Ebook Edition
Das Supermolekül
Wie wir mit Wasserstoff die Zukunft erobern
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ISBN 978-3-86489-731-3
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
1 Scheuermann: Praxishandbuch Brandschutz, 2016, online unter: https://www.arbeitssicherheit.de/schriften/dokument/0%3A7824804.html [28.3.2019]
2 Prof. Dr. med. Volker Faust: Krankhafte Brandstiftung, online unter: http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/brand.html [28.3.2019]
3 Arne Jungjohann, Stefanie Groll, Lili Fuhr: Preisgestaltung: Verdeckte Subventionen, offene Rechnungen, 2015, online unter: https://www.boell.de/de/2015/06/02/preisgestaltung-verdeckte-subventionen-offene-rechnungen [28.3.2019]
4 Wolfgang Göbel: Friedrich August Kekulé. Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 72, Leipzig 1984
5 Berichte der durstigen chemischen Gesellschaft, Unerhörter Jahrgang, Nr. 20 zum 20.9.1886.
6 Otto Köhler: … und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und ihrer Väter. Köln 1989, S. 214.
7 Brewer, G.Daniel: Hydrogen Aircraft Technology, Boca Raton, Florida, 1991.
8 Grafiken auf den Seiten 69 und 73 wurden bereitgestellt von Prof. Dr. Matthias Roegner: Lehrstuhl für Biochemie der Pflanzen, Ruhr-Universität Bochum.
9 Sven Jösting: »Wieso das US-Militär an der Brennstoffzelle forscht«, welt.de 31.07.2018 [28.3.2018].
10 Wolfgang Kempkens: »Element Eins«: Deutsche Gasbranche startet großes Power-to-Gas-Projekt, Handelsblatt Edison 17.1.2019, online unter: https://edison.handelsblatt.com/erklaeren/element-eins-deutsche-gasbranche-star tet-grosses-power-to-gas-projekt/23872860.html [28.3.2019]
11 GMTN Fachartikel Nr. 1 – Januar 2018, online unter: www.gifa.de [28.3.2019]
12 https://www.keyou.de/
13 Andrea Hoferichter: »Abschied vom Hochofen«, sz.de 2.1.2019 [28.3.2019]
14 E. Hausmann, © 1976 Verlag Chemie, GmbH
»There is no planet B.«
Emanuel Macron
Für die Leserschaft der Zukunft möchte ich mir erlauben, dieses Buch mit einer Fotografie aus unserer Zeit zu beginnen. Wir schreiben den August 2018. Es ist Sommer. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst kreist mit der internationalen Raumstation ISS in rund vierhundert Kilometern Höhe über unserem Planeten. Von dort oben schickt Alex eine Aufnahme Mitteleuropas zu uns herunter. Sie zeigt ausgedorrte, ockerfarbene Landschaften, wo eigentlich grün die vorherrschende Färbung sein sollte. Seit April hält eine nie dagewesene Hitzewelle unseren Weltenteil im Griff. Gleichzeitig ist noch nie, seit Beginn der Aufzeichnungen vor 137 Jahren, so wenig Regen gefallen wie in diesem Zeitraum.
Während sich meine Frau über den fantastischen Sommer freut, befülle ich Kanister und Gießkannen mit teurem Leitungswasser, das ich mit meinem Handwagen zu unserem Gartengrundstück karre, um unsere Tomaten- und Stangenbohnenernte zu retten. Längst enthalten die Regentonnen nur noch Staub und Steine. Bei 38° Celsius im Schatten kippe ich schwitzend das kostbare Nass auf den ausgedorrten Boden und betrachte traurig den mageren Lohn meiner Mühen. Die Tomaten sind zwar süß, aber der Behang ist gering. Unser kleines Tomatenfeld liegt direkt neben unseren Bienenbeuten. Die Helden meines letzten Buches sollten um diese Jahreszeit emsig umherschwirren und sich um ihre Wintervorräte an Honig kümmern. Es ist jedoch kaum Flugbetrieb zu beobachten. Während die Wächterbienen fast schon apathisch vor dem Flugloch herumlungern, wird im Inneren der Bienenbehausungen verzweifelt wertvolle Energie verbraucht, um mittels Fächeln die Waben zu kühlen, damit das Wachs nicht schmilzt und die Brut nicht verdirbt. Gleichzeitig gibt es kaum etwas für die Insekten zu essen. Die letzte lohnende Tracht, die Goldrute, lässt verdorrt die nektarlosen Blüten hängen.
Allmählich dürfte den meisten Menschen klar sein: Den Klimawandel müssen nicht erst unsere Kinder und Kindeskinder ausbaden. Er findet hier und jetzt statt, und die dramatischen Folgen werden immer offensichtlicher. Hauptursache für die globale Katastrophe, die das Zeug dazu hat, die Erde für uns Menschen unbewohnbar zu machen, ist – da sind sich sämtliche Wissenschaftler einig – der immense Ausstoß von Kohlendioxid. Der Mensch hat ein gewaltiges Feuer entzündet, das zu löschen immer schwieriger wird. Dabei können wir grob zwischen zwei Arten von Feuer unterscheiden. Das eine brennt in den Heizungsanlagen unserer Häuser, in den Verbrennungsmotoren von Autos, Flugzeugen und Schiffen und in den Öfen der Stahl-, Zement- und Glasindustrie. Dieses gebändigte Feuer verzehrt hauptsächlich fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl oder Gas, die der Mensch dem Bauch der Erde entreißt. Das andere, das offene Feuer, lodert hauptsächlich durch die Wälder der Erde. Waldbrände in Südeuropa, Kalifornien und Australien sind nichts Neues. 2018 gehen allerdings auch in Schweden und sogar in Deutschland Bäume und Sträucher infolge der anhaltenden Dürre in Flammen auf. In den tropischen Ländern Afrikas, Südamerikas und Asiens hingegen brennen die Sauerstofffabriken und Kohlendioxidspeicher, damit an ihrer Stelle Ackerland entsteht. Nicht selten werden auf diesem dann Ölpalmen und Zuckerrohr für »Bio«-Diesel und »Bio«-Sprit angebaut, das dann wiederum in Verbrennungsmotoren landet. Diesen Irrsinn verkaufen Politiker wie Angela Merkel der Öffentlichkeit in beispiellosem Zynismus als Maßnahmen zur Rettung des Klimas. 2008 unterzeichnete die Kanzlerin zu diesem Zwecke mit dem damaligen brasilianischen Staatschef Lula da Silva das deutsch-brasilianische Energieabkommen. Knapp drei Jahre später, 2011, kam das Zuckerrohrethanol in Form von E10 als bis zu zehnprozentige Beimischung zum normalen Benzin auf den deutschen Markt. Die Liste der Verfehlungen in der internationalen Klimapolitik ist lang, noch länger die Liste des darin verstrickten Personenkreises aus Politik und Wirtschaft. Dennoch verdient Frau Merkel als historische Person an dieser Stelle eine besondere Erwähnung, ließ sie sich doch lange Zeit als »Klimakanzlerin« feiern. Bereits heute darf wohl davon ausgegangen werden, dass ihr klimapolitisches Engagement nichts weiter ist als ein schmutziger propagandistischer Trick, in dessen Schatten die zwar lobbyfreudigen, aber klimaschädlichen Industrien weiter ungestört ihre zerstörerische Tätigkeit entfalten können.
Wäre es den Verantwortlichen wirklich an einer Reduzierung der Erderwärmung gelegen, würden sie einen ganz anderen Weg wählen: den Weg des Wasserstoffs. H2 hat das Zeug dazu, der Menschheit eine Zukunft auf einem bewohnbaren Planeten zu bescheren, ohne Abstriche bei Bequemlichkeit und technischem Fortschritt machen zu müssen. Jedem, der auf einer deutschen Schule die fünfte Klasse besucht hat, dürfte das Experiment der Elektrolyse mit anschließender Knallgasexplosion bekannt sein. Chemielehrer nutzen es gerne, um bei den Schülern die Begeisterung für Naturwissenschaften zu erwecken. Man darf davon ausgehen, dass es auch der studierten Physikerin Angela Merkel nicht unbekannt ist. Zur Gewinnung von Wasserstoff wird elektrischer Strom durch Wasser geführt. Damit dies gut klappt, wird dem Wasser Kochsalz hinzugefügt. Die in ihm enthaltenen Natrium- und Chlorid-Ionen sorgen für die Leitfähigkeit von H2O. An der Kathode, dem Minuspol, bildet sich in der Folge reiner Wasserstoff (H2). Das erste Element unseres Periodensystems ist so reaktionsfreudig, dass es mit sich selbst reagiert und in der Natur nur als Molekül vorkommt. An der Anode hingegen, dem Pluspol, steigt in Form von Bläschen reiner Sauerstoff (O) empor.
Bald nun kommt der Punkt, an dem der Chemielehrer sich eine Sicherheitsbrille auf die Nase setzt und den Wasserstoff in einem Reagenzglas auffängt. Gespannt halten die Schüler den Atem an. Der Lehrer hält das mit H2 gefüllte Reagenzglas an die Flamme eines Bunsenbrenners, und es macht bumm. Der Wasserstoff reagiert unter hoher Energieabgabe mit dem Luftsauerstoff zu nichts anderem als: Wasser.
Die Vorteile, die ein solcher Energieträger für Mensch und Planet birgt, liegen auf der Hand. Wasserstoff verbrennt, sofern er mit erneuerbaren Energien hergestellt wurde, klimaneutral und im Gegensatz zu Diesel, Benzin oder Kohle absolut ungiftig. Jedenfalls wenn man ihn mit reinem Sauerstoff oxidieren lässt. Nimmt man den Luftsauerstoff wie beim Schülerexperiment, so entstehen auch bei der Knallgasreaktion wegen der hohen Temperaturen giftige Stickoxide wie in einem Dieselmotor. Man kann Wasserstoff mit der heutigen Technik problemlos dezentral herstellen, lagern und durch die Gegend transportieren. Verflüssigt lässt er sich in Tanks füllen oder durch Pipelines leiten. Genau in diesen Vorteilen jedoch liegt das Problem. Im Gegensatz zu der heutzutage allseits gepriesenen Batterietechnik, hat die Wasserstofftechnik das Zeug dazu, ein ernsthafter Konkurrent für Erdöl, Erdgas, Kohle und Atom zu sein. Den vier Dingen, welche zwar einerseits unsere Zukunft bedrohen, mit denen aber andererseits Tag für Tag unvorstellbare Summen verdient werden. Eine ganze Reihe von Volkswirtschaften setzt nahezu komplett auf die Förderung oder Erzeugung dieser Energielieferanten. Staaten wie Russland, Venezuela und Saudi-Arabien, aber auch die USA, müssten sich in vielerlei Hinsicht neu erfinden, wenn der Wasserstoff sich durchsetzt.
Aber Staaten sind träge und an den Schalthebeln der Macht findet sich viel Gesindel. Anstatt gemeinsam nach Wegen zu suchen, die klimarettende Technologie nach vorne zu bringen, setzen die zerstörerischen Kräfte des Beharrens auf Lobbyismus und gekaufte Politik und drehen die Abwärtsspirale immer schneller Richtung Abgrund, ohne Rücksicht auf Verluste. Beispielhaft für die Verlogenheit der deutschen Klimapolitik ist das Gerangel um die Ostseepipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Allein durch Nord Stream 2 sollen zukünftig jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Zentraleuropa gepumpt werden. Ein gewaltiger Schlauch, der von Russland abhängig macht und für das Klima nichts Gutes verheißt. Noch ist der zweite der klimakillenden Lindwürmer weder fertiggestellt, noch vollkommen in politisch trockenen Tüchern, da träumt der russische Staatskonzern Gazprom bereits von Nord Stream 3, ohne dass irgendwer in unserer Regierung ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Unternehmungen äußert. Erdgas gilt zwar als weniger klimaschädlich als Kohle. Dennoch ist es ein fossiler Stoff, bei dessen Verbrennung Kohlendioxid entsteht, das Gas, das von der Wissenschaft maßgeblich für den Treibhauseffekt verantwortlich gemacht wird. Dieses Zeug wollen wir im Sinne der vielbeschworenen Energiewende offiziell gar nicht mehr haben. Trotzdem spielt dieser nicht ganz unwesentliche Punkt in der öffentlichen Diskussion über die Pipelines überhaupt keine Rolle. Vielmehr wird darüber gestritten, dass die klassischen Gastransitländer Polen und Ukraine sich um ihre Pfründe geprellt sehen, weil die Gasleitungen ohne Rücksicht auf das fragile Ökosystem unseres nordischen Binnenmeeres, durch die Ostsee gelegt werden. Hier schließt sich ein Kreis. Denn in diesem dreckigen Geschäft ist ebenfalls eine Person verwickelt, der das deutsche Wahlvolk einmal das ultimative Vertrauen des höchsten Staatsamtes ausgesprochen hat. Die Rede ist von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem Intimus von Wladimir Putin.
Fossile Energie ist im Prinzip nichts anderes als die durch pflanzliches Leben konservierte Sonnenenergie der Jahrmillionen. Die anzuzapfen ist ein sehr einträgliches Geschäft und hat zur Bildung einer ganzen Reihe von sehr mächtigen Kartellen geführt. Unser Schatz ist zum Fluch geworden. Die Erkenntnis, dass es allemal klüger ist, ihn erst einmal unter der Erde lassen, bis uns etwas Besseres einfällt, als ihn einfach zu verfeuern, wiegt bei solchen Machtverhältnissen wenig.
»Während sie verhandelten, gab der Häuptling der Bleichgesichter dem roten Krieger Feuerwasser zu trinken.«
Karl May
»Woher kommt eigentlich das Wasser?«
Diese Frage bekomme ich von Zeit zu Zeit von meinem Vater gestellt. Ich weiß keine Antwort. Es existieren Vermutungen, dass das Wasser auf der Erde von Kometen stammt – großen Brocken aus Staub und Eis vom Rande des Sonnensystems – und als die Erde noch ein Feuerball war, mit dieser verschmolzen. Bei diesen galaktischen Treffern, wird es wohl ordentlich Rumms gemacht haben. Der glühende Planet verwandelte das Eis der Kometen in Wasserdampf, der sich über Vulkanismus einen Weg nach draußen in die Atmosphäre suchte. Anders als beispielsweise der Mond oder der Merkur, die auch von Kometen getroffen wurden, besaß die Erde genug Schwerkraft, um austretende Gase bei sich zu halten. Bei ihren kleineren Brüdern hingegen entwichen sie einfach ins Weltall. Als die Erde abkühlte und die Erdkruste sich zu bilden begann, es regnete erst mal eine ganze Weile. Es regnete so lange, bis sich Wasserschichten von bis zu zehn Kilometern Höhe gebildet hatten.
Das sind Vermutungen, wie gesagt. Sollten sie stimmen, sagen sie noch lange nichts darüber aus, woher wiederum das Wasser in diesen Kometen stammt. Auf diese Frage gibt es keine befriedigende Antwort. Ich sage meinem Vater dann immer:
»Ist ja eigentlich auch egal. Hauptsache, es ist da.«
Wie wir ja bereits wissen, bestehen rund 75 Prozent der Materie des Universums aus Wasserstoff. Trotzdem ist die Erde der einzige Planet unseres Sonnensystems, auf dem es Meere auf der Oberfläche gibt. Irgendwo da draußen feierten die Atome zweier ganz besonderer Elemente, nämlich Wasserstoff und Sauerstoff, ein intergalaktisches Hochzeitsfest und wurden zu Wasser. Bei dieser Hochzeit muss es hoch hergegangen sein. Die Vereinigung der beiden Atome setzt, wie wir wissen, jede Menge Energie frei.
Man kann schlecht über Wasserstoff schreiben, ohne dabei die wunderbare Substanz Wasser gebührend zu würdigen. Was macht Wasser so besonders, dass von der Anomalie des Wassers gesprochen wird? Warum ist das Element des Lebens so einzigartig unter den Stoffen? Auf diese Frage hat der Mensch die Antwort gefunden: Sie heißt Wasserstoffbrückenbindung. Das Bandwurmwort ist es wert, im Gedächtnis behalten zu werden. Auch wenn es erst mal kompliziert klingt, so ist die Sache in Wahrheit so genial wie einfach: Das Sauerstoffatom und die beiden Wasserstoffatome sind so unterschiedlich elektromagnetisch geladen, dass man wie beim klassischen Hufeisenmagneten aus dem Physikbaukasten von einem Nord- und einem Südpol spricht. Das Sauerstoffatom ist der Nordpol. Er zieht die beiden Elektronen der Wasserstoffatome nahe an sich heran. Gleichzeitig wirkt er aber auch magnetisch auf die Wasserstoffelektronen des Nachbarmoleküls. So geschieht es, dass sich alle Moleküle perfekt in eine Richtung ausrichten. Im Periodensystem wird der Wert des Elektronegativität der Elemente in Zahlen angegeben. Er beträgt bei Sauerstoff (O) 3,44 und bei Wasserstoff (H) 2,20. Gemeinsam mit Fluor (F) 3,98, Stickstoff (N) 3,04 und Chlor (Cl) 3,16, gehört Sauerstoff zu den vier elektronegativsten Elementen des Periodensystems. Auch mit den anderen drei Elementen ist Wasserstoff in der Lage, Wasserstoffbrückenbindungen einzugehen.
Die Oberflächenspannung, die wir sehen, wenn wir Büroklammern auf ein Glas mit Wasser legen und sie nicht sinken, lässt sich genau auf dieses Phänomen zurückführen. Gibt man übrigens einen Schuss Spüli ins Wasser, stört dies die Wasserstoffbrückenbindung, und die Büroklammern sinken. Die Stabilität der Wasserstoffbrückenbindung ist dafür verantwortlich, dass Wasser erst bei 100°C kocht. Auch das Kuriosum, dass Wasser im festen Aggregatzustand, also Eis, eine geringere Dichte und damit ein höheres Volumen als im flüssigen Aggregatzustand aufweist, liegt an ihr. Normalerweise ist es gerade umgekehrt. Wird ein Stoff fest, so erhält er eine größere Dichte und dafür ein geringeres Volumen. Wenn Wasser gefriert, richten die Wassermoleküle sich eigentümlicherweise so aus, dass sie perfekte Sechsecke, also Hexagone bilden. In der Mitte dieser Hexagone befindet sich ein winziger Hohlraum. Er ist verantwortlich für dieses Phänomen und somit auch dafür, dass Eis im Wasser oben schwimmt. Wem jemals in einer eisigen Winternacht eine Bierflasche auf dem Balkon geplatzt ist, der weiß genauso, wovon die Rede ist, wie der Kapitän, der mit seinem Schiff einen Eisberg rammt.
Bei der Elektrolyse indes spielt die Wasserstoffbrückenbindung eine untergeordnete Rolle. Es ist die polare Sauerstoff-Wasserstoff-Bindung (O-H) die durch den Elektrolyseur unter hohem Energieaufwand geknackt wird. Wenn die sich erneut bildet, hören wir entweder den Donnerschlag einer Knallgasexplosion oder spüren die kolossale Kraft der Brennstoffzelle, wenn wir ein Wasserstoffauto mit einem Tritt aufs »Gas«-pedal in wenigen Sekunden von null auf hundert bringen. Dem alten Empedokles wäre die Sache wohl ein paar philosophische Gedankengänge wert gewesen, hätte er seinerzeit gewusst, dass das Element Feuer das Element Wasser gebären kann und der erstaunliche Vorgang sogar umgekehrt funktioniert.
»O du schöner Westerwald Eukalyptusbonbon Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt«
Volkslied
Ich unterhalte einen Bienenstand am Rande des Westerwalds. Es ist in Teilen ein immer noch wildes Gebiet. Hier treiben Drogenhändler und Hells Angels ihr Unwesen, die Flodder-Brüder Ludolf tummeln sich in ihrem Schrotthaufen, und auf entlegenen Gehöften stemmen sich rebellische Biobauern auf kargem Boden gegen die Übermacht der Agrar-Riesen. Als Heranwachsender hatte ich Kumpels auf den Höhenzügen, die ich an den Wochenenden besuchte. Sie zeigten mir eine Welt, wo man mit zwölf auf frisierten Mofas ohne Führerschein durch die Gegend flitzen konnte, mit dem Traktor umherfuhr und in Kinderzimmern schlief, die nichts anderes waren als roh gezimmerte Dachböden. Geschichten machten die Runde von Schurken, bei denen man ein »Pistölchen« kaufen könne oder die als Polizistenmörder im Knast säßen. Kein Wunder also, dass man hier in Deutschlands Wildem Westen auch auf echte Pioniere stoßen kann.
Ich verabrede mich zum Gespräch mit einem von ihnen. Jürgen Fuhrländer leitet die Gesellschaft für Windenergieanlagen GmbH & Co KG (GFW) und glaubt an die Potenziale des Wasserstoffs. Der Firmensitz befindet sich in Rennerod. Schon mal gehört? Nein? – Kein Wunder, denn Rennerod liegt In the Middle of Nowhere. Wer es googelt, erhält als ersten Treffer einen RTL-Videoclip, der Rennerod – passend zum Wildwestimage – zur »gefährlichsten Kleinstadt Deutschlands« erklärt, weil hier bei Nachbarschaftsstreitereien bevorzugt Äxte, Holzknüppel und Schusswaffen die Mittel der Wahl darstellen. Der Kommentar des Ortsbürgermeisters Volker Abel zu einem der blutigen Vorfälle (»Das Projektil ist (…) Gott sei Dank, im Augapfel stecken geblieben.«) imponiert mir. Ausgerechnet hier soll eine der ersten Wasserstofftankstellen Deutschlands aus dem Boden gestampft werden.
Die Straße, die zu dem Unternehmen führt, heißt »Am Wolfsgestell«. Auf den ersten Blick wirkt die GFW wie eine Art Schrotthandel für Windräder. Auf einer ehemaligen Kuhweide rotten Rotorblätter vor sich hin. Im krassen Kontrast dazu ragt an der Industriehalle, die den Firmensitz bildet, – warzenförmig mit viel Glas – ein futuristischer Anbau in Form eines UFOs heraus. In ihm treffe ich, von hübschen, netten Sekretärinnen mit Kaffee wohlversorgt, den H2-Pionier. Jürgen Fuhrländer ist ein stämmiger Mann in den Fünfzigern. Der gelernte Schlosser sattelte um auf Maschinenbau und wurde nach absolviertem Studium selbstständiger Unternehmer. Ich zolle ihm meine Anerkennung für die zukunftsweisende Form des UFO-Anbaus und erfahre, dass die Halle in Folge von Schweißarbeiten niedergebrannt sei. Beim Wiederaufbau habe man neue Akzente setzen wollen. Wer mit dem Feuer des Wassers gegen den Weltenbrand angehen will, der muss damit rechnen, dass er sich die Finger ansengt. Fast scheint es (bleibt man bei meiner philosophischen Allegorie des vorangegangenen Kapitels), als hätte sich das feurige Element aktiv gegen einen seiner Löschmeister zur Wehr gesetzt.
Nachdem dieser Punkt geklärt ist, kommt er schnell zur Sache. Er sei Unternehmer, dem es in allererster Linie darum gehe, Geld zu verdienen. Mit Spinnereien sei dies schwierig. Er setze auf Grünen Wasserstoff, weil er darin das Geschäft der Zukunft sehe. Meiner Skepsis gegenüber dem System des Kapitalismus zum Trotz gebe ich ihm natürlich recht in dem Punkt, dass ein Unternehmer, der kein Geld verdient, sein Unternehmertum sehr bald an den Nagel hängen kann. Wir kommen auf Details zu sprechen. Neben Wartung, Reparatur und Service von Windparks hat sich die GFW dem »Repowering« verschrieben. Sie baut unrentabel gewordene Kleinturbinen in Deutschland ab und ersetzt sie durch größere, höhere und profitablere Anlagen. Die kleinen Windmühlen werden nicht verschrottet, sondern erhalten ein zweites Leben in Regionen wie Nordirland oder Nicaragua. Doch nicht überall ist Repowering so ohne weiteres möglich. Von Lärm und Schattenwurf geplagte Anwohner brauchen ab einem gewissen räumlichen Abstand zu den Windkraftanlagen die Erhöhung der Qualen nicht mehr hinzunehmen. Auch der laxe Umgang mit Umweltschutzgesetzen bleibt nicht unwidersprochen. Allerorten entdecken Eigenheimbesitzer, deren Bleibe durch die nahen Windparks massiv an Wert verliert, ihr grünes Herz. Gefälligkeitsgutachten kommen ebenso aus der Mode wie die Giftköder, mit denen jahrelang den Planungsablauf störende Tierarten wie Rotmilan oder Seeadler aus dem Weg geräumt wurden.
Der springende Punkt bei all dem ist folgender: Im Jahr 2021 fällt für die ersten knapp 4 000 Windräder die EEG-Umlage weg. Bis zum Jahr 2026 trifft dieses Schicksal rund 14 000 Anlagen, die gemeinsam rund 17 000 Megawatt Strom erzeugen. Das entspricht in etwa der Leistung von sieben bis acht Atomkraftwerken. Alle diese kleinen Anlagen – die meisten blockieren in den Augen der Fuhrländers die in Sachen Wind günstigsten Standorte – müssen fortan ihren Strom auf dem freien Markt verkaufen oder werden abgerissen. Wir haben es mit einer kritischen Masse zu tun.
Hier werden ein paar erklärende Worte zur EEG-Umlage nötig. Wer die Abgefeimtheit verstehen will, die sich hinter der Abzocke mit dem sperrigen Titel Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage verbirgt, braucht sich nur folgende Begebenheit vor Augen zu halten. Wir Bürger bezahlen, um die Energiewende im Sinne des Klimaschutzes voranzubringen, für unseren Strom einen hohen, künstlich festgelegten Preis, während der heimische Markt mit billigem Strom so überschwemmt ist, dass der bereits ins Ausland exportiert wird. Es herrscht klassische Überproduktion. Wenn an windigen Tagen die Sonne scheint, ist Strom auf dem freien Markt so gut wie gar nichts mehr wert. An solchen Tagen laufen die Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke natürlich weiter. Einen Atomreaktor kann man leider nicht nach Bedarf an- beziehungsweise ausknipsen. Ebenso wenig lässt man dann eins der gigantischen Braunkohlefeuer einfach ausgehen. Wir Bürger profitieren durch die EEG-Umlage nicht von den Entwicklungen auf dem Markt. Vielmehr halten wir Klimakiller und Nuklearstrom mit den künstlichen Preisen künstlich am Leben.
Vom großen Kuchen EEG-Umlage wollten, seit seiner Einführung im Jahr 2000, viele ein Stück abhaben. Entsprechend hoch wurden die Pachtverträge abgeschlossen. Rechnet man die Kosten für Wartung und Reparatur hinzu, laufen die Windmühlen defizitär sobald die EEG-Umlage wegfällt. Der gefürchtete Unternehmer-verdient-kein-Geld-Fall tritt ein. Genau an diesem Punkt kommt der Wasserstoff ins Spiel. Ein mittelgroßes Windrad kann via Elektrolyseur etwa 18 Tonnen Wasserstoff im Jahr erzeugen. Wenn man bedenkt, dass eine Tankfüllung von sechs Kilogramm H2CO, Stickstoff oder Feinstaub erzeugt wird.