Franz Zwerschina geboren 1982 in Salzburg, hat nach seiner Ausbildung zum Elektriker eine akademische Laufbahn eingeschlagen (Studium: Literatur), ehe er seine Leidenschaft für die Fotografie entdeckte. Er versteht sich selbst als Autodidakt, der handwerkliches Können sowie kreativen Schöpfergeist als Voraussetzung für seine Projekte versteht. In seiner Freizeit sammelt er außergewöhnliche Bücher und Transformer-Spielzeug. Außerdem faulenzt er gerne.
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Mit einfachen Mitteln zu authentischen Fotos
Franz Zwerschina
E-Mail: f.zwerschina@gmx.de
Web: www.franz-zwerschina.de
Instagram: zwerschina_photography
Lektorat: Steffen Körber
Copy-Editing: Petra Kienle, Fürstenfeldbruck
Satz: Nadine Thiele
Herstellung: Stefanie Weidner
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN:
Print 978-3-86490-592-6
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Ich widme dieses Buch meiner lieben Familie, besonders Mama, Papa
und Bruder. Man kann sich keine bessere Familie wünschen.
Vorwort
Begriffserklärung
Warum dieses Buch?
Licht, Kommunikation und Pose: die drei Eckpfeiler guter Porträts
Authentizität: der Versuch einer Definition
Natürlichkeit und Schönheit
Kapitel 1 Technik
Die Kamera: nur Mittel zum Zweck?
ISO, Verschlusszeit und Blende
Das Objektiv
Nützliches Zubehör
Checkliste: Was gehört in die Kameratasche?
Kapitel 2 Menschen
Modelle: Wo wir sie finden?
Mit professionellen Modellen shooten
Mit Hobby-Modellen shooten
Checkliste für die erfolgreiche Modellsuche
Denk einfach!
Kapitel 3 Licht
Warum es so wichtig ist
Wie Licht unsere Wahrnehmung beeinflusst
Der Zufall macht ein schönes Bild
Lass dich vom Licht finden
Sich den Umständen anpassen
Die Lichtcharakteristik oder die Mär vom weichen und harten Licht
Kapitel 4 Kommunikation
Vor dem Shooting
Wie sich unser Modell wohlfühlt
Bewegung ist Trumpf
Das Modell in den »Flow« versetzen
Ein bisschen Psychologie
Checkliste für das Shooting
Was tun, wenn es nicht läuft?
Nach dem Shooting ist vor dem Shooting
Kapitel 5 Posing
Die passende Rolle für jedes Modell
Welche Pose für welches Modell?
Die Kunst der Pose
Standort wechseln
Natürliches Posen
Inszenierte Natürlichkeit
Kopf und Oberkörper
Hände und Finger
Ober- und Unterkörper
Negativer Raum
Kapitel 6 Raum und Gestaltung
Die Kadrierung
Goldener Schnitt und Drittel-Regel
Die Perspektive
Trennung des Motivs vom Hintergrund mittels Unschärfe
Trennung vom Hintergrund mittels Farbe und Licht
High-Key und Low-Key
Natürliche Weichzeichnung
Kapitel 7 Schwarzweiß – mehr als nur ein Bild ohne Farbe
Der Anfang war schwarzweiß
Warum ein Schwarzweißporträt?
Praktische Gründe für Schwarzweiß
Schwarzweißumwandlung
Kapitel 8 Nachbearbeitung
Sinnvolle Nachbearbeitung?
Hautretusche und Manipulation
Gedanken zur Nachbearbeitung
Techniken der dezenten Nachbearbeitung
Kapitel 9 Herausforderung Aktfotografie
Unbedingter Gestaltungswille
Weniger ist mehr
Der Raum
Checkliste für ein gelungenes Aktshooting
Kapitel 10 Gedanken zur Fotografie
Eine Entscheidung
Vom Scheitern
Der Wert der Fotografie
Kapitel 11 Praxis-Workshops
Fotografieren mit Fensterlicht
Shooting on location
Die Sache mit dem Reflektor
Reflektor, die zweite
Sinnliches Porträt mit einfachem Setting
Porträtshooting am Busbahnhof
Beispiele aus der Praxis
Dank
Index
Ich habe lange überlegt, in welcher Tonalität ich dieses Buch schreiben sollte. Akademisch, nach Art der Schulbücher aus meiner Kindheit, die um Objektivität bemüht, aber langweilig zu lesen waren – oder methodisch, ein Nachschlagewerk sozusagen, das sich allein dem Handwerk der Fotografie widmet, technische Parameter wiedergibt und dabei künstlerische Ambitionen ausklammert. Vielleicht ist aber auch ein legerer Umgangston nötig, wie man ihn heute gern in Porträtratgebern findet – viele davon mehr Bildbände als Lehrbücher, in denen uns Fotografen ihre Sahnestückchen vorsetzen, mit Berufsmodels umgesetzt und perfekt nachbearbeitet. Hilfreich für Anfänger sind die wenigsten. Sie füllen ihre Seiten mit ausufernden Details zu Brennweiten, Blenden, Weißabgleich etc. – Information, die man jedem Kamerahandbuch entnehmen kann. Nicht falsch verstehen, es schadet nicht, sich diese Grundlagen anzueignen. Zu Beginn jedoch – und davon bin ich überzeugt – kann ein allzu technischer Zugang sogar ein Hemmschuh sein.
Dieses Buch richtet sich ausdrücklich an Menschen, die wissen wollen, wie man mit geringem Aufwand schöne und ausdrucksstarke Porträts macht. Es sind weder Blitzgeräte/Lampen/Filter noch teure Studios oder professionelle Mannequins notwendig. Die Porträts in diesem Buch sind bei natürlichem Licht – ohne zusätzliche Lampen – entstanden. Meine Nachbearbeitung beschränkt sich in der Regel auf eine Konvertierung in Schwarzweiß und minimale Kontrastangleichungen, oft genug verzichte ich komplett auf eine Nachbearbeitung. Die wenigen Beispiele für retuschierte Porträts sind speziell gekennzeichnet. Meine Modelle sind Bekannte, Freunde und Menschen, die an meiner Art zu fotografieren Gefallen finden. Einige kommen mehrmals in diesem Buch vor und zeigen, wie unterschiedlich wir Menschen ablichten können.
Ich habe weder Fotografie studiert noch eine Ausbildung in diesem Bereich genossen. Alles, was ich darüber weiß, habe ich mir angelesen und durch Nachahmung gelernt. Deshalb sollte man keine Gewissensbisse haben, wo wir Menschen doch alle elementaren Dinge nachahmend gelernt haben, wie man beim Blick auf Kleinkinder immer wieder feststellen kann. Gebärden, Sprache, Gehen – das alles haben wir uns abgeschaut und kopiert. Der amerikanische Schriftsteller Hunter S. Thompson betonte mehrfach, den kompletten Roman »Der große Gatsby« von F. Scott Fitzgerald mit seiner Schreibmaschine abgetippt zu haben, nur »um zu verstehen, wie es sich anfühlt, so großartig zu schreiben«. Gute Vorbilder schulen das Auge und schützen vor Geschmacklosigkeiten und billigem Plagiat. Unabdingbar bei jeder kreativen wie handwerklichen Arbeit ist der Mut, Fehler zu machen, und beständiges Üben.
Mithilfe dieses Buchs soll es Neulingen ermöglicht werden, mit wenig Aufwand großartige Bilder zu machen. Natürlich ist das nur eine Art und Weise, sich dem Thema »Porträt« zu nähern. Von zehn Fotografen arbeiten schließlich alle auf unterschiedliche Weise und fragt man drei Fotografen nach dem schönsten Licht, nennt der eine den Sonnenuntergang am Meer, der zweite das Morgenlicht in einem winterlichen Fichtenwald und der dritte schwärmt für den alten Blitzkopf seines Vaters.
Ein Filmstudent sagte mir einmal, im Film gebe es kein »richtig« oder »falsch«. Es gibt nur »etwas funktioniert« oder »etwas funktioniert nicht«. Ich denke, das kann man auch über die Fotografie sagen. Viele von den hier zu findenden Vorgehensweisen und Richtlinien haben sich für mich als hilfreich erwiesen, wollen aber zu keiner Sekunde allgemeingültige Regeln sein – allein über den Einsatz von Licht kann man Hunderte Seiten füllen. Doch das sei wissenschaftlichen Büchern vorbehalten. Und dieses Buch ist keine an Tatsachen orientierte Arbeit. Es soll im besten Fall ein persönlicher und lehrreicher Einblick in meine Arbeit, im schlechtesten ein Ansporn an die Leser sein, es bei ihren eigenen Porträts besser zu machen. Beide Fälle – denke ich – legitimieren dieses Buch. Ich möchte meine Erfahrung mit jenen teilen, die noch am Anfang ihres Werdegangs als Porträtfotograf stehen, und ihnen die Porträtfotografie schmackhaft machen. Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, wie ich es als Anfänger gerne gehabt hätte. Das heißt: ein Buch, in dem man nicht nur die schönen und gelungenen Aufnahmen sieht, sondern ein Buch, das auch die weniger guten und gezielt unvorteilhaften Bilder zeigt, damit man als Anfänger sieht, worauf man zu achten hat.
Im Buch finden sich einige Beispiele und Anekdoten aus der Welt des Kinos. Die Pioniere des Films haben bereits vor über hundert Jahren Beleuchtungsstile entwickelt, um Schauspieler vom Hintergrund abzuheben, die Haut weicher zu zeichnen oder räumliche Tiefe zu erzeugen. Vieles von dem, was heute zum Standardwissen über Licht und Bildgestaltung gehört, geht auf die Entwicklungen der Stummfilmära und noch weiter zurück. Die Geschichte des Films ist eng verwoben mit der Geschichte der Fotografie – eine fruchtbare Verbindung, der gemeinhin viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.
Schließlich muss ich um Nachsicht bitten, wenn ich in diesem Buch vorrangig männliche Begriffe verwende – eine Entscheidung, die ich allein der besseren Lesbarkeit wegen treffe. Wie in der Fotografie versuche ich auch beim Schreiben, den einfachen, gut verständlichen Weg zu gehen. Die Genderfrage habe ich mir dabei nie gestellt. Wir alle kennen den Unterschied zwischen den Geschlechtern, den man, wie ich finde, auch außerhalb der Literatur wie folgt benennen kann: Es gibt ihn nicht und wenn, dann nur dort, wo jemand Profit daraus schlagen, unterdrücken oder sich über einen Scheffel stellen möchte. Ungeachtet dessen, fotografiert jeder Mensch anders – Alter, Hautfarbe und Geschlecht spielen dabei nur insofern eine Rolle, als dass sich die Erfahrungen, die wir tagtäglich machen, unterscheiden. Über die Qualität sagt dies natürlich nichts aus.
Unter der Rubrik [Plauderecke] findet man Wissenswertes, das sich den Kapitelthemen aus einem anderen Blickwinkel nähert. Oft sind es Geschichten aus der Welt des Kinos, Interessantes zu Licht und Kunst oder private Erinnerungen. Unter [Tipp] findet man Ratschläge für angehende Fotografen. Auch hier lautet die Devise: Ausprobieren statt blinder Zustimmung. Dieses Buch wählt bewusst keinen allzu akademischen Zugang. Die wenigen, fachspezifischen Anmerkungen, die dennoch notwendig sind, findet man unter [Know-how].
Mir fehlt das besondere Talent für Fotografie. Meine bildliche Vorstellungskraft ist weder besonders ausgeprägt, noch verfüge ich über die beneidenswerte Fähigkeit, spannende Situationen vorauszuahnen. Ich arbeite eher chaotisch als strukturiert und es kommt vor, dass ich mich eine Minute nach einem Shooting nicht mehr an die Augenfarbe des Modells erinnern kann. Das ist kein Witz! Erst kürzlich fotografierte ich eine Schauspielerin bei Tageslicht mit einer ISO-Einstellung von 8.000. Ich hatte schlicht vergessen, die Belichtungsparameter passend einzustellen. Zugegeben, das kommt mittlerweile seltener vor als früher. Und dennoch – trotz dieser offensichtlichen Defizite treten Menschen an mich heran, um sich von mir fotografieren zu lassen! Warum? Der Grund dafür liegt in einer so einfachen wie banalen Tatsache: Als Fotograf kommt es nicht darauf an, perfekt zu sein! Weder in seinem Auftreten noch in seiner Arbeit. Wichtig ist die Motivation, aus der heraus man agiert. Außerdem die Fähigkeit, mit Menschen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Allein das richtige Wort zur richtigen Zeit kann ein Porträt zu etwas Besonderem machen. In den Händen eines guten Lichtsetzers wird alltägliches Fensterlicht zu einer sinnlichen Erfahrung. Wenn wir das Handwerk der natürlichen Porträtfotografie beherrschen wollen, müssen wir lernen, das Schöne im Einfachen zu erkennen.
[Plauderecke Meine Kindheit in den frühen neunziger Jahren war hinsichtlich der elektronischen Unterhaltung von drei Dingen geprägt: von Nintendos Gameboy, vom CD-Player und vom Fernsehen, wobei der Videorekorder als ultimative Wundermaschine galt. Die Möglichkeit, Filme auf Kassetten aufzuzeichnen oder aus den Videotheken auszuleihen, um sie zu Hause »jederzeit« anzusehen, war für uns Heranwachsende pure Magie. Man muss bedenken, es gab kein Internet, um Filme zu »streamen« oder sich überhaupt darüber zu informieren. Die spärlichen Informationen zu aktuellen Filmen bezogen wir aus Zeitschriften, die wir gelegentlich in Bahnhofskiosken fanden, dazu Geschichten von Mitschülern, die unter vorgehaltener Hand über diesen und jenen neuen, meist »brutalen« Film sprachen. Jeder Bildschnipsel galt uns als heilig, wenn er nur einen unserer Lieblingsschauspieler zeigte. Der Besuch in der Videothek war ein »sakrales« Ereignis und am Schulhof wurden die Filme des Vorabends besprochen, wobei Sebastian, der älteste unter uns, sogar die »Erwachsenenfilme« kannte, die im Nachtprogramm liefen. Da war die Rede von blutrünstigen Haien, Killermaschinen aus der Zukunft und mörderischen Clowns. Es dauerte nicht lange und ich war dieser Kunstform völlig ausgeliefert. Dabei merkte ich schnell, dass mich die Handlung der Filme weit weniger faszinierte als deren Atmosphäre. Wo sich Freunde über die brutalsten Szenen unterhielten oder über das Filmende diskutierten, erinnerte ich mich nur an »Stimmungen«: Die geheimnisvolle Tischszene zu Beginn von »E.T. – der Außerirdische«, die im Schneegestöber gleichsam furchterregenden wie schönen Wälder aus »Misery« oder die dampfenden Kanaldeckel in »Blade Runner«. Mir war schnell klar, das Entscheidende war nicht, was die Filme zeigten, sondern wie sie es zeigten. Erst viel später erkannte ich, wie essenziell der richtige Umgang mit Licht dabei war. Auch heute, fast drei Jahrzehnte später, hat sich daran nichts geändert. Ich achte in Filmen immer noch wenig auf die Handlung. An das Ende eines Films kann ich mich nur selten erinnern und Logiklöcher – falls sie mir überhaupt auffallen – stören mich nicht. Aber lass jemanden nachts durch eine schön ausgeleuchtete Straße laufen (wie etwa in »Eyes wide shut«), dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt.]
Als Wim Wenders 1981 den Film »Stand der Dinge« drehte, waren ihm und seinem Kameramann Henri Alekan die Bilder der damals modernen Zeiss-Objektive zu scharf und hart für die Geschichte, die sie erzählen wollten. Sie testeten einige Diffusionsfilter, um das Bild weicher zu bekommen, doch waren sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Schließlich ließ Alekan einen alten, abgewetzten Koffer aus Paris kommen, der von seiner Assistentin mit größter Hochachtung und wie ein Koffer voll roher Eier behandelt wurde. Zwischen Messgeräten, Filtern und handgemachten Apparaturen zog er schließlich ein Schächtelchen hervor, in dem ein unscheinbarer Ring lag, der mit einem transparenten Stück Stoff bespannt war. Es war der Nylonstrumpf seiner Mutter, aus der Anfangszeit der Damenmode – schon lange nicht mehr hergestellt. Er brachte den selbstgemachten Weichzeichner am Objektiv an und siehe da, endlich hatte das Bild den gewünschten, weichen Charakter.
Diese kleine Anekdote gleich zu Beginn soll exemplarisch für die Färbung dieses Buchs stehen: wie wir mit wenig Aufwand großartige Porträts anfertigen. Und wenn Wim Wenders eine Geschichte durch etwas so Einfaches wie einen Damenstrumpf erzählen kann, so werden wir ebenfalls imstande sein, die Kunst der Porträtfotografie mit einfachen Mitteln zu erlernen.
Ich weiß, wie zermürbend es am Anfang sein kann. Du hast voller Tatendrang ein Shooting organisiert, vielleicht sogar etwas Geld für ein schickes Hotelzimmer ausgegeben. Anna steht zum ersten Mal vor der Kamera, sie weiß nicht wohin mit den Armen, guckt ins Leere, wartet auf deine Anweisungen. Du stellst dein Modell direkt unter die Zimmerlampe und machst, was tausend andere Fotografen vor dir getan haben. Du feuerst los, willst so viele Fotos wie möglich machen – irgendwo im Hinterkopf die Anekdote, der große Peter Lindbergh macht Tausende Aufnahmen, von denen er später einige wenige herauspickt. Das beruhigt.
Anna wechselt zwischen zwei Posen: einmal die Hände unter dem Gesicht, der Blick verträumt ins Leere, und einmal die Arme in die Hüften gestemmt, mit Blick in die Kamera. Sie hat diese Posen tausendmal bei Germany's next Topmodel, in Modezeitschriften und im Internet gesehen. Du hingegen konzentrierst dich auf das Gesicht, möchtest einen Tick mehr Leidenschaft und bittest Anna, den Kopf leicht zu heben, ja, und Kinn nach rechts! Genau so! Die Zeit verfliegt.
War doch gar nicht so schwierig, denkst du, und verabschiedest Anna mit dem Hinweis, ihr die Bilder schnellstmöglich zu schicken. Schließlich hast du es nicht nötig, groß nachzubearbeiten. Zu Hause lädst du die Dateien voller Vorfreude auf den Rechner und öffnest das erste Bild. Au Backe! Sofort fällt dir das miserable Licht auf. Du lieber Himmel! Tiefe Augenringe zieren Annas Gesicht. Mit Schaudern wird dir klar, beim Shooting kein einziges Mal auf das Kameradisplay geguckt zu haben, um das Licht zu prüfen. Du könntest dich ohrfeigen. Annas Haare sehen dünn aus; war ihre Nase wirklich so groß?! Wie zum Henker konnte dir diese unschöne Halsfalte entgehen, die auf jedem zweiten Bild dominant zu sehen ist. Annas engagierte Posen entpuppen sich als völlig unbrauchbar und warum zum Teufel hast du nur zwei Fotos von ihrer – offensichtlich – vorteilhafteren, linken Gesichtsseite gemacht?! Nur zwei! Von zweitausend Fotos! Dass man den Markenzettel vom Kleid auf jedem dritten Bild sieht, passt wie die Faust aufs Auge. Ein merkwürdiges Gefühl von Scham kriecht deinen Rücken hoch und du hast nur zwei Gedanken. Wie erkläre ich das dem Modell und welches Hobby suche ich mir in Zukunft?
Diese Erfahrung hat jeder, ich wiederhole, jeder Fotograf in seinem Leben mindestens einmal gemacht. Wir dürfen uns darüber aber nicht über Gebühr grämen. Fehler zu machen, liegt in der Natur unseres Handwerks. Es braucht Mut und Hingabe, daraus zu lernen und sich Stück für Stück voranzuarbeiten.
Wenn wir die Geschichte genauer betrachten, finden wir sofort einige »Fehler«, die sich ganz einfach hätten vermeiden lassen. Fangen wir mit dem ersten Fehler an, dem gröbsten, dem wichtigsten: der falschen Lichtsetzung.
In der Geschichte hast du als angehender Fotograf ein Hotelzimmer gebucht. Und so du nicht völlig planlos agiert hast, wird sich dort auch ein Fenster befinden, vielleicht sogar eine Balkontür. Genau dort positionierst du dein Modell. Nicht mitten im Raum, nicht vor dem Spiegel im Bad, sondern direkt am Fenster. Dabei ist es anfangs völlig egal, ob du das Fensterlicht als Gegenlicht, Seitenlicht oder Frontallicht verwendest. Allein die Tatsache, dass Anna in der Nähe des Fensters steht, wird dein Porträt um ein Vielfaches verbessern. Das hat mit der Größe der Lichtquelle zu tun (dazu mehr im Kapitel Licht). Wir haben also die erste Zutat für unser Porträt: das Licht.
Ein weiterer Grund, warum die Bilder nicht funktionieren, liegt an der fehlenden Kommunikation. Es reicht nicht, dein Modell hinzustellen und abzuwarten, dass »zufällig« ein gutes Bild entsteht. Die spannenden und interessanten Momente muss man sich verdienen. Die meisten Menschen sind scheu vor der Kamera, sie lassen sich nicht gern in ihr Innerstes schauen, ihr Ausdruck bleibt verhalten. Darum ist das Herbeiführen und Festhalten des guten Augenblicks von größter Wichtigkeit. Menschen, die für uns vor der Kamera stehen, können äußerst verletzlich sein, vor allem wenn sie uns an ihren Emotionen teilhaben lassen. Darum müssen wir mit ihnen reden, ihnen mitteilen, warum wir an unserer Kamera hantieren oder das Licht ausrichten. In der Regel wissen sie nicht, warum wir an unseren Belichtungsrädchen drehen, Objektive wechseln und dem Licht hinterherjagen. Sie wollen einfach schöne Fotos. Haben wir erst einmal Vertrauen aufgebaut, läuft ein Shooting oft ganz von selbst. Ein zufriedenes Modell wird uns es mit großartigen Porträts danken. Die Porträtfotografie ist Teamarbeit, was eine gute Kommunikation voraussetzt.
Kommen wir zu der Pose. Viele Anfänger scheuen sich davor, mit ihrem Modell eine starke Pose zu erarbeiten. Sie scheuen sich davor, weil sie unsicher sind, wie ein gelungener Ausdruck zu erzielen ist.
In der Eingangsgeschichte variiert Anna zwischen zwei Posen, die sie sich von professionellen Modellen abgeschaut hat. Und dort liegt die Krux. Um großartig zu posen, muss man viel Zeit und Arbeit investieren. Professionelle Modelle wissen, wie sie ihren Körper in die entsprechende Spannung versetzen, um sich in größtmöglicher Makellosigkeit zu präsentieren. Das dürfen wir von unseren Porträtierten nicht erwarten. Man denke etwa an einen Amateur, von dem wir uns erhoffen, er könne kurzerhand ein neues Musikinstrument erlernen, nur weil er schon mal gesehen hat, wie das Instrument gespielt wird. Bei Shootings ohne professionelle Modelle ist es die Aufgabe des Fotografen, im Vorhinein dafür zu sorgen, unschöne Details zu erkennen und das Modell vorteilhaft in Szene zu setzen.
In den folgenden Kapiteln werden wir näher darauf eingehen und sehen, wie wir die einzelnen Bestandteile – also: Licht, Kommunikation und Pose – zu beherrschen lernen. Was tun, wenn man schmeichelhaftes Licht braucht und nur die harte Sonne zur Verfügung hat? Wie bringt man das Modell dazu, sich auf ein Shooting einzulassen? Wie reagiere ich, wenn die »Chemie« beim Shooting nicht stimmt? Woher stammen diese unschönen Augenringe im Gesicht? Und dieser seltsame Grünstich auf der Haut! Kann ich mit dem Licht eines kleinen Fensters ein hochkarätiges Porträt machen? Warum zum Henker wirkt die Pose meines Modells so plump und unbeholfen? Fragen, die ich mir selbst zu Beginn immer wieder gestellt habe und auf die es einfache Antworten gibt. Die Reihenfolge der Kapitel ist so gewählt, dass sie Anfängern einen sanften Einstieg in das Thema »Natürliche Porträtfotografie« bietet.
Die hier von mir aufgezählten Richtlinien im Umgang mit Licht, Kommunikation und Pose dürfen zu keiner Sekunde zum Dogma werden, sondern dienen nur als Anregung. Ein striktes Durchexerzieren von Regeln hemmt jede kreative, schöpferische Arbeit. Aber vergessen wir nicht, sie sind das Fundament unserer Arbeit. Viele begnadete Menschen – von den bildenden Künstlern über die Architekten bis hin zu den Lichtbildnern des Kinos – haben diese Richtlinien im Laufe der Jahrhunderte von einer bloßen Idee zur Theorie geformt und über die Jahre, stetig Ballast abklopfend, am Ende in eine stabile Form gegossen. Nutzen wir dieses Wissen!
»Genügt es denn nicht, dass ein Garten schön ist,
ohne dass man unbedingt glauben muss, dass Feen darin hausen?«
– Douglas Adams
In der Dokumentation Don`t blink wird der einflussreiche Fotograf Robert Frank nach der Definition eines guten Fotos gefragt. »Scharf müsse es sein«, antwortet Frank, dessen Bildband The Americans zu den wichtigsten Fotopublikationen überhaupt zählt, »damit man die Augen sieht, hoffentlich auch die Nase«. Und grinsend fügt er hinzu: »Die Leute sollten lächeln und »cheese« sagen.« Nur einige Augenblicke später erfahren wir die Wahrheit, wonach er schnell und unauffällig arbeite, er erwähnt, das erste Bild sei meist das beste, denn wenn jemand die Kamera bemerkt, verändere sich die Person und alle Natürlichkeit sei weg.
Heute würde man Robert Franks dokumentarische Arbeit wohl als Streetfotografie bezeichnen, ein Stil, der seine Wucht aus der Unmittelbarkeit des Augenblicks und dem gestalterischen Blick (Frank ist ein Meister des Lichts und der Perspektive) zieht. Für ihn gibt es nichts zu beschönigen. Er drückt im richtigen Moment ab, um ein authentisches Abbild der Welt zu erschaffen.
Doch in welchem Maße kann die Fotografie überhaupt als authentisch betrachtet werden? Viele Menschen verändern sich, sobald eine Kamera auf sie gerichtet wird. Sie zupfen an sich herum, werfen die Haare zurück, präsentieren oder verbergen ein Körpermerkmal. »Authentisch« ist ein anderes Wort für »echt« und »glaubhaft«. Ein Gemälde gilt demnach als authentisch, wenn sich seine Provenienz, also seine Herkunft und Echtheit, nachprüfen lässt. Ein Historienfilm hingegen kann authentisch sein, wenn Kleidung, Milieu und Sprechweise der damaligen Zeit adäquat wiedergegeben werden. Und wer kennt ihn nicht, den »authentischen« Politiker, der »kein Blatt vor den Mund nimmt« und sagt, was er denkt. In der Kunst wird »authentisch« gern als Synonym für eine »spontane« und »unmittelbare« Ausdrucksweise angesehen. Die Arbeiten von Robert Frank galten als »authentisch«, weil sie ungestellt und spontan entstanden sind.
Es überrascht nicht, dass Fotos, die das Modell unbeschwert und scheinbar zufällig »schön« zeigen, in der Regel auf den meisten Zuspruch stoßen. Oft wählen die Porträtierten nicht das »vom Licht her« gelungene und »vom Posing her optimale« Bild, sondern jene leicht verwackelte oder unscharfe Aufnahme. Ich erinnere mich, meine erste Kamera war ein schlichtes Gerät, das bei nicht optimalen Lichtverhältnissen schnell an seine Grenzen stieß. Da die Erhöhung der ISO-Zahlen bereits bei leichtem Anstieg zu einem körnigen Matsch führte, versuchte ich mit langen Belichtungszeiten entgegenzusteuern. Das Ergebnis waren leicht unscharfe Bilder mit kontrastarmer Sättigung. Und doch wurden diese Bilder in den Augen der Modelle gern bevorzugt. Ich denke, es ist das Lebendige, das den Menschen daran gefällt.
[Plauderecke Für den Schriftsteller Jack Kerouac (Unterwegs; Gammler, Zen und hohe Berge) war »Natürlichkeit« eine »intuitive« Ausdrucksweise und der unbedingte Verzicht auf nachträgliches Korrekturlesen. Von Kameramann Emmanuel Lubezki (The Revenant) ist bekannt, dass er am Filmset schon mal Hausdächer abnehmen oder zusätzliche Fenster einbauen lässt, um eine Szene bei natürlichem Licht zu drehen. Regisseur David Lynch hingegen findet das Authentische in einer verrosteten Brücke, die durch das Einwirken der Natur zu etwas Organischem und Schönem geworden ist. Die Aufzählung ließe sich unendlich weiterführen, was den Wunsch der Menschen nach Authentizität und Natürlichkeit untermauert.]
Die in diesem Buch vorgestellte Art der Porträtfotografie will ebenfalls authentisch sein (also »glaubhaft« und »echt«), sucht diese »Authentizität« aber nicht in der Wiedergabe der »Realität«, sondern im Zusammenspiel dreier Aspekte: