Krieg und Frieden im 21. Jahrhundert
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Pappelallee 78-79, 10437 Berlin, Germany
1. Auflage, 2019
Alle Rechte vorbehalten.
Aus dem Englischen von Philine Apenburg
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Easternisation. War and Peace in the Asian Century bei The Bodley Head/Penguin Random House in London.
Art Direction & Gestaltung: Paul Finn, Fitzroy & Finn
www.fitzroyandfinn.co.uk
Karten: Jeff Edwards
Satz: Jan Frerichs
www.jan-frerichs.com
Druck und Bindung: Theiss
ISBN 978-3-942377-16-4
eISBN 978-3-942377-17-1
Für Natasha, Joe, Nat & Adam
VOM GLEICHEN AUTOR
BEI WELTKIOSK ERSCHIENEN:
Nullsummenwelt
Das Ende des Optimismus und die neue globale Ordnung
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einleitung: Asiens Stunde
ERSTER TEIL:
VERÖSTLICHUNG IN ASIEN
1Von Verwestlichung zu Veröstlichung
2Kriegsgefahr
3China: Das Ende des Versteckspiels
4Amerikas Reaktion
5Das japanische und das koreanische Dilemma
6Das Ringen um Südostasien
7Indien: Asiens zweite Supermacht
ZWEITER TEIL:
VERÖSTLICHUNG JENSEITS VON ASIEN
8Wie steht es um Amerikas Macht?
9Der Mittlere Osten und der Zerfall der westlichen Ordnung
10Europas dichte Fenster
11Russlands Blick nach Osten
12Grenzgebiete
13Afrika und Lateinamerika: Chinas neue Hinterhöfe?
14Der institutionelle Vorteil des Westens
Schluss: Jenseits von Ost und West
Anmerkungen und Quellen
Die Wahl Donald Trumps war ein revolutionärer Augenblick. Die Auswirkungen seiner Präsidentschaft auf die internationale Politik sind tiefgreifend. Seit 1945 waren alle amerikanischen Präsidenten einer internationalen Ordnung verpflichtet, die auf zwei Säulen ruht. Die eine ist der Welthandel, die andere ein weltweites Sicherheitssystem, das auf Bündnissen basiert, die von den Vereinigten Staaten angeführt werden.
Trump droht, beide Säulen umzustürzen. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten ist ein eingeschworener Handelsprotektionist. Dazu ist er jemand, der die Bedeutung der von Amerika angeführten Bündnisse durchweg infrage stellt: Er hat die NATO als «obsolet» bezeichnet und behauptet, Amerikas Verteidigungsbündnisse mit Japan und Korea seien ein schlechtes Geschäft für die Vereinigten Staaten.
Trumps revolutionärer Ansatz in Sachen Weltordnung nährt sich aus der Unzufriedenheit gegenüber jener Entwicklung, die in diesem Buch «Veröstlichung» genannt wird — die Verlagerung von Macht und Wohlstand vom Westen nach Asien. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) wurde China 2014 zur größten Volkswirtschaft, gemessen an seiner Kaufkraft. Die Vereinigten Staaten stehen nun an zweiter Stelle; sie räumen damit den Spitzenplatz, den sie seit Ende des 19. Jahrhunderts innehatten. 2009 wurde China darüber hinaus zum größten Warenexporteur der Welt — einen Rang, den die Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg behauptet hatten. Und Chinas Aufstieg ist nur Teil einer breiteren Verlagerung von Wirtschaftsmacht nach Asien.
Mit dem Schwur «Make America Great Again», also Amerikas Größe wiederherzustellen, verspricht Trump indirekt, diesen Vorgang der Veröstlichung rückgängig zu machen und die Vereinigten Staaten noch einmal konkurrenzlos an vorderste Stelle zu rücken, sowohl was Amerikas Lebensstandard angeht also auch seine globale Macht.
Der Drang Trumps, Amerikas Größe wiederaufzurichten, droht einen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und den aufsteigenden Mächten Asiens heraufzubeschwören, allen voran mit China. Unter Präsident Xi Jinping, der 2012 in Peking an die Macht kam, hat auch China einen sehr viel nationalistischeren Kurs eingeschlagen. Lange bevor Trump versprach, «Amerika wieder groß» zu machen, hat Xi einen ähnlich nostalgischen Nationalismus beschworen, indem er «die große Erneuerung» der chinesischen Nation gelobte. Mit einem Trump in Washington und einem Xi in Peking sind die Weichen für ein mögliches Aneinadergeraten der Mächte Amerika und China gestellt.
Das deutlichste Konfliktpotenzial besteht bei den Handelsbeziehungen. Sollte Trump seine Drohungen wahrmachen und den Handelsstreit noch weiter eskalieren, würde er ganz sicher einen noch härteren Gegenschlag provozieren. Die Handelsbeziehungen zwischen der ersten und zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt wären endgültig vergiftet, die Weltwirtschaft würde aus den Fugen geraten. Auch die Bedrohung durch einen echten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China ist seit Trumps Wahl größer geworden.
Ein Großteil dieses Buches beschäftigt sich mit der langsam, aber stetig wachsenden geopolitischen Rivalität zwischen Amerika und China während der Präsidentschaft Barack Obamas. Trumps Einzug ins Weiße Haus erscheint als eine gefährliche Beschleunigung dieses Vorgangs. Der bestimmte, jedoch vorsichtige Versuch der Obama-Regierung, den chinesischen Ambitionen in der Asien-Pazifik-Region etwas entgegenzusetzen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Trump nun in offen konfrontativer und impulsiverer Form fortgesetzt werden. Bereits vor Amtsantritt verdeutlichte der US-Präsident seine Bereitwilligkeit, Peking vor den Kopf zu stoßen, indem er mit der Präsidentin Taiwans persönlich telefonierte; seit Normalisierung des Verhältnisses zwischen den Vereinigten Staaten und China in den 1970er Jahren hatten dies alle US-Präsidenten abgelehnt.
Sollte es unter Trump zu einem direkten militärischen Konflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten kommen, wäre der wahrscheinlichste Schauplatz für eine offene Konfrontation das Südchinesische Meer. Schon in den letzten Jahren der Obama-Regierung zeigte sich Washington über Chinas Programm, dort künstliche Inseln zu bauen, mehr und mehr besorgt. Die chinesische Regierung schuf dort hinsichtlich ihrer umstrittenen Territorialansprüche Fakten, indem sie durch Landaufschüttung Riffe in Inseln verwandelte und dann diese dann zu Militärstützpunkten ausbaute — einschließlich Fluglandebahnen und Silos für Raketen. Die Gefahr, dass Peking eines Tages den Zugang zu den dortigen Seewegen kontrolliert — den am meisten befahrenden Wasserwegen der kommerziellen Schifffahrt —, ist deutlich gestiegen.
In seiner Berufungsanhörung vor dem US-Senat signalisierte Rex Tillerson, Trumps erster Außenminister, eine härtere Gangart, was die künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer anging. Tillerson verglich den Inselbau mit Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim und erklärte, die Trump-Regierung habe die Absicht, Peking wissen zu lassen, «dass ihnen der Zugang zu den Inseln nicht gestattet werde».
Wörtlich genommen, klang dies wie die Androhung einer Blockade der Inseln, auf denen China Militärstützpunkte aufbaut. Mit ziemlicher Gewissheit würde China versuchen, eine solche Blockade auf dem Luft- oder Seeweg zu durchbrechen. Die Weichen wären gestellt für eine moderne Version der Kubakrise von 1962. Die offizielle Reaktion der chinesischen Regierung auf Tillersons Aussagen war zurückhaltend. Aber Chinas staatskontrollierte Medien waren außer sich. Die Global Times, ein nationalistisches Blatt, warnte vor der Möglichkeit eines «umfassenden Krieges» zwischen den Vereinigten Staaten und China, während China Daily von einer «verheerenden Konfrontation zwischen China und Amerika» sprach.
Unabhängige Beobachter waren zu den gleichen Schlüssen gelangt. Bei einem Gespräch in Davos ein paar Tage nach Tillersons Bemerkung warnte Vivian Balakrishnan, die Außenministerin Singapurs, mir gegenüber, dass jeder Versuch einer Blockade im Südchinesischen Meer zu einem Krieg zwischen Amerika und China führen würde. Die Singapurer, die enge Verbindungen sowohl mit Washington und als auch mit Peking pflegen und von Natur aus vorsichtig und bürokratisch sind, neigen nicht zur Hysterie. Viele Beobachter fragten sich, ob Tillerson in seinem Bekenntnis weiter gegangen war als beabsichtigt.
Tillersons Aussage vor dem Senat schien die traditionelle US-Haltung über den Haufen zu werfen, wonach Washingtons einzige Sorge die Navigationsfreiheit im Südchinesischen Meer war und die mit Blick auf die chinesische Souveränität über die Inseln keinerlei Position bezog. Aber in den Tagen nach Tillersons Anhörung tat die Trump-Regierung nichts, um seine Aussagen zurückzuziehen oder zu erläutern. Es folgten Wochen der fieberhaften Spekulationen, bis General James Mattis, Trumps neuer Verteidigungsminister, die Lage beruhigte, indem er betonte, dass die Vereinigten Staaten keine plötzlichen militärischen Schläge im Südchinesischen Meer planten.
Während der ersten Monate seiner Präsidentschaft nahm Trump in Sachen bilateraler Handel zunächst sogar eine versöhnliche Haltung ein. Ein einschneidender Augenblick war der erste Besuch des chinesischen Präsidenten. Xi Jinping traf Trump im April 2017 in Mar-a-Lago, seinem Anwesen in Florida, auch als das Weiße Haus des Südens bekannt. Der chinesische Präsident glänzte darin, seinen amerikanischen Gegenspieler zu umgarnen. Noch Monate später sprach Trump in höchsten Tönen von der Beziehung und teilte einem Interviewer mit: «Wir haben uns großartig verstanden. Ich mag ihn sehr. Ich glaube, er mag mich sehr.» — Eine nützliche Erinnerung daran, wie unberechenbar in Trumps Weißem Haus Politik gemacht wird.
Eine Entscheidung Präsident Trumps, China wegen seiner territorialen Ansprüche zu attackieren, wäre eine neue Entwicklung im Denken des Präsidenten, denn bisher waren seine schon länger gehegten Bedenken gegenüber Asien wirtschaftlicher Natur. Herkömmlicher Wirtschaftstheorie nach ist der wachsende Wohlstand der asiatischen Nationen für die Vereinigten Staaten eine gute Sache, denn dieser schafft größere Märkte für amerikanische Unternehmen und billigere Waren für amerikanische Konsumenten.
Aber Trump und seine Berater lehnen diese Idee strikt ab. Sie bezichtigen den «Globalismus» — auch bekannt als internationaler Handel und Investitionen —, an der Stagnation des Lebensstandards amerikanischer Arbeiter schuld zu sein. Stephen Bannon, Trumps ehemaliger Chefstratege im Weißen Haus, argumentiert laut einem Bericht des Journalisten Michael Wolff im Hollywood Reporter, dass «die Globalisten die amerikanische Arbeiterklasse ausgenommen und in Asien eine Mittelklasse geschaffen haben». Aus seiner Sicht ließ der wachsende Wohlstand Asiens Amerika verarmen.
Bannon und Trump haben sich mittlerweile zerstritten. Aber der protektionistische Instinkt der Trump-Regierung lebt weiter. Handelsminister Wilbur Ross argumentierte letzthin in Davos, dass ein Handelskrieg schon im Gange und von anderen Nationen angezettelt worden sei. Als Antwort darauf, so argumentierte Ross, «sind nun amerikanische Truppen auf die Barrikaden gegangen».
Während des Wahlkampfs nahm Trump bei der Verdammung Chinas kein Blatt vor den Mund: «Unser Handelsdefizit gegenüber China beträgt 500 Milliarden Dollar. … Wir dürfen nicht zulassen, dass China weiterhin unser Land vergewaltigt. … Es ist der größte Raub in der Geschichte der Welt.» Jene, die hofften, Trump würde seinen Protektionismus nach Erlangung des Amtes aufgeben, wurden schnell enttäuscht. Im Gegenteil: Der neue Präsident brachte Protektionisten in die Schlüsselpositionen seiner Regierung. Peter Navarro, Autor des Buches Death by China («Tod durch China») und Regisseur eines gleichnamigen Dokumentarfilms, wurde zum Vorsitzenden des National Trade Council mit Sitz im Weißen Haus ernannt. Navarros intellektueller Verbündeter und bisweilen Co-Autor, Wilbur Ross, wurde Handelsminister. Robert Lighthizer, noch ein bekannter Protektionist, wurde das Amt des Chefunterhändlers in Handelsfragen übertragen.
Navarros Film beginnt mit der Warnung an Zuschauer: «Kauft nichts, das ‹Made in China› ist.» Es stellt den erheblichen Verlust von US-Arbeitsplätzen in der Fertigungsindustrie heraus, seit China Mitglied der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) wurde. Schuld sei eine Reihe «unfairer» chinesischer Praktiken, darunter laxe Umweltauflagen, Währungsmanipulationen, der Diebstahl geistigen Eigentums und illegale Exporthilfen. Einige der Übel, die Navarro hervorhebt, zum Beispiel Wirtschaftsspionage, sind durchaus aktuell, andere Vorwürfe wie die der Währungsmanipulation hingegen veraltet.
Das übergeordnete Problem der Trump-Navarro-Analyse ist das falsche Versprechen, Industrie-Jobs im großen Stil nach Amerika zurückzuholen. Fortschritte bei der Robotik und der Künstlichen Intelligenz bedeuten, dass moderne Fabriken im Vergleich zu früher viel weniger Arbeiter beschäftigen. Arbeitsplätze in der Produktion sind an einem Sättigungspunkt, selbst in China, während Roboter Menschen am Fließband ersetzen und die wirklich unterqualifizierten Jobs an die noch ärmeren Länder in Südasien und Afrika gehen. Tatsächlich wird der protektionistische Impuls der Trump-Regierung sehr wahrscheinlich dazu führen, dass die amerikanischen Lebenshaltungskosten steigen, ohne dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die Verfolgung protektionistischer Ziele in der Politik hat Auswirkungen, die weit über die Wirtschaft hinausgehen. China würde die teilweise Schließung des amerikanischen Markts als einen feindlichen Akt betrachten, der die Gesundheit der eigenen Ökonomie bedrohen würde und damit die innerpolitische Stabilität. Dies wäre auch ein deutlicher Bruch mit der Strategie, die die Vereinigten Staaten bisher über viele Jahrzehnte im Hinblick auf den Aufstieg Chinas verfolgt haben. Diese Strategie beruhte auf der Annahme, dass der Handel mit China Amerikas weltweite Führung letzten Endes stärken dürfte, da so das chinesische Interesse am Erhalt der bestehenden Weltordnung geschürt würde — erdacht und gestützt von Amerika. Robert Zoellick, unter Präsident George W. Bush stellvertretender US-Außenminister, brachte diese Theorie auf den Punkt, als er erklärte, China würde ein «verantwortlicher Teilhaber» der internationalen Ordnung werden.
Diese beruhigende Vorstellung geriet während der Obama-Jahre in Mitleidenschaft, als immer deutlicher wurde, dass China die Absicht hatte, dominierende Macht in der Asien-Pazifik-Region zu werden. Eine klare protektionistische Linie der Trump-Regierung würde die endgültige Abkehr von der Theorie des «verantwortlichen Teilhabers» signalisieren. Darüber hinaus hieße es, dass das wichtigste Gebiet amerikanisch-chinesischer Kooperation — Handel und Investitionen — sich in eins der Rivalität verwandeln würde. Strategische wie wirtschaftliche Konkurrenz würde sich verschärfen, während Amerika und China in einen immer offeneren Machtkampf um die Vorherrschaft im Pazifik rutschen würden.
Eine Bedrohung chinesischer Interessen, wie Donald Trump sie verkörpert, kam für die Regierung in Peking als böse Überraschung. Bei einer Reise nach China im September 2016 konnte ich feststellen, dass die Führung dort den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen, der zu dem Zeitpunkt noch sechs Wochen entfernt lag, mit gepflegtem Gleichmut verfolgten. (Dies stand in deutlichem Kontrast zu der offenkundigen Unterstützung der Russen für Trump.) Doch direkt unter der Oberfläche war bei der Vorstellung einer Trump-Präsidentschaft eine gewisse Erregung zu merken. Teils spiegelte sie die offizielle Feindseligkeit gegenüber Hillary Clinton wider; die Chinesen machten sie dafür verantwortlich, dass Amerika nun stärker gegen die chinesische Macht im Pazifik hielt. Auch Trumps skeptische Kommentare über die US-Bündnisse mit Japan und Südkorea waren mit Interesse aufgenommen worden. Einige in China fragten sich, ob dies nun bedeute, dass Amerika unter Trump weniger Interesse daran haben werde, als «Weltpolizei» aufzutreten, und ob es China in Ostasien dann eine Einflusssphäre einräumen würde.
Viele chinesische Kommentatoren stellten darüber hinaus fest, dass Peking mit republikanischen Präsidenten von Richard Nixon bis George H. Bush in der Regel besser gefahren seien, weil sie sich stärker auf Geschäfte und Wirtschaftsbeziehungen konzentrierten als auf Menschenrechte. Ich versuchte meinen Gästen zu signalisieren, dass Trump alles andere als ein traditioneller Republikaner sei. Aber die meisten Experten in Peking verwarfen Trumps Protektionismus als bloße Wahlkampfrhetorik. Die Chinesen waren auch seltsam unberührt von Trumps Versprechen, die US-Marine auf 350 Kriegsschiffe aufzurüsten gegenüber bisher 270 unter Obama. Und das, obwohl der einleuchtendste Grund für eine solch starke Erweiterung der Flotte darin bestand, den Vereinigten Staaten größere Kapazitäten zu verschaffen, um gegen Chinas Territorialansprüche im Südchinesischen Meer vorzugehen. In den Tagen, die auf den unerwarteten Wahlsieg Trumps folgten, veröffentlichte Eric Li, ein gut vernetzter chinesischer Kommentator, eine Kolumne in der New York Times mit der Überschrift: «How Trump Is Good for China» («Inwiefern Trump gut für China ist»). Li vertraute seinen Lesern an: «Peking sieht dem Machtwechsel in Washington freudig entgegen. … Die Chinesen ziehen eine Beziehung mit einem Amerika vor, das nicht versucht, die Welt neu zu erschaffen.»
Aber die chinesische Selbstgefälligkeit gegenüber Trump hielt nur weniger als einen Monat vor. Am 2. Dezember führte Trump ein zehnminütiges Telefongespräch mit Tsai Ing-wen, der Präsidentin Taiwans — ein Telefonat, das mit einer 40 Jahre alten Praxis brach. Die Entscheidung des gewählten, aber noch nicht im Amt befindlichen US-Präsidenten, mit der höchsten Repräsentantin einer Insel zu sprechen, die China als «abtrünnige Provinz» betrachtet, schlug in Peking ein wie eine Bombe. Chinesische Führungsmitglieder, die sich in dem Glauben gewogen hatten, Trump würde ihren territorialen Ansprüchen im Südchinesischen Meer stillschweigend zustimmen, durften ganz im Gegenteil feststellen, dass der neue Präsident sie auf einem noch sensibleren Gebiet herausforderte: dem Status Taiwans. Hinter den Kulissen sprechen amerikanische und chinesische Regierungsvertreter durchaus offen über die Möglichkeit, eines Tages um Taiwan Krieg zu führen. Ein Großteil chinesischer Militärausgaben — insbesondere Investitionen in U-Boote und Raketen — zielt darauf ab, China auf eine mögliche Invasion Taiwans vorzubereiten.
Es ist sehr gut denkbar, dass Trump weitgehend unwissend war, was die Implikationen angeht, die ein solches Telefonat mit Präsidentin Tsai bedeuten. Das setzte ein gewisses Grundwissen der neueren Geschichte Asiens voraus. Als die Kommunistische Partei Chinas als Siegerin aus dem Bürgerkrieg hervorging und 1949 an die Macht kam, flohen die besiegten Nationalisten nach Taiwan. Seither betrachtet Peking Taipei als ein rivalisierendes Zentrum der Macht, und es hat sich darauf versteift, die Regierung dort zu isolieren. Als die Vereinigten Staaten und China ihre diplomatischen Beziehungen 1979 wieder aufnahmen, bestand Peking erfolgreich darauf, Washington müsse alle offiziellen diplomatischen Verbindungen mit Taipei unterbinden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Pekings Angst vor Taiwan gewandelt. Es plagt die Chinesen nicht mehr die Sorge, die Regierung in Taipei könne eine Verschwörung im Schilde führen, um auf dem chinesischen Festland Fuß zu fassen. Vielmehr fürchtet die Kommunistische Partei nun, Taiwan könne seine Unabhängigkeit von China erklären. Das würde der offiziellen Doktrin widersprechen, dass es nur «ein China» gibt. Die Version der Geschichte, die dem chinesischen Volk beigebracht wird, legt die Betonung darauf, dass China ab 1840, in einem Jahrhundert der Demütigung, schwach und geteilt war und von Fremden ausgebeutet wurde. Seit 1949 dagegen hat sich die machtvolle Kommunistische Partei für China starkgemacht und die verlorenen Territorien zurückerobert, unter anderem dazu Hongkong (1997) und Macau (1999). Ein «Verlust» Taiwans an Kräfte, die für die Unabhängigkeit sind, würde diese offizielle Geschichte hinlänglich untergraben. Es wäre eine Demütigung für die Kommunistische Partei Chinas, womöglich gar eine Bedrohung für ihren Machterhalt. Für Präsident Xi Jinping steht also sehr viel auf dem Spiel.
Die Tatsache, dass China jeden Kontakt Amerikas zu Taiwan aufs bitterste verurteilt, heißt nicht, dass ein solcher Kontakt per se falsch wäre. Die Chimäre, Taiwan sei eine bloße Provinz des chinesischen Festlandes, ist immer absurd. Die Insel wird seit 1949 selbstständig regiert, und ihre Wirtschaft blüht. Das heutige Taiwan pflegt eine offene und demokratische politische Kultur, die sich vom Ein-Parteien-Staat des chinesischen Festlands positiv abhebt. Und natürlich lässt sich argumentieren, dass sich US-Präsidenten von keiner fremden Regierung diktieren lassen sollten, mit wem sie sprechen. Wie Präsident Obama kurz nach dem Telefonat zwischen Trump und Tsai festhielt, war an sich nichts falsch daran, das amerikanische Verhältnis zu Taiwan «einmal neu zu betrachten». Aber wie Obama auch bemerkte: «Auch wenn der Status quo für alle beteiligten Parteien nicht ganz befriedigend ist, hat er bisher für Frieden gesorgt. … Will man dieses Einverständnis auflösen, muss man sich über die Konsequenzen Gedanken gemacht haben.»
Trump hatte vorher wenig Interesse an Taiwan gezeigt. Aber einige der Berater und Lobbyisten im Kreis um Trump waren nicht ganz so naiv. Bob Dole, der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat und bezahlter Lobbyist Taiwans, hatte geholfen, das Telefonat zwischen Trump und Tsai zu organisieren. Und Peter Navarro, Trumps Handelsberater, hatte öffentlich darauf gedrängt, dass Amerika Taiwan mehr umarmt. In einem Artikel für The National Interest vom Juli 2016, der damals wenig Aufmerksamkeit erregt hatte, argumentierte Navarro, dass die Vereinigten Staaten Taiwan U-Boote verkaufen sollten, um der Aufrüstung der chinesischen Volksbefreiungsmarine etwas entgegenzusetzen: «Wir müssen damit aufhören, Freunde wie Taiwan zu opfern, nur um ein Land zu beschwichtigen, das sich von einem Handelspartner und strategischem Rivalen immer mehr in einen feindlich gesinnten Gegner verwandelt.»
Diese Sicht Chinas hat Trump so nie ausdrücklich bestätigt. Aber seine typische Reaktion auf Herausforderungen besteht darin, mit geballter Angriffslust zurückzuschlagen. Als China sich folglich über das Trump-Tsai-Telefonat beschwerte, antwortete der angehende Präsident per Twitter: «Hat China vorher gefragt, als es seine Währung entwertete, unsere Produzenten stark besteuerte oder riesige Militärkomplexe inmitten des Südchinesischen Meeres baute?»
Trumps Reaktion war interessant, sowohl mit Blick auf seine Streitlust als auch auf die unverhohlene Vermischung von Sicherheits- und Wirtschaftsthemen. Traditionell sieht die US-Außenpolitik, was Asien angeht, die strikte Trennung von militärischen und wirtschaftlichen Verbindungen als zwingend. So ist beispielsweise Amerikas militärische Verpflichtung gegenüber Japan bei Handelsdisputen nie in die Waagschale gelegt worden. Trumps Instinkt scheint ein ganz anderer zu sein. Er betrachtet militärische und sicherheitspolitische Verpflichtungen als Teil eines zusammenhängenden Komplexes an Themen, die als Trumpfkarten in umfassenderen Verhandlungen gespielt werden können.
Amerikas traditionellen Sicherheitsexperten ist ein solcher Ansatz ein Gräuel. Militärische Bündnisse gelten als sakrosankt. Werden sie bei Verhandlungen mit in die Waagschale geworfen, ist sogleich Amerikas «Glaubwürdigkeit» — und die Doktrin der Abschreckung, die damit in Verbindung steht — stark beeinträchtigt. Die Implikationen dieser neuen Trump-Doktrin für Verbündete wie Japan oder auch Taiwan ist verstörend, deutet sie doch darauf hin, dass deren Sicherheit zur Verhandlungsmasse werden könnte, als Teil einer umfassenderen Übereinkunft. Die verständliche Euphorie unter den Unabhängigkeitskräften in Taiwan, die auf das Telefonat von Trump und Tsai folgte, war gleichzeitig geprägt von Vorahnungen, was deren Zukunft betraf. Was würde geschehen, wenn Trumps neuer Ansatz eine militärische Antwort der Chinesen provozierte? Und was hielte den neuen US-Präsidenten davon ab, eines Tages seine Unterstützung Taiwans für Zugeständnisse Chinas bei einem Handelsabkommen einzutauschen?
Sollte Taiwan Auslöser einer deutlichen Verschlechterung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen werden, wäre es in vielerlei Hinsicht eine vermeidbare Krise. Die jetzige Situation umfasst einige seltsame diplomatische Verrenkungen, aber der Status quo hat bisher für Stabilität gesorgt, und das seit mehr als 20 Jahren. Wenn niemand daran rührt, könnte dies leicht noch eine ganze Generation weiter so bleiben.
Im Gegensatz dazu ist die Auseinandersetzung um Nordkorea und sein Atomwaffenprogramm von ganz anderem Kaliber. Das Regime unter Kim Jong-un verfügt nach südkoreanischer Schätzung über ein Arsenal von bis zu 20 Nuklearwaffen. Gleichzeitig hat Nordkorea ein aktives Raketenprogramm. Zum Ende der Obama-Jahre wuchs die Sorge im Weißen Haus, dass Nordkorea gefährlich nahe davor steht, eine Trägerrakete zu konstruieren, die die Westküste der Vereinigten Staaten erreichen könnte.
Ob das Singapurer Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim vom Juni 2018 wirklich zu einem Ende der nordkoreanischen Nuklearambitionen führen wird, ist derzeit eine offene Frage. Fortschritte sind aber wohl weiterhin von chinesischem Goodwill abhängig. Sollte sich die nächste Krise auf der koreanischen Halbinsel vor dem Hintergrund eines verschärften amerikanisch-chinesischen Handelsstreits abspielen oder einer Konfrontation über Taiwan oder die Inseln im Südchinesischen Meer, würde eine sehr gefährliche Lage entstehen. Und sollte Nordkorea zu seinem alten Kurs zurückkehren, könnte Trump versucht sein, noch einmal ein paar der militärischen Optionen durchzugehen, die Obama als zu gefährlich verwarf.
Trumps Unberechenbarkeit ist für die engsten Verbündeten Amerikas in Ostasien, Japan und Südkorea, eine große Belastung. Beide Länder wissen, dass sie in der Schusslinie stehen, sollte es jemals zu einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel oder im Südchinesischen Meer kommen. Diplomatisch gesehen gelang Japans Premierminister Shinzo Abes ein Coup, als er sich als erster ausländischer Regierungschef ein Treffen mit Trump nach den Präsidentschaftswahlen sicherte. Die Pressefotos aus dem Trump Tower vom 18. November 2016 boten den Japanern zu Hause ein freundliches Bild.
Trumps politische Absichten gegenüber Japan sind allerdings sehr viel weniger gutmütig. Nur vier Tage nach dem Treffen verkündete Trump, er werde sich an seinem ersten Amtstag als Präsident sich von der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP) zurückziehen. Die TPP ist ein schwer errungenes Handelsabkommen zwischen zwölf Ländern, mit Japan und den Vereinigten Staaten Hauptunterzeichnern. Abe hatte große politische Energien darauf verwandt, die TPP auszuhandeln und in Tokio durchs Parlament zu bringen. Für den japanischen Premierminister hatte die TPP nicht nur wirtschaftliche, sondern insbesondere strategische Bedeutung. Genau wie Obama sah er das Aushandeln eines gigantischen neuen Handelsabkommens, das China jedoch bewusst außen vor ließ, als eine Möglichkeit, einer chinesische Dominanz der Asien-Pazifik-Region entgegenzuwirken.
Wie die Obama-Regierung hat auch Abe verstanden, dass der wahrscheinlichste Weg zu einem von China dominierten Asien über den Handel führt statt über einen Konflikt. Vor 20 Jahren war Amerika der wichtigste Markt für alle größeren asiatischen Ökonomien, und Japans multinationale Unternehmen waren die größten ausländischen Investoren in Südostasien. Aber diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile ist China der wichtigste Handelspartner für Südkorea, Japan, Australien und die Mehrzahl der Nationen Südostasiens. Auch chinesische Investitionen werden für die benachbarten Länder immer wichtiger und attraktiver. Das von Peking propagierte Projekt der «Neuen Seidenstraße», der Belt and Road Initiative (BRI), ist im Grunde genommen der Versuch, chinesische Investitionen mit dem Ausbau von Asiens Infrastruktur zu unterstützen. Die wachsende weltumspannende Bedeutung des chinesischen Handels und der chinesischer Investitionen hat geopolitische Auswirkungen. Asiatische Länder werden sehr viel weniger gewillt sein, sich gegen China zu positionieren — oder sich bei einem Territorialstreit auf die Seite der Vereinigten Staaten oder Japans zu schlagen —, wenn ihre ökonomische Zukunft vom Wohlwollen Pekings abhängt.
Für die Abe-Regierung war die TPP ein letzter Versuch, der Schaffung einer von China dominierten Sphäre in Ostasien etwas entgegenzusetzen. Trumps Absage war daher ein harter Schlag, was Japans Überlebensstrategie für das 21. Jahrhundert anbelangt. Aus Trumps Sicht ergab der TPP-Ausstieg dagegen Sinn. Er hatte im Wahlkampf gegen dieses angeblich desaströse Handelsabkommen gewettert. Es war das perfekte Symbol für den «Globalismus», den Trump strikt von sich wies. Und Trump war kaum allein mit seiner Feindseligkeit. Opposition gegen die TPP war auch das zentrale Merkmal der Wahlkampfkampagne von Bernie Sanders. Beim Nominierungsparteitag der Demokraten in Philadelphia im Juli 2016 waren Anti-TPP-Poster ebenso vorherrschend wie Pro-Clinton-Plakate, und sie wurden mit etwas mehr Elan geschwenkt.
Trumps Ausstieg aus der TPP war eine Entscheidung, die von innenpolitischen Erwägungen getragen war. Aber außerhalb der Vereinigten Staaten wurde die Entscheidung weithin als Symbol für den Rückzug Amerikas aus seiner globalen Führungsrolle angesehen. Ein paar Tage später befand ich mich im Büro eines hochrangigen EU-Vertreters in Brüssel, der mir sagte: «Es ist schon interessant: Als die Briten die dominierende Wirtschaftsmacht in der Welt waren, waren sie auch die Hauptbefürworter des Freihandels. Und als die Amerikaner diesen Status erlangten, wurden sie zu den Hauptbefürwortern freien Handels. Und nun verliert Amerika also den Glauben an die Globalisierung, und China ist der Hauptfürsprecher für den freien Handel. Man spürt, wie sich das Rad der Geschichte bewegt.»
Angesichts der vielen Schwierigkeiten, mit denen in China tätige ausländische Firmen weiterhin zu kämpfen haben, ist es etwas weit hergeholt, die chinesische Regierung als Hauptfürsprecher des Freihandels zu bezeichnen. Aber es ist sicherlich richtig, dass China den Angriff Trumps auf die TPP für sich genutzt hat. Binnen weniger Tage boxte Peking eine gegnerische, China-zentrierte Freihandelszone für die Asien-Pazifik-Region durch. Länder wie Australien, die die TPP unterzeichnet hatten, nur um von den Vereinigten Staaten fallengelassen zu werden, waren schnell dabei, ihr Interesse an der chinesischen Initiative zu bekunden.
Handel ist nicht das einzige Gebiet, auf dem Trumps politische Strategien wie «Amerika zuerst» China Möglichkeiten bietet, das Zepter globaler Führung in die Hand zu nehmen. Als Trump ankündigte, die Pariser Klimaschutz-Vereinbarungen aufzukündigen, war China schnell dabei, die Amerikaner vor so einem einseitigen Schritt zu warnen. Es wäre eine ungewöhnliche Umkehr der Verhaltensmuster während der Obama-Jahre, würde sich China plötzlich als der enthusiastischere Befürworter globaler Maßnahmen zum Klimaschutz entpuppen.
Unter Obama hatten die Vereinigten Staaten hin und wieder zu verstehen gegeben, dass China ein verantwortungsloser internationaler Akteur sei, dessen Handlungen beim Klimaschutz oder im Südchinesischen Meer die internationale Ordnung bedrohten. Die Ankunft Trumps im Weißen Haus bot Peking die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen. Jetzt waren es die Vereinigten Staaten, die man als instabilen und gefährlichen Mitspieler hinstellen konnte, während China sich die Rolle des Unterstützers internationaler Regeln und Vereinbarungen zuschrieb.
Auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar 2017 hielt Xi eine Rede, in der er die Globalisierung verteidigte, mit Worten, die Bill Clinton genauso in den 1990er Jahren hätte verwendet haben können. Als Trump mit einer militärischen Konfrontation Nordkoreas drohte, war es an China, an beide Seiten zu appellieren, die Ruhe zu bewahren. Das Chaos, das Trumps Weißes Haus von Anfang an kennzeichnete — und sich in der Entlassung des ersten Nationalen Sicherheitsberaters, General Michael Flynn, und des FBI-Chefs James Comey zeigte —, stand ebenfalls in deutlichem Kontrast zur scheinbaren Besonnenheit und zum langfristigen, strategischen Denken in Peking. Im Mai 2017, als Washington im Zuge der Entlassung Comeys durch Mutmaßungen über die mögliche Amtsenthebung Trumps erschüttert wurde, lud Präsident Xi zu einem internationalen Gipfel ein, um Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße zu fördern. Die größte Gruppe von ausländischen Regierungschefs, die sich seit den Olympischen Spielen 2008 in Peking einfand, konnte hören, wie die chinesische Regierung sich dazu verpflichtete, 150 Milliarden Dollar jährlich in die Infrastruktur von 68 Ländern zu investieren.
Trumps Feindseligkeit gegenüber China steht im krassem Gegensatz zu seiner herzlichen Bewunderung für Wladimir Putins Russland. Wie erklärt sich diese unterschiedliche Haltung? Gleich nach Trumps Wahlsieg rankten sich diverse Verschwörungstheorien um die mysteriöse Anziehungskraft, die der Kreml auf Trump ausübte. Diese Spekulationen reichen von russischer finanzieller Stützung des Trump-Imperiums bis hin zu Machenschaften beim Miss-Universe-Wettbewerbs, den Trump 2013 in Moskau abhielt. Lässt man diese jedoch beiseite, gibt es drei größere Erklärungen, warum der US-Präsident mit Russland und China so unterschiedlich umgeht.
Erstens betrachtet Trump die Welt hauptsächlich unter dem Aspekt wirtschaftlicher Konkurrenz. Die mächtige chinesische Wirtschaft ist ein respekteinflößender Konkurrent für die Vereinigten Staaten. Im Gegensatz dazu ist die russische Ökonomie verhältnismäßig schwach und scheint damit wenig bedrohlich.
Zweitens könnte es sein, dass Trump strategisch denkt und daher versucht, das stetig engere Bündnis, das zwischen Russland und China während der Obama-Jahre entstanden ist, wieder aufzubrechen. Seit den 1970er Jahren ist die Rede von einem strategischen Dreieck, das Washington mit Moskau und Peking verbindet. Die Öffnung Chinas durch Nixon und Henry Kissinger hatte das vorrangige Ziel, die Sowjetunion zu isolieren, indem China näher an die Vereinigten Staaten heranrückte. Die Trump-Regierung mag versuchen, diese Strategie im Umgekehrten zu verfolgen: näher an Moskau heranzurücken, um Peking zu isolieren. Die Tatsache, dass der 93-jährige Kissinger direkt nach der US-Wahl sowohl Trump Tower also auch Moskau besuchte, verleiht der Idee, Trump verfolge eine derartige strategische Verschiebung, etwas Glaubwürdigkeit.
Ein dritter Grund, weshalb es einige im Trump-Lager zu den Russen zieht, ist die Bedeutung, die bestimmte Schlüsselberater — Bannon ebenso wie Flynn — der «Bekämpfung» des radikalen Islamismus beimessen. Sie glauben, dass sich die Welt auf dem Weg zu einem existenziellen Kampf zwischen Islamismus und westlicher Zivilisation befindet und dass Russland und die Vereinigten Staaten in diesem Kampf natürliche Verbündete seien. Solche Vorstellungen bedeuten ein völliges Umdenken der Idee des Westens. Während des Kalten Krieges definierten die amerikanischen Regierungen den Westen ideologisch, nämlich als Gruppe von Ländern, die Ideen wie Demokratie und Kapitalismus unterstützten. Folglich befand sich die Sowjetunion ganz klar auf der anderen Seite des Grabens. Im jetzigen Washington sehen viele Putins Russland weiterhin als die Definition eines anderen, feindseligen Wertesystems. Aber für Trumps Berater, die den Westen ein kulturellen oder ethnischen Begriff verstehen, ist Russland ein Verbündeter: ein weitestgehend christliches Land, geführt von weißen Europäern, das ebenfalls in einem gewaltsamen Kampf gegen den radikalen Islamismus in Tschetschenien oder Syrien steht. Putins kultureller Konservativismus mitsamt seiner Feindseligkeit gegenüber den Rechten Homosexueller spricht dazu viele im Trump-Lager an.
Definiert man Russland neu als Außenposten westlicher Kultur, ließe sich Trumps Umarmung Putins ideologisch besser verstehen. Tatsächlich könnte Russland im Kampf um die westliche Vorherrschaft im Zeitalter der Veröstlichung auf längere Sicht als Verbündeter erscheinen. Sollte Russland zu schwach werden, wird China automatisch Zentralasien dominieren. Amerikaner, die ein übermächtiges China fürchten, könnten etwas Gutes darin sehen, ein robusteres Russland zu unterstützen, nämlich als Bollwerk gegen Peking.
Es gibt jedoch einige Einwände gegen diesen Ansatz und wie Trump ihn umsetzt. Erstens ist es durchaus wahrscheinlich, dass ein gewiefter und erfahrener Putin zusehen wird, die größtmöglichen Vorteile aus der Trump-Regierung zu ziehen, ohne dass sich Russland in eine anti-chinesische Front einreihen würde. Zweitens würde eine Entente zwischen Moskau und Washington, die über die Köpfe der europäischen Verbündeten hinweg geschlossen würde, die Europäische Union destabilisieren.
Die EU durcheinanderzubringen, davor hätte Trump sicherlich keine Skrupel. Er ist der erste US-Präsident seit 1945, der weit mehr Bewunderung gegenüber dem Herrscher Russlands ausgedrückt hat als gegenüber der Kanzlerin Deutschlands. Während Trump Putin durchweg in den Zeiten seiner Präsidentschaftskandidatur als starken Führer lobte, griff er Angela Merkels Bereitwilligkeit, mehr als eine Million Flüchtlinge aufzunehmen, als «verrückt» an. Berichten nach soll Trump Merkel sogar eine unechte «Rechnung» über 376 Milliarden Dollar vorgelegt haben — die Summe, die Deutschland laut Trump der NATO schulde.
Für Leute wie Bannon ist die EU zudem Fackelträgerin der internationalistischen und «globalistischen» Philosophie, die sie konsequent ablehnen. Bannon selbst hat nach seinem Abschied vom Weißen Haus Verbindungen mit den extrem rechten und antieuropäischen Parteien in Europa geknüpft, unter anderem mit dem Front National in Frankreich und der Alternative für Deutschland. Seine Vorstellungen werden weiterhin von Beratern im Weißen Haus geteilt, beispielsweise vom Redenschreiber des Präsidenten, Stephen Miller, und sie sind Teil eines tiefergehenden Systems rechtslastigen Gedankenguts in Amerika, das Sender wie Fox News oder Websites wie Breitbart verbreiten.
Der traditionelle Westen als politisches Konzept stand immer auf zwei Säulen: Nordamerika und Europa. Sollten die Vereinigten Staaten und die EU während der Trump-Jahre in einen tieferen Konflikt geraten, wäre das «westliche Bündnis» in große Schwierigkeiten. Trump als Befürworter des Mottos «Amerika zuerst» wird es nichts ausmachen, Europa vor den Kopf zu stoßen. Aber der Untergang der westlichen Allianz würde tatsächlich Trumps Plan, Amerikas Größe wiederherzustellen, stark untergraben; Amerika hätte dann weit weniger Macht und Möglichkeiten, das Weltgeschehen zu formen. Sollte es dazu kommen, würde dies letztlich die Verlagerung des Wohlstands und der Macht nach Asien beschleunigen, die von Trump und seinen Anhängern so gefürchtet wird.
Die politischen Auswirkungen des Aufstiegs Asiens werden heute durch die anhaltende Stärke der westlichen Verbündeten gebremst. Aber sollte der Westen selbst ins Chaos stürzen, würde der Prozess der Veröstlichung an Fahrt gewinnen, und damit auch der Verfall amerikanischer Macht.
In Zeiten des chinesischen Kaiserreichs wurden Besucher des Hofes häufig als «Barbaren» behandelt, die dem Kaiser Respekt zu zollen hatten. Diese Behandlung spiegelt sich auch heute noch in der Art und Weise wider, in der Chinas moderne Führer mit der restlichen Welt umgehen, wie ich im November 2013 am eigenen Leib erfuhr, als ich als Teil einer kleinen westlichen Besuchergruppe von Präsident Xi Jinping in Peking empfangen wurde. Der Gruppe gehörten einige hochkarätige Leute an, einschließlich ehemaliger Premierminister wie Gordon Brown aus Großbritannien und Mario Monti aus Italien, sowie eine Reihe von Milliardären aus dem Westen.1 Nichtsdestotrotz wurden die ausländischen Granden ein bisschen wie eine Gruppe von Schulkindern behandelt.
Zunächst wurden wir in einen riesigen Raum in der Großen Halle des Volkes geführt, um danach für ein Gruppenfoto mit dem Präsidenten auf Bänken aufgereiht zu werden. Nach einer Weile rauschte Präsident Xi in den Raum und schüttelte einige Hände («Ich habe ihn berührt», keuchte der berühmte Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit gespielter Ehrfurcht), bevor er für das Foto posierte.
Einige Minuten später begann die Rede des Präsidenten. Xi, der im Zentrum eines Festsaals vor einem gigantischen Wandgemälde der Chinesischen Mauer unter Kronleuchtern und vor einem Halbkreis aus ehemaligen westlichen Führern platziert war, begann seine Ausführungen damit, seine Besucher daran zu erinnern, dass «China eine alte Zivilisation ist, die auf eine über 5000jährige Geschichte zurückblickt». In vielerlei Hinsicht handelte es sich dabei um eine Standardformulierung. Tatsächlich ist Chinas Bewusstsein seiner tausendjährigen Geschichte aber ein elementarer Bestandteil des chinesischen Selbstverständnisses. Und bedeutet darüber hinaus zwangsläufig, dass China die Vereinigten Staaten in gewisser Weise als Emporkömmling betrachtet — ein Land, das erst seit 250 Jahren existiert, also eine kürzere Zeitspanne umfasst als so manche chinesische Dynastie.
Präsident Xis Entschlossenheit, den Wohlstand und die Macht seines Landes wiederherzustellen, war das zentrale Thema seiner Rede. Einer seiner liebsten Slogans, den er mehrere Male an seinem ausländischen Publikum ausprobierte, war «die große Verjüngung» der chinesischen Nation.2 Gleichzeitig war der Präsident jedoch darum bemüht, seinem Publikum zu versichern, dass Chinas Aufstieg nicht zum Konflikt mit der Außenwelt führen würde: «Wir alle müssen zusammenarbeiten, um nicht in die ‹Thukydides-Falle› zu tappen — wir wollen zerstörerische Spannungen zwischen einer aufstrebenden Macht und einer etablierten Macht vermeiden», betonte Xi.
Xis Verweis auf die «Thukydides-Falle» zeigt, dass er (oder seine Mitarbeiter) die amerikanische Debatte über den Aufstieg Chinas offensichtlich verfolgen. Der Harvard-Professor Graham Allison hat diesen Begriff geprägt, um die Gefahren einer Zeit zu beschreiben, in der eine etablierte Großmacht von einer aufstrebenden Macht herausgefordert wird. Allison fand heraus, dass seit dem Jahr 1500 in zwölf von sechzehn dieser Fälle die Rivalität in einem Krieg mündete. Dieses wiederkehrende Muster beschreibt er als Thukydides-Falle, basierend auf der Beobachtung des antiken griechischen Historikers, dass der Krieg zwischen Athen und Sparta im 5. Jahrhundert v. Chr. durch Athens Furcht vor einem aufsteigenden Sparta verursacht worden war. Allison behauptet, dass «die entscheidende Frage zur globalen Ordnung in den kommenden Jahrzehnten sein wird: Können China und die Vereinigten Staaten der Thukydides-Falle entkommen?»3
Das Risiko eines Konflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China hat auch im Laufe der Obama-Jahre im Weißen Haus Besorgnis erregt. Während eines Großteils seiner Amtszeit musste Präsident Obama seine Energien auf eine Reihe von Krisen im Mittleren Osten konzentrieren. Die vielen langen Nächte, die er im Situation Room tief im Keller des Weißen Hauses verbrachte, hatten kaum etwas mit Asien zu tun — abgesehen von der gelegentlichen spätabendlichen Bestellung von kulinarischen Take-aways.
Aber Obama wusste, dass dies nicht der Idealfall ist. Und obwohl sein Blick durch den Rauch der Feuer im Mittleren Osten getrübt wurde, hat Obama begriffen, dass Chinas Aufstieg ein epochales Ereignis ist, das nach einer Antwort verlangt. Diese Antwort muss gleichermaßen konsequent und nachhaltig sein, wenn die Vereinigten Staaten ihre privilegierte Position in der Weltpolitik bewahren wollen. Aber sie muss bedächtig und differenziert sein, um Amerika nicht in einen potenziell verheerenden Konflikt in Asien zu stürzen.
Die Herausforderung ist umso größer, da die aufkommende Rivalität zwischen Amerika und China nur ein Teil einer größeren Geschichte ist. Seit mehr als 500 Jahren, seit dem Beginn der europäischen Kolonialzeit, wurde das Schicksal der Länder und Menschen in Asien, Afrika und auf dem amerikanischen Kontinent von Entwicklungen und Entscheidungen in Europa — und später in den Vereinigten Staaten — bestimmt. Aber die jahrhundertelange westliche Dominanz der Weltpolitik geht nun dem Ende entgegen. Die grundlegende Ursache dieses Wandels ist die außergewöhnliche wirtschaftliche Entwicklung in Asien in den letzten 50 Jahren. Die politische Macht des Westens beruhte auf technologischer, militärischer und wirtschaftlicher Überlegenheit — aber dieser Vorsprung schwindet schnell. Und in der Weltpolitik werden die Konsequenzen nun spürbar.
Das zentrale Thema der Weltpolitik während der Obama-Jahre war die stetig schwindende Macht des Westens, die internationale Politik zu bestimmen. Dieser Machtverlust ist eng mit der wachsenden Konzentration von Wohlstand in Asien verknüpft — und vor allem mit dem Aufstieg Chinas verbunden. Eine Folge ist eine gefährliche Zunahme von diplomatischen und militärischen Spannungen innerhalb Asiens, wo ein aufstrebendes China die amerikanische und japanische Vormachtstellung herausfordert und seine umstrittenen territorialen Ansprüche mit neuer Aggression verfolgt. Die Vereinigten Staaten drängen ihrerseits die chinesische Macht zurück, verlagern militärische Ressourcen in den Pazifik und stärken ihr Netz von Verbündeten, mit Ländern wie Indien und Japan, was als die amerikanische «Hinwendung nach Asien», auch «pivot to Asia» genannt, bekannt wurde. Dieser Prozess wird im ersten Teil dieses Buches beschrieben.
Der zweite Teil beschreibt, wie der Prozess der «Veröstlichung», vom englischen Begriff «Easternisation», die Politik in der Welt jenseits von Asien verändert. Die meisten der außenpolitischen Krisen der Obama-Jahre haben außerhalb Asiens stattgefunden — sei es der Bürgerkrieg in Syrien, die dramatische Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland oder das politische und wirtschaftliche Durcheinander innerhalb der Europäischen Union. Dennoch: Der rote Faden, der diese scheinbar unterschiedlichen Ereignisse miteinander verbindet, ist das wachsende Unvermögen des Westens, als Stabilitäts- und Machtfaktor zu agieren und Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen. Natürlich gab es auch zu den Hochzeiten der amerikanischen oder europäischen Vormachtstellung Kriege, Konflikte und Revolutionen, die bei den Drahtziehern im Westen für Verwirrung und Frustration sorgten. Aber es ist neu, dass die politische, strategische und ideologische Dominanz des Westens jetzt in ganzen Regionen, ja sogar weltweit, infrage gestellt wird — in Asien, im Mittleren Osten, in Osteuropa, in Lateinamerika und in Afrika.
Diese Schwächung der westlichen Macht wird im Mittleren Osten besonders deutlich, wo die politische Ordnung, die nach dem Ersten Weltkrieg von den europäischen Mächten aufgebaut und nach 1945 von den Vereinigten Staaten unterstützt wurde, zerfällt. Die Folgen sind Krieg, Terrorismus und der Zusammenbruch mehrerer Staaten. Die Vereinigten Staaten, gezügelt durch ihr Unvermögen, klare Siege in den Kriegen in Irak und Afghanistan zu erringen, sind bisher vor der Anwendung massiver Gewalt zur Wiederherstellung der Ordnung im Mittleren Osten zurückgeschreckt. Und auch die Europäische Union, zerrüttet von der Wirtschaftskrise, war nicht in der Lage, effektiv auf die Konflikte an ihren Grenzen zu reagieren. Stattdessen wurde Europa selbst durch die Flüchtlingsströme aus dem zerfallenden Mittleren Osten destabilisiert.
Ich glaube, dass die Obama-Jahre irgendwann als ein Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte gesehen werden werden — als eine Zeit, in der die Erosion der Macht des Westens offensichtlich wurde. Und obwohl viele Kritiker des Präsidenten behaupten, dass die Schwäche des Westens Obamas Schuld sei, sind sehr viel tiefer gehendere Kräfte am Werk. Die wichtigste Entwicklung ist die langfristige Verschiebung globaler Wirtschaftsmacht — die es den Vereinigten Staaten und Europa erschwert hat, die militärischen, politischen und ideologischen Ressourcen zu generieren, die sie benötigen, um Ordnung in der Welt zu schaffen.