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Die Originalausgabe erschien 1978 im Kindler Verlag, Berlin.

Neuausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg bei Reinbek, April 2019

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ISBN 978-3-498-00108-7 (1. Auflage 2019)

ISBN E-Book 978-3-644-00290-6

www.rowohlt.de

 

Hinweis: Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe

ISBN 978-3-644-00290-6

Fußnoten

Neuerdings wird behauptet, daß Hitler 1917 als Soldat in Frankreich mit einer Französin einen unehelichen Sohn gezeugt habe. Auch wenn es stimmt – er hat ihn nie gekannt. Das Erlebnis der Vaterschaft fehlt in Hitlers Leben.

 

Stefan George (1868–1933), ein heute kaum mehr gelesener bedeutender Dichter und Männerbundgründer, wirkt in vielen Teilen seines späteren Werks, seit 1907, wie der Prophet des Dritten Reichs. Bemerkenswerterweise gefiel das Dritte Reich ihm gar nicht, als es dann kam. Den zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, am 12. Juli 1933, für ihn vorgesehenen großen staatlichen Ehrungen entzog er sich durch Emigration in die Schweiz, wo er noch im selben Jahr starb. Ein Mitglied des Georgekreises und einer der letzten Jünger des alternden Dichters war Claus Graf Stauffenberg, der das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler verübte und dafür mit seinem Leben zahlte. Ursprünglich hatte er Hitlers Machtergreifung enthusiastisch begrüßt. Das Kapitel deutscher Geistesgeschichte, das «George-Hitler-Stauffenberg» heißt, wartet noch darauf, geschrieben zu werden.

Eine Verwechslung: Es war Graf Schwerin von Schwanenfeld

Adolf Hitlers Vater war ein Aufsteiger. Der uneheliche Sohn einer Dienstmagd brachte es zu einer gehobenen Beamtenstellung und starb geehrt und angesehen.

Der Sohn begann als Absteiger. Er beendete die Realschule nicht, scheiterte an der Aufnahmeprüfung für die Kunstakademie und führte von seinem achtzehnten bis zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, erst in Wien, dann in München, ohne Beruf oder Berufsziel, eine Frührentner- und Bohemeexistenz. Seine Waisenrente und gelegentlicher Bilderverkauf hielten ihn über Wasser. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich freiwillig zur bayerischen Armee. Es folgten vier Jahre Frontdienst, in denen er sich durch Tapferkeit das Eiserne Kreuz beider Klassen erwarb, aber wegen mangelnder Führungsfähigkeiten nicht über den Rang eines Gefreiten hinauskam. Nach dem Kriegsende, das er als Gasversehrter in einem Heimatlazarett erlebte, blieb er ein Jahr lang ein «Kasernenbewohner». Berufspläne und -aussichten hatte er auch jetzt nicht. Er war nun dreißig Jahre alt.

In diesem Alter schloß er sich, im Herbst 1919, einer kleinen rechtsradikalen Partei an, in der er bald eine tonangebende Rolle spielte, und damit begann eine politische Laufbahn, die ihn schließlich zu einer geschichtlichen Figur gemacht hat.

Hitler lebte vom 20. April 1889 bis 30. April 1945, also ziemlich genau sechsundfünfzig Jahre, weniger als die normale

Die Kluft hat zu vielen Betrachtungen Anlaß gegeben, aber sie ist mehr scheinbar als wirklich. Nicht nur, weil auch Hitlers politische Laufbahn in ihren ersten zehn Jahren zerklüftet bleibt; und nicht nur, weil der Politiker Hitler im Endergebnis sich ja ebenfalls als Versager, nun allerdings größten Stils, herausgestellt hat. Sondern vor allem deswegen, weil Hitlers persönliches Leben auch in seinem zweiten, öffentlichen Lebensabschnitt inhaltsarm und kümmerlich geblieben ist, während umgekehrt sein politisches Innenleben schon in den ersten, äußerlich belanglosen Lebensjahrzehnten bei genauerem Hinsehen vieles Ungewöhnliche aufweist, mit dem sich alles Spätere vorbereitet.

Der Schnitt, der allerdings durch Hitlers Leben geht, ist kein Querschnitt, sondern ein Längsschnitt. Nicht Schwäche und Versagen bis 1919, Kraft und Leistung seit 1920. Sondern vorher wie nachher eine ungewöhnliche Intensität des politischen Lebens und Erlebens bei ungewöhnlicher Dürftigkeit des persönlichen. Schon der obskure Bohemien der Vorkriegsjahre lebte und webte im politischen Zeitgeschehen, als wäre er ein Spitzenpolitiker; und noch der Führer und Reichskanzler blieb in seinem persönlichen Leben ein arrivierter Bohemien. Das entscheidende Kennzeichen dieses Lebens ist seine Eindimensionalität.

Viele Biographien tragen als Untertitel unter dem Namen ihres Helden die Worte: «Sein Leben und seine Zeit», wobei das «und» mehr trennt als verbindet. Biographische und

In diesem Leben fehlt – «nachher» wie «vorher» – alles, was einem Menschenleben normalerweise Schwere, Wärme und Würde gibt: Bildung, Beruf, Liebe und Freundschaft, Ehe, Vaterschaft. Es ist, von der Politik und der politischen Leidenschaft einmal abgesehen, ein inhaltloses Leben, und daher ein zwar gewiß nicht glückliches, aber eigentümlich leichtes, leichtwiegendes, leicht wegzuwerfendes. Ständige Selbstmordbereitschaft begleitet denn auch Hitlers ganze politische Laufbahn. Und am Ende steht wirklich, wie selbstverständlich, ein Selbstmord.

Hitlers Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit[*] ist bekannt. Auch die Liebe hat in seinem Leben eine ungewöhnlich geringe Rolle gespielt. Es gibt ein paar Frauen in seinem Leben, nicht viele; er behandelte sie als Nebensache und machte sie nicht glücklich. Eva Braun versuchte aus Kummer über Vernachlässigung und ständige Kränkungen («er braucht mich

Hitler hatte keine Freunde. Mit untergeordneten Hilfskräften – Fahrern, Leibwächtern, Sekretären – liebte er stundenlang zusammenzusitzen, wobei er allein das Wort führte. In dieser «Chauffeureska» entspannte er sich. Eigentliche Freundschaft wehrte er lebenslang ab. Seine Beziehungen mit Männern wie Göring, Goebbels, Himmler blieben immer kühl-distanziert. Den einzigen unter seinen Paladinen, mit dem er aus Frühzeiten auf du und du stand, Röhm, ließ er erschießen. Gewiß hauptsächlich, weil er politisch unbequem geworden war. Die Duzfreundschaft aber war dabei jedenfalls kein Hemmnis. Wenn man Hitlers allgemeine Intimitätsscheu bedenkt, drängt sich sogar der Verdacht auf, daß Röhms verjährter Freundschaftsanspruch eher ein zusätzliches Motiv war, ihn aus der Welt zu schaffen.

Bleiben Bildung und Beruf. Eine geregelte Bildung hat Hitler nicht genossen; nur ein paar Jahre Realschule, mit schlechten Zensuren. Allerdings hat er in seinen Bummeljahren viel gelesen, aber – nach eigenem Eingeständnis – vom Gelesenen immer nur das aufgenommen, was er ohnedies schon zu wissen glaubte. Auf politischem Gebiet hatte Hitler das Wissen eines leidenschaftlichen Zeitungslesers. Wirklich beschlagen war er nur im Militärischen und Militärtechnischen. Hier befähigte ihn die praktische Erfahrung des Frontsoldaten, sich

Einen Beruf hat Hitler nie gehabt und nie gesucht; im Gegenteil, er hat ihn, solange Zeit dazu gewesen wäre, geradezu gemieden. Seine Berufsscheu ist ein ebenso auffallender Zug an ihm wie seine Ehescheu und seine Intimitätsscheu. Man kann ihn auch nicht etwa einen Berufspolitiker nennen. Politik war sein Leben, aber nie sein Beruf. In seiner politischen Frühzeit gab er als Beruf wechselnd Maler, Schriftsteller, Kaufmann und Werberedner an; später war er einfach der niemandem verantwortliche Führer – erst nur der Führer der Partei, schließlich Der Führer schlechthin. Das erste politische Amt, das er je bekleidete, war das des Reichskanzlers; und vom professionellen Standpunkt gesehen war er ein sonderbarer Reichskanzler, der wegreiste, wann er wollte, Akten las oder nicht las, wie und wann er wollte, Kabinettssitzungen nur unregelmäßig abhielt und seit 1938 überhaupt nicht mehr. Seine politische Arbeitsweise war niemals die des höchsten Staatsbeamten, sondern die eines ungebundenen, freischaffenden Künstlers, der auf seine Inspiration wartet, tagelang, wochenlang scheinbar faulenzt und sich dann, wenn ihn der Geist überkommt, in plötzliche, hektische Aktivität stürzt. Eine geregelte Tätigkeit hat Hitler zum ersten Mal in seinen letzten vier Lebensjahren ausgeübt, als militärischer Oberbefehlshaber. Da allerdings konnte er die täglichen zweimaligen

Vielleicht wird man sagen, Leere und Nichtigkeit des privaten Lebens sei nicht ungewöhnlich bei Männern, die sich ganz einem großen selbstgesetzten Ziel widmen und den Ehrgeiz haben, Geschichte zu machen. Ein Irrtum. Es gibt vier Männer, mit denen Hitler, aus jeweils verschiedenen Gründen, einen Vergleich herausfordert, den er allerdings nicht aushält: Napoleon, Bismarck, Lenin und Mao. Keiner von ihnen, auch Napoleon nicht, ist im Endergebnis so furchtbar gescheitert wie Hitler; das ist der Hauptgrund dafür, daß Hitler den Vergleich mit ihnen nicht besteht, aber er mag hier beiseite bleiben. Worauf wir im gegenwärtigen Zusammenhang hinweisen wollen, ist, daß keiner von ihnen so wie Hitler ein Nur-Politiker und auf allen anderen Gebieten eine Null war. Alle vier waren hochgebildet und hatten einen Beruf, in dem sie sich bewährt hatten, ehe sie «in die Politik gingen» und in die Geschichte eingingen: General, Diplomat, Anwalt, Lehrer. Alle vier waren verheiratet, Lenin als einziger kinderlos. Alle kannten die große Liebe: Josephine Beauhamais, Katharina Orlow, Inessa Armand, Tschiang Tsching. Das macht diese großen Männer menschlich; und ohne ihre volle Menschlichkeit würde ihrer Größe etwas fehlen. Hitler fehlt es.

Noch etwas fehlt ihm, das wir kurz erwähnen müssen, ehe wir zu dem kommen, was an Hitlers Leben wirklich der Betrachtung wert ist. Es gibt bei Hitler keine Entwicklung und Reifung seines Charakters und seiner persönlichen Substanz. Sein Charakter ist früh festgelegt – ein besseres Wort wäre vielleicht: arretiert – und bleibt sich auf eine erstaunliche Weise immer gleich; nichts kommt hinzu. Kein einnehmender Charakter. Alle weichen, liebenswürdigen, versöhnlichen Züge fehlen, wenn man nicht eine Kontaktscheu, die

Und damit genug von der Person und der unergiebigen persönlichen Biographie Hitlers und hinüber zu seiner politischen, die allerdings einer Betrachtung wert ist und der es auch, im Gegensatz zu der persönlichen, an Entwicklung und Steigerung nicht mangelt. Sie beginnt lange vor seinem ersten öffentlichen Auftreten und vollzieht sich in sieben Stufen oder Sprüngen.

  1. Die frühe Konzentration auf Politik als Lebensersatz.

  2. Die erste (noch private) politische Aktion: die Emigration von Österreich nach Deutschland.

  3. Der Entschluß, Politiker zu werden.

  4. Die Entdeckung seiner hypnotischen Fähigkeiten als Massenredner.

  5. Der Entschluß, Der Führer zu werden.

  6. Der Entschluß zur Unterordnung seines politischen Zeitplans unter seine persönliche Lebenserwartung. (Er ist zugleich der Entschluß zum Krieg.)

  7. Der Entschluß zum Selbstmord.

Schon das erwachende leidenschaftliche politische Interesse des Achtzehn- oder Neunzehnjährigen, der mit seinem künstlerischen Ehrgeiz gescheitert war, den Ehrgeiz als solchen aber in sein neues Interessengebiet mitbrachte, entsprach oder entsprang einer Zeitstimmung. Das Europa der ersten Vorkriegszeit war viel politischer als das heutige. Es war ein Europa der imperialistischen Großmächte – alle in dauernder Konkurrenz, dauerndem Positionskampf, dauernder Kriegsbereitschaft; das war spannend für jeden. Es war auch ein Europa der Klassenkämpfe und der versprochenen oder gefürchteten roten Revolution; auch das war spannend. So oder so wurde damals an jedem bürgerlichen Stammtisch, in jeder proletarischen Kneipe ständig politisiert. Das private Leben – nicht nur der Arbeiter, auch der Bürger – war damals viel enger und ärmer als heute. Aber dafür war jeder in den Abendstunden mit seinem Land ein Löwe oder ein Adler, mit seiner Klasse der Bannerträger einer großen Zukunft. Hitler, der sonst nichts zu tun hatte, war es den ganzen Tag. Politik war damals Lebensersatz, bis zu einem gewissen Grade für fast alle, für den jungen Hitler aber ganz und gar.

Nationalismus und Sozialismus waren mächtige, massenbewegende Losungen. Was für eine Sprengkraft mußten sie erst entfalten, wenn es gelang, sie irgendwie zu verbinden! Daß schon dem jungen Hitler dieser Einfall kam, ist möglich, nicht sicher. Er hat später geschrieben, er habe schon als Zwanzigjähriger, im Wien der Jahre um 1910, «das granitene

Der Hitlersche Antisemitismus ist osteuropäisches Gewächs. In Westeuropa und auch in Deutschland war Antisemitismus um die Jahrhundertwende im Abflauen, Assimilation und Integration der Juden erwünscht und in vollem Gange. Aber in Ost- und Südosteuropa, wo die zahlreichen Juden freiwillig oder unfreiwillig als abgesondertes Volk im Volke existierten, war (und ist?) der Antisemitismus endemisch und mörderisch, nicht auf Assimilation und Integration gerichtet, sondern auf Wegschaffen und Ausrotten. Und nach Wien, in dessen drittem Bezirk ja nach Metternichs bekanntem Wort der Balkan beginnt, reichte dieser mörderische, den Juden keinen Ausweg gönnende osteuropäische Antisemitismus tief hinein, dort schnappte ihn der junge Hitler auf. Wie, wissen wir nicht. Keine unangenehme persönliche Erfahrung ist berichtet, er selbst hat nichts dergleichen behauptet. Nach der Darstellung in «Mein Kampf» genügte die Wahrnehmung, daß Juden andere Menschen waren, für die Schlußfolgerung: «Weil sie anders sind, müssen sie weg.» Wie Hitler

Anders sein großdeutscher Nationalismus, das andere Produkt seiner Wiener Jahre. Er erzeugte 1913 den ersten politischen Entschluß seines Lebens – den Entschluß zur Emigration nach Deutschland.

Der junge Hitler war ein Österreicher, der sich nicht als Österreicher fühlte, sondern als Deutscher, und zwar als ein zu kurz gekommener, von Reichsgründung und Reich zu Unrecht ausgeschlossener, im Stich gelassener Deutscher. Damit teilte er die Gefühle vieler Deutschösterreicher seiner Zeit. Mit dem ganzen Deutschland hinter sich hatten die österreichischen Deutschen ihr Vielvölkerreich beherrschen und prägen können. Seit 1866 waren sie aus Deutschland ausgesperrt, in ihrem eigenen Reich eine Minderheit, gegen den erwachenden Nationalismus der vielen Muß-Österreicher auf die Dauer wehrlos, zu einer (nun schon mit den Ungarn geteilten) Vorherrschaft verurteilt, für die ihre Kraft und Zahl nicht mehr ausreichte. Man konnte aus einer so prekären Lage die verschiedensten Folgerungen ziehen. Der junge Hitler, im Folgerungenziehen immer schon stark, zog früh die radikalste: Österreich mußte zerfallen, aber bei diesem Zerfall mußte ein Großdeutsches Reich herauskommen, das alle deutschen Österreicher wieder umfaßte und dann die Kleinstaaten, die seine Miterben wurden, durch sein Schwergewicht wieder beherrschte. Im Geiste fühlte er sich schon nicht mehr als k.u.k.-Untertan, sondern als Bürger dieses kommenden Großdeutschen Reichs, und daraus zog er auch für sich selbst

Wir wissen heute, daß Hitler von Wien nach München emigrierte, um sich dem österreichischen Militärdienst zu entziehen. Daß dies nicht aus Drückebergerei und Feigheit geschah, bewies er, als er sich 1914 bei Kriegsausbruch sofort freiwillig meldete: nur eben bei der deutschen Armee, nicht bei der österreichischen. Der Krieg lag schon 1913 in der Luft; und Hitler wollte nicht für eine Sache kämpfen, von der er sich innerlich losgesagt hatte, und nicht für einen Staat, den er für verloren hielt. Er war damals noch weit davon entfernt, ein Politiker werden zu wollen – wie hätte er es als berufsloser Ausländer im deutschen Kaiserreich auch werden können? –, aber er handelte bereits politisch.

Im Kriege war Hitler politisch glücklich. Nur sein Antisemitismus blieb unbefriedigt – wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man den Krieg benutzt, um im Reiche den «Internationalismus», den er mit sz schrieb und mit dem er die Juden meinte, auszurotten. Aber sonst ging ja vier Jahre lang alles vorzüglich – Siege über Siege. Niederlagen hatten nur die Österreicher. «Mit Österreich wird die Sach kommen wie ich immer sagte», schrieb er bescheidwisserisch an Münchner Bekannte aus dem Felde.

Wir kommen nun zu Hitlers Entschluß, Politiker zu werden – einem der vielen, die er als «den schwersten meines Lebens» bezeichnet hat. Objektiv möglich gemacht wurde er durch die Revolution von 1918. Im Kaiserreich wäre für einen Ausländer in Hitlers sozialer Position nicht einmal der Ansatz zu einer politischen Tätigkeit gegeben gewesen, es sei denn vielleicht in der SPD, in die Hitler aber nicht paßte und die ja im übrigen, was Einfluß auf die tatsächliche Staatspolitik betraf, eine Sackgasse war. Erst die Revolution machte für

Wir betonen das so, weil es immer übersehen wird. Hitler führte sich bekanntlich als geschworener Feind der Revolution von 1918, des «Novemberverbrechens», in die Politik ein, und deswegen sträubt sich etwas dagegen, ihn als ihr Produkt zu erkennen. Aber objektiv war er das, ebenso wie Napoleon ein Produkt der Französischen Revolution war, die er ja auch in gewissem Sinne überwand. Beide wären ohne die vorangegangene Revolution undenkbar. Beide haben auch nichts wiederhergestellt, was die Revolution abgeschafft hatte. Sie waren ihre Feinde, aber sie nahmen ihr Erbe an.

Auch subjektiv gab der November 1918, wie man Hitler in diesem Fall glauben darf, den Anstoß zu seinem Entschluß, Politiker zu werden, wenn er ihn auch erst im Herbst 1919 wirklich faßte. Aber November 1918 war sein Erweckungserlebnis. «Nie wieder darf und wird es in Deutschland einen November 1918 geben», war, nach vielen politischen Grübeleien und Spekulationen, sein erster politischer Vorsatz, das erste konkrete Ziel, das sich der junge Privatpolitiker setzte – und übrigens das einzige, das er wirklich erreicht hat. Einen

Machen wir uns klar, was in diesem «Nie wieder ein November 1918» alles enthalten war. Es ist eine Menge. Erstens der Vorsatz, eine künftige Revolution in einer Lage wie der des November 1918 unmöglich zu machen. Zweitens aber – sonst hinge das erste ja in der Luft – der Vorsatz, eine solche Lage wiederherzustellen. Und das bedeutete, drittens, bereits, den verlorenen oder verlorengegebenen Krieg wiederaufzunehmen. Viertens mußte der Krieg aus einer inneren Verfassung heraus wiederaufgenommen werden, in der es keine potentiell revolutionären Kräfte gab. Von da aus war es nicht weit zum fünften: Abschaffung aller linken Parteien – und warum dann nicht, in einem Aufwasch, gleich aller Parteien? Da man aber das, was hinter den linken Parteien stand, die Arbeiterschaft, nicht abschaffen konnte, mußte man sie politisch für den Nationalismus gewinnen, und das bedeutete, sechstens, man mußte ihr Sozialismus bieten, jedenfalls eine Art von Sozialismus, eben einen Nationalsozialismus. Ihren bisherigen Glauben aber, den Marxismus, mußte man – siebentens – ausrotten, und das bedeutete – achtens – die physische Vernichtung der marxistischen Politiker und Intellektuellen, unter denen gottlob eine ganze Menge Juden waren, so daß man – neuntens, und Hitlers ältester Wunsch – auch gleich alle Juden ausrotten durfte.

Man sieht, Hitlers innenpolitisches Programm ist in dem Augenblick, da er in die Politik eintritt, fast komplett beisammen. Er hatte, zwischen dem November 1918 und dem Oktober 1919, als er Politiker wurde, ja auch Zeit genug gehabt, sich alles klarzumachen und zurechtzulegen. Und das muß man

Ein außenpolitisches Programm bescherte ihm das Erweckungserlebnis von 1918 noch nicht. Das hat er sich erst in den folgenden sechs oder sieben Jahren erarbeitet, aber wir wollen es hier gleich kurz miterledigen. Zuerst war nur der Entschluß da, den – nach Hitlers Meinung vorzeitig – abgebrochenen Krieg auf jeden Fall wiederaufzunehmen. Dann kam der Gedanke, den neuen Krieg nicht einfach als Wiederholung des alten anzulegen, sondern unter neuen, günstigeren Bündniskonstellationen, mit Ausnutzung der Gegensätze, die in und nach dem Ersten Weltkrieg die feindliche Koalition gesprengt hatten. Die Phasen, in denen sich dieser Gedanke entwickelt hat, und die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen Hitler in den Jahren 1920–1925 gespielt hat, lassen wir hier weg; sie sind in anderen Büchern nachzulesen. Das schließliche Ergebnis jedenfalls, in «Mein Kampf» niedergelegt, war ein Plan, der England und Italien als Verbündete oder wohlwollende Neutrale vorsah, die österreichisch-ungarischen Nachfolgestaaten und auch Polen als Hilfsvölker, Frankreich als einen vorweg auszuschaltenden Nebenfeind und Rußland als zu erobernden und dauernd zu unterwerfenden Hauptfeind, aus dem deutscher Lebensraum, «das deutsche Indien» gemacht werden sollte. Es ist der Plan, der dem Zweiten Weltkrieg

Wir stehen jetzt bei Hitlers Eintritt in die Politik und in die Öffentlichkeit, im Herbst und Winter 1919/20. Es war sein Durchbruchserlebnis, nach dem Erweckungserlebnis vom November 1918. Und zwar bestand der Durchbruch nicht so sehr darin, daß er in der Deutschen Arbeiterpartei, die er alsbald in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umtaufte, schnell der führende Mann wurde. Dazu gehörte nicht viel. Die Partei war, als er in sie eintrat, ein trüber Hinterstubenverein mit wenigen hundert wenig bedeutenden Mitgliedern. Sondern das Durchbruchserlebnis war die Selbstentdeckung seiner Redegewalt. Sie kann genau datiert werden, auf den 24. Februar 1920, an dem Hitler mit durchschlagendem Erfolg seine erste Rede in einer Massenversammlung hielt.

Die Fähigkeit Hitlers, Versammlungen der verschiedensten Menschen – je größer und je gemischter, desto besser – in eine homogene, knetbare Masse zu verwandeln, diese Masse erst in eine Art Trancezustand zu versetzen und ihr dann etwas wie einen kollektiven Orgasmus zu bereiten, ist bekannt. Sie beruhte nicht eigentlich auf Redekunst – Hitlers Reden liefen langsam und stockend an, hatten wenig logischen Aufbau und manchmal kaum einen klaren Inhalt; außerdem wurden sie mit einer heiser-rauhen, gutturalen Stimme vorgetragen –, sondern sie war eine hypnotische Fähigkeit, die Fähigkeit einer konzentrierten Willenskraft, sich eines kollektiven Unterbewußtseins, wo es sich zur Verfügung stellte, jederzeit zu bemächtigen. Diese hypnotische Massenwirkung war Hitlers erstes und lange Zeit sein einziges politisches Kapital. Wie

Wichtiger noch als die Wirkung auf die Massen war aber die Wirkung auf Hitler selbst. Man kann sie nur verstehen, wenn man sich vorstellt, wie es auf einen Mann, der Grund gehabt hat, sich für impotent zu halten, wirken muß, wenn er sich plötzlich imstande findet, Wunder der Potenz zu vollbringen. Hitler war schon früher, unter seinen Kriegskameraden, gelegentlich aus seiner normalen Schweigsamkeit in plötzliches wildes Reden und Sichereifern verfallen, wenn die Rede auf das kam, was ihn innerlich bewegte: die Politik und die Juden. Damals hatte er damit nur Befremden erregt und sich einen Ruf als «Spinner» erworben. Jetzt fand sich der «Spinner» plötzlich als ein Massenbeherrscher wieder, als der «Trommler», der «König von München». Aus dem stillen, bitteren Hochmut des Verkannten wurde dadurch das berauschte Selbstbewußtsein des Erfolgreichen.

Er wußte jetzt, daß er etwas konnte, was kein anderer konnte. Er wußte auch bereits, zumindest auf innenpolitischem Gebiet, genau, was er wollte; und er konnte nicht umhin zu bemerken, daß von den anderen, zunächst weit prominenteren Politikern der rechten Szene, auf der er in den nun folgenden Jahren eine Figur wurde, keiner wirklich genau wußte, was er wollte. Beides zusammen mußte ihm ein Gefühl der Einzigartigkeit geben, für das er immer schon, auch und gerade als Gescheiterter und «Verkannter», eine Anlage gehabt hatte. Daraus entwickelte sich allmählich der wohl wirklich größte und umwälzende Entschluß seines politischen Lebens: der Entschluß, Der Führer zu werden.

Dieser Entschluß läßt sich nicht datieren, und er wurde auch nicht durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst. Man kann sicher sein, daß es ihn in den Anfangsjahren von Hitlers

Bei näherer Bekanntschaft verlor sich dieser Respekt. Zu dem Bewußtsein sicherer Massenbeherrschung, das er mit keinem teilte, gesellte sich bei Hitler nach und nach das Gefühl politischer und intellektueller Überlegenheit über alle denkbaren Konkurrenten. Irgendwann muß dazu die weitere Erkenntnis – eine nicht selbstverständliche Erkenntnis – gekommen sein, daß es bei dieser Konkurrenz nicht etwa nur um die Ämterverteilung und Rangfolge in einer künftigen Rechtsregierung ging, sondern tatsächlich um etwas nie Dagewesenes: die Stellung eines allmächtigen, durch keine Verfassung oder Gewaltenteilung gehemmten, in keine kollegiale Führung eingebundenen Diktators auf Dauer.

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