Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – CORPS OF ENGINEERS 4: UNMÖGLICHES IST UNSER METIER
wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Susanne Picard; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell;
Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei;
Print-Ausgabe gedruckt von BoD. Printed in Germany.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – S.C.E.: BOOK 4
German translation copyright © 2018 by Amigo Grafik GbR.
Star Trek S.C.E. #13: No Surrender copyright © 2002
Star Trek S.C.E. #14: Caveat Emptor copyright © 2002
Star Trek S.C.E. #15: Past Life copyright © 2002
Star Trek S.C.E. #16: Oaths copyright © 2002
Original English language edition copyright © 2002 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-95981-704-2 (November 2018) · E-Book ISBN 978-3-95981-705-9 (November 2018)
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Star Trek – Corps of Engineers Band 13: Niemals Aufgeben!
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Star Trek – Corps of Engineers Band 14: Gewährleistungsausschluss
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Star Trek – Corps of Engineers Band 14: Ferne Vergangenheit
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Star Trek – Corps of Engineers Band 14: Der Hippokratische Eid
Danksagungen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
JEFF MARIOTTE
Based on
Star Trek
and
Star Trek: The Next Generation
created by Gene Roddenberry
Ins Deutsche übertragen von
Susanne Picard
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – CORPS OF ENGINEERS: NIEMALS AUFGEBEN!
wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Susanne Picard;
verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust
und Gisela Schell; Cover Artwork: Martin Frei.
Titel der Originalausgabe: STAR TREK – CORPS OF ENGINEERS: NO SURRENDER
German translation copyright © 2015 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2002 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2015 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
ISBN 978-3-86425-712-4 (Juli 2015)
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Deborah Bradford umklammerte fest Bens kleine Hand, als sie das Shuttle auf Kursican Primus betraten. Der Junge war gerade drei geworden und damit groß genug, um allein zu laufen, aber noch klein genug, dass sie sich Sorgen machte, er könnte totgetrampelt werden. Besondere Sorgen bereiteten ihr einige Mitglieder von weniger humanoiden Spezies, die ebenfalls an Bord gingen, wie zum Beispiel dieser Benzit dort drüben, dessen Benehmen ihn unnahbar, ja, sogar hochmütig erscheinen ließ. Er hätte ein Wesen, das ihm gerade mal bis zum Knie reichte, wohl kaum eines Blickes gewürdigt. Nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten, entspannte sie sich ein wenig. Der Flug zur „Plattform“, der kursicanischen Gefängnisstation in der Umlaufbahn, würde neun Stunden dauern. Das Shuttle war eher gebaut, um Fracht zu transportieren, keine Passagiere.
Die Kursicaner hatten offenbar wenig Gedanken oder Mühe an das Passagierabteil des Shuttles verschwendet. Es besaß einhundertzwanzig Sitze, schätzte Deborah, in zehn Reihen von je vier mal drei Sitzen, die durch schmale Gänge voneinander getrennt waren. Die Luken bestanden aus kaltem Metall ohne irgendwelchen Schmuck, und es gab keine Fenster, aus denen man hinaussehen konnte, oder sonst irgendetwas, womit es möglich war, sich abzulenken. Passagiere, die mehr bezahlten, konnten eine private Kabine buchen, aber davon gab es weniger als ein Dutzend, und Deborah hatte auch gar nicht so viel Geld ausgeben wollen. Sie hoffte nur, dass Ben in seinem Sitz würde schlafen können. Sie wollte, dass er ausgeruht und fröhlich war, wenn er bei ihrer Ankunft seinen Großvater traf.
Während des neunstündigen Flugs lernte Ben schließlich mehr Passagiere kennen als sie selbst. Das war nicht überraschend, denn er war ein ausgelassenes Kleinkind, und sie war als Mutter eines Dreijährigen wie immer sehr erschöpft. Ben dagegen machte die Bekanntschaft von Uree, einem deltanischen Diplomaten, der auf der Plattform einige Geschäfte zu erledigen hatte, dem Benziten, der, wie sich herausstellte, ein Herz für Kinder hatte, und drei Männern des Sicherheitspersonals, die ein wachsames Auge auf die Passagiere haben sollten. Im Sitz am Gang ihrer Reihe saß ein Medizintechniker namens Isitow, ein Mensch von Val’Jon, einem Planeten, der im gleichen System beheimatet war wie Kursican und Szylith. Isitow schien dankbar für die Ablenkung, die Ben bot. Deborah hatte den Eindruck, dass er so kurz vor dem Antritt seines neuen Postens ein wenig aufgeregt war. Andererseits war er auch noch sehr jung, und sie war sicher, dass selbst jemand mit mehr Erfahrung angesichts eines Jobs auf einer Raumstation, in der eintausend Kriminelle einsaßen, die von einhundert Wärtern bewacht wurden, nervös gewesen wäre. Nun, eigentlich waren es nicht nur Kriminelle, sondern auch politische Gefangene, korrigierte sie sich selbst.
Sie war auch sehr beeindruckt, dass Ben es geschafft hatte, sich mit Uree zu unterhalten. Der Deltaner war Mitglied einer Delegation, die beurteilen sollte, ob die drei Schwesterplaneten um Kursican in die Föderation aufgenommen werden sollten. Als Beweis des guten Willens wollte die Föderation Häftlinge, deren Heimatwelt der Föderation angehörte, von der Plattform befreit wissen. Oder zumindest sollte das geschehen, wenn eine eingehende Überprüfung aller relevanten Fakten ergab, dass sie der Verbrechen, derer man sie angeklagt hatte, nicht schuldig waren. Kursican hatte den Ruf, etwas übereifrig zu sein, wenn es um die Durchsetzung der Gesetze ging, und ein Arrest auf der Plattform hatte einen noch schlechteren Ruf, denn er galt als eine harte, schreckliche und erbarmungslose Strafe.
Deborah wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, ihren Vater dort zu treffen. Doch ihn nicht zu sehen, wäre noch schlimmer gewesen. Außerdem schuldete sie es Augustus Bradford, ihm seinen Enkel Benjamin vorzustellen.
Nachdem das Shuttle im Hangar der Plattform angedockt hatte, sammelte Deborah ihre und Bens Sachen zusammen und bereitete sich darauf vor, auszusteigen. Isitow trat beiseite, um sie vorbeizulassen, und lief prompt rückwärts in einen anderen Passagier hinein, wobei er zu allem Überfluss auch noch seine Tasche fallen ließ. Er hob sie schnell wieder auf und murmelte sowohl dem Passagier hinter ihm als auch Deborah eine Entschuldigung zu. Sie bemerkte einen glänzenden Schweißfilm auf seiner Oberlippe, als sie an ihm vorbei und auf den Ausgang zuging. Der arme Kerl ist wirklich nervös, dachte sie. Sie hielt Ben fest an der Hand und führte ihn aus dem Shuttle hinaus. Dabei dachte sie an Isitow, denn es war leichter, an ihn zu denken und nicht an ihren Vater, der wegen seiner politischen Überzeugungen lebenslang im Gefängnis saß.
Sie hoffte, dass dieser Ausflug für sie alle nicht allzu traumatisch werden würde.
Captain David Gold saß hinter seinem Schreibtisch und fuhr sich mit der Hand nachdenklich durchs Haar. Deshalb ist es so weiß. Er verspürte nichts als Respekt für seine Besatzung und er liebte sein Schiff. Aber die da Vinci schien derzeit wie ein Gummiball durchs Weltall zu springen. Überall dort, wo ein Problem auftauchte, wurde sie gebraucht. Hat nicht jedes Schiff einen oder zwei Ingenieure an Bord?, fragte er sich. Muss sich das S.I.K. denn um jede Kleinigkeit kümmern?
Er wusste, dass es besser war, unentbehrlich zu sein, als andersherum. Aber kaum hatten sie Soloman, Carol Abramowitz und Bart Faulwell von ihrem Abstecher auf Keorga abgeholt, schickte Captain Montgomery Scott sie bereits zu einem neuen Notfall. Gold hatte die Brücke verlassen und war in seinen Bereitschaftsraum gegangen, weil Scotty ausdrücklich darum gebeten hatte, ihn unter vier Augen zu sprechen. Und auch wenn er noch nicht wusste, warum, ahnte Gold, dass der einzige Grund darin bestehen konnte, dass es bei dieser Mission um etwas ganz und gar Unerfreuliches ging.
„Bildschirm an“, sagte er, als er sich bereit fühlte, die Nachricht entgegenzunehmen.
Sein Bildschirm flackerte auf. Nach einem Augenblick war Scottys Gesicht zu sehen. Aber der üblicherweise so leutselige Verbindungsoffizier des S.I.K. trug nicht sein übliches Lächeln zur Schau. „Gut“, sagte er. „Sie sitzen schon.“
„Ja“, erwiderte Gold. „Aber warum spielt das eine Rolle?“
„Weil die da Vinci das letzte Schiff der Flotte ist, das ich auf diese Mission schicken würde, wenn es nach mir ginge“, antwortete Scotty.
„Wohin soll’s denn gehen?“
„Ins kursicanische System. Um genau zu sein, zur kursicanischen Inhaftierungsanstalt, die sich in einer Umlaufbahn um den Planeten befindet.“
Gold zog die Brauen zusammen. „Das ist eine Gefängnisstation, nicht wahr?“
„Das ist richtig“, bestätigte Scotty. „Die haben da ein winziges Problem.“
„Warum sollten Sie uns denn nicht dort hinschicken?“, fragte Gold. „Nicht, dass ich nach einem Grund suche, dort hinzugehen, aber wir befinden uns im Augenblick in relativer Nähe. Und ich betone das Wort ‚relativ‘, wenn man bedenkt, dass Kursican sich praktisch im Delta-Quadranten befindet.“
„Deshalb schicke ich Sie. Zeit ist ein essenzieller Faktor, und Sie sind die nächste S.I.K.-Besatzung, die ich habe. Und der Grund, warum ich das lieber nicht tun würde … ist persönlicher Natur.“
Gold gefiel das gar nicht. Aber er wusste, dass die Entscheidung bereits gefallen war. Er hielt lange genug inne, um Ensign Wong über das Interkom mitzuteilen, dass die da Vinci mit Warp neun Kurs auf Kursican nehmen solle. Dann wandte er sich wieder an Scottys Bild auf dem Schirm. „Worin besteht also das ‚winzige Problem‘?“, wollte er wissen.
„Das Gefängnis, sie nennen es die Plattform, spielt gerade völlig verrückt“, erklärte Scott. „Es hat seine Position verlassen. Es gibt keine Kommunikation mit der Station, und deshalb weiß niemand, was passiert ist. Die Stabilisatoren sind offenbar Schrott. Nach allem, was ich höre, wirbelt und springt die Station herum wie ein Tennisball in einem Wirbelsturm, und die Umlaufbahn sinkt rapide ab. Wenn nicht bald etwas getan wird, ist es wahrscheinlich, dass die Station in die Atmosphäre von Kursican eintritt und mit irgendetwas zusammenprallt. Und es sind eine Menge Leute auf dem Planeten. Es wäre beinahe unmöglich, dass die Plattform auf dem Planeten aufprallt und dabei niemandem auf den Kopf fällt.“
„Und was tun die Kursicaner?“, erkundigte sich Gold. „Können sie sie nicht per Fernwartung unter Kontrolle bringen?“
„Haben sie versucht. Unter uns: Ich glaube nicht, dass sie es besonders intensiv versucht haben. Ihnen scheint nicht sehr viel an den Leuten zu liegen, die sich auf der Plattform befinden. Soweit es sie betrifft, handelt es sich bei denen um den Abschaum von Kursican und seinen Schwesterplaneten. Aber wenn das Ding ihnen auf den Kopf fällt, denken sie vielleicht anders darüber.“
„Trotzdem.“ Gold war nicht überzeugt. „Ich fände es richtig, wenn sie sich selbst bis zu einem gewissen Grad bemühen. Kursican ist noch nicht einmal in die Föderation aufgenommen. Warum genau wurden wir in die Sache hineingezogen?“
„Sie haben recht, das sind sie nicht. Aber ihr Aufnahmeantrag wird erwogen, und wir haben zufällig einen Botschafter vor Ort: Uree, ein Deltaner. Genau genommen ist er sogar auf der Plattform. Das ist unsere Rechtfertigung. Wir haben die Kursicaner gefragt, ob es ihnen etwas ausmacht, wenn wir das erledigen, und den Kursicanern macht es nichts aus. Sie haben uns ihren Segen gegeben. Wenn schon sonst nichts, dann müssen wir eben dafür sorgen, dass wir Uree lebend da rausbekommen.“
„Gut“, sagte Gold. „Jetzt fange ich langsam an zu verstehen. Allerdings wäre da noch etwas. Warum nicht die da Vinci schicken? Was hat es mit diesem persönlichen Grund auf sich, von dem Sie sprachen?“
„Weil ich glaube, David, dass Sie einen der Gefangenen auf der Plattform kennen“, sagte Scotty mit nüchterner Stimme. „Einen Herrn namens Augustus Bradford.“
Ihn kennen?, dachte Gold. Na, das ist mal eine Untertreibung. Er hatte den Namen seit Jahren nicht gehört, ihn aber nie vergessen.
David Gold und Gus Bradford hatten im gleichen Jahr ihr Studium an der Sternenflottenakademie aufgenommen. Sie waren enge Freunde geworden. Nach der Akademie hatten sie beide auf der Gettysburg gedient, unter Captain Mark Jameson. Besonders Gus hatte Jameson verehrt, und Gold musste zugeben, dass der Captain damals als Idol bezeichnet werden konnte. Er war mutig, klug, hatte keine Angst, schwierige Entscheidungen zu treffen, und meist traf er auch die richtigen. Er war in der Sternenflotte bereits zu Recht berühmt für seine diplomatischen Fähigkeiten, hatte er doch die Verhandlungen auf Mordan IV zum Erfolg geführt. Als Gus hörte, dass er Jamesons Schiff zugeteilt war, hatte er buchstäblich getanzt vor Freude.
Aber es hatte sich herausgestellt, dass Jameson in Wirklichkeit nicht unbedingt der Diplomat war, für den er sich hielt. Jahrzehnte später war die Wahrheit über die Verhandlungen auf Mordan IV ans Licht gekommen. Sowohl Gold als auch Bradford dienten mittlerweile woanders, und als sich das Gerücht verbreitete, hatte Gold Bradford kontaktiert. Sie hatten darüber gesprochen und über die Schande, die Jameson so spät in seinem Leben über sich gebracht hatte.
Jameson war nach Mordan IV geschickt worden, weil Karnas, der Sohn eines ermordeten Stammesführers, ein Raumschiff gekapert und gedroht hatte, die Passagiere zu töten, es sei denn, die Sternenflotte überließe ihm die Waffen, die er brauchte, um seinen Vater zu rächen. Jameson hatte das Schiff intakt wiederbekommen, das Leben von dreiundsechzig Menschen gerettet und wurde für seine Bemühungen als Held gefeiert. Was die Sternenflotte jedoch nicht wusste (bis Jahre vergangen und Millionen gestorben waren), war, dass Jameson Karnas’ Forderungen nachgegeben und ihm die Waffen gegeben hatte, die er forderte. Er hatte bewusst die Oberste Direktive verletzt, indem er das tat. Jameson hatte sich bemüht, die Dinge wieder gutzumachen, indem er den anderen Stämmen die gleichen Waffen gab, die er auch Karnas überlassen hatte, um so das Gleichgewicht der Kräfte aufrechtzuerhalten.
Was er allerdings stattdessen erreicht hatte, war, der Bevölkerung von Mordan IV zu ermöglichen, sich selbst zu zerstören. Ein Bürgerkrieg begann, der über vierzig Jahre andauerte und beinahe alles Leben auf dem Planeten auslöschte. Jahrzehnte später, Jameson war bereits ein Admiral im Ruhestand, wurde er an Bord der U.S.S. Enterprise nach Mordan IV zurückgebracht. Der Admiral hatte starke Medikamente gegen die Iverson-Krankheit eingenommen, die seinen Körper zerstört hatten. Vor Ort erfuhr Jameson, dass Karnas ihn zum Planeten zurückgeholt hatte, um ihn für seine lange zurückliegenden Taten zu bestrafen. Jameson schaffte es, die gefangenen Föderationsrepräsentanten zu befreien, indem er sich Karnas auslieferte. Und doch war es schon zu spät für Jameson. Das Medikament, das er hatte nehmen müssen, hatte ihn getötet, und auf Wunsch seiner Frau wurde er auf Mordan IV begraben.
Gus hatte sich nach den Ereignissen verändert. Gold war immer in Kontakt mit ihm geblieben, er war Bradfords Trauzeuge gewesen, als dieser Anita geheiratet hatte, und Bradford hatte zum ersten Mal eine Synagoge betreten, als Gold die liebreizende Rabbinerin Rachel Gilman geehelicht hatte. Bradfords Tochter Deborah war Golds Patenkind, und die beiden Familien hatten sich oft getroffen und waren sogar zusammen verreist. Aber zu erfahren, dass Jameson seine Prinzipien verraten und vierzig Jahre lang seine Verbrechen geheim gehalten hatte, hatte Gus verbittert. Es war, als käme er, vielleicht gerade weil er den Mann so verehrt hatte, mit der Wahrheit über ihn nicht zurecht. Bei dieser Unterhaltung, die nunmehr zwölf Jahre zurücklag, hatten Gold und er zum letzten Mal miteinander gesprochen. Alle späteren Versuche Golds, den Kontakt wiederaufzunehmen, waren von Gus zurückgewiesen worden. Gus hatte die Sternenflotte verlassen und auch seine Frau Anita. Das Letzte, was Gold von ihm gehört hatte, waren Gerüchte gewesen, dass er den Föderationsraum verlassen hatte.
Das bedeutete, erkannte Gold, es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass er im kursicanischen System aufgetaucht war. Ihm wurde auch klar, dass Scotty ihn fragend ansah.
„Tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Ich war in Gedanken.“
„Das verstehe ich, David. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das aufhalsen muss.“
„Nein, das ist kein Problem“, sagte Gold.
„Ich bin froh, das zu hören.“
„Wissen Sie zufällig, warum er einsitzt?“
„Es gibt eine politische Bewegung, die hauptsächlich aus Menschen besteht und auf dem Planeten Val’Jon angesiedelt ist. Sie richtet sich gegen Kursican und andere Planeten im System, die der Föderation beitreten wollen. Offenbar sind sie von friedlichem Widerstand zu Gewalt übergegangen. Kursicans Behörden haben die Anführer festgenommen, und Bradford war einer von ihnen.“
„Das klingt durchaus nach Gus“, erklärte Gold. „Er ging dorthin, um der Föderation zu entkommen.“
„Das habe ich auch gehört.“
„Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Scotty“, versicherte ihm Gold. „Ich mochte Gus Bradford einst. Aber das ist lange her, und über diese Geschichte ist besonders viel Gras gewachsen.“
„Na, dann will ich das mal glauben“, sagte Scotty. „Aber da ist noch etwas, das Sie wissen sollten.“
„Was denn? Noch ein Haken?“
„Mehr oder weniger. Da ist noch jemand auf der Station. Laut den kursicanischen Behörden war sie gerade dort, um ihren Vater zu besuchen, und sie kam mit dem gleichen Shuttle an wie der Föderationsbotschafter.“
„Nein, nicht Deborah!“, stieß Gold hervor und erinnerte sich an das brünette kleine Mädchen, das immer auf seine Knie geklettert war und um Geschichten gebettelt hatte.
„Aye. Deborah. Und ihr Sohn Benjamin“, bestätigte Scotty.
„Gus Bradford ist Großvater geworden?“
„Das kommt vor“, schmunzelte Scotty. „Sie sollten das besser wissen als die meisten.“
Gold warf einen kurzen Blick auf die Bilder, die in beliebiger Reihenfolge auf seinem Schreibtisch erschienen. Familienfotos. Scotty hatte natürlich recht. Ruth, eine seiner vielen Enkelinnen, würde schon bald mit dem jüngsten Mitglied einer noch größeren Urenkelschar niederkommen. Das Einzige, was Gold wirklich daran überraschte, dass Bradford ein Enkelkind hatte, war die Tatsache, dass er noch nichts davon gehört hatte.
„Da haben Sie wohl recht, das tun sie. Das spielt keine Rolle, Scotty. Wir sind auf dem Weg. Wir werden das Ding im All halten, wo es hingehört, und wir werden jeden an Bord dieser Station retten, wenn wir können. Ob sein Name nun Bradford lautet oder nicht.“
„Ich weiß, das werden Sie, David. Ich wollte nur nicht, dass Sie ohne Vorwarnung ins kalte Wasser springen.“
„Das weiß ich zu schätzen, Scotty“, erwiderte Gold.
Scott unterbrach die Verbindung. Gold ging sofort auf die Brücke. Gerade jetzt wollte er nicht allein mit seinen Gedanken sein.
Commander Sonya Gomez und Lieutenant Commander Kieran Duffy betrachteten die Baupläne und Schemata der kursicanischen Gefängnisstation in der Umlaufbahn, die die Kursicaner ihnen überlassen hatten. Duffy war aufgefallen, dass sie es mit einem gewissen Widerwillen getan hatten. Er und Gomez saßen im Besprechungsraum dicht beieinander, sodass sich ihre Knie berührten. Hin und wieder nahm einer die Hand des anderen, um ihn auf etwas Besonderes in den Plänen aufmerksam zu machen, und hielt dann die Finger des anderen etwas länger, als absolut notwendig war.
„Zu Beginn war es wohl eher eine Art Zwischenstation für Reisen ins All“, sagte Gomez gerade. „Die Kursicaner hatten große Schwierigkeiten, irgendetwas, das groß genug war, um ernsthafte Forschungsreisen ins umliegende All durchzuführen, von der Planetenoberfläche aus zu starten. Also gingen all ihre frühen Starts von dieser Raumstation aus.“
„Da hatten sie wohl nicht die richtige Motivation“, erwiderte Duffy.
„Was meinst du damit? Was für eine Motivation?“
Er lächelte ihr zu und wünschte, er hätte Zeit, sich in ihren braunen Augen zu verlieren. „Wenn sie gewusst hätten, dass du dort draußen auf sie wartest, bin ich sicher, hätten sie schon viel früher eine Lösung gefunden.“
Sie lachte. Es klang ein wenig unbehaglich, bemerkte Duffy. Dann schüttelte sie den Kopf und strich sich mit den Fingern eine dicke Strähne ihres schwarzen Haars aus den Augen. „Ja, ich und Helena von Troja“, sagte sie. „Das Gesicht, das tausend Raumschiffe zu den Sternen schickte.“
„Genau.“
„Schmeichler.“
„Ich sage nur, was ich denke.“
„Natürlich tust du das“, wehrte sie ab. „Komm schon, wir haben viel zu tun. Was hast du herausgefunden?“
Duffy seufzte schwer. An die Arbeit, dachte er. Sonny versteht es wirklich, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, wenn sie will. „Wie du schon sagtest, sie ist alt“, erklärte er. „Und ganz schön primitiv. Die Gefangenen sind hier, in der Mitte, untergebracht.“ Er wies auf einen konisch geformten Bereich, der an der Basis spitz zulief, sich weiter oben wie ein Kegel verbreiterte und der sich um den Kern herum erstreckte. „Sie sitzen in übereinanderliegenden Zellen – hier –, und die Zellen sind kreisförmig um die zentralen Durchgänge herum gruppiert. Wächter sind in den Gängen um das Zentrum unterwegs und können von dort aus in die Zellen hineinsehen oder auch hineingehen, wenn das nötig ist.“
„Wie viele Gefangene können dort untergebracht werden?“, fragte Gomez.
„Eintausend“, antwortete Duffy. „Der Abschaum vom Abschaum, wie die Kursicaner sagen. Ich nehme an, es handelt sich um diejenigen, die sie nie wieder sehen wollen.“ Er wies auf einen Ring, der unter dem Boden des Kegels lag. „Hier unten befinden sich die Quartiere für die Wachen, zwischen den Zellen und den Lagerräumen und dem Kontrollbereich.“ Sein Zeigefinger glitt noch tiefer. „In diesem Ring mit den Korridoren befinden sich der Kontrollraum, alle Büros der Gefängnisbehörden, die Lebenserhaltungssysteme, die Messe, die Krankenstation und all das. Und ganz hier unten“, er wies auf die unterste Sektion der Station, „ist ein sehr stark kontrollierter Transporterraum.“
„Das hoffe ich doch“, warf Gomez ein. „Ich meine, dass er stark kontrolliert wird.“
„Genau. Die Energieversorgung ist ebenfalls dort unten. Und der Shuttlehangar sowie die Fluchtkapseln sind auch hier.“
„Also muss jeder, der von der Raumstation verschwinden will, hier unten durch“, schlussfolgerte Gomez.
„Das ist richtig. So wie ich das verstehe, sind die Gefangenen weiter oben untergebracht, je gefährlicher sie eingestuft werden. Die alltäglichen Mörder aus der Nachbarschaft sitzen ganz unten, nahe der Spitze, ein. Die Massenmörder dann schon etwas weiter oben, zusammen mit den Anwälten und den Politikern.“
Gomez lachte. Er mochte den Klang dieses Lachens und die Art, wie ihre Zähne blitzten und im sanften Licht des Bildschirms wie Perlen wirkten.
„Grundsätzlich“, sagte er dann, „haben wir es hier mit einer kleinen schwebenden Stadt zu tun.“
„Auch wenn ich nicht in ihr leben wollen würde, wenn ich die Wahl hätte“, kommentierte Gomez.
„Das stimmt. Besonders jetzt nicht, denn wenn man dort lebt, wird man wohl zurzeit ungefähr alle dreißig Sekunden einmal mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand geschlagen.“
„Und das macht die Sache kompliziert, so wie ich das verstehe“, erklärte Gomez. „Die Station mag alt sein, aber das Einzige, was sie auf dem neuesten Stand gehalten haben, sind die Verteidigungssysteme.“
„Das ergibt Sinn. Niemand will eine Gefängnisstation, auf der jeder landen und Gefangene mitnehmen kann.“
„Richtig“, fuhr sie fort. „Wenn wir also dort ankommen, können wir nicht einfach an Bord beamen. Wir können nicht allzu nah heran, ohne die Phaserbänke zu aktivieren, die Photonentorpedos und überhaupt die ganze Bewaffnung. Selbst wenn wir diese überwinden können … kannst du dir vorstellen, in einem Shuttlehangar zu landen, der wie verrückt herumwirbelt und sich dreht, ohne dass diese Bewegungen ein Muster ergeben?“
„Ich denke, wie wir das machen können, werden wir vielleicht schon bald herausfinden“, sagte Duffy. Er nahm ihre Hände in seine eigenen. „Weißt du, mit dir hier zu sitzen, und sei es auch nur, während wir so etwas Profanes tun, wie die Pläne eines kursicanischen Gefängnisses durchzusehen … lässt mich wünschen, dass wir …“
„Nicht hier und nicht jetzt.“ Captain Gold stand im Türrahmen des Besprechungsraums. „Die Kursicaner haben lange gezögert, bevor sie uns diese Pläne überlassen haben. Ich würde es lieber sehen, wenn Sie sich beide darauf konzentrieren statt auf den jeweils anderen.“
Gomez stand rasch auf. Duffy konnte sehen, wie sich ihre Wangen röteten. „Das haben wir Captain“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich meine, wir waren gerade fertig damit, sie erneut durchzugehen. Ich glaube, wir wissen nun so viel wie möglich, ohne die Station selbst gesehen zu haben.“
„Gut“, sagte Gold. „Denn wir werden in ungefähr einer Stunde da sein. Gomez, ich möchte, dass Sie Ihr Team zusammenrufen und alle darüber aufklären, womit sie es zu tun bekommen. Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen gehen, aber das nur aus persönlichen Gründen. Mein Platz ist hier auf der da Vinci. Sie werden das Außenteam anführen, Gomez. Nehmen Sie mit, wen Sie brauchen, aber gehen Sie an Bord dieser Station und stellen Sie die Kontrolle wieder her.“
„Wir werden auf alle Fälle Elizabeth brauchen“, entschied Gomez. Elizabeth Lense war die Schiffsärztin der da Vinci.
„Emmett und die restliche medizinische Besatzung werden hier auf dem Schiff bereitstehen“, versicherte Gold. „Sind die Systeme dort drüben erst wiederhergestellt, können die mit den schlimmsten Verletzungen auf die Krankenstation hier an Bord gebeamt werden. Wahrscheinlich wird es viele Verwundete geben. Und ich befürchte, auch einige Tote. Die Plattform wirbelt nun schon seit Tagen planlos im Weltall herum.“
„Also gut, Sir“, sagte Gomez. „Ich werde sofort ein Treffen anberaumen und alle unterrichten.“
„Ich denke, das wäre eine ausgezeichnete Idee“, bemerkte Gold. „Und Sie beide denken vielleicht darüber nach, sich während der Besprechung an gegenüberliegende Seiten des Tischs zu setzen.“
Duffy schauderte, als Gold die Beobachtungslounge verließ.
„Was ist los?“, wollte Gomez wissen.
„Tut mir leid. Ich musste nur gerade an meinen Vater denken, der mich immer anschrie, als ich ein Teenager war.“
Gold hatte gemischte Gefühle über die Beziehung zwischen Gomez und Duffy. Auf der einen Seite unterstützte er die Liebe, wenn es denn Liebe war. Er liebte Rachel wirklich von ganzem Herzen. Aber auf der anderen Seite diente er auch nicht mit ihr zusammen an Bord eines Raumschiffs. Er vermisste sie, wenn er fort war und sie zu Hause in New York. Aber er musste sich auch nicht jedes Mal, wenn es auf der da Vinci rundging, Sorgen machen, dass sie in Gefahr geraten könnte. Er hatte Angst, wenn sich die Beziehung zwischen Duffy und Gomez zu sehr vertiefte, könnte die Chance bestehen, dass sie sich zu ihrem eigenen Schaden oder dem der restlichen Mannschaft zu sehr um den anderen kümmerten.
Die beiden waren Profis, das wusste er. Das hatten sie immer wieder unter Beweis gestellt, in allen möglichen Situationen. Es gab nichts, womit sie nicht fertigwurden. Gold hatte sogar, als Sicherheitschefin Corsi ihre Bedenken angesichts dieser Romanze ihm gegenüber geäußert hatte, das Recht der beiden, eine Beziehung zu führen, verteidigt, solange sie nicht mit ihren Pflichten kollidierte.
Und das war natürlich genau das Problem. Schiffsromanzen konnten jede Menge Ärger bedeuten. Diese Besorgnis galt natürlich auch, zumindest nahm er das an, für enge Freundschaften an Bord von Schiffen, selbst wenn es keinen romantischen Faktor darin gab. Er und Gus Bradford hatten eine Zeit lang eine solche Freundschaft gehabt. Sie hatten einander den Rücken gedeckt und sich um die Wunden des jeweils anderen gekümmert. Mit der Zeit hatten sie einander so gut gekannt, wie es zwei Menschen nur möglich war. Das hatte Gold zumindest geglaubt.
Er stellte fest, dass ein Teil von ihm sich darauf freute, Gus wiederzusehen. Trotz der harschen Abfuhr, die Gus ihm vor zwölf Jahren erteilt hatte, und seiner Weigerung, seither mit ihm zu sprechen, hielt er Gus noch immer für einen Mann, mit dem man gern seine Zeit verbrachte, und vermutete, dass Bradford sich wahrscheinlich nicht verändert hatte. Er war ein Mann, der sich gut ausdrücken konnte und kreativ war, eine Art Philosoph. Er dachte immer über alles nach, war immer auf der Suche nach neuen spirituellen und intellektuellen Herausforderungen. Wenn er eine Idee hatte, hielt er mit der Hartnäckigkeit einer Bulldogge daran fest. „Niemals aufgeben“, war seine Devise bei seinen Diskussionen mit Gold. Er konnte argumentieren, bis er blau im Gesicht war, aber es lief immer auf ein „Niemals aufgeben, Gold, niemals aufgeben“ hinaus.
Wenigstens so lange, bis die nächste Idee am Horizont auftauchte.
Gold fragte sich, ob es wohl diese Sturheit gewesen war, die Gus auf der Plattform hatte landen lassen.
Wahrscheinlich würde er das noch früh genug herausfinden.
Gomez hatte entschieden, dass das Außenteam aus Duffy, Lense, Soloman, P8 Blau und Stevens bestehen würde. Domenica Corsi sollte sich um das Sicherheitsteam kümmern, das das Außenteam begleiten sollte, und wählte Drew, Hawkins und Frnats dafür aus. Gomez hatte sie alle im Besprechungsraum versammelt und zeigte ihnen die Baupläne der Station. Ein weiterer Bildschirm zeigte die Plattform selbst, die mittlerweile in Sichtweite war.
„Das ist ein Gefängnis“, sagte Corsi und stellte damit das Offensichtliche fest. Wie üblich war Kernbruchs blondes Haar in einem so straffen Knoten hochgesteckt, dass Gomez Angst hatte, die Haut der Sicherheitschefin könnte reißen, wenn sie auch nur ansatzweise versuchte, zu lächeln. „Und wir wissen nicht, wie innerhalb der Station die Bedingungen sind. Also gehen meine Leute zuerst rein.“
„Überhaupt hineinzukommen, ist unser vorrangiges Problem“, erinnerte sie Gomez. „Die kursicanischen Behörden können oder wollen uns die Frequenzmodulation der Schutzschilde nicht nennen, also können wir nicht hineinbeamen.“ Sie hatte bereits die Unmöglichkeit erläutert, mit einem Shuttle anzulanden, auch die diversen Verteidigungen, denen sie begegnen würden, wenn die da Vinci zu nah herankäme, hatte sie aufgezählt.
„Es befinden sich mehr als tausend Wesen auf dieser Raumstation, einschließlich eines Föderationsdiplomaten, den Gefängnismitarbeitern und Familienmitgliedern der Gefängnisinsassen, und gerade werden sie alle ziemlich durchgerüttelt, wie man so schön sagt. Aus diesem Grund werden wir an Bord gehen und die Funktionalität des Systems wiederherstellen.“
„Ich halte die Krankenstation bereit, damit wir so viele Verletzte wie möglich behandeln können“, sagte Elizabeth Lense und betrachtete die Raumstation, die sich im All drehte und herumwirbelte. „Hoffentlich gibt es dort einen medizinischen Stab. Wenn die Krankenstation auch nur halbwegs intakt ist, können wir medizinisches Personal hinüberschicken. Der Anteil der Verletzten liegt voraussichtlich bei hundert Prozent.“
„Man müsste schon ziemlich fest am Bett angeschnallt sein, um nicht verletzt zu werden“, stimmte Gomez zu. „Und außerdem werden wir wohl die schlimmsten Fälle von Raumkrankheit in der Geschichte des Universums behandeln müssen.“
„Ist es zu spät, um aus der Sache auszusteigen?“, wollte Fabian Stevens wissen. Ein schiefes Lächeln war auf seinem Gesicht zu sehen. „Weil es mir sicher auf den Magen schlägt, solche Anfälle von Übelkeit und deren Resultat mit anzusehen.“
„Viel zu spät, Fabian“, erwiderte Gomez. „Nehmen Sie sich ein parfümiertes Taschentuch mit, wenn es sein muss, und einen Schutzschild, hinter dem Sie sich verstecken können.“
Stevens zog eine Grimasse, widersprach aber nicht weiter. Genau das hatte Gomez beabsichtigt.
„Wie gedenken Sie, auf die Station zu gelangen?“, wollte Vance Hawkins wissen. „Wenn man all die Schwierigkeiten bedenkt, die Sie uns genannt haben.“
Gomez wandte sich an Duffy, der trotz Captain Golds Empfehlung direkt neben ihr saß. „Mr. Duffy und ich haben uns mit diesem Problem beschäftigt und einen Plan entwickelt.“
Duffy hatte auf dieses Stichwort gewartet. „Wir werden Folgendes tun …“
Fabian Stevens hatte seine Bemerkung während der Besprechung nur halb im Scherz gemacht. Jetzt flog er in einem Raumanzug durchs All, betrachtete die an seinem Helmvisier vorbeiziehende Oberfläche der Raumstation und spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Im Allgemeinen wurde behauptet, dass die Konzentration auf einen festen Punkt in einer schwerelosen Umgebung gegen Raumkrankheit helfe, aber so, wie die Plattform herumgeschleudert wurde, gab es keine festen Punkte, auf die man sich konzentrieren konnte.
Er musste zugeben, dass der Plan, den Duffy und Gomez entwickelt hatten, durchaus Vorteile hatte. Er war einfach, wie das bei den meisten guten Ideen der Fall war, und wenigstens bisher durchaus erfolgreich. Das Außenteam war in Raumanzügen in der Nähe der unkontrollierten Raumstation ins All gebeamt worden. In der Theorie waren Individuen zu klein, um die automatischen Verteidigungsmechanismen in Gang zu setzen, sodass sie die Außenluken der Station leicht erreichen konnten, um in die Station selbst zu gelangen. Der Transporter hatte sie in einiger Entfernung voneinander abgesetzt, damit die Sensoren sie nicht als ein Objekt identifizierten, was hieß, dass einige von ihnen ein längeres Stück über die Stationsoberfläche zurücklegen mussten als andere. Aber das würde mit den Magnetstiefeln ihrer Raumanzüge kein Problem sein.
Er war derzeit mehr als drei Meter von der Plattform entfernt und kam näher. Dieser letzte Teil wirkte einschüchternd auf ihn, denn die Plattform wirbelte mit unglaublicher Geschwindigkeit an seinem Gesicht vorbei. Darauf zu landen, würde sich anfühlen, als springe man auf der Erde aus einem mit Höchstgeschwindigkeit fahrenden Wagen. Was ich, dachte er, normalerweise nicht freiwillig tun würde. Er bereitete sich auf den Aufprall vor und hörte in genau diesem Moment Corsis Stimme durch den Kommunikator. Sie klang nicht glücklich. „Uuff! Passen Sie bei der …“
Dann war er schon da und griff mit seinen behandschuhten Händen nach einem Vorsprung, der aussah, als eigne er sich gut als Griff. Der Vorsprung raste knapp an seinem Helm vorbei, aber er schaffte es, ihn mit einer Hand zu packen. Mit der anderen drückte er rasch einen Knopf auf dem Bedienfeld, das auf seinem linken Oberschenkel angebracht war und seine Magnetstiefel aktivierte. Sein Körper prallte auf der Station auf, wobei die kinetische Energie nur teilweise durch den Anzug gedämpft wurde. Hauptsächlich waren es seine Knochen, die den Aufprall absorbierten, und er war sicher, dass er das am nächsten Morgen spüren würde. Aber seine magnetisierten Sohlen hatten festen Halt an der Stationshülle. Er konnte den Vorsprung loslassen. Dessen Nutzen war ohnehin zweifelhaft gewesen. Jetzt, wo er stand, fühlte er sich schon etwas besser. Er wusste, dass er weiterhin mit der Station herumgeschleudert und herumgewirbelt wurde, aber er bewegte sich nun mit seinem visuellen Fixpunkt anstatt dagegen.
„… Landung auf“, beendete Corsi ihren Satz.
Etwas spät für den Tipp, dachte Stevens.
Aber in diesem Augenblick fiel ihm ein, was der Vorsprung gewesen war, an dem er sich festgehalten hatte. Eine Platte glitt zurück, und er erkannte, dass er direkt in den Lauf einer Phaserwaffe sah. Er trat so schnell er konnte zurück, da er mit den magnetischen Sohlen seiner Stiefel nicht aus dem Weg springen konnte, sodass der Phaser in den leeren Raum schoss.
„Passt auf diese rechteckigen Erhebungen auf“, schrie er in seinen Kommunikator hinein. „Das sind Phaser!“
„Sie meinen die, über die wir beim Briefing geredet haben?“ Corsi kam wieder auf ihn zu.
„Ja, sie sehen nicht ganz so aus, wie ich erwartet hatte.“
„Gehen Sie einfach davon aus, dass jeder Quadratzentimeter dieses Dings eine Waffe ist“, schlug Gomez vor. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Kursicaner selbst genau wissen, wie gut bewaffnet dieses Ding ist.“
Stevens betrachtete die Oberfläche unter seinen Füßen. Gomez’ Ratschlag war sinnvoll, aber die Plattform war auch sehr alt, die äußere Hülle war voller Beulen und verkohlter Stellen. Er bezweifelte, ob sie wirklich so gut ausgerüstet war, wie der Commander vermutete.
Andererseits war sie alt genug, dass es durchaus Abwehrvorrichtungen geben konnte, denen die Besatzung der da Vinci noch nie begegnet war. Es konnte nicht schaden, vorsichtig zu sein, sofern das mit magnetischen Sohlen möglich war.
Er ließ seinen Blick über die anderen Mitglieder des Außenteams schweifen und sah, dass sie alle Gomez’ Ratschlag folgten. Auch ein paar der anderen hatten unabsichtlich die verborgenen Phaser aktiviert. Wahrscheinlich war in jeder der Luken ein einfacher Sensor eingebaut, der die Anwesenheit eines potenziellen Eindringlings meldete. Ein wenig krude, aber zweifellos auch effektiv.
Er machte sich zusammen mit den anderen auf den Weg zur Unterseite des Hauptkerns, von wo aus sie die Station betreten wollten. Corsi hatte sich bereits an die Spitze der Gruppe gesetzt. Er erwartete auch nicht weniger von der Sicherheitschefin und seiner ehemaligen (und einmaligen) Bettgenossin. Sie würde sich immer vor die anderen Besatzungsmitglieder stellen, um sie vor Gefahr zu schützen. Er selbst fand sich beinahe am Ende der Kolonne wieder. Alle sahen sich in den Raumanzügen irgendwie ähnlich, besonders, wenn man nur die Rückenansicht hatte, doch er glaubte, er ging direkt hinter Dr. Lense und Kieran Duffy. Nur P8 Blau bildete eine Ausnahme, denn sie brauchte keinen Anzug.
Als sein Vordermann sich zu ihm umdrehte, fand er heraus, dass er recht gehabt hatte, es war Kieran Duffy. Er wies auf eine Hüllenplatte auf der Oberfläche der Station. Sie sah beinahe aus wie die restliche Hülle, nur nicht ganz so alt und verbeult, und war weniger als einen Quadratmeter groß.
„Passen Sie auf diese Dinger hier auf“, warnte ihn Duffy über das Interkom.
„In Ordnung“, sagte Stevens und erinnerte sich an die entsprechende Warnung bei der Vorbesprechung. Es handelte sich um ein magnetisches Feld, das die Polarität seiner Stiefel umkehren würde, wenn er darauftrat, und ihn so ins All schleudern würde. Da die Raumanzüge interne Düsen hatten, wäre er in der Lage, seinen Kurs umzudrehen und zurückzukehren, doch es wäre keine angenehme Erfahrung. Diese Station war so alt, dass sie wahrscheinlich zu einer Zeit gebaut worden war, bevor Düsen an Raumanzügen üblich geworden waren.
„Vorsicht, Mikrotorpedowerfer“, meldete Corsis Stimme. Stevens sah zu der Stelle, an der sie sich nun befand. Eigentlich, erinnerte er sich, sah er abwärts, da sie sich ja langsam auf eine Stelle zubewegten, die sich am untersten Punkt der Station befand. Doch weil sie außer Kontrolle war und sich immer wieder um sich selbst drehte und die Richtung änderte, konnte man nicht genau sagen, wo oben war und wo unten. Er sah allerdings den Punkt, auf den sie zeigte: Es war eine Ansammlung von schmalen Röhren, die in einer Reihe in die Oberfläche eingelassen waren und aus denen Torpedos abgeschossen wurden, wenn es nötig war.
Auf diese Weise wies jeder den anderen auf Gefahren hin, während sie sich langsam zum untersten Teil der Station vorarbeiteten, wo sich auch der Shuttlehangar befand. Commander Gomez hatte entschieden, dass der Zugang von außen hier wahrscheinlich am einfachsten möglich war. Sie brauchten zwanzig Minuten, um den offen stehenden Hangar zu erreichen.
Und als sie dort ankamen, hatte Stevens das ungute Gefühl, dass ihnen der schwierigste Teil erst noch bevorstand.
Gold verfolgte den Fortschritt des Außenteams auf dem Hauptschirm der Brücke. Und doch verschwanden sie aufgrund der Wendungen und Schlenker der Plattform immer wieder aus seinem Sichtfeld. Bei einer Mission wie dieser lastete die Verantwortung wie ein Gewicht auf seinen Schultern. Er wusste, diese Leute unterstanden allesamt seiner Fürsorge, und obwohl es sich um Experten, um Profis handelte, die bestens in der Lage waren, auf sich selbst aufzupassen, war er doch ihr Captain ‒ und wie Rachel immer zu sagen pflegte, selbst sein schärfster Kritiker ‒ und musste sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen, wenn ihnen irgendetwas zustieß.
Die Sorge über ihr Wohlergehen musste sich allerdings auch die Waage halten mit der Notwendigkeit, die Aufgabe zu erfüllen, die man ihnen übertragen hatte. Er hatte von der Sternenflotte den Befehl erhalten, die Station zu retten, und das reichte ihm. Die Tatsache, dass sich einer seiner ehemaligen Freunde auf der Station befand, spielte mit hinein, aber dennoch keine signifikante Rolle.
Genauso wichtig wie Gus Bradford und seine Tochter, sein eigenes Patenkind, waren all die anderen Leben, die auf dem Spiel standen, seien sie nun menschlich oder von einer anderen Spezies. Gold wog die Bedrohung für seine eigene Besatzung gegen den sicheren Tod ab, der all diese Leute erwartete, wenn niemand handelte, und wusste genau, wie die Antwort lauten musste.
Er erinnerte sich an eines seiner vielen philosophischen Streitgespräche mit Gus, damals, als sie noch zur Akademie gegangen waren. Die Meinungsverschiedenheit hatte sich um ein Thema gedreht, das wohl jeder Akademiestudent irgendwann einmal ausgefochten hatte, da war er sicher. Sie waren nach Einbruch der Dunkelheit durch den makellos gepflegten Garten der Akademie gegangen. Grillen hatten gezirpt, und ab und an flog ein Nachtvogel über sie hinweg. Sie hatten über die Oberste Direktive gesprochen, Gus hatte sie in jedem Punkt verteidigt, doch Gold hatte sich für eine etwas liberalere Interpretation ausgesprochen.
„Stell dir einen Planeten vor“, hatte Gold schließlich gesagt. „Voller intelligenter, kreativer und vernünftiger Wesen. Sie entwickeln sich als Gesellschaft noch, aber sie machen bereits große Fortschritte, beispielsweise in der Medizin. Innerhalb einiger Generationen werden sie, wenn es so weitergeht, unglaubliche Entwicklungen durchmachen und lernen, wie man Tausende von Krankheiten und Seuchen im Universum verhindert. Milliarden Leben könnten aufgrund ihrer Forschung gerettet werden.“
„Aber natürlich kann man nicht wissen, dass sie sich wirklich so entwickeln werden“, wandte Gus ein.
„Nicht in der Gegenwart, nein. Man kann nur beurteilen, was sie bisher wissenschaftlich erreicht haben, und abschätzen, was sie in den kommenden Jahren erreichen können. Aber sie werden diese Chance nicht bekommen, denn ein gewaltiger Asteroid ist auf Kollisionskurs mit ihrem Planeten. Wenn er sie trifft, steht mit großer Sicherheit fest, dass ihre Spezies beinahe vollständig ausgelöscht wird. Sie haben ihre Forschungen auf Medizin ausgerichtet, nicht auf interstellare Raumfahrt. Sie können nirgendwohin. Wir könnten sie retten oder wir könnten versuchen, den Asteroiden von seiner Bahn abzulenken, ihn zu zerstören. Aber das würde ihrer ‚normalen‘ Entwicklung im Wege stehen, wenn es nach dir und der Obersten Direktive ginge. Also sind nicht nur sie zur Auslöschung verdammt, sondern auch Milliarden andere in der gesamten Galaxis, denn sie werden ihr volles Potenzial nie erreichen. Also sag mir, wozu ist die Oberste Direktive hier gut?“
Gus hielt auf dem Kiesweg an, die Hände in die Hüften gestemmt. „Sie ist dazu da, mit gleicher Fairness in allen Fällen angewandt zu werden, David. Wenn du intervenierst, weil du diese Spezies magst und glaubst, sie könnte eines Tages nützlich werden, kannst du dann guten Gewissens ein bösartiges, kriegerisches Volk vor dem gleichen Schicksal retten? Vielleicht werden sie eine Bedrohung für das gesamte Universum und werden Milliarden versklaven und ermorden.“
„Vielleicht muss man dieses Risiko eingehen, um die Guten zu retten“, meinte Gold.
„Niemals aufgeben, Gold“, hatte Gus erwidert. „Niemals aufgeben.“
Was in Gus‘ Worten hieß, dass die Angelegenheit und damit auch die Diskussion erledigt waren. Dieser Wesenszug an Gus war enervierend und doch gleichzeitig auch sympathisch.
Gold richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hauptschirm und hörte den Unterhaltungen des Außenteams über die Kommunikatoren zu. Nachdem sie in die Station gelangt waren, würde die Kommunikation abbrechen, da die Schutzschilde des Gefängnisses noch immer in Betrieb waren.
„Wir sind im Shuttlehangar“, meldete Sonya Gomez. „Wir gehen jetzt hinein.“
„Seien Sie vorsichtig“, erwiderte er. Er wusste, dass sie es sein würde.
„Vorsicht ist mein zweiter Vorname“, antwortete sie einfach.
„Glauben Sie ihr nicht, Sir“, mischte sich Duffy ein. „Ihr zweiter Vorname ist Guadalupe.“
Gomez fand die Zugangsluke im Hangar und trat zurück, damit Corsi und ihre Sicherheitsleute zuerst hineingehen konnten. Die Kursicaner waren grundsätzlich von ähnlicher Größe und Gestalt wie die Menschen, obwohl sie eine orange, höckerige Haut besaßen, ihre Köpfe eine eher konische Form hatten und spitz zuliefen und ihre Hände drei schwanzartige Greifextremitäten anstelle von Fingern hatten. Aber die Größen und Maße von Luken und der Möblierung in der Station würden auch für Menschen angenehm benutzbar sein.
Corsi hielt einen Trikorder vor sich, als sie durch die Luke kletterte. Anscheinend waren die Anzeigen zufriedenstellend, denn sie verschwand im Inneren und bedeutete Drew, Hawkins und Frnats, ihr zu folgen. Im gleichen Augenblick hörte Gomez Corsis Stimme. „Es handelt sich um eine altmodische Luftschleuse“, stellte sie fest. „Kommen Sie rein, dann können wir den nächsten Schritt angehen.“
Einer nach dem anderen kamen die Mitglieder des Außenteams durch die Luke. Duffy wollte Gomez zuerst hineingehen lassen, aber sie bestand hartnäckig darauf, dass sie die Letzte war. Duffy zuckte mit den Schultern und ging hinein. Als Gomez folgte, versiegelte sie das Schott hinter sich. Innen gab es keine Beleuchtung, also schalteten alle ihre Helmlampen ein, die Strahlen schnitten kreuz und quer durch die Dunkelheit.
„Die Atmosphäre innerhalb der Station sollte für uns alle atembar sein“, erinnerte Gomez die anderen. „Alle drei bewohnten Planeten in diesem System sind erdähnlich genug für menschliche Besiedlung, auch wenn Val’Jon der einzige mit einer nennenswerten menschlichen Bevölkerung ist. Und die meisten der Gefangenen hier auf der Station ‒ nicht alle, aber die meisten ‒ kommen aus diesem System. Trotzdem wissen wir nicht, wie die Bedingungen drinnen sind oder ob der Druckausgleich in dieser Schleuse funktioniert.“ Sie berührte das Kontrollfeld, über das sich der atmosphärische Druckausgleich herstellen ließ. „Dann finden wir es mal heraus!“
Ein Zischen erklang aus verstecken Düsen, gefolgt von einem grünen Nebel. Corsi hielt den Blick auf die Anzeigen ihres Trikorders gerichtet, und als sie wieder sprach, klang ihre Stimme dringlich. „Das ist Giftgas, Leute“, rief sie. „Haben alle noch die Filter eingeschaltet?“
Die anderen gaben ihr Bestätigungen.
„Das verstehe ich nicht“, meldete sich Stevens zu Wort. „“