Sven Hiemke
Johannes Brahms
Ein deutsches Requiem
Bärenreiter
Kassel · Basel · London · New York · Praha
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
eBook-Version 2019
© 2018 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel
Umschlagabbildung: Diana Rothaug, Kassel
Einbandgestaltung: +CHRISTOWZIK SCHEUCH DESIGN
Lektorat: Diana Rothaug
Korrektorat: Daniel Lettgen, Köln
Innengestaltung: Dorothea Willerding
Notensatz: Elius gravure musicale, Robert & Sylvie Tournon
ISBN 978-3-7618-7200-0
DBV 199-07
www.baerenreiter.com
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
Am 10. April 1868, vor wenig mehr als 150 Jahren also, wurde Johannes Brahms’ Ein deutsches Requiem op. 45 in seiner noch sechssätzigen Fassung in Bremen uraufgeführt. Als fester Bestandteil des Konzertrepertoires steht es bis heute in einer ungebrochenen Aufführungstradition und gilt als eines der bedeutendsten geistlichen Werke überhaupt. Zugleich war es ein Schlüsselwerk für Brahms selbst: Mit der Uraufführung gelang dem gerade 35-Jährigen der Durchbruch als Komponist.
In Brahms’ Œuvre ist das Deutsche Requiem zweifellos ein Monolith, doch an der Frage, welcher musikalischen Gattung es eigentlich zuzurechnen sei, scheiden sich bis heute die Geister. Ein Requiem in der Tradition der katholischen Votivmesse ist es natürlich nicht, erst recht keine Passion (wiewohl am Karfreitag uraufgeführt); ebenso entzieht sich das mit großem Orchester besetzte Werk der Einordnung als Motette. Am ehesten lässt sich der vom Komponisten aus Bibelversen zusammengestellte Text wohl als ein lyrisch-betrachtendes Oratorienlibretto auffassen. Zwar fehlen dem Werk sowohl ein Handlungsrahmen als auch die für das Oratorium charakteristischen Satztypen Rezitativ und Arie samt deren üblichen Personifizierungen. Gleichwohl hat das Deutsche Requiem ein »Programm«: Es geht um den Umgang mit Leid, um Trost für diejenigen, deren Leben im Schatten des Todes steht.
Wie so viele Werke Brahms’ ist auch das Deutsche Requiem nicht zuletzt biografisch motiviert. Seine über zehnjährige Entstehung verbindet sich mit Erfahrungen wie dem Ausbruch von Robert Schumanns Krankheit, dessen Selbstmordversuch (1854) und tragischem Ende (1856), mit Clara Schumanns Leiden ob des Verlustes ihres Ehemannes, Brahms’ Entfremdung von Clara (1858) und dem Tod seiner Mutter (1865). Das erste Kapitel dieser Werkeinführung fragt nach »Intentionen«, wie sie sich aus Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen nahestehender Zeitgenossen ermitteln oder bisweilen auch nur erahnen lassen, setzt sich mit deren Deutungen in der Brahms-Literatur auseinander und bemüht sich um neue Einschätzungen – eingedenk der Tatsache, dass die komplexe Entstehungs- und Aufführungsgeschichte dieser Trauermusik noch immer nicht in allen Details geklärt ist.
Keineswegs ging es Brahms in seinem Deutschen Requiem um die Verdeutschung einer traditionell lateinischsprachigen Gattung, deren Titel er gleichwohl entlehnte. Das zweite Kapitel will deshalb »Inspirationen« aufzeigen, die sich in diesem Werk niederschlugen. Immerhin erfolgte Brahms’ eigenwillige Interpretation des Requiem-Begriffs durchaus noch auf der Grundlage der christlichen Religion. Die Texte des Werkes stammen ausnahmslos aus der Bibel: Hier fand der Komponist die Worte sowohl für die Vergegenwärtigung der Sterblichkeit (»Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss«; Ps 39,5) als auch für die Hoffnung, die diese Erkenntnis erträglich werden lässt (»Der Tod ist verschlungen in den Sieg«; 1 Kor 15,55); hier fand er Formulierungen für die Tragik des menschlichen Daseins (»Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«; 1 Petr 1,24) ebenso wie für tröstende Glaubensgewissheiten (»Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit«; 1 Petr 1,25).
Das Kapitel »Konzeption« gibt einen Überblick über die Entstehung des Deutschen Requiems, befasst sich mit der Frage, welche satzübergreifenden Details den Eindruck eines dezidiert einheitlichen Werkes bewirken, und erörtert einige aufführungspraktische Aspekte.
Dass Brahms der christlichen Religion im Angesicht des Todes eine tröstende Funktion zuwies, ist keineswegs so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Die traditionelle Rolle der Religion – dies zeigen die eindrücklichen Vertonungen der lateinischen Totenmesse allenthalben – war es vielmehr, an das mögliche Schicksal der Verstorbenen zu erinnern und den Hinterbliebenen damit zugleich einen gottesfürchtigen Lebenswandel anzumahnen. Brahms hingegen fokussiert in seiner Trauermusik den Gegensatz zwischen der Endlichkeit des natürlichen Daseins und der Ewigkeit eines Lebens bei Gott, wobei eine Vertonung der mittelalterlichen Schreckensvision des »Dies irae« (»Tag des Zorns«) ebenso fehlt wie auch ein expliziter Bezug auf Jesus Christus. Und den Gedanken an die ewige Ruhe, von dem der liturgische Requiem-Text ausgeht, nimmt Brahms erst am Ende seiner Komposition auf: »Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach« (Offb 14,13). Wie Brahms den Text in den sieben Sätzen vertonte, ist das Thema des Kapitels »Werkbeschreibung«.
Die Reaktionen von Publikum und Presse auf die drei Uraufführungen des Deutschen Requiems – die Wiener »Voraufführung« der ersten drei Sätze, die erste Darbietung des sechssätzigen Werkes in Bremen und die Uraufführung in seiner definitiven siebensätzigen Form in Leipzig – waren keineswegs von Beginn an einhellig. Das Kapitel »Rezeption« referiert den Tenor der Kritiken, die erst nach und nach die geschichtliche Bedeutung des Werkes apostrophierten, stellt Bearbeitungen aller oder einzelner Sätze daraus für alternative Besetzungen vor und beleuchtet abschließend einige kompositorische Beispiele für die produktive Rezeption des Deutschen Requiems.
*
Herrn Professor Dr. Klaus Hofmann, der das Manuskript einer kritischen Durchsicht unterzogen hat, danke ich einmal mehr sehr herzlich für seine vielen hilfreichen Anregungen, ebenso Herrn Dr. Michael Struck, dem Mitherausgeber der derzeit entstehenden Ausgabe des Deutschen Requiems im Rahmen der Neuen Brahms-Gesamtausgabe, für seine Zeit für Diskussionen und die Möglichkeit zur Teilhabe an seinem stupenden Detailwissen. Vielen Dank auch an Carsten Borkowski für die generöse Überlassung seiner Partituren mit »Brahms-Requiem«-Bezug. Und weil ein Buch wohl alleine geschrieben, aber schwerlich alleine »gemacht« werden kann, gebührt ein herzlicher Dank auch Herrn Dr. Daniel Lettgen für sein aufmerksames Korrekturlesen, vor allem aber Frau Diana Rothaug für ihr ebenso engagiertes wie akribisches Lektorat.
Hamburg, im Sommer 2018
Sven Hiemke