Alle Linkevorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisenAbdrucks und der elektronischen Wiedergabe.© 2016Wörterseh Verlag, GockhausenIllustrationen: Frank Baumann, Gockhausen Lektoratund Korrektorat: Andrea Leuthold,Zürich Umschlaggestaltung:Thomas Jarzina, Holzkirchen Layout, Satz undherstellerische Betreuung: Beate Simson, Pfaffenhofen a. d. Roth Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrint ISBN 978-3-03763-066-2 E-Book ISBN 978-3-03763-595-7www.woerterseh.chEin Leerfeld für Leerer!Rechte
Für Stefan Zimmermann. Und für Leon, Mia,Noah, Lina, Dominik, Rapunzel,Eden, Elena, David, Leonie, Leandro, Julia,Maximilian, Levin, Nepomuk, Alina, Nico, Daniela, Lara, Dario,Naomi, Jan, Andrea, Daniel, Timothy, Elin, Emma, Ben, Adam, Fabio, Jonas, Catiana, Hannah, Felix, Anna, Tim, Kai, Arlet, Lena, Lilly, Emily, Laura, Julian, Axel, Ayla, Momo, Marie, Tom, Leo, Clara, Michael, Oliver,Petra, Franz, Melanie, Yvonne, Sven,Tabea, Pascal, Toni, Bo, Dora, Simon, Nadine, Timo, Zoe, Amelie,Selina, Jannis , Andreas, Sophie, Margrit, Sandra, Christa, Anne, Martin, Priska, Joelle, Finn,Viola, Florian, Marc, Elia, Jasmin, Christian, Evelyne, Nadja, Claudia, Sebastian, Jaelle, Tobias, Alexandra, Janina, Nils, Katja, Fabian, Sarah, Paul,Valentina, George, Charlotte, Beat, Rolf, Elvira,Pia, Henry, Laurin, Eleonora, Ella, Sina, Heidi, Blanca, Billy, Jannik, Désirée, Rosa, Markus, Jake, Hermine, Gabriel, Renzo, Eva, Astrid, Hans, Philipp, Elisabeth,Samantha, Alice, Sepp,William,Barbara, Louis, Aaron, Carl,Linard, Anita, Eugen, Beate, Mona, Roman, Maya,Elke, Vera, Rosmarie, Eileene, Ruedi, Jakob, Aletha, Mirjam, Ivan, Lars, Kurt, Susanna, Xenia, Zachary, Leila, Will, Lisa, Livia,Anton, Otto, Doris, Eliane, Jamie,Diego, Michelle, Yves, Ursula, Reno, Mara, Manuel, Kathrin, Niklaus, Caroline, Ruth, Ueli, Temo, Nicole, Matthias,Angela, Luca, Peter,Valentin,Paula,Christoph, Tanja, Fritz, Richard, Nathalie, Claude, Kate, Gian, Johanna,Justus, Noel, Andre,Xavier,Noemi, Jana, Walter, Andrin, Jeanette, Sue, Carlos, Rafael,Rahel, Urs,Joel, Viktoria, Roger,Chiara,Alessia, Nathan,Alexis, Alessandro, Martha, Quirin, Nicolas,Romina, Samuel, Martina, Fred, Bianca, Alain, Jacqueline,Tiago, Brigitte, Milo, Etienne, Franziska, Carla, Severin, Simone, Rebecca, Marius, Damaris, Amanda, Manuela, Claudio, Vanessa, Konradund alle anderen Schüler dieser Welt.
8tern tönt es auch nicht unbedingt besser: »Hirni, Hohlkopf, Blödmann, Dummbeutel, Dödel, Idiot, Trottel, Vollkoffer«. Dabei bin ich keineswegs ein Depp. Ich bin intelligent und vernünftig ohne Ende (okay, das war jetzt ein bisschen übertrieben), und meine Schulnoten sind (leider) erstklassig, was mich in den Augen meiner Mitschüler zu einem Streber macht. Das bin ich aber gar nicht. Ehrenwort!Ich hatte so grosse Hoffnungen auf den Wechsel von der Primarschule ins Gymnasium. Eine völlig neu zu-sammengesetzte Klasse versprachgrosse Chancen auf Freundschaften und Begegnungen. Aber irgendwie bin ich in wenigen Wochen in der Beliebtheitsskala wieder ganz, ganz unten angelangt.Ich bin schon wieder ein Aussenseiter.Eine Randfigur.Und ich kann nichts dafür. Echt nicht.Richtig heisse ich Johnny Janser.Das sagt schon alles. Dir nicht? JANSER?Ich buchstabiere: Jott, A, Enn, Ess, E, Err.Was, Janser kennst du nicht?Ey, das ist eine Sensation und für mich ein absoluter Glücksfall, denn dann hast du ja auch keine Vorurteile.Also: Meine Mutter ist Jasmin Janser, die Volksmusik-sängerin. Ihr bekanntester Hit: »Die Berge und du«.
10 Genauso erfolgreich war das Lied »Abendrot zum Abendbrot«. Oder »Der Rosenprinz aus Linz«. Ihre Lie-der sind eingängig, einfach, ohrwurmig. Sie krallen sich wie Zecken im Gehörgang fest, wo sie den Menschen dann über Stunden verfolgen. Ach, was sag ich: über Tage und Wochen, über Monate und Jahre, eigentlich für immer! Die Melodien kriegst du nie mehr aus dem Kopf. Ich sage, das geht schon in Richtung Folter.Aber es kommt noch schlimmer, denn meine Mutter singt nicht nur, nein, sie kann auch jodeln. Und sie tut es auch. Leider. Und leider gern. Und oft.Wenn sie wenigstens Rockmusikerin oder Rapperin wäre … Aber nein, sie singt und jodelt.Im Dirndl.Herz-und-Schmerz-Musik.Voll peinlich.Aber nicht genug. Mein Vaterist unser Mathelehrer: Jakob Janser. Und Lehrer, das weisst du ja, Lehrer ist kein Beruf, sondern ein beängstigender Krankheits-befund. Deshalb wird es auch immer so still, wenn ein Lehrer irgendwo aufkreuzt: Man hat Angst, sich anzustecken!Hast du jetzt schon Mitleid?Okay, es gibt aber noch mehr, was mich auf die Verlie-rerseite drängt.
12Ich bin unsportlich. Und zwar aktiv und passiv. Welcher Fussballer in welcher Fussballmannschaft und in wel-chem Fussballstadion hinterwelchem Fussball hinter-herrennt, ist mir piepegal, das interessiertmich nichtdie Bohne. Und ich behaupte jetzt einfach mal, wenn sie jedem Spieler einen Ball geben würden, müssten die sich auch weniger streiten, und es gäbe automatisch weniger Fouls. Und das Gleiche gilt für alle Ballsport-arten. Ich meine, beim Autorennsport funktioniert das ja auch: Da hat jeder sein eigenes Auto, und alle sind zufrieden.Hm, das war jetzt ein Scherz, aber ich glaube wirklich, dass man seine Energie auch anders einsetzen kann, als sich körperlich zu verausgaben.Ich spiele zum Beispiel Klavier. Laut und schnell. Das ist auch eine Art Sport, nur dass meine Schulkollegen das nicht verstehen. Immerhin spiele ich nicht Geige. Connyspielt Geige, und alle spotten darüber. Spielst du Geige, freuen sich ja bekanntlich nicht nur die Nachbarn, son-dern auch die Eltern, wenn du nicht übst. Vreni spielt Flöte. Auch nicht gerade der Bringer.(Kennst du übrigens den Unterschied zwischen einer Flöte und einer Geige? – Die Geige brennt länger!)An dieser Stelle sollten wir auch über mein Aussehen reden. Mein rechtes Ohr steht ab, und das nicht nur ein
13bisschen, sondern in einem Winkel von 63 Grad, wie die Ärzte herausgefunden haben. 63 Grad sieht zwar schräg aus – aber 90 Grad wären schlimmer. Als kleines Kind sah ich aus wie eine Kaffeetasse mit zwei Henkeln. Eine Operation hat das linke Ohr zwar wieder einiger-massen normalisiert, aber das rechte sträubte sich erfolgreich gegen jede Art von Behandlung, bis meine Mutter beschloss aufzugeben, weil ich nur noch von Arzt zu Arzt geschickt wurde.Jetzt habe icheinfach angefangen, dieHaare etwas länger wachsen zu lassen, um den Makel zu kaschie-ren. Leider fallen mir nun aber dauernd Haarsträhnen ins Gesicht, weshalb sich die Angewohnheit entwickelt hat, dass ich sie mir ständig hinters Ohr streiche. Mein Vaternervt sich wahnsinnig darüber und meinte schon, ich hätte einen nichttherapierbaren patholo-gischen Haarehintersohrstreich-Tick. Lehrer werfen ja gern mit Fremdwörtern um sich – aber soweit ich ver-standen habe, hatdas Adjektiv »pathologisch« nicht viel mit dem wunderschönen Substantiv »Taschen-geld erhöhung« zu tun.Dass ich eine Brille trage, ist – spätestens seit Harry Potter – kein grosses Thema mehr. Man könnte bei mir immerhin von einem »hohen Wiedererkennungswert«reden, um mal Dieter Bohlens Sprache zu verwenden.Aber ihr seht schon: Alles ist nicht halb so easy, wie es
15sein müsste. Meine Mutter meinte, ich stecke grad in einem biorhythmischen Tief. Keine Ahnung, was das ist, aber wahrscheinlich hat sie recht. Es ist manchmal halt schon ein wenig depprimierend, wenn man mit dabei ist, aber nicht dazugehört. (Ja, ja, ich weiss, das könnte man auch richtig schreiben; aber solangeman mir Depp sagt, hatdepprimierend für mich zwei p!)Nun zum positiven Teil meiner Biografie: Meine Eltern sind mit mir zufrieden. Ich nehme keine Drogen, rauche und trinke nicht, hänge nicht mit komischen Leuten ab, fluche (fast) nicht, habe wie gesagt gute Schulnoten und bin der beste Klavierschüler meines Jahrgangs.Ich bin total pflegeleicht.Ich bin sozusagen ein Musterknabe.Unfreiwillig.Denn eigentlich würde ich schon gern eine Wildsau sein und mit coolenLeuten abhängen.Beispielsweise mit Sara Super. Auch so ein Spitzname. Aber offensichtlich ein rundum positiver. Sara ist näm-lich wirklich ein Vollflash. Sie ist gross, schlank, hat langes, seidig glänzendes, rotblondes Haar, und sie hat schon Busen. Auch positiv. Sara ist ein Eye- Candy. Man munkelt sogar, sie hätte schon Sex gehabt. Ich meine, so richtig, nicht bloss knutschen und anfassen oder so. Zumindest sieht sie so aus. Mir würde sie
17so etwas natürlich nie erzählen, denn sie redet gar nicht erst mit mir. Sie gehört halt zu den Coolen, zu den Hang-Loosern.Der Ausdruck kommt von den Wellenreitern auf Ha-waii. Und die, die sind richtigcool. Die begrüssen sich mit einer Geste, die man auch oft bei den Hip-Hoppern sieht: Die Hand ist zu einer Faust geballt, und der kleine Finger und der Daumen sind voll abgespreizt. Dieses Handzeichen soll vom Hawaiianer Kalili Hamana stam-men, dem an einer Hand die mittleren drei Finger fehl-ten. Dass sie ihm von einem Hai abgeknabbert wurden, ist kaum wahrscheinlich. Denn, das weiss jeder: Gibt man einem Hai den kleinen Finger, dann frisst er gleich die ganze Hand. Und wenn der Arm nicht mehr dran ist, ist man arm dran!Jetzt bin ich abgeschweift. Das passiert mir oft. Ich wollte von meinen coolen Klassenkameraden erzählen, die mich so schnarchig finden.Nehmen wir Tim Tabak. Tim raucht und trinkt, hat schon fleissig Joints ausprobiert, er hat die Jeans mit den gröss-ten Löchern, und seine Haare sind ein wilder Haufen quirliger Locken. Seine Frisur sieht ein bisschen aus wie eine explodierteSchüssel Spaghetti bolo. Er besitzt eine elektrische Gitarre, spieltaber total mies, um nichtzu sagen beschhhheiden! Wenn man ihn nicht sehen
19könnte und nur den kreischenden Lärm hören würde,den er veranstaltet, wenn er wie ein Wahnsinniger über die Stahlsaiten seiner Fender-Stratocaster-Kopie schrammt, alshätten sie ihm etwas zuleide getan, also dann würde man eher vermuten, dass er mit einer elek-trischen Diamant-Trennscheibe einen Panzerschrank aufzusägen versucht. Viel zu viel Verzerrer und Hall!Tim Tabak scheint nicht zu wissen, dass es auch für die Gitarre Noten gibt und dass man, um dieses Instrument spielen zu können, üben muss, so wie für jedes andere halt auch. Ausser vielleicht für Luftgitarre, das ginge bei Tim ohne Lernen, da hätte er vermutlich sogar gute Chancen, ein Star zu werden, denn ein professionelles Auftreten hat er ja. Seine Bewegungen sind voll der Hammer. Neulich habe ich mir auf Youtube die Clips von den »20th Air Guitar World Championships« in Finnland reingezogen. Hart krass! Musst du unbedingt mal spotten. Luftgitarren-Weltmeister wurde dort zum ersten Mal ein Russe: Kereel »Your Daddy« Blumen-krants. Er ist der lebende Beweis dafür, dass man Ritalin nicht rauchen sollte. Aber eben, Luftgitarre ist für Tim Tabak keine Option, denn er will nicht nur gesehen, sondern auch gehörtwerden.Deutlich.Unbedingt.Und vor allem laut!
20Ich bin sicher, er hat schon längst einen schweren Tinni-tus, ein chronisches Dauerpfeifen in den Ohren. Aber eben: Auch Tim redet nicht mit mir, weil ich halt nicht zu den Hang-Loosern, zu den Pausenplatz-Surfern, ge-höre. Er macht sich höchstens über mich lustig; also über meine Mutter.Auch Georg Gepard ignoriert mich. Er wurde nach dem schnellsten Raubtier der Welt benannt, weil er selber so unglaublich schnell ist. Hast du gewusst, dass ein Gepard eine Geschwindigkeit von 110 Kilometern pro Stunde erreichen kann? Allerdings nur für 800 Meter oder so, dann lässt auch der schnelle Gepard nach. Georg dagegen ist zwar nicht sooo schnell, aber er hält länger durch, wahrscheinlich weil er so viel Ovomaltine trinkt. Und er ist sportlich. Und beweglich. Und kräftig. Er war sogar schon auf dem Matterhorn! Ja, weil sein Onkel ein Walliser Bergführer ist. Aber den Rekord hat er doch nichtgeschafft: Der jüngsteMatterhornbestei-ger war der achtjährige Kevin Lauber, der Sohn des Wirts der Hörnlihütte. Dieser Zug ist also bereits abge-fahren. Immerhin könnte Georg versuchen, eines Tages als ältester Matterhornbezwinger in die Geschichte ein-zugehen. Da liegt der Rekord bei Ulrich Inderbinen. Der legendäre Bergführer war 371 Mal auf dem 4478 Meter hohen Gipfel, das letzte Mal mit 89. Hier mitzuhalten,
22das wäre sicher auch für Georg Gepard eine echte He-rausforderung. Aber auch ohne Rekorde hat er meine volle Bewunderung.Vielleicht bin ich nicht ganz normal, dass mich genau die Mitschüler am meisten interessieren, die nichts von mir wissen wollen. Und ich weiss ja eigentlich auch, dass man nicht unbedingt überall dazugehören muss. Ich will auch nicht überall dazugehören. Aber tatsäch-lich ist es so – und das ist mir bisher in jeder Klasse aufgefallen –, dass jeweils nur eine kleine Gruppe von Schülern entscheidet, wer dabei ist und wer nicht, wer in ist und wer out. Sie bilden das Zentrum des Klassen-universums, sindquasi die Sonne,um die sich die rest-lichen Schüler wie Planeten drehen. Klar, man kann sich auch ausserhalb dieses Systems bewegen oder gar ein eigenes aufbauen, aber das ist nicht dasselbe, es ist irgendwie wie kalter Kaffee.Gut, ich mag überhaupt keinen Kaffee, auch keinen heissen, aber würde ich welchen mögen, dann sicher nicht kalten. Kalter Kaffee ist nicht das Gelbe vom Ei, das weiss ich von meiner Mutter, die allein schon ein riesiges Drama veranstaltet, wenn man ihr lauwarmen Kaffee vorsetzt. Kalter Kaffee ist also nichts. Bei Eis-kaffee sieht das wieder anders aus, da ist meine Mutter wesentlich weniger heikel. Den liebt sie. Vielleicht ja
23auch, weil kalter Kaffee schön machen soll. Wobei gera-de sie das weiss Gott nicht nötig hat.Die Theorie, dass kalter Kaffee schön machen soll, kommt übrigens aus der Barockzeit. Damals, so um 1600 oder so, da tranken die Leute der feinen Gesell-schaft absichtlich kalten Kaffee, weil der halt nicht dampfte und so die dicke Schminke, die man im Ge-sicht trug, nicht verschmiert wurde. Die waren ja alle total geschminkt zu jener Zeit, die Reichen jedenfalls. Je bleicher, desto reicher. Weiss, mit roten Lippen und aufgemaltem schwarzem Schönheitsfleck – das war das Mass aller Dinge. Kalter Kaffee trage aber nicht nur zur Schönheit bei, sagt die Forschung heute, sondern habe sogar gesundheitsfördernde Eigenschaften. Ich für meinen Teil kann auf jeden Fall beweisen, dass Eis-kaffee gut für die Stimmung ist – mindestens bei mei-ner Mutter. Vielleicht sollte ich mal eine wissenschaft-liche Abhandlung darüber verfassen.»Hallo? Träumst du wieder einmal, Johnny?«, fragt Frau Fischer und stupst mich an.Jetzt werde ich rot, weil mich alle anschauen. Meine Deutschlehrerin schüttelt missbilligend den Kopf.»Ich denke nach«, antworte ich trotzig, was ja auch stimmt. Ich denke immer über irgendetwas nach, ob ich will oder nicht.
25»Könntest du vielleicht schneller denken?In einer Stunde ist Abgabe!«Ich schaue in die Runde, und tatsächlich sind alle ande-ren schon am Schreiben, als gäbe es kein Morgen. Ich bleibe trotzdem gelassen. Aufsätze sind für mich eine leichte Übung. Es ist nur das langweilige Thema, das mich einen Moment lang ein wenig aus dem Konzept gebracht hat: »Mein schönster Tag«.In letzter Zeit hatte ich einfach keine besonders schönen Tage, und ich hoffe ganz, ganz fest, dass ich meinen schönsten Tag noch nicht erlebt habe. Das wäre ja tragisch, wenn ich das gar nicht mitbekommen hätte. Ich erwarte von meinem Leben schon noch ein wenig mehr. Mein schönster Tag wäre, wenn Tim Tabak mir eine Zigarette anbieten und Sara Super ihre knall-roten Lippen auf meine pressen würde. Anschlies-send würde ich mit Georg Gepard auf das Matterhorn klettern, dort oben stehen und rufen: »Das ist mein schönster Tag!«»Mein schönster Tag«. Woher holen Lehrer bloss im-mer die Themen für unsere Aufsätze? Als würde Frau Fischer in ihren eigenen alten, vergilbten Schulheften nachschauen. Selbst mein Vater ist immer wieder ent-setzt, wennich ihm von Frau Fischers Aufsatzthemen erzähle. Die Fischer ignoriere penetrant und konse-
26quent die modernen Lehrmittel, die ihr doch zur Ver-fügung stünden, meinte er einmal aufgebracht.Stimmt. Das tut sie.Penetrant und konsequent.Gääähn.So langweilig!Ich hätte da bessere Ideen. Zum Beispiel: »Was würdest du tun, wenn du eine Million gewonnen hättest?«, »Warum Polizeihund ein Traumberuf ist«, »Unser neuer Mitschüler ist ein Hundertjähriger mit Schluck-auf« oder »Der Tag, an dem Frau Fischer von Ausser-irdischen entführt wurde« oder »Warum furzen Nil-pferde durch den Mund?«.Wenigstens könnte man doch das Thema mit dem schönsten Tag ein bisschen anders umschreiben. Zum Bleistift: »Was wäre dein schönster Tag?«In der Möglichkeitsform könnte Georg darüber fanta-sieren, wie er den Mount Everest bezwingt, auf einem Bein, rückwärts hüpfend, und Sara würde beschreiben, wie sie einen Top-Model-Wettbewerb gewinnt, und Tim, wie er eine Bank überfällt und mit einer Million nach Jamaika abhaut und dort einen Tabakladen eröff-net. Aber auch dann könnte ich ja nicht wirklich schrei-ben, dass ich mir wünschte, Sara Super würde ihre wei-chen Lippen und so …