SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-417-22935-6 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26875-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
4. Auflage 2019
© 2019 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Str. 41, 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: info@scm-brockhaus.de
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen
Weiter wurden verwendet:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT)
Bibeltext der Schlachter Bibelübersetzung. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft.
Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (SLT)
Umschlaggestaltung: Patrick Horlacher, Stuttgart | Sarah Kaufmann, Witten |
Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: iStock: Stanislav Hubkin (Bild-ID:905632438)
Satz: Sarah Kaufmann, Witten
Über die Autorin
Vorwort von Jutta Hartl
Prolog
Teil 1: Vom Schmerz zum Sieg
1 Zerbrochen
2 Aufstehen
3 Angekommen
4 Unter seinem Blick
5 Der geheime Garten
Teil 2: Vom Sieg zum Segen
6 Frühlingsschrei
7 Kämpfen lernen
8 Mütter braucht das Land
9 Seite an Seite
10 Mutig träumen
11 Aufbruch ins Licht
Epilog
Dank
Fußnoten
Starke Frauen braucht das Land! Doch wie entsteht Schönheit aus der Asche unseres Lebens? Wie verwandelt sich der Schmerz unserer Erfahrungen in die Kraft, das Leben zu meistern?
In diesem Buch kommen all diese Aspekte ungeschönt zur Sprache: der Kampf, die Verletzungen, der Schrei der Seele sowie die grenzenlose Güte Gottes und seine Fähigkeit, aus Zerbruch etwas Neues zu machen.
Inka Hammond ist eine Frau, die mitten im Leben steht. Und eine Frau mit einer Botschaft. Im Gebetshaus Augsburg konnte ich hautnah miterleben, wie sie betet. Wie sie Lobpreis leitet. Wie sie an der Seite ihres Mannes steht. Was Inka schreibt, das hat sie selbst erfahren und das lebt sie auch. Hier geht es nicht um fromme Theorie, sondern um echte Erfahrungen mit Gott. Und die wollen durchlebt, durchliebt und manchmal auch durchlitten sein.
Daher besteht die besondere Stärke dieses Buches darin, dass es nicht nur erzählt, wie es Inka ergangen ist, sondern dass es handfest und konkret aufzeigt, was für jeden gilt. Das Leben unter Gottes Blick, das Geheimnis des Inneren Gartens, die Identität als geliebtes Kind Gottes sind Schätze an Erkenntnis, von denen man ein Leben lang zehren kann.
Doch wie der Titel schon sagt, ist dieses Buch alles andere als nur ein besinnliches Andachtsbuch. Es ist ein Weckruf, mitunter auch ein liebevoller Tritt in den Hintern. Nicht wenige Frauen bleiben in ihrer schmerzhaften Vergangenheit stecken. Andere wiederum richten es sich bequem in der häuslichen Idylle von Beziehung und Familie ein. Doch wir sind zu mehr berufen als zu privatem Glück!
Wo sind Frauen, die aufstehen und in ihrer Würde die Welt verändern? Frauen, die aus Liebe und für die Liebe kämpfen? Die mutig träumen und alles ergreifen, was Gott für sie vorbereitet hat?
Inka zeigt einen Weg auf, wie wir zu genau solchen Frauen werden können.
Lass dich ermutigen, herausfordern und inspirieren. Die Welt wartet darauf!
Jutta Hartl, Gebetshaus Augsburg
Du hast mir Kraft
für den Kampf gegeben
und mir meine
Feinde unterworfen.
Psalm 18,40
Es ist alles dunkel und kalt. Am Horizont erahne ich einen Lichtschimmer. Es ist anfangs nur ein kleiner Punkt, aber je länger ich ihn betrachte, desto größer wird er. Er dehnt sich aus, ich spüre schon warme Strahlen. Und schließlich sehe ich, wie sich ein majestätischer Sonnenaufgang ankündigt. Das ganze Bild wird in einen sanften, zarten Schimmer getaucht – und da entdecke ich sie.
Eine Frau, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegt. Bedeckt von Dreck und Staub, ihre Haare strähnig, die Kleider nur Lumpen, ein sanfter Lichtstrahl fällt auf sie. Sie regt sich, hebt langsam ihren Kopf, zögerlich, kraftlos, als könnte sie kaum glauben, dass Licht in ihre Dunkelheit fällt. Sie zwinkert, ihre Augen gewöhnen sich langsam an die Helligkeit und ihre beschmutzten Hände graben sich in die nasse, klumpige Erde. Es kostet sie enorme Kraft, sich weiter aufzurichten. Aber wie könnte sie nur liegen bleiben, wenn solch herrliches, majestätisches Licht ihre Welt erleuchtet? Langsam, Zentimeter für Zentimeter, kommt sie hoch. Erst der Kopf, dann stützen sich ihre Arme ab, der Oberkörper hebt sich, schließlich sitzt sie auf ihren Knien. Völlig erschöpft, die Schultern gebeugt – und ihre Augen auf dieses Licht gerichtet. Sie atmet ein paar Mal tief durch. Dann stellt sie erst das eine Bein auf, ein paar Sekunden später das andere, ihren Blick weiter auf den Horizont geheftet. Mit einem Stöhnen und Seufzen steht sie endlich da, ihre Arme auf den Oberschenkeln abgestützt. Langsam, sehr langsam richtet sie sich weiter auf, bis sie in ihrer ganzen Größe dasteht. Der Gestank von Tod und Verwesung hängt noch in der Luft. Sie wischt sich mit ihrer rechten Hand über das Gesicht und verschmiert die Dreckspuren nur noch mehr. Vorsichtig, so als hätte sie das Gehen verlernt, setzt sie einen Fuß vor den anderen. Sie atmet schwer, zu lange hatte sie im Dreck gelegen. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlt, sich zu bewegen, ein Ziel zu haben. Aber dieses Licht! Sie muss vorangehen, sie kann nicht in dieser Grube bleiben.
Plötzlich sehe ich rechts und links neben ihr weitere Frauen. Alte, junge. Jede Einzelne wurde von diesem unglaublichen Licht berührt. Und da, wo vorher Leblosigkeit war, ist mit einem Mal Bewegung. Da wo Tod war, gibt es nun Zeichen des Lebens. Hoffnungslosigkeit weicht der Zuversicht. Leere Augen sind von einem Glanz erfüllt, der den Silberstreifen am Horizont tausendfach widerspiegelt. Jede Frau kämpft sich heraus aus ihrem Dreck, Klumpen fallen zur Erde, Gesichter werden notdürftig mit Lumpenresten sauber gerieben. Der Lichtkegel wird größer und mehr und mehr Frauen kommen zusammen und laufen Seite an Seite auf dieses Wunder zu. Licht! Licht! Nach all dem Dunkel, der Finsternis, der Enge, der Verzweiflung, der Angst und der Einsamkeit – Licht!
Ich sehe vor Fassungslosigkeit tränenüberströmte Gesichter. Aus den anfangs zögerlichen, kraftlosen Schritten werden lange, zielgerichtete. Es scheint, als würde eine Armee zusammenkommen. Ich sehe kein hartes, rhythmisches Marschieren, sondern Frauen, die eine zauberhafte Anmut, Grazie ausstrahlen. Wiedergefundene Würde in jeder Bewegung. Es sind so viele Frauen, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Eine unüberschaubare Menge bewegt sich unaufhaltsam auf das Licht zu.
Und dann geschieht etwas Unfassbares: Die Lumpen der Frauen verwandeln sich in edle, lange, blütenweiße Gewänder. Der Dreck auf der Haut bröselt ab, so, als würden sie von unsichtbarem Wasser gewaschen werden, denn jede noch so kleine Verschmutzung löst sich in Luft auf. Die verbitterten, verängstigten und hoffnungslosen Gesichtszüge werden weich und sanft, die Wangen rosig. Die Haare, vorher strähnig, ungekämmt und verdreckt, fallen nun seidig und glänzend über gerade Rücken. Keine einzige Frau ist mehr gramgebeugt. Ich sehe nur aufgerichtete, würdevolle, starke Körperhaltungen. Ihre Schnelligkeit nimmt zu. Die Frauen sind, wie auf einen lautlosen Aufruf hin, in einen Laufschritt gefallen, immer zügiger bewegt sich die Armee. Das Licht ist nun so weit oben am Himmel, dass die Dunkelheit vollständig zurückgedrängt wurde. Als ich die Frauen weiter betrachte, sehe ich mit einem Mal, dass ihre Hände nicht mehr leer sind. Jede Frau hält eine Waffe! Ich sehe Pfeile und Bögen, glänzende Schwerter, Äxte, Dolche. Die Schwäche scheint mit dem Dreck abgewaschen und verschwunden zu sein. Die Frauen halten die Waffen mit einer weichen Leichtigkeit und laufen weiter auf das Licht zu. Ein Heer von Kriegerinnen. Kämpferinnen. Eine erlöste Schar. Eine mächtige Streitmacht, angetrieben von Liebe und Leidenschaft mit einem großartigen Ziel vor Augen. Ich staune über dieses Meer von Hoffnung, das sich vor meinen Augen formt. Und da höre ich eine Stimme:
Ich erwecke in dieser Generation Frauen zu neuem Leben. Ich lasse sie aufstehen aus ihrem Dreck, ihrer Not, ihrer Einsamkeit. Ich heile die, die zerbrochenen Herzens sind. Ich verbinde die Wunden, ich tröste die Seelen. Ich schenke Würde, wo Würde geraubt wurde. Ich schenke Hoffnung, wo Hoffnungslosigkeit regierte. Ich schenke neues Leben. Ich, das Licht der Welt, breche in jede noch so finstere Dunkelheit. Nichts hält mich auf. Diese Frauen haben ihren Blick auf mich gerichtet, den Anfänger und Vollender ihres Glaubens. Sie sind eine Armee der Liebe und der Barmherzigkeit. Sie sind eine Antwort auf die Not in dieser Welt. In ihnen liegt meine Liebe. Ich habe sie zuerst geliebt. Aus ihnen fließt lebendiges Wasser. Sie haben meinen Ruf gehört! Sie öffnen Gefängnistüren. Sie setzen die Gefangenen frei. Nichts hält sie auf, denn mein Geist drängt und leitet sie. Dies ist ein Heer, das keine Angst kennt. Diese Frauen waren zerbrochen, aber ich habe sie geheilt.
Ich lasse diese Worte in mein Herz sinken, bin tief bewegt. Ich weiß, sie gelten auch mir.
Ich bin eine dieser Frauen.
Nach japanischer Tradition wird ein zerbrochenes Gefäß mit einem bestimmten Lack, in den feinstes Gold- und Platinpulver eingestreut ist, wieder zusammengesetzt. So wird das zerbrochene Gefäß am Ende hochwertiger. Die Linien des Zerbruchs bleiben bestehen und leuchten wunderschön. Diese Kunst nennt sich Kintsugi.
Denn Gott, der sprach: „Es werde Licht in der Finsternis“, hat uns in unseren Herzen erkennen lassen, dass dieses Licht der Glanz der Herrlichkeit Gottes ist, die uns im Angesicht von Jesus Christus sichtbar wird. Doch diesen kostbaren Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen …“
2. Korinther 4,6-7
Die erste Angstattacke kam in der Nacht. Es war vielleicht zwei Uhr. Ich hatte mein weinendes Baby gerade beruhigt und mich erschöpft zurück in mein Bett gelegt, da fing mein Herz an zu rasen, ich bekam kaum Luft, schwitzte und fror zugleich. Obwohl ich in meinem Bett lag, in einem Zimmer, in dem ich mich noch nie unsicher gefühlt hatte, brach in diesem Moment meine kleine Welt auseinander. Die Angst schwappte über mich hinweg wie eine dunkle, bedrohliche Welle. Ich wurde umhergewirbelt, verlor allen Halt. In mir drin breitete sich eine Schwärze aus wie klebriges Pech, und ich fühlte mich allein, verlassen und verloren. In dieser Nacht begann eine Reise, auf der ich mich noch heute befinde.
Ich hatte keine Ahnung, woher die Angst kam. Ich dachte, ich sei zu erschöpft. Unser viertes Kind machte die Nächte zum Tag. Ich dachte, ich sei überfordert. Der Haushalt, der zeitintensive Job meines Mannes, die Herausforderungen des Mutterseins. Außerdem war die Angst schon immer meine Begleiterin gewesen. Sie folgte mir wie ein Schatten. Sie überfiel mich zwar lange nicht in diesem Ausmaß und mit dieser Wucht wie in jener Nacht, aber Angst gehörte zu meinem Leben dazu.
Schon als kleines Mädchen hatte ich vor allen möglichen Dingen Angst. Ich hatte Angst, alleine mit dem Bus zu fahren, alleine bei Freunden zu übernachten, alleine zu sein, wenn es dunkel war. Später, als Jugendliche, kamen andere Ängste hinzu: massive Verlustängste, Angst vor Katastrophen, Versagensängste.
Ich war nicht nur extrem ängstlich, ich war auch mit mir selbst, mit meinem Körper extrem unzufrieden. Meine erste Diät machte ich in der ersten Klasse der Grundschule. Ich kam mir viel zu dick vor. Ich habe als Teenager endlose Listen geführt, mit denen ich versuchte, mir Ziele zu setzen, um mein Gewicht zu verringern, und führte akribisch Buch darüber, was und wieviel ich gegessen hatte. Wenn ich versagte, was regelmäßig vorkam, klagte ich mich massiv an. Als ich 19 Jahre alt war und eine Beziehung in die Brüche ging, schlitterte ich in eine Essstörung. Mit einem Mal waren Fressanfälle und das darauf folgende Erbrechen an der Tagesordnung. Ich kann mich gut an einen Vorfall erinnern, als ich in Amerika an einem College studierte. Meine Zimmerkollegin und ich hatten immer einen kleinen Essensvorrat im Zimmer. Während meiner Essattacken war aber nichts vor mir sicher und ich bediente mich auch an ihren Vorräten. Als sie mich einmal auf das fehlende Toastbrot ansprach, log ich sie an. Ich wüsste von nichts. Das war ein Tiefpunkt für mich. Ich war meiner Essstörung komplett ausgeliefert und fühlte mich zutiefst unfähig und nicht liebenswert.
Meine Ängste wurden mit der Zeit immer größer, abwegiger, komischer. Ich hatte Angst, mich zu blamieren, plötzlich auf Toilette zu müssen und nirgendwo eine zu finden. Dinge wie ein Besuch im Café mit Freunden oder abends mal was trinken gehen waren immer mit großem Stress verbunden, sodass ich oft lieber schon vorher absagte. Ich bekam Angst, dass mein Herz einfach aufhört zu schlagen oder sich eine Krankheit unbemerkt in meinem Körper ausbreitet. Ich hatte Angst, Angst, Angst.
Trotzdem versuchte ich, mein Leben so mutig wie nur möglich zu leben. Denn das Paradoxe war: Ich hatte schon immer eine immense Sehnsucht nach Abenteuer, einen unglaublich großen Lebenshunger. Die Angst in mir hätte ein beschauliches Leben bevorzugt, aber etwas in mir drängte mich in die große Welt hinaus. Kennst du das auch? Du spürst diesen Drang nach Leben, aber deine Vernunft erhebt den Zeigefinger, deine Angst schlägt die Tür wieder zu und deine Vorsicht macht lieber kleine Pläne?
Ich entschied mich damals für das Abenteuer – auch wenn es gleichzeitig eine Flucht war.
Ich zog kurz vor meinem 18. Geburtstag von zu Hause aus. Ich brach eine Ausbildung ab (in der ich mich nicht wohlfühlte), beendete eine Beziehung (in der ich mich eingeengt fühlte), verließ mein Elternhaus (in dem ich mich nicht verstanden fühlte) und begann eine Bibelschulausbildung. Ich, die ich vor ein paar Jahren noch nicht einmal bei Freunden übernachten konnte, packte die Koffer und drehte einem behüteten, vorhersehbaren Leben den Rücken zu. Mein Großvater verabschiedete mich mit den Worten: „Dich sehen wir sowieso morgen wieder.“ Ich war die unwahrscheinlichste Kandidatin für ein Leben da draußen in der großen weiten Welt.
Aber es geschah etwas, das mich und auch mein Umfeld völlig überraschte: Ich kam mit der neuen Situation zurecht. Auf der Bibelschule fand ich neue Freunde – und vor allem fand ich Jesus. Oder besser gesagt: Ich wurde von Jesus gefunden. Obwohl ich mich als 11-Jährige bereits für ein Leben mit Jesus entschieden hatte, hatte ich keine Ahnung, was es wirklich bedeutete, ihm konsequent und ohne Kompromisse nachzufolgen. Ich bekam eine ganz neue Liebe für das Wort Gottes, die Bibel, und lernte, dass Jesus in mir die Hoffnung auf Herrlichkeit ist. Nicht ich, sondern er bewirkt alles in mir. Ich darf loslassen, schwach sein, Fehler machen. Jesus ist die Antwort auf meine Fragen, die Erfüllung meines Mangels. Mir gingen Hunderte von Lichtern auf. Es wurde hell in mir. Sogar die Angst wurde weniger. Ich blühte auf und genoss das Leben in vollen Zügen.
Als die sechsmonatige Bibelschule ihrem Ende zuging, bewarb ich mich an einem Bible-College in den USA. Die Kosten waren eigentlich unbezahlbar und ich musste in der Bewerbungsphase einige Widerstände überwinden. Wieder fühlte ich mich so, als würde ich Schuhe anziehen, die einige Nummern zu groß waren. Aber diese verrückte Idee hatte ich mir nicht selbst in den Kopf gesetzt. Ich war davon überzeugt, dass das Gottes Plan mit meinem Leben war. Und so füllte ich voller Glauben die Bewerbungsunterlagen aus, organsierte Referenzen - und Gott öffnete tatsächlich die Tür: Ich stieg mit zitternden Knien in ein Flugzeug mit dem Ziel Columbia, South Carolina.
Bei der Passkontrolle in den USA hatte ich gleich eine erste Hürde zu nehmen. Die Formulare, die ich dringend für die Einreise als Studentin benötigte, hatte ich, ohne nachzudenken, in einen Koffer gepackt. Und so musste ich erst meine Koffer holen, wieder zurück zur Einreisebehörde hasten und meinen Koffer nach diesen Dokumenten durchwühlen, die ich Gott sei Dank zwischen Socken und Pullovern fand. Das war noch vor dem weltverändernden 11. September gewesen. Heutzutage hätte man mich wahrscheinlich in den nächsten Flieger zurück nach Deutschland gesetzt.
Aber ich bekam den Stempel in meinen Pass und mit dem Studentenvisum fing eine neue Zeitrechnung in meinem Leben an. Es war eine intensive, bunte Zeit. Es war aufregend, herrlich, aber kulturell auch nicht immer einfach. Ich eckte dann und wann mit meinem deutschen, geradlinigen Wesen an und konnte meinerseits das ewige Happy Life der Amerikaner nicht einordnen. Konflikte wurden anders gelöst, Prüfungen wurden anders geschrieben und Freizeit anders gestaltet.
Mein Horizont hat sich in dieser Zeit enorm erweitert und ich habe Jesus noch einmal ganz anders und viel tiefer als meine wahre Heimat kennengelernt. Egal, wo ich mich auf der Welt befinde, egal, wie andere kulturelle Gepflogenheiten meinen inneren Lebensrhythmus durcheinanderbringen – die Kultur des Himmels ist immer konstant. Jesus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit.
Inmitten dieser Spannungsfelder, in denen ich mich in den USA bewegte, lernte ich einen jungen Mann kennen, der mich gut verstehen konnte. Denn er wuchs als Kind in Österreich auf, war aber eigentlich Amerikaner und studierte nun an diesem Bible-College mit dem Ziel, als Jugendpastor zurück nach Wien zu gehen. Er und ich lernten uns immer besser kennen, entdeckten viele Gemeinsamkeiten und nach vielen zerbrochenen, unguten Beziehungen, die ich bereits erlebt hatte, keimte eine zarte Pflanze in meinem Herzen auf: Ich fing an zu begreifen, dass dieser Mann der Mann sein könnte, den ich heiraten würde. Und so kam es dann auch.
Nach meinem USA-Aufenthalt lebte ich eine Weile in Deutschland, bevor ich eine Stelle als Kindermädchen in Wien annahm. Jeremy, mein damaliger Verlobter, ist als Missionar nach Wien gezogen, um dort in der Jugendarbeit tätig zu sein. Und was gibt es Schöneres, als jung verliebt in einer der romantischsten Städte der Welt zu leben? Wir haben Wien mit allen Sinnen genossen. Keine Parkbank, auf der wir uns nicht geküsst haben, und kein Museum, in dem wir nicht händchenhaltend Kunstwerke bestaunt haben. Kein Kaffeehaus, in dem wir uns nicht tief über einer Tasse Melange in die Augen geblickt, und kein Kiesweg im Garten des Schlosses Schönbrunn, auf dem wir nicht ein Eckchen für eine innige Umarmung gefunden haben. Vergiss die Sissi-Filme! Wir lebten einen echten Traum.
Und doch begannen hinter dieser traumhaften Kulisse, die Angst und mein Selbsthass wieder ihre hässliche Fratze zu zeigen. Ich erinnere mich an Momente, in denen ich keine Berührung ertragen konnte, und in meine eigene Welt abtauchte. Ich verschlang heimlich Unmengen an Süßem und erbrach alles wieder. Nach außen hin war ich die mutige Weltenbummlerin, die einen wunderbaren Mann an ihrer Seite hatte, aber in mir drin war alles zerbrochen. Das wollte ich nur nicht wahrhaben. Ich sah immer nur mein Fehlverhalten, nie die Wurzel davon. Ich fragte mich nie, woher das alles kam. Es war einfach Teil von mir und ich versuchte, das Problem aus der Welt zu schaffen, was mir mehr oder weniger gut gelang. Bestimmte Verhaltensweisen lassen sich antrainieren. Essstörungen lassen sich kontrollieren, wenn ich bestimmte Denkmuster einübe und mich an Regeln halte. Dafür muss ich kein Christ sein, dazu brauche ich Jesus nicht unbedingt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, was für eine giftige Wurzel sich in mein Herz gegraben hatte, und wie dieses Gift eines Tages fast mein Leben zerstören würde. Aber ungeachtet meines chaotischen Seelenlebens planten Jeremy und ich, gemeinsam nach unserer Hochzeit die Jugendarbeit in Wien fortzuführen. Ich bewarb mich bei der amerikanischen Missionsgesellschaft, die Jeremy aus den USA nach Wien ausgesandt hatte. Dort gab man mir für meine Aufnahme als Missionarin erst grünes Licht. Doch kurz vor unserer Hochzeit wurden plötzlich Vorbehalte laut. Ihnen machte meine Essstörung Sorge, die ich in einem der unzähligen Bewerbungsformulare angegeben hatte. Uns wurde geraten, die Jugendarbeit erst einmal auf Eis zu legen und uns als frischgebackenes Ehepaar für zwei Jahre aus dem Dienst zurückzuziehen. Das war zwar ein weiser und guter Ratschlag – aber er brachte viele Komplikationen mit sich. Zum einen verlor mein Mann damit mit dem Tag unserer Hochzeit seine Arbeitsstelle. Denn solange ich als seine Ehefrau keine anerkannte Missionarin war, durfte er mit dieser Missionsgesellschaft nicht weiter zusammenarbeiten. Da er gebürtiger Amerikaner ist und für österreichische Verhältnisse keine anerkannte Ausbildung besaß, mussten wir uns urplötzlich damit anfreunden, in die USA zu ziehen. Zum anderen mussten wir mit der Enttäuschung und der Frustration der Gemeinde, zu der wir damals gehörten, fertigwerden. Der Jugendpastor, mit dem man voller Tatendrang einen 10-Jahresplan erstellt hatte, war plötzlich nicht mehr verfügbar. Wir mussten lernen, damit umzugehen, dass viele diesen Schritt nicht einordnen und verstehen konnten. Für mich war das eine riesige, kaum auszuhaltende Anspannung. Wohlgemerkt: Das alles fand ein paar Monate vor unserer geplanten Hochzeit statt. Es war ein Chaos.
Innerhalb von ein paar Wochen mussten wir den Termin für unsere standesamtliche Hochzeit vorziehen (damit ich mich für mein USA-Visum bewerben konnte), unsere kirchliche Hochzeit nach Deutschland verlegen (nach all den schwierigen Gesprächen in Wien wollten wir auf „neutralem“ Boden feiern), die Hochzeitseinladungen neu schreiben, eine Unterkunft in den USA organisieren und überhaupt damit zurechtkommen, dass unser Leben plötzlich in eine ganz andere Richtung lief, als wir es uns erträumt und geplant hatten. Das alles hatte natürlich keine guten Auswirkungen auf meine Ängste und mein falsches Essverhalten. Die giftige Pflanze wuchs und gedieh auf meinem kranken Herzensboden und warf bald lange Schatten über unsere junge Ehe.
Die Zeit in den USA direkt nach unserer Hochzeit war extrem schwierig. Wir fühlten uns als Paar alleingelassen, ich vermisste Deutschland und arbeitete mich durch einen Kulturschock. Die ersten Monate lebten wir als Gäste bei verschiedenen Familien, einmal sogar für ein paar Nächte in einem fensterlosen Keller neben einem Katzenklo – nicht unbedingt das, was man sich als junges Ehepaar wünscht. Mein Mann suchte fieberhaft nach einer Arbeitsstelle und fand schließlich eine Anstellung bei einer Bank. Anstatt seine geliebte Jugendarbeit zu tun, zählte er jetzt Geldscheine. Nach ein paar Monaten fanden wir eine Bleibe in einem möblierten Haus, typisch amerikanisch in einer langweiligen, ruhigen Vorstadtsiedlung. Ich kann mich noch sehr gut an die Couch im Wohnzimmer erinnern; sie hatte ein furchtbares Blumenmuster und roch modrig. Insgesamt war das Haus viel zu groß für uns und die Küche war ein Überbleibsel aus den 60er-Jahren. Den Ofen im Retrostyle würde ich heute vielleicht als Herausforderung sehen – als Kochanfängerin war ich damit komplett überfordert. Der Garten war riesig und es gab sechs oder sieben gigantisch große Laubbäume. Im Herbst waren wir tagelang damit beschäftigt, das Laub zu rechen. Die Nachbarschaft bestand aus alten Ehepaaren, die sehr zurückgezogen lebten. Und das alles nach unserem vibrierenden, aufregenden Großstadtleben in Wien! Es fühlte sich so an, als wären wir auf einem Abstellgleis gelandet. Wir passten einfach nicht ins Bild, und es war nicht das Leben, das wir haben wollten.
Anstatt mich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren, entwickelte ich einen Fluchtplan. Alle meine Energie richtete ich nun darauf, möglichst bald zurück nach Deutschland zu gehen. Ich wollte einfach nur in einer Umgebung sein, in der ich mich auskannte und sicher fühlte. In Amerika bin ich aus Angst kaum alleine Auto gefahren. Weil es dort aber so gut wie keine öffentlichen Verkehrsanbindungen gab, war ich extrem viel alleine. Ich fand in dieser Zeit keine Freunde, außer einer älteren Dame, Adrienne, die mich in meine Arbeit in einem kleinen christlichen Buchladen einwies. Sie erahnte wohl meine Seelenqualen und versuchte, mich zu ermutigen. Sie ist bis heute eine meiner Heldinnen. Aber selbst die Begegnungen mit ihr konnten mich nicht davon abhalten, alles daran zu setzen, Amerika so schnell wie nur möglich wieder zu verlassen.
Und so verkauften wir nach nur knapp einem Jahr unser weniges Hab und Gut in den USA und setzten uns in einen Flieger mit dem Ziel Frankfurt. Wir suchten uns eine kleine Wohnung in der unterfränkischen Stadt Würzburg und fingen wieder zaghaft an zu träumen. Mein Mann wollte Kunstgeschichte studieren und ich wollte eine Ausbildung zur Buchhändlerin beginnen. Aber wir machten einen großen Fehler: Wir dachten, eine geografische Veränderung löst unsere Probleme. Aber die Herzensprobleme zogen mit uns um. Außerdem stellten wir sehr bald fest, dass wir uns finanziell völlig verkalkuliert hatten. Das Geld reichte hinten und vorne nicht. Zu meinen Ängsten gesellte sich nun die Existenzangst hinzu. Mein Mann brach sein kaum begonnenes Studium wieder ab und fing an, bei einer Sprachschule zu arbeiten. Und ich verlor langsam aber sicher jeden Halt.
Meine Gedanken wurden immer dunkler. Die Ängste immer größer. Meine innere Unruhe wurde so schlimm, dass sich meine Gesichtsmuskeln völlig verkrampften und ich eines Tages mit einem schmerzhaften Kiefer- und Zungenkrampf ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Der Arzt vor Ort erkannte meine Depression und fragte mich, ob ich Selbstmordgedanken hätte. Ich gab zu, dass sie gelegentlich vorkämen. Keine ausgereiften Pläne, aber ja, Selbstmordgedanken seien schon da. Der Arzt legte mir nahe, mich in eine Nervenklinik einweisen zu lassen, was ich auch tat. Dort kam ich auf die geschlossene Station und damit am Tiefpunkt meines Lebens an. Mir wurde mein Gürtel weggenommen. Die Toilette konnte man nicht abschließen. Es gab keine Seife zum Hände waschen. Aus dem Bilderrahmen, den ich mitgebracht hatte, wurde das Glas entfernt. Die Betten standen in einem großen Raum, damit man jederzeit unter Beobachtung sein konnte. Mir dämmerte, dass das alles Vorsichtsmaßnahmen waren, zum Schutz vor Suizid.
Dort, auf der geschlossenen Station der Nervenklinik, traf mich die Realität meines Lebens mit voller Wucht. Alles schien aus dem Ruder gelaufen zu sein. Ich konnte kaum glauben, dass ich hier gelandet war. Was war mit der Weltenbummlerin passiert? Der jungen Lady, die sich abenteuerlustig im Wiener Großstadtdschungel einen Weg bahnte? Was war übrig geblieben von der alten Inka, die blutjung von zu Hause ausgezogen ist und es doch geschafft hatte, die sich getraut hatte, die sich einen Platz in der Welt erobert hatte?
Nie werde ich den Moment vergessen, in dem ich auf diesem Krankenhausbett lag, mich meine Umgebung wie ein schwerer Mühlstein nach unten drücken wollte und ich einfach nur weinte und nicht mehr aufhören konnte. Ich war in einem Strudel gefangen, der mich nicht mehr freigeben wollte. Ich wurde mit Tabletten vollgepumpt, die mir Stabilität vorgaukelten – aber ich wusste, ich ahnte, dass ich mir mein Leben zurückerobern musste.
Und da regte sich neuer Lebenswille in mir. Trotz der furchtbaren, hoffnungslosen Umstände. Ich wollte wieder kämpfen und mich nicht länger der Melancholie hingeben. Ich wusste, da steckte mehr in mir. Jesus. Da war irgendwo Kraft und Lebenswille. Ich weiß noch, wie ich völlig verheult auf diesem Krankenhausbett lag und mir ein christliches Lied anhörte. Ich kann mich nicht erinnern, welches es genau war, aber es flatterte Hoffnung in mein Herz wie ein kleiner Schmetterling. Jesus ist damals mit mir auf diese geschlossene Station gekommen. Obwohl ich mich noch nie so verlassen und so erbärmlich gefühlt hatte, war er doch da. Leise und unaufdringlich. Seine Gegenwart brachte mir Hoffnung und die Kraft für den nächsten Schritt.
Ich bewarb mich um einen Platz bei einer christlichen Klinik und konnte ein paar Wochen später dorthin verlegt werden. Aufgrund einer Kontaktsperre, der ich zustimmen musste, verlebten mein Mann und ich unseren ersten Hochzeitstag getrennt. Wir konnten nicht telefonieren, konnten uns nicht nahe sein. Mein Leben war ein Scherbenhaufen. Und die schönen, hellen Tage in Wien schienen weit, weit weg.
Ich wünschte, ich könnte rückblickend sagen, dass Gott mich in dieser Zeit komplett geheilt hat. Ich wünschte, ich hätte damals schon einen Schlussstrich unter all die Angst ziehen können. Ich wünschte, ich hätte damals schon begriffen, dass der Weg zur Heilung auch Opfer von meiner Seite einfordert. Vielleicht war ich innerlich noch nicht bereit dazu. Vielleicht habe ich geahnt, was ich alles loslassen müsste, wenn ich wirklich heil werden wollte. Oft stützen wir uns lieber auf die Krücken unserer Abhängigkeiten, als aufrecht an der Hand Gottes zu gehen. Wir fühlen uns wohler in unserer selbst gebauten Enge als in Gottes weitem Land. Gewohntes aufzugeben, fällt uns immer schwer, auch wenn es so schreckliche Dinge sind wie eine Essstörung oder Ängste. Wir haben keine Ahnung, was für ein wunderbares, erfülltes Leben Gott für uns bereithält, weil wir uns mit so viel weniger zufriedengeben. Für mich war das damals: Hauptsache, wieder zu Hause zu sein bei meinem Ehemann. Hauptsache, nicht mehr als krank zu gelten. Hauptsache, wieder das Gefühl zu haben, etwas kontrollieren zu können. Hauptsache wieder leben! Als ich nach insgesamt acht Wochen Klinikaufenthalt von meinem Mann abgeholt wurde, ging es mir wesentlich besser, aber ich war nicht geheilt und meine Ängste verfolgten mich weiter wie ein Schatten.
Eineinhalb Jahre nach meinem Klinikaufenthalt wurde ich schwanger. Während der Schwangerschaft kamen die Ängste wieder verstärkt in mir hoch, aber nach der Geburt war ich so mit meiner neuen Rolle als Mutter beschäftigt, dass ich kaum Zeit hatte, mich mit diesen Schatten zu beschäftigen. Ich war weiterhin in Therapie, aber eher halbherzig. Die neuen Aufgaben, die mich vereinnahmten, taten mir gut und lenkten mich ab. Ich genoss es, für mein Kind da zu sein und fühlte mich stark. Uns wurden im Laufe der Jahre zwei weitere wunderbare Töchter und ein Sohn geschenkt. Ich schien mein Leben endlich im Griff zu haben. Ich ging in meiner Mutterrolle auf und war in meinem Element angekommen.
Und dann kam jene Nacht. Jene Angstattacke. Und ich spürte tief in mir drin, dass jetzt die Zeit ist, den ganzen Dreck in mir aufzuräumen. Ich wollte Nägel mit Köpfen machen, mich den Monstern stellen, mutig die Angst an ihrer giftigen Wurzel herausziehen. Ich begann eine Traumatherapie und fing an, meine Symptome ernst zu nehmen. Woher kam mein Selbsthass? Woher diese Angst? Ich fing an zu graben, genauer hinzusehen. Ich entdeckte Dinge, Erlebnisse, die tief in meiner Seele verschüttet waren und diese unglaublich intensiven Ängste verursachten.
Die Zeit während der Therapie war das Extremste, was ich jemals erlebt hatte. Ich kämpfte mich durch viele, viele Panikattacken, ausgelöst durch Erinnerungsfetzen, durch Gerüche, Berührungen. Ich musste den Kontakt zu meiner Herkunftsfamilie abbrechen, um gedanklich frei zu werden und mich mit meiner Kindheit auseinandersetzen zu können. Noch nie zuvor war ich so sehr in Verbindung mit meiner verwundeten, zerbrochenen Seele gewesen. Das kleine Kind in mir weinte und schrie – und ich begriff das erste Mal das Ausmaß des Verlassenseins, das ich erlebt habe. All die Jahre habe ich es weggeschoben, kleingeredet, ignoriert. Ich wollte so sehr mein Leben leben und war doch innerlich wie abgestorben.
Unser Gott ist ein Gott, der die Wunden verbinden und heilen will. Doch um eine Wunde zu verbinden, muss man sie freilegen. Eventuell sogar aufschneiden. Dreck auswaschen. Desinfizieren. Vielleicht einen Druckverband auflegen. Der Heilungsprozess einer körperlichen Wunde tut weh. Mit seelischen Wunden ist es nicht anders. Und genauso, wie man nach einer körperlichen Verletzung diszipliniert an dem Genesungsprozess beteiligt sein muss, so verlangen seelische Verletzungen auch nach bestimmten Handlungen, die die Heilung voranbringen.
Das Schmerzhafteste, was ich bisher in meinem Leben erlebt habe, war der Heilungsprozess der vergangenen Jahre. Es scheint manchmal einfacher zu sein, das Problem, die Wunde zu ignorieren. Oberflächlich das Symptom zu behandeln. Aber es kommt der Tag, wo es zu sehr schmerzt. Wo die Seele einen Weg gefunden hat, sich bemerkbar zu machen. Für mich war es jene Nacht mit der ersten schlimmen Angstattacke.
Kennst du das? Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn das eigene Leben aus den Fugen gerät? Wenn Träume in Trümmern liegen, Beziehungen zerbrechen, Fassaden bröckeln? Wenn