Wilfried Wieck
Männer lassen lieben
Die Sucht nach der Frau
Herausgegeben von
Irmgard Hülsemann
Hinweis: Das vorliegende Buch ist ein Nachdruck der 1989 im Kreuz Verlag erschienenen 15. Ausgabe. Die Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung wurden nicht berücksichtigt.
Wilfried Wieck
Irmgard Hülsemann (Hrsg.)
Männer lassen lieben
Die Sucht nach der Frau
Erstauflage erschienen im Kreuz Verlag Stuttgart 1987
ISBN 978-3-96409-813-9
Dieses Buch ist auch als Taschenbuch im gleichen Verlag erschienen unter
ISBN 978-3-96409-093-5
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Inhalt
Vorwort der Herausgeberin
Danksagung
1. Einleitung
2. Ein Mutter-Sohn-Komplott
3. Hinausgezögerte Abnabelung auf Schulbänken
4. Erste Schritte auf dem Weg zur Einsicht
5. Die Frau als einseitige Helferin des Mannes
6. Zur Frauensucht der Männer
7. Gewöhnung an die Mutter, Entzug und Gewalt
8. Die expansive Eifersucht des Mannes auf die starke Frau
9. Die Entdeckung der personellen Eifersucht des Mannes
10. Vorbemerkung zum Thema Schweigen
11. Männliches Schweigen
12. Die Kraftlosigkeit des Mannes
13. Die konsequente Hilfe: eine Utopie
14. Der Humanismus des 20. Jahrhunderts ist der Feminismus
Literatur
Weißt du, ich glaube ich bin nicht liebesfähig“, eröffnete mir auf einem Spaziergang am Teltowkanal in Berlin Wilfried Wieck. Nach einem Moment der Verblüffung war meine spontane Reaktion „Das macht nichts, dann musst du es eben lernen.“ Damals war ich 23 Jahre. Den Begriff ,Liebesfähigkeit‘ hatte ich noch nie gehört. Das seltsame Geständnis beunruhigte mich in keiner Weise, einmal weil ich mich von dem acht Jahre Älteren sehr geliebt fühlte und zum anderen erschien es mir selbstverständlich, dass jeder Mensch, ob Frau oder Mann fähig ist zu lieben.
Wir kannten uns erst 14 Tage als wir zusammengezogen. Bis zu seinem Tod im Juni 2000 wurden daraus 32 Jahre. Unser Zusammenleben war keineswegs von dauerhafter, stabiler Harmonie geprägt. Im Gegenteil, es gab heftige Diskussionen und Kontroversen über alle möglichen Fragen des Lebens und Erlebens. Aber viel öfter erlebten wir die tiefe, wunderbare Erfahrung von gemeinsamem Lernen, lustvollem Genießen, wechselseitiger Anregungen, ein miteinander und aneinander Wachsen und ein stetig zunehmendes Verständnis der jeweils anderen Individualität. Wir teilten ähnlichen Humor und konnten wunderbar miteinander lachen. Unser Alltag wurde immer wieder neu gestaltet und stets so, dass es nie farblos oder langweilig wurde.
Als ich 1984 im Luchterhand Verlag ein erstes Buch mit dem Titel ,Berührungen – Gespräche zu Lebensgeschichte und Sexualität‘ veröffentlichte, entwickelten sich kontinuierlich Gespräche zwischen uns, die Fragen nach den Rollen von Weiblichkeit und Männlichkeit in unserer Gesellschaft betrafen. Auf Grund von Selbstbeobachtung aber auch Erfahrungen aus der therapeutischen Arbeit, interessierte mich zunehmend, auf welche Weise vermeintliche Liebe und weiblicher Gehorsam miteinander verknüpft waren, bzw. nicht selten verwechselt wurden. Warum wusste ich, z. B. beim Einkaufen, ganz selbstverständlich was Wilfried gerne aß, während er meine Wünsche und Vorlieben immer wieder auf Zettel notieren musste um sie nicht zu vergessen. Warum schienen seine Projekte unausgesprochen von größerer Wichtigkeit zu sein als meine?
Auf eine unserer Radtouren von der Reichsstraße, in der wir damals unsere Wohnung und Praxis hatten, über den Kronprinzessinnenweg nach Potsdam, meinte ich an einer Stelle während wir fuhren im Gespräch „Du arbeitest in der Therapie mit vielen Männern, wieso befasst du dich nicht intensiver mit dem Männerbild, der Frage, wie Jungen in dieser Gesellschaft zu Männern gemacht werden? Ich will auf jeden Fall die Spur in Bezug auf Weiblichkeit weiter verfolgen.“ Wilfried griff diese Anregung begeistert auf und fortan entwickelte sich ein spannender, fruchtbarer Austausch, der sowohl seinen Niederschlag in Vorträgen an der Lessing Hochschule – als auch in etlichen Büchern fand.
Nach Jahren des gemeinsamen Lebens waren wir wieder beim Thema Liebesfähigkeit gelandet, von der ich allerdings inzwischen wusste, dass sie keineswegs selbstverständliches Allgemeingut und in der männlichen oder weiblichen Ausdrucksform tatsächlich höchst verschieden war.
Aus Wilfrieds Selbstbefragung, Lektüre, Untersuchung und Gesprächen mit zahlreichen männlichen Klienten entstand das Buch ,Männer lassen lieben – Die Sucht nach der Frau‘. Es wurde in kürzester Zeit zum Bestseller. Nicht weil Männer sich auf die Lektüre gestürzt hätten, sondern weil Hunderttausende Frauen den Inhalt wie eine Offenbarung lasen. Nicht wenige der zu diesen Frauen zugehörigen Männer pfefferten das Buch in die Ecke und verfluchten den Autor.
Mein Buch ,Ihm zuliebe? – Abschied vom weiblichen Gehorsam‘, ebenfalls im Kreuz Verlag veröffentlicht, wurde gleichfalls ein Bestseller mit dem Unterschied, dass die Frauen mir zwar zustimmten, ja, ja, so sei es, sie würden Dinge aus Liebe tun, die sie eigentlich nicht tun wollten, vor allem in der Sexualität, aber dass sie nach der Lektüre oft nicht mehr wussten was sie gelesen hatten oder in Zukunft anders machen könnten.
Bei gemeinsamen Lesereisen erlebte ich Männer, die Wilfried erstaunt fragten „Woher kennen Sie mich?“ und er meist lachend entgegnete „Ich kenne Sie nicht aber mich lerne ich immer besser kennen. Vielleicht gibt es Gemeinsamkeiten?“ Angesichts der Eskalation der ,me too‘-Debatte, der immer krasser und deutlicher werdenden Wahrheit, dass es bei den zur Sprache kommenden Inhalten nicht eigentlich um Sex und Erotik geht, sondern um Missbrauch von Macht und Gewalt in allen Lebens und Arbeitsbereichen, entstand in mir der Impuls Wilfrieds Buch noch einmal zu lesen um dessen Aktualität in Bezug auf die Frage nach den Wurzeln der Gewalt zwischen Frauen und Männern zu prüfen.
Warum hassen Männer Frauen, obwohl sie sie doch angeblich so sehr lieben, bzw. begehren?
Nach der Lektüre war ich bestürzt darüber, wie sehr das was Wilfried über sich und seine Entwicklung schrieb, vor allem die Auswirkungen der verwöhnenden Symbiose in der Beziehung zur Mutter und die Folgen eines zwar körperlich anwesenden aber ansonsten weitgehend abwesenden Vaters noch Thema gegenwärtigen Beziehungslebens ist.
Kein angeschriebener Verlag zeigte Interesse an einer neuen Auflage, also entschloss ich mich es selbst zu tun. Angesichts der zutiefst schockierenden Tatsache, dass es heute möglich ist und scheinbar akzeptiert wird, dass offen Frauenhassende und Frauenverachtende, Gewaltverherrlichende Männer Lenker von Staaten werden können, (auch mit Hilfe von letztlich Frauenverachtenden Frauen), kann es nicht beruhigen, dass es Frauen in Führungspositionen gibt, auch zunehmend Männer die ihre Vaterschaft nicht nur auf dem Papier dokumentieren, sondern auch real leben wollen.
Tatsache bleibt, dass auf die Kämpfe der Frauenbewegung keine vergleichbare Männerbewegung folgte. Auch wenn vermehrt einzelne Männer heute ein anderes Verständnis ihrer Rolle als Partner oder Vater entwickeln, sind wir von einer strukturellen Veränderung im Zusammenleben zwischen Frauen und Männern immer noch und immer wieder sehr weit entfernt. Fundamentalistische politische Strömungen, Ängste vor den komplexen, zum Teil ungewissen gesellschaftlichen Veränderungen tragen ihr Teil dazu bei. Die abendländische Kultur wurzelt unübersehbar nicht in Strukturen von Liebe sondern vielfältiger Gewalt.
Der 2018 veröffentlichte Dokumentarfilm ,Female Pleasure‘ der Schweizer Regisseurin Barbara Miller zeigt am Beispiel von fünf Frauen aus verschiedenen Kulturen und religiöser Prägungen, wie es um die weibliche Sexualität und überhaupt um die Wahrnehmung von Frauen im 21. Jahrhundert steht. Der Film dokumentiert die strukturelle patriarchalische Gewalt, zeigt, wie global aus dem angstbesetzten Blick von Männern auf das weibliche Geschlecht Hass, Abwehr, Abwertungen und drastische Kontrollmaßnahmen entstehen, die die Vision von Respekt und Gleichberechtigung illusionär erscheinen lassen. Wer der Ansicht ist, dass die heutige digitale Welt das Liebes- und Beziehungsglück von Frauen und Männern befördere oder erleichtere, erliegt einem Irrtum. Die Frauen und Männer mit denen ich in meiner psychotherapeutischen Praxis zu tun habe, vor allem die jungen Leute, stehen unter einem enormen Druck auf diesem ,riesigen Markt‘ bestehen zu können. Dabei geht es immer mehr um die ,Verpackung‘ und weniger um den Inhalt. Die Beliebigkeit von Begegnungen wird beklagt. Vielleicht wird mit einem nächsten Klick ein noch attraktiveres Subjekt gefunden. Natürlich gibt es dank der Frauenbewegung Frauen, die es schaffen, ihr Leben jenseits traditioneller Rollen oder Werte Klischees zu leben aber inzwischen scheint die Zahl an Frauen wieder zuzunehmen, die davon – aus welchen Gründen auch immer- unberührt und in Unkenntnis geblieben sind. Bei ihnen hat das Gefühl der Bedrohung durch rasche Austauschbarkeit eher zugenommen, Männer ,profitieren‘ von den neuen Medien in ganz anderer Weise, rasche Bedürfnisbefriedigung vor allem in Bezug auf Sex sind ihnen sicher, mühevolle Annäherungsschritte an das Gegenüber fallen weg. Die Fähigkeit verlässliche Bindungen einzugehen und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, wird durch derartige Erfahrungen nicht gerade gefördert. In der Lage, in der wir uns derzeit befinden, inmitten der mannigfaltigen ungelösten Fragen und Probleme bezüglich unserer weiteren Existenz, spielt die Notwendigkeit der solidarischen Zusammenarbeit der Geschlechter eine zentrale Rolle. Nur wenn es strukturell gelingt eine Kultur der Liebe zu begründen, die keine Wesen ausschließt, die zwischen den Geschlechtern nicht nur Besitzen Wollen und Begehren meint, sondern auch bereit ist zu geben, zu unterstützen, wenn notwendig auch zu verzichten, haben wir eine Chance.
Irmgard Hülsemann
Berlin im November 2018
Ich danke Irmgard Hülsemann, meiner Lebensgefährtin, für ihre Anregung, mich mit mir und meinem Mannsein in dieser Gesellschaft zu befassen, und für ihre Unterstützung bei dieser Arbeit. Sie hat viel Kraft aufgewendet, mit Liebe und Konsequenz so manches Kapitel, so manches Problem angehört und mich auf Mängel hingewiesen. Das fiel mir nie leicht, brachte aber nach einiger Zeit jedesmal Klarheit und Ermutigung. Irmgards wichtigste Hilfe war, daß sie mich bewog, mein Manuskript zu einem Zeitpunkt an den Verlag abzuschicken, als ich selbst noch keineswegs mit meiner Arbeit zufrieden war.
Ich danke Katja Wieck, meiner Tochter, für ihr stetiges Interesse an den Fragen dieses Buches, das für mich eine große Ermutigung war. Immer, wenn ich sie nach ihrer Ansicht fragte, war sie bereit und in der Lage, einfühlsam und klug zu antworten und mir Gedanken mitzuteilen, die mich erfrischten.
Ich danke meinen Freunden Roswitha Neumann und Dr. Eberhard Neumann, die sich mir geduldig und mit stets wacher Bereitschaft zur Beschäftigung mit meinem Anliegen freundlich und stabilisierend zuwandten und so meine Arbeit begleiteten.
Ich danke Sarah Haffner, die mich schon sehr früh dazu ermuntert hat, diesen Männer-Fragen nachzugehen, und nie einen Zweifel daran ließ, daß es sich lohnt, sich als Mann feministischen Themen zuzuwenden.
Ich danke Johannes Thiele, der mein zunächst wesentlich längeres Manuskript mit Engagement und Eifer las, außerdem wohlwollend, sachkundig und verständnisvoll auf mögliche Änderungen und Straffungen hinwies. Er empfahl, zu streichen und zu korrigieren, und ich habe das Gefühl, daß ich von ihm vieles Wesentliche über das Schreiben gelernt habe.
Ohne die unschätzbare Hilfe dieser vier Frauen und zwei Männer hätte ich weder den Mut noch die Geduld aufgebracht, so lange und konsequent an diesem brisanten Thema zu arbeiten.
Wilfried Wieck
Im Grunde fing alles mit einem kleinen Taschenbuch an. Oder nein, mit einer Bitte, der ich nicht entsprach. Ich war vierundvierzig Jahre alt, als ich 1982 ein Buch las, das mir meine Partnerin seit drei Jahren dringend ans Herz gelegt hatte: »Die Stärke weiblicher Schwäche« von Jean Baker-Miller, einer Psychotherapeutin. Hinsichtlich des Verständnisses für die Beziehungen zwischen Frau und Mann hatte ich unbekümmert vor mich hin gedämmert, obwohl ich mich seit langem mit Tiefenpsychologie befaßte und in Kreisen gesellschaftskritischer Menschen bewegte. Außerdem hielt ich mich nicht für einen typischen Mann. Das tut der typische Mann nie. Chauvinismus, Sexismus, Gefühl- und Verständnislosigkeit waren Begriffe, die ich benutzte, im Grunde aber nicht auf mich bezog.
Der Mann läßt lieben. Er läßt die Frau lieben. Er läßt sich lieben. Aber er liebt nicht. Wenn sie geliebt werden will, dann läßt er das Lieben. Dann wird ihm alles zu schwierig. Wie die meisten Männer hatte ich bis dahin kaum etwas über die Geschlechterfrage gelesen. Wissenschaftliche Bücher, so meinte ich, waren wichtiger. Es dauerte drei Jahre, bis ich Irmgards Bitte entsprach. Das Buch verunsicherte mich, alles betraf mich. Nach der ersten Erschütterung begann ich, mein Mannsein in dieser Gesellschaft problematisch zu finden. Ein Schamgefühl darüber stellte sich ein, daß ich die Erkenntnisse der Frauenbewegung so lange ignoriert hatte. Dann beunruhigte mich, daß ich drei Jahre lang gebeten werden mußte. Wie steht es mit meiner Liebesfähigkeit?
Durch psychologische Schulung und therapeutische Tätigkeit war mir die Auseinandersetzung mit meiner Person vertraut. Ich hatte viel über mich als Mensch erfahren, mein Mannsein aber kaum reflektiert. Konnte ich bis dahin überhaupt etwas Rechtes über mich als Mensch erfahren haben? Selbsterkenntnis war nachzuholen. In meinen Dämmerzustand hinein fiel plötzlich ein Licht. Es wurde Auftakt zu einer Reise, während der es zunehmend heller wurde. Sie begann allerdings zögernd und stockend, mit viel Widerständen.
Neulich erinnerte mich Irmgard an meine anfängliche große Verunsicherung. Dieses Gefühl und meine damalige Stimmung hatte ich vergessen. Ich dachte, daß es mir bei meinem neuen Aufbruch gutgegangen war, weil ich ihn anregend und produktiv fand.
Ich rechne damit, daß männliche Leser auch Mühe haben werden, sich auf meine Erkenntnisse einzulassen. Warum sollten sie weniger Schmerzen empfinden als ich? Es hatte lange gedauert, ehe aus meiner Befangenheit selbstkritische Fragen wurden. Was habe ich versäumt? Welchen Frauen schadet mein Mannsein? Das Ausmaß meiner Unwissenheit bestürzte mich. Es gibt viele Männer, die sich von diesen Problemen distanzieren. Sie betrachten alles als übertrieben oder finden es gar nicht so schlimm.
Als ich mich nach einiger Einarbeitungszeit entschloß, über diese Materie Vorträge zu halten, erstaunte mich mitunter die Reaktion der Zuhörer. Weil ich meine persönliche Betroffenheit aussprach, warf man mir hin und wieder Wehleidigkeit und Männerfeindlichkeit vor. Manche fühlten sich herausgefordert, ärgerten sich oder bekamen Angst. Immerhin kamen Hunderte von Menschen, etwa ein Drittel Männer, über Jahre regelmäßig, um zuzuhören und zu diskutieren. Manche kritisch, viele berührt und interessiert. Ihre Anteilnahme hat mich bewogen, meine Gedanken schriftlich festzuhalten. Ich unternehme damit den Versuch, andere an meinen Gefühls- und Lernprozessen teilnehmen zu lassen. Vielleicht können auch sie neue Fragen stellen und einen ungewohnten Weg wählen, der unsicher, aber lebendig und spannend wäre.
Insoweit es mir notwendig erschien, bezog ich meine Lebensgeschichte ein, besonders die Beziehung zu meiner Mutter. Sie hatte einen beträchtlichen Anteil an meiner Mannwerdung. Wir Männer sind nicht nur deshalb gefühlsarm und gewalttätig, weil wir uns mit dem Vater identifizieren. Meine Mutter hat mich darin bestärkt, so wie der Vater zu werden, obwohl er ihr kein wirklicher Liebespartner war. Sie lebten zusammen, aber wenn sie seiner bedurfte, stand er nicht zu ihr. Sie sehnte sich immer nach einem Menschen, von dem sie sich uneingeschränkt akzeptiert fühlte. Dieser sollte ich sein. Ich werde schildern, wie sie mit mir umging und welche Gefühle ich in der Beziehung zu ihr lernte. Anschließend gehe ich kurz auf Schule und Studentenbewegung ein.
Schon während des Studiums hatte ich geheiratet. Wir bekamen eine Tochter und hatten große Mühe mit unserer Liebesbeziehung. Keiner vermochte uns zu helfen. Elternhaus, Schule und Universität, Studentenbewegung und Therapiegruppe brachten mir Auffassungen über die Frau und den Mann nahe, die ich heute als Vorurteile erkenne. Ich hatte immer gedacht, daß der Mann in der Beziehung der Starke ist, daß er die Frau stützt und ihr hilft. Nun lernte ich, daß eher das Gegenteil stimmt. Der Mann ist kraftlos und schwach, und die Frau hält ihn funktionstüchtig. Frauen halten an der Verbundenheit mit Männern fest und versorgen sie. Auf dieser Geborgenheit baut der Mann als Sicherheitserzwinger Konkurrenzsysteme auf, Prestigekämpfe und Macht. Alle wissen, daß eine seelische und globale Zerstörung droht, wenn es nicht gelingt, weibliche Werte zu verwirklichen. Ich werde die »Therapie« des Mannes durch die Frau schildern, wie sie ist und wie sie eigentlich sein müßte.
Mein zweites Vorurteil betraf meine Vorstellung von Autonomie. Ich hatte immer von Selbständigkeit und Selbstbestimmung geschwärmt. Nun stellte ich fest, daß ich weder den einen noch den anderen Wert verkörperte, daß diese Gesellschaft mich im Gegenteil zur Abhängigkeit von der Frau erzogen hat. Ich bin auf ihre Kraft und Pflege angewiesen, und weil ich das nicht wahrhaben möchte, halte ich am Autonomiewahn fest. Es stellte sich heraus, daß der Mann süchtig nach der Frau ist. Diese erste Sucht in seinem Leben entstand, als er noch nicht denken oder sprechen konnte. Darum hat er solche Mühe, sich von ihr zu befreien.
Drittens hatte ich gelernt, daß Frauen dazu neigen, auf Männer eifersüchtig zu sein, anderer Frauen, aber auch der beruflichen Karriere der Männer wegen. Bei meiner Untersuchung der Emanzipation der Frau lernte ich, daß es umgekehrt ist. Der Mann wird eifersüchtig auf die tüchtige berufstätige Frau, auf ihre außerfamiliären Beziehungen und auf ihre menschliche Entwicklung. Wir können das jetzt erst wahrnehmen, weil die Frau in früheren Zeiten wirksamer daran gehindert wurde, sich zu befreien und dem Mann eine Konkurrentin zu werden. Weil er seine Größenträume und Macht leben durfte, mußte er nicht eifersüchtig werden.
Viertens schließlich hatte ich immer gedacht, daß der Mann das Wort ergreift. Im Hause, im Beruf, in der Wissenschaft, der Kunst, der Literatur und in der Politik – überall hörte ich Männer reden, während Frauen kaum zu Wort kamen. Nun merkte ich, daß der Mann gar nicht eigentlich kommunikativ ist. Den Austausch sucht eher die Frau. Der Mann schweigt, indem er nichts Wesentliches über sich, andere Personen und Beziehungen sagt, auf so raffinierte Weise, daß es niemandem auffällt. Im Laufe dieser Einsicht wurde mir klar, daß Kraftlosigkeit die Grundlage des männlichen Schweigens ist.
Diese männlichen Defizite werde ich beschreiben: Angewiesenheit auf die Frau, Frauensucht, Eifersucht auf die Frau, Schweigen und Kraftlosigkeit. Auf der anderen Seite die therapeutische Kraft der Frau. Weil sie ohne die Frau nicht leben können, weil sie sie bekämpfen, wenn diese Wahrheit ans Tageslicht zu gelangen droht, neigen Männer zu Masochismus und Gewalt.
Es gibt starke und gefühlvolle Männer und egoistische, diktatorische und harte Frauen. Auch ich habe bei Frauen schon ein erschreckendes Ausmaß an Verständnislosigkeit und Herrschaftsansprüchen erlebt. Viele bleiben treu, verwöhnen den Mann und werden depressiv. Sie bewundern gewalttätige Männer, wehren sich nicht und ermöglichen Akte der Ignoranz und Grausamkeit.
Aber abgesehen davon gelingt es doch fast jedem Mann, eine Partnerin zu finden, die ihn pflegt und tröstet. Eine Frau, die gerade ein wenig mehr an Kraft und Gemeinschaftsgefühl besitzt als er. Eine unbewußte und deshalb zuverlässige Partnerwahl erklärt das scheinbare Paradox. Hat er diese Frau gefunden, dann verstärkt der Mann seine Abhängigkeit von ihr, beutet sie aus und schweigt sie an. Ich denke, daß auch die Frau an sich arbeiten muß. Damit sie den Mann nicht nur am Leben erhält, sondern seine Entwicklung konsequent fordert. Die Welt braucht nicht die einseitige, sondern die konsequente Therapeutin des Mannes. Sie hat sie nicht, weil, die Frauen zu brav sind.
Allenthalten hebt man angeblich gesicherte Erkenntnisse hervor, tut zum Beispiel so, als sei durch die feministische Forschung schon vieles verbessert. Das ist ein Irrtum. Bücher und Diskussionen ändern an der Realität des Alltags wenig. Jeder Mann wird ein Leben lang an sich arbeiten müssen. Die unbefleckte Erkenntnis bewirkt nichts. Die eigentliche persönliche Arbeit scheinen alle zu scheuen. Darum sind unsere Welt, unsere Beziehungen und unsere Sprache verschmutzt. Um dem zu begegnen, müssen Männer sich erst einmal selbst kennenlernen.