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Tatjana Schönwälder-Kuntze

Philosophische Methoden zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Berlin
Dieter Thomä, St. Gallen

Junius Verlag GmbH

Stresemannstraße 375

22761 Hamburg
www.junius-verlag.de

© 2015 by Junius Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: Junius Verlag

E-Book-Ausgabe Januar 2019

ISBN 978-3-96060-081-7

Basierend auf Printausgabe

ISBN 978-3-88506-092-5

2., korr. Auflage 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zur Einführung …

… hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.

Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kompetent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä

Inhalt

0.Einleitung

1.Transzendentales Begründen

2.Dialektisches Rekonstruieren

3.Phänomenologisches Einklammern

4.Hermeneutisches Verstehen

5.Analytisches Verdeutlichen

6.Diskursives Ordnen

7.Dekonstruktives Fragen

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Über die Autorin

0. Einleitung

Es geschieht häufig, dass Studierende oder fachexterne Kollegen nach methodischen Unterschieden in der Philosophie fragen und danach, worin genau diese bestehen. Bespricht man dann diese Frage unter Kolleginnen, so bekommt man die einhellige Antwort, dass es selbstverständlich große Unterschiede gebe – und zwar sowohl historisch betrachtet als auch in der Gegenwart zwischen der ›analytischen‹ und der ›kontinentalen‹ Art und Weise zu philosophieren. Allerdings bereitet bei näherer Nachfrage die genauere Eingrenzung dessen, was nun die verschiedenen Arten des Philosophierens jeweils ausmacht und wie genau sie sich voneinander unterscheiden, einige Schwierigkeiten. Ja, eigentlich fangen die Schwierigkeiten bereits bei der Definition dessen an, was denn in der Philosophie ›Methode‹ eigentlich bedeutet. Denn zum einen gibt es die Auffassung, dass die Methode und der von ihr untersuchte Gegenstand grundsätzlich nichts miteinander zu tun haben; und zum anderen die Ansicht, dass die Methode ihren Gegenstand (mit-)konstituiert – es also einen erheblichen Unterschied macht, mit welcher Methode eine Analyse erfolgt. Auch die Orientierung an den Naturwissenschaften, die methodisch vom Ideal der situationslosen Wiederholbarkeit ausgehen, lässt Philosophen wie etwa Hans-Georg Gadamer (1900-2002) oder Jacques Derrida (1930-2004) nur unter größtem Vorbehalt von einer angemessenen philosophischen Methode sprechen. In Hinblick auf philosophische Methoden weicht also die anfängliche Gewissheit bei näherer Betrachtung einigen Unbestimmtheiten, die in jedem Fall eines deutlich machen: Die Frage nach der Methode ist nicht trivial, sondern selbst Gegenstand philosophischer Auseinandersetzungen – ja, sie scheint eine der wesentlichen Fundamente philosophischer Konzeptionen auszumachen.1

Definition: Was ist also eine philosophische ›Methode‹? Mit Methode, nach dem altgriechischen μεθοδος, zusammengesetzt aus μετα (~ nach) und οδος (~ Weg, Gang), wird im philosophischen Zusammenhang zunächst ein geregeltes Verfahren bezeichnet, das zu einem bestimmten Ziel führt. Bestimmt man das Ziel des Philosophierens als das Erkennen von Wahrheit(en) – etwa in Hinblick auf Naturgesetze, die Gesetze des Denkens, aber auch auf das gute Leben –, dann kommt der philosophischen Methode die Aufgabe zu, das Denken zu diesem Ziel zu führen, indem der richtige Weg gewiesen wird. Sich über philosophische Methoden Gedanken zu machen ist demnach eine Reflexion auf die Art und Weise, wie sich Erkenntnisse gewinnen lassen. Anders formuliert: Die Methode zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen bedeutet, darüber nachzudenken, was eine Abhandlung, eine Person bzw. das Denken ›tut‹, wenn sie bzw. es philosophiert, welche Schritte nacheinander gedanklich gegangen werden, wie welche Fragen gestellt und nach welchen Kriterien in Anbetracht ambivalenter Problemlagen entschieden wird. Zusammenfassend formuliert steht also nichts weniger infrage als die Art und Weise, wie das Denken zu seinen Einsichten und Erkenntnissen kommt. Kurz: Welcher Weg ist einzuschlagen, um zum Ziel zu kommen?

Wiederum klingt das zunächst recht einfach: Angenommen, diese und jene Voraussetzungen sind wahr oder treffen zu, dann können daraus auf diesem oder jenem Wege Schlüsse gezogen, d.h. ihnen inhärente Erkenntnisse offengelegt werden. Auf diese Weise lässt sich im Großen und Ganzen das Aufgabenfeld der (formalen) Logik seit Aristoteles (384/3–322/1) beschreiben, die so betrachtet korrekte Erkenntniswege zum Thema hat.2 Die Schwierigkeiten beginnen jedoch erneut, wenn man sich etwa klarmacht, dass die Prämissen (Voraussetzungen) selbst wiederum mit Begriffen formuliert werden, die einer Analyse bzw. Wahrheitsprüfung zu unterziehen wären, was auf weitere Prämissen verweist und so fort ad infinitum. Will man einen infiniten Regress vermeiden, stellt sich die Frage nach der angemessenen Methode schon um Einiges komplexer dar: Wie anfangen, sollen die Prämissen im wörtlichen Sinne nicht einfach gesetzt werden, sondern selbst als begründet, d.h. nicht willkürlich ausgewiesen werden? So ließe sich die abendländische Philosophiegeschichte auch als Antwort auf die Frage nach dem Anfang rekonstruieren – und damit immer auch nach dem methodischen Anfang, mit dem das Denken auf seinem Weg zur wahren Erkenntnis zu beginnen hat. Daher geht es bei der Methode nicht nur um den richtigen Weg, sondern immer auch um den richtigen Ausgangspunkt.

Der nur scheinbaren Spitzfindigkeiten noch nicht genug, stellt sich auch die nicht unerhebliche Frage danach, was eigentlich die einzelnen Bestandteile des Satzes bedeuten, der die vorausgesetzte Zielsetzung formuliert, Wahrheit(en) erkennen zu wollen. Nicht nur, weil es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Bedeutung ›Wahrheit‹ hat oder haben sollte, sondern auch, weil die jeweilige Antwort das Kriterium darstellt, was den richtigen Weg und den richtigen Ausgangspunkt ausmacht. Gehe ich davon aus, dass Wahrheit etwas ist, das nur die Sprache oder Begriffe betrifft, werde ich zu anderen richtigen Wegbeschreibungen kommen als unter der Annahme, dass Wahrheit in der Übereinstimmung von Denken und Realität liegt etc. Schließlich zeigen die beiden Alternativen, dass der richtige Weg auch etwas damit zu tun hat, welche Voraussetzungen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand gemacht werden: Wird vorausgesetzt, dass ewige, invariante Wahrheiten bzw. immerwährende Gesetzmäßigkeiten auffindbar sind, oder lassen sich ohnehin nur punktuelle Zusammenhänge, die auch kontingenter Art sein können, aufweisen? Wird das Seiende auf seine Eigenschaften, Anfänge und Gesetzmäßigkeiten unabhängig vom erkennenden Denken hin untersucht oder das Denken selbst, das solche Untersuchungen vornimmt und erkennt? Werden die beiden als voneinander abhängig oder gar konstitutiv füreinander angenommen, oder repräsentiert das eine bloß das andere – mittels Sprache? Der kurze Aufriss macht deutlich, dass die Frage nach der Methode nicht eine Teilfrage der Philosophie ist, sondern gewissermaßen das ganze Feld philosophischen Fragens eröffnet: Man steckt unmittelbar mittendrin im philosophischen Nachfragen, Klären, Begründen und Definieren, worum es auf welche Weise und warum in der Philosophie eigentlich geht.

Aber erfreulicherweise fängt niemand als Erster an, solche Fragen zu stellen, sodass alle an Antworten Interessierten auf einen reichen Schatz an bereits Gedachtem zurückgreifen können – das gilt nicht nur für die vorgeschlagenen Lösungen, sondern auch für die Wege dorthin. In diesem Sinne lässt sich das Philosophiestudium als die Möglichkeit verstehen, sich von Denkern und Denkerinnen aus der langen Tradition philosophischen Fragens und Antwortgebens einige auszuwählen, um von ihnen Philosophieren zu lernen, d.h. mit ihnen zusammen die Wege zu beschreiten, die sie gegangen sind. Und dies bedeutet, philosophisches Fragen und Denken im mimetischen Nachvollzug ihrer Methoden und Antworten unter ihren jeweiligen Fragestellungen und Prämissen kennenzulernen. Die Nachahmung bezieht sich dabei weniger auf das kopierende Wiedergeben der Resultate, indem die Antworten schlicht reproduziert werden, sondern auf die Art und Weise des Fragens, auf die theoretisierende Praxis, auf die schauende Haltung. Nachdenken muss dann wörtlich als Nach-Denken verstanden werden, als Nachvollzug der jeweiligen Denkwege unter der Frage: Was passiert dort? Oder: Wie wird da unter welchen Voraussetzungen gedacht? Das birgt natürlich die Gefahr, dass das eigene Denken transformiert wird, die eigenen Prämissen ins Wanken geraten, sich die eigenen Fragen verschieben und sich dadurch der Blick auf das, was der Fall ist, ändert. Möglicherweise ist das aber auch ein gewünschter Effekt des Philosophiestudiums.

Ideal wäre es natürlich, ließe sich all das nachdenken und wissen, was an Philosophischem bereits einmal gesagt bzw. geschrieben worden ist – realistischerweise lässt die begrenzte Lebenszeit hier leider nur Stückwerk zu. So bedauerlich das sein mag – Vollständigkeit ist vielleicht gar nicht notwendig: So erklärt etwa Immanuel Kant (1724–1804) die reine Masse an philosophischem Wissen nicht zum wesentlichen Aspekt der Philosophie. Stattdessen sieht er einen entscheidenden Unterschied zwischen einem subjektiv-historischen und einem objektiv-rationalen Lernenden der Philosophie. Der Erste kommt gar nicht gut weg. Kant nennt ihn »einen Gipsabdruck von einem lebenden Menschen«3, weil hier die Vernunft nur kopiert und nicht selbst denkt. Im Gegensatz zur konstruktiv erlernbaren Mathematik könne man »niemals aber Philosophie (es sei denn historisch), sondern, was die Vernunft betrifft, höchstens nur philosophieren lernen« (KrV A 837/B 866). Im Weiteren spricht Kant davon, dass die Strukturen des Denkens und Suchens – die allgemeinen Prinzipien der Vernunft – der Inhalt der Philosophie seien. Und diese Inhalte seien zwar aus einer historischen Perspektive erlernbar, stünden aber dennoch unter dem Vorbehalt des Rechts der Vernunft, sie zu verwerfen. Richtiges Philosophieren meint demnach eine Praxis, die durch den Nachvollzug der Denkwege anderer das Denken trainiert – immer auch unter dem Vorbehalt, den Weg oder den Ausgangspunkt infrage stellen zu dürfen. In diesem Sinne sei dieses Einführungsbuch verstanden: Es geht darum, dem principle of charity4 folgend in unterschiedliche Denkweisen und philosophischen Methoden der Moderne, d.h. im Anschluss an Kant, einzuführen, indem die Problemstellungen deutlich gemacht werden, auf die sie antworten. Das soll Lust auf mehr (Nach-)Denken machen, d.h. Lust darauf, die vorgestellten philosophischen Gebäude und deren ›Filialen‹ selbst zu erkunden, indem ein – nicht der einzige! – Zugang zu ihnen eröffnet wird.

Die Beschränkung auf (abendländische) philosophische Methoden der Moderne, mithin auf die letzten knapp 250 Jahre seit dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft 1781, hat mehrere Gründe. Keinesfalls lässt sie sich damit begründen, dass etwa ältere Methoden obsolet geworden wären – sondern vordringlich mit Platzrestriktionen. Neben diesem pragmatischen Grund gibt es aber auch einen systematischen, wenn man so will, genealogischen Grund: Die kritische Methode Kants, die die transzendentale Fragehaltung mit sich bringt, markiert in der Philosophie einen einschneidenden Wendepunkt in Bezug auf das Feld der Erkenntnisgewinnung. Zwar nimmt sie methodische Anleihen bei Aristoteles bis Descartes, indem sie deren Fragepraktiken transformativ aufnimmt. Dennoch wird hier eine neue Art reflexiver Selbstbefragung wie -legitimierung etabliert. Denn Kant lässt die Vernunft sich selbst befragen, sich selbst erkennen und sich selbst begründen – ohne dafür auf etwas anderes, etwa die göttliche Offenbarung, zurückzugreifen. Auch stellt er eine andere, neue Frage: nicht mehr die nach dem zureichenden Grund dafür, dass etwas wahr genannt werden kann, sondern die nach den dafür notwendigen Möglichkeitsbedingungen. Dies war und ist prägend wie stilbildend für weite Teile des modernen Denkens, das mit der Aufklärung verbunden wird. Deshalb kann man sagen, dass die Methoden nach Kants kritischer Wende – und hier sei ›nach‹ in einem dreifachen Sinne verstanden: chronologisch (zeitlich), mimetisch (nachahmend), transformativ (verändernd) – als affirmative, ausdifferenzierende, ergänzende, korrigierende und ablehnende Reaktionen auf den kantischen Weg gelesen werden können.

Aber natürlich hat sich auch das kantische Denken nicht ohne Bezug zu seiner Zeit entwickelt, sondern ist selbst ein Ereignis, das durch vorausgegangene (methodisch-)philosophische Reflexionen ermöglicht wurde. Kant selbst spricht davon, David Humes (1711–1776) Überlegungen zur Kausalität hätten seinen »dogmatischen Schlummer«5 unterbrochen, was sich unmittelbar an der Verschiebung seiner Fragestellung von hinreichenden Gründen zu notwendigen Bedingungen zeigt. Allerdings verschiebt er nicht nur die Frage, sondern zugleich das Untersuchungsobjekt, auf das die Frage Anwendung findet. Zweifelsfrei beruht dieser Zug auf einer anderen großen methodischen Verschiebung, die ihm vorausgeht: auf der bereits von Augustinus (354–430) und Thomas von Aquin (1224/5–1275) vorbereiteten, aber erst von René Descartes (1596–1650) methodisch verwendeten reflexiven Verschiebung, durch die sich das Denken auf sich selbst richtet, um Gewissheit zu erlangen. Descartes motiviert sie im Discours de la méthode pour bien conduire sa raison (1637) und zeichnet den durch Zweifel gekennzeichneten Weg dorthin in den Meditationes de prima philosophia (1641) nach. Freilich bleibt es nur bei der Gewissheit des »Ich denke, also bin ich«6 – alle anderen Erkenntnisse werden weiterhin durch den Rückgriff auf Gott gesichert. Aber Descartes bereitet so den Weg dafür, erfahrungsunabhängige Erkenntnis selbstreferenziell, d.h. für Kant aus reiner Vernunft, gewinnen zu können, den er in den drei Kritiken transformierend vollendet.7 Damit rücken das Denken und seine Prinzipien oder Gesetze selbst in den Fokus des philosophischen Interesses.

Historisch betrachtet beruhen die hier vorgestellten Methoden noch auf zwei weiteren großen methodischen Verschiebungen, die das Untersuchungsobjekt bzw. das untersuchte Feld betreffen: Nach der cartesisch-kantisch-reflexiven Wende kündigt sich die zweite große methodische Verschiebung zwar schon in Kants geschichtsphilosophischen, sogenannten Kleinen Schriften an, auch wenn sie erst durch G.W.F. Hegel (1770–1831) systematisch entfaltet wird. Denn Hegel erweitert die (scheinbar) erfahrungsunabhängige Selbstreferenz des Denkens von der Phänomenologie des Geistes (1807) bis zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1820) um die soziokulturell-historische Dimension des Werdens, die auch das Denken bzw. das vernünftige Bewusstsein und seine Gewissheiten betrifft. Diese beiden Verschiebungen, die Rückwendung des philosophischen Denkens auf das Denken selbst wie die historische Verortung aller Dimensionen des Denkens, markieren in groben Zügen die Situation der akademischen Philosophie am Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das bedeutet nicht, dass nicht auch an andere philosophische Traditionen weiterhin angeschlossen wurde. Aber es heißt, dass diese Verschiebungen die Art und Weise des Fragens wie auch die Diskussionen in der Philosophie maßgeblich gestaltet haben. Es waren methodische Einschnitte, die – vermutlich in der kontinentalen Tradition bis heute – darüber bestimmen, welche Fragen wenigstens immer auch gestellt werden müssen: die nach der reflexiven Begründung des eigenen Denkens, nach seiner historischen Situiertheit und damit nach dem (besonderen) Status der je eigenen Gegenwart überhaupt.

Die dritte Verschiebung schließlich gilt dem Medium Sprache, das teilweise rein instrumentell im Sinne von abbildend oder beschreibend, teilweise als konstitutiv oder selbst wirkmächtig aufgefasst wird. So zeichnet sich spätestens mit Gottlob Freges Über Sinn und Bedeutung (1892) und Bertrand Russells On denoting (1905) u.a. die bislang letzte große Verschiebung ab, die die Sprache in den Mittelpunkt philosophischer Analysen stellt.8 Diese letzte Verschiebung erweist sich bereits als Antwort auf neue philosophische Fragestellungen, die sich aus den ersten beiden Verschiebungen ergeben haben. Denn durch die Verortung sicherer Erkenntnis im ›transzendentalen Subjekt‹ Kants und durch dessen Historisierung seitens Hegels – aber ja auch etwa seitens Charles Darwins (1809–1882), dessen On the Origin of Species by Means of Natural Selection 1859 erscheint – stellt sich die philosophische Frage nach der Möglichkeit invarianter Gewissheiten immer drängender. Während Edmund Husserl (1859–1938) noch versucht, sie auf relativ klassische, d.h. kantische Weise über die Analyse des Phänomens Denken zu lösen, rückt Gottlob Frege (1848–1925) mit seiner Sprachanalyse ein anderes Objekt in den Fokus des Interesses an der Wahrheit: die Sprache in ihrer Funktion, adäquater Repräsentant von Wirklichkeit zu sein. Bei allen Differenzen und unter dem Vorbehalt, dass es Frege insbesondere um die logische Grundlegung der Mathematik ging, können doch die Angebote der beiden Zeitgenossen auch als methodische Versuche gelesen werden, historisierenden und psychologisierenden Auffassungen darüber, wie Wahrheit bestimmt werden kann – wenn überhaupt noch in einem ahistorischen Sinne –, im ausgehenden 19. Jahrhundert an der Schwelle zum 20. Jahrhundert einen fixen Kontrapunkt entgegenzusetzen bzw. diese Fragen nicht (mehr) oder nicht in der gleichen Weise zu stellen.

Die genannten Verschiebungen werden auch gerne ›turns‹ genannt: der letztgenannte wird etwa als linguistic turn bezeichnet, der, wenn man so will, eine Antwort auf den historical turn darstellt, der wiederum den transcendental turn erweitert und »immanent dynamisiert« hat.9 Keinesfalls bedeutet die Rede von den Wenden, dass die chronologisch nächste jeweils ihre Vorgängerin einfach abgelöst oder überwunden hätte. Denn auf ihre je eigene Weise sind alle gegenwärtigen Methoden Ausdruck der Episteme der Moderne, um es mit Foucault zu formulieren. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie das menschliche Denken zur (Selbst-) und Wahrheitsbegründung heranzieht – sei es durch die Analyse der Sprache und das teilweise damit verbundene Abbildungspotential, sei es durch die historische Situierung, die auch die Sprache und ihr Gestaltungspotential betrifft. Unter dieser Perspektive spannen die drei turns wie Achsen den Denkraum auf, in dem sich die hier versammelten philosophischen Methoden bewegen: So skizzieren die ersten zwei Kapitel Transzendentales Begründen und Dialektisches Rekonstruieren die transzendentale und die historisierende Verschiebung. Das dritte Kapitel Phänomenologisches Einklammern und die erste Hälfte des fünften Kapitels Analytisches Verdeutlichen (Frege) zeigen u.a. zwei unterschiedliche methodische Antworten auf die auch als Erschütterung wahrgenommene Historisierung des Denkens, seiner Grundüberzeugungen und seiner Welt. Beide Antworten blenden diese Dynamisierung gewissermaßen aus – wenn auch wie bereits angedeutet, in unterschiedlicher Weise. Der turn zur Sprache an der Schwelle des 20. Jahrhundert spannt somit die dritte Achse auf.

Im vierten Kapitel Hermeneutisches Verstehen wird der Versuch skizziert, der historischen Dimension in unserem Weltverständnis einen systematischen Platz im methodischen Weg zur Erkenntnis zu verschaffen. Der zweite Teil des fünften Kapitels Analytisches Verdeutlichen folgt mit Austin einer sprachanalytischen Entwicklung, die ebenfalls die situative Gebundenheit aller Sprachbedeutung in den Mittelpunkt rückt. Schließlich werden im sechsten und siebten Kapitel unter Diskursives Ordnen und Dekonstruktives Fragen zwei noch sehr junge Methoden vorgestellt, die beide auf ihre Art versuchen, das Zusammenspiel von Denken, Sprache und Realität mittels einer Analyse der historisch-variablen (philosophischen) Theoretisierungen zu begreifen. Dass hier die Chronologie – wie schon teilweise durch das vierte und fünfte Kapitel – gebrochen wird, ist dadurch begründet, dass die historisch-philosophische Diskursanalyse zwar die Prämissen modernen Denkens infrage stellt, diesem Denken aber aus der Perspektive der Dekonstruktion insgesamt verhaftet bleibt. Letztere ist radikaler in ihrem Anspruch – weshalb sie dieses Methodenbändchen abschließt.

Im Einzelnen orientiert sich der Aufbau der sieben Kapitel an der Problemstellung, d.h. an den Fragen, auf die mit dem methodischen Vorschlag geantwortet wird. Jedes der sieben Kapitel beginnt mit knappen philologischen Hinweisen zur Herkunft der namengebenden Adjektive sowie ggf. auf Verwendungen in anderen Zusammenhängen. Dann werden sowohl das theoretische Problem als auch die Relevanz und der Gewinn skizziert, die in der Erneuerung der Methode liegen. Dem folgen schlaglichtartige Hinweise zu näheren und weniger nahen Anschlüssen – wobei auch diese in einem dreifachen Sinne zu verstehen sind: chronologisch, mimetisch, transformativ. Die einzelnen Methoden werden hier weder kritisch diskutiert oder bewertet noch gegeneinander abgewogen bzw. aneinander gemessen – sie sollen vorgestellt werden und die Lust am Philosophieren stärken. Dafür werden, sofern eindeutig vorhanden, vor allem methodisch-programmatische Texte herangezogen: die Kritik der reinen Vernunft (1781/7), die Wissenschaft der Logik (1812) u.a., Funktion und Begriff (1891) und Über Sinn und Bedeutung (1892), Philosophie als strenge Wissenschaft (1911), Wahrheit und Methode (1960), How to do Things with Words (1962), L’ordre du discours (1970) u.a. sowie La voix et le phénomène (1967) und La différance (1968). Die Aufforderung an die Leser lautet durchgehend: Bei Interesse unbedingt alle Texte selber lesen! Denn nur im Nach- und Mitdenken kann das eigene Denken im Philosophieren trainiert werden.10

Die Auswahl der sieben Methoden beruht keineswegs auf der Überzeugung, es gäbe gegenwärtig nicht noch andere philosophische Methoden. Das Gewicht wird hier vor allem deshalb auf solche Methoden gelegt, die gemeinhin der kontinentalen Tradition zugerechnet werden, weil eine knappe, überblicksartige Einführung ein Desiderat darstellt. Auch ist das vielleicht zu bemängelnde Ungleichgewicht dem sachlichen Grund geschuldet, dass etwa an den deutsch-, englisch-, oder französischsprachigen philosophischen Instituten in der Regel obligatorische Einführungskurse in die (formale) Logik, zuweilen auch in die (angloamerikanisch geprägte) analytisch genannte Sprachphilosophie und in die an den Naturwissenschaften orientierte Wissenschaftstheorie angeboten werden, aber selten Einführungskurse in die hier vorgestellten philosophischen Methoden.11 Diese Lücke zu füllen ist ein Anliegen des vorliegenden Bandes. Ein weiteres Anliegen besteht darin, scheinbar unüberbrückbaren Differenzen ihren Platz zuzuweisen – denn oft sind die Differenzen kleiner als die Gemeinsamkeiten. Manchmal scheint es aber so, als müssten manche Anhängerinnen bestimmter ›Schulen‹ die Differenzen zur eigenen stabilen Identitätsbildung dennoch besonders hervorkehren. Darum geht es mir hier nicht. Deshalb wird trotz des Gebots einführender Kürze zum einen versucht, auch die Zusammenhänge zur Sprache zu bringen.

Zum anderen wird aber auch deutlich werden, dass die unterschiedlichen methodischen Zugangsweisen des 20. Jahrhunderts vielleicht nur eine einzige spezifische Differenz aufweisen: Während auf der einen Seite immer wieder gerade die eigenen, historisch bedingten Denkvoraussetzungen in kritischer Absicht infrage gestellt werden, findet auf der anderen Seite eine fulminante Ausdifferenzierung dieser Voraussetzungen statt. Der Fokus, so könnte man sagen, ist entweder (überwiegend) auf die den Veränderungen zugrunde liegenden Prämissen selbst gerichtet, oder (überwiegend) auf das, was aus ihnen – unter der Voraussetzung, dass sie zutreffen –, gefolgert werden kann, was innerhalb der von ihnen aufgespannten Räume denkbar ist und werden kann. Ich glaube nicht, dass diese immer auch methodische Entscheidung gute von schlechter oder richtige von falscher Philosophie unterscheidet. Im Gegenteil: Aus einer philosophisch-pragmatischen Perspektive ist das Aufdecken dessen, was das (einmal etablierte) Wissens- oder Wahrheitssystem zulässt, ebenso wissenswert wie die Befragung der systemrelevanten Prinzipien oder Überzeugungen selbst. Das philosophische Suchen und Forschen spielt hier auf verschiedenen Ebenen, die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Dazu ist das philosophische Nachdenken zu wertvoll.

Wertvoll und unbezahlbar ist auch die Hilfe meiner Kolleginnen und Freunde, die nicht nur das Projekt unterstützt, sondern auch das ganze Manuskript oder Teile davon in verschiedenen Fassungen kritisch gegengelesen und kommentiert haben. In diesem Sinne möchte ich mich sehr herzlich bei Heiner Alwart, Oliver Brokel, Claus Kerscher, Anne Koch, Karl-Georg Niebergall, Stephan Packard, Martin Rechenauer, Sergej Seitz und Anna Wieder für ihre aufmerksame Lektüre, ihr Mitdenken und ihre ausdauernde Unterstützung bedanken. Mein Dank gilt ebenfalls Steffen Herrmann für sein umsichtiges und geduldiges Lektorat und Julia, Jonas und Christian für ihr Dasein.

1. Transzendentales Begründen

Philologisches: Wer philosophiekundig ist, assoziiert mit dem Prädikat ›transzendental‹ vermutlich unmittelbar Immanuel Kant. Zumindest das verwandte Substantiv ist allerdings schon sehr viel älter, denn im Mittelalter taucht der Begriff ›Transzendentalien‹ als Synonym zu ›Transzendentien‹ auf. Als solches wird es z.B. von Thomas von Aquin (1225/6–1274) im erkenntnistheoretischen Zusammenhang gebraucht (Thomas v. Aquin 1986). Zu dieser Wortfamilie gehört auch ›Transzendenz‹ oder das ›Transzendente‹, womit jenes bezeichnet werden soll, das über das Irdische hinausgeht, das Weltjenseitige, dasjenige, welches die Welt überschreitet. Das beiden Begriffen zugrunde liegende lateinische Verb ›transcendere‹ heißt zunächst nichts anderes als ›überschreiten‹. Im Unterschied dazu bezeichnen die Transzendentalien die allgemeinsten Eigenschaften des Seienden, wie etwa, dass es ist, Ausdehnung hat oder dass ihm immer bestimmbare Qualitäten zukommen. Mit der Frage nach den Transzendentalien überschreitet man denkend konkrete Eigenschaften konkreter Gegenstände auf das Allgemeine hin. Das bedeutet, von der besonderen Ausgestaltung des Konkreten zu abstrahieren oder abzusehen, um stattdessen das Augenmerk auf die Wesensmerkmale des Seienden zu richten, die jedes Seiende aufweist.12

›Transzendental‹ bei Kant: Kant behält diese abstrahierende Bedeutung von ›transzendental‹ bei. Zugleich verändert er die Bedeutung, indem er den Anwendungsbereich verschiebt: Er bezeichnet mit ›transzendental‹ die allgemeinsten Denkfunktionen, die vorausgesetzt werden müssen, um unsere Wahrnehmung überhaupt möglich zu machen. Das bedeutet, dass auch hier von den konkreten Inhalten des Denkens abgesehen wird, indem diese auf das Allgemeine hin überschritten werden. Aber es bedeutet auch, bereits im ersten Schritt die Frage von den allgemeinen Eigenschaften der wahrgenommenen Gegenstände zu den allgemeinen Voraussetzungen der Wahrnehmung selbst zu verschieben. Denn Kants Hypothese lautet, dass »die Gegenstände […] sich nach unserer Erkenntnis richten [müssen]« (KrV B XVI). So sind es nicht mehr die allgemeinen Eigenschaften des Seins, sondern die Erkenntnisse über die Funktionen und Arbeitsweisen des Denkens selbst, die hier transzendental genannt werden: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.« (KrV B 25)

Transzendentale Erkenntnis: Erkenntnis ist hier in einem zweifachen Sinne zu verstehen: Einmal ist damit der erkennende, reflektierende Vorgang des (philosophischen) Untersuchens oder Forschens selbst gemeint. Und einmal sind die Ergebnisse dieser Reflexion gemeint, also all das, was sich über die Art und Weise, wie wir erkennen, wie wir Erfahrungen von Gegenständen machen können, herausfinden lässt. Somit darf ausschließlich denjenigen philosophischen Einsichten das Prädikat ›transzendentale Erkenntnis‹ zugeschrieben werden, die sich entweder auf die Tätigkeiten des Denkens selbst beziehen, durch die wir im weitesten Sinne etwas wahrnehmen, oder eben gerade auf den spezifischen Reflexionsvorgang, der dies untersucht. Das heißt, Kant bezeichnet mit ›transzendental‹ allgemein gültige Erkenntnisse über unseren Wahrnehmungsapparat, über die Ordnungsfunktionen und -elemente des Denkens – sowie alles Denken, das diese Erkenntnisse, und nur diese, liefert. Das philosophische Denken macht sich hier also selbst zum Gegenstand seiner Untersuchung. Es richtet sich reflexiv auf sich selbst, um die Frage zu beantworten, wie es Gegenstände denken bzw. erkennen kann – nicht ob und was es dabei spezifisch denkt. Eine Reflexion dieses Inhalts nennt Kant transzendentale Reflexion.

Transzendentale Methode: Uns geht es aber hier nicht primär um die Erkenntnisse, die sich in transzendentaler Reflexion gewinnen lassen, sondern um das, was vor allem die Neukantianer der Marburger Schule, wie etwa Hermann Cohen (1842–1918) oder Paul Natorp (1854–1924), als transzendentale Methode bezeichnet haben:13 den spezifischen Weg, der denkend beschritten wird, um zu den Erkenntnissen zu gelangen, die die Arten und Weisen des Erfahrungen machenden Denkens betreffen. Am Anfang dieses Weges steht die methodische Leitfrage: Was an dem, was wir wahrnehmen, ist allein dem ordnenden System des Denkens geschuldet? Anders formuliert: Welche Funktionen stellt das Denken bereit oder muss es wenigstens potentiell mitbringen, damit wir überhaupt Gegenstände so wahrnehmen können, wie wir sie wahrnehmen? Oder noch spezifischer: Was an unserem Denken lässt uns nicht nur Erfahrungen machen, sondern lässt möglicherweise sogar Gegenstände allererst als Gegenstände erscheinen? Mit Kant gesprochen: Welche apriorischen Bedingungen ermöglichen es uns, Erfahrungen zu machen, Veränderungen wahrzunehmen, kausale Zusammenhänge etc. festzustellen, Gegenstände als Gegenstände zu erkennen? Für Kant sind ein und dieselben Denkfunktionen dafür zuständig: »Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Nun behaupte ich: die eben angeführten Kategorien sind nichts anderes, als die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung, sowie Raum und Zeit die Bedingungen der Anschauung zu eben derselben enthalten.« (KrV A 111)

Die Klärung der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen erfolgt, metaphorisch gesprochen, über zwei Stufen, auf denen die gleiche methodische Leitfrage gestellt wird: Sind damit schon alle Möglichkeitsbedingungen oder Elemente gefunden, oder bedarf es doch noch weiterer Bedingungen? Methodisch geht Kant also von dem aus, was der Fall ist – wir machen denkend Erfahrungen –, um danach zu fragen, was genau unsere Art der Erfahrung möglich macht, was also notwendig vorausgesetzt oder angenommen werden muss, damit Wahrnehmung stattfinden kann. Auf der ersten Stufe nennt Kant die Notwendigkeit sinnlicher Eindrücke, die uns irgendwie berühren müssen, damit wir sie wahrnehmen können. Die Wahrnehmung erfolgt für Kant immer und ausschließlich in zwei grundlegenden Formen, in denen wir uns die Gegenstände präsentieren: räumlich und zeitlich. Im Anschluss untersucht er propositionale Sätze, also Urteile, die Aussagen über die Welt treffen, und fragt, welche Denkvorgänge einer Wahrnehmungserfahrung zugrunde liegen, die sich in einem Urteil wie »Dort liegt ein Ball« ausdrückt.

Transzendentalen DeduktionIchDie synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Synthesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde