3Elizabeth Anderson
Private Regierung
Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden)
Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann
Suhrkamp
von Stephen Macedo
Die zwei Vorlesungen, die das Herzstück dieses Bandes bilden, fordern ein radikales Überdenken des Verhältnisses zwischen privaten Unternehmen und der Freiheit und Würde von Arbeitnehmern. Sie beschreiben – mit großzügigen, lebhaften Pinselstrichen – einen jahrhundertelangen Niedergang der Fortschrittsideologie des freien Marktes. Sie vertreten den Standpunkt, dass es seit der Zeit des englischen Bürgerkriegs in der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zu Abraham Lincoln zweihundert Jahre später gute Gründe für einen Optimismus gab, den freien Märkten die Fähigkeit zuzutrauen, die Gleichheit von Status und Ansehen zu fördern. Dieser Optimismus ist – mit der industriellen Revolution und aus Gründen, die noch erörtert werden – einem Pessimismus hinsichtlich der größer werdenden Ungleichheit und der Herrschaft am Arbeitsplatz gewichen. Da die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Selbständigkeit massiv zurückgingen, hatten die Arbeiter weniger Alternativen zu der willkürlichen und nicht rechenschaftspflichtigen Autorität von Managern. Der Umfang dieser Autorität ist außerordentlich groß, er macht die Arbeitnehmer anfällig dafür, wegen ihres Redens oder Verhaltens entlassen zu werden, selbst wenn beides weit entfernt vom Arbeitsplatz erfolgt. Das heutige Denken über den freien Markt – unter Forschenden, Intellektuellen und Politikern – deutet die Bedingungen für die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des privaten Sektors völlig falsch 8und ist blind für das Ausmaß an Willkür und nicht rechenschaftspflichtiger Macht, dem die Beschäftigten in diesem Sektor ausgesetzt sind.
Wie es dazu kommen konnte, ist das Thema von Elizabeth Andersons wichtigen und zeitgemäßen Tanner Lectures on Human Values, die sie Anfang des Jahres 2014 an der Princeton University gehalten hat. Anderson gehört mit ihren sehr einflussreichen Büchern Values in Ethics and Economics (1993) und The Imperative of Integration (2010) zu den führenden politischen Philosophen weltweit. Unter ihren vielen Aufsätzen bewirkte der bahnbrechende Text »What Is the Point of Equality?« (1999) bei den Sozialphilosophen einen Wechsel der Aufmerksamkeit, die sich nunmehr nicht allein auf die Ungleichheiten der materiellen Verteilung, sondern auch auf die Gleichheit in sozialen Beziehungen konzentrierte. Elizabeth Anderson befasst sich seit langem mit Fragen der sozialen Gleichheit bezogen auf Autorität, Ansehen und Status, die auch hier im Mittelpunkt stehen.
Den zwei Vorlesungen folgen vier pointierte Kommentare von herausragenden Wissenschaftlern, die sich auf ihre Kenntnisse der Geschichte, Literatur, politischen Theorie, Wirtschaftswissenschaft und Philosophie stützen und deren ursprüngliche Texte hier zur Veröffentlichung noch einmal überarbeitet wurden. Der Band endet mit einer Erwiderung Andersons auf die Einwände ihrer Kritiker. Diese Einleitung bietet im Folgenden eine kurze Übersicht über jeden dieser Beiträge.
In ihrer ersten Vorlesung argumentiert Elizabeth Anderson, dass die politischen und ökonomischen Theorien des freien Marktes – die heute mit den Libertaristen und der politischen Rechten verbunden werden – ur9sprünglich Teil einer egalitaristischen und fortschrittlichen Agenda waren: Von den Levellers im England des 17. Jahrhunderts bis zum amerikanischen Bürgerkrieg wurde die »Marktgesellschaft« häufig »als eine Gesellschaft von Gleichen« verstanden. Anderson skizziert kompetent die wichtigsten Stationen des Egalitarismus des freien Marktes in der frühen Neuzeit, wobei sie unter anderen die Levellers, John Locke, Adam Smith und Thomas Paine in den Mittelpunkt rückt. Die ökonomischen Freiheiten und freien Märkte waren den sozialen Hierarchien in Wirtschaft, Politik, Religion, Gesellschaft und Familie entgegengesetzt. Anderson fasst diesen Punkt so zusammen:
Die Bekämpfung von Wirtschaftsmonopolen gehörte zu einer umfassenderen Agenda des Abbaus von Monopolen in allen Lebensbereichen der Gesellschaft: Nicht bloß die Gilden, sondern auch Monopole der Kirche und der Presse, die Monopolisierung des Stimmrechts durch die Reichen und die Monopolisierung der Macht in der Familie durch Männer gehörten aufgelöst. Indem man die Monopole beseitigt, würden weit mehr Menschen in der Lage sein, persönliche Unabhängigkeit zu erlangen und Männer und Frauen ohne Herren zu werden.
Erst im 19. Jahrhundert löste sich das Denken des freien Marktes aus seinen frühen egalitaristischen Verankerungen und bewegte sich allmählich davon weg. Die Denker des freien Marktes betrachteten Paine zufolge den Staat zunehmend als eine Instanz, die ihre Macht im Namen von Sonderinteressen missbraucht. Der andere Grund war die industrielle Revolution.
Im 17. und im 18. Jahrhundert gingen Denker wie der Leveller John Lilburne und der große politische Öko10nom Adam Smith davon aus, dass freie Männer, die auf freien Märkten tätig wären, entweder unabhängige Handwerker, Kaufleute oder Teilhaber kleiner herstellender Betriebe sein würden. Die »Nadel-Fabrik«, mit der Adam Smith die Arbeitsteilung veranschaulichte, hatte zehn Mitarbeiter. Thomas Paine und die amerikanischen Gründer, die sowohl die wirtschaftliche wie die politische Freiheit vorzogen, nahmen an, dass die große Masse der Bevölkerung wirtschaftlich selbständig sein würde. Im Amerika des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts »waren die Löhne des freien Marktes hoch« aufgrund eines »chronischen Mangels an Arbeitskräften« und die »Selbständigkeit war eine jederzeit verfügbare Option für fast alle« weißen Männer. Es ergab deshalb Sinn, ökonomische Freiheit, freie Märkte und Unabhängigkeit gleichzusetzen.
Die marktfreundlichen Egalitaristen vom alten Schlag waren darüber hinaus weit davon entfernt, in ihren politischen Vorschlägen doktrinäre Libertaristen zu sein. Viele befürworteten wie Smith und Paine eine staatliche Bildung. Paine schlug »das System einer allgemeinen Sozialversicherung vor, in dem Altersrenten, Hinterbliebenenversorgung und Invaliditätshilfen für Familien vorgesehen waren, deren Mitglieder nicht arbeiten konnten«, und empfahl zudem ein allgemeines System von Teilhaberstipendien.
Zusammenfassend stellt Anderson zum Egalitarismus des freien Marktes vom 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fest:
Die größte Hoffnung von Adam Smith – eine Hoffnung, die auch radikale Arbeitervertreter von den Levellers bis zu den Chartisten, von Paine bis Lincoln teilten – war, dass die Freigabe der Märkte die Reihen der wirtschaft11lich Selbständigen enorm erweitern würde, die somit ihre Begabung und ihre Urteilsfähigkeit unabhängig von den sie gängelnden Chefs bei der Beherrschung ihrer eigenen produktiven Tätigkeiten einsetzen könnten.
Die industrielle Revolution führte zu tiefgreifenden Veränderungen, die die Annahmen, auf denen der Egalitarismus des freien Marktes beruht hatte, ins Wanken brachten. »In Sachen Wirtschaftlichkeit wurden die kleinen Unternehmen von den ökonomischen Skaleneffekten in der Industrie geradezu überrollt« und »die Chancen für Selbständigkeit gingen drastisch zurück«. Damit »verbreiterte sich die Kluft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im herstellenden Gewerbe dramatisch«, und zusätzlich »vervielfachten sich die Ränge in der Firmenhierarchie«. Die einschneidenden Veränderungen, welche die industrielle Revolution für die meisten Arbeiter mit sich brachte, und das sich daraus ergebende Missverhältnis zwischen der Theorie des freien Marktes und der Realität, erzeugten »ein symbiotisches Verhältnis zwischen Libertarismus und Autoritarismus, das unsere politischen Diskurse bis zum heutigen Tag wie Mehltau überzieht«, sagt Anderson.
In ihrer zweiten Vorlesung trägt Anderson ihre zentrale und fesselnde These vor, wonach der moderne Industriebetrieb auf ein System der willkürlichen und rechenschaftsfreien »privaten Regierung« und »Diktatur« hinausläuft:
Die Mehrzahl der Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten wird im Arbeitsleben von kommunistischen Diktaturen regiert. Diese Diktaturen haben gewöhnlich die gesetzliche Autorität, das außerdienstliche Leben ihrer Arbeiter ebenfalls zu regeln – ihre politischen Aktivitäten, sprachlichen Äußerungen, Wahl des Sexualpartners, 12Gebrauch von Freizeitdrogen, Alkohol, Rauchen und Sport. Da die meisten Arbeitgeber diese Autorität über die Freizeit unregelmäßig, willkürlich und unangekündigt in Anspruch nehmen, ist vielen Arbeitnehmern gar nicht bewusst, wie umfassend sie ist. […] Nur etwa die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genießt bei ihren außerdienstlichen sprachlichen Äußerungen wenigstens einen teilweisen Schutz vor Einmischung des Arbeitgebers.
Anderson vertritt die Auffassung, dass private Regierung dann existiert, wenn Menschen in einigen Bereichen ihres Lebens Autoritäten unterworfen sind, die sie herumkommandieren und bei Missachtung der Anweisungen mit Sanktionen belegen können. Am Arbeitsplatz haben regierende Autoritäten außerdem willkürliche und rechenschaftsfreie Macht über die Arbeitnehmer. Libertaristen, Ökonomen und Politiker des freien Marktes setzen »Freiheit« fälschlicherweise mit Privatwirtschaft gleich und ignorieren die Realität, dass die Beschäftigung in großen Firmen für die meisten Angestellten die Unterwerfung unter eine Willkürmacht mit sich bringt, die über ihr Arbeitsleben hinausreicht. Anderson besteht darauf, dass die meisten Amerikaner und viele andere das Wesen von Freiheit und deren Gegenteil, Herrschaft und Diktatur, vollkommen falsch verstehen. So wie die Sicherheit des Privateigentums von einem starken Staat abhängt, gilt dies auch für viele Formen der Freiheit.
Aktuelle Unternehmenstheorien warten mit Erklärungen dafür auf, weshalb große Wirtschaftsbetriebe existieren und weshalb sie aus Autoritätshierarchien bestehen. Wie Anderson feststellt, sind »effiziente Arbeitsverträge […] notwendig unvollständig«, denn Manager müssen einen Ermessensspielraum haben, um die Tätig13keiten der Arbeitnehmer zu koordinieren. Diese Theorien erklären jedoch nicht den Umfang der Autorität, welche die Arbeitgeber über das Leben ihrer Angestellten ausüben können. »Beim Arbeitsverhältnis-auf-Widerruf treten die Arbeiter für die Dauer ihrer Beschäftigung unterm Strich alle ihre Rechte an die Arbeitgeber ab; eine Ausnahme bilden nur jene Rechte, die ihnen per Gesetz ausdrücklich zugesichert sind.« Das führt dann zu einer weiteren Konsequenz: »Die Autorität von Arbeitgebern über Arbeitnehmer ist außerhalb von Tarifverhandlungen und abgesehen von ein paar anderen Kontexten […] umfassend, willkürlich und rechenschaftsfrei – sie kann weder zum Gegenstand von Beschwerden noch von Rechtsmittelverfahren gemacht werden.« Die Kontrolle am Arbeitsplatz »ist eine Form privater Regierung«, die durch das Recht verbürgt ist.
Arbeitnehmer können selbstverständlich kündigen, wenn sie die Bedingungen ihrer Beschäftigung ablehnen. Aber die Kosten des Ausscheidens sind für viele von ihnen außerordentlich hoch. Wenn man die Autorität der Arbeitgeber über die Arbeitnehmer leugnet, weil diese schließlich die Freiheit der Abwanderung haben, sei das so, »als sage man, Mussolini sei kein Diktator gewesen, denn die Italiener hätten doch auswandern können«, schreibt Anderson. Denker und Politikerinnen, die dem Libertarismus zuneigen, sind blind für die wahre Natur des Beschäftigungsverhältnisses, weil sie implizit Annahmen übertragen, die nur vor der industriellen Revolution galten, als wirtschaftliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit für die meisten Arbeiter noch im Rahmen des Möglichen lagen.
Anderson beendet ihre Anklage des heutigen Denkens über den freien Markt mit dem Zugeständnis, dass den privaten Regierungen in der Wirtschaft ein Großteil 14der unmittelbaren Zwangsgewalt fehlt, über die wirkliche Staaten verfügen, und dass sie oft Abstand davon nehmen, ihre Macht über das Leben der Arbeitnehmer ungemindert auszuüben – speziell dann, wenn es sich um höher bezahlte und besonders qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen handelt. Gleichwohl bleibt die Tatsache, dass »die Verfassung der Regierung am betrieblichen Arbeitsplatz sowohl willkürlich als auch diktatorisch ist«, und sie »wird nicht von der Effizienz oder der Vertragsfreiheit vorgeschrieben, sondern geht vielmehr auf das Konto des Staates«.
Anderson schlägt zum Schluss eine Vielzahl von Möglichkeiten vor, den Arbeitnehmerschutz vor willkürlicher Behandlung zu erhöhen, darunter verbesserte Rechte der Abwanderung, eine Grundrechtecharta für Arbeitnehmer und mehr »Mitsprache« durch eine stärkere Unterstützung von Gewerkschaften und Tarifverhandlungen seitens des Gesetzgebers. Und was am wichtigsten ist: Unsere öffentlichen Diskurse sollten die Realität der Unterwerfung von Arbeitnehmern unter die willkürliche private Regierung am betrieblichen Arbeitsplatz anerkennen und Wege erforschen, die Abhilfe schaffen.
Die erste unserer vier Kommentatoren, Ann Hughes, ist eine führende Historikerin für das frühneuzeitliche England und den englischen Bürgerkrieg sowie Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Keele University im Vereinigten Königreich. Hughes würdigt Andersons Einsatz von historischem Material »als eine Schatzkammer der Vorstellungkraft« und »als ein Vermächtnis für die Gegenwart« als beispielhaft. Sie hebt hervor, dass sich die fortschrittlichen Kräfte in Großbritannien und anderen Ländern neuerdings auf die Levellers berufen, verweist aber auch auf eine »dunklere« und komplexere Sicht des 17. Jahrhunderts in England. Zum 15einen betont sie, dass die Wirkungen der sich entfaltenden Marktordnung mannigfaltig waren und alles andere als durchweg positiv ausfielen: Ungleichheit und soziale Polarisierung nahmen zu und nicht unerhebliche Anteile der Bevölkerung waren gelegentlich oder sogar häufig auf öffentliche Hilfe angewiesen.
Hughes unterstreicht zudem, dass die Levellers nach unseren Maßstäben bei weitem nicht radikal egalitaristisch waren. Viele unter ihnen schlossen Bettler, aber auch Dienstboten und Lehrlinge sowie Frauen vom Wahlrecht aus. Die Idee des freien Marktes war nicht grundlegend für die Levellers, meint Hughes, sondern war etwas, das sich »aus anderen Elementen des sozialen Lebens herleitete«, und sie erklärt, dass »die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Marktbeziehungen – lange vor der industriellen Revolution – bereits weniger segensreich waren, als es Adam Smith oder Elizabeth Anderson glauben«.
Die Markbeziehungen selbst waren kompliziert, weil sie von den sozialen Phänomenen des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit abhingen, und die Marktprinzipien wurden von einem »Sinn für kollektiven und gemeinschaftlichen Aktivismus« sowie von der Achtung angestammter Rechte gemäßigt. Schließlich betont Hughes, dass sich die Levellers ungebrochen auf eine Konzeption stützten, wonach die »Gesellschaft aus Haushalten mit männlichem Vorstand gebildet sei, mit den Frauen als zwar geschätzten, aber doch untergeordneten Beteiligten«, was Thesen über den frühneuzeitlichen Egalitarismus noch komplizierter macht.
David Bromwich, Sterling Professor für Englisch an der Yale University und Autor vieler Werke zur Politik, politischen Theorie und Geschichte, stellt die Frage, wie der Optimismus des 17. Jahrhunderts im Hinblick auf 16die ökonomische Freiheit und die Marktgesellschaft dem Pessimismus weichen konnte, den Anderson beschreibt. Er ist wie Anderson der Meinung, dass die »politische Theorie nicht am Werkstor haltmachen sollte«, bezweifelt allerdings, dass die Idee der Marktfreiheit, wie sie von Adam Smith und anderen entwickelt wurde, jemals eine ausreichende Basis für politische Freiheit und demokratische Gleichheit geliefert hat. Bromwich argumentiert, dass Smith der Auffassung war, das »Eigeninteresse« würde sich »langfristig zum Wohl der Gesellschaft auswirken«, und zwar »fast unabhängig vom Willen« der gesellschaftlichen und politischen Akteure. Er gibt zu bedenken, dass »Thomas Paine – ein durch und durch radikaler Demokrat – in eine andere Geschichte gehören könnte«: Paine glaubte an Märkte, doch seine Vision »war im Wesentlichen politisch und nur in zweiter Linie ökonomisch«.
Bromwich stimmt Adam Smith darin zu, dass die Ausweitung des Marktes das Wohlstandsniveau aller, auch der Ärmsten, anhebt. Es könne sich sogar herausstellen, dass, wie Smith prahlte, »ein arbeitsamer und sparsamer Landmann« in der kommerziell geprägten Gesellschaft »Annehmlichkeiten« genießen könne, die diejenigen »so manchen afrikanischen Königs, der unumschränkter Herr über Leib und Leben zehntausend nackter Wilder ist«, bei weitem übersteigt. Und doch hat, so lautet die Feststellung Bromwichs, »der afrikanische König […] Macht, und mit dieser Macht geht eine Furchtlosigkeit vor Verelendung einher, die dem europäischen Bauern versagt ist«. Er sieht die Gefahr, dass Anderson »den Unterschied zwischen politischer Macht und Gleichheit auf dem Markt« unterschätzt.
Bromwich äußert am Ende Bedenken angesichts einer Welt, in der alles – einschließlich der Arbeit selbst – 17zur Ware wird. Er macht sich Gedanken über den Preis, den die Menschen angesichts der Verdrängung traditioneller Gesellschaften durch den Markt zu zahlen haben, und zitiert in diesem Zusammenhang Oliver Goldsmith, der schon 1770 erkannt habe, dass der Handel das Leben entwurzele und alte Berufe überflüssig mache. Und mittels eines Zitats von Karl Polanyi, geschrieben 170 Jahre nach Goldsmith, verdeutlicht Bromwich seine Besorgnis wegen der Warenförmigkeit von Mensch und Natur, die immer umfassender geworden sei. Er ist Anderson dankbar für die Ermutigung, »noch einmal genauer über die Theorien der Gleichheit und Freiheit in der frühen Neuzeit nachzudenken, die unsere eigene Marktgesellschaft zwar rationalisieren, aber nicht rechtfertigen«.
Unser dritter Kommentator, der Philosoph Niko Kolodny, äußert zunächst Sympathie für Andersons Entscheidung, ihr Hauptaugenmerk auf die sozialen Beziehungen der Ungleichheit am Arbeitsplatz zu richten – die »quasipolitischen Beziehungen der ›Regierung‹ zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten innerhalb der Firma«. Aber er fragt, was genau an diesem Machtverhältnis es sei, das uns »beunruhigt«, und »welche alternativen sozialen Regelungen uns, wenn auch nur dem Prinzip nach, das Unbehagen nehmen könnten«.
Ein Teil des Problems bestehe darin, argumentiert Kolodny, dass das Management von Wirtschaftsunternehmen zwar häufig einen gewissen Ermessensspielraum braucht, die daraus resultierende Macht über die Beschäftigten jedoch für ungerechtfertigte Absichten genutzt werden kann, die jeder ökonomischen Grundlage entbehren. Zudem könnten wir es selbst dann anstößig finden, nach dem Gutdünken des Chefs regiert zu werden, wenn dies nur für gerechtfertigte Zwecke geschieht, sagt Kolodny. Wie ist das zu erklären? Ist es so, dass per18sonale Herrschaft stets schlimmer ist als die Herrschaft allgemeiner Gesetze? Kolodny bezweifelt, dass dies der springende Punkt ist. Die Märkte sind unberechenbar und verlangen Flexibilität, Gesetze dagegen werden von Menschen gemacht und angewendet. Der grundlegende Unterschied zwischen Arbeitsplätzen und politischer Herrschaft ist der, dass in einer Demokratie durch Abgeordnete regiert wird, die den Bürgern gegenüber als Gleiche rechenschaftspflichtig sind: Niemand ist anderen untergeordnet. In einer Demokratie haben die Bürgerinnen und Bürger bezogen auf ihre Regierung untereinander einen symmetrischen Standpunkt, und sie haben die gleiche Möglichkeit, die Regierenden verantwortlich zu machen. Am Arbeitsplatz hingegen können die Chefs ihre Macht missbrauchen und selbst dann, wenn sie es nicht tun, üben sie eine nicht rechenschaftspflichtige Macht über die Arbeitnehmer aus, so dass diese notwendigerweise untergeordnet sind.
Aber wie problematisch ist die Unterordnung am Arbeitsplatz eigentlich, fragt Kolodny in seinen Schlussüberlegungen. Ist sie gleichbedeutend mit politischer Unterordnung? Drei Gründe sprechen dagegen. Erstens ist es im Allgemeinen leichter, einen Arbeitsplatz zu verlassen als sein Land; die Kosten der Abwanderung sind geringer. Zweitens ist die Wahl des Orts, an dem wir arbeiten, in höherem Maße mit unserer Einwilligung verbunden als die Zugehörigkeit zu dem Land, in dem wir leben. Und schließlich ist Autorität und Kontrolle am Arbeitsplatz letzten Endes dann doch Gegenstand der politischen Herrschaft und wird somit »von einem Standpunkt der [demokratischen] Gleichheit aus kontrolliert«. Wie sehr sollen wir uns also davon beunruhigen lassen, dass »unsere Rechte als Beschäftigte nicht mit unseren Rechten als Bürger vergleichbar sind«? Kolodny riskiert 19es nicht, darauf eine Antwort zugeben, unterstreicht jedoch die Bedeutung dieser Fragen.
Als Letzter übt Tyler Cowen, ein Ökonom und Publizist, umfassende Kritik an Andersons Thesen zum Ausmaß der Beherrschung von Arbeitnehmern an den heutigen Arbeitsplätzen. Er bestreitet – aus theoretischen und aus empirischen Gründen – die Genauigkeit einer Beschreibung, die private Wirtschaftsunternehmen als »kommunistische Diktaturen in unserer Mitte« bezeichnet. Er zweifelt daran, dass die Kosten der Abwanderung für Arbeiter so hoch sind, wie Anderson behauptet, und er stellt in Frage, dass einzelne Firmen viel »monopsonistische« Macht über ihre Beschäftigten haben. Er vermutet ganz im Gegenteil, dass nicht die Unfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die Stagnation der Löhne das größere Problem sein könnte, weil so viele Beschäftigte an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz festhalten – an ihren Kollegen und verschiedenen Vergünstigungen. Sogar Firmen mit der Macht eines Monopsons über die Arbeitnehmer stellen sich anscheinend oft auf die »Präferenzen« ein, die die Beschäftigten hinsichtlich der »Jobqualität« haben. Insbesondere die großen Unternehmen bezahlen den Arbeitern mehr als üblich und verhalten sich generell eher fürsorglich, was die Würde und Diversität ihrer Arbeiter betrifft: zum einen, um den guten Ruf der Firma zu wahren, zum anderen aber auch, um fähiges Personal anzuziehen und zu halten.
Cowen vermerkt außerdem, dass dann, wenn Unternehmen die Aktivitäten »außerhalb des Arbeitsplatzes« überwachen, sie dies meist deshalb tun, weil sie die Würde und »die Freiheit der anderen Beschäftigten« schützen wollen – zum Beispiel vor rassistischen oder sexistischen Posts auf Facebook. Tatsächlich profitierten Kollegen 20und Kunden ganz erheblich davon, wenn Kündigungen allein im Ermessen der Chefs liegen, und obgleich es zweifellos Fälle von Missbrauch gibt, zieht Cowen deren starke Verbreitung in Zweifel.
Cowen betont in seinem Fazit, dass jede Ausgestaltung der Leitung und Kontrolle von Beschäftigten praktische Kompromisse beinhaltet, und bedauert, dass Anderson diese in ihren Alternativvorschlägen zum gegenwärtigen Modell nicht ausreichend berücksichtigt hat. Er denkt, grob gesagt, Anderson übertreibe den derzeitigen Missbrauch managerialer Befugnisse am Arbeitsplatz und spiele das Ausmaß herunter, in dem die kapitalistischen Arbeitsplätze von heute »wichtige Quellen der menschlichen Würde und Erfüllung sind«.
Anderson liefert in ihrer weit ausgreifenden Replik einige Klarstellungen zu ihrer These und reagiert mit einer energischen Erwiderung auf ihre Kritiker.
In der Antwort auf Hughes und Bromwich bekräftigt sie, dass die Marktgesellschaft manchen Arbeitern schon vor der industriellen Revolution schadete. Ihr Hauptinteresse gilt allerdings der sich herausschälenden »Ideologie des freien Marktes«, die von den Levellers bis hin zu Lincoln entwickelt wurde. Sie bestreitet, dass jene frühen Denker des freien Marktes, darunter Adam Smith, so verstanden werden können, als wollten sie unsere kommerziell geprägte Gesellschaft rechtfertigen. Anderson besteht darauf, dass »die industrielle Revolution das Modell, für das die frühen Egalitaristen eintraten und das dafür stand, wie eine Marktgesellschaft mit den geeigneten Reformen die Arbeiter befreien könnte, entschieden untergrub«. Und sie stellt fest: »Während die frühen Denker kaum dafür verantwortlich zu machen sind, dass sie ihre Hoffnungen in ein Ideal setzten, das durch unvorhersehbare Veränderungen zerstört wurde, 21ist seinen heutigen Verkäufern durchaus anzulasten, dieses Ideal in einer Welt zu verbreiten, die nicht im entferntesten von ihm beschrieben wird – weder aktuell noch künftig.«
In der Antwort auf Kolodny gibt Anderson zu, dass die hierarchische Organisation am betrieblichen Arbeitsplatz unverzichtbar ist, besteht aber darauf, dass die Hierarchie nicht die Art von willkürlicher und rechenschaftsfreier Autorität rechtfertigt, über die Manager verfügen. Sich in wichtigen Aspekten seines Lebens autonom betätigen zu können, sagt Anderson, ist »ein elementares menschliches Bedürfnis«. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten stärker mitbestimmen können, wie ihre Arbeitsplätze organisiert sind, selbst wenn »die vollständige Demokratisierung des Arbeitsplatzes« nicht machbar sei, so ihr Standpunkt.
In der Auseinandersetzung mit Cowen gesteht Anderson zu, dass »Kosten und Nutzen alternativer Verfassungen für den betrieblichen Arbeitsplatz« selbstverständlich gegeneinander abgewogen werden müssen, behauptet jedoch unbeirrt, dass der Verstoß gegen Arbeitnehmerfreiheiten viel weiter verbreitet ist, als Cowen dies zugibt. Speziell am unteren Ende der Arbeitsplatzhierarchie, unter den geringer qualifizierten Arbeitern, sind Verstöße gang und gäbe und umfassen Lohndiebstahl, willkürlich festgesetzte Arbeitszeiten und sexuelle Belästigung. Sie sind empirisch belegbar, auch wenn die »akademische Forschung zum Thema Arbeit als marginal eingestuft und daher unterfinanziert ist«. Das grundsätzliche Problem ist nach Anderson, dass »das Maß an Respekt, Status und Autonomie«, welches den Arbeitnehmern gewährt wird, »ungefähr proportional zu ihrem Marktwert ist«. Zum Schluss verteidigt sie gegen Cowen, dass die Abwanderungsrechte von Arbeitneh22mern nicht ausreichen, um ihnen ihre elementare »Würde und Autonomie« zu sichern; sie benötigen auch »Mitsprache« oder »ein Stück weit Autonomie bei Entscheidungen, die ihren Arbeitsplatz betreffen«.
Dieser beeindruckende Band und die Erkenntnisse und Debatten, die hier versammelt sind, werfen ein neues Licht auf Macht und Gerechtigkeit am Arbeitsplatz – Fragen, die im Leben von fast allen Menschen von Bedeutung sind, aber viel zu selten untersucht werden.
Beginnen wir mit ein paar Fakten dazu, wie die Arbeitgeber heute ihre Angestellten kontrollieren. Walmart verbietet seinen Beschäftigten, während der Arbeit flüchtige Bemerkungen auszutauschen, und nennt dies »Zeitdiebstahl«.1 Apple inspiziert die persönlichen Gegenstände seiner Angestellten im Einzelhandel, die dadurch jeden Tag bis zu einer halben Stunde unbezahlter Zeit verlieren, während sie in der Schlange darauf warten, durchsucht zu werden.2 Tyson hindert die Arbeiter in seinen Geflügelfabriken daran, die Toiletten aufzusuchen. Einige waren gezwungen, sich einzunässen, während sie von den Aufsehern verspottet wurden.3 Etwa die Hälfte aller Beschäftigten in den USA sind von ihren Arbeitgebern schon einmal anlasslos auf Drogen getestet worden.4 Millionen werden von ihren Arbeitgebern unter Druck gesetzt, bestimmte politische Anliegen oder Kandidaten zu unterstützen.5
Wenn uns die US-Regierung solche Vorschriften machen würde, hätten wir längst zu Recht dagegen protestiert, dass unsere verfassungsmäßigen Rechte verletzt werden. Doch amerikanische Arbeiterinnen haben keine derartigen Rechte gegenüber ihren Bossen. Schon wer sich bloß gegen solche Zwänge ausspricht, riskiert seine Entlassung. Deshalb schweigen die meisten Betroffenen.
Der öffentliche Diskurs in den USA schweigt sich ebenfalls weitgehend über die Vorschriften aus, die Arbeitgeber ihren Beschäftigten machen. Wir haben die 26Sprache der Fairness und der Verteilungsgerechtigkeit, um über Niedriglöhne und unzureichende Sozialleistungen zu diskutieren. Wir verstehen es, über die Kampagne »Fight for $ 15« zu sprechen, gleichgültig auf welcher Seite wir bei dieser Frage stehen. Aber wenn es darum geht, auf welche Weise die Chefs das Leben ihrer Untergebenen beherrschen, fehlen uns die richtigen Worte.
Stattdessen reden wir so, als ob Arbeitnehmer von ihren Vorgesetzten nicht beherrscht werden. Man erzählt uns, dass uns unregulierte Märkte frei machen und dass allein der Staat unsere Freiheiten bedroht. Man erzählt uns, dass alle Transaktionen auf dem Markt freiwillig stattfinden. Man erzählt uns, dass alle Arbeitnehmer unter ihrem Arbeitsvertrag völlig frei sind, weil sie ihn freiwillig eingehen und aus freien Stücken wieder verlassen können – dass die Bosse nicht mehr Autorität über die Arbeiter haben als Kunden über ihren Gemüsehändler.
Aktivistinnen der Arbeiterbewegung argumentieren seit langem, dass dies falsch ist. Auf gewöhnlichen Märkten kann ein Verkäufer die angebotenen Produkte an einen Abnehmer verkaufen und sobald der Vorgang abgeschlossen ist, geht jeder für sich so frei seiner Wege wie zuvor. Arbeitsmärkte sind anders. Sobald Arbeitnehmer ihre Arbeit an einen Arbeitgeber verkaufen, händigen sie sich selbst dem Boss aus, dem es dann gestattet ist, sie herumzukommandieren. Anstatt den Verkäufer wieder frei davonziehen zu lassen, unterstellt der Arbeitsvertrag den Verkäufer der Arbeit der Autorität seines Chefs. Seit dem Niedergang der Arbeiterbewegung haben wir jedoch keine wirkungsvollen Formen mehr, über diesen Sachverhalt zu sprechen und somit auch darüber, welche Art von Autorität Vorgesetzte über ihre Untergebenen haben sollten und welche nicht.
27Zwei Fragen möchte ich im Folgenden beantworten. Erstens: Warum reden wir so, als ob Arbeitnehmer bei der Arbeit frei sind und als ob die einzigen Gefahren für unsere individuelle Freiheit vom Staat ausgehen? Zweitens: Wie sähe ein Rahmen aus, in dem sich besser darüber reden ließe, wie die Arbeitgeber das Leben von Arbeitnehmern einschränken, so dass sich dann auch eine Diskussion darüber führen ließe, wie man Arbeitsplätze so gestalten kann, dass sie den Interessen der Arbeitnehmer mehr entgegenkommen?
Mein Schwerpunkt liegt in beiden Abhandlungen auf der Ideologie. Eine Ideologie ist ein abstraktes Modell, das man verwendet, um sich die soziale Welt vorzustellen und mit ihr beziehungsweise in ihr zurechtzukommen. Ideologien vereinfachen die Welt und übergehen dabei viele ihrer charakteristischen Eigenschaften. Eine Ideologie ist gut, wenn sie uns dabei hilft, uns in der Welt zurechtzufinden. Um uns zu helfen, muss sie die normativ bedeutsamen Eigenschaften der Welt und die wesentlichen kausalen Verknüpfungen zwischen diesen Eigenschaften identifizieren, so dass wir auf sie einwirken können, was uns Menschen letztlich befähigt, wirksame Mittel zur Umsetzung unserer Ziele zu finden. Ideologien helfen uns auch dabei, unseren laufenden Beurteilungen der Welt eine Richtung zu geben, indem sie hervorheben, was wir an dieser Welt bereits für gut oder schlecht halten. Schließlich sind sie auch ein Vehikel für unsere Hoffnungen und Träume. Ein Modell kann Probleme in unserer gegenwärtigen Welt aufdecken, kann aber auch die Ursachen solcher Probleme erkennbar machen, so dass wir eine bessere Welt schaffen könnten, wenn diese Ursachen beseitigt oder bekämpft würden. Mit anderen Worten: Ideologien haben die Funktion von Idealen, da sie uns die Welt nicht nur darstellen, wie sie 28ist, sondern auch, wie sie erfreulicherweise sein könnte, wenn bestimmte Maßnahmen ergriffen würden.
Bislang habe ich erklärt, was Ideologien im nicht pejorativen Sinne des Wortes sind. Wir können schwerlich ohne sie auskommen. Durch unsere persönliche Erfahrung haben wir nur mit einem kleinen Ausschnitt der Welt Kontakt. Um eine umfassendere Beurteilung und Planung zu ermöglichen, müssen wir Aspekte der Welt, die wir nicht unmittelbar erfahren, in irgendeiner Weise zur Darstellung bringen, repräsentieren. Und selbst den Teil, mit dem wir Erfahrungen gesammelt haben, filtern wir durch unsere Ideologien, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was solche Erfahrungen bedeuten. Wir müssen vereinfachen, damit wir uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren können.
Diese Tatsachen über unsere kognitiven Beschränkungen lassen die Gefahr aufkommen, dass unsere Modelle von der Welt im pejorativen Sinne des Wortes ideologisch sind. Dies kommt dann vor, wenn unsere Ideologien problematische Eigenschaften der Welt ausblenden oder diese Eigenschaften in ein irreführend positives Licht setzen, wenn ihnen die normativen Konzepte fehlen, die nötig sind, um das erkennbar zu machen, was an den Eigenschaften problematisch ist, oder sie den Raum der Möglichkeiten falsch darstellen, um bessere Optionen, die Mittel zu deren Realisierung oder deren Vorzüge im Dunkeln zu lassen. Natürlich kann kein Modell alle normativ relevanten Eigenschaften der Welt erfassen. Wenn es nur verhältnismäßig unbedeutende, zufällige und idiosynkratische Eigenschaften außer Acht lässt, sollten wir Nachsicht walten lassen. Wenn diese Eigenschaften aber strukturell so in die soziale Welt eingebettet sind, dass sie die Interessen bestimmbarer Gruppen auf ernste oder unberechtigte Weise systematisch unter29graben, müssen wir unser Modell überarbeiten, um solche Eigenschaften zu berücksichtigen, und müssen herausfinden, mit welchen Mitteln sie sich ändern lassen. Das ist dann umso schwieriger, wenn den Interessen derer, die den öffentlichen Diskurs dominieren, mit der herrschenden Ideologie bereits gut gedient ist.
In Kapitel 1 beantworte ich meine erste Frage – warum wir so reden, als ob Arbeiter bei der Arbeit frei seien –, indem ich mich in die Geschichte der Ideologie des freien Marktes vertiefe. Ich argumentiere, dass viele den Markt befürwortende Denker ursprünglich für die Freiheitsinteressen der Arbeiter empfänglich waren. Sie hatten Gründe zu glauben, dass freie Märkte den Arbeitern helfen würden, insofern sie diese aus ihrer Unterordnung unter die Arbeitgeber und andere mächtige Organisationen befreien würden. Sie setzten ihre Hoffnungen in ein Modell, mit dem die Vorhersage verbunden war, dass die Freigabe der Märkte insgesamt die Arbeitsmärkte zu unbedeutenden Erscheinungen einer Welt machen würde, in der die meisten Erwachsenen – jedenfalls so sie männlich waren – wirtschaftlich selbständig wären. Die industrielle Revolution zerstörte diese Hoffnungen, nicht jedoch die Idee der Marktgesellschaft, auf der diese Hoffnungen ruhten. Das Ergebnis ist, dass wir bis heute mit einem Modell unserer Welt arbeiten, das die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in der sich das Arbeitsleben der meisten von uns abspielt, ausspart.
In Kapitel 2 korrigiere ich dieses Defizit, indem ich einen Weg aufzeige, wie wir verstehen und erörtern können, von welcher Art genau diese Beziehung ist: Es ist eine Form von Regierung, in der die Chefs die Arbeiter regieren. Die meisten Regierungen der Betriebe in den Vereinigten Staaten sind Diktaturen, in denen Bosse auf 30beherrschenprivate Regierung
Ich möchte der Princeton University für die Einladung danken, die Tanner Lectures on Human Values für das Jahr 2015 zu halten, und der Tanner Lectures Gesellschaft für die Unterstützung meiner Arbeit. Don Herzog las die erste Fassung meiner Vorlesungen und lieferte sehr hilfreiche Kommentare dazu, die es mir ermöglichten, den Texten für den Vortrag den letzten Schliff zu geben. Meine Kommentatoren David Bromwich, Tyler Cowen, Ann Hughes und Niko Kolodny sowie zwei anonyme Prüfer für die Princeton University Press steuerten ausgezeichnete Überlegungen bei, mit deren Hilfe ich meine Ideen schärfen konnte und sie für eine breite Leserschaft klarer ausarbeiten konnte. Alex Gourevitch, Stephen Macedo und mein Lektor Rob Tem31pio gaben ebenfalls hilfreiche Anregungen. Dafür, dass sie alle so wunderbare Gesprächspartner waren, gilt ihnen mein Dank.