Albert Ostermaier
Über die Lippen
Gedichte
Suhrkamp
»Jede Figur ist nichts anderes als der Stoff einer Dichtung, wie in der Epoche der Romantik – der Zeit, in der jeder Brocken einer Sprache der Liebe, der einem in den Sinn kam, sofort Lust auf einen Vers, das Verlangen nach einem Gedicht weckte.«
Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe
abhängigkeit
abwesenheit
allein
anbetungswürdig
angst
askese
atopos
auswege
begegnung
beiläufigkeiten
bejahung
berührungen
betretenheit
bild
brief
dämonen
drama
eifersucht
einbezogen
einverständnis
entstellung
entwertung
entwirklichung
erfüllung
erwachen
erwartung
exil
fading
fehler
fest
gedenken
gradiva
habenwollen
hautlos
herz
hingerissenheit
ich-liebe-dich
identifizierung
induktion
katastrophe
klatsch
kleidung
körper
lästig
liebeserklärung
magie
mitleid
mittelsperson
monströs
nachklang
nacht
objekte
obszön
redseligkeit
schreiben
schweifen
sehnen
selbstmord
so
stummheit
szene
umarmung
umschreiben
unbegreiflich
unerträglich
verausgabung
verbergen
vereinigung
verhalten
vermisst
verrückt
verstehen
wahrheit
warum
weinen
wolken
zärtlichkeit
zeichen
zueignung
zugrundegehen
es gibt nicht den geringsten
grund warum ich das sein muss
du erniedrigst mich und ich
überhöhe dich am boden
meiner lächerlichkeit seh ich
auf zu dir und lass mich
auslachen freiwillige ab
hängigkeit der schönste
zustand und wie wäre der
möglich ohne liebe ich
bin heiser wenn ich spreche
laut genug für mich allein
unmündig die stolpersätze
verwirrt in den worten ein
knoten den nur du zerschlagen
kannst mich in die zwei hälften die
wir sind wo bist du wer
sagt dir dass du herabsinkst
zu mir wem folgst du dem
ich folgen muss kontakt
blockieren
nie bist du mir so nah wie wenn
du nicht da bist bin ich verlassen
ich halte die luft an du willst dich
davonmachen aber ich lass dich
nicht raus ich ersticke du bist luft
für mich schrei ich in den leeren
spiegel und schon bist du weg
und ich ring nach dir nach atem
von deinen lippen über die ich
komme wärst du da ein wort
von dir mein name auf der
zunge du hast ihn vergessen
als du gingst wohin ich
dir nicht folgen kann weil
ich bleibe geblieben bin
bleiben werde ein vergessenes
versprechen mich genauso zu
lieben wie ich dich wenigstens
so zu tun als ob du mir nicht
den kopf unter wasser drückst
die luftblasen zählst bevor sie
an der oberfläche platzen die
wahrheit
mein herz liegt auf deinen
lippen spricht in zungen
wenn ich zwischen ihnen
schweige schlägt es sein sos
hinab in deine brust so
das echo meiner augen die
ich beim sprechen schliesse
deinen mund halte mit blicken
mit einem fuss draussen sein
ist kein reden habe mich
verrannt in dich in deine stille
du hast hand an mein
leben gelegt ich steh auf
der schwelle zwischen zwei
worten was uns
trennte von der welt die wir
uns waren veränderbar
der notstand ich hänge an
einem komma bin für dich
über alle zeilen gesprungen
aus dem fenster ins gesicht
hast du mir die wahrheit
gesagt mit der du schliefst
während ich wach lag
anschlag um anschlag
ein schlag auf mein herz das
schwarz von deinen buch
staben und meiner tinte triefte
jetzt bleibt mir nur das
löschpapier
ich bete dich an meine worte
zu müde es zu erklären leer
liegen sie nackt in der sonne
geblendet wenn ich die augen
öffne ein stich rote kreise
die wunde das wunderbare ich
vergesse was ist und werde
eine erinnerung an dich das
leuchten deines körpers in
den falten meiner gedanken
ich geh aufs ganze dich nie
könnte ich sagen was ich am
meisten liebe dein schlüssel
bein die kuppe deines fingers
das löschen des lichts für
die helligkeit der hände
ich habe keinen begriff von
dir für dich nur ein stammeln
du bist du selbst und ich
ausser frage das ja
warum sagt es mir keiner
hab keine angst mehr
du hast sie schon
verloren die stimme
in mir ausser atem
zurück ins hotel allein
durch den geschmolzenen
schnee das kalte zimmer
der heizkörper weiss ich
bekomme keine luft
der staub im teppich das
fenster das sich nur einen
spalt breit öffnen lässt
die geräusche nebenan
bist das du auf dem flur
die schritte der schlüssel
im schloss eingeschlossen
warte ich ungeduldig und
will die geduld verlieren
mit dir das leben die asche
fällt in das wasserglas ich
zittre warum weil ein
schiffbrüchiger angst hat
auf hoher see selbst wenn
sie still ist dieses verfluchte
licht gegenüber du wirst
nicht zurückkommen ich
höre zu rauchen auf wenn du
es tust verspreche ich dem
leeren stuhl am morgen