Albertine Gaul
Gewidmet Solo, Hexe, Lilli, Lucky und dem Rest der Katzenbande!!
Entfesselt
1. Kapitel
Die Nacht der Apokalypse
Das Jahr 2518:
Seit gut 500 Jahren bereisen die Menschen das Weltall, hatten bereits nicht nur den Mond, den Mars, sondern auch weiter entfernte Planeten besiedelt.
Selbst auf entlegenen Monden waren Handelsposten gegründet worden, die die Bevölkerung dieses Multiversums mit allen erdenklichen Gütern belieferte, die man sich vorstellen konnte. Ob Silber aus dem Dromedar Nebel, Gewürze von den Plejaden, Drogen von dem Schachtsystem, Gold und Diamanten vom anderen Ende der Galaxie, Sklaven von dem Wasserplaneten Onroth und Holz aus dem Siriussternensystem. Es gab nichts, was es nicht gab.
Doch diese Handelstätigkeiten, die sich quer durch die Galaxie gebildet hatten, waren nicht ohne Neider geblieben. Weltraumpiraten, Abenteurer und Außenseiter, griffen immer wieder die Außenposten dieses Systems an, töteten die Menschen, versklavten und plünderten gnadenlos die Handelsposten. Dann verkauften sie Androiden, Cyborgs und Sklaven gegen fette Rendite an ihre eigenen Leute, tauschten Silber gegen Drogen und Alkohol, verscherbelten Diamanten an schmierige Händler in der Piratenhochburg Heliantos. Selbst der Rat der Neun, ein Zusammenschluss aller bewohnten Planeten und Zivilisationen der Galaxie, konnte den Angriffen nicht Einhalt gebieten, trotz Sanktionsmaßnahmen und der ernsten Drohung, notfalls Kriegsschiffe einzusetzen.
*
So bricht an einem warmen Tag gegen Abend auf dem Mond Cato das Inferno aus, als Weltraumpiraten den kleinen Handelsposten und die dazugehörige Stadt Wasserfall Inn in Schutt und Asche legten.
Wie jeden Morgen stand Lucie Lathram schon vor allen anderen auf. Selbst ihre Mutter Carola schlief zu dieser frühen Stunde noch tief und fest.
Lucie liebte es, nach einer Tasse Kaffee, purer Luxus in der Handelsstation auf diesem Mond, eine Runde durch die bizarre und staubige Landschaft zu joggen.
Die Bemühungen früher Siedler, auf dem Mond Landwirtschaft zu betreiben, hatten Gruppen von Kakteen und Sukkulenten hinterlassen, Pflanzen, die nur mit wenig Wasser auskamen und deren Haut so dick war, das sie die Sonnenstrahlen ertragen konnten, die hier herrschten.
Jetzt, kurz nach dem Winter, trieben sie bereits erste Knospen und würden beim Einsetzen der Sommerwärme in voller Blüte stehen.
Auch Insekten gab es, bienenähnliche Nektarsammler, die ausdauernd die wenigen offenen Blüten anflogen und Lucie auf ihrer Laufstrecke mit fröhlichen Gesumme begrüßten. Sie störte nicht mal der feine Staub, der die Kakteen in der letzten Nacht überzogen hatte.
Ihr Weg führte sie zu dem einzigen Fluss, an dem die Stadt Wasserfall Inn und die dazugehörige Handelsstation lag. Hier gab es weitere Pflanzen, Gräser, Moose und feuchtigkeitsliebende Blütenpflanzen, die das Ufer des Flüsschens säumten. Weiter im Süden, da wo die gezackten Berge in die Ebene übergingen, rauschte der Fluss über eine Felsplatte in die Tiefe, was auch der Stadt ihren Namen gegeben hatte.
Doch soweit wollte Lucie heute nicht laufen. Obwohl der Winter sich gerade verabschiedet hatte, war die Luft bereits so warm, dass die meisten Einwohner der Stadt ihre Arbeit in die Innenräume verlegten.
Einen Augenblick verharrte Lucie hinter einer Felssäule, um nach Luft zu schnappen. Sie liebte diesen Ort, an dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte, doch im Geheimen dachte sie immer öfter daran, den Mond und das Sonnensystem zu verlassen, um in den fernen Galaxien ein besseres Leben für sich zu finden.
Bisher hatte sie noch nicht mit ihrer Mutter über diese Wünsche gesprochen, da diese sie hier alleine groß gezogen hatte. Ihren Vater lernte Lucie nie kennen, denn ihre Mutter war nach der Geburt ihrer Tochter auf dem Mond Cato hängen geblieben, und hatte sich eingerichtet. Sie sprach wenig von Lucies Vater, und wenn, nannte sie ihn Abenteurer, Schürzenjäger und schimpfte über die Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte.
„Er war es nicht wert, dass ich noch an ihn denke“, erklärte sie ihrer Tochter immer wieder. „Frag mich nicht nach ihm. Ich weiß nicht, wo er sich heute herumtreibt. Er war ein Wanderer, der nur Frauen, Geld und Abenteuer im Kopf hatte. Ich bin froh, dass ich den Schritt gewagt habe und auf diesem Mond geblieben bin. Hier habe ich wenigstens Arbeit und ein Dach über dem Kopf.“
Carola Lathram arbeitete in der Handelsstation als Verkäuferin, die den Menschen, und anderen Wesen, die Waren verkaufte, die auf dem Mond angeboten wurden. Die Einwohner von Wasserfall Inn bezahlten diese mit den Diamanten, die in den Bergen abgebaut wurden. Die meisten der Städter arbeiteten die Woche über in den Minen, und kamen nur am Wochenende in die Stadt, um dort bei ihren Familien zu sein.
Auch Lucie war in der Station beschäftigt, wo sie die Waren sortierte, die weiter auf den Planeten Vihiri befördert wurden, der den Mond in seiner Umlaufbahn hielt.
Er war viel größer wie die Erde, und trug eine eigene Zivilisation, die Casithea, Wesen mit einem hohen IQ und eigenen Raumschiffen. Ihr König gehörte zu den neun Ratsmitgliedern, die sich bemühten, für Recht und Ordnung im Universum zu sorgen.
Einst hatten sie den Menschen erlaubt, auf ihrem Mond zu siedeln.
Lucie kannte die Geschichten der Besiedelung, sie gehörten zu dem Wissen, das die Lehrer in der Schule, die sie besucht hatte, weiter gaben.
Nun war sie aber neunzehn und fest in den Arbeitsrhythmus der Handelsstation eingebunden. Nur am frühen Morgen blieb ihr Zeit, über sich und ihr Leben nachzudenken.
„Weiter geht es“, flüsterte sie und löste sich aus dem Schatten der Säule. „Irgendwann muss ich Mutter sagen, dass ich Wasserfall Inn verlassen werde. Hier wird es mir zu eng.“
In Gedanken bei dieser Aufgabe beendete sie ihre Laufrunde durch die Umgebung der Stadt.
In dem kleinen Haus, welches sie mit ihrer Mutter und deren Partner Kanul teilte, herrschte schon morgendliche Hektik.
„Warum hast du mich nicht geweckt“, fragte Carola ihre Tochter, kaum das diese das Haus betreten hatte. „Auf die Technik kann man sich auch nicht verlassen. Der Mondstaub hat die Computer lahmgelegt und die Software abstürzen lassen. Jetzt bekomme ich nicht mal einen anständigen Kaffee.“
„Das tut mir leid. An die Kollektoren habe ich nicht gedacht“, antwortete Lucie schuldbewusst. „Soll ich sie säubern?“
„Es gab letzte Nacht einen Staubsturm“, meinte Kanul, welcher auf dem Planeten Vihiri geboren wurde. „Leider habe ich vergessen, das Dach abzudecken. Jetzt muss ich hinauf und den ganzen Dreck wieder vom Dach pusten, damit Valiss wieder Energie bekommt und du deinen Kaffee.“
„Brauchst du Hilfe“, fragte Carola.
„Nein. Das schaffe ich ganz alleine. Geh du nur in die Station und sag dem Leiter, dass es bei mir später wird.“
„Ok. Wenn etwas ist, melde dich mein mir.“
Er nickte und die Antennen auf seinem Kopf wippten dabei hin und her. „Wir sehen uns!“
Carola gab ihm einen Kuss und warf sich einen Umhang über, der auch ihren Kopf verdeckte. Jetzt, an späteren Vormittag war es außerhalb der Gebäude derart heiß, dass die Terraner, wie Lucies Mutter eine war, wie Speck in der Sonne brutzelten, wenn sie keinen Schutz benutzten.
„Ich füttere gerade noch Geash, bevor ich gehe“, sagte Lucie und suchte aus dem Küchenschrank eine lange Pinzette und ein Glas mit grünlichen Maden. Sie fand beides in der hintersten Ecke, wo ihre Mutter das Glas immer versteckte. Sie empfand das Futter des Taschenbeutlers als sehr ekelig.
„Es wird Zeit, das Valiss wieder funktioniert“, sagte Lucie zu Kanul. „Diese Sucherei kostet mich wertvolle Arbeitszeit!“
„Ich tue, was ich kann“, antwortete dieser und schlüpfte in seine Kleidung, Tunika, Hose und weiche Stiefel. „Kannst mir ja helfen?“
„Nein, heute nicht. Es haben sich neue Transportschiffe mit Waren angekündigt. Die muss ich gleich sortieren.“
Mit geübten Bewegungen entnahm sie den Beutler, ein rattenähnliches Wesen mit einer langen Schnauze, bräunlichem, dichten Pelz, einem kurzen, breiten Schwanz und langen Krallenfüßen, ihrem Rucksack, wo er die Nacht verbracht hatte.
Taschenbeutler waren eigentlich dämmerungsaktiv und lebten in Höhlensystemen auf dem Planeten Vihiri, von wo ihn Kanul mitgebracht hatte. Doch Lucies Beutler hatte sich an das Leben mit einem Menschen angepasst und schlief wie sie in der Nacht.
Mit der Pinzette fütterte sie ihn mit den Maden, die er hungrig verschlang.
„So, mein Schöner. Ich setz dich wieder in mein Zimmer. Sei brav, bis ich wiederkommen, ja?“ Behutsam trug sie ihn nach der Verköstigung zurück in ihren Raum, verstaute die Maden wieder im Schrank und machte sich dann auf den Weg zur Arbeit. Wie ihre Mutter gut geschützt, denn auch sie war Terranerin, wenn sie ihren Vater auch nicht kannte.
Von weitem sah sie schon die vielen Gleiter, die auf dem Platz vor dem Handelskontor landeten. Einer nach dem anderen lud seine Waren aus, vor allem Lebensmittel, denn auf dem Mond Cato war keine Landwirtschaft möglich. Pflanzen verdorrten in der staubigen Erde, die nicht genug Wasser halten konnte. Nur Kakteen und andere wasserspeichernde Pflanzen existieren hier, Getreide, Kartoffeln und andere Gemüsepflanzen nicht.
„Hallo, Erass! Wieder mal im Lande“, rief sie einem Casithea zu, der große Kisten aus seinem Gleiter lud.
„Hey, Lucie. Du bist spät dran“, antwortet er und winkte ihr.
„Ja. Letzte Nacht gab es einen Staubsturm, der unser KommunikationssystemValiss im Haus lahmgelegt hat. Kanul beseitig gerade die Schicht von den Kollektoren.“
„Ich würde hier nicht leben wollen. Warum kommst du nicht mit mir?“
„Danke für dein Angebot. Doch Mutter braucht mich hier.“
„Du kannst es dir ja überlegen. In einer Stunde fliege ich wieder ab.“
„Ok. Ich helfe dir mit den Kisten!“
„Lass mal, Mädchen. Es sind nicht mehr viele. Sorg lieber dafür, dass ich rechtzeitig meine Bezahlung bekomme!“
„Ich sage es meiner Mutter. Bis gleich!“ Entschlossen betrat Lucie die große Halle, in der die Kisten gelagert wurden.
Hier ging es zu wie auf dem Jahrmarkt. Verschiedene Personen und Wesen trugen, schoben und flogen Kisten, Kübel und Container von einer Ecke in die andere. Es wurde geflucht, geredet, geschrien, gestritten und emsig verhandelt, in den unterschiedlichsten Sprachen.
Es gab menschenähnliche Wesen mit zwei Armen und vier Beinen, die Glorianer. Dann insektenartige, mit Fühlern und harten Panzern, die Scorpiden. Auch reptilienartige, mit grünlicher Haut, Schuppen und rosafarbenen Zungen, die ihnen beim Sprechen aus den Mäulern schnellten, die Zvaraner. Daneben immer wieder Casithea, die nicht nur Waren brachten, sondern auch für die Sicherheit und Ordnung in der Stadt sorgten.
„Hallo! Hier ist ja schon richtig was los“, rief Lucie in die Menge.
„Hey, Lucie. Ja, der Staubsturm hat die Landung der Gleiter in der Nacht verhindert. Jetzt wollen alle ihre Waren so schnell wie möglich loswerden. Hilf mir mal bei der Abfertigung“, antwortete Aphres Toll, Leiter des Lagers und Glorianer.
„Sofort. Ich muss Mutter Bescheid sagen, dass Erass seine Bezahlung möchte. Wie immer hat er es eilig, wieder von hier wegzukommen.“
„Kann ich nicht verstehen. Ich finde es schön hier.“ Aphres lachte.
Lucie quetschte sich geschwind durch die Menge, hielt vor einer Metalltür, neben dem ein winziges Display blinkte. Nur kurz hielt sie ihre Hand dagegen, sofort öffnete sich die Tür mit einem zischenden Laut.
Dahinter lagen die Büroräume der Station, in der die Waren verwaltet, verteilt und die Bezahlung dafür geregelt wurde.
Kameras in jeder Ecke der Räume, Bewegungsmelder und ein intelligentes Netzwerk, welches mit der Polizeistation der Stadt verbunden war, sorgten für Sicherheit.
Durch den weißgestrichenen Flur, in dem Metall das dominante Merkmal war, lief sie zu dem hintersten Raum, in dem ihre Mutter arbeitete.
„Scill, nein, du kannst keine Feigen bekommen. Die sind schon für Umhah Vali in der Terranischen Straße“, hörte Lucie ihre Mutter beim Eintreten sagen. Sie saß vor einem großen Bildschirm, auf dem das Gesicht eines Händlers zu sehen war.
„Du hast es mir versprochen. Weißt du noch? Was soll ich meinen Kunden, besonders den Minenarbeitern, sagen, wenn du mein Sortiment derart ausdünnst?“ Das Gesicht Scills war vor Ärger rot angelaufen.
„Es tut mir wirklich leid. Esne Mere, der Kommandant des Handelsschiffes meinte, auf Pegasus 3 sei eine Seuche ausgebrochen, die die Feigenbäume stark dezimiert habe. In absehbarer Zeit wird es von dort viel weniger Feigen geben, wie bisher. Wir sehen uns aber nach Ersatz um.“
Scill seufzte tief. „Nun gut. Ich weiß, du kannst nichts dazu. Dann sorge bitte dafür, dass meine anderen Bestellungen geliefert werden.“
„Ich sage es Lucie. Sie ist gerade im Raum.“
„Danke.“ Das Bild flackerte und verschwand dann.
„Möchtest du etwas besonders“, fragte Carola ihre Tochter. „Ich habe zu tun!“
„Ja. Ich sehe es. Erass will seine Bezahlung.“
„Die will er immer als erstes. Wenn du ihn siehst, sag ihm, hier geht es nach der Reihe. Oro Kil war heute Morgen der erste. Danach Texuts Egnall und seine Leute. Wenn die ausbezahlt sind, kommt Erass dran.“
„Er wird nicht glücklich sein darüber, aber ich sage es ihm.“ Lucie zuckte die Schultern.
„Mir egal. Mit diesem Prinzip haben wir uns den Respekt der Handelspartner gesichert. Jeder bekommt sein Geld und es gibt keine Streitigkeiten.“ Carolas Monitor summte leise. „Ich muss Schluss machen. Die nächste Bestellung wartet.“
Lucie kehrte in die Lagerhalle zurück und gab Carolas Antwort an Erass weiter, der fleißig Kisten in die Halle schleppte.
„Deine Mutter ist hart“, sagte er. „Aber ein Versuch war es wert. Wir sehen uns!“
„Ok. Es ist nicht ihre Entscheidung, sondern die von Lonall Dral, ihrem Chef. Der regelt hier alles.“
„Ich weiß. Nichts für ungut, Lucie.“ Er grinste sie breit an.
Lucie ließ ihn stehen und kümmerte sich um die anderen Händler, die Kisten ausluden oder abholen wollten.
Bis zum Mittag war sie damit beschäftigt, dann wurde es ruhiger in der Halle. Nun wurde es Zeit, eine kleine Pause zu machen, denn draußen war es derart heiß, dass selbst die klimatisierte Halle wie ein Ofen aufgeheizt wurde. Lucie holte sich am Automaten eine Flasche Wasser und wollte gerade zu ihrer Mutter in den Bürotrakt gehen, als ihr ein fliegendes Insekt auffiel, welches ziellos durch die Halle flog und ihr schließlich zu Tür folgte.
„Du bist hier nicht richtig“, rief sie und wedelte mit den Armen, um es aus der Halle zu scheuchen.
Das Insekt wich ihr aus und krachte mit voller Wucht gegen die geschlossene Metalltür.
„Selber schuld“, meinte Lucie trocken und hob den toten Insektenkörper auf. „Ich wollte dir helfen, die Halle zu verlassen. Warum hast du nicht auf mich gehört?“
Bevor sie das Tierchen vor die Halle werfen wollte, betrachtete sie es. Irgendetwas war an ihm nicht in Ordnung. Es sah aus wie die Brummer, die auf dem Mond die Blüten bestäubten, und dann doch wieder nicht. Die Augen des Insekts wirkten wie ein Objektiv, das alles in der Umgebung aufnahm. Sobald Lucie es in der Hand wendete, folgten sie ihr mit einem leisen Summen.
„Komisch“, murmelte sie und öffnete die Tür mit ihrem Chip. „Ich nehme dich mal mit und zeige es Mister Dral. Der kennt sich mit so was aus.“
Sie fand den Leiter der Handelsstation in seinem Büro. Wie jeden Tag kontrollierte er die Ein- und Ausgänge der Waren und der Bezahlung. Für einen Casithea hatte er sehr lange Antennen auf dem Kopf, welche für die Telepathie zuständig waren, stark gemusterte Haut und dunkle, undurchdringlichen Augen, die jedem direkt ins Herz zu schauen schienen.
„Hallo, Miss Lathram. Was kann ich für sie tun?“
„Ich habe etwas in der Halle gefunden, was mir verdächtig nach einem technischen Spielzeug aussieht.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, auf dem das Insekt lag.
„Das ist ein Brummer“, meinte der Leiter, nach einem kurzen Blick darauf.
„Dachte ich auch. Aber, er verhält sich nicht wie ein Brummer. Seine Augen machen Geräusche, wenn es sie bewegt.“
„Zeig mal her.“ Vorsichtig nahm er es mit zwei Fingern und musterte das Insekt kritisch. „Sie haben recht. Ein lebendes Insekt ist das nicht. Wo haben sie es gefunden?“
„In der Halle, vor der Tür zu den Büros. Zuerst flog es ziellos, bis ich dann meine Pause machen wollte. Da ist es mir gefolgt.“
„Merkwürdig? Sag den anderen Bescheid, sie sollen die Augen nach weiteren solchen Dingern offenhalten. Vielleicht ein Spion einer anderen Spezies? Der Konkurrenzkampf ist ziemlich hart. Dem anderen eins auszuwischen gehört fast zum guten Ton.“
„Mache ich. Was wird jetzt aus diesem … technischen Ding?“
„Ich zeige es der Sicherheitspolizei. Die wissen sicher, was es ist und woher es kommt.“
„Ok. Danke. Ich geh dann mal wieder und besuche meine Mutter.“
Sie fand Carola in ihrem Büro, wo sie sich gerade für die Pause einrichtete.
„Du kommst spät“, sagte sie.
„Ich habe da was gefunden, das ich Mister Dral zeigen wollte. Ein technisches Insekt, eine Microdrohne. Ich frage mich, was es hier in der Halle machte?“
„Auf Terra gibt viele solcher Androiden. Sie bestäuben dort die Blüten.“
„Ok? Hier ist das aber nicht nötig.“
„Nein. Es könnte aber mit einen der Gleiter auf Cato gekommen sein. Schließlich war hier einiges los heute Morgen.“
„Vielleicht? Er hat gesagt, er will es an die Polizei weiterleiten.“ Lucie ließ sich auf einen der Stühle nieder. „Puh, das war ein Vormittag. Der Sturm heute Nacht hat die ganze Anlieferung verzögert. Ich bin froh, wenn ich heute Abend meinen Lieblingsfilm sehen kann.“
„Aber nicht zu lange. Kanul und ich wollen heute ausgehen. Im Tanzpalast ist eine Party, für die wir Karten haben. `The hawk` wird dort auftreten.“
„Keine Sorge. Morgen ist ja erst Pemm, da muss ich eh arbeiten.“
„Qrors und Qeops kommen viel zu langsam und gehen viel zu schnell.“ Carola seufzte. „An die Namen für Freitag, Samstag und Sonntag hier werde ich mich nie gewöhnen, auch wenn mich Kanul damit immer aufzieht. Ich bin und bleibe Terranerin.“
„Keine Sorge, bis zum Ende deines Lebens hast du ja noch Zeit. Du lernst das noch, Mutti.“
Nach der Pause, die bis zum frühen Nachmitttag ging, erledigte Lucie wieder ihre Arbeit im Lager. Sie teilte die verbliebenen Waren auf die einzelnen Geschäfte in der Stadt zu, kontaktierte die Einzelhändler und bat um Abholung. Bis zum Abend, der immer plötzlich und zu schnell einsetzte, waren alle Kisten aus der Halle geräumt.
Mit ihrer Mutter und Kanul, der in einem anderen Trakt des Kontors arbeitete, kehrte Lucie in ihr Zuhause zurück.
Draußen war es entsprechend kühler geworden, die Dunkelheit vertrieb die Hitze und senkte die Temperatur sehr rasch ab.
Während sich Lucie auf ihre Lieblingsserie, „der einsame Rächer“, freute, zogen sich Carola und Kanul um, um im Tanzpalast jenen Musiker zu sehen, den sie schon lange verehrten und der nur selten in diesem Bereich der Galaxie auftrat.
„Wir bleiben nicht so lange“, meinte Carola und gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. „Vor Mitternacht sind wir sicher zurück!“
„Viel Spaß“, rief ihnen Lucie hinterher.
„Werden wir haben“, meinte Kanul lachend und harkte sich bei Carola unter. „Mach keinen Quatsch.“
„Mache ich nie“, murmelte Lucie und suchte ihren Taschenbeutler. Sie fand ihn unter ihrer leichten Bettdecke, wo er tief und fest schlief.
„So gut müsste ich es haben, Geash. Den ganzen Tag schlafen, dann mit fetten Maden gefüttert werden und schließlich wieder schlafen.“ Sie streichelte das weiche Fell des Tieres. Er schnaufte, was wohl ein „Ja“ bedeuten sollte. So genau wusste es Lucie nicht, da ihr Beutler eher aus der Art schlug. Normalerweise kommunizierten sie auf telepathischen Wege, wie die Casithea auch. Dieser hier gab aber Töne von sich, die Lucie hören konnte.
„Hast wohl Hunger. Ich füttere dich, dann esse ich eine Kleinigkeit, bevor der Film abfängt.“
Gesagt, getan. Zufrieden und satt kuschelte sich der Beutler an Lucie, während sie sich den Film ansah. Doch irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie schlief auf dem Sofa ein.
Ein lauter Krach, wie von einer Explosion, ließ sie mitten in der Nacht wieder hochschrecken.
Erneut krachte es und ein heller Schein erhellte für kurze Zeit das Wohnzimmer.
Lucie zuckte zusammen und ihr Beutler verkroch sich verängstigt unter ihr T-Shirt.
„Was geht hier vor“, rief sie und schnellte vom Sofa.
Eine erneute Explosion riss sie von den Füßen und sie landete bäuchlings zwischen Sofa und Tisch.
Ein Rauschen und Sirren war zwischen den Detonationen zu hören, das Lucie an einen Gleiter oder mehrere erinnerte.
„Achtung! Achtung!“, schallte es kurz darauf auf dem Lautsprecher, neben dem Monitor. „Cato wird angegriffen. Alle Einwohner werden gebeten, die Sicherheitseinrichtungen aufzusuchen!“
„Ziemlich früh“, zischte Lucie und rappelte sich wieder auf. „Geht es dir gut, Geash?“
Der Beutler nieste und krabbelte unter Lucies T-Shirt hervor.
„Mutter? Kanul? Sind sie zurück?“ Hektisch sauste Lucie ins Schlafzimmer ihrer Mutter, doch das Bett war leer. „Sie sind nicht da, Geash! Was mache ich nur?“
Panik stieg in ihr hoch und Sorge um ihre Mutter. „Ich muss zum Tanzpalast. Sie müssen noch dort sein!“
Erneut krachte es vor dem Haus und Lucie hielt sich die Ohren zu, weil es so laut war.
„Ich muss da raus“, schrie sie, aber die Angst ließ sie zögern.
Erneut tönte die Warnung aus dem Lautsprecher. „Achtung! Achtung! Wir werden angegriffen. Suchen sie die Sicherheitseinrichtungen umgehend auf!“
„Nein. Sie werden sicher im Bunker sein. Ich muss zu ihnen.“ Blind vor Sorge suchte sie ihre Sachen zusammen, setzte den Beutler in ihren Rucksack und verließ dann das Haus.
Draußen empfing sie ein Inferno. Überall loderten die Flammen, die ganze Stadt brannte. Dazwischen die Gleiter, schwarz und mit einem Totenkopf beklebt, die auf jeden feuerten, den sie erwischen konnten.
Lucie zitterte und am liebsten hätte sie sich wieder im Haus versteckt, doch die Sorge um ihre Mutter war so groß, dass sie alles andere vergaß und sich auf den Weg zum Tanzpalast machte.
Immer wieder zischten Feuersalven an ihr vorbei, als sie sich im Schatten der Häuser ihren Weg suchte. Oft musste sie Umwege gehen, denn unzählige Gebäude waren eingestürzt und ihr Schutt lag auf den Wegen.
Der Ruß ließ Lucie husten und die Hitze trieb ihr Tränen in die Augen. Doch sie lief unbeirrt weiter, als über ihr ein Gleiter auftauchte.
Lucie bemerkte ihn zuerst nicht, bis er auf sie schoss. Die Kugeln trafen sie nicht, sondern sollten wohl eine Warnung sein. Zischend schlugen sie neben ihr ein.
„Verschwinde“, schrie sie den Gleiter an. „Ich habe keine Angst vor dir!“ Wütend hob sie die Faust.
Wieder feuerte er auf sie, diesmal schlugen die Salven näher ein.
„Warum tötest du mich nicht einfach! Dann haben wir es hinter uns!“ Lucie stoppte nur kurz und nahm dann ihre Beine in die Hand. Bis zum Tanzpalast war es nicht weit, und sie wollte ihrem Verfolger entkommen.
Als sie um die nächste Ecke bog, erwartete sie ein Bild des Grauens. Der gesamte Komplex stand in Flammen, davor verkohlte Leichen, Sterbende, Verletzte und verwirrte Leute.
„Wo ist meine Mutter“, fragte sie den ersten Mann, den sie traf. Er sah sie blicklos an und rannte weiter.
„Mutter! Mutter!“, brüllte sie.
Lucie konnte niemanden sehen, der Carola ähnlichsah.
„Ich muss in das Gebäude“, flüsterte sie und rannte los. Sie kam nicht weit, denn ein Geschoss traf sie an der Schulter und verkrampfte in wenigen Augenblicken ihren Körper. Schmerzwellen jagen durch ihn hindurch und sie verlor das Bewusstsein.
2. Kapitel
Auf dem Piratenschiff
Als sie erwachte, roch es nach Desinfektionsmittel, Zigarettenrauch und süßlich nach Drogen. Sie kannte den Geruch, denn auch in der Handelsstation wurden jene Suchtmittel unter dem Ladentisch verkauft. Eine offizielle Genehmigung gab es nicht, da Drogen eine enthemmende Komponente hatten und somit die Ordnung auf dem Mond in Frage stellten. Somit war ihr Besitz schon lange unter Strafe gestellt worden.
Lucie drehte den Kopf und entdeckte weitere Personen, teilweise mit Ruß bedeckt und übersät mit Verletzungen. Manche lagen wie tot, andere stöhnten und nur wenige saßen aufrecht und wirkten wach.
„Was ist passiert“, fragte Lucie verwirrt. „Wo sind wir hier?“
„Auf dem verfluchten Piratenschiff“, antwortete ihr ein Mann, den Lucie als einen Casithea identifizierte. In der gutturalen Sprache des Planeten sprach sie ihn an: „Wo ist meine Mutter? Der Mond?“
„Sie haben uns auf ihr Schiff gebracht, nachdem sie Wasserfall Inn dem Erdboden gleich gemacht haben. Ich denke, sie werden uns als Sklaven verkaufen.“
„NEIN!“ Es war ein Schrei der Verzweiflung, der aus Lucies Mund kam, da Gerüchte über die Sklaven der Piraten auch auf dem Mond Cato gestreut wurden. „Und der Tanzpalast?“
„Er brennt. Wer dort den Abend verbracht hat, wird es nicht ins Freie geschafft haben.“
„Meine Mutter war dort und mein Stiefvater, Kanul Colers. Sie wollten sich das Konzert von `The hawk` ansehen.“
„Das Konzert fand nicht statt. Der Typ hatte zuvor abgesagt. Ich weiß es, da ich auch dort war. Zum Glück verließ ich das Gebäude, bevor der Angriff stattfand.“
„Meine Eltern waren nicht zu Hause. Warum kamen sie dann nicht heim?“
„Die `Shadows` traten als Ersatz auf. Vielleicht wollte ihre Eltern sich die lokale Band ansehen?“
„Meine Mutter liebte die Musik, und auch auszugehen. Möglich, dass sie dortblieben. Denken sie, sie sind dort getötet worden?“ Worte, die Lucie nur schwer über die Lippen kamen, da sie diese Möglichkeit nicht glauben wollte. Die Sorge um ihre Eltern schnürte ihr die Kehle zu.
„Vermutlich. Ich war erst einige Schritte weg, als diese verdammten Piratengleiter den Tanzpalast in Brand schossen. Er fing sofort Feuer und nur wenige gelangten ins Freie.“
„Ich spüre, das sie nicht mehr leben. Aber ich muss nachsehen. Die Piraten werden mich hoffentlich frei lassen?“ Sicher war sie sich nicht, doch ihre Hoffnung starb zuletzt.
„Darauf würde ich nicht wetten“, sagte der Mann. „Wir sind nun ihre Sklaven, mit denen sie tun können, was sie wollen!“
„Ich versuche es“, meinte Lucie und setzte sich auf. Aus ihrem Rucksack, der neben ihr gelegten hatte, fiepte es. „Oh, Geash. Dich hätte ich fast vergessen!“ Sie holte den Taschenbeutler hervor und streichelte ihn.
„Verstecken sie ihn besser“, warf der Mann ein. „Manche Rassen essen diese Tiere.“
„Sie sollen es mal wagen“, fauchte Lucie. „Dann bekommen sie es mit mir zu tun!“ Mit dem Tier auf dem Arm stand sie auf und sah sich um.
Der Raum, in dem sie sich befanden, war eine Art Lagerraum, nur leer. Kahle, weiße Wände, an der Decke Sensoren, die jede Bewegung verfolgten. Neben der einzigen Metalltür ein Display, mit dem man Hilfe rufen konnte. Lucie vermutete, dass es mit dem ganzen Schiff verbunden war.
„Komm, Geash. Wir werden den Kapitän dieser Bande sprechen. Er muss doch einsehen, dass ich meine Eltern suchen muss.“ Sie setzte ihren Beutler wieder in den Rucksack, näherte sich der Tür und berührte das Display. Sofort tauchte dass Bild eines Gesichtes darin auf.
„Was“, knurrte es.
„Ich will den Kapitän sprechen“, sagte Lucie todesmutig.
„Der ist nicht zu sprechen. Besonders für Gefangene nicht. Es sei denn, sie haben Geld!“
„Und wenn ich welches hätte?“
„Das sähe die Sache anders aus. Kommen sie aus reichem Hause, Mädchen?“
„Möglich. Mein Vater wird alles bezahlen, was sie fordern!“ Eine dreiste Lüge, doch Lucie wollte nicht aufgeben. Sie musste das Schiff verlassen und zurück nach Cato, um ihre Eltern zu finden. Noch hoffe sie, das die beiden lebten. Daran musste sie festhalten, wenn sie nicht vor Schmerz verrückt werden wollte.
„Ok. Ich sage dem Boss Bescheid. Warten sie an der Tür!“
Lucie nickte und atmete tief durch, als das Bild verschwand. Jetzt kam es darauf an, die Nerven zu behalten und nicht gleich in Panik zu verfallen.
„Sie gehen ein hohes Risiko ein, mit ihrer Aussage“, rief ihr der Casithea zu. „Seien sie bloß vorsichtig, diese Typen sind wie Tiere, die jeden töten, der versucht, sie zu täuschen.“
„Ich muss es riskieren“, flüsterte Lucie. „Meine Eltern sind noch immer auf Cato. Ich muss sie einfach finden!“
„Und wenn sie tot sind?“
„Dann werde ich sie begraben. Aber daran will ich nicht denken. Sie leben, und ich finde sie!“ Sie versuchte, den Schmerz zu unterdrücken, trotzdem traten ihr Tränen in die Augen. Mit dem Handrücken wischte sie sie weg.
Jetzt bloß nicht heulen, dachte sie. Sei stark und verhandele mit dem Piratenkapitän um deine Freilassung. Es muss einfach klappen!
Mit verkniffenen Lippen wartete sie darauf, dass man sie zum Kapitän brachte.
„Ich wünsche ihnen Glück“, meinte der Casithea. „Sie werden es brauchen.“
„Danke, Mister ….?“
„Yogzer Olo. Mir gehörte der Tanzpalast. Nun ist er Geschichte!“ Er zuckte die Achseln.
„Oh, dann haben sie wohl alles verloren?“
„Noch lebe ich, dass andere lässt sich ersetzten!“
„Eine gute Einstellung“, antwortete Lucie leise. In Gedanken war sie aber bei ihrer Mutter und Kanul. Würde sie sie finden und retten können? Kam sie zur rechten Zeit?
Oder war alles vergebens, auch dieses Gespräch, dass sie sich mit einer Lüge erkauft hatte?
Sie konnte nicht verhindern, dass Tränen in ihre Augen traten. Ich muss stark sein, sagte sie sich. Für Mutter und für mich. Sie dürfen nicht sehen, wie sehr ich leide. Entschlossen wischte sie die Tränen mit den Händen weg und bereitete sich darauf vor, den Boss der Piratenbande zu treffen.
Lucie straffte sich, als sie Geräusche hinter der Tür hörte. Es klang wie schwere Schritte, die sich der Kammer näherten.
„Lucie Lathram, mein Name“, sagte sie zu Yogzer.
„Ich kannte ihre Mutter. Sie arbeitete doch im Kontor, oder?“
„Ja.“
„Wenn sie überlebt haben, werden sie sie finden“, beruhigte er sie.
„Danke, nochmals.“
„Bitte.“
Zischend öffnete sich die Tür und eine Androidin, kaum größer wie Lucie, betrat den Raum.
„Sind sie die Person, die Lösegeld bezahlen will?“
„Ja.“
„Kommen sie mit! Ich bringe sie zum Kapitän.“
Lucie entdeckte auf ihrer Brust ein Namenschild mit der Aufschrift Elis-7.
„Ist das ihr Name“, fragte sie. Die Androidin blicke sie nur kühl an und ging ohne Antwort weiter vor ihr her. Der Gang war schwach beleuchtet und führte, über einen Aufzug, zur Kommandozentrale.
„Kapitän, ich bringe die Gefangene, die Lösegeld bezahlen möchte“, stellte sie dort Lucie vor.