9783549100028.jpg

Das Buch

Woher kommen wir? Wer sind wir? Was unterscheidet uns von anderen? Diese Fragen stellen sich heute drängender denn je. Johannes Krause und Thomas Trappe spannen den Bogen zurück bis in die Urgeschichte und erzählen, wie wir zu den Europäern wurden, die wir sind.

Migration und Wanderungsbewegungen sind keine Phänomene der Neuzeit: Seit der Mensch den aufrechten Gang beherrschte, trieb es ihn aus seiner Heimat Afrika in die ganze Welt, auch nach Europa. Bis vor Kurzem lag diese Urgeschichte noch im Dunkeln, doch mit den neuen Methoden der Genetik hat sich das grundlegend geändert. Johannes Krause, einer der führenden Experten auf dem Gebiet, erzählt gemeinsam mit Thomas Trappe, was uns die Gene über unsere Herkunft verraten: Gibt es „Urvölker“? Wann verloren die frühen Europäer ihre dunkle Haut? Welche Rolle spielte die Balkanroute in den vergangenen 40 000 Jahren? Eine große Erzählung, die zeigt: Ohne die Einwanderer, die über Jahrtausende aus allen Richtungen nach Europa kamen und immer wieder Innovationen mitbrachten, wäre unser Kontinent gar nicht denkbar.

Die Autoren

Johannes Krause, geb. 1980, ist Professor für Archäogenetik, Experte für die Entschlüsselung der DNA aus alten Knochen und Direktor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena. 2010 entdeckte er auf Grundlage eines Mittelfingerknochens den Denisova-Menschen, einen neuen Urmenschen. Das Wissenschaftsjournal »Nature« bezeichnete Krause als »rising star in ancient-DNA research«. Er lebt in Leipzig.

Thomas Trappe, geb. 1981, ist Journalist und hat sich intensiv mit dem Rechtspopulismus beschäftigt. Er veröffentlichte in der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und »Die Zeit«. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Axel-Springer-Nachwuchspreis ausgezeichnet. Er lebt in Berlin.

Johannes Krause

mit Thomas Trappe

Die
Reise
unserer
Gene

Eine Geschichte über uns
und unsere Vorfahren

Q-Siegel_Titel.png

Propyläen

Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein-buchverlage.de

Q-Siegel_Impressum.png

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.
Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN: 978-3-8437-2032-8

© 2019 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Karten: Peter Palm

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

INHALT

Über das Buch und die Autoren

Titelseite

Impressum

PROLOG

KAPITEL 1

Ein Knochen auf dem Schreibtisch

Eine Billion am Tag

Fortschritt durch Mutationen

Es grüßt der Urmensch

Die Mutter aller Gene

Die wilden Jahre sind vorbei

Die Mär vom Urvolk

Die Reise von Pest und Cholera

KAPITEL 2

Urmenschen-Sex

Das Problem mit der Inzucht

Die Festung Europa fällt

Giftiger Regen am dunklen Horizont

Eine Brücke nach Osten

KAPITEL 3

Ein Platz an der Sonne

Das einfache Leben in der Wildnis

Natürliche Verhütung, archaische Rituale

Pioniere der Gentechnik

Die Leiche im Keller

Helle Haut als Fleischersatz

Die unverwüstliche Balkanroute

KAPITEL 4

Jäger auf der Flucht

Stress und ungesunde Ernährung

Steigende Gewaltbereitschaft auf engem Raum

Schwedische Traktoren

»Genetische Fossilien« auf Sardinien

Das Zeitalter der Infektionskrankheiten beginnt

KAPITEL 5

Cowboys und Indianer

Die Vier-Komponenten-Europäer

Ein schwarzes Loch von 150 Jahren

Die Spätfolgen nationalistischer Geschichtsschreibung

Männliche Dominanz

Die Milch macht’s

Aufbruch zur Massentierhaltung

KAPITEL 6

Sprachlose Knochen

Vulkanausbruch auf Santorin

Kein Slawisch in Großbritannien

Sprache ist Mathematik

Wurzeln im Iran

Sprache als Herrschaftsinstrument

KAPITEL 7

Fortschritt durch Bronze

Die Erfindung des Patriarchats

Konsumgesellschaft und Massenproduktion

Das Ende des Einzelkämpfers

Der Fruchtbare Halbmond

Das Fundament steht

KAPITEL 8

Der Mensch ist die neue Fledermaus

Der arme Floh

Hilfe vom Pentagon

Die Pest folgt der Migration

Auf dem Rücken der Pferde

Spätrömische Zustände

Grenzen dicht, Misstrauen gegen Fremde

Der Angriff des Klonkriegers

Zurück zu den Wurzeln

KAPITEL 9

Tod im Sammellager

Lepra in Londoner Parks

Die Lepra geht, die Tuberkulose kommt

Eine hundertjährige Todeswelle

Die Täuschungen der Syphilis

Unterschätzte Gefahr

SCHLUSS

Keine Romantisierung, kein Fatalismus

Die Sehnsucht nach Wald und Wiese

Ist die Genetik rehabilitiert?

Nationale Grenzen sind keine genetischen

Afrika, der schwarze Block

Volk und Rasse waren einmal

Die beschränkte Kraft der »Intelligenzgene«

Die Verlockungen des Menschen-Designs

Grenzenlos

Quellen

Danksagung

Karte: Die Besiedlung der Welt durch den modernen Menschen

Karte: Neolithische Kulturen

Bildnachweis

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

PROLOG

Nach der Pandemie sollte nichts mehr sein, wie es vorher war. Wie ein Sturm fegte die bis dahin unbekannte Krankheit über Europa, und wo sie wütete, sortierten sich komplette und seit Jahrhunderten etablierte Gesellschaftssysteme völlig neu. Die Macht der Krankheitserreger spürte die Menschheit vor 4.800 Jahren mit brachialer Gewalt. Die Seuche nahm im Osten ihren Ausgang und sorgte offenbar dafür, dass sich die genetische Struktur der in Europa lebenden Menschen nahezu komplett änderte – Osteuropäer also den Kontinent übernahmen und schließlich die Bronzezeit einleiteten. Es war die Pest, die Europa in der Steinzeit wahrscheinlich das erste Mal heimsuchte, und danach im Laufe der Geschichte immer wieder schlimmste Verheerungen anrichtete. Schon im Mittelalter versuchten die Menschen, durch Einreisesperren, Quarantänen und ein Runterfahren der Handelsbeziehungen die Krankheit einzudämmen, deren Ursache sie nicht kannten, deren Ausbreitung sie aber direkt beobachten konnten. In Venedig etwa, einem wirtschaftlichen Kraftzentrum jener Zeit, erlahmten die Handelsbeziehungen. Und in den Straßen starben die Menschen in einer Zahl, die nur noch Massenbestattungen zuließ. Zustände, von denen man bis vor Kurzem hoffte, dass sie sich nicht wiederholen würden. Bis im März 2020 Bilder um die Welt gingen: Von Militärlastern, die in Bergamo Leichen von Menschen, die an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben waren, in Krematorien abtransportierten.

Fast 5000 Jahre sollte es dauern, bis wir überhaupt von der Steinzeitpest erfuhren. Mit revolutionärer Technologie bewaffnet, zermahlten wir uralte Knochen zu Staub und destillierten aus ihrer DNA die Geschichten, die wir in diesem Buch erzählen. Der junge Wissenschaftszweig der Archäogenetik nutzt in der Medizin entwickelte Methoden, um altes Erbgut, das teilweise Hunderttausende Jahre alt ist, zu entschlüsseln. Das Fach nimmt gerade noch Fahrt auf, doch ist der bisherige Erkenntnisgewinn schon unermesslich. In menschlichen Knochen aus einer fernen Vergangenheit erkennen wir nicht nur genetische Profile der Verstorbenen, sondern auch, wie sich ihre Erbanlagen in Europa ausbreiteten, also wann und woher unsere Vorfahren kamen. Und auch die Bakterien tödlicher Krankheiten, nicht nur der Pest, können wir inzwischen aus den in Zähnen getrocknetem Blut hunderter und tausender Jahre alter Knochen herausfiltern. Die Geschichte und auch die Krankengeschichte Europas kann dank dieser archäogenetischen Verfahren völlig neu erzählt werden. Und es zeigt sich, dass zwei der großen Themen, die die Welt derzeit, in den zurückliegenden und wohl auch den kommenden Jahren beschäftigen, Konstanten in der menschlichen Geschichte sind: Tödliche Pandemien und ständige Migrationsbewegungen.

Als dieses Buch im Februar 2019 erschien, war die politische Diskussion in Deutschland noch geprägt von der »Flüchtlingskrise« des Jahres 2015. Die Aufmerksamkeit der Leser und der Presse richtete sich vor allem auf jene Passagen, in denen es um die archäogenetischen Nachweise der unzähligen Migrationsbewegungen in der Welt und den ständigen genetischen Austausch unser aller Vorfahren ging. Nun, ein Jahr später, scheint dies weit weg, da der gesamte Globus es mit der erbarmungslosen Kraft eines Virus namens SARS-CoV-2 zu tun bekommen hat. Und auch, wenn sich ein Vergleich zwischen der sehr viel tödlicheren Pest und dem neuartigen Corona-Virus verbietet, so zeigt sich doch eine Parallele: Schon immer vermochten es unsichtbare Pathogene, ganze Gesellschaften von einem Tag auf den anderen aus dem Gefühl der Unangreifbarkeit in eine lähmende Ohnmacht zu stürzen. Welche Folgen die derzeitige Pandemie für das Europa der Zukunft haben wird, das vermag heute noch niemand abzuschätzen. In diesem Buch, immerhin, können wir zeigen, was solche Ereignisse für unsere Vorfahren bedeuteten. Es wäre vermessen, daraus politische Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, denn das ist nicht die Aufgabe der Archäogenetik. Aber wir können helfen, besser einzuordnen. Und Europa als das zu verstehen, was es ohne Zweifel ist: eine sich über Jahrtausende erstreckende Fortschrittsgeschichte, die ohne die Migration und Mobilität von Menschen unmöglich gewesen wäre, und die es immer wieder vermochte, auch aus katastrophalen Pandemien letztlich gestärkt hervorzugehen. Wir müssen kein Geheimnis daraus machen, dass wir zumindest in diesem Punkt auf eine Wiederholung der Geschichte hoffen.

Zunächst aber sollen in diesem Buch die großen Migrationswellen, die Europa seit der Urzeit prägten und auch jene, die von hier ausgingen, Thema der folgenden Seiten sein. Wir beschäftigen uns unter anderem mit der ewigen Balkanroute und den seit Menschengedenken auftretenden Konflikten, die mit Migrationen einhergingen. Wir werden erklären, warum die ersten Europäer dunkelhäutig waren. Und warum man mit Genomanalysen einzelne Europäer zwar auf einer Landkarte verorten kann, Völker oder gar Nationalitäten sich aber genetisch nicht eingrenzen lassen. Wir spannen einen Bogen von der Eiszeit, in der die genetische Reise der Europäer begann, bis zum Heute, in welchem wir kurz davorstehen, unsere Evolution in die eigenen Hände zu nehmen. Wohlgemerkt sollen mit dem Buch nicht nur politische Kontroversen adressiert werden, sondern auch erstmals die Erkenntnisse der Archäogenetik über die Geschichte Europas in einem deutschsprachigen Werk zusammengefasst werden.

Für Schwarz-Weiß-Debatten taugen die neuen Erkenntnisse nicht. Zweifelsohne prägten Einwanderer Europa, und fraglos brachten die damit einhergehenden Verwerfungen viel Leid mit sich, etwa für die Jäger und Sammler, die von den anatolischen Ackerbauern verdrängt wurden. Und ja, die Geschichte der Migration war auch immer eine der tödlichen Krankheiten. Das Buch liefert, dessen sind wir uns bewusst, Argumente für diejenigen, die gegenüber der Migration aufgeschlossen sind, wie auch für jene, die ihr strikte Grenzen setzen wollen. Nur wird hoffentlich niemand nach der Lektüre noch abstreiten, dass die Mobilität in der Natur des Menschen liegt. Am liebsten wäre den Autoren natürlich, wenn sich die Leser ihrem Standpunkt annäherten, dass die seit Jahrtausenden erprobte globale Gesellschaft auch in Zukunft der Schlüssel zum Fortschritt sein wird. Die Zeiten, die die Welt gerade durchlebt, zeigen die Zweischneidigkeit der menschlichen Mobilität schließlich wie unter einem Brennglas. Einerseits wäre die Ausbreitung von Covid-19 ohne sie kaum denkbar gewesen. Andererseits führt ihre weitgehende Einschränkung nur für ein paar Wochen zu sozialen Verwerfungen und wirtschaftlichen Einbrüchen, deren Ausmaß weltweit – und nicht zuletzt in Italien – noch auf Jahre hinaus im Alltag sichtbar sein werden.

Zwei Autoren arbeiteten an diesem Buch: Johannes Krause, dem ab dem folgenden Kapitel die Rolle des Ich-Erzählers zukommt. Er gehört (das schreibt aus Bescheidenheitsgründen der zweite Autor) zu den etabliertesten Experten auf dem Gebiet der Archäogenetik weltweit und ist Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropolgie in Leipzig. Co-Autor Thomas Trappe kam nicht nur die Aufgabe zu, das gesammelte Wissen Krauses zu einer kompakten Erzählung zu verdichten, sondern auch, ihr einen zeitgenössischen Rahmen zu geben und in die aktuellen politischen Debatten einzubetten. Trappe arbeitete in den vergangenen Jahren immer wieder journalistisch mit Krause zusammen, außerdem beschäftigte er sich mit dem Nationalismus und dem völkischem Gedankengut heutiger Tage. In vielen Gesprächen beider Autoren entstand der Wille, Wissenschaft und tagesaktuelle Debatte in einem gemeinsamen Buch zusammenzubringen.

Beginnen wollen wir mit einem schnellen Ritt durch das kleine Einmaleins der Archäogenetik. Und mit einem Fingerknochen, der Krauses wissenschaftliche Laufbahn maßgeblich beeinflusste. Dieser machte uns, völlig überraschend, mit einer neuen Menschenform bekannt – und zeugte indirekt von der Affinität der frühen Europäer zum Neandertaler.

Johannes Krause und Thomas Trappe
Berlin, im Juni 2020

KAPITEL 1

Gene.tif

Knochenjob

Ein sibirischer Finger führt uns zum neuen Urmenschen. Genetiker in Goldgräberstimmung, sie haben Wundermaschinen. Adam und Eva lebten getrennt. Der Neandertaler war eine Täuschung. Jurassic Park macht alle verrückt. Ja, wir alle sind mit Karl dem Großen verwandt.

Karte01_XXXX.pdf