Mit acht Pinselzeichnungen
von Heinz Egger
Wir führen
nur sporadisch Buch.
Es geht um die
Denkwürdigkeiten.
Fast dämmert es schon unter den hohen
Bäumen der Badeanstalt, die ihre Kronen mit
den nahen Friedhofsbäumen verschränken.
Seit je schwebt leichter Karbolineumgeruch,
vermischt mit einem Hauch von Urin, über
den grünen Wassern. Frau Droz macht Kasse
und räumt das Leckereienkabäuschen auf,
sie will heim, läutet mit ihren Schlüsseln.
Während der junge Heilsarmeeoffizier zu
einem letzten Überschlag vom Einmeterbrett
ansetzt, greifen wir entschlossen nach den
Kugelschreibern und setzen unsere Signaturen
unter den Mietvertrag des Gebäudes,
der schon seit dem Morgen in doppelter
Ausführung vor uns auf den Badetüchern
liegt: Die Firma steht.
Kurz vor Feierabend versetzt Alexander,
unser kaufmännischer Lehrling, die junge
Belegschaft in Unruhe: Es gebe kein
richtiges Leben im falschen, habe er über
Mittag in einem Nachruf gelesen. Und er
fragt grübelnd nach, ob es das „richtige“
Leben vielleicht gar nicht gebe. Da unser
Dasein schon von Grund auf „falsch“ angelegt
sei: sodass es eigentlich nur das falsche
im falschen geben könne. Was ja dann
aber, minus mal minus ergibt plus, durchwegs
wieder zum „richtigen“ führen müsse.
Unsere Belegschaft atmet auf, hörbar.
Im Frühjahr entsteht neben dem florierenden
Betrieb eine Minigolfanlage, achtzehn
Bahnen, was bei den Angestellten natürlich
stets für unliebsame Ablenkung sorgt
und auch wochentags „viele Sportbegeisterte
samt Familie ans Schlageisen ruft“, wie
der Berichterstatter des Tagblattes elegant
festzuhalten weiß. – Am Samstag, es nieselt,
ziehen wir das Milchglas hoch, bis über den
Scheitelbereich.
Wir werden durchleuchtet. Der Wagen der
Frauenliga fährt vor – Schirmbild – und
macht uns alle ein wenig krank. Zuerst sind
die Männer an der Reihe, sie machen sich
schon im Freien oben frei. Einatmen. Stillhalten.
Ausatmen. „Aufatmen“, sagen die
Raucher und langen noch schnell nach einem
Sargnagel, bevor sie wieder an die Arbeit
gehen. „Nach dem Durchleuchten der
Damen riecht es jeweils weniger streng im
Wagen als bei den Herren, Angstschweiss
halt“, sagt der Fahrer, er raucht eine mit.
„Die strahlende Röntgenschwester hat uns
ja alles ganz leicht gemacht“, sagen wir,
versenken die Kippen im Abwasserschacht.
Irina, die wir kurz nach dem Scheitern des
Prager Frühlings bei uns aufgenommen
und dann gern in der Firma behalten haben,
trägt ein Medaillon um den Hals. Wer sich
denn unter dem feinen Golddeckel verstecke,
wollen wir immer wieder von ihr wissen.
Sie widersetzt sich den Neckereien konsequent,
„zieht den Eisernen Vorhang zu“,
sagt Graber und erschrickt, als Irina ihm
ihr Kleinod vor die Nase hält: Es ist ein Bildchen
des jungen Jan Palach, der sich aus
Protest gegen den sowjetischen Einmarsch
auf dem Wenzelsplatz selbst angezündet hat.
Vier Jahre zuvor, auf den Tag genau.
Wäre der Geschlechtsverkehr nicht offensichtlich
in geschäftseigenen Räumen
vollzogen worden, wir hätten darüber hinwegsehen
können: Die beiden Beteiligten
zeigen ihre erhitzten Gesichter, dahinter
unscharf das Firmenlogo. (Vom Fotografen,
der das Bild kurz nach Neujahr ans
Schwarze Brett gepinnt hat, keine Spur.)
Wir haben Stellung beziehen müssen und
halten fest: Es ist Liebe. Unterm Reisregen
der gesamten Belegschaft verlässt das
Hochzeitspaar kurz vor Mittag guter Hoffnung
die Kirche.
In unserem Firmenkeller wird getrommelt
und geschwitzt. Mittwochnachmittags
ist schulfrei, Kambers Sohn hat sich mit
drei Freunden und ihrem Schwermetall
zwischen den Kartoffelhorden eingerichtet.
Von fern nur erahnen wir Obergeschossigen,
was es heisst, wenn einem Hören und
Sehen vergehen soll. „Gezinst“ wird auf den
1. Januar, ein Gratiskonzert für die Belegschaft,
so steht’s im „Vertrag“. Noch wissen
wir nicht, ob wir uns darauf freuen oder
davor fürchten sollen.
Hutlose Lieferanten werden nicht empfangen!
Das Emailschild dräut über dem Geschäftseingang
unseres einzigen Untermieters, dem
permanent klammen Hutfabrikanten mit seinen
sieben Kindern. Aus Solidarität zu ihm und
seiner kleinen Belegschaft, der zarten Modistin