Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Fracture – Blood & Roses #2
erschien 2014 im Verlag Smashwords.
Copyright © 2014 by Callie Hart
Copyright © dieser Ausgabe 2019 by Festa Verlag, Leipzig
Titelbild: Alexander Kopainski
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-716-5
www.Festa-Verlag.de
EINS
Zeth
»Mach den Mund auf!«
»Nein.«
»Rede, verdammt noch mal!«
Andreas Medina schaut blinzelnd und schwitzend wie ein Schwein zu mir auf, die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt – das blanke Grauen, das aus seinem Gesicht sprechen sollte, ist wie eine Droge. Eine, zu der ich eine suchtähnliche Hassliebe entwickelt habe. Und doch lässt Andreas wohl eher nur eine Fünf auf der Angstskala erkennen, was mich ziemlich anpisst. Er verdirbt mir damit im Wesentlichen mein High.
Ich lasse den Griff meiner Desert Eagle – deren Vorbesitzer unlängst dahingeschieden ist – auf seine Stirn niedersausen und ein Strahl grellroten Blutes ergießt sich über seine Visage. Der Mexikaner ist ein trotziger Motherfucker; er steht den Schmerz mit zusammengebissenen Zähnen und verkrampfter Kiefermuskulatur durch. Ohne zu betteln, ohne zu flehen, ohne zu feilschen.
Andreas ist von der alten Schule. Er weiß um die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er gleich draufgehen wird, und er bemüht sich bestmöglich, nicht mit vollgeschissener Hose abzutreten. Ich schätze, das kann ich respektieren.
Ich hocke mich hin, damit wir auf Augenhöhe sind. Über uns schwingt die nackte Glühbirne hin und her, wirft Schatten erst über ihn, dann über mich. In unseren Augen lauert dieselbe trostlose Leere – ich erkenne mich in ihm wieder und frage mich, ob er auch darauf steht, Menschen wehzutun. Scheiße, natürlich steht er drauf. »Wo ist er?«
»Ich sag dir einen Scheißdreck, hijo.« Er spuckt Blut auf mich. Es spritzt mir auf die Jacke, auf mein T-Shirt. Sloane denkt, ich trage Schwarz, weil ich so was wie eine albtraumhafte Vision bin, eine Kreatur der Nacht. Der wahre Grund ist eher praktischer Natur – Schwarz tarnt das Blut.
Ich blicke an mir hinab, lasse mir Andreas’ Aktion durch den Kopf gehen, während ich mir etwas Passendes für seine Bestrafung überlege. Ziemlich schnell habe ich eine Idee – ein netter Trick, den ich im Knast aufgeschnappt habe. Ich richte mich auf und drehe mich um, lasse den Blick durch den leeren Raum wandern, nehme mir Zeit. Der Ort besteht aus nacktem Beton und dicken, soliden Wänden. Dick genug, um die Schreie eines erwachsenen Mannes zu schlucken. An der gegenüberliegenden Wand steht ein wackeliger Holztisch. Ich grinse, als ich den Weg dorthin antrete; denn ich weiß, was ich aus der schwarzen Tasche brauche, die darauf liegt.
»Cabrón, du solltest mir besser nicht den Rücken zudrehen!«
Ich bleibe stehen. Und lächle in die Dunkelheit. Einen Moment lang lasse ich Andreas glauben, dass ich auf seine großspurigen Worte reagiere, dann jedoch gehe ich langsam weiter zu der Tasche und ziehe den Reißverschluss auf. Die Tasche enthält so viele verschiedene Utensilien, dass ich einen Moment brauche, bis ich finde, wonach ich suche, aber letztlich habe ich es: eine kleine schwarze Box, ungefähr siebeneinhalb mal siebeneinhalb Zentimeter breit und zweieinhalb Zentimeter hoch.
»Falls du glaubst, dass du aus mir irgendwas rausbekommst, hast du ’nen Knall, Weißbrot.«
Gemächlich, mit bewusst ausdrucksloser Miene kehre ich zu ihm zurück. »Musst du ständig das Offensichtliche aussprechen?«, frage ich ihn und nehme die kleine Box so in die Hand, dass Andreas sie auf jeden Fall sieht.
Auf den Knien beäugt er die Box und spannt die Kiefermuskulatur an. Ich werde keine Angst zeigen, ich werde keine Angst zeigen. Allerdings bin ich schon in seinen Kopf eingedrungen. Ich kann seine Angst sehen. Sie sieht bloß anders als die der meisten Menschen aus, ist dunkel und dreckig wie der Rest von ihm.
»Wovon redest du?«
»Weißbrot«, erwidere ich und bücke mich wieder. »Ich bin weiß, du bist’s nicht. So hast du mich schon genannt, als ich bei der Anlage eingetroffen bin und du am Tor gestanden hast. Wieso findest du es nötig, mich so zu nennen, wenn wir doch beide wissen, wer wir sind? Und wer wir nicht sind?«
»Das hat nichts mit deiner Hautfarbe zu tun, hijo. Es geht darum, wer du bist, wo du herkommst. Für wen du arbeitest.«
Ich denke darüber nach. Während ich damit beschäftigt bin, hebe ich den Deckel der Box gerade weit genug an, damit Andreas einen flüchtigen Blick auf das glänzende Metall darin erhascht. Dann lasse ich den Deckel wieder zuschnappen. »Charlie ist ein Arbeitgeber, bei dem Chancengleichheit herrscht. Er hat Schwarze, Weiße, Gelbe, die für ihn arbeiten – jede erdenkliche Farbe.«
Aber Andreas hört mir nicht zu. Er starrt stattdessen auf die Box. Gut. Ich schüttle sie hin und her, während ich mit der freien Hand über die Stoppeln an meiner Kieferpartie kratze. »Aber für wen wir arbeiten, hat nichts damit zu tun, dass wir jetzt hier sind. Vergiss Julio und Charlie. Im Moment möchte ich mit dir über diese Box reden.« Ich halte sie zehn Zentimeter vor seinem Gesicht, so nah, dass er den Kopf zurückneigen muss, um sie scharf zu sehen. »Was kannst du mir über diese Box erzählen?«, frage ich ihn.
Andreas sieht mich an, als wäre ich verrückt. In einer langsamen, gemessenen Bewegung senkt er den Kopf wieder und sieht mich mit großen Augen an. »Mir ist deine verfickte Box scheißegal.«
O Andreas. Lügen haben kurze Beine.
»Okay, na schön. Ich schätze, wir verschwenden ohnehin nur Zeit. Sie ist schwarz, sie ist klein, was auch immer. Das Wichtigste ist an dieser Box«, sage ich und schüttle sie erneut, »dass sie im Augenblick geschlossen ist. In ihr befindet sich etwas, das ich will. In der Hinsicht gleicht sie dir. In dir befindet sich auch etwas, das ich will, Andreas. Und genau wie diese Box werde ich dich öffnen, hineinfassen und es mir nehmen.«
Diesmal hebe ich den Deckel richtig an, weit genug, damit er hineinsehen kann, und ich hole ein dünnes Stück Metall daraus hervor. Eine Büroklammer. Andreas’ Augen werden groß.
»Du bist verfickt noch mal verrückt, pendejo. Das weiß jeder«, zischt er.
Ich lasse den Deckel wieder zuschnappen und die Box in meiner Jackentasche verschwinden. Dann halte ich die Büroklammer so, dass er genau beobachten kann, was ich damit mache. »Ich bin nicht verrückt, Andreas. Verrückte handeln nicht rational. Ich handle sogar sehr rational, und im Augenblick ist die Lage, in der du dich befindest, ebenfalls rational. Du sagst mir, wo mein Mann ist, und ich schiebe dir dieses Stück Metall nicht unter den Fingernagel. Und in weiterer Folge muss ich nicht noch mehr Büroklammern aus meiner Box holen, um sie bei deinen anderen Fingern zu verwenden, bis du es mir sagst. Klingt das nicht durch und durch logisch für dich?«
Andreas kommt mir ein wenig verloren vor, als würde er die Schmerzen erahnen und bereits vorhersehen, wie er einknickt. »Fick dich, Mann. Das ist eine Frage der Loyalität.«
»Hier geht es nicht um Loyalität. So was gibt’s überhaupt nicht.«
»Blödsinn. Sonst wärst du nicht hier und würdest mir drohen. Du bist loyal gegenüber diesem englischen Scheißkerl und ich bin loyal gegenüber Julio.«
Ich schüttle den Kopf und gebe missbilligende Laute von mir. »Loyalität ist ein anderes Wort für Dummheit, Andreas. Hunde sind loyal. Trittst du einen loyalen Hund, wirft er sich dir vor die Füße und überlegt krampfhaft, wie er deine Gunst zurückerlangen kann. Trittst du mich, beiße ich dir die verfickte Hand ab.«
Er knickt ein. »Du bist nicht hier, um Charlie zu schützen?«
Ich bringe das Gesicht vor seins und blecke die Zähne. »Ich schütze mich selbst. Und wenn du schlau bist, fängst du an, dasselbe zu tun.«