Das Buch
Was bedeutet es, wirklich zu leben? Für Khalil Gibran ist Leben die Energie, die alles durchdringt, was wir sehen, fühlen oder uns auch nur vorstellen können. Mit den weisen Worten des weltberühmten Poeten können auch wir diese Kraft in uns selbst voll entfalten und mit ihr zu Glück und Erfüllung gelangen.
Zeitlose Weisheit, die uns die Augen öffnet und unser Herz berührt: ein bezauberndes Buch, das Weisheit, Erkenntnis und Freude in jeden Moment unseres Daseins bringt.
Der Autor
Khalil Gibran (1883–1931) war ein libanesisch-amerikanischer Maler und Schriftsteller. Geboren im Libanon, emigrierte er in jungen Jahren in die USA, wo seine literarische Karriere begann. Gibran verbindet philosophische Strömungen des Orients, wie z.B. den Sufismus, mit westlichen, durch das Christentum beeinflussten Philosophien. Sein Hauptwerk Der Prophet hat bis heute Millionen Leser auf der ganzen Welt begeistert und inspiriert.
Der Herausgeber
Dr. Neil Douglas-Klotz, geb. 1951, ist international bekannter Religionswissenschaftler, Psychologe und Referent. Der Autor mehrerer erfolgreicher Bücher ist Leiter des Edinburgh Institute for Advanced Learning. Er hält regelmäßig Workshops im deutschsprachigen Raum ab. Neil Douglas-Klotz lebt in Schottland.
www.abwoon.org
Khalil Gibrans
kleines Buch vom guten Leben
Weisheitsgeschichten, die Herz und Seele berühren
Herausgegeben von Neil Douglas-Klotz
Aus dem Englischen übertragen
von Jochen Winter
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Kahlil Gibran’s Little Book of Life, selected and introduced by Neil Douglas-Klotz, bei Hampton Roads Publishing Company, Inc., Charlottesville, U.S.A.
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Erste Auflage 2019
Copyright © 2018 by Neil Douglas-Klotz
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Lotos Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte sind vorbehalten.
Redaktion: Kristof Kurz
Umschlaggestaltung: Christine Klell, Wien, unter Verwendung des Motivs »The Trumpeter« von Bridgeman images © Rebecca Campbell
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-23882-7
V001
www.Integral-Lotos-Ansata.de
www.facebook.com/Integral.Lotos.Ansata
Für alle Immigranten,
die zu neuen Kulturen und Zivilisationen beitragen.
Inhalt
Einleitung
1 Dem Leben der Natur lauschen
Das Gesetz der Natur
Es sagte ein Grashalm
Drei Hunde
Schatten
Gesang des Regens
Die Hyäne und das Krokodil
Zwei Austern
Bäume sind Gedichte
Die Rote Erde
Der Vollmond
Die Höchste Ameise
Der Granatapfel
Abgeschiedenheit
Lebendiges Wasser
Andere Meere
Der Fluss
Genügsamkeit und Sparsamkeit
Das Lotusherz
Der Schatten
Die Schlange und die Lerche
Frösche: Über die Eigenart der Ruhestörung
Gesang der Blume
Frühling im Libanon
2 Schönheit und der Gesang des Lebens
Der Sinn des Lebens
Singen
Geheimnisse der Schönheit des Lebens
Der Dichter
Kunst und Leben
Vergnügen ist ein Freiheitslied
Singen
Vor dem Thron der Schönheit
Die Flöte
Schönheit
Die Seele der Tänzerin
Eine Stunde, der Schönheit und der Liebe gewidmet
3 Das Leben als Reise des Menschen
Euer tägliches Leben ist euer Tempel
Tote Egos begraben
Ein Königreich aufgeben
Besitztümer
Schatz
Der Wert der Zeit
Mit Sinnen, die ständig erneuert werden
Arbeit ist Liebe
Brückenbauer
Ansehen
Das Leben ist ein Festzug
Lied der Menschheit
Gesang im Schweigen
Bescheidenheit
Dazwischen
Unwissenheit
Wenn du einem Freund begegnest
Fremde dem Leben gegenüber
Leben ist Entschlossenheit
Sehnsucht
An amerikanische Immigranten aus dem Nahen Osten (1926)
4 Die Jahreszeiten des Lebens
Sich mit den Jahreszeiten verändern
Keine Wunder jenseits der Jahreszeiten
Jugend und Wissen
Jahreszeiten
Herbst und Frühling
Zeit
Alle deine Stunden sind Flügel
Sei dunkel
Tag und Nacht
Das innere Sein
Gezeiten des Atems
Uferlos ohne ein Selbst
Kritik
Jedes Jahr hatte ich auf den Frühling gewartet
5 Paradoxes Leben
Das Leben kommt herbei
Gespräch
Eine Erzählung aus zwei Erzählungen
Bekenntnis
Gestern und Heute
Gaben der Erde
Geben und Empfangen
Hoch und niedrig
Suche
Freiheit
Grenzen
Eulenaugen
Stimmen
Meer und Gischt
Die Dunkelheit segnen
Übereinstimmung
Jesus und Pan
6 Das Leben der Seele
Auferstehung des Lebens
Ein Bruchstück
Das Größere Meer
Die Wahrheit ist wie die Sterne
Hab Erbarmen mit mir, meine Seele
Vertrauen und Träume
Das Größere Selbst
Aufstieg
Kinder des Raumes
Geh fort von mir, mein Beschuldiger
Der Vorbote
Mit dem Angesicht zur Sonne
Tautropfen der Seele
Die Wurzeln dazwischen
Das Selbst ist ein Meer
Die Sehnsucht nach dem Mächtigen Selbst
Engel und Teufel
Der Gesegnete Berg
Gesang der Seele
Titel der Originalwerke in dieser Auswahl
Quellenhinweise
Über den Autor
Über den Herausgeber
Einleitung
Seit über achtzig Jahren zieren die wunderbaren Worte des libanesisch-amerikanischen Dichters Khalil Gibran vielerlei Zeugnisse – von Glückwunschkarten und Hochzeitseinladungen bis zu inspirierenden Wandbehängen und Firmenbroschüren mit motivierenden Sprüchen. Unter den Dichtern, deren Werke am meisten verkauft wurden, rangiert Gibran an dritter Stelle – hinter Shakespeare und Laotse, so heißt es. Anhand kurzer Auszüge, überwiegend seinem berühmten Buch Der Prophet entnommen, kennen ihn die meisten von uns als visionäre Stimme des Trostes, der Liebe und der Toleranz.
So großartig das ist – Khalil Gibrans Schaffen und Wirken geht doch weit darüber hinaus.
Diese Textsammlung mit dem Titel Khalil Gibrans kleines Buch vom guten Leben zielt darauf ab, einen neuen Blick auf Gibrans Worte und Weisheiten zu werfen, unter Berücksichtigung der wichtigsten Einflüsse auf sein Leben: die Kultur des Nahen Ostens, ein mystisches Naturverständnis und Spiritualität. Ohne Weiteres könnte man behaupten, dass der durchschnittliche Leser in seiner Epoche solch zentrale Aspekte des Werkes als fremdartig und rätselhaft empfunden haben muss, wohingegen sie nach Gibrans Auffassung die geradezu charakteristischen Merkmale jenes Kulturraumes bilden. Hundert Jahre später ist die verständnisvolle Annäherung an dieses Rätsel nicht mehr nur ein exotischer Zeitvertreib, sondern eine Frage des Überlebens schlechthin.
Das vorliegende Buch versammelt Gibrans Aussagen über das Leben. Für einen westlichen Leser bleibt dieser Begriff oft abstrakt. Meinen wir damit die Lebensspanne eines Menschen, den Ablauf alltäglicher Geschehnisse oder gar die philosophische Voraussetzung des Daseins? Wer oder was besitzt Leben? Einem Bewohner des Nahen Ostens aber erschließt der gleiche Begriff einen äußerst konkreten Sinn. Ob im Hebräisch der Bibel, im Aramäisch von Jesus oder dem literarischen Arabisch, in dem Gibran etliche seiner frühen Werke schrieb – stets bedeutet Leben nichts anderes als Lebensenergie und Vitalität. Entscheidend ist, wie jemand oder etwas diese Urkraft zum Ausdruck bringt, nicht wie er, sie oder es selbst in Erscheinung tritt. Die semitischen Sprachen kennzeichnen sich durch eine enge Verknüpfung zwischen Leben (arabisch hayy) und dem gebräuchlichen Wort für Atem; es ist also der Lebensatem, der überall in der Natur und im ganzen Universum zur Entfaltung kommt.
In der antiken hebräischen Tradition ist der »unnennbare Name« Gottes auf dieses Wort ebenso bezogen wie einer der »99 Schönen Namen« Gottes in der islamischen Tradition. Ob irdisches oder himmlisches Leben, zeitliches oder ewiges Leben, inneres oder äußeres Leben – für einen nahöstlichen Dichter und Mystiker wie Gibran ist es eine einzige Lebensenergie, die alles durchdringt, was wir sehen und fühlen oder uns auch nur vorstellen können.
Da Gibran bewusst Kategorien miteinander verbindet, die die meisten von uns als Gegensätze betrachten, haben einige Kritiker ihm vorgeworfen, das einfache literarische Mittel des Paradoxons auszunutzen, um künstlich Verwirrung zu stiften und damit seine Leser zu verblüffen. Licht und Dunkel, Innen und Außen, Gut und Böse jedoch nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzungen zu begreifen, liegt im Wesen nahöstlicher Kultur und Philosophie. Wenn es hinter und in allem nur ein Leben gibt, dann sind wechselseitige Verbindungen gewissermaßen hinter jeder Ecke zu finden.
Nach Suheil Bushrui, einem seiner Biografen, war Gibran stark beeinflusst vom Mystizismus des andalusischen Sufis Muhyiuddin Ibn Arabi im 12. und 13. Jahrhundert. Seiner Idee der »Einheit des Seins« zufolge durchflutet die göttliche Wirklichkeit die gesamte Existenz und übersteigt doch alles, was wir wahrnehmen oder entdecken können. Darüber hinaus stellt Ibn Arabi zufolge das, was wir Leben nennen, eine Art fortschreitendes Experiment dar, durch welches die Größere Wirklichkeit (nah verwandt mit Gibrans »Größerer Seele«) nach und nach mehr über sich selbst erfährt – dank der Lebensreise jeder Pflanze, jedes Tieres, jedes Menschen, jedes Sterns und jeder Galaxie, wie auch einer zahllosen Reihe unsichtbarer Wesen.
Ein weiterer prägender Einfluss auf Gibran zeigt sich darin, dass er als Christ im Geist der Maroniten erzogen wurde – eine mit der römisch-katholischen Kirche verbündete Ostkirche, die sich aber, nicht zuletzt in der Liturgie, bis ins 18. Jahrhundert der syrischen Sprache bediente, ihrerseits verwandt mit dem gebürtigen Aramäisch von Jesus. Dr. Walid Phares, Generalsekretär der Weltunion der Maroniten, erklärt hierzu: »Die geschichtliche Identität des maronitischen Volkes ist im Aramäischen, Syrischen und Östlichen begründet. … Maroniten, zumal jene nationalen Gemeinden, die über dreizehn Jahrhunderte im Libanongebirge und seinen Randbereichen lebten, haben ihre geschichtliche Identität bewahrt – trotz der Versuche von Regionalmächten einschließlich arabischer und osmanischer Reiche, ihnen eine fremde Identität aufzuzwingen.«
Diese Erziehung hatte zwei nachhaltige Wirkungen auf Gibrans Leben und Werk.
Erstens: Die aramäischen Kirchen sahen Jesus, den Propheten von Nazareth, seit jeher als menschliches Wesen, als leiblichen, nicht dogmatisch überhöhten Sohn Gottes, der sein Schicksal in einzigartiger Weise erfüllt und das göttliche Leben in eine Sprache fasst, die uns allen zugänglich ist. In diesem Sinn können wir alle »Kinder« Gottes werden, also der »Heiligen Einheit« (die wörtliche Übersetzung des aramäischen Begriffs für Gott, Alaha). In seinem Buch Jesus The Son of Man (Jesus Menschensohn) nimmt Gibran den gleichen Standpunkt ein. Auf sehr moderne Art erzählt es die Geschichte des Propheten aus den Blickwinkeln der vielen verschiedenen Personen, die ihn kannten, von denen einige in der Bibel erwähnt sind, andere nicht (etwa ein alter Schäfer, ein Astronom oder eine Nachbarin und Freundin Marias). Wenn wir ihren mannigfaltigen (und bisweilen widersprüchlichen) Ausführungen lauschen, wird deutlich, dass Jesus für Gibran keine Gestalt war, die von einem einzigen Glaubensbekenntnis vereinnahmt oder innerhalb der Mauern irgendeiner Kirche festgehalten werden konnte.
Nicht von ungefähr heißt es in einem der Texte der vorliegenden Auswahl:
Einmal alle hundert Jahre begegnet Jesus von Nazareth
dem Jesus des Christen
in einem Garten auf den Hügeln des Libanon.
Und lange sprechen sie miteinander.
Und jedes Mal geht Jesus von Nazareth fort
mit diesen Worten an Jesus den Christen:
»Mein Freund, ich fürchte, wir werden niemals,
niemals übereinstimmen.«
Zweitens: Gemäß der obigen Argumentation von Dr. Phares waren die Maroniten – und insbesondere Gibran – vom festen Glauben an die Selbstbestimmung des syrischen Volkes beseelt. Der Begriff syrisch
To Young Americans of Syrian Origin
Was die Herausgabe des Bandes betrifft, so gibt es keinen Zweifel, dass Gibran bei der Grammatik und Zeichensetzung von mehreren Personen geholfen wurde, speziell von seiner langjährigen Muse Mary Haskell. Da sich im Laufe der letzten hundert Jahre unsere Lesart ebenso geändert hat wie die Grammatik, schien es mir angebracht, zahlreiche Texte neu zu interpunktieren, Zeilen anders umzubrechen, um den Rhythmus von Gibrans Stimme für den modernen Leser noch stärker hervorzuheben.
Bei der Textauswahl habe ich wohlbekannte Schriften von Gibran neben weniger bekannte gestellt, angeordnet nach seinen verschiedenen Ansichten über das Leben. Einige davon sind tröstlich und leicht zu verstehen, manche verwirrend, andere beunruhigend. Wie viele nahöstliche Mystiker scheint er gespürt zu haben, dass Phasen der Verwirrung oder der Unruhe genauso wichtig sind wie jene der Tröstung, damit Gleichgewicht und Heilung in sein eigenes, ziemlich chaotisches Leben wie auch das seiner Leser einkehren. Vielleicht trägt gerade diese Bereitschaft, alle Facetten des Lebens anzunehmen und gutzuheißen, zu der nie nachlassenden Anziehungskraft bei, die seine Werke bis heute auf uns ausüben.
Fife, Schottland, im Juni 2017