Ich war in Pagan, Burma, und nahm von dort den Dampfer nach Mandalay, aber ein paar Tage bevor ich dort ankam, entschloß ich mich, an Land zu gehen, als der Dampfer für die Nacht bei einem Dorf am Flußufer festmachte. Der Kapitän sagte mir, es gebe dort einen hübschen kleinen Klub, in dem ich mich wie zu Hause fühlen könne; man sei dort daran gewöhnt, daß immer mal Fremde den Dampfer verließen, und der Sekretär sei ein sehr netter Bursche; vielleicht könnte ich sogar eine Partie Bridge spielen. Ich hatte überhaupt nichts zu tun, also setzte ich mich in einen der Ochsenwagen, die am Landungssteg warteten, und wurde zum Klub gefahren. Ein Mann saß auf der Veranda, und als ich herankam, nickte er mir zu und fragte, ob ich einen Whisky-Soda oder einen Gin-Bitter haben wolle. Die Möglichkeit, daß ich gar nichts haben wollte, fiel ihm überhaupt nicht ein. Ich entschied mich für den leichteren Drink und setzte mich. Er war ein großer, dünner, sonnengebräunter Mann mit einem großen Schnurrbart und trug Khakihemd und Khakihose. Ich erfuhr seinen Namen nie, aber als wir uns eine Weile unterhalten hatten, kam ein anderer Mann herein, der mir sagte, er sei der Sekretär, und redete meinen Freund mit George an.
»Haben Sie schon etwas von Ihrer Frau gehört?« fragte er ihn.
Die Augen des anderen leuchteten auf.
»Ja, mit der letzten Post kamen Briefe. Sie amüsiert sich prächtig.«
»Hat sie Ihnen gesagt, Sie sollen sich nicht grämen?«
George lachte ein wenig, aber irrte ich mich, wenn ich einen kleinen Seufzer mitzuhören meinte?
»Sie hat es tatsächlich gesagt. Aber das ist leichter gesagt als getan. Natürlich weiß ich, daß sie einmal Ferien braucht, und ich bin froh, daß sie sie macht, aber es geht einem ziemlich an die Nieren.« Er wandte sich mir zu. »Sehen Sie, das ist das erste Mal, daß ich von meiner besseren Hälfte getrennt bin, und ohne sie bin ich wie ein verlorener Hund.«
»Wie lange sind Sie schon verheiratet?«
»Fünf Minuten.«
Der Klubsekretär lachte.
»Seien Sie kein Narr, George. Sie sind acht Jahre verheiratet.«
Nachdem wir ein Weilchen geredet hatten, sah George auf die Uhr, sagte, er müsse sich zum Dinner umziehen, und verließ uns. Der Sekretär beobachtete mit einem nicht unfreundlichen ironischen Lächeln, wie er in der Nacht verschwand.
»Jetzt, wo er allein ist, laden wir ihn alle so oft wie möglich ein«, erzählte er mir. »Er hängt schrecklich trübsinnig herum, seit seine Frau nach Hause gefahren ist.«
»Es muß sehr schön für sie sein zu wissen, daß ihr Mann so an ihr hängt.«
»Mabel ist eine bemerkenswerte Frau.«
Er rief nach dem Boy und bestellte weitere Drinks. An diesem gastfreundlichen Ort fragte man nicht, ob man etwas haben wollte; sie hielten es für selbstverständlich. Er machte
es sich auf seinem Liegestuhl bequem und steckte sich eine Manilazigarre an. Er erzählte mir die Geschichte von George und Mabel.Sie verlobten sich, als er auf Urlaub zu Hause war, und als er nach Burma zurückfuhr, wurde ausgemacht, daß sie in sechs Monaten nachkommen sollte. Aber eine Schwierigkeit jagte die andere. Mabels Vater starb, der Krieg brach aus, George wurde in einen für weiße Frauen ungeeigneten Distrikt versetzt. So dauerte es schließlich sieben Jahre, bevor sie nachreisen konnte. Er bereitete alles für die Hochzeit vor, die am Tage ihrer Ankunft stattfinden sollte, und fuhr nach Rangun hinunter, um sie abzuholen. Am Morgen, als das Schiff ankommen sollte, lieh er sich ein Auto und fuhr zu den Docks. Er ging auf dem Kai hin und her.
Dann, plötzlich und ohne Vorwarnung, verlor er die Nerven. Er hatte Mabel sieben Jahre nicht gesehen. Er hatte vergessen, wie sie war. Sie war ihm völlig fremd. Er fühlte, wie sich sein Magen umdrehte, und seine Knie begannen zu schlottern. Es ging über seine Kräfte. Er mußte Mabel sagen, daß es ihm leid tue, aber er könne sie nicht heiraten, wirklich nicht. Aber wie konnte ein Mann einem Mädchen so etwas sagen, das seit sieben Jahren mit ihm verlobt und sechstausend Meilen hergereist war, um ihn zu heiraten? Auch dazu hatte er nicht den Nerv. George wurde vom Mut der Verzweiflung gepackt. Am Kai lag ein Schiff, fertig zur Abfahrt nach Singapur; er schrieb Mabel einen eiligen Brief, und ohne ein Stück Gepäck, nur mit den Kleidern, die er am Leibe trug, sprang er an Bord.
Der Brief, den Mabel erhielt, lautete etwa folgendermaßen:
Liebste Mabel,
ich mußte plötzlich geschäftlich verreisen und weiß nicht, wann ich zurück sein werde. Ich denke, es ist klüger, wenn Du nach England zurückfährst. Meine Pläne sind sehr ungewiß. Dein Dich liebender George.
Aber als er in Singapur ankam, wartete ein Telegramm auf ihn.
VERSTANDEN. MACH DIR KEINE SORGEN. LIEBE. MABEL.
Die Angst verlieh ihm Geistesgegenwart.
›Du lieber Gott, ich glaube, sie ist hinter mir her‹, sagte er sich.
Er telegraphierte an das Schiffsbüro in Rangun, und richtig, ihr Name war auf der Passagierliste des Schiffes, das nach Singapur unterwegs war. Es galt, keinen Augenblick zu verlieren. Er erwischte den Zug nach Bangkok. Aber er war unruhig. Sie würde keine Schwierigkeit haben herauszufinden, daß er nach Bangkok gefahren war, und es war für sie genauso leicht, mit dem Zug zu fahren, wie für ihn. Glücklicherweise fuhr am nächsten Tag ein französischer Frachter nach Saigon. Er fuhr mit. In Saigon würde er sicher sein, sie würde nie darauf kommen, daß er dorthin gefahren war; und wenn sie darauf käme, würde sie inzwischen den Wink verstanden haben. Es ist eine Fünftagereise von Bangkok nach Saigon, und das Schiff ist schmutzig, eng und unbequem. Er war froh, als er endlich ankam, und nahm eine Rikscha zum Hotel. Er schrieb sich in die Hotelliste ein, und sofort wurde
ihm ein Telegramm übergeben. Es enthielt nur zwei Wörter: Liebe. Mabel. Sie genügten, um ihn in kalten Schweiß ausbrechen zu lassen.»Wann geht das nächste Schiff nach Hongkong?« fragte er.
Nun wurde seine Flucht ernst. Er fuhr nach Hongkong, wagte aber nicht, dort zu bleiben; er ging nach Manila; Manila war unheilverkündend. Er fuhr weiter nach Schanghai; Schanghai war nervenaufreibend. Jedesmal wenn er das Hotel verließ, erwartete er, Mabel in die Arme zu laufen. Nein, Schanghai war nicht genug. Das beste war, nach Yokohama zu gehen. Im Grandhotel von Yokohama wartete ein Telegramm auf ihn:
SEHR SCHADE, DASS ICH DICH IN MANILA VERPASST HABE. LIEBE. MABEL.
Fieberhaft durchforschte er die Schiffsnachrichten. Wo war sie jetzt? Er kehrte nach Schanghai zurück. Diesmal ging er direkt zum Klub und fragte nach einem Telegramm. Es wurde ihm ausgehändigt:
ANKOMME IN KÜRZE. LIEBE. MABEL.
Nein, nein, so leicht war er bestimmt nicht zu fangen. Er hatte schon alles geplant. Der Jangtse ist ein langer Fluß, und der Wasserspiegel des Jangtse fiel. Er konnte gerade noch den letzten Dampfer nehmen, der nach Chungking hinauffuhr, und dann konnte bis zum nächsten Frühjahr niemand mehr reisen, außer mit einer Dschunke. Eine solche
Reise kam für eine alleinstehende Frau nicht in Frage. Er ging nach Hankou und von Hankou nach Ichang, hier wechselte er das Schiff und fuhr von Ichang über die Stromschnellen nach Chungking. Aber er war jetzt verzweifelt; er würde kein Risiko mehr eingehen: es gab einen Ort namens Chentu, Hauptstadt von Sezuan, und er war vierhundert Meilen entfernt. Er konnte nur per Straße erreicht werden, und die Straße wurde von Räubern unsicher gemacht. Dort würde er sicher sein.Endlich konnte er ausruhen: Mabel würde ihn dort nie finden. Der Konsul war zufällig einer seiner Freunde, und er wohnte bei ihm. Er genoß die Bequemlichkeit eines luxuriösen Hauses, er genoß seine Muße nach der anstrengenden Flucht durch Asien, und vor allem genoß er seine göttliche Sicherheit. Faul vergingen die Wochen, eine nach der anderen.
Eines Morgens standen George und der Konsul auf dem Hof und betrachteten einige Raritäten, die ein Chinese ihnen zur Prüfung gebracht hatte, als laut an das große Tor des Konsulats geklopft wurde. Der Torwächter öffnete es. Eine von vier Kulis getragene Sänfte kam herein, näherte sich und wurde abgesetzt. Mabel trat heraus. Sie war sauber, kühl und frisch. Nichts in ihrer Erscheinung deutete darauf hin, daß sie eine vierzehntägige Reise über Land hinter sich hatte. George war versteinert. Er war bleich wie der Tod. Sie ging zu ihm.
»Hallo George, ich hatte solche Angst, daß ich dich wieder verpassen würde.«
»Hallo Mabel«, stammelte er.
Er wußte nicht, was er sagen sollte. Er sah hierhin und
dorthin: sie stand zwischen ihm und dem Ausgang. Sie sah ihn mit lächelnden blauen Augen an.»Du hast dich überhaupt nicht verändert«, sagte sie. »Männer können in sieben Jahren so schrecklich verfallen, und ich fürchtete, du könntest fett und glatzköpfig geworden sein. Ich war so nervös. Es wäre schrecklich gewesen, wenn ich mich nach all den Jahren nicht dazu hätte überwinden können, dich überhaupt noch zu heiraten.«
Sie wandte sich an Georges Gastgeber.
»Sind Sie der Konsul?« fragte sie.
»Das bin ich.«
»In Ordnung. Ich werde ihn heiraten, sobald ich gebadet habe.«
Und das tat sie.
Als ich Colombo verließ, hatte ich nicht die Absicht, nach Kengtung zu fahren, aber auf dem Schiff traf ich einen Mann, der mir erzählte, er habe fünf Jahre dort gelebt. Er sagte, es gebe dort einen bedeutenden Markt, der alle fünf Tage abgehalten werde und zu dem Eingeborene aus einem halben Dutzend Ländern und einem halben Hundert Stämmen kämen. Es gebe großartige, geheimnisumwobene Pagoden und eine Einsamkeit, die den suchenden Geist von seiner Furcht befreie. Er sagte, er wolle lieber dort als irgendwo anders auf der Welt leben. Ich fragte ihn, was diese Stadt ihm gegeben habe, und er antwortete: Zufriedenheit. Er war ein großer, dunkler Mann, und seine Gesten waren zurückhaltend wie die von Menschen, die lange allein an abgelegenen Orten gelebt haben. Solche Männer werden in Gesellschaft anderer ein wenig ruhelos, und obwohl sie im Rauchsalon eines Schiffes oder in der Bar eines Klubs redselig und gesellig sein können, wie alle anderen ihre Geschichten erzählen, Späße machen und sich manchmal freuen, von ihren ungewöhnlichen Erfahrungen erzählen zu können, scheinen sie immer etwas für sich zu behalten. In ihrem Inneren haben sie ein Leben, das sie vor anderen verborgen halten, und in ihren Augen liegt ein Blick, der nach innen gerichtet scheint und einem klarmacht, daß ihr verborgenes Leben das einzig Bedeutungsvolle für sie ist. Und ab und zu verraten ihre Augen den Überdruß an der Gesellschaft, in die der Zufall oder die Angst, anders zu wirken, sie für einen Moment gezwungen hat. Sie scheinen sich dann nach der öden Einsamkeit eines geliebten Ortes zu sehnen, an dem sie mit der Wirklichkeit, die sie dort gefunden haben, wieder alleine sein können.
Ebenso wie die Art dieser Zufallsbekanntschaft bewog mich das, was er mir erzählte, die Reise durch die Schan-Staaten zu machen, zu der ich nun aufbrach. Vom Anfang der Eisenbahnstrecke in Oberburma bis zu deren Ende in Siam, von wo ich nach Bangkok hinuntergelangen konnte, waren es sechs- bis siebenhundert Meilen. Freundliche Leute hatten alles nur mögliche getan, um mir den Ausflug bequem zu machen, und der Resident in Taungine hatte mir telegrafiert, daß bei meiner Ankunft Maultiere und Pferde bereitstehen würden. In Rangun hatte ich die Sachen gekauft, die mir nötig schienen, Klappstühle und einen Tisch, einen Trinkwasserfilter, Lampen und was weiß ich noch alles. Ich fuhr mit dem Zug von Mandalay nach Thaza, um dort einen Wagen nach Taungine zu mieten, und ein Mann, den ich im Klub in Mandalay getroffen hatte und der in Thaza lebte, lud mich ein, vor meiner Abreise mit ihm einen Brunch (die herrliche burmesische Mahlzeit, die Breakfast und Lunch gleichzeitig ist) einzunehmen. Er hieß Masterson. Er war ein Mann in den frühen Dreißigern, mit freundlichem Gesicht, dunklem, angegrautem, lockigem Haar und schönen dunklen Augen. Er sprach mit einzigartig melodiöser Stimme, sehr langsam, und das ließ einen, ich weiß kaum, warum, Vertrauen zu ihm haben. Man fühlte, daß ein Mann, der sich so viel Zeit nahm, um das zu sagen, was er sagen
wollte, und erfahren hatte, daß die Leute sich Zeit genug nahmen, ihm zuzuhören, Qualitäten haben mußte, die ihn seinen Mitmenschen sympathisch machten. Er war überzeugt, daß die Menschheit liebenswert sei, und ich nehme an, das gelang ihm nur, weil er selbst liebenswert war. Er hatte einen feinen Sinn für Humor, natürlich ohne Hieb und Parade, aber mit angenehmem Sarkasmus; deshalb angenehm, weil er auf die Wechselfälle des Lebens mit gesundem Menschenverstand reagierte und ihnen so einen leicht lächerlichen Aspekt abgewann. Sein Geschäft führte ihn fast das ganze Jahr über kreuz und quer durch Burma, und auf seinen Reisen war er Sammler geworden. Er erzählte mir, daß er alles Ersparte für burmesische Antiquitäten ausgebe, und in diesem Zusammenhang lud er mich zum Essen ein, um sie mir zu zeigen.Der Zug kam früh am Morgen an. Er hatte mir gesagt, daß er mich nicht abholen könne, da er in seinem Büro sein müsse; aber der Brunch sollte um zehn sein, und er sagte mir, ich solle zu ihm nach Hause gehen, wenn ich mit den ein oder zwei Dingen, die ich in der Stadt zu erledigen hatte, fertig sei.
»Fühlen Sie sich wie zu Hause«, sagte er, »und wenn Sie einen Drink wollen, sagen Sie dem Boy Bescheid. Ich komme, sobald ich meine Arbeit erledigt habe.«
Ich machte eine Autogarage ausfindig und verabredete mit dem Besitzer eines sehr heruntergekommenen Ford, mich und mein Gepäck nach Taungine zu bringen. Ich ließ meinen Madras-Diener da, der darauf achten sollte, daß soviel wie möglich eingepackt und der Rest auf den Trittbrettern festgezurrt wurde, und schlenderte zu Mastersons Haus. Es war
ein hübscher kleiner Bungalow in einer von großen Bäumen beschatteten Straße und sah im frühen Licht des sonnigen Tages sauber und anheimelnd aus. Ich ging die Treppe hinauf und wurde von Masterson begrüßt.»Ich bin schneller fertig geworden, als ich dachte. Ich habe Zeit, Ihnen meine Sachen zu zeigen, bevor der Brunch fertig ist. Was möchten Sie? Ich fürchte, ich kann Ihnen nur einen Whisky-Soda anbieten.«
»Ist es dafür nicht ein bißchen früh?«
»Ein bißchen schon. Aber es ist eine Hausregel, daß niemand die Schwelle überschreitet, ohne etwas zu trinken.«
»Was soll ich machen? Ich beuge mich der Regel.«
Er rief nach dem Boy, und sofort brachte ein adretter Burmese eine Karaffe, einen Siphon und Gläser herein. Ich setzte mich und sah mich im Zimmer um. Obwohl es noch so früh war, brannte die Sonne draußen heiß, und die Jalousien waren zugezogen. Das Licht war angenehm kühl nach der brennend hellen Straße. Das Zimmer war mit Rohrstühlen bequem eingerichtet, und Aquarelle mit englischen Szenen hingen an den Wänden. Sie waren ein wenig steif und altmodisch, und ich vermutete, daß sie von der unverheirateten ältlichen Tante meines Gastgebers in ihrer Jugend gemalt worden waren. Es waren zwei von einer Kathedrale, die ich nicht kannte, zwei oder drei von einem Rosengarten und eins von einem georgianischen Haus. Als er sah, daß ich es länger betrachtete, sagte er:
»Das war unser Haus in Cheltenham.«
»Oh, stammen Sie von dort?«
Dann war da seine Sammlung. Das Zimmer war voller Buddhas und Holz- oder Bronzefiguren von Buddhas
Schülern; es gab Schachteln in allen Formen, Utensilien der einen oder anderen Art, alle möglichen Raritäten, und obwohl es viel zu viele waren, waren sie mit gewissem Geschmack arrangiert. Er besaß einige sehr schöne Stücke. Er zeigte sie mir voller Stolz, erzählte mir, wie er dieses oder jenes Objekt bekommen hatte, wie er von einem anderen gehört und es erjagt hatte, und von der unglaublichen Raffinesse, die er angewendet hatte, um einen sich sträubenden Besitzer zu überreden, sich davon zu trennen. Seine freundlichen Augen strahlten, wenn er einen großartigen Kauf beschrieb, und funkelten düster, wenn er über die Unvernunft eines Händlers schimpfte, der, anstatt einen guten Preis für eine Bronzeschale zu akzeptieren, sie wieder mitgenommen hatte. In dem Zimmer waren Blumen, und es machte nicht den verlorenen Eindruck so vieler Junggesellenbehausungen im Osten.»Sie haben sich’s sehr gemütlich eingerichtet«, sagte ich.
Er sah sich flüchtig im Zimmer um.
»Es war gemütlich. Jetzt kaum noch.«
Ich verstand nicht genau, was er meinte. Dann zeigte er mir eine lange, vergoldete, mit Glasmosaik geschmückte Holzschachtel, wie ich sie in dem Palast von Mandalay bewundert hatte, aber sie war feiner gearbeitet als alles, was ich dort gesehen hatte, und ihre schmuckähnliche Pracht besaß tatsächlich etwas von der kunstvollen Feinheit der italienischen Renaissance.
»Man hat mir erzählt, sie sei ungefähr zweihundert Jahre alt«, sagte er. »Man hat schon lange nichts Derartiges mehr gefunden.«
Es war ein Stück, das offensichtlich für den Palast eines Königs gemacht worden war. Es war ein Juwel.
»Wie sieht sie innen aus?« fragte ich.
»Ach, nichts Besonderes. Sie ist einfach nur lackiert.«
Er öffnete sie, und ich sah, daß sie drei oder vier gerahmte Fotografien enthielt.
»Oh, ich hatte vergessen, daß die da drin waren«, sagte er.
Seine weiche, musikalische Stimme hatte einen seltsamen Unterton, und ich sah ihn von der Seite an. Er war von der Sonne gebräunt, aber dennoch konnte man sehen, daß er errötete. Er wollte die Schachtel schließen, änderte dann aber seine Meinung. Er nahm eine der Fotografien heraus und zeigte sie mir.
»Manche dieser burmesischen Mädchen sind wirklich süß, wenn sie jung sind, oder?« fragte er.
Das Foto zeigte ein junges Mädchen, das recht selbstbewußt vor dem konventionellen Hintergrund, einer Pagode und einer Gruppe Palmen, in einem Fotoatelier stand. Sie trug ihre besten Kleider und hatte eine Blume im Haar. Aber die Verlegenheit, die sie sichtlich empfand, weil ein Bild von ihr gemacht wurde, verhinderte nicht ein scheues, zitterndes Lächeln auf ihren Lippen, und ihre großen, ernsten Augen zwinkerten schelmisch. Sie war sehr klein und sehr zart.
»Was für ein hinreißendes kleines Ding«, sagte ich.
Dann nahm Masterson ein anderes Foto heraus, auf dem sie mit einem Baby in den Armen dasaß und einen Jungen neben sich stehen hatte, der seine Hand furchtsam auf ihr Knie legte. Der Junge starrte geradeaus, mit ängstlicher Miene, er konnte nicht verstehen, was diese Maschine und der Mann dahinter, mit dem Kopf unter einem schwarzen Tuch, vorhatten.
»Sind das ihre Kinder?« fragte ich.
»Und meine«, sagte Masterson.
In dem Moment kam der Boy herein und sagte, der Brunch sei fertig. Wir gingen ins Eßzimmer und setzten uns.
»Ich weiß nicht, was Sie zu essen bekommen werden. Seit mein Mädchen weggegangen ist, geht es im Haus drunter und drüber.«
Ein verdrossener Ausdruck erschien auf seinem roten, ehrlichen Gesicht, und ich wußte nicht, was ich antworten sollte.
»Ich bin so hungrig, daß alles, was ich bekomme, gut sein wird«, sagte ich.
Er sagte gar nichts, und eine Platte mit dünnem Porridge wurde vor uns hingestellt. Ich nahm Milch und Zucker. Masterson aß einen oder zwei Löffel und schob seinen Teller beiseite.
»Ich wünschte, ich hätte diese verfluchten Fotos nicht angesehen«, sagte er. »Ich hatte sie extra weggelegt.«
Ich wollte nicht neugierig sein oder meinen Gastgeber zu Vertraulichkeiten bewegen, die er nicht zu offenbaren wünschte, aber ich wollte auch nicht zu uninteressiert scheinen oder ihn daran hindern, mir etwas zu erzählen, das er auf dem Herzen hatte. Schon oft hat mir ein Mann auf einem einsamen Dschungelposten oder allein in einem steifen, pompösen Haus mitten in einer wimmelnden chinesischen Stadt Geschichten über sich erzählt, von denen ich sicher bin, daß er sie niemals vorher irgend jemandem erzählt hatte. Ich war eine flüchtige Bekanntschaft, die er nie zuvor gesehen hatte und nie wieder sehen würde, für einen Augenblick ein Wanderer durch sein monotones Leben, und irgendein ausgehungerter Impuls ließ ihn dann seine Seele bloßlegen.
So habe ich in einer Nacht mehr über Männer erfahren (bei einem oder zwei Siphons und einer Flasche Whisky sitzend, die feindliche, unerklärliche Welt außerhalb des Scheins einer Azetylenlampe), als es möglich gewesen wäre, wenn ich sie zehn Jahre lang gekannt hätte. Wenn man sich für die menschliche Natur interessiert, ist das eine der großen Freuden des Reisens. Verabschiedet man sich dann, um zu Bett zu gehen (denn man muß zeitig aufstehen), sagen sie einem manchmal: »Ich fürchte, ich habe Sie mit diesem ganzen Unsinn zu Tode gelangweilt. Ich habe in sechs Monaten nicht soviel geredet. Aber es hat mir gutgetan, es loszuwerden.«Der Boy nahm die Porridgeteller fort und gab uns jedem ein Stück hellen gebratenen Fisch. Er war ziemlich kalt.
»Der Fisch schmeckt scheußlich, oder?« sagte Masterson. »Ich hasse Flußfisch, außer Forelle; man kann ihn nur mit Worcestersoße ertragen.«
Er nahm sich reichlich und gab mir die Flasche.
»Sie war eine verdammt gute Hausfrau, mein Mädchen; als sie noch hier war, habe ich wie ein Scheunendrescher gefuttert. Sie hätte den Koch in einer Viertelstunde aus dem Haus gejagt, wenn er so einen Fraß hereingeschickt hätte.«
Er lächelte mir zu, und ich bemerkte, daß sein Lächeln sehr sanft war. Ich sah ihn besonders freundlich an.
»Es war einigermaßen schwierig, mit ihr auszukommen, wissen Sie.«
Jetzt war es ziemlich klar, daß er reden wollte, und ich zögerte nicht, ihm eine Brücke zu bauen.
»Haben Sie sich gestritten?«
»Nein. Man konnte es kaum Streiten nennen. Sie lebte fünf Jahre mit mir, und wir haben uns noch nicht mal ein
bißchen geärgert. Sie war das bestgelaunte kleine Ding, das es je gab. Nichts schien sie aufzuregen. Sie war immer kreuzfidel. Man konnte sie nicht ansehen, ohne daß ihre Lippen anfingen zu lächeln. Sie war immer glücklich. Und es gab auch keinen Grund, warum sie es nicht sein sollte. Ich war immer gut zu ihr.«»Das glaube ich gern«, antwortete ich.
»Sie war die Herrin des Hauses. Ich gab ihr alles, was sie wollte. Vielleicht wäre sie nicht weggegangen, wenn ich ein bißchen grober gewesen wäre.«
»Sie bringen mich noch dazu, den Gemeinplatz zu äußern, daß Frauen unberechenbar sind.«
Er sah mich flehend an, und in dem Lächeln, das kurz in seinen Augen aufflackerte, war eine Spur von Schüchternheit.
»Würde es Sie sehr langweilen, wenn ich Ihnen davon erzählte?«
»Natürlich nicht.«
»Nun ja, eines Tages sah ich sie auf der Straße, und sie gefiel mir. Ich habe Ihnen ihre Fotografie gezeigt, aber sie wird ihr nicht annähernd gerecht. Es klingt dumm, so etwas über ein burmesisches Mädchen zu sagen, aber sie war wie eine Rosenknospe, keine englische Rose, wissen Sie, das war sie so wenig, wie die Glasblumen auf dem Kasten, den ich Ihnen gezeigt habe, richtige Blumen sind, sondern wie eine Rose, die in einem östlichen Garten gewachsen ist, die etwas Fremdes und Exotisches an sich hat. Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll.«
»Ich denke, ich verstehe trotzdem, was Sie meinen«, sagte ich lächelnd.
»Ich sah sie zwei- oder dreimal und fand heraus, wo sie wohnte. Ich schickte meinen Boy los, um Erkundigungen über sie einzuholen, und er sagte mir, ihre Eltern wären einverstanden, ich könnte sie haben, wenn wir uns arrangieren würden. Ich wollte nicht feilschen, und alles wurde schnell geregelt. Ihre Familie gab eine Party, um das Ereignis zu feiern, und sie kam und lebte hier. Natürlich behandelte ich sie in jeder Hinsicht wie meine Frau und übertrug ihr den Haushalt. Ich sagte den Boys, daß sie ihren Befehlen zu gehorchen hätten, und wenn sie sich über einen von ihnen beschwerte, flog er raus. Wissen Sie, so mancher hält sich sein Mädchen als Hauspersonal, und wenn er unterwegs ist, hat das Mädchen ein ganz mieses Leben. Nun, ich denke, es ist gemein, so was zu machen. Wenn man ein Mädchen hat, das mit einem leben soll, muß man zumindest dafür sorgen, daß es ihr gutgeht.
Sie war großartig, und ich freute mich wie ein Schneekönig. Sie hielt das Haus makellos sauber. Sie ging sparsam mit meinem Geld um. Sie achtete darauf, daß die Boys mich nicht bestahlen. Ich lehrte sie Bridge, und, glauben Sie mir, sie lernte es verdammt gut.«
»War sie gerne hier?«
»Sehr. Wenn Leute herkamen, hätte sie sie nicht besser empfangen können, und wenn sie eine Herzogin gewesen wäre. Manchmal mußte ich über die Selbstsicherheit lachen, mit der sie meine Gäste empfing, Regierungsbeamte, wissen Sie, und Soldaten, die hier durchkamen. Wenn ein junger Subalterner ein wenig schüchtern war, nahm sie ihm sofort seine Befangenheit. Nie drängte sie jemanden oder war aufdringlich, sie war einfach da, wenn sie gebraucht wurde, und
tat ihr Bestes, damit alles richtig lief und jeder sich wohl fühlte. Und ich will Ihnen was sagen, sie konnte den besten Cocktail mixen, den es zwischen Rangun und Bhamo gab. Die Leute sagten immer, ich sei gut dran.«»Ich muß sagen, ich denke das auch«, sagte ich.
Der Curry wurde serviert, und ich häufte Reis auf meinen Teller, nahm von dem Huhn und wählte aus einem Dutzend kleiner Schälchen die Zutaten, die ich gerne aß. Der Curry war gut.
»Dann bekam sie die Kinder, drei in drei Jahren, aber eins starb mit sechs Wochen. Ich habe Ihnen ein Foto gezeigt von den beiden, die noch leben. Komische kleine Zwerge, nicht? Lieben Sie Kinder?«
»Ja. Ich habe eine seltsame und fast unnatürliche Schwäche für kleine Babys.«
»Ich eigentlich nicht, wissen Sie. Ich konnte noch nicht mal viel für meine eigenen empfinden. Ich habe mich oft gefragt, ob man merkte, daß ich ein ziemlicher Rabenvater war.«
»Bestimmt nicht. Ich glaube, die Passion, die viele Leute Kindern gegenüber hegen, ist nur eine modische Pose. Ich vermute fast, daß es Kindern besser geht, wenn sie nicht mit zuviel elterlicher Liebe belastet werden.«
»Dann bat mich mein Mädchen, sie zu heiraten, ich meine legal, nach englischem Recht. Ich hielt das für einen Witz. Ich wußte nicht, wie sie sich so was in den Kopf setzen konnte. Ich dachte, es sei nur eine Laune, und schenkte ihr ein goldenes Armband, um sie zu beruhigen. Aber es war keine Laune. Sie meinte es ganz ernst. Ich sagte ihr, das käme nicht in Frage. Aber Sie wissen, wie Frauen sind; wenn sie
sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, lassen sie einem keine Ruhe mehr. Sie schmeichelte und schmollte, sie weinte, sie appellierte an meine Liebe, sie versuchte, mir ein Versprechen abzuluchsen, als ich ziemlich betrunken war, sie lag auf der Lauer, wenn ich mich verliebt fühlte, sie erwischte mich fast, als sie krank war. Ich glaube, sie beobachtete mich genauer, als ein Börsenmakler jemals den Markt beobachtet hat, und ich wußte, wie natürlich sie auch schien, wie sehr sie auch von etwas anderem gefesselt schien, sie war immer auf dem Sprung nach dem unachtsamen Moment, wo sie über mich herfallen und ihr Ziel erreichen könnte.«Wieder zeigte mir Masterson sein langsames, treuherziges Lächeln.
»Ich vermute, die Frauen sind auf der ganzen Welt ziemlich gleich«, sagte er.
»Wahrscheinlich«, antwortete ich.
»Eine Sache, die ich nie verstehen konnte, ist, warum eine Frau es für lohnend hält, einen zu etwas zu bewegen, was man nicht tun will. Lieber will sie, daß man eine Sache widerwillig tut, als daß man sie überhaupt nicht tut. Ich verstehe nicht, was für eine Befriedigung ihnen das gibt.«
»Die Befriedigung des Triumphs. Ein Mann, der gegen seinen Willen überzeugt wird, kann immer noch der gleichen Meinung sein, aber eine Frau kümmert das nicht. Sie hat gesiegt. Sie hat ihre Macht bewiesen.«
Masterson zuckte die Achseln. Er trank eine Tasse Tee.
»Sehen Sie, sie sagte, früher oder später würde ich eine englische Frau heiraten und sie rausschmeißen. Ich sagte, ich dächte nicht ans Heiraten. Jaja, sagte sie, wisse sie. Aber selbst wenn ich es nicht täte, würde ich eines Tages
weggehen und nach England zurückkehren. Und was würde dann aus ihr? So ging das ein Jahr lang. Ich blieb standhaft. Dann sagte sie, wenn ich sie nicht heiratete, würde sie gehen und die Kinder mitnehmen. Ich sagte ihr, sie solle nicht so eine dumme kleine Närrin sein. Sie sagte, wenn sie mich jetzt verlassen würde, könnte sie einen Burmesen heiraten, aber in ein paar Jahren würde sie niemand mehr wollen. Sie begann, ihre Sachen zu packen. Ich hielt es nur für einen Bluff und ging darauf ein: Ich sagte: ›Gut, geh, wenn du willst, aber wenn du das tust, kommst du mir nicht mehr zurück.‹ Ich dachte nicht, daß sie dieses Haus aufgeben würde und die Geschenke, die ich ihr gemacht hatte, und all die Vorteile, um zu ihrer Familie zurückzugehen. Sie waren arm wie die Kirchenmäuse. Nun, sie packte weiter. Sie war mir gegenüber genauso freundlich wie immer, sie war fröhlich und lächelte; als irgendwelche Leute kamen, um hier zu übernachten, war sie herzlich wie gewöhnlich und spielte bis morgens um zwei Bridge mit uns. Ich konnte nicht glauben, daß sie wirklich gehen wollte, und doch hatte ich Angst. Ich liebte sie sehr. Sie war verdammt gut.«»Aber wenn Sie sie geliebt haben, warum um alles in der Welt haben Sie sie nicht geheiratet? Es wäre großartig geworden.«
»Das werde ich Ihnen sagen. Wenn ich sie geheiratet hätte, hätte ich für den Rest meines Lebens in Burma bleiben müssen. Früher oder später werde ich in den Ruhestand gehen, und dann will ich in meine alte Heimat zurück und dort leben. Ich will nicht hier draußen begraben werden. Ich will auf einem englischen Friedhof begraben werden. Ich bin sehr glücklich hier, aber ich will nicht für immer hier leben.
Ich kann nicht. Ich brauche England. Manchmal machen mich diese heiße Sonne und diese grellen Farben krank. Ich möchte grauen Himmel, sanften Regen und den Landgeruch. Ich werde ein komischer, fetter ältlicher Mann sein, wenn ich zurückgehe, zu alt zum Jagen, selbst wenn ich es mir leisten könnte, aber ich kann angeln. Ich will keine Tiger schießen, ich will Kaninchen schießen. Und ich kann auf einem guten Platz Golf spielen. Ich weiß, ich werde nicht mehr richtig dazugehören, das ist immer so bei uns Leuten, die wir hier draußen unser Leben verbracht haben, aber ich kann dort im örtlichen Klub herumsitzen und mit pensionierten Anglo-Indern reden. Ich möchte den grauen Bürgersteig einer englischen Provinzstadt unter meinen Füßen spüren, ich möchte zum Metzger gehen und mich mit ihm streiten können, weil das Steak, das er mir gestern geschickt hat, zäh war, und ich möchte in Antiquariaten herumstöbern. Ich möchte, daß Leute mir auf der Straße guten Tag sagen, die mich schon kannten, als ich noch ein kleiner Junge war. Und ich möchte einen Garten mit einer Mauer darum hinter dem Haus haben und Rosen züchten. Ich glaube, das alles klingt sehr fad und provinziell und dumpf für Sie, aber so haben meine Leute immer gelebt, und so will ich auch leben. Es ist ein Traum, wenn Sie wollen, aber er ist alles, was ich habe, er ist das Wichtigste auf der Welt für mich, und ich kann ihn nicht aufgeben.«Er schwieg für einen Augenblick und sah mir in die Augen.
»Halten Sie mich für einen schrecklichen Narren?«
»Nein.«
»Dann kam sie eines Morgens zu mir und sagte, sie gehe
jetzt. Sie hatte ihre Sachen auf einen Karren gepackt, und selbst da glaubte ich nicht, daß sie es ernst meinte. Dann setzte sie die beiden Kinder in eine Rikscha und kam, um mir Lebewohl zu sagen. Sie begann zu weinen. Lieber Himmel, das machte mich ganz schön fertig. Ich fragte sie, ob sie wirklich entschlossen sei zu gehen, und sie sagte, ja, wenn ich sie nicht heiraten würde. Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte fast nachgegeben. Ich fürchte, ich weinte auch. Dann schluchzte sie auf und rannte aus dem Haus. Ich mußte ein halbes Wasserglas Whisky trinken, um meine Nerven zu beruhigen.«»Wie lange ist das her?«
»Vier Monate. Zuerst dachte ich, sie würde wiederkommen, und dann schickte ich meinen Boy, um ihr zu sagen, daß ich sie aufnehmen würde, wenn sie kommen wollte, weil ich dachte, sie würde sich schämen, den ersten Schritt zu machen. Aber sie lehnte ab. Das Haus schien schrecklich leer ohne sie. Zuerst dachte ich, ich würde mich dran gewöhnen, aber irgendwie scheint es nicht weniger leer zu werden. Ich hatte nicht gewußt, wieviel sie mir bedeutete. Ich hatte mein Herz an sie gehängt.«
»Ich nehme an, sie wird zurückkommen, wenn Sie einverstanden sind, sie zu heiraten.«
»O ja, das sagte sie dem Boy. Manchmal frage ich mich, ob es sich lohnt, mein Glück einem Traum zu opfern. Es ist nur ein Traum, oder? Es ist komisch, aber eins der Dinge, die mich zurückhalten, ist die Erinnerung an eine schlammige Straße, die ich kenne, mit großen Böschungen zu beiden Seiten und Buchen, die sich darüberbeugen. Sie hat eine Art kalten, erdigen Geruch, den ich nie ganz aus der Nase
bekomme. Ich mache dem Mädchen keinen Vorwurf, wissen Sie. Ich bewundere sie eher. Ich hatte keine Ahnung, daß sie soviel Charakter besaß. Manchmal möchte ich sehr gerne nachgeben.« Er zögerte eine Weile. »Ich denke, vielleicht, wenn ich wüßte, sie liebt mich, würde ich es auch tun. Aber natürlich liebt sie mich nicht; sie tun das nie, diese Mädchen, die hingehen und mit weißen Männern leben. Ich denke, sie hatte mich gern, aber das ist alles. Was würden Sie an meiner Stelle tun?«»Aber mein Lieber, wie kann ich das sagen? Würden Sie je diesen Traum vergessen?«
»Niemals.«
In dem Moment kam der Boy herein und meldete, daß mein Madras-Diener mit dem Ford vorgefahren sei. Masterson sah auf die Uhr.
»Sie wollen los, nicht? Und ich muß zurück in mein Büro. Ich fürchte, ich habe Sie mit meinen Privatangelegenheiten sehr gelangweilt.«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich.
Wir schüttelten uns die Hand, ich setzte meinen Tropenhelm auf, und er winkte mir nach, als das Auto davonfuhr.
Ich verließ Bangkok auf einem schäbigen kleinen Schiff von vier- oder fünfhundert Tonnen. In dem schmuddeligen Salon, der auch als Eßraum diente, standen der Länge nach zwei schmale Tische mit Drehstühlen auf beiden Seiten. Die Kabinen lagen im Schiffsinneren und waren extrem schmutzig. Kakerlaken spazierten über den Fußboden, und man mag noch so heiteren Gemütes sein, es ist schwierig, sich nicht zu ekeln, wenn man zum Händewaschen ans Waschbecken geht und eine riesige Kakerlake gemütlich herausstolziert.
Wir tuckerten den breiten und träge fließenden freundlichen Fluß hinunter, und seine grünen Ufer waren gesprenkelt mit kleinen Hütten auf Pfählen, die nahe am Wasser standen. Wir durchfuhren die Barre; und die offene See, blau und ruhig, dehnte sich vor uns aus. Ihr Anblick und ihr Geruch versetzten mich in freudige Aufregung.
Ich war am frühen Morgen an Bord gegangen und entdeckte bald, daß ich mitten unter die seltsamste Ansammlung von Leuten geraten war, die ich je gesehen hatte. Es waren zwei französische Händler und ein belgischer Oberst, ein italienischer Tenor, der amerikanische Besitzer eines Zirkus mit seiner Frau und ein pensionierter französischer Beamter mit der seinen. Der Zirkusbesitzer war, was man einen geselligen Menschen nennt, ein Typ, den man je nach
Stimmung begrüßt oder meidet, aber zufällig fühlte ich mich sehr zufrieden mit meinem Dasein, und ehe ich noch eine Stunde an Bord war, hatten wir um Drinks gewürfelt, und er hatte mir seine Tiere gezeigt. Er war ein sehr kleiner, dicker Mann, und sein Hemd, weiß, aber nicht allzu sauber, kehrte die stattlichen Proportionen seines Bauches hervor, aber der Kragen war so eng, daß man sich wundern mußte, warum er nicht erstickte. Er hatte ein rotes, glattrasiertes Gesicht, fröhliche, blaue Augen und kurze, unordentliche sandfarbene Haare. Er trug einen verbeulten Tropenhelm weit auf den Hinterkopf geschoben. Er hieß Wilkins und war in Portland, Oregon, geboren. Im Osten liebt man den Zirkus, und Mr. Wilkins reiste seit zwanzig Jahren mit seiner Menagerie und seinen Karussells kreuz und quer herum, von Port Said nach Yokohama (Aden, Bombay, Madras, Kalkutta, Rangun, Singapur, Penang, Bangkok, Saigon, Hue, Hanoi, Hongkong, Schanghai, lauter Namen, die auf der Zunge zergehen und die Phantasie mit Sonnenschein, fremdartigen Klängen und buntem Treiben füllen). Er führte ein seltsames Leben, und, so sollte man meinen, eines, das alle Arten außergewöhnlicher Erlebnisse bot, aber das Verrückte bei ihm war, daß er ein vollkommen alltäglicher kleiner Mann war, und man hätte ihn sich als Garagenbesitzer oder Leiter eines drittklassigen Hotels in einer zweitklassigen Stadt in Kalifornien vorstellen können. Tatsache ist – und das habe ich so oft bemerkt, daß ich nicht weiß, warum es mich immer wieder überrascht –, daß die Außergewöhnlichkeit des Lebens eines Mannes nicht zugleich ihn außergewöhnlich macht, sondern im Gegenteil, wenn ein Mann außergewöhnlich ist, wird er auch Außergewöhnliches aus einem so alltäglichen Leben wie dem eines Landpfarrers machen. Ich wünschte, ich könnte hier die Geschichte des Eremiten erzählen, den ich auf einer Insel in der Torres-Straße besuchte, eines schiffbrüchigen Matrosen, der dort seit dreißig Jahren alleine lebte, aber beim Schreiben ist man durch die vier Wände seines Sujets eingeengt, und obwohl ich zu meiner eigenen Unterhaltung gerne abschweifen würde, unterlasse ich es lieber, denn wegen meiner Vorstellung von dem, was zwischen zwei Buchdeckel gehört und was nicht, wäre ich am Ende gezwungen, es wieder zu eliminieren. Jedenfalls, das Ergebnis war, daß der Mann trotz seiner langen und engen Verbindung mit der Natur und seinen eigenen Gedanken am Ende dieser Zeit ein genauso dumpfer, unsensibler und vulgärer Dummkopf war, wie er es zu Beginn gewesen sein muß.Der italienische Sänger ging an uns vorbei, und Mr. Wilkins erzählte mir, er sei Neapolitaner und unterwegs nach Hongkong, um sich wieder seiner Truppe anzuschließen, die er wegen eines Malariaanfalls in Bangkok verlassen mußte. Er war riesengroß und sehr dick, und als er sich auf einen Stuhl warf, knarrte der erschreckt. Er nahm seinen Tropenhelm ab, zeigte einen großen Kopf mit langen, lockigen, fettigen Haaren, durch die er mit seinen kurzen, dicken und beringten Fingern fuhr.
»Er ist nicht gerade gesellig«, sagte Mr. Wilkins. »Er hat die Zigarre genommen, die ich ihm angeboten habe, aber einen Drink wollte er nicht. Sollte mich nicht wundern, wenn mit dem was Komisches los wäre. Sieht übel aus, der Kerl, oder?«
Dann kam eine kleine, dicke Frau in Weiß an Deck, die
einen Affen an der Hand hielt. Er ging würdevoll an ihrer Seite.»Das ist Mrs. Wilkins«, sagte der Zirkusbesitzer, »und unser jüngster Sohn. Nimm dir einen Stuhl, Mrs. Wilkins, und sag dem Herrn hier guten Tag. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er hat schon zwei Drinks für mich bezahlt, und wenn er nicht besser würfelt als bisher, wird er dir auch einen bezahlen.«
Mrs. Wilkins setzte sich mit zerstreutem, ernstem Blick hin und meinte, die Augen auf das blaue Meer gerichtet, sie sehe nicht ein, warum sie nicht eine Limonade trinken könne.
»Mein Gott, ist das heiß«, murmelte sie und befächelte sich mit dem Tropenhelm, den sie abgenommen hatte.
»Mrs. Wilkins leidet unter der Hitze«, sagte ihr Mann. »Sie hat jetzt zwanzig Jahre davon genossen.«
»Zweiundzwanzigeinhalb«, sagte Mrs. Wilkins, die immer noch auf das Meer blickte.
»Und sie hat sich immer noch nicht daran gewöhnt.«
»Das werde ich auch nicht, und du weißt das«, sagte Mrs. Wilkins.
Sie war genauso groß wie ihr Mann und genauso dick, und sie hatte ein rundes rotes Gesicht wie er und das gleiche sandfarbene, unordentliche Haar. Ich fragte mich, ob sie geheiratet hatten, weil sie sich so ähnlich sahen, oder ob sie im Lauf der Jahre diese erstaunliche Ähnlichkeit angenommen hatten. Sie drehte ihren Kopf nicht, sondern blickte weiterhin abwesend auf das Meer.
»Hast du ihm die Tiere gezeigt?« fragte sie.
»Darauf kannst du wetten.«
»Was hält er von Percy?«
»Prima.«
Ich fühlte mich ungebührlich von einer Unterhaltung ausgeschlossen, deren Gegenstand ich wenigstens teilweise war, deshalb fragte ich:
»Wer ist Percy?«
»Percy ist unser ältester Sohn. – Da ist ein fliegender Fisch, Elmer. – Der Orang-Utan. Hat er heute morgen gut gegessen?«
»Sehr gut. Er ist der größte Orang-Utan in Gefangenschaft. Ich würde ihn nicht für tausend Dollar hergeben.«
»Und in welcher Verwandtschaftsbeziehung steht der Elefant?« fragte ich.
Mrs. Wilkins sah mich nicht an, sondern blickte mit ihren blauen Augen immer noch gleichgültig auf das Meer.
»Er ist kein Verwandter«, antwortete sie. »Nur ein Freund.«
Der Boy brachte Limonade für Mrs. Wilkins, einen Whisky-Soda für ihren Mann und einen Gin Tonic für mich. Wir würfelten, und ich zeichnete die Rechnung ab.
»Es muß teuer werden, wenn er beim Würfeln immer verliert«, murmelte Mrs. Wilkins zur Küste.
»Mir scheint, Egbert möchte einen Schluck von deiner Limonade, mein Liebes«, sagte Mr. Wilkins.
Mrs. Wilkins drehte ihren Kopf ein wenig und sah den Affen an, der auf ihrem Schoß saß.
»Möchtest du einen Schluck von Mutters Limonade, Egbert?«
Der Affe quietschte ein bißchen, und, den Arm um ihn
legend, gab sie ihm einen Strohhalm. Der Affe sog ein wenig an der Limonade, und als er genug getrunken hatte, sank er an Mrs. Wilkins schweren Busen zurück.»Mrs. Wilkins hält große Stücke auf Egbert«, sagte ihr Mann. »Kein Wunder, er ist unser Jüngster.«
Mrs. Wilkins nahm einen neuen Strohhalm und trank nachdenklich ihre Limonade.
»Egbert ist in Ordnung«, bemerkte sie, »an Egbert stimmt alles.«
Da erhob sich der französische Beamte, der bis dahin gesessen hatte, und ging auf und ab. Er war von dem französischen Gesandten in Bangkok, einem oder zwei Sekretären und einem Prinzen der königlichen Familie an Bord begleitet worden. Es hatte viele Verbeugungen und Händeschütteln gegeben, und als das Schiff vom Kai ablegte, viel Schwenken von Hüten und Taschentüchern. Ganz offensichtlich war er ein bedeutender Mann. Ich hatte gehört, wie der Kapitän ihn mit Monsieur le Gouverneur anredete.
»Das ist das hohe Tier auf diesem Schiff«, sagte Mr. Wilkins. »Er war Gouverneur in einer französischen Kolonie und macht jetzt eine Weltreise. Er hat meinen Zirkus in Bangkok besucht. Ich glaube, ich frage ihn mal, was er trinken will. Wie soll ich ihn anreden, Liebling?«
Mrs. Wilkins drehte langsam den Kopf und betrachtete den Franzosen mit der Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch, der auf und ab schlenderte.
»Red ihn überhaupt nicht an«, sagte sie. »Halt ihm einen Reifen hin, und er wird durchspringen.«
Ich mußte lachen. Monsieur le Gouverneur war ein kleiner Mann, weit unter Normalgröße, fein gebaut, mit einem
sehr häßlichen, kleinen Gesicht und dicken, fast negroiden Zügen; und er hatte einen buschigen grauen Kopf, buschige graue Augenbrauen und einen buschigen grauen Schnurrbart. Er sah ein wenig wie ein Pudel aus und hatte die sanften, intelligenten und leuchtenden Augen eines Pudels. Als er wieder an uns vorbeikam, rief Mr. Wilkins:»Monsoo. Qu’est-ce que vous prenez?« Ich kann seinen exzentrischen Akzent nicht wiedergeben. »Une petite verre de porto?« Er drehte sich zu mir um. »Ausländer, die trinken alle Porto. Da kann man nichts falsch machen.«
»Nicht die Holländer«, sagte Mrs. Wilkins mit einem Blick auf das Meer. »Die rühren nichts an als Schnaps.«
Der distinguierte Franzose blieb stehen und betrachtete Mr. Wilkins einigermaßen verwirrt. Woraufhin Mr. Wilkins sich an die Brust tippte und sagte:
»Moa, proprietarre cirque. Vous avez visité.«
Dann machte Mr. Wilkins, aus einem Grund, der mir entging, aus seinen Armen einen Reifen und beschrieb mit Gesten einen Pudel, der hindurchsprang. Dann deutete er auf den Wa-Wa, den Mrs. Wilkins immer noch auf dem Schoß hielt.
»La petit fils de mon femme«, sagte er.
Das Gesicht des Gouverneurs erhellte sich, und er brach in ein besonders musikalisches und ansteckendes Lachen aus. Mr. Wilkins begann auch zu lachen.
»Oui, oui«, schrie er, »Moa, Zirkusdirektor. Une petite verre de porto. Oui. Oui. N’est-ce pas?«
»Mr. Wilkins redet Französisch wie ein Franzose«, informierte Mrs. Wilkins das vorüberziehende Meer.
»Mais très volontiers«, sagte der Gouverneur, immer noch
lächelnd. Ich zog ihm einen Stuhl heran, und er setzte sich mit einer Verbeugung gegen Mrs. Wilkins.»Sag dem Pudelgesicht, er heißt Egbert«, sagte sie, auf das Meer blickend.
Ich rief nach dem Boy und bestellte eine Runde.
»Du unterschreibst die Rechnung, Elmer«, sagte sie. »Würfeln hat keinen Sinn bei Mr. Soundso, wenn er nicht mehr als ein Paar Dreien würfeln kann.«
»Vous comprenez le français, madame?« fragte der Gouverneur höflich.
»Er möchte wissen, ob du Französisch sprichst, Liebling.«
»Was denkt der, wo ich aufgewachsen bin? Neapel?«
Da brach der Gouverneur überschwenglich gestikulierend in einen Redeschwall von so abenteuerlichem Englisch aus, daß es all meiner Französischkenntnisse bedurfte, um zu verstehen, wovon er sprach.
Dann nahm Mr. Wilkins ihn mit hinunter, um ihm die Tiere zu zeigen, und etwas später versammelten wir uns zum Mittagessen in dem stickigen Salon. Die Frau des Gouverneurs erschien und bekam den Platz rechts neben dem Kapitän. Der Gouverneur erklärte ihr, wer wir alle seien, und sie nickte uns freundlich zu. Sie war eine breite Frau, groß und robust gebaut, vielleicht fünfundfünfzig, und etwas streng in schwarze Seide gekleidet. Auf dem Kopf trug sie einen riesigen runden Tropenhelm. Ihre Gesichtszüge waren so breit und regelmäßig, ihr Körper so statuesk, daß man an die massiven Frauen erinnert wurde, die an Prozessionen teilnehmen. Bei einer patriotischen Demonstration würde sie wunderbar in die Rolle einer Columbia oder
Britannia gepaßt haben. Sie überragte ihren winzigen Mann wie ein Wolkenkratzer eine Bretterbude. Er redete unaufhörlich, mit Lebhaftigkeit und Witz, und wenn er etwas Amüsantes sagte, entspannten sich ihre schweren Gesichtszüge zu einem breiten, liebevollen Lächeln.»Que tu es bête, mon ami«, sagte sie. Sie wandte sich an den Kapitän. »Sie müssen nicht auf ihn achten. Er ist immer so.«
Die Mahlzeit verlief wirklich amüsant, und als sie zu Ende war, trennten wir uns und verschliefen die Hitze des Nachmittags in unseren jeweiligen Kabinen. Nachdem ich meine Mitreisenden erst einmal kennengelernt hatte, war es auf diesem kleinen Schiff ausgeschlossen, daß ich ihnen nicht zu jeder Tageszeit begegnete, sobald ich meine Kabine verlassen hatte, selbst wenn ich es vermeiden wollte. Der einzige, der sich abseits hielt, war der italienische Tenor. Er sprach mit niemandem, sondern saß alleine so weit vorne wie möglich und zupfte so leise auf seiner Gitarre, daß man die Ohren spitzen mußte, um die Töne zu hören. Wir blieben in Sichtweite der Küste, und die See war ruhig wie ein Eimer Milch. Wir redeten über dies und das, wir sahen den Tag zur Neige gehen, wir aßen zu Abend, und dann saßen wir wieder auf Deck unter den Sternen. Die beiden Händler spielten im heißen Salon Piquet, aber der belgische Oberst gesellte sich zu unserer kleinen Gruppe. Er war schüchtern und dick und öffnete den Mund nur, um eine Höflichkeitsfloskel zu äußern. Bald begann der italienische Tenor, vielleicht durch die Nacht beeinflußt und von der Dunkelheit ermutigt, die ihm dort vorne im Bug das Gefühl gab, allein mit der See zu sein, sich selbst auf der Gitarre
La BohèmeLa TraviataRigoletto