Vitus Huber
DIE KONQUISTADOREN
Cortés, Pizarro und
die Eroberung Amerikas
C.H.Beck
Im Frühjahr 1519 landeten spanische Eroberer unter Führung von Hernán Cortés in Mexiko und unterwarfen in nur zwei Jahren die mächtigen Azteken. Bald gerieten weite Teile Amerikas unter spanische Herrschaft. Vitus Huber geht dem Rätsel nach, wie das so schnell und ohne königliche Truppen geschehen konnte, und wirft einen neuen, frischen Blick auf die Konquistadoren. Er beschreibt anschaulich, wer sie waren, wie sie lebten, wie ihre Beutegemeinschaften funktionierten, und erklärt, warum aus einer chaotischen Eroberungsphase langfristige koloniale Herrschaft hervorgehen konnte.
Vitus Huber, Dr. phil., forscht an der Harvard University. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München und Gastwissenschaftler in Madrid, Mexiko-Stadt, Sevilla und Providence (RI).
Einleitung
1. Kolumbus und die karibische Phase der Conquista
(1492–1519)
Fahrt ins Ungewisse: Entdeckungsreisen und Eroberungslizenzen
«Gold und Sklaven so viel sie verlangen»: Ziele und Investitionsketten
Die Conquista als Graswurzelbewegung? Akteure und Karrieren
2. Cortés, die Nahua und die Eroberung Mexikos
(1519–1531)
«Ich mache Euch reich»: Mobilisierung und Gruppenhierarchie
«Indios amigos»: Die entscheidenden indigenen Allianzen
«Viel Arbeit, Mühsal und in Lebensgefahr»: Conquista-Alltag und Disziplin
3. Pizarro und die Eroberung des Inkareichs
(1531–1572)
Atahualpas Gefangennahme: Kulturkollision in Peru
«Ohne Geld kehre ich nicht zurück»: Die Dynamik der Conquista
Die Kinder der Sieger und die Etablierung der Kolonialherrschaft
4. Missionare und Misserfolge in Nord- und Südamerika
Spirituelle Eroberer: Geistliche in der Conquista
«Als regne es Pfeile»: Gescheiterte Expeditionen
5. Zwischen Glorifizierung und Diffamierung: Das Konquistadorenbild in der Historiografie
«Grausame Bestien» oder «die größten Männer ihrer Zeit»? Die Konquistadoren in den Augen der Zeitgenossen
Kein «europäisches Wunder»: Überlegenheitsdiskurs
Zeittafel
Literaturhinweise
Übersetzte Augenzeugenberichte
Bildnachweis
Personenregister
Meiner Familie
sowie meinen ehemaligen Kolleginnen,
Kollegen und Studierenden
in München
Vor rund 500 Jahren «entdeckten» Kolumbus und seine Begleiter Amerika. In der Folge wurden bekanntlich in relativ kurzer Zeit (1492–1572) weite Teile des amerikanischen Doppelkontinents sowie der Philippinen unter spanische Herrschaft gebracht. Wie das gelingen konnte, ist erklärungsbedürftig. Die Conquista (= Eroberung) und das daraus resultierende erste Weltreich, in dem «die Sonne nie untergeht», entsprangen nämlich keinem politischen Plan der kastilischen Krone. Statt auf Eroberungen regulärer königlicher Soldaten oder Söldner gingen sie auf die private Initiative sogenannter Konquistadoren zurück. Wer waren diese meist jungen Männer aus den mittleren Gesellschaftsschichten und aus verschiedenen Berufsfeldern, die im Namen der Krone, aber «auf eigene Kosten und aus freiem Willen» in ihnen fremde Gebiete zogen? Wie organisierten und finanzierten sie sich, wenn nicht als Armee oder Söldnertrupp? Und warum verschuldeten sie sich oder setzten ihr Leben und ihr Vermögen aufs Spiel für dieses Wagnis? Diese Fragen zu beantworten ist schwierig, weil der welthistorische Vorgang der Conquista auf mehreren Ebenen verklärt ist: In den Quellen kommen nur wenige Beteiligte überhaupt zu Wort, die Zeitzeugen sowie die Historiografie idealisieren oder skandalisieren die Darstellungen entlang bestimmter Interessen oder aufgrund von Missverständnissen, und schließlich ist selbst die Sprache betroffen von diesen Auslegungsproblemen.
Der Begriff des Konquistadors ist auf die sogenannte Reconquista zurückzuführen, die zur «Rückeroberung» stilisierte Konfrontation christlicher Könige mit den Muslimen auf der Iberischen Halbinsel (718/722–1492). Nachdem Jaime I., König von Aragonien, 1238 die Stadt Valencia von den Mauren erkämpft hatte, wurde er mit dem Beinamen «el conquistador», also «der Eroberer», betitelt. Heute stehen «die Konquistadoren» ohne geografischen Zusatz für die Eroberer Spanisch-Amerikas und «die Conquista» für ihre Eroberungen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts klang dabei eine Heroisierung der Akteure und ihrer Taten mit. Ebenso idealisierend sind weitere mittelalterliche Termini für die Konquistadorenverbünde wie «compaña» (= kleine Beutegemeinschaft) oder «hueste» (= Heerschar), die aus dem Kontext der Reconquista stammen und mit denen insbesondere die spanische Forschung die Conquista als Fortsetzung des Krieges gegen die «Ungläubigen» rechtfertigen wollte. Zudem werden die Konquistadoren oft fälschlicherweise als «Soldaten» bezeichnet, die einer «Kompanie», «Armee» oder auf See einer «Armada» angehörten. Das ist deshalb irreführend, weil die Männer keinen fixen Sold erhielten und in keinem regulären Kriegsheer dienten. Der selbst von den Zeitgenossen verwendete Militärjargon war mangelnden Alternativen oder zeitgenössischer Rhetorik geschuldet, die nach außen legitimes und den Normen entsprechendes Verhalten signalisierte. Damit demonstrierten die Akteure Königstreue und distanzierten sich etwa von Räuber- und Piratenbanden. In den altspanischen Quellen finden sich aber vor allem der zweideutige Ausdruck «en compania» (= in Begleitung/Kompanie) oder das Wort «gente», also schlicht «Leute». Individuell bezeichneten sich die Beteiligten entweder als «Spanier», «Christen» oder als «compañeros». Letzteres wies sie als gleichberechtigte Teilnehmer eines gemeinsamen Unternehmens (compañía) aus.
Aufgrund der gestaffelten Belohnungsschemata definierten und inszenierten sich die Eroberer allerdings schon selbst als Konquistadoren. Jeder hatte für seinen Einsatz Anspruch auf einen Teil der Beute. Zudem bestand auf politischer Ebene die Aussicht auf eine zweite Belohnung, weil in der kastilischen Gnadenökonomie der König seine treuen Untertanen entsprechend ihrer «Dienste und Verdienste» prämieren musste. Die Zugehörigkeit zu den Konquistadoren – und vor allem zu den «Ersten Eroberern» (primeros conquistadores) – versprach also Privilegien. Um diese zu sichern und daraus Kapital zu schlagen, baten die Akteure die Krone um Anerkennung ihres Status als Konquistador sowie um königliche Gnaden und präsentierten sich dabei als möglichst verdienstvoll. Die stark interessengefärbte Quellensprache schlägt sich noch heute auf die gängigen Bilder der Conquista in Kunst und Wissenschaft nieder.
Die Frage nach ihrer Organisation wurde ebenfalls von der Rhetorik und der aufgeladenen Semantik beeinflusst. So erschienen die Eroberungszüge lange als feudale Gefolgschaften oder als frühkapitalistische Unternehmen. Weil diese Modelle nur begrenzt zutreffen und sie gerade die konstitutive Verflechtung der beiden Bereiche verschleiern, ist seit der Jahrhundertwende der Joint-Venture-Charakter mit seiner spezifischen Vertragsbasis zwischen der Krone und den Eroberungswilligen betont worden: Die Krone erteilte im Normalfall nur die Erlaubnis für eine Expedition, die Ausrüstung der Schiffe hatte der Lizenznehmer (capitulante/asentista) zu finanzieren, und die einzelnen Konquistadoren mussten für sich selbst aufkommen. In der Konsequenz sind jüngst die besonderen Anreiz- und Belohnungsschemata der Beute- und Gnadenverteilung herausgearbeitet worden. Dieser Ansatz berücksichtigt sowohl die materielle Ebene (Bodenschätze, Indios) als auch die symbolische (Titel). Des Weiteren erlaubt er, das Innenleben der Beutegemeinschaften, die situative Dynamik und Flexibilität sowie die Spielräume vor Ort in den Blick zu nehmen.
Die Frage nach der Motivation der Konquistadoren wurde abwechselnd mit der Gier nach Gold oder mit christlich-feudalen Dienstmentalitäten gegenüber Gott und dem König beantwortet. Irving Leonard beschrieb die Konquistadoren 1949 als Glücksritter, bei denen die Lektüre populärer Ritterliteratur chevalereske Abenteuerlust geweckt habe. Einzelne mögen dadurch animiert worden sein, aber größtenteils entstammen auch diese Erklärungen den zeitgenössischen Skandalisierungs- und Rechtfertigungsdiskursen. Entweder wurden die Konquistadoren darin von Kritikern diffamiert oder sie inszenierten sich selbst als gottesfürchtig und königstreu. Entsprechend schwierig ist es, die Motive der Einzelnen zu benennen, vor allem weil jeweils mehrere Beweggründe und Zufälle zusammenspielten. In der Summe strebten die Beteiligten jedoch nach materiellem Reichtum und sozialer Besserstellung. Strukturelle Push-Faktoren bildeten vermutlich die Verarmung des spanischen Landadels sowie das 1505 veränderte Erbrecht, das das immobile Erbe ungeteilt dem Erstgeborenen zusprach (mayorazgo). Den jüngeren Brüdern blieb scheinbar nur die Wahl zwischen Kloster und Krieg beziehungsweise Conquista.
Die Fragen nach Herkunft, Organisation und Motivation der Konquistadoren sind wie erwähnt eng verbunden mit jenen zum Ablauf der Conquista. Der schon von den Zeitzeugen propagierte Mythos des «Wunders», wonach ein paar hundert Spanier abertausende indigene Krieger bezwungen hätten, hat durch die Forschung der letzten Jahrzehnte seine Überzeugungskraft eingebüßt. In Wahrheit kämpften große Kontingente von indigenen Kriegern gegeneinander, während die Spanier eine vergleichsweise kleine Zahl ausmachten. So hat die Beteiligung der Einheimischen Amerikas seit den 1960er Jahren ein größeres historisches Interesse erfahren. Gleiches gilt für die Dunkelziffer an Frauen, Schwarzafrikanern, Sklaven und Dienern. Deren Rollen etwa als Träger, Köche, Übersetzer, Geliebte, Prostituierte, Schildknappen und «Handlanger» diverser Arbeiten waren zwar wichtig, aber haben nur wenige Spuren in den Archiven hinterlassen.
Weitgehend ausgeklammert von der Infragestellung alter Deutungsparadigmen blieben erstaunlicherweise die Konquistadoren selbst, die sich in spanischen Häfen auf den Weg in die Neue Welt machten. Der Fokus auf diese Gruppe wertet den Beitrag der außereuropäischen und historiografisch marginalisierten Akteure keineswegs ab, sondern ist unter Einschluss der neuesten Forschungsergebnisse dringend nötig. Bisher liegen nur prosopografische Studien zu einzelnen Konquistadorenzügen oder Biografien zu den Anführern vor. Eine Gesamtstudie zu den Konquistadoren fehlt – insbesondere in deutscher Sprache.
Das vorliegende Buch liefert eine Einführung zu diesem Thema. Es erhebt keinen Vollständigkeitsanspruch hinsichtlich der Ereignisse, die lediglich zur Kontextualisierung dienen, oder der zahlreichen Akteure und ihrer mannigfaltigen Motive. Ein solcher Anspruch wäre ohnehin unrealisierbar, weil die Quellen über viele, auch ganz entscheidende Akteure wie Frauen und Indigene oft schweigen. Warum das so ist und wo die Grenzen der Idealisierung liegen, lässt sich jedoch durch eine kritisch hinterfragende Analyse der Konquistadoren und der Mechanismen der Conquista aufdecken. Anstatt das Hauptaugenmerk auf einzelne Lebensläufe zu richten oder gar eine «Geschichte der großen Männer» zu erzählen, untersucht die Studie deshalb die Gruppe insgesamt einschließlich ihrer Mikrodynamiken. Dabei soll die Verschiedenartigkeit der Konquistadoren nicht ignoriert, sondern neben dem Typischen in gegebener Kürze beleuchtet werden. So lässt sich über exemplarische Einzelschicksale hinaus zeigen, wer diese Männer waren, wie sie lebten, wie sie den Diskurs über sich und die Conquista prägten und welche Dynamiken die Gruppenorganisation auslöste. In diesen Beutegemeinschaften und ihren Ökonomien liegt nämlich der Schlüssel zum tieferen Verständnis davon, wie die Conquista überhaupt «funktionierte» und wie aus der chaotischen Eroberungsphase eine rund dreihundert Jahre währende Kolonialherrschaft in Spanisch-Amerika hervorging. Wer sich mit den Konquistadoren beschäftigt, erhält daher nicht nur Einblick in das Universum einer spezifischen Gruppe, sondern überdies Antworten auf den rätselhaft erscheinenden Vorgang der Conquista einschließlich ihrer Geschichtsschreibung.
Zur Zeit der Renaissance machte es eine ganze Reihe von nautischen und astronomischen Erfindungen (hochseetaugliche Schiffe wie die Karavelle und Karacke, Portolankarten, Astrolabium und Kompass) den Europäern technisch möglich, in ihnen fremde Gewässer und Gebiete vorzudringen. Besonders portugiesische See- und Kaufleute segelten zu immer entfernteren Orten an der westafrikanischen Küste, um dort Gold und Sklaven zu handeln. Das mit Portugal konkurrierende Königreich Kastilien eroberte im Laufe des 15. Jahrhunderts in mehreren Anläufen die Kanarischen Inseln. Aragonien hatte schon seit dem Spätmittelalter durch militärische Vorstöße im nördlichen Afrika sowie durch die Eroberungen Siziliens und Sardiniens die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer übernommen. 1479 vereinten Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien die beiden Königreiche. Mit ihrem Sieg über Granada (1491/92) und der Kapitulation des letzten Maurenreichs auf der Iberischen Halbinsel waren die in der Geschichtsschreibung als «Rückeroberung» (reconquista) bezeichneten Kriege gegen die Muslime beendet, wofür ihnen der Papst den Titel «Katholische Könige» verlieh. Noch im Feldlager bei Granada erteilten sie Christoph Kolumbus die Erlaubnis, eine westliche Seeroute nach Ostasien und zu den begehrten Gewürzinseln (Molukken) zu suchen. Nachdem die Osmanen 1453 Konstantinopel, das heutige Istanbul, erobert hatten, war der Fernhandel über Land erheblich kostspieliger geworden. Außerdem hatten die Portugiesen im Vertrag von Alcáçovas 1479 den maritimen Handel entlang Afrikas Westküste mit Ausnahme der Kanarischen Inseln monopolisiert.
Nun kam bekanntermaßen alles anders: Anstatt eine Westpassage nach Asien zu eröffnen, gab das Kolumbus-Projekt zufällig den Anstoß für die Conquista Amerikas. Aber welcher rechtlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen bedurfte es, dass Kolumbus seine riskante Westfahrt überhaupt antrat, und, vor allem, dass darauffolgende Expeditionen zur Kolonisierung des karibischen Raums führten? Darüber hinaus ist zu fragen, wer die Akteure waren, die sich auf solche Abenteuer einließen und diese Unternehmen umsetzten.
In der «capitulación de Santa Fee», einer lizenzähnlichen Vereinbarung vom 17. April 1492, genehmigten die Katholischen Könige dem genuesischen Kaufmann Kolumbus die vererbbaren Titel eines Admirals, Vizekönigs und Generalgouverneurs des «ozeanischen Meers» (Atlantik) und aller von ihm zu entdeckenden Inseln und Festlandgebiete. Des Weiteren sollten ihm 10 Prozent der Gewinne aus eventuellen Schätzen und Handelsgütern zustehen. Sie teilten also die erwartete Beute bereits untereinander auf, bevor überhaupt welche gemacht wurde. Woher hatten sie das Recht dazu, und welche Dynamik löste dies aus?
Zur Ausrüstung der Expedition steuerte Kolumbus 250.000 der rund zwei Millionen maravedís bei, die er als Kredit über den Kaufmann Francisco Pinelo von diversen italienischen Finanziers erhielt. Mehr als die Hälfte der Kosten trug die spanische Krone, die unter anderem die Hafenstadt Palos de la Frontera zwang, zwei Karavellen für Kolumbus bereitzustellen. Zusammen mit einem dritten Schiff, der Santa María, legte die Flottille am 3. August 1492 in Palos ab und setzte nach einem Zwischenhalt auf den Kanarischen Inseln am 6. September ihre Reise nach Westen fort. Nach einer Fahrt voller Hoffnung, aber auch Ungewissheit stießen Kolumbus und seine 90 bis 120 Männer am 12. Oktober 1492 auf eine Insel der heutigen Bahamas. Die Erleichterung des Genuesen lässt sich am Namen San Salvador (= Heiliger Erlöser) ablesen, auf den er die Insel taufte und für die Krone in Besitz nahm. Ihre genaue Lage bleibt bis heute umstritten, die Bewohner nannten sie Guanahani. Kolumbus behauptete, dem asiatischen Kontinent vorgelagerte Inseln entdeckt zu haben, weshalb sich im Spanischen die Bezeichnungen «indio» für deren Bewohner und «las Indias» für den geografischen Raum verbreiteten.
Karte 2 Die vier Reisen unter Kolumbus 1492–1504
Auf der Suche nach Gold und Perlen entdeckten die Spanier bald, dass die «Leute der Insel» (Taíno) ihren Goldschmuck gegen Glasperlen tauschten, wie Kolumbus in sein Schiffstagebuch schrieb. Damit wollte er wohl ihre Naivität und die vorteilhaften Handels- und Versklavungsmöglichkeiten demonstrieren. Zwar ist dieses Bordbuch nur in späteren fragmentarischen Abschriften des Dominikanermönchs Bartolomé de Las Casas überliefert, der den Umgang der Spanier mit den Inselbewohnern bekanntlich vehement kritisierte, aber bis auf die gedruckten Versionen eines Briefs von Kolumbus ist es die einzige Schriftquelle zu diesen Ereignissen. Die darin vorgenommenen Vergleiche der Menschen und ihrer Umgebung mit Beschreibungen des Paradieses zeugen von der stark religiösen Mentalität des Mittelalters, während Kolumbus’ kaufmännische Suche nach materiellem Profit hingegen auf neuzeitliche Handlungsmotive weist. Ergänzt durch den ihm nachträglich zugeschriebenen Entdeckergeist wird er oft als Mann des Epochenübergangs bezeichnet.
Dass die «Entdecker» und Eroberer ihre Reisen als Suche nach mythischen Orten wie dem Goldland Ophir, dem Reich der Amazonen etc. stilisierten oder die Flora und Fauna mit paradiesischen Bildern aus der Bibel verglichen, überrascht nicht. Zum einen bewarben sie damit ihre Unterfangen und wiesen sie als große Dienste sowohl für die Kirche wie auch für die Krone aus. Zum anderen fehlten teilweise alternative Begriffe, um das Unbekannte, das «Wunder» (Stephen Greenblatt) in Worte zu fassen. Wollten sie keine einheimischen Namen (Cuba, Panama, Guatemala etc.) verwenden, mussten sie auf vertrautere Analogien zurückgreifen. So verglichen sie die vorgefundenen Orte mit europäischen Städten: Amerigo Vespucci soll zum Beispiel aufgrund der Pfahlbauten im heutigen Golf von Venezuela die Region «Klein-Venedig» (Veneziola) genannt haben. Abgesehen von den Ortsnamen, die Heiligen (San Francisco etc.), Herrschern (Kuba als Isla Fernandina für König Ferdinand II. oder die Philippinen für den Kronprinzen und späteren Philipp II.) oder Herkunftsorten der Anführer (etwa Pizarros Trujillo) gewidmet waren, weckten die Benennungen oft Erwartungen an Reichtum: Puerto Rico (= Reicher Hafen), Castilla del Oro (= Kastilien des Goldes), Río de la Plata (= Fluss des Silbers) oder ähnliche Namen sollten königliche Belohnungen, weitere Investitionen und logistischen Nachschub stimulieren. Schließlich war die Namensgebung Teil des rechtlichen und politischen Vorgangs, das Gebiet im Sinne der Erstentdeckung oder Eroberung in Besitz zu nehmen.
An Weihnachten 1492 lief das Flaggschiff von Kolumbus, die Santa María, an der Nordküste Hispaniolas (Haiti/Dominikanische Republik) in der Nähe des heutigen Cap Haïtien auf Grund. Aus dem Holz des Wracks ließ Kolumbus eine grob befestigte Siedlung namens Fort Navidad bauen. Darin blieben 39 Mann zurück, die über den gastfreundlichen Kaziken Guacanagari an mehr Gold kommen sollten. Der Rest der Mannschaft trat auf den beiden Karavellen Niña und Pinta Anfang Januar die Rückfahrt an. Am 15. März 1493 erreichten sie Palos, nachdem sie elf Tage zuvor infolge eines Unwetters getrennt worden waren und bereits im galicischen Bayona beziehungsweise in Lissabons Hafen Restelo angelegt hatten.
Die Kunde von den Entdeckungen verbreitete sich rasch. Obwohl Teile Grönlands, Neufundlands und der Baffininseln bereits um das Jahr 1000 von skandinavischen Seefahrern entdeckt worden waren, begründeten indes erst die Kolumbusfahrten das europäische Wissen über ein neues geografisches Weltbild. Die Erfindung des Buchdrucks förderte dies: So wurde zum Beispiel in ganz Europa Kolumbus’ Brief an seinen Unterstützer am Hof, Luis de Santángel, vervielfältigt. Darin beschrieb Kolumbus, wie unendlich fruchtbar und reich die entdeckten Länder seien. Er könne der Krone so viel Gold, Gewürze und zu versklavende oder zu christianisierende «Heiden» liefern, wie sie nur wünsche. Die Werbung verfehlte ihr Ziel nicht: Papst Alexander VI. aus dem aragonischen Borgia-Geschlecht sprach Kastilien das Herrschaftsrecht über «die entdeckten und zu entdeckenden Gebiete» zu und beauftragte sie mit der Christianisierung der Bevölkerung. Im bilateralen Vertrag von Tordesillas 1494 konnte Portugal den in den päpstlichen Bullen festgelegten Grenzmeridian zur spanischen Herrschaftssphäre auf 370 statt nur 100 kastilische Meilen westlich der Kapverden verschieben. Unbewusst fiel Portugal, dem das Hoheitsgebiet östlich der Linie zustand, dadurch die heute brasilianische Küste zu, die Pedro Álvares Cabral 1500 für Portugal in Besitz nahm.
Die zweite Kolumbus-Expedition (September 1493 bis Juni 1496) erkundete mit 17 Schiffen und 1200 bis 1500 Leuten die Großen und Kleinen Antillen. Mit diesem deutlich größeren Unternehmen wurde zwar die Suche nach einer Seeroute zu den Gewürzinseln grundsätzlich fortgeführt, gleichzeitig begann aber die punktuelle Eroberung und Besiedlung der Karibik – vor allem der Insel Hispaniola. Von den dort zurückgelassenen Spaniern hatte keiner überlebt und das Fort Navidad lag in Trümmern. Die Kolonisten errichteten neue Siedlungen, von denen die älteste noch bestehende das heutige Santo Domingo ist, das 1496 als La Nueva Isabela gegründet wurde. Auf seiner dritten Expedition (Mai 1498 bis November 1500) sichtete Kolumbus nahe der Orinoko-Mündung die südamerikanische Küste. In seinem Logbuch verzeichnete er sie als eine den Europäern unbekannte «neue Welt», behauptete allerdings später wieder, dass die Gegend zu Asien gehöre. Erst nachdem Amerigo Vespuccis Reisebericht «Mundus Novus» (1502/03) erschienen war und Martin Waldseemüller sowie Matthias Ringmann, die sich darauf stützten, diesen «vierten Teil der Erde» als «America» (Cosmographiae Introductio 1507) bezeichneten, wurde in Europa die Region als neuer Kontinent erachtet und erhielt seinen heutigen Namen.
Im Südwesten Spaniens bot sich nun die Option, mit der Hoffnung auf schnellen Reichtum die Atlantiküberfahrt zu riskieren. Auf Hispaniola begann Kolumbus Ländereien und Arbeitskolonnen der einheimischen Taíno an die Spanier zu verteilen. Dies führte zur faktischen Versklavung der Inselbewohner und schürte weitere Konflikte – auch unter den Siedlern selbst. Daraufhin entsandte die Krone Francisco de Bobadilla (1500–1502), der Kolumbus als Gouverneur ablöste und ihn zusammen mit seinem Bruder Bartolomé Kolumbus in Ketten nach Spanien schickte. Dort wurden sie zwar begnadigt und Christoph Kolumbus betrat während seiner vierten und letzten Expedition (Mai 1502 bis November 1504) bei Honduras erstmals amerikanisches Festland. In langwierigen Gerichtsprozessen (pleitos colombinos) sprach die Krone ihm und seinen Söhnen die Privilegien in der Karibik aber weitgehend ab und zerschlug sein Herrschaftsmonopol.
Nun stand das Feld neuen Kandidaten offen, die eine Entdeckungs-, Eroberungs-, Handels- oder Besiedlungsexpedition wagen wollten. Als Befehlshaber benötigten sie dazu – wie zuvor Kolumbus – etwas Unternehmergeist sowie die Erlaubnis der Krone in Form einer «Kapitulation» (capitulación oder asiento