Die Löwenhof-Saga: Im Mittelpunkt steht das prächtige Landgut Löwenhof in Südschweden, das seit Jahrhunderten im Besitz der adeligen Familie Lejongård ist. Das Landgut ist berühmt für seine erfolgreiche Pferdezucht. Das Gut und der Titel wurden der Familie für die Treue und Unterstützung im Dreißigjährigen Krieg übertragen, unter der Auflage, dass die Lejongårds der Königsfamilie bei allen Skandalen und Schwierigkeiten beistehen.
Dabei sind es immer wieder die mutigen, eigenwilligen Frauen vom Löwenhof, die Familie und Gut retten.
Roman
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Januar 2019
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019 Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München Titelabbildung: plainpicture / © Dave and Les Jacobs (Tür), Arcangel Images / © Malgorzata Maj (Frau),
www.buerosued.de (Landschaft , Fliesen)
Autorenfoto: © Hans Scherhaufer
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ISBN 978-3-8437-1791-5
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»Das wäre alles für heute, meine Herrschaften!«
Professor Kersten schlug sein Buch zu und wischte ein imaginäres Stäubchen vom Revers seines weißen Kittels. Niemand wusste, warum er ihn in der Vorlesung trug, gab es hier doch nichts, was wir sezieren mussten. Aber es war eine Angewohnheit von ihm, die er wohl nie ablegen würde.
Das Klopfen Dutzender Fingerknöchel auf den Tischen des Hörsaals folgte seinen Worten wie Donnergrollen einem Blitz. Wenig später kam in den Bankreihen Bewegung auf.
Auch Kitty neben mir erhob sich. Eigentlich hieß sie Katrina Vaderby, aber so wurde sie nur von den Professoren gerufen. Sie selbst nannte sich Kitty, ebenso wie ihre Kommilitonen und Freunde. Eine braune Locke fiel ihr ins Gesicht, als sie sich ihren Schal um den Hals schlang. Sie war meine Freundin, mit der ich mir ein Zimmer im Studentenwohnheim teilte. Früher hatte meine Mutter ein Haus in Stockholm besessen, doch dieses war verkauft worden, um dem Löwenhof nach dem Krieg wieder auf die Beine zu helfen.
»He, Solveig, wie wäre es, wenn ich bei Kersten mit dem Thema ›Geschlechtskrankheiten bei Pferden‹ promovieren würde?«, sagte sie kichernd, während sie ihre Schreibutensilien zusammenraffte.
»Wahrscheinlich würde er einen Schock erleiden. Das kannst du nicht tun.« Lachtränen stiegen mir in die Augen. Sie hatte immer solche Bemerkungen auf Lager. Das war einer der Gründe, wieso ich sie so sehr mochte.
Professor Kersten war noch von der alten Garde, er hatte bereits während des Weltkrieges gelehrt und stand mittlerweile kurz vor seiner Pensionierung. Ob er uns noch durch unsere Doktorandenzeit begleiten würde, war fraglich. Aber Kittys Vorschlag brachte mich zum Schmunzeln.
»Die Beschälseuche ist ein ernstes Thema!«, ahmte sie seinen Tonfall nach. »Du hast das doch letzte Woche bei Professorin Rubinstein gehört! Ich meine, dass Pferde deswegen getötet werden müssen …«
»Dann solltest du besser bei ihr promovieren«, gab ich zurück und packte ebenfalls meine Sachen. »Ich halte das ohnehin für eine gute Idee. Die Professorin hat moderne Ansichten. Wenn ich meinen Doktor mache, dann bei ihr.«
Damit verließen Kitty und ich den Hörsaal der Veterinärhögskolan. Überall standen kleine Grüppchen plaudernd zusammen, einige trotz des kalten Wintertags in schrillbunte Kleider und Pullover gehüllt. Dagegen wirkte ich ein wenig farblos mit meinem grauen Wollmantel und den groben braunen Stiefeln. Der einzige Farbtupfer an mir war eine lindgrüne Wollmütze, die ich mir im Kaufhaus zugelegt hatte. Kitty fand, dass sie mir stand und meine grünen Augen, die ich von meinem Vater geerbt hatte, gut zur Geltung brachte.
»Was hast du eigentlich in den Semesterferien vor?«, fragte ich, wohl wissend, wohin mich meine freie Zeit führen würde. Seit den Weihnachtsferien war ich nicht mehr auf dem Löwenhof gewesen. In den kommenden Wochen würde ich endlich wieder Zeit haben, auszureiten und anschließend im warmen Salon meiner Großmutter zu sitzen, um ein Buch zu lesen.
»Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es noch nicht genau«, antwortete Kitty. »Eigentlich wollten wir zum Skifahren, aber Marten will nach Frankreich. Bei dem Wetter, kannst du dir das vorstellen?«
»Im Süden ist es sicher sonnig und warm.« Ich wusste nicht, warum sie sich beschwerte. Marten Ingersson trug sie auf Händen, und eine Reise nach Frankreich klang sehr romantisch. Vielleicht wollte er ihr dort einen Heiratsantrag machen?
»Nur ist Frankreich eher was für den Sommer, nicht wahr? Außerdem will Marten mit dem Auto dorthin fahren.«
»Aber eine Flugreise wäre doch viel einfacher.«
»Und teurer.« Kitty seufzte. »Ich sehe mich schon in seinem klapprigen Fiat durch Dänemark tuckern, dann durch Deutschland und Luxemburg … Ehe wir dort sind, sind die Semesterferien um.« Sie sah mich an. »Du hast da mehr Glück.«
»Inwiefern?«
»Sören würde sich eine Flugreise leisten können. Und wenn nicht er, dann du.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Ich fragte mich, wann Kitty endlich einsah, dass mit einem Adelsnamen nicht auch automatisch Reichtum kam. Der Löwenhof mochte vielleicht ein berühmtes Gut sein, aber für meine Mutter und Großmutter war es in diesen Zeiten eine Herausforderung, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Pferde wurden nur noch selten in größeren Mengen gekauft. Die einstmals lukrativen Verträge mit dem Königshaus existierten nicht mehr. Außerdem war meine Mutter stark eingespannt durch die Lenkung unseres zweiten Gutes. Ekberg lief immerhin gut genug, dass sie einen Verwalter anstellen konnte. Das Geschäft führen wollte Mathilda Lejongård aber allein.
»Außerdem bin ich sehr gern auf dem Hof«, fuhr ich fort. »Das Reiten fehlt mir in der Stadt richtig.«
»Dann solltest du hier einen Joggingklub gründen, wie es sie seit einiger Zeit in Amerika gibt.«
»Haha«, machte ich. Ich mochte es, mich zu bewegen, aber selbst laufen und mit einem Pferd über die Wiesen preschen war nicht dasselbe.
Kitty schaute auf ihre Armbanduhr. »Na gut. Ich muss jetzt erst mal zum Hansen. Du hast Glück, dass du in den Kurs von Professor Harland gekommen bist.«
»Der ist nicht viel besser als Hansen, was die Anforderungen angeht.«
»Aber er sieht wesentlich besser aus.« Sie schnalzte mit der Zunge und grinste, dann zog sie von dannen.
Ich trat vor die Tür und reckte die Nase gen Himmel. Noch war es Winter, doch das Wetter hatte sich in den vergangenen Tagen etwas gebessert. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber irgendwie lag Frühling in der Luft – und das im Februar! Ich stellte mir vor, wie der Campus aussehen würde, wenn das erste Grün erschien.
Obwohl es jedes Jahr das Gleiche war, fühlte man sich zu Beginn des Frühlings, als würde man die Pracht zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Es war schon seltsam, wie der Winter einen die Schönheit vergessen lassen konnte.
Eine Berührung riss mich aus meinen Gedanken fort. Eine Hand legte sich sanft um meine Taille. Erschrocken riss ich die Augen auf, und bevor ich aufschreien konnte, blickte ich in die braunen Augen von Sören Lundgren.
»Hallo, du Schöne, träumst du?«, fragte er, und ehe ich antworten konnte, gab er mir einen Kuss. Die Wärme seiner Lippen ließ mich vergessen, dass wir auf dem Campus standen, wo jeder uns sehen konnte.
Erst hatten wir es nicht an die große Glocke hängen wollen, aber inzwischen ertappte ich mich dabei, wie stolz es mich machte, einen Mann wie ihn an meiner Seite zu haben. Aus anfänglichen Heimlichkeiten und gestohlenen Küssen war mehr geworden, und mittlerweile kümmerte es mich nicht mehr, wenn wir gesehen wurden. Ich wollte sogar, dass man uns zusammen sah und beneidete.
»Hey«, sagte ich. »Was suchst du denn hier? Ich dachte, du musst heute in die Praxis.«
Sören war bereits im zehnten Semester und stand kurz vor seinem Abschluss. Derzeit absolvierte er ein Praktikum bei einem Tierarzt am Stadtrand von Stockholm, wo er vorrangig Hunde und Katzen untersuchte.
»Der Doktor ist krank und hat die Praxis geschlossen. Meinen Einwand, dass ich die Arbeit für ihn übernehmen könnte, hat er nicht gelten lassen.«
»Du bist schließlich noch nicht approbiert.«
»Aber ich führe die Praxis praktisch. Ein wenig mehr Vertrauen hätte ich durchaus verdient.«
»Ich habe Vertrauen in dich«, sagte ich und küsste ihn neckend.
»Das bedeutet mir alles.« Er zog mich wieder dichter an sich. »Du hast nicht zufällig Zeit für mich?«
Ich schüttelte den Kopf. »Seminar bei Professor Harland.«
»Ah, bei dem Beau!«, erwiderte er lachend.
»Er ist kein Beau. Was ihr nur alle habt. Ich sehe in ihm bloß einen fachlich kompetenten Professor.«
»Auf den alle Mädchen der Veterinärschule fliegen – außer dir, wie es scheint.«
»Ich habe ja dich. Außerdem ist Harland bereits vierzig! Meinst du nicht, er wäre ein bisschen zu alt für mich?«
»Die anderen scheint es nicht zu interessieren. Außerdem bekommt er als Professor sicher ein gutes Gehalt.«
»Und ich bin adelig!«, sagte ich und reckte gespielt die Nase in die Luft. »Mit Geld kann man mir nicht imponieren.«
»Womit dann?« Er schlang die Arme um meine Hüften.
»Das weißt du genau!« Ich küsste ihn und warf ihm ein vielsagendes Lächeln zu. Es war wirklich zu dumm, dass ich jetzt zum Seminar musste.
»Wie sieht es denn heute Abend aus?«, fragte Sören.
»Kofferpacken für die Fahrt nach Hause«, sagte ich. »Du möchtest mich nicht zufällig begleiten?«
Sören legte den Kopf schief. »Das hängt davon ab, wie der heutige Abend verläuft.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Willst du mich davon abhalten, die Koffer zu packen?«
»Vielleicht.«
»Und warum willst du das tun? Hast du andere Pläne für die
Ferien?«
»Triff dich heute Abend hier auf dem Campus mit mir«, sagte er ausweichend. »Dann werde ich es dir zeigen.«
»Willst du Sternschnuppen anschauen?«, fragte ich und blickte wieder nach oben. Wolkenschleier trieben über das winterliche Blau. Es konnte leicht passieren, dass es sich ganz bezog, und dann würde es eine sehr schwarze Nacht werden.
»Besser. Lass dich einfach darauf ein.« Er lächelte mir aufmunternd zu. Mein Herz klopfte. Ich mochte es sehr, wenn er eine Überraschung für mich plante. Gleichzeitig hasste ich es, dass er mir nicht einmal den geringsten Hinweis gab. Wenn er eine Reise vorhatte, musste ich zu Hause Bescheid geben. Großmutter vertrug es gar nicht, wenn ich plötzlich wegblieb.
»Okay«, sagte ich, denn ich spürte, dass auch das innigste Flehen ihn nicht dazu bewegen würde, etwas von seiner Überraschung zu verraten.
Sören runzelte leicht die Stirn. Ich musste ein wenig verstimmt geklungen haben, denn er fragte: »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, natürlich«, erwiderte ich und lächelte. »Ich bin nur neugierig, das ist alles.«
»Gut«, sagte er erleichtert. »Ich verspreche dir, es wird eine schöne Überraschung.«
»Daran habe ich keinen Zweifel.«
Ich legte meine Hände um seinen Nacken, und wir küssten uns erneut. Von irgendwoher pfiff jemand anzüglich, doch das ignorierten wir. In diesem Augenblick waren wir unbesiegbar.
Mit klopfendem Herzen fand ich mich kurz vor acht Uhr auf dem Campus ein. Nur noch wenige Fenster in dem großen Gebäude waren beleuchtet. Natürlich gab es hin und wieder späte Vorlesungen, aber um diese Zeit war hier größtenteils Ruhe eingekehrt. Bald würden nur noch die Reinigungskräfte in den Fluren unterwegs sein.
Ich fragte mich immer noch, warum mich Sören gerade hier treffen wollte. Normalerweise gingen wir in ein Lokal, in der Nähe des Campus fand man etliche Cafés und Restaurants.
Die Kälte kroch mir unter den Mantel, und neben meiner Verwirrung stieg leichter Ärger in mir auf. Wo blieb er? Ich blickte auf meine Armbanduhr. Fünf vor acht. Noch hatte er ein wenig Zeit. Warum war ich eigentlich so früh hergekommen?
Möglicherweise, weil ich vor Kittys Fragen fliehen wollte. Als sie erfahren hatte, dass Sören eine Überraschung für mich plante, hatte sie sich in wilden Spekulationen ergangen. »Vielleicht entführt er dich nach Davos«, sagte sie. »Oder ihr fahrt nach Italien.«
»Wenn dem so wäre, hätte er mir doch sicher geraten, andere Garderobe mitzunehmen.«
»Vielleicht hat er alles schon da. Deinen Körper kennt er sicher schon gut genug, um deine Größe abzuschätzen.«
»Kitty!«, hatte ich empört ausgerufen, aber sie hatte recht. Sören und ich genossen unsere Körper, wann immer wir konnten und Lust hatten. Dass wir beide nicht zusammenwohnten, schien unser Begehren nur noch anzuheizen. Wenn wir dann, meist am Wochenende, in seiner Wohnung waren, wollte ich oft nicht mehr fort.
Ich blickte mich um. Unruhe wühlte in mir. Ob meine Finger vor Aufregung kalt waren oder ich einfach nur fror, konnte ich nicht unterscheiden.
Dann hörte ich Schritte hinter mir.
»Da bist du ja!«, sagte Sören, als hätte ich mich verspätet. »Bist du bereit?«
»Bereit wofür?«
Sören zog etwas aus seiner Tasche. Auf den ersten Blick sah es wie eine dunkle Herrensocke aus. Ich schreckte zurück.
»Keine Angst, ich will dir nur die Augen verbinden«, sagte er.
»Mit einer deiner Socken?«
»Das ist keine Socke. Tu mir den Gefallen. Bitte.«
»In Ordnung.« Ich wandte mich um und spürte im nächsten Augenblick, dass die vermeintliche Socke ein seidiges Stück Stoff war. Sören verknotete es hinter meinem Kopf. Dann legte er seine Hand auf meinen Arm.
»Du willst mich doch hoffentlich nicht entführen.«
»Nicht wirklich«, antwortete er. »Aber du sollst die Überraschung erst dann sehen, wenn du dort bist.«
Er geleitete mich über Schnee und schließlich über etwas, das sich unter meinen Schuhen wie ein Gehweg anfühlte. Unsere Schritte hallten von einem Gebäude wider, dann machte er plötzlich halt.
»Da wären wir«, sagte er.
Als er mir die Augenbinde wieder abnahm, blickte ich in ein Meer von Kerzen, die auf dem Boden ein großes Herz bildeten.
Schnee glitzerte in ihrem Licht, und es beleuchtete auch ein paar künstliche Rosenblätter.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich.
»Das wirst du gleich sehen.«
Er führte mich in das Herz aus Kerzen, dann kniete er sich vor mich hin wie jemand, der den Ritterschlag erhalten wollte.
Jetzt zog er noch etwas aus der Jackentasche. Kein Stoffstück, sondern eine kleine Schachtel. Er klappte sie auf, entnahm etwas und streckte es mir hin.
»Solveig Lejongård«, begann er, »du bist die Liebe meines Lebens. Seit ich dich kennenlernte, kann ich mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Jeder Tag, an dem wir nicht zusammen sind, schmerzt mich zutiefst. Bitte, beende meine Pein, und werde meine Frau!«
Für einen Moment hielt ich die Luft an. Mein Herz pochte wie wild. Ich konnte nicht glauben, dass er das tat. Wir hatten noch nie wirklich darüber gesprochen zu heiraten. Und jetzt machte er so etwas.
»Du bist verrückt!«, presste ich hervor.
»Mag sein. Aber eigentlich weißt du das ja.« Er sah mich hoffnungsvoll an. »Also, was sagst du? Willst du einen verrückten Ehemann?«
Wollte ich? Ich liebte es, mit Sören zusammen zu sein. Ich konnte mir keinen liebevolleren und aufmerksameren Mann vorstellen. Keinen anderen Mann. Auch wenn meine Eltern meinten, dass ich mich nicht zu früh auf jemanden einlassen sollte.
»Ja!«, platzte es aus mir heraus. »Ja, ich will.« Ich schluchzte auf und beugte mich zu ihm hinunter, um ihn zu küssen.
»Warte«, sagte er und nahm meine Hand. »Ich will dir erst einmal den Ring anstecken.«
Er schob ihn mir auf den Ringfinger meiner linken Hand und küsste sie. Eine Welle des Glücks schwappte durch meinen Körper. Ich würde schon bald seine Frau sein! Endlich gab er meine Hand frei. Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn leidenschaftlich.
Wenig später saßen wir eng aneinandergeschmiegt auf der Treppe und blickten auf die Kerzen, die nacheinander erloschen. Mein Kopf lag auf seiner Schulter, und eigentlich hätten wir über unsere Zukunftspläne reden sollen, aber in diesem Augenblick wollte ich einfach nur seine Nähe spüren. Ich wollte das Glück genießen, das mir zuteilwurde.
Als die Tür hinter uns ging, zuckten wir zusammen. Ich wandte mich um und sah eine der Putzfrauen, die missbilligend auf die Kerzen im Schnee blickte.
»Ich hoffe, das schaffen Sie wieder weg!«, murrte sie.
»Keine Sorge, das kriegen wir hin. Ich habe extra einen Müllsack mitgebracht.« Sören zog eine Tüte aus der Jackentasche. Ich musste mir das Lachen verkneifen. Augenbinde, Ring, Mülltüte.
»Na gut, aber ich schaue nach! Wenn es morgen noch da ist, melde ich Sie dem Rektor.«
Ich fragte mich, wie sie das machen wollte. Kannte sie alle Gesichter und Namen der Studierenden? Das war eher unwahrscheinlich und ihre Bemerkung nur eine leere Drohung.
»Wie romantisch, nach einem Heiratsantrag aufzuräumen«, sagte ich, als die Frau wieder hinter der Tür verschwunden war.
»Oh, für die echte Romantik sorge ich zu Hause«, entgegnete er.
»Und warum hast du mir den Antrag nicht zu Hause gemacht?«
»Weil ich wollte, dass es etwas Besonderes ist. Und ich mir nicht sicher war, wie du reagieren würdest. Ich wollte nicht riskieren, dass du mir die Wohnung demolierst.«
Ich lachte auf. Ich war von ihm einige Sprüche gewöhnt, aber heute schien er besonders gut drauf zu sein.
»Hast du jemals erlebt, dass ich etwas bei dir kaputt gemacht hätte?«, fragte ich. »Du warst doch derjenige, der die Vase von deiner Tante Clara runtergeworfen hat.«
»Ich konnte diese Vase nicht leiden.«
»Dafür hast du aber ziemlich erschüttert gewirkt.« Ich reckte den Hals und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Danke. Das war einer der besten Heiratsanträge, die ich je bekommen habe.«
»Dann hoffe ich mal, du hast niemals Lust, diesen mit einem anderen Antrag zu vergleichen.«
»Ich glaube nicht, dass dich jemand übertreffen könnte.«
»Da bin ich ja beruhigt.«
Er legte seinen Arm um meine Schultern, und wieder fanden sich unsere Lippen zu einem langen, innigen Kuss. Ich spürte, wie Lust in mir aufwallte. Wenn wir in seiner Wohnung gewesen wären, hätte ich ihn womöglich gleich zum Bett gezerrt. Aber er hatte recht, dieser Antrag war etwas Besonderes. Und er passte gut zu uns.
Wir waren uns auf dem Campus begegnet. Damals war ich im ersten Semester und hatte noch Mühe, mich in Stockholm zurechtzufinden. Da ich mein bisheriges Leben auf dem Löwenhof verbracht hatte, war die Stadt so aufregend neu für mich. Kitty und ich hatten uns gerade erst kennengelernt, und ich wusste nicht, ob ich sie im Wohnheim länger als einen Monat ertragen konnte.
Eines Tages lief mir dieser Mann über den Weg. Er war kein Junge mehr, sondern ein richtiger Mann. Ich wusste noch nicht, dass er nur zwei Jahre älter war als ich, obwohl er erfahrener aussah. Er lächelte mich an mit solch einem Strahlen auf seinem Gesicht, dass ich wie angewurzelt stehen blieb. Auch Minuten später konnte ich an nichts anderes denken als an dieses Lächeln. Es verwirrte mich dermaßen, dass ich beinahe meine Vorlesung versäumt hätte. Es verfolgte mich auch danach noch, sodass ich den Bus verpasste, mit dem ich zum Wohnheim zurückfahren wollte.
Und sogar in der Nacht dachte ich daran.
Ich machte mir keine Hoffnungen, dass ich ihn wiedersehen würde. Und selbst wenn: Möglicherweise war er ein Dozent. Jemand, der sich nicht mit einer kleinen Studentin abgeben würde. Dennoch hielt ich Ausschau nach ihm. Diese kurzen Augenblicke hatten gereicht, um mir sein Gesicht einzuprägen. Doch er tauchte nicht auf. Nach und nach verlor ich die Hoffnung.
Wider Erwarten freundete ich mich aber mit Kitty an, und der Mann mit den braunen Augen und dem wunderbaren Lächeln rückte aus meinem Bewusstsein.
Und dann stand er plötzlich vor mir. Er wartete vor der Treppe, auf der wir jetzt saßen, und lächelte mich an. Mir fiel vor Schreck mein Rucksack aus der Hand.
»Hej«, sagte er. »Hättest du vielleicht Lust auf einen Kaffee?«
»Ich … wieso … ähm …« Etwas anderes kam nicht über meine Lippen. Mein Herz begann zu rasen, und augenblicklich stieg Hitze in mir auf. So viele Wochen hatte ich versucht, ihn zu finden. Und jetzt war er hier, als hätte mein Wunsch ihn geleitet.
Er lachte auf. Sofort schoss mir das Feuer in die Wangen. Warum verhielt ich mich nur so dumm? Kitty hätte einfach Ja gesagt, sich bei ihm untergehakt und wäre dann mit ihm von dannen gezogen.
»Habe ich dich erschreckt?«, fragte er. »Das war nicht meine Absicht. Ich dachte mir nur, dass heute ein guter Zeitpunkt wäre, dich anzusprechen, nachdem ich dich wochenlang nicht aus dem Kopf bekommen habe.«
Nahm er mich auf den Arm? Ich konnte nicht glauben, dass mir das hier passierte.
»Nein, ich … ich bin nur überrascht.« Allmählich hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Was war schon dabei, dass ein junger Mann mich ansprach? Außerdem hatte ich von einem Moment wie diesem schon lange geträumt!
»Und, was meinst du? Hättest du Zeit für einen Kaffee, oder wartet jemand auf dich?«
»Nein, ich meine, ja. Ich hätte Zeit. Und es wartet niemand auf mich. Höchstens meine Zimmergenossin.«
Er lächelte und blickte mich versonnen an. Dann schien ihm etwas einzufallen.
»Oh, verzeih, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Sören Lundgren.«
»Solveig Lejongård«, gab ich zurück und streckte ihm ungelenk die Hand entgegen. Er ergriff sie, und ich spürte, dass seine Finger eiskalt waren. Er schien genauso aufgeregt zu sein wie ich. Das war mir irgendwie sympathisch.
Wir gingen in ein kleines Lokal, bestellten zwei Kaffee und saßen uns im ersten Moment ziemlich beklommen gegenüber. Was sollte ich mit ihm reden? In den vergangenen Wochen war ich so damit beschäftigt gewesen, nach ihm Ausschau zu halten, dass ich mir keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie es sein würde, wenn wir uns endlich trafen.
»Ich glaube, du warst nicht der Einzige, der jemanden nicht aus dem Kopf bekommen hat«, begann ich schließlich. »Ich habe eigentlich schon nach dir gesucht, seit wir uns das erste Mal gesehen haben. Leider habe ich dich nicht gefunden.«
»Ich war eine ganze Weile krank«, antwortete er. »Du weißt doch, die Grippe, die hier grassierte.«
Ich erinnerte mich. Einer nach dem anderen um mich herum hatte Fieber und musste hustend im Bett bleiben. Es war mir wie ein Wunder erschienen, dass Kitty und ich in einem Wohnheim, in dem mindestens die halbe Bewohnerschaft krank war, verschont geblieben waren.
»Jedenfalls habe ich eine Weile gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Und dann musste ich sehr viel nachholen. Meine Freunde haben mich schon für einen Einsiedler gehalten.«
»Und ich dachte schon, du wärst nur zufällig auf dem Campus gewesen.«
Er lächelte mir zu. »Dann war das wohl Schicksal, was?«
»Ja. Schicksal«, antwortete ich und blickte ein wenig verlegen in meinen Kaffee.
Nachdem wir – ganz die braven Studenten – die verloschenen Kerzen eingesammelt hatten, gingen wir zu Sören. Er wohnte in einer kleinen Wohnung unweit des Campus. Sie gehörte einem Onkel, doch der war für einige Jahre in Amerika, und wie es aussah, trug er sich mit dem Gedanken, dort zu bleiben. Ich liebte diese Räume. Sören hatte sie in Gelb und Orange gestrichen, sodass sie selbst im Winter einen Hauch Sommer verströmten.
Wenn wir erst einmal verheiratet waren, konnten wir hier wohnen, jedenfalls in der ersten Zeit. Ich wusste, dass Sören vorhatte, eine Kleintierpraxis zu eröffnen. Wir hatten noch nicht darüber geredet, aber vielleicht wäre er damit einverstanden, in Kristianstad zu beginnen. Ich könnte dort mitarbeiten, solange Mutter noch in der Lage war, das Gut zu führen. Sie war im November dreiundfünfzig geworden und wirkte immer noch ziemlich jugendlich. Danach, das stand für mich fest, würde ich die Geschicke des Löwenhofes leiten.
Aber das war alles noch Zukunftsmusik. Ich hatte den besten Mann der Welt gefunden und war nun eine Braut. Alles andere würde sich finden.
Kaum waren wir durch die Tür, trat ich auf ihn zu und küsste ihn.
»Was …«, begann er ein wenig verwirrt.
»Du hast doch davon gesprochen, dass du hier für Romantik sorgen möchtest«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir gleich damit beginnen.«
»Aber ich muss dazu noch etwas vorbereiten.«
»Ich brauche keine Vorbereitungen dazu. Ich brauche nur dich.« In diesem Augenblick wollte ich nur eines: ihn bis zur völligen Erschöpfung lieben. Ob Rosenblätter auf dem Bett lagen, war mir völlig egal.
Sören ließ den Sack mit den Kerzen fallen und drückte mich fest an sich. Ich spürte deutlich, dass es ihm ähnlich ging wie mir. Wir küssten uns leidenschaftlich, und wenig später zog ich ihn mit mir ins Schlafzimmer, zum Bett, das mir schon so vertraut war.
»Vielleicht sollten wir besser bis zur Hochzeitsnacht warten«, witzelte er, während ich ihm den Pullover über den Kopf zog.
»Ich glaube, mit dem Wunsch, eine Jungfrau zu heiraten, kommst du zu spät. Außerdem, wer weiß, wie lange das dauert.«
Bevor er antworten konnte, verschloss ich seinen Mund mit einem Kuss, dann sanken wir auf die Matratze.
Am folgenden Morgen erwachten wir erst spät. Ich fragte mich, was Kitty wohl darüber dachte, dass ich nicht nach Hause gekommen war. Aber wahrscheinlich ahnte sie, dass ich zu Sören gegangen war. Es war in der letzten Zeit nicht unüblich, dass ich auch unter der Woche bei ihm schlief.
Jetzt floss das Sonnenlicht durch die Fenster, und ich spürte seine Wärme an meiner Haut. Ich blickte zur Seite und sah sein Gesicht. Die Augenlider mit den dunklen Wimpern waren geschlossen, eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Instinktiv streckte ich die Hand aus, um sie beiseitezuschieben. Als meine Fingerkuppen seine Haut berührten, schlug er die Augen auf.
»Guten Morgen«, sagte er, viel zu munter für jemanden, der gerade erst erwachte.
»Guten Morgen«, erwiderte ich. »Wie lange bist du schon wach?«
»Eine Weile. Genug, um meine schöne Verlobte beim Schlafen zu betrachten.«
»Und warum hast du dich dann schlafend gestellt?« Ich strich ihm über die Wange. Sie fühlte sich stoppelig an. Ich mochte das, besonders, wenn er mich küsste. Ob ich ihn wohl je dazu bewegen konnte, sich einen Bart wachsen zu lassen?
»Um dir die Gelegenheit zu geben, mich zu betrachten, wie du es manchmal tust. Ich wusste ja nicht, dass du gleich übergriffig werden würdest.«
»Du wirkst so, als würdest du es nicht mögen.«
»Oh doch, ich mag das. Sehr sogar. Und nicht nur an der Stirn.« Er legte seinen Arm unter der Decke um meine Taille.
Seine Berührung ließ meinen Körper kribbeln. Begehren wallte in mir auf. Ich hätte nichts dagegen gehabt, den ganzen Tag mit ihm im Bett zu verbringen. Aber ich hatte meiner Mutter zugesagt, noch heute auf den Löwenhof zu kommen. Und ich wollte, dass sie die tolle Nachricht so schnell wie möglich erfuhr.
»Auf dem Löwenhof werden wir viel Zeit für Berührungen haben«, entgegnete ich und küsste ihn. »Aber jetzt sollten wir aufstehen.«
»Nur noch einen Kuss«, sagte er und zog mich in seine Arme.
Wir holten mein Gepäck aus dem Wohnheim und machten uns dann auf den Weg.
Kitty war zum Glück nicht da, sonst hätte ich womöglich ein Dutzend Fragen über mich ergehen lassen müssen.
Bis zum Löwenhof waren es etwa sechseinhalb Stunden Fahrt. Wir hatten beschlossen, die Strecke zwischen uns aufzuteilen. Ich fuhr die ersten drei Stunden, Sören übernahm den Rest.
Ich genoss es, hinter dem Steuer zu sitzen. In Stockholm hatte ich wenig Gelegenheit, meine Fahrkünste anzuwenden, denn die meisten Wege legte ich mit dem Bus zurück. Außerdem besaß ich kein eigenes Auto. Sören vertrat glücklicherweise nicht die Ansicht seines Vaters, dass Frauen hinter dem Steuer nichts zu suchen hatten.
Auf ungefähr halber Strecke hielten wir auf einem Rastplatz. Zu dieser Jahreszeit pausierten hier nur wenige andere.
»Was hältst du davon, wenn wir eine große Rundreise machen?«, fragte ich Sören, während wir unseren Proviant aus den Taschen holten. »Vielleicht als Hochzeitsreise?«
»Da hatte ich eher an das Mittelmeer gedacht. Südfrankreich. Wir könnten in Nizza und St. Tropez wohnen und uns die Herrschaften der feinen Gesellschaft anschauen.«
Ich lächelte. »Das wäre schön.« Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich eigentlich ebenfalls zu dieser »feinen Gesellschaft« gehörte. Auch wenn unser Gut seine glanzvollsten Zeiten hinter sich hatte. Doch von den Damen, die in den Magazinen mit großen Sonnenbrillen, Designerkleidern und Juwelen abgebildet wurden, unterschied ich mich ziemlich. Ich fühlte mich eher als einfache Frau.
»Wenn der Termin unserer Hochzeit feststeht, werde ich mich nach einer Reise umschauen.« Sören strahlte. »Was meinst du, wann wird es so weit sein?«
»Das kommt ganz darauf an, was meine Eltern sagen.«
»Meinst du, sie haben etwas dagegen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das sicher nicht. Für meine Mutter bist du der ideale Schwiegersohn.«
»Oh Gott, hat sie das gesagt?«
Ich lachte auf. »Nein, aber ich weiß die Zeichen zu deuten. Bei einer Hochzeit wie der unsrigen müssen viele Dinge beachtet werden. Es gab schon lange kein richtig großes Fest mehr auf dem Löwenhof. Viele Gäste müssen eingeladen werden, unsere Verwandten, Freunde, Geschäftspartner …«
»Was, die auch noch?«
»Sie wären sonst beleidigt. Außerdem deine Familie, Freunde.«
»Geschäftspartner«, setzte er spöttisch hinzu. »Ich frage mich, ob Dr. Larsen kommen würde.« Larsen war der Tierarzt, bei dem er assistierte.
»Wenn du willst, laden wir ihn ein. Außerdem wäre es mir lieb, wir könnten unsere Hochzeit draußen feiern. Du weißt, wie traumhaft unser Garten im Sommer ist.«
»Oh ja, das weiß ich.«
»Und du weißt, dass ich in der Hinsicht sehr altmodisch bin.«
Sören nickte. »Zum Glück bist du in vielen anderen Dingen sehr modern.«
»Dann wäre es doch angebracht, über einen Termin in diesem Sommer nachzudenken. Juni oder Juli vielleicht?«
»Juni oder Juli?« Sören stieß ein erleichtertes Lachen aus. »Das ist großartig! Ich habe schon befürchtet, dass ich eine mehrjährige Verlobungszeit mit dir einhalten müsste.«
»So etwas gab es seit meiner Urgroßmutter Stella nicht mehr«, antwortete ich.
»Diese streng dreinblickende Frau auf dem Gemälde in eurer Eingangshalle?«
Meine Großmutter redete nicht häufig über sie, doch das Porträt in der Halle vermittelte dem Betrachter eine Ahnung, wie es zu damaligen Zeiten zugegangen war. Mehrjährige Verlobungen waren da wahrscheinlich ebenso üblich gewesen wie das Tragen eines Korsetts.
»Kannst du es ihr verübeln? In der Blüte ihres Lebens hat sie ihren Ehemann und ihren Sohn verloren. Da kann man schon ein wenig griesgrämig dreinschauen. Obwohl ich ja finde, dass sie eigentlich sehr würdevoll wirkt.«
»Und altmodisch.«
»Das werden wir in hundert Jahren auch sein, mein Lieber.«
Ich sah ihm tief in die Augen. Wie würde es sein, mit ihm alt zu werden? Wie würden uns unsere Kinder sehen? Ich wünschte mir Kinder, mindestens zwei. Auch wenn es vielleicht anstrengend sein würde, die Arbeit dann mit dem Muttersein zu verbinden, wollte ich unbedingt beides.
Nach der kurzen Rast setzten wir unseren Weg fort. Hier und da gab es noch ein paar Schneehaufen, aber sonst waren die Straßen frei.
Wir hatten die Plätze gewechselt, und ich war froh, mich ein wenig ausruhen zu können, denn mein Nacken fühlte sich steif an. So lange zu fahren war ich nicht gewohnt.
Das Brummen des Wagens machte mich schließlich schläfrig. Ich kuschelte mich in die Kapuze meiner Jacke und schloss die Augen. Gedanken an meine Hochzeit tauchten vor mir auf. Was für ein Kleid sollte ich tragen? Ein langes oder ein kürzeres? Meine Mutter würde eindeutig für ein langes Kleid sein, aber mir persönlich gefiel die Vorstellung, ein Kleid zu wählen, das im Schnitt denen ähnelte, die Fürstin Gracia Patricia von Monaco bei hohen Anlässen trug. Damit würde ich sicher auffallen.
Mit dem Bild des Hochzeitskleids vor Augen versank ich in tiefen Schlaf.