Das Innere Taijiquan

Das Innere Taijiquan

Einführung in den
authentischen Yang-Stil
für beide Atemtypen

Inhalt

Vorwort

Einführung

Teil 1 – Theoretische Grundlagen

Erstes Kapitel:

Philosophiegeschichtliche Hintergründe

Zweites Kapitel:

Kosmologie – das ›Taiji‹-Diagramm des Zhou Dunyi

Drittes Kapitel:

Taijiquan und Qigong

Viertes Kapitel:

Religiöser Daoismus – die Schwerkraft und den Tod besiegen

Fünftes Kapitel:

Yang Zhu – den Tod annehmen, das Leben genießen

Sechstes Kapitel:

Zhang Sanfeng – die Überwindung der Schwerkraft

Siebtes Kapitel:

Die Form – im Goldenen Jetzt

Achtes Kapitel:

Taijiquan als Kampfkunst – freundlich gewinnen

Neuntes Kapitel:

Die Geschichte des authentischen Yang-Stils

Zehntes Kapitel:

Die Lehre von den Atemtypen

Elftes Kapitel:

Taijiquan und Atemtypen

Teil 2: Die Form

Zwölftes Kapitel:

AtemtypTaiji für Einatmer/Lunare

Dreizehntes Kapitel:

AtemtypTaiji für Ausatmer/Solare

Anhang

Berechnungstabellen zum Atemtyp

Übersicht der Form (lunar/solar)

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Taiji (oder Taichi) ist keine Entspannungstechnik. Wird es so verstanden und praktiziert, wirkt es vielleicht entspannend, aber sein Kern, der es so einzigartig macht, wird verfehlt. Entspannung – besser: Lockerheit – ist der Weg, zu diesem Kern zu gelangen, aber nicht das Ziel, um das es geht.

Taiji oder Taijiquan ist ein ganzheitlicher Weg zu sich selbst. Es ist Körpertherapie, weil es einen lehrt, die eigene Haltung und Bewegung zu verbessern und dadurch Krankheiten und Beschwerden, die durch »Fehlhaltung« bedingt sind, zu lindern und zu heilen. Es ist »Energiearbeit«, weil seine Bewegungen den Fluss der inneren Energie Qi freilegen und aktivieren. Es ist praktizierte Spiritualität, weil es die eigene Individualität vom Ich zum Selbst durch die Erfahrung erweitert, Bestandteil des Kosmos zu sein. Es ist ein Weg der Selbstbehauptung, die nicht auf Kosten anderer realisiert wird, sondern mit der Entwicklung eines »Spürbewusstseins« einhergeht, das gleichermaßen Eigenes und Fremdes zu unterscheiden und anzuerkennen lernt. Es ist ein Weg zur inneren Kraft, die die eigene Aggressivität transformiert und umwandelt in eine reale Kraft, die ohne willkürliche Muskelanspannung und Einsatz des Körpergewichts andere abwehren kann, ohne sie verletzen zu müssen. Es ist ein Weg, ein »energetischer Mensch« zu werden.

»Der energetische Mensch empfindet kein Bedürfnis, sich Menschen und Dingen aufzuzwingen und einzuprägen. Er lebt aus dem erregenden Gefühl, dass Menschen und Dinge auf ihn zukommen und ihn ›in das Abenteuer der Erfahrung verwickeln‹ (Sloterdijk). Er liefert sich nicht aus, sondern lässt geschehen. Er stimmt dem zu, was sich ereignet. Er weiß, dass es unmöglich ist, zweimal in denselben Fluss zu steigen (Heraklit), und hält sich frei und verfügbar. Er kommt dem schläfrigen Widerstand zuvor und ist von entspannter Wachheit. Weil er Menschen nicht festhält, gedeihen seine Beziehungen. Weil er nichts erreichen will, gelingt ihm vieles. Er zielt nicht darauf ab, eine originelle Persönlichkeit zu sein; vielmehr liegt ihm an Verständigung und Beziehung. Und doch prägt sich gerade in ihm das Leben auf eigentümliche Art aus.«1

Diese Einzigartigkeit besitzt Taiji nur als »inneres Taiji«. Dieser Begriff, von meinem langjährigen Lehrer, Meister K. H. Chu, für seine Arbeit verwendet und von mir 2004 in der ersten Auflage dieses Buches veröffentlicht, ist ganz konkret zu verstehen.

Begreift man »Taiji« als den höchsten Pol, der Himmel und Erde verbindet – also als Achse vom Erdmittelpunkt zum Polarstern –, dann bedeutet »inneres Taiji«, diese Achse »innen«, also »in sich«, zu haben und mit seiner Körperhaltung Erde und Himmel zu verbinden. »Achse« ist durchaus mechanisch zu verstehen: Um Teil der Weltachse zu werden, müssen Rumpf- und Beinachse zu einer einzigen werden. Im Qigong und der daoistischen Meditation wird der Rumpf aufrecht getragen, damit der »Taiji-Pol«, die Verbindung der Energiezentren (»Dantian«, den Chakren vergleichbar), realisiert werden kann. Beim inneren Taiji geht es darum, den solchermaßen aufrechten Rumpf so mit den Beinen zu tragen, dass eine durchgehende Körperachse (in den jeweiligen Endpositionen) erreicht wird – eben »Taiji«. Gelingt das nicht, bleiben die Bewegungen »äußeres Taiji«, dem die Verbindung von Himmel und Erde fehlt, nicht nur im physikalischen Sinn.

Nach meiner Trennung von Meister Chu 2005 begann ich, die Lehre von den Atemtypen in meine Arbeit zu integrieren, was ohne die Mitarbeit und Unterstützung meiner Schülerinnen und Schüler nicht möglich gewesen wäre. Die Darstellung der Bedeutung der Atemtypen für Taiji – AtemtypTaiji – war das Motiv, dieses Buch zu überarbeiten und in einem erheblich erweiterten Fototeil anschaulich zu machen. Die Einführung und Kapitel 1 bis 9 wurden – mit geringen Korrekturen – beibehalten und in ihrer Aussage, die meinem heutigen Blick entspricht, unverändert gelassen, lediglich die Transkription der chinesischen Namen wurde verändert.

Die Lehre von den Atemtypen wurde vor etwa 60 Jahren von dem deutschen Musiker Erich Wilk formuliert und ist heute als Terlusollogie® bekannt. Sie besagt, dass entweder aktives Einatmen oder aktives Ausatmen der Weg zur eigenen Kraft ist. Die Terlusollogie® unterscheidet zwei konstitutionelle Typen von Menschen, deren Organismus und deren Verhalten in einer erstaunlich deutlichen Abhängigkeit von Sonne und Mond stehen. Gemäß deren Stand zum Zeitpunkt der Geburt wird ein eher sonnenabhängiger, solarer Typ oder sein Gegenstück, ein mehr mondabhängiger, lunarer Typ, bestimmt. Ich habe diese Lehre nicht in das Taiji hineingetragen, sondern die Atemtypen durch eigene Praxis und Quellenstudium darin entdeckt, sozusagen das »ausgegraben«, was immer im Taiji vorhanden war, aber nie systematisch unterschieden und formuliert wurde; die Unterschiede, die auf die Atemtypen zurückzuführen sind, galten und gelten im traditionellen Taiji immer als individuelle Vorlieben.

Mein Dank gilt zunächst Judith Hechler und Daniela Wernli, beide solar und mit großem »Spürbewusstsein« begabt; Judith gab den ersten Anstoß, die Atemtypen in Taiji zu untersuchen, und Daniela wies mich auf die subtileren energetischen Unterschiede der Atemtypen in Taiji hin, die ich in einem späteren Werk darlegen möchte. Ebenfalls Dank gilt Antie Keiser-Kamer, Aleksandra Pavic und Winfried Huthmacher (alle solar) und Matthias Kamer (lunar) für ihre Offenheit und Bereitschaft, ihre Erfahrungen zu kommunizieren, sowie Bianca Breitfeld, Katharina Kadler, Roland Pohl und Florian Siebert (alle solar) sowie den Lunaren Taly Duenas, Marion Schnoor und Andreas Korycik darüber hinaus für ihre Mitwirkung im Fototeil. Auch den Lunaren verdanke ich – als Lunarer – viel für ihr Feedback und ihre Kritik, zuvörderst meinem ersten Meisterschüler (und Zen-Lehrer) Taiji-Meister Klaus Vorpahl, der unsere Arbeit mit seinen im Zen gemachten Erfahrungen bereichert und mit buchhändlerischer Akribie das Literaturverzeichnis aktualisiert hat, sowie meinem zweiten Meisterschüler Andreas Korycik für die Überarbeitung und Sevil Demirsan für die Formatierung der Beschreibungen der Bewegungsabläufe. Dank auch an Harry Tränkner für die Fotos, Rosario Young-Poblete für die Erstellung der Zeichnungen im Übungsteil, Bert Aufdemkamp für Anregungen, die Terlusollogie betreffend, Dr. Hermann Schultz für seine Übertragung der chinesischen Namen der Einzelformen sowie Hans-Kurt Schäfer für die Besorgung der Pinyin-Umschrift der chinesischen Namen im Textteil. Und besonderen Dank an Susanne Klein, Programmleiterin des Theseus-Verlags, für ihre Unterstützung und Anregung meiner – inzwischen drei – von ihr betreuten Projekte. Last but not least Dank an Karin Rumpf, die mir seit Anfang 2010 als Mitarbeiterin der Akademie nicht nur den Rücken frei hält von administrativen Aufgaben aller Art, sondern auch ihren hellen, guten Geist immer von Neuem einbringt.

Der praktische Teil dieses Buches soll als Übungshilfe für den Anfänger, aber auch als Orientierung für Fortgeschrittene dienen und ihnen helfen, ihre Praxis immer neu zu überprüfen. In diesem Sinne ist es als Begleitbuch auf dem Taiji-Weg gedacht, ähnlich wie mein zweites Buch (Anders 2) als rein theoretisches Begleitbuch konzipiert war und diese Rolle jetzt schon 25 Jahre lang ausfüllt. Anderen, die auf der Suche nach dem für sie richtigen Taiji-Stil sind, mag es als Orientierungshilfe dienen. Wer es als Lehrbuch zum Selberlernen ohne Lehrer nutzen möchte, dem sei die Doppel-DVD Das innere Taijiquan aus dem Frühjahr 2011 als Ergänzung empfohlen, und dem, der tiefer einsteigen möchte in das AtemtypTaiji, mein Buch von 2009 (Anders 3).

Frankfurt am Main, im März 2011

Frieder Anders