos sollen sich bereithalten. Ihr wisst, was zu tun ist, sobald der On-Legat in Position gebracht worden ist. Ich erwarte, dass sich unsere Leute professionell verhalten. – Also los, bereitet alles vor! Was sitzt ihr so untätig herum? Ich will, dass binnen zehn Minuten alles für den Angriff bereit ist!«
*
Die On-Legaten waren unser ganzer Stolz. In aller Unbescheidenheit möchte ich darauf hinweisen, dass ich an ihrer Akquisition beteiligt war. In einem wahren Husarenstück hatte ich die beiden etwa siebzehn Meter hohen Zylinder für unsere Organisation ... übernommen.
Einige Lügner behaupten, dass dies nicht stimmen kann und die On-Legaten einer älteren Bauweise entspringen. Man könne diese Geräte heutzutage gar nicht mehr bauen, weil uns das Wissen verloren gegangen wäre.
Es mag sein, dass uns heutzutage die Kompetenz fehlt, einen On-Legaten nachzubauen. Aber das hat leider vor allem mit dem mangelnden Technikverständnis meiner Ingenieure zu tun.
Nun ja, der Posizid und die Datensintflut könnten etwas mit der Eroberung der Geräte zu tun gehabt haben. Ich gebe es zu. Sollte jemand behaupten, dass die On-Legaten bereits vor mehreren Hundert Jahren in den Besitz von uns On-Piraten gelangt seien, hätte er wohl recht.
Aber ich würde einer derartigen Behauptung auf jeden Fall widersprechen. Die Wahrheit ist ein wertvolles Gut. Vor allem, wenn ich das Privileg habe, sie zu interpretieren.
Ich betrachtete den On-Legaten aus nächster Nähe. Ich wollte mir seine Versetzung nicht entgehen lassen. Die Hülle glänzte leuchtend rot. Teile seiner Ummantelung waren ein wenig abgestoßen, da und dort entdeckte ich Beulen und Schleifspuren.
Die Zylinderform wurde durch zwei Einschnürungen durchbrochen, an die sich wiederum etwas breitere Wülste reihten. In den Wülsten war die Kompakttechnik des Linearantriebs verbaut, im Inneren steckten die voluminösen Energiespeicher des Geräts.
Ich berührte das Metall. Es fühlte sich warm an, doch das mochte Einbildung sein.
»Wir sind so weit, Buunyn«, sagte einer der Techniker. »Die Versetzung kann jederzeit erfolgen. Willst du das Kommando dazu geben ...?«
»Wer denn sonst?«