Anmerkung der Autorin
Montag, 4. November 2013
Oakland, Kalifornien
TEIL 1: SASHA
Tumbling
Pronomen
1001 leere weiße Karten
Luke und Samantha
Gran Turismo 2
Woher weißt du, was dein Geschlecht ist?
Genderqueer
Gender, Geschlecht, Sexualität, Romatik: Ein paar Begriffe
Sashas Begriffe
Sasha werden
Toiletten, Teil 1
Toiletten, Teil 2
Röcke
Joggen
Die Petition
Klemmbretter
Der allerbeste Tag
Kleiderordnung
Sasha und Nemo
TEIL 2: RICHARD
Book of Faces
Erster Tag
Eine alte Freundin
Oakland High School
Miss Kaprice
Die Prinzessin von East Oakland
Die beste Mom der Welt
Hoffnungen und Gebete
Wo er es zurückgelassen hatte
Wie es vorher war
Prügelei
Verhaftet
Jetzt isses n’ guter Tag
Wenn
Mord
Arbeit
Ausgeraubt
Vertrauensprobleme
Fest entschlossen
TEIL 3: DAS FEUER
Montag, 4. November 2013
Die Buslinie 57
16:52 Uhr
Feuer
Von Nahem
Der Mann mit den Schnurrbart
Telefonanruf
Die Rache des Rim Fire
Die Zehn-Uhr-Nachrichten
Ausgesperrt
Maybeck
Shyam
Ich erkannte meinen Jungen
Die Vernehmung, Teil 1
Rechtsbelehrung
Die Vernehmung, Teil 2
Die Vernehmung, Teil 3
Ein Mann in einem Kilt
Das ist real
Aufnahme
Operation
Noch völlig fertig
Anklage
Vor das Erwachsenen-Strafgericht
Gerichtstermin
Taumel
Der Schreibtisch
Unter dem Einfluss der Pubertät
Das Leben im Bothin Burn Center
Angst vor einem Besuch
Der erste Brief
In die Aktentasche
Röcke für Sasha
Der zweite Brief
Passen wir aufeinander auf
Homophob
Geschenke
NO H8
Ihr habt doch alle keine Ahnung
Der Zirkel
Gehäutet
Gott ist gütig
Muss unbedingt ich es sein?
Wieder an der Maybeck
Die allerschlimmsten Tage
Wiedersehen
TEIL 4: JUSTIZ
Binär
Grausam und unangemessen?
Wieder im Jugendknast
Was wäre, wenn?
Noch nicht so weit
Was soll ich sagen?
Immer gut
Wir, das Volk
Hübsch
Tanzen
Auswirkungen
Hinternklatschen
Restorative Justice
Kein Bedürfnis
Das Volk gegen Richard ------
Müde
Department 11
Vielleicht
Koffer
Ein Gebet
Verhandeln
Der Deal
Das Kleingedruckte
Ein strukturiertes Umfeld
Schau, wo seine Leute gelandet sind
Victim Impact Statement
Nerd-Verbindung
Wie es endete
Briefzustellung
Chad
Chance
Damals und heute
Gefährliche Gedanken
Zwischenbericht
Ein Maß an Reife
Andrew und die Binarität
Geburtstage
1001 nicht mehr leere weiße Karten
Ein paar Meilensteine der Geschlechtssneutralität
Inhaftierung von Jugendlichen in den USA
Textnachweis
Danksagung
Für Cliff
Das ist eine wahre Geschichte. Alle Menschen in diesem Buch sind real, bei manchen wurden jedoch zum Schutz ihrer Identität Pseudonyme oder Initialen verwendet. Jugendliche werden nur bei ihren Vornamen genannt.
Die Einzelheiten der Geschichte wurden aus verschiedenen Quellen zusammengetragen: unter anderem aus Interviews, Dokumenten, Briefen, Videos, Tagebüchern, Beiträgen in sozialen Medien und öffentlich zugänglichen Behördenunterlagen. Zitate aus diesen Quellen sind wortwörtlich wiedergegeben – außer in ein paar Fällen, in denen ich Nachnamen entfernt und durch lange Gedankenstriche ersetzt habe. Informationen, die ich aus erster Hand erhalten habe, wurden wenn möglich durch Gerichtsakten überprüft, es sei denn, diese Akten waren versiegelt oder nicht öffentlich zugänglich. In diesen Fällen habe ich mich auf das Gedächtnis von Zeug*innen und Beteiligten gestützt.
Die Pronomen und Namen für nicht geschlechtskonforme Menschen wurden mit Einverständnis der betreffenden Personen verwendet.
Nachmittags um halb fünf ist die erste hektische, nach Unterrichtsende anrollende Flut von Fahrgästen schon wieder abgeebbt. Jetzt kommen nur noch die Nachzügler*innen und die, die länger in der Schule geblieben sind. Als sie in den 57er-Bus steigen, halten sie ihre Busfahrkarten an das Lesegerät und suchen sich einen Platz zwischen den von der Arbeit Heimkehrenden, den Einkaufsbummler*innen und Besorgungen Machenden sowie den anderen Highschool- und Middleschool-Kids aus der ganzen Stadt.
Der Bus ist laut, aber nicht so laut wie an anderen Tagen. Jugendliche in Grüppchen unterhalten sich, schreien und lachen und eine ältere Frau vorne redet die ganze Zeit mit dem Fahrer.
Es wird dunkel. Gestern endete die Sommerzeit und jetzt drängt sich der Abend an die Stelle, an der zuvor noch Nachmittag war. Alles ist jetzt dämmriger, verschlafener, winterlicher. Fahrgäste blicken auf ihre Handys oder betrachten das schwindende Licht durch die verkratzten und schmutzigen Fenster.
Sasha sitzt weiter hinten im Bus. Den Großteil der Fahrt hat Sasha eine Taschenbuchausgabe von Anna Karenina für einen Kurs in russischer Literatur gelesen. Heute, wie an den meisten Tagen, trägt Sasha ein T-Shirt, eine schwarze Fleecejacke, eine graue flache Mütze und einen weißen Rock aus hauchdünnem Stoff. Sasha geht in die zwölfte Klasse einer kleinen privaten Highschool und identifiziert sich als agender – weder männlich noch weiblich. Während der Bus durch die Stadt zuckelt, legt Sasha das Buch weg und döst ein, der Rock ist über den Rand des Sitzes drapiert.
Nicht weit von Sasha entfernt lachen und scherzen drei Jungs im Teenageralter. Einer von ihnen, Richard, trägt einen schwarzen Hoodie mit einem weißen T-Shirt darunter und eine Kappe der New York Knicks mit orangefarbener Aufschrift. Er ist sechzehn Jahre alt, geht in die elfte Klasse der Oakland High School und hat haselnussbraune Augen und ein lässiges, nettes Grinsen im Gesicht. Er steht mit dem Rücken zu Sasha und hält sich an einer Stange fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Sasha schläft, während Richard und seine Begleiter herumalbern und sich spielerisch raufen. Schläft, als Richards Cousin Lloyd den Gang auf und ab springt und mit einem Mädchen vorne im Bus flirtet.
Schläft, als Richard verstohlen ein Feuerzeug anschnippt und es an den Saum des weißen Rocks hält.
Moment.
Gleich wacht Sasha in einem Feuerball auf und fängt an zu schreien.
Gleich nimmt alles seinen Lauf.
Ein Krankenwagen wird Sasha in ein Verbrennungszentrum in San Francisco bringen, in dem Sasha in den nächsten dreieinhalb Wochen mehrmals operiert werden wird, um Brandverletzungen zweiten und dritten Grades zu behandeln, die sich von Wade bis Oberschenkel ziehen.
Richard wird am nächsten Tag in der Schule verhaftet und zweier Verbrechen angeklagt werden, die beide verschärfend als Hassverbrechen eingestuft und somit eine Strafverlängerung nach sich ziehen werden, sollte er verurteilt werden. Aufgrund der Schwere des Verbrechens wird die Bezirksstaatsanwältin ihn nach Erwachsenenstrafrecht anklagen und ihm den besonderen Schutz entziehen, den Jugendliche normalerweise genießen. Noch vor Ende der Woche könnte ihm eine lebenslängliche Haftstrafe bevorstehen.
Aber das alles ist noch nicht geschehen. Im Moment fahren beide Teenager lediglich mit dem Bus von der Schule nach Hause.
Bestimmt ist es noch nicht zu spät, die Dinge aufzuhalten. Es muss doch irgendeinen Weg geben, Sasha zu wecken. Richard abzulenken. Den Fahrer dazu zu bringen, den Bus anzuhalten.
Es muss doch irgendetwas geben, das man tun kann.
In Oakland, Kalifornien, wohnen mehr als vierhunderttausend Menschen und doch kann man sich hier wie in einer Kleinstadt vorkommen. Die Stadt erstreckt sich über zweihundertzwei Quadratkilometer, von der seichten, salzigen Mündung der Bucht von San Francisco bis zu den sanften grün-goldenen Hügeln, durch die Rotluchse und Kojoten streifen. Was Oakland klein erscheinen lässt, ist das Beziehungsgeflecht, die Art, wie die Geschichten der Menschen miteinander verwoben sind. Unsere Leben hinterlassen Fußstapfen, Spuren im Schnee der Zeit. Leute kennen jeweils die Eltern oder Geschwister, Tanten und Cousins ihrer Mitmenschen. Sie gehen zusammen zur Schule oder besuchen denselben Gottesdienst. Sie spielen in denselben Sportmannschaften oder arbeiten im selben Gebäude. Wege kreuzen sich. Geschichten überschneiden sich.
Oakland gilt als eine der multikulturellsten Städte des Landes. Die Bevölkerung ist asiatisch und Latino*a, schwarz und weiß, afrikanisch, arabisch, indisch und iranisch. Auch amerikanische Ureinwohner*innen und Pazifik-Insulaner*innen gehören dazu. Keine Gruppe bildet eine Mehrheit. Hier leben mehr lesbische Paare als in irgendeiner anderen Stadt im Land und der Anteil an schwulen und lesbischen Haushalten ist besonders groß. Es ist eine Stadt, die auf ihre Offenheit, ihre Bescheidenheit und ihren einheimischen Slang besonders stolz ist. (Oaklander sagen hella, wenn sie sehr im Sinne von verdammt meinen – und hecka, wenn sie das höflich ausdrücken möchten.)
Doch trotz ihrer entspannten Inklusivität ist Oakland auch eine Stadt krasser Gegensätze. 2013, in dem Jahr, als Sashas Rock angezündet wurde, lag Oakland bei Einkommensungleichheit auf Platz sieben aller amerikanischen Städte – gleich hinter New York. Und obwohl die Kriminalitätsrate sie zur zweitgefährlichsten Stadt in Amerika machte, gehörten die Mieten zu den höchsten im Land.
Die Schwerkraft funktioniert hier andersherum – das Geld fließt bergauf. Die wohlhabenderen Viertel oben in den Hügeln erfreuen sich guter Schulen, geringer Kriminalität und schöner Ausblicke auf die Bucht. Dank des Hightech-Booms in der Bay Area, dem Gebiet um die Bucht von San Francisco herum, füllen sich leer stehende historische Gebäude in der Stadtmitte seit Längerem mit Start-ups, mit Boutiquen, die von Hand gefertigte Jeans verkaufen, und mit Nachtlokalen, die Cocktails mit sieben Zutaten servieren. Aber von diesem positiven Boom bekam East Oakland am Fuß der Hügel, wo Richard lebte, nicht viel mit. In diesem Teil der Stadt geschehen die meisten Morde – 2013 waren es zwei Drittel aller Morde. Die Schulen sind hier heruntergekommener, die Prüfungsergebnisse schlechter. Auf den Straßen liegt mehr Müll, es gibt mehr umherstreunende Hunde, mehr Spirituosenläden, weniger Lebensmittelgeschäfte. Die Mittelstreifen der Straßen sind voller Unkraut.
Die Buslinie 57 führt sowohl durch wohlhabende als auch sozial schwache Viertel, durchquert die Stadt von einem Ende zum anderen auf einer knapp achtzehn Kilometer langen Strecke. Sie beginnt in der nordwestlichen Ecke Oaklands und zieht sich diagonal durch die Stadt, vorbei an den Mittelschichtvierteln in den Hügeln, wo Sasha wohnte und Richard zur Schule ging, und dann einhundertzwanzig Blocks den MacArthur Boulevard entlang. Die Linie endet nicht weit von Richards Haus entfernt an der südöstlichen Stadtgrenze. Jeden Nachmittag überschneidet sich die Busfahrt der beiden Teenager für lediglich acht Minuten. Hätte es den 57er-Bus nicht gegeben, hätten sich ihre Wege vielleicht nie gekreuzt.
Lieblingsgemüse: Pak Choi
Lieblingstiere: Katze und Tintenfisch
Lieblingsfilmgenre: Traumsequenzen
Die drei besten Eigenschaften?
Orientierung
Meine Freunde scheinen mich zu mögen
Lila
Natürlich mag ich Hüte
Wer die nicht mag, liegt falsch
Ich mag Komplimente
Ich mag keine Komplimente
Ich mag meine Haare
Meine Umarmungen sind klasse
Wortspiele finden ist meine Stärke
Würde die ganze Welt zuhören, könnte ich mich
über eine Menge Dinge auslassen:
wie Gender,
Vermögensungleichheit,
warum Schule wichtig ist
Ich mag Partys
Ich mag keine Partys
Enttäuschungen hängen mir nicht nach
Idealer Urlaubsort: wahrscheinlich eine Stadt
mit einer netten U-Bahn
Du willst mir was schenken? Versuch’s damit:
Ein kupfernes Luftschiff
Ein Duschvorhang
mit einem Nahverkehrsplan drauf
Ein mittelalterlicher Mantel
Ein Korsett mit silbernen Knöpfen
Ein gemeißeltes Stück Gallium,
das in der Handfläche schmilzt
Ein Kleid mit dem wirbelnden Bild
eines galaktischen Nebels
Ein viktorianisches Haus auf Rädern
Eine Strumpfhose, die wie ein
Meerjungfrauenschwanz bemalt ist
Schon als Kleinkind interessierte sich Sasha für Sprache. Nicht dafür, Italienisch, Suaheli oder Mandarin zu lernen, sondern für Sprache an sich, ihre Formen und Strukturen, die Klangbausteine, aus denen sich Wörter und Sätze bilden. Die meisten Kleinkinder interessieren sich dafür, dass das Tier mit zwei spitzen Ohren und einem langen Schwanz Katze heißt. Sasha hingegen interessierte sich dafür, dass, wenn man ein n ans Ende des Wortes Katze setzte, es Plural wurde. »Schau«, sagte Sasha damals. »Zwei Katze…nnnnn.«
Noch vor dem dritten Lebensjahr wies Sasha Lauten Buchstaben zu – manchmal auf ungewöhnliche Weise. »B ist für Baby!«, rief Sasha aus. »Ü ist für Rhythmus! Zehn ist für Zehner!«
Mit vier las Sasha flüssig und hatte angefangen, die Gestalt der Buchstaben genauer zu betrachten. »K ist ein Rechteck und zwei Parallelogramme«, verkündete Sasha eines Tages am Frühstückstisch. »M sind zwei Parallelogramme und zwei Rechtecke.«
Zwei Jahre später begann Sasha, eine neue Sprache zu erfinden. Sie hieß Astrolinguisch und war die Sprache von Sashas Heimatplaneten Astrolingua. Geschriebenes Astrolinguisch war voller diakritischer Zeichen, also Umlaute, Akzente und Tilden. Die gesprochene Sprache schwelgte in gerollten R und L.
Noch im letzten Highschooljahr erfand Sasha Sprachen und hing im Internet mit anderen sogenannten »Conlanger*innen« ab – Leuten, die ihre eigenen Sprachen erschaffen. Sasha arbeitete mittlerweile an einer neuen Sprache. Diese hatte nie einen Namen, wurde aber von den Mitgliedern einer imaginären Agrargesellschaft, ähnlich der des alten Mesopotamiens, gesprochen.
Alle Sprachen verkörpern die Gedankenwelt der Menschen, die sie sprechen, und so sollte Sashas Sprache die Belange eines Volkes widerspiegeln, dessen Welt dominiert war von Vegetationsperioden, Getreide und Ernten. Anstelle von Pronomen, die zwischen männlich und weiblich unterschieden, besaß Sashas Sprache Pronomen, die zwischen belebten und unbelebten Objekten unterschieden. Das Wort jejz bedeutete sowohl Sonne als auch Tag. Der Unterschied war, dass Sonne als belebt galt, ein Lebewesen, und Tag als unbelebt, eine Sache.
Englisch funktioniert da anders. Uns ist das Geschlecht sehr wichtig und Englisch spiegelt das in seinen Pronomen wider – she (sie) oder he (er), her (sie) oder him (ihn), hers (ihres) oder his (seins). Man könnte meinen, dass alle Sprachen in der wirklichen Welt so aufgebaut wären, dabei gibt es tatsächlich viele Sprachen auf der Erde, die im Wesentlichen geschlechtsneutral sind und dasselbe Wort für er/sie/es oder gar keine Pronomen benutzen. Vermutlich kennt ihr einige. Zu ihnen gehören: Armenisch, Komantschisch, Finnisch, Ungarisch, Hindi, Indonesisch, Quechua, Thai, Tagalog, Türkisch, Vietnamesisch und Yoruba.
Englisch hingegen (das gilt auch für Deutsch) stellt eine Herausforderung für Menschen dar, die ihrem Verständnis nach nicht in klare Entweder-oder-Kategorien wie männlich oder weiblich passen. Wie viele nicht geschlechtskonforme Menschen möchte Sasha im Englischen in der dritten Person mit dem Pronomen they1 bezeichnet werden. Das kommt einem anfangs vielleicht komisch vor, aber man gewöhnt sich schnell daran.
1 Anmerkung der Übersetzerin: Im Deutschen gibt es keine allgemeingültigen Pronomen für nicht geschlechtskonforme Menschen. Nicht binäre Personen sollten daher immer gefragt werden, welches Pronomen sie bevorzugen oder ob sie ganz auf Pronomen verzichten. Nach Absprache mit Sasha und der Autorin verwendet die Übersetzung das Pronomen sier (siem/ sien). Das Possessivpronomen lautet siere (sierem/sieren/sierer) und das Relativpronomen dier (diem/dien).
Zum sechzehnten Geburtstag wünschte sich Sasha ein Akkordeon, eine Schreibmaschine, eine sowjetische Flagge und einen neuen Zauberwürfel. Sasha konnte zwar nicht Akkordeon spielen, hätte es aber vielleicht gelernt, wenn sier eins zum Geburtstag bekommen hätte, was jedoch nicht der Fall war. Sasha bekam auch die Flagge nicht. Deshalb bastelten Sasha und sieren Freund Michael das Hammer-und-Sichel-Symbol aus Karton und hängten es an die Wand in Sashas Zimmer. Zu der Zeit war Sasha völlig besessen von allem, was mit Russland und Kommunismus zu tun hatte. Carrie, eine Freundin, die in dem Jahr mit Sasha den Bus nahm, erinnert sich daran, dass Sasha während der Fahrt zur Schule in einer Tour darüber redete.
»Wenn man Sasha mal richtig gut kennt, sagt sier ganz offen siere Meinung«, erklärt sie.
Aber dafür muss man Sasha erst mal richtig gut kennen. Bei der ersten Begegnung ist Sasha still und schüchtern. Sier hat kinnlanges gewelltes Haar, ein blasses rundes Gesicht und dichte dunkle Augenbrauen. Wenn Sasha lächelt, werden siere Augen zu Schlitzen. Sasha trägt eine runde, eulenhafte Brille und sieht einen nicht immer direkt an. Sasha hat das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus, was sier in Gesellschaft manchmal unbeholfen erscheinen lässt. Aber das ist auch der Grund, warum Sasha siere Interessen mit großer Leidenschaft verfolgt, und diese Leidenschaft siegt irgendwann über die Schüchternheit.
Was waren Sashas Leidenschaften, als sier in der zwölften Klasse war? »Busse, Zeichentrickfilme und die Farbe Lila«, sagt Healy, eine enge Freundin Sashas. Dem könnte man noch Kommunismus, Spiele, den Webcomic Homestuck und Live-Rollenspiele oder LARP (Live-Action-Role-Playing) hinzufügen. Sowie die Ska-Pop-Punk-Band Sarchasm, die von Maybeck-High-School-Kids gegründet worden war und die Sasha einmal zu ihrem größten Fan erklärt hatte. Und Veganismus, auch wenn es Sasha nicht gefiel, dass andere Veganer*innen im Internet so eine große Sache daraus machten.
Sashas bester Freund war Michael, ein großer, schlaksiger Typ mit sandfarbenem Haar und dicken Brillengläsern, der immer eine graue Beanie-Mütze und eine grüne Armeejacke trug. Michael und Sasha waren seit dem ersten Highschooljahr ziemlich unzertrennlich gewesen, als sie sich beim Spielen des Brettspiels Diplomacy kennenlernten. Im Laufe der Zeit bildeten sie den Kern eines engen Freund*innenkreises: Sasha, Healy, Michael, Michaels Freundin Teah und ein weiterer Freund namens Ian. Ian, blond, bärtig und mit der Angewohnheit, das Kinn einzuziehen und einen von unten anzusehen, war der Gesprächigste von allen. Die rothaarige Healy war eine unerschöpfliche Quelle der Begeisterung, die Leuten den Hut vom Kopf klaute und mit ihren Gefühlen nie hinterm Berg hielt. Teah hatte ein Engelsgesicht und liebte Kostüme und Tanzen – sie und Michael waren sich so nahe, dass alle von ihnen sprachen, als wären sie eine einzige Person namens Tichael. Wenn die beiden zu verschmust wurden, zwängte sich Sasha dazwischen und schrie lauthals: »Lasst noch Platz für Jesus!«, wie die Anstandsdame bei einem christlichen Abschlussball.
Von allen in der Gruppe war Sasha am brillantesten – ganz gleich ob Analysis, Linguistik, Physik oder Computerprogrammierung, Sasha schien das alles mit links zu machen. Nicht dass die anderen akademische Nieten waren. Junge Leute, die nicht gern in die Schule gingen, würden sich wahrscheinlich eher nicht für Maybeck entscheiden, eine private Highschool mit etwa hundert Schüler*innen, die Räume auf zwei Etagen einer presbyterianischen Kirche in Berkeley gemietet hatte. In den winzigen Klassenzimmern versammelten sich die Kids um Konferenztische und diskutierten kritisch das Konzept Amerikas als leuchtende Stadt auf dem Hügel oder die Schriften von Charles Darwin und Ursula K. Le Guin.
Die Lehrkräfte behaupteten gerne, dass es an der Maybeck keine Cliquen wie an anderen Highschools gebe, und tatsächlich war dieser Ort eine Zufluchtsstätte für Jugendliche wie Healy, die in der Middleschool gemobbt worden war. Leute gingen an der Maybeck nett miteinander um und akzeptierten einander. Trotzdem gab es auch dort wie an jeder anderen Highschool soziale Gruppierungen – künstlerisch begabte junge Leute, Kiffer und Bros.
»Wir waren die Nerds«, sagt Ian, »die witzigen, ein bisschen verrückten nerdigen Leute, die Videospiele spielten, Anime schauten und Mangas lasen.«
Sie spielten alle leidenschaftlich gern: Brettspiele, Videospiele, Kartenspiele, Rollenspiele, Sammelkartenspiele. In der Mittagspause und nach der Schule setzten sie sich oft zusammen an einen Holztisch, der im Gang stand und den die Leute den Hex-Tisch nannten, obwohl er, wie Ian anmerkte, ein Achteck und kein Sechseck oder Hexagon darstellte. Dort spielten sie Karten, vor allem ein Spiel, das Michael und Sasha in ihrem ersten Highschooljahr von ein paar Leuten aus der Zwölften gelernt hatten. Offiziell hieß es 1001 leere weiße Karten, auch wenn sie es meistens einfach nur Karteikarten nannten.
»Das Spiel wird mit Karteikarten gespielt«, erklärt Sasha. »Die nicht alle weiß und von denen mittlerweile sehr wenige leer sind.« Mit der Zeit wuchs der Stapel stetig weiter, und wann immer sie das Spiel erweitern wollten, stibitzten sie Karteikarten aus den Klassenzimmern. Wer eine leere Karte aus dem Stapel zog, durfte sie ausfüllen und ihr einen Punktewert und eine Aufgabe zuweisen – je willkürlicher, umso besser. Mit der Zeit füllte sich das Spiel mit Insiderwitzen.
Auf einer Karte war eine Zeichnung von Ernest Hemingways Roman Fiesta, und die Person, die sie zog, musste zwei Runden aussetzen, weil du das Buch liest und dich zu Tode langweilst. Es gab eine Karte, bei der man mit einem russischen Akzent sprechen musste, eine Karte, bei der man lispeln musste, und eine Karte, bei der man lispeln und mit einem russischen Akzent sprechen musste. Dann gab es noch Karten, bei denen man ein Luftgitarrensolo spielen, wie eine auf Englisch synchronisierte Anime-Figur sprechen, Blätter wie eine Giraffe essen, Starrwettbewerbe machen und jeden Satz mit dem Wort dawg, Kumpel, beenden musste. Es gab eine Karte namens »Hutturm«, bei der man die Hüte aller anderen nehmen und sie aufgetürmt auf dem Kopf tragen musste. Und auf einer Karte stand: Game Over, Ian gewinnt! Die war als Geburtstagsgeschenk für Ian kreiert worden. Sasha entwarf eine Karte, die lautete: A Complete History of the Soviet Union as Told by a Humble Worker, Arranged to the Melody of Tetris (Die vollständige Geschichte der Sowjetunion in den Worten eines bescheidenen Arbeiters, zur Melodie von Tetris gesungen) – das war der Titel eines sechseinhalbminütigen Songs einer wenig bekannten britischen Comedy-Band namens Pig with the Face of a Boy. Michael und Sasha liebten diesen Song über alles und sangen ihn bei jeder Gelegenheit. »Wer die Karte zieht, muss den Song singen oder eine Runde aussetzen«, erklärt Sasha.
Von Ians Geburtstagskarte abgesehen gab es keine Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen, und kein wirkliches Ziel. Sie spielten einfach, bis alle nach Hause mussten. Als sie schließlich ihren Abschluss machten, war der Stapel Karten sechzig Zentimeter hoch und musste in einem speziellen Beutel herumgetragen werden. Aber am Anfang war der Großteil dieser 1001 weißen Karten noch leer gewesen. Damals hieß Sasha Luke und Leute bezeichneten Sasha als er.
In der Middleschool war Sasha aufgeweckt, schüchtern und introvertiert, die Art Kind, die leicht übersehen wird. Sashas Vater Karl bezeichnet diese Eigenschaften als Sashas »Tarnmantel«. »Sier verschmilzt mit dem Hintergrund«, erklärt er. »Sier war schon immer ein Kind, das niemand auch nur wahrnimmt.«
Sasha schien andere Leute nicht wirklich zu brauchen; tatsächlich sagte sier oft, dass die Welt ohne Menschen ein besserer Ort wäre.
Die Welt in Sashas Kopf war faszinierend genug. Sasha dachte viel über Zahlen, Formen und die Größe des Universums nach. Sier zeichnete U-Bahn-Pläne und löste Matheaufgaben auf einem Whiteboard, das die Familie in der Frühstücksnische aufbewahrte. Sier interessierte sich für das All, Legosteine, Züge und die alten Griechen, und bemerkte Dinge, die den meisten Menschen nicht auffielen, wie die feinen Grün-Schattierungen eines Blattes oder die geometrischen Formen einer Skulptur. Sasha liebte Katzen und miaute gerne. Sasha konnte nicht sagen, ob das alles am Asperger-Syndrom lag, da sier natürlich noch nie ohne Asperger-Syndrom gelebt hatte. Der einzige Kopf, in dem Sasha je gewesen war, war der eigene.
In der sechsten Klasse wechselte Sasha auf eine winzige Montessorischule mit etwa fünfundzwanzig Kindern in jeder Jahrgangsstufe. Sasha war in einer gemischten Klasse mit Viert-, Fünft- und Sechstklässlern und in diesem Jahr war außer Sasha nur noch ein weiteres Kind dazugekommen, eine rotwangige Fünftklässlerin namens Samantha. Sie sah direkt durch Sashas Tarnmantel hindurch und erkannte in Sasha eine gleichgesinnte Seele.
Samantha war einen Kopf größer als Sasha, hatte strubbeliges blondes Haar, elfenbeinfarbene Haut, die schnell rot wurde, und eine Brille mit Drahtgestell. Ihre Familie zog oft um und mit zehn Jahren hatte sie bereits in fünf Bundesstaaten gelebt und sechs verschiedene Grundschulen besucht. Aber sie hatte noch nie eine beste Freundin oder einen besten Freund gehabt. Sie war daran gewohnt, eine Außenseiterin zu sein und sich zugleich klüger und dümmer als die anderen Kinder zu fühlen. Ihr Dad war Nanotechniker und hatte ein Labor im Keller ihres Hauses. Ihr ganzes Leben lang hatte er ihr »Dad-Hausaufgaben« gegeben, wie er es nannte, und es hatte ihr immer Freude bereitet, ihre Intelligenz zu demonstrieren. Doch sie schien sich nie die Regeln aneignen zu können, an die sich all die anderen Kinder gewöhnlich hielten, Regeln, die bestimmten, wie man zu sprechen, wie man auszusehen und wofür man sich zu interessieren hatte. Regeln, die bestimmten, wie klug zu klug war.
Samantha fiel auf, dass Sasha sieren Namen in griechischen Buchstaben auf siere Hausaufgaben schrieb. Ihr fiel auf, dass Sasha Mathe liebte sowie Kostüme und Fantasiewelten. Ihr fiel auf, mit welcher Leidenschaft Sasha siere Überzeugungen verfocht – zum Beispiel, dass die alten Griechen besser waren als die alten Römer, dass das Duodezimalsystem besser ist als das Dezimalsystem, dass Katzen besser sind als Hunde. Ihr fielen Sashas lange Wimpern auf und Sashas lockige, schulterlange braune Haare.
»Samantha ist in mich verknallt«, teilte Sasha Karl mit einer Art anthropologischem Interesse mit. Und es stimmte: Sie war in sien verknallt. Es dauerte nicht lange, bis die beiden unzertrennlich wurden. Sasha übernahm Samanthas Redeweise – verkündete »Voll daneben!«, wenn etwas bescheuert, und »Lol!«, wenn etwas lustig war. Sie spielten Dungeons & Dragons und ließen dann den zwölfseitigen Würfel auf dem Boden liegen, um ihre eigenen magischen Schlachten zu erfinden. Sie adoptierten beide einen winzigen, unsichtbaren Drachen – Sashas hieß Cinnamon, Samanthas war Pendragon. Sie ließen sich bescheuerte Fernsehsendungen einfallen und entfesselten eine Flut von sich immer weiter steigernden Plattitüden, in dem Versuch, sich gegenseitig in Dümmlichkeit zu übertreffen. Sie waren sich so nahe, dass Samantha das Gefühl hatte, Sasha wäre in ihrem Kopf und würde ihre Gedanken denken, noch bevor sie sie selbst dachte.
Diese Nähe weckte natürlich die Neugierde ihrer Klassenkamerad*innen. Soweit es irgendjemand sagen konnte, war Samantha ein Mädchen und Sasha ein Junge. Sie wurden gnadenlos aufgezogen. Alle wollten wissen, ob sie miteinander gingen, ob sie sich küssten. (Das taten sie nicht.) Es trieb Samantha in den Wahnsinn. Einmal packte sie eine Klassenkameradin am Arm und brüllte: »Hör auf, dich über uns lustig zu machen!« Ihre Finger trafen einen Druckpunkt und das Mädchen schrie vor Schmerz auf. Samantha tat das schrecklich leid. Aber trotzdem. Warum konnten Leute sie nicht einfach in Ruhe lassen?
Es war Teil dieses verwirrenden Gefühls, das sie seit Jahren hatte: dass man allen außer ihr ein Handbuch überreicht hatte. Samantha wusste, dass es wichtig war, hübsch und niedlich zu sein, hatte aber keine Ahnung, wie sie das sein oder warum sie das überhaupt wollen sollte. Ihr Körper wurde üppiger. Brüste poppten aus ihrem Oberkörper wie zwei Kanonenkugeln, doch sie empfand sie nicht als sexy oder etwas Gutes, sondern nur als etwas sehr Belastendes. Sie verbarg sie unter bauschigen T-Shirts und Sweatshirts und beobachtete, wie die anderen Mädchen in kurzen Röcken und mit Spaghettiträgern in die Schule kamen, während sie sich fragte, warum für sie alles so viel schwerer war als für die anderen.
»Was muss ich tun, um beliebt zu sein?«, wollte sie von einer der Spaghettitopträgerinnen wissen. Der Gesichtsausdruck des Mädchens – sein gesenkter Blick, die Art, wie es um sich sah und nach einem Ausweg suchte – teilte Samantha eindeutig mit, dass diese Frage ein böser Fehler gewesen war. Wenn du fragen musst, kannst du’s vergessen.
Etwas stimmte also offensichtlich nicht mir ihr, und zwar so ganz und gar nicht. Sie war wütend. Sie war traurig. Sie hatte Angst. Sie wollte sterben.
In der sechsten Klasse sprach sie diesen Gedanken im Unterricht einmal laut aus. Ihre Lehrerin informierte ihre Eltern darüber, die sie daraufhin zu einer Therapeutin brachten.
Irgendwann erzählte Samantha der Therapeutin von einem Video, das sie auf YouTube gesehen hatte. Es zeigt zwei Rücken an Rücken stehende junge Frauen, die ein Poetry-Slam-Gedicht mit dem Titel »Hir« – eine Mischung aus den englischen Pronomen his und her – vortrugen. Die beiden drehten sich abwechselnd zum Mikro, während sie einem Mädchen namens Melissa und dem Jungen in ihr namens James die Stimme leihen.
Manchmal wünscht sie sich,
sie könnte sich die Haut vom Rücken reißen.
Jede einzelne Minute
jeden Tages fühlt sie sich gefangen
im Körper einer Fremden.
Das Gedicht weckte starke Gefühle in ihr, hallte im Einklang mit ihrem tiefsten Innern wider. Vor der Pubertät schien ihre körperliche Erscheinung nicht viel damit zu tun zu haben, wer sie war. Obwohl Leute sie oft mit einem Jungen verwechselten, war sie stolz darauf gewesen, ein Mädchen zu sein. Aber ein Mädchen zu sein fühlte sich jetzt an, als hätte man sie in ein schweres, einengendes Kostüm gesteckt. Sie konnte darin kaum atmen.
Die Regeln des Universums standen fest: Wenn man auf eine bestimmte Art und Weise aussieht, muss man sich auf eine bestimmte Art und Weise benehmen und dementsprechend werden die Leute einen auf eine bestimmte Art und Weise behandeln. Es gab keine Möglichkeit, das zu ändern.
»Ich glaube, ich könnte … transgender sein?«, flüsterte sie ihrer Therapeutin in der darauffolgenden Woche zu.
»Ich glaube nicht, dass du weißt, was transgender bedeutet«, antwortete ihre Therapeutin.
Die Gefühle, die »Hir« in ihr geweckt hatte, erstarben. Sie ist die Expertin, dachte Samantha.
Erst ein Jahr später erzählte sie es jemand anderem.
Sasha und Samantha spielten Gran Turismo 2 in Sashas Keller. Samantha war in der siebten Klasse, Sasha in der achten.
Samantha atmete einmal tief durch. »Ich muss dir was wirklich Wichtiges sagen.«
Sashas Blick war auf den Bildschirm gerichtet, auf dem sich ihre beiden Autos ein Wettrennen lieferten. »Was denn?«
»Ich bin transgender.«
Sie erzählte Sasha, wie sie sich schon die ganze Zeit gefühlt und wie ihre Therapeutin im Jahr zuvor darauf reagiert hatte.
»Nur du weißt, was du fühlst«, sagte Sasha. »Wenn dieses Wort ausdrückt, wie du dich fühlst, dann bleib dabei. Und was war jetzt diese wichtige Sache, die du mir unbedingt sagen musstest?«
Fünf Jahre später blickte ein gut aussehender, rotwangiger junger Mann namens Andrew auf diese Unterhaltung zurück und betrachtete sie als einen der Momente in seinem Leben, in denen er sich wirklich ernst genommen gefühlt hatte. »Es war gar nicht so, dass ich mit einer negativen Reaktion von Sasha gerechnet hatte, denn ich kenne Sasha, und Sasha ist mit Abstand eine der klügsten Personen, die ich je getroffen habe, und auch eine der freundlichsten«, erinnerte er sich. »Aber dass sich trotz des Risikos, das ich eingegangen war, nichts zwischen uns veränderte, war ein wunderbares Gefühl.«
Nach diesem einen Gespräch redete Andrew in der siebten Klasse nur noch selten mit Sasha über Genderfragen. Seinen Eltern erzählte er erst ein Jahr später, dass er trans* war. Eine Weile lang versuchte er sich selbst davon zu überzeugen, dass es kein Problem sein würde, ein Mädchen zu sein, dass es einfach zu schwer war, als Trans*Person zu leben. Als Sasha in der neunten Klasse war, war Andrew beim Maybeck-Abschlussball sieren Date. Er trug ein flaschengrünes Kleid und blutroten Lippenstift und hatte kupferrot gefärbte Haare. Aber es war lediglich eine Kostümierung – das Kleid, der Lippenstift, das Haar, der Körper. Als er im Herbst auf die Highschool wechselte, hatte Andrew bereits mit der Transition angefangen.
Sasha und Andrew hingen in Sashas Zimmer ab. Es war der Winter 2012. Sasha war in der zehnten Klasse der Maybeck High School und Andrew besuchte die neunte einer nahe gelegenen öffentlichen Highschool. Sasha saß am Computer und erklärte Andrew die Regeln des Brettspiels Diplomacy.
»Andrew?«, sagte Sasha. »Ich weiß nicht, ob das eine unhöfliche Frage ist, aber wie ist dir klar geworden, dass du ein Junge bist?«
»Ich wusste einfach, dass ich kein Mädchen bin«, erklärte Andrew. »Ich wusste einfach, dass ich das auf keinen Fall war.«