Das Buch
»Die Politik versucht mit künstlich geschaffenem Notenbankgeld die Welt von gestern zu retten – und verpasst so die Zukunft.«
Gabor Steingart über Deutschland nach Corona
Dieses Buch ist eine RUHESTÖRUNG.
Dieses Buch ist eine ERMUTIGUNG.
Dieses Buch ist ein PROGRAMM für alle, die keine Lust auf Untergang haben.
Der Autor
Gabor Steingart, geboren 1962, ist einer der profiliertesten deutschen Sachbuchautoren und mehrfach ausgezeichneter Journalist. In seinem täglichen Podcast und Newsletter »Steingarts Morning Briefing« kommentiert er das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen, bietet Nachrichten sowie exklusive Interviews mit Meinungsbildnern aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
Sein Werdegang: 1990 bis 2010 SPIEGEL-Journalist in Leipzig, Bonn, Hamburg, Berlin und Washington D. C. 2010 bis 2018 zunächst Chefredakteur, später Herausgeber, Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Handelsblatt Media Group. 2018 gründete er die Medienmarke ThePioneer für unabhängigen und werbefreien Journalismus.
Auswahl der Bestseller: »Deutschland – Der Abstieg eines Superstars«, »Weltkrieg um Wohlstand«, »Die Machtfrage«, »Unser Wohlstand und seine Feinde«, »Weltbeben«.
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GABOR STEINGART
Die unbequeme Wahrheit
Rede zur Lage unserer Nation
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Grafik: Janka Meinken
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt
Umschlagabbildung (Autorenfoto): © .sxi | Denis Ignatov
Satz: Vornehm Mediengestaltung
ISBN 978-3-641-25115-4
V001
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Liebe Freundin!
Lieber Freund!
Entschuldige bitte, dass ich mich so unmittelbar an dich wende. Aber nach allem, was wir gemeinsam durchlebt und durchlitten haben, sind die Gefühle des Vertrautseins stärker als die der Fremdheit.
Wir waren gemeinsam allein.
Inmitten unserer Wohnquartiere hat man uns isoliert. Ängstlich sind wir einander auf der Straße ausgewichen.
Politisch waren wir auf stumm geschaltet.
Die Staatsgewalt hielt uns zu erhöhter Reinlichkeit an: Händewaschen! Zweimal »Happy Birthday« dabei singen! Und den Daumen nicht vergessen.
Der Surrealismus hatte das Museum verlassen.
In deinen Augen spiegeln sich die dramatischen Vorgänge einer Zeit, die jetzt für immer die unsere ist. Ich sehe dich an – und erkenne mich selbst. Wir sind einander verbunden.
Gerne möchte ich mit dir sprechen, und zwar so deutlich, wie schon lange niemand mit dir gesprochen hat. Es handelt sich um eine Ruhestörung, aber eine, die uns beiden guttun wird. Es geht darum, die Erst- und Einmaligkeit dieser Ereignisse für unser Leben besser zu verstehen, die aufkeimende Mutlosigkeit zu bekämpfen und das Festival der Apokalypse, das Regierung und Robert Koch-Institut in unseren Köpfen veranstaltet haben, ohne weitere Zugabe zu beenden.
Zukunft ist nichts, was wir machen. Zukunft ist etwas, das überall auf der Welt entsteht und das wir zulassen müssen.
Immer wieder gibt es in der Weltgeschichte stolze Nationen, die ihre Zukunft verpasst haben, wie man einen Zug verpassen kann. Aus Unschlüssigkeit. Aus Trödelei. Weil man abgelenkt ist. Weil man in der Annahme lebt, das sei zwar ein Zug, aber noch nicht der eigene.
In so einer Nation leben wir beide. Wir stehen als Gesellschaft an der Bahnsteigkante, manche versteinert, viele verbittert, noch immer erschöpft von den Erregungszyklen der Pandemie. Du und ich mittendrin. Eine innere Stimme spricht, aber sie spricht undeutlich.
Womöglich fehlt dem Zug der Zugführer. Die Abteile wirken verhangen. Unsere Füße, bleischwer.
Schäme dich nicht deines Unbehagens, mein Freund. Du bist nicht allein. Dieses Unbehagen ist womöglich das Wertvollste, was wir jetzt haben. Wir ahnen mehr, als wir wissen. Unser künftiges Leben wird keine Fortsetzung des bisherigen sein.
Lass uns jetzt nicht mutlos, sondern lass uns wachsam sein. Die Welt verformt sich vor unseren Augen, ohne dass jemand mit uns darüber gesprochen hätte. Öffne dein Fenster heute Nacht, mein Freund, und wenn du in die Stille hinaushorchst, kannst du hören, wie die tektonischen Platten unter deinem Leben sich verschieben.
Unser Gespräch benötigt nicht viel deiner Zeit, wohl aber eine Extraportion Tapferkeit, und das von uns beiden. Ich verspreche, dass ich zu dir wahrhaftig sein werde und mich nicht im Ton der Endzeittrommler an dich wende. Die Politiker haben, aufgeputscht durch das schicksalhafte Virus und dessen Bekämpfung, ohnehin keine Aufmerksamkeitsreserve für dich übrig.
Wie in Trance bewegen sie sich durch eine global komponierte Weltuntergangssymphonie, auf deren erlösenden Schlussakkord sie bisher vergeblich warten. Dass sie das Gegenwärtige auf Kosten des Zukünftigen retten, nehmen sie in Kauf.
Ich erspare dir die rhetorische Fürsorglichkeit einer politischen Elite, die sich in Ermangelung eigener Zukunftsentwürfe und angesichts geschrumpfter Vitalitätsreserven auf das Herstellen einer permanenten Gegenwart verlegt hat. Nur in der Krise überwindet sie ihre innere Ermattung. Man hat das Gefühl, sie braucht den heimtückischen Gegner, der sie zur Aktion treibt und der ihr Macht verleiht.
Deshalb vergröbert und vergrößert sie alles:
Das Killervirus.
Der Klimanotstand.
Die Bevölkerungsexplosion.
Die Flüchtlingsflut.
Die zweite Welle.
Mit großer Inbrunst und ohne strategische Nachdenklichkeit wird das vermeintlich Bewährte gegen das unbekannte Neue verteidigt. Die Welt von gestern – bewohnt von Fabrikarbeitern, Parteifunktionären und Zeitungsverlegern mit ihren Premiumprodukten Verbrennungsmotor, Kohlestrom, Klatschparteitag und einem durch Buchstaben veredelten Kieferngehölz – soll um jeden Preis weiter existieren, nur eben unterm Rettungsschirm. Hier findet der Gegenwartspolitiker seine Nährstoffe, die er zur Vorbereitung auf den nächsten Wahlkampf dringend braucht.
Du und ich, wir werden in Zeiten der permanenten Katastrophe von den Rettungspolitikern zuvorkommend behandelt, worüber wir uns hier nicht beschweren wollen. Erst nahm man uns wichtige Grundrechte weg, als da wären: die Gewerbefreiheit, die Bewegungsfreiheit und die Demonstrationsfreiheit. Man rückte die Ferienhäuser bis hinter den Horizont, sodass sie nur noch im Traum zu betreten waren.
Nun umschmeichelt man uns.
Wir werden gelobt für das fleißige Händewaschen und das Halten der Distanz. Auch unsere sorgsam unterdrückte Aufmüpfigkeit rechnet man uns hoch an.
Im Angesicht der Gefahr haben wir Bürgerlein uns als folgsame Untertanen erwiesen. Das muss gefeiert werden. Und zwar schon deshalb, weil ein Regieren mit Notstandsverordnung, bei dem Parlamentarier durch Professoren eines Expertenkollektivs ersetzt wurden, auch in Zukunft sicher noch gebraucht wird. Die Tür zum autoritären Durchregieren ist geöffnet, und niemand hat jetzt die Absicht, eine Mauer zu bauen.
Die Staaten Europas sind, verunsichert durch die Wucht der Pandemie und abgestoßen von der politischen Kaltschnauze in Amerika, der Führung in Peking geistig näher gerückt, als es uns recht sein kann. Tagsüber spricht man weiter von den »westlichen Werten«, lobt Rechtsstaat und Demokratie, Reisefreiheit, Religionsfreiheit und mit aufgesetzter Fröhlichkeit auch die zu allen Zeiten lästige Meinungsfreiheit. Doch des Nachts träumt man im Berliner Regierungsbezirk, in Downing Street No. 10 und im Élysée-Palast den chinesischen Traum, in dem das Volk als Masse auftaucht, die nicht gehört, nur geknetet werden muss.
In der Krise war Angela Merkel dichter bei Mao als bei sich selbst: »Wir sind verpflichtet«, sagte der große Führer der Kulturrevolution, »das Volk zu organisieren.« Jetzt keine Diskussionsorgien, fügte eine gestrenge Kanzlerin hinzu.
Liebe Freundin, lieber Freund, ich möchte angesichts der Lage offen mit dir sprechen. Auf die gespielte Anteilnahme unserer Geistlichen sollten wir diesmal verzichten. Die Priester haben nach allem, was sich im Kerzenlicht ihrer Sakristeien ereignet hat, genug damit zu tun, das eigene Seelenheil zu retten.
Wenn ein Haus in Flammen steht, dann ihr Gotteshaus. Von ihnen können wir derzeit nichts lernen.
Ich verspreche, dass ich mich deutlicher und unmittelbarer mit dir beschäftigen werde, als Gewerkschaft und Arbeitgeberverband es je getan haben und es je tun werden. Beide schlafen im King-Size-Bett der Sozialpartnerschaft, wo man sich gegenseitig den Rücken krault und keine unbequemen Fragen stellt. Hier pflegt man von Kopfkissen zu Kopfkissen den wohltemperierten Ton, der nicht deiner Klarheit, wohl aber ihrer Beziehungspflege dient. »Pillow talk« nennen das die Amerikaner.
Liebe Freundin, lieber Freund, ich möchte angesichts der Lage gemeinsam mit dir an den Verbotsschildern der politischen Korrektheit vorbeischauen und die alberne Pressspanplatte vor unserem Kopf entfernen, die man uns dort angenagelt hat. Sie saß schon vor der Pandemie ein wenig locker.
Die Häuptlinge vom Stamm der ewig Entrüsteten, die ohne Rast und Gnade, dafür aber in tiefer Gedankenlosigkeit das Alphabet der Political Correctness zu ihrer Muttersprache erklärt haben, können uns jetzt nicht mehr beirren. Wir rufen ihnen zu:
Entpört euch!
Selbst denken befreit, und neu denken erfrischt.
Demokratie beginnt, wenn andere wollen, dass du schweigst.
*
Viele behaupten, diese Coronakrise werde sich als »Wendepunkt der Menschheitsgeschichte« erweisen. Danach werde »nichts so sein wie zuvor«, lautet die gebräuchliche Redewendung in unseren Medien. Wir kennen diese journalistischen Fertigbauteile aus der Zeit nach den Terroranschlägen von 9 / 11; und auch im Gefolge der Lehman-Pleite waren sie in Mode. Viele Journalisten haben sie in routinierter Gedankenlosigkeit in ihre aktuellen Texte hineinmontiert.
Realistischer aber ist die Annahme, dass diese Krise sich eben nicht als Wendepunkt, sondern als Beschleuniger erweist. Unsere Demokratie stand schon vorher unter Spannung. Man nimmt ihr übel, dass sie langsamer reagiert als die Flash Boys der Börse, die sich auf den Hochfrequenzhandel verstehen. Man wirft ihr vor, dass sie grübelt und zweifelt, während in China das ZK der Partei die Executive Orders ausspuckt wie der Parkscheinautomat die Scheine.
Keine Sorge, mein Freund: Die Demokratie wird auch jetzt nicht beseitigt, nur weiter geschmirgelt und geschliffen. Die Eliten verfolgen im stillen Einverständnis der unterschiedlichen Parteien ein ehrgeiziges Projekt: Sie wollen vom Volk ihre Souveränität zurück.
Unser Staat ist nach Corona nicht mehr der alte. Er hat sich selbst ermächtigt. Er will sich spüren. Er möchte wieder Herr im Hause sein. Der Ausnahmezustand ist sein neues Lebenselixier.
Die Marktwirtschaft mit ihren um sich selbst kreisenden Fixsternen von Angebot und Nachfrage war ihm in Wahrheit schon vorher suspekt. Immer, wenn man nach diesen Sternen griff, schienen sie in einer anderen Galaxie verschwunden. Nie wusste Vater Staat, ob da ein Stern aufstieg, der den Untertanen Prosperität versprach, oder ob da doch nur wieder ein leuchtendes Etwas seinem Verglühen entgegensauste, was für die Untertanen ein Leben in der Verschattung bedeuten könnte.
Seit jeher gibt es die Angewohnheit, den Wohlstand der eigenen Gegenwart auf Kosten anderer Menschen zu organisieren. Früher expandierte man mithilfe des Militärs in fremdes Territorium, um die Konsumwünsche der eigenen Bevölkerung zu befriedigen. Alle Nationen, selbst die verspäteten, wussten, wie das funktioniert.
»Nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse«, so Bismarck am 30. September 1862, »werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.«
Heute, und daran kann man den Fortschritt der Zivilisation erkennen, werden die großen Menschheitsfragen weniger martialisch, aber nicht weniger effektiv entschieden. Eisen und Blut hat man durch die Notenpresse ersetzt.
Sie ist es, die heute den lautlosen Einmarsch in das Territorium künftiger Generationen organisiert. Die Ausbeutung der noch zu gebärenden Arbeitskraft ist beschlossene Sache, bevor die Eltern überhaupt beschlossen haben, Eltern zu werden.
Dieser Krieg ist für die kommende Generation verloren, ohne dass ein Schuss gefallen wäre. Das Rattern der Notenpresse ist deutlich humaner als das Rattern der Maschinengewehre.
Der künftige Mensch wird nicht erschossen, nur versklavt.
Der neue Untertan muss nicht bluten, nur zahlen.
Seine Arbeits- und Steuerkraft füllt mit der Zeitverzögerung von Dekaden auch die Liquiditätslücke des Jahres 2020, wie der kleine Untertan später in der Grundschule lernen wird. Das Wort »Generationengerechtigkeit« erfährt in diesen Tagen seine zynische Übersetzung.
Die Kosten der Gegenwart werden kurzerhand auf jene Treuhandkonten transferiert, die, wie bei Wirecard in Asien, noch immer auf Befüllung warten.
Die Kolonialisierung der Zukunft hat begonnen.
*