ARTHUR BYRON COVER
Flash Gordon
Roman
Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 46
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
FLASH GORDON
Prolog: Kosmisches Schachspiel
1. Flash Gordon – Eine Übersicht
Zwischenspiel
2. Flammender Tod
Zwischenspiel
3. Weggeblasen!
4. Eine Reise über die Grenzen des Äthers
5. In der Gefangenschaft der Maskierten
6. Das Ming-Urteil
Zwischenspiel
7. Flash beißt ins Gras
8. Bruchlandung auf Arboria
Zwischenspiel
9. Zarkos Verrat
10. Außerhalb der Gesetze Mings
11. Ein Königreich für Flash
Zwischenspiel
12. Die Braut
13. Das Ende – vielleicht?
Flash Gordon, Dale Arden und Dr. Hans Zarkov begeben sich auf die weite Reise zum Planeten Mongo, um die Erde vor dem Untergang zu retten: Imperator Ming, der Herrscher von Mongo, untersucht alle tausend Jahre sämtliche Welten seines Reiches - wenn die Planetenbewohner die von ihm ausgelösten Phänomene, über die er sich gleichzeitig köstlich amüsiert, für Naturkatastrophen halten, dann hält er sie für harmlos und verschont sie. Wird ihnen jedoch klar, dass es sich um einen Angriff handelt, dann betrachtet Ming sie als potenzielle Bedrohung und vernichtet sie vollständig. Auf diese Weise testet er nun auch die Erdlinge...
Flash Gordon von Arthur Byron Cover ist die actionreiche und humorvolle Roman-Adaption des gleichnamigen Science-Fiction-Kultfilms aus dem Jahr 1980 (Regie: Mike Hodges) mit Sam J. Jones als Flash Gordon, Max von Sydow als Imperator Ming, Ornella Muti als Prinzessin Aura, Timothy Dalton als Prinz Barin, Peter Wyngarde als Klytus und Chaim Topol als Dr. Hans Zarkov. Der Film basiert auf den Comics von Alex Raymond, die erstmals 1934 erschienen.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Flash Gordon in seiner Reihe APEX SF-KLASSIKER als durchgesehene Neuausgabe.
»Untergebener, ich langweile mich.«
Die gleichgültige Stimme, die darauf antwortete, kannte keine Herzlichkeit und kein Mitleid. Diese Stimme war niemals Träger einer Leidenschaft, nicht einmal des stillschweigenden Eingeständnisses einer Gefühlsregung. »Oh, mein Meister, was kann ich tun, um die Langeweile, die Euch so gnadenlos überfallen hat, abzuwenden?«
Stille. »Du könntest mich unterhalten.«
»Zur Kurzweil steht Euch Euer Harem ergebener, willfähriger Sklavinnen zur Verfügung.«
»Geschmeidige Körper, in allen Schattierungen, je nach Dauer der künstlichen Sonnenbestrahlung, ich weiß. Ich mag mich nicht damit zerstreuen.« Wieder Stille. »Vielleicht später.«
»Eure Gelehrten warten nur darauf, dass Ihr ihre phantasievollen und rätselhaften Überlegungen billigt.«
»Untergebener, ich habe kein Verlangen danach, einem weinerlichen alten Mann mit tattrigen Knien zuzuhören, der mich in die Geheimnisse der Logik ein weiht, wenigstens heute nicht.«
»Gefällt es Euch nicht, wenn Philosophen begründen, dass das Leben nur durch die eiserne Härte Euer erhabenen Ordnung einen Sinn hat?«
»Es schmeichelt mir, aber ich langweile mich trotzdem.«
»Ich könnte es einrichten, dass noch in dieser Stunde Steuern an Euch abgeführt werden.«
»Bemüh dich nicht; das kann warten.«
»Gibt es irgendeine Staatspflicht, deren Erfüllung Euch erfreuen würde?«
Pause. Diesmal lang und schwermütig. »Klytus.«
»Ja, oh, mein Meister.«
»Was würdest du sagen, wenn ich dir jetzt verraten würde, dass meine Verdrossenheit die Folge meiner außergewöhnlichen Einsamkeit ist?«
»Ich würde sagen, dass die Einsamkeit eines strahlenden
Sterns in der Weite des Weltenraums kein hoher Preis ist für die unendliche Macht und den unergründlichen Geist, die neun Monde eines Königreichs zu befehlen, das wahrlich der Mittelpunkt des Universums ist.«
»Das würdest du mir antworten?«
»Das würde ich, Majestät, ohne Zögern - wenn Sie sagen würden, dass Sie einsam sind.«
Glaubst du, dass ich einsam bin?«
»Nein, Majestät, doch wenn Sie es sagen würden, würde ich augenblicklich und von ganzem Herzen davon überzeugt sein.«
»Klytus, du enttäuschst mich.«
Ohne die geringste Andeutung von Überraschung antwortete die gleichgültige Stimme. »Majestät! Wie konnte ich Sie enttäuschen?«
»Wir können nicht die Bestie, den Raumhund, für seine Wildheit verurteilen, ebenso wenig können Wir dir Mängel vorwerfen, die ihn deiner Natur liegen.«
»Mein ganzes Sein ist darauf ausgerichtet. Euch zu dienen.«
»Und, Klytus - du hast keine Seele.«
»Auf den Knien bitte ich um Vergebung.« Das Rascheln von Kleidung, die gegen Metall streift.
Ein Seufzer. »Da Wir scheinbar zu dieser Langeweile verdammt sind, so erzähle Uns, Klytus, um die Zeit totzuschlagen, mit welchen Staatsgeschäften könnten Wir uns befassen?«
»Vielleicht - eine neue Zivilisation ausprobieren?«
»Hmm, ja vielleicht. Leben und Tod von Millionen und Abermillionen. Das lässt das Blut durch die müden Adern fließen. Die Computer sollen die Wahl treffen.«
Eine mit goldenem Metall behandschuhte Hand betätigte einen Schalter, drückte einen Knopf und wartete geduldig vor einem Schlitz. Grüne, gelbe und rote Lichter flammten auf. Dann ein Scharren und Kratzen. In die behandschuhte Hand fiel aus dem Schlitz eine weiße Karte.
»Majestät, die Computer haben einen unbedeutenden Planeten im Bereich 468G29 ausgewählt.«
»Nicht Bereich 468G29! Es gibt keinen trostloseren. Er ist so unbarmherzig, so entsetzlich langweilig. Selbst in der Dronengesellschaft, um unsere schöne Zitadelle erzählt man sich Geschichten darüber. Dort ist noch nie etwas passiert.«
»Auch mir schmecken die Aussichten nicht, Majestät. Doch wenn man den Computer glauben darf, so ist aus einem unerklärlichen Versehen heraus die Zivilisation dieses Planeten noch nie zuvor begutachtet worden.«
»Oh?«
»Wir müssen diesen unbedeutenden Planeten in diesem furchtbar langweiligen Bereich aus Gründen der Reichssicherung testen.«
»Also gut. Der Wartungsmonteur und der verantwortliche Programmierer sollen entlassen werden.«
»Oh mein Meister, sie wurden schon letzte Woche wegen des kleinen Fehlers entlassen, der es Vultan möglich machte, die Existenz seiner Tochter so lange zu verheimlichen.«
»Dann sollen die Nachfolger entlassen werden.«
»Die Stellen sind noch nicht neu besetzt worden.«
»Dann such ein paar Freiwillige aus, Klytus, sag ihnen, worum es geht.«
»Ja, mein Meister.«
»Fang an.«
Die behandschuhte Hand bediente Schalter und Knöpfe. Das Dröhnen des Computers kündigte an, dass die Verbindungen hergestellt wurden; Triebwerke setzten sich in Bewegung und Elektronen sausten durch Spiralen. Interferenzen zuckten über den Bildschirm in der Mitte der Computeranlage. Allmählich tauchten leuchtende Sterne auf, wie eine Handvoll radioaktiven Staubs in die Dunkelheit geworfen. Sektor 468G29.
Der Meister unterdrückte ein königliches Gähnen. Eine in schillerndes Rot gekleidete Hand winkte ab. »Bitte Klytus, erspare mir den Panoramablick. Den kann ich genießen, wenn ich meditiere. Geh' näher heran.«
»Ja, Majestät.« Die Hand im metallenen Handschuh drückte einen Knopf und auf dem Bildschirm erschien eine blaue Welt, in zerrissene, weiße und graue Nebel eingehüllt und von einem kahlen, steinigen Mond behütet. Die Welt war die Erde.
»Was weißt du über die Zivilisation auf dieser Welt, Klytus?«
»Sicher nicht genug, um euren unendlichen Wissensdurst zu befriedigen, Majestät.«
»Versuche es.«
»Die Zivilisation hat Stufe zwei erreicht, obwohl der Intellekt der Bewohner dem nicht wirklich entspricht. Ein besonderer Charakterzug aller Bewohner, mehr oder weniger, ist die erstaunliche Fähigkeit, keine Verantwortung zu tragen, weder für ihre Taten noch für ihr Leben, ganz allgemein. Das geht so weit, dass sie immer noch in vielen Staaten leben, jeder mit seiner eigenen Regierung. Kein Diktator, der endlich das rote Band zerschlägt, und damit die Bürokratien. »Ich muss leider sagen, Majestät, die Bewohner sind nicht sehr vernünftig.«
»Interessant, interessant.«
»Sie sind mit noch anderen ungewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet, Majestät. Darunter ihre Lebensphilosophie, einzigartig in der gesamten Galaxie, aber leider hat sie nichts Vorteilhaftes bewirkt.«
»Was ist es, Klytus?«
»Alles, was ein Bewohner in seinem Leben denkt und tut, wird irgendwie willkürlich aufgeteilt, in das, was sie >Gut< und >Böse< nennen. Das Gute soll für alle Leute das Leben besser machen, das Böse soll es verschlechtern.«
»Und ist also dieser Planet ein Utopia gutgemeinter Absichten, ein Freudenparadies?«
»Nein, Majestät, nicht im geringsten. Nur wenige verhalten sich entsprechend der Normen, die sie aus ihren Idealen abgeleitet haben und die anderen tun nur so. Sie kennen vielfältige Wege der Verstellung. Eine Methode ist es, einen gewaltigen, unpersönlichen Apparat zu errichten, den sie Behörde nennen. In der Behörde weiß kein Mensch mehr, was aus seinen Entscheidungen wird. Befehle werden von einem zum anderen weitergegeben und ausgeführt, in langen Ketten, und wenn eine Entscheidung fehlschlägt und eine ungewöhnlich hohe Umweltverschmutzung oder gar die Verseuchung eines Dorfes zur Folge hat, so kann die eigentlich verantwortliche Person, Untergebene oder Kräfte, die ihm unterstehen, anschwärzen. Für sich selbst aber kann der Verantwortliche den Anschein erwecken, dass er nie aufgehört hat, den hohen philosophischen Anforderungen zu entsprechen.«
»Und welchen Zweck haben diese Behörden angeblich?«
»Berge von Krediten anzuhäufen, um sie in die kapitalistischen Programme zu stecken, damit diese mehr Profite erzielen.«
»Warum verlangen sie nicht ganz einfach Steuern von ihren Untergebenen?«
»Wie ich schon bemerkte, Majestät, sie sind nicht sehr vernünftig.«
»Wissen die Leute dieser Zivilisation um die wahre Größe des Universums? Geben sie sich regelmäßig der Meditation hin, um die unzähligen Kräfte des Kosmos zu erfahren?«
»Wenige, Majestät, die meisten sehen darin keinen unmittelbaren Gewinn.«
»Hmm, ich frage mich, ob es nicht vergeudete Energie ist, diesen Planeten zu erforschen.«
»In diesen Leuten stecken ungeahnte Möglichkeiten.«
Der Meister warf ein. »Würden sie mich als gut oder als - böse beurteilen?«
»Als böse, vermutlich. Ich muss jedoch gestehen, dass es für mich schwierig ist, die beiden Kategorien auseinanderzuhalten. Sie sind eben unwillkürlich. Falls es mir gestattet ist, noch eine Beobachtung anzufügen...« Schweigen. Offenbar machte der Meister eine zustimmende Geste. »Dieser Planet, der in einer seiner Hauptsprachen Erde heißt, hat Persönlichkeiten hervorgebracht, die Ihr bewundern würdet. Chamberlain, Dschingis Khan, Stalin. Einer, Hitler war sein Name, besaß genügend Willen, aber nicht genügend Verstand, um den Kampf gegen die Philosophie aufzunehmen, und so wurde er ein Opfer seiner eigenen Verblendung, mit der er die anderen in seinen Bann gezogen hatte. Unsere Seher haben durch die Schleier der Zeit geschaut, in Räume der Zukunft, und mir gesagt, dass dieser Planet vielleicht einmal beachtliche Wesen würde hervorbringen können. In der Tat, diese Welt ist jetzt noch unbedeutend, aber sie birgt Möglichkeiten, über die wir uns im Klaren sein müssen.«
»Das macht nichts. Wenn Wir es wünschen, können Wir die Welt zerstören.«
»Ja, Majestät.«
»Fang mit der Erforschung an.«
Die metallbekleidete Hand machte sich an weiteren Kontrollen zu schaffen. Augenblicklich jagten rote und grüne Strahlen in Wellen auf den kahlen Mond zu.
»Seid Ihr immer noch verdrossen, Oh mein Meister?«, fragte die gleichgültige Stimme.
»Ja. Aber die unbestreitbare Tatsache, dass das Leben von Millionen ahnungslosen Wesen von meiner Laune abhängt, und das Wissen, dass ich sie auslöschen kann, beflügelt meinen Geist.«
»Sie sind nichts als Insekten, Majestät, Schachfiguren im Spiel der kosmischen Kräfte, die sie nicht begreifen können.«
»Für jemanden, der vorgibt, nichts zu wissen, Klytus, scheinst du eine Menge über diese Erde im Bereich 468G29 zu wissen.«
»Mein Hobby sind kosmische Schachspiele, Majestät.«
»Gut denn. Ein nützliches Hobby und du bist nützlich für uns. Wir können Uns nicht helfen, aber dieses Leben-oder-Tod Spiel mit den ahnungslosen Erdgestalten hat uns erregt. Wir werden uns zurückziehen und Unseren Harem aufsuchen. Setz den Test fort, wir werden derweil einige unserer majestätischen Leidenschaften beschwören.«
»Wie Ihr befehlt.«
Gern hätte Flash Gordon die Welt in zwei unterschiedliche und willkürliche Kategorien eingeteilt, aber wie den meisten jungen Menschen in seinem Alter ging ihm auf, dass durch die gesamte Geschichte, diese Unterscheidung nie leichtgefallen war. Als er in den Zeitungen das Foto des südvietnamesischen Offiziers gesehen hatte, der unbarmherzig einen Gefangenen mit Kopfschuss tötete, hatte Flash bei sich gedacht, dass das kein ehrenwerter Mensch sein konnte, der so etwas, ohne einen ordentlichen Prozess abzuwarten, tat. Genauso wenig hielt er die Männer der Nationalgarde für ehrenhaft und tapfer, die die Studentendemonstrationen in Kent niedergemetzelt hatten. Im Gegenteil, für ihn stand fest, dass der Protest gegen den sinnlosen Krieg einen Menschen als den Amerikaner auszeichnete, der tapfer für die Ideale der Vereinigten Staaten zu kämpfen und sterben bereit war. Er verstand nicht, warum ein ehemaliger Präsident nicht einfach zugab, dass er gelogen hatte. Er verstand nicht, warum die Exekutive privilegiert sein sollte. Regierungsbeamte hatten nicht mehr Vorzüge als andere Menschen auch, und aufrichtig zu sein, auch im Nachherein, war sicherlich keine Schande, auch nicht, wenn man von den Lügnern und Speichelleckern in Washington, D.C., umgeben war. Er konnte nicht verstehen, dass die Abgeordneten der Vereinigten Staaten, die immer wieder beteuerten, dass sie einen unblutigen Kampf für den Frieden führten, es zuließen, dass ein Terrorist, ein Mörder unschuldiger Kinder, sein Maschinengewehr aufs Podium gerichtet hielt, was immer die Gründe dafür auch sein mochten. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse schien ihre Bedeutung verloren zu haben, in einer Welt, in der es gestattet war, solche Vorfälle regelmäßig in Vergessenheit geraten zu lassen. Flash Gordon trieb seine Überlegungen niemals bis zu dem Punkt, wo sie lästig wurden, aber sie berührten ihn trotz alledem immer wieder aufs Neue.
Flashs Mutter starb drei Stunden nach seiner Geburt in einer Klinik in Tuscaloosa an inneren Blutungen. Sein Vater war Pförtner an der Universität von Alabama in Tuscaloosa und es gehörte zu seinen Aufgaben, nach einem Fußballspiel einen Teil des Stadions auszufegen. Flash konnte alle Spiele umsonst sehen, was unweigerlich zur Folge hatte, dass er davon träumte, eines Tages als Abwehrspieler in der Hochschulmannschaft zu spielen. Er träumte von nichts anderem mehr, als vom Fußball. Er verbrachte seine ganze Freizeit mit Fußballspielen; die ganze Woche spielte er es mit den Kindern. (Baseball langweilte ihn so sehr, dass ihm fast die Tränen kamen, obwohl, als er älter wurde, er dem Sport eine mehr intellektuelle Achtung entgegenbrachte.) Er vertraute niemals seinem Vater die Träume an.
Maxwell Gordon hatte seinen Sohn Flash genannt, konnte aber später nie mehr richtig begründen, warum. In der Nacht, als seine Frau gestorben war, und in der er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken hatte, war ihm der Name eingefallen. Es war eigentlich ein Scherz gewesen. Wenn Maxwell seinem Sohn später Vater und Mutter zugleich ersetzte, dann nur, weil er wusste, dass es seine Pflicht war, aber niemals, weil er den Jungen liebte. Als Flash fünf Jahre und in der Lage war, auf sich selbst aufzupassen, d.h. sich nicht zu viel auf Streitereien einließ und nicht mehr allzu viel verkehrt machte, ließ Maxwell ihn gewähren, ließ ihn allein, ließ ihn Fußball spielen oder die Spiele am Radio verfolgen. Es dauerte nicht lange, da sah er in dem Kind nur noch den Mörder seiner Frau und verdammte ihn. Oft drohte Maxwell Flash umzubringen. Er fiel über den Jungen her und schüttete dabei ein Glas nach dem anderen aus seiner Flasche Southern Comfort hinunter. Aber Flash ließ die Grausamkeiten mit einer Engelsgeduld über sich ergehen, die den Vater noch mehr in Wut versetzte. Flash hasste deswegen nicht seinen Vater; er verstand, dass Maxwell von einem Kummer geplagt wurde, den die Zeit nicht würde heilen können, und dass die Art, wie Maxwell sich damit auseinandersetzte, die einzige war, die ihm dafür zur Verfügung stand.
Manchmal hörte er, dass sein Vater mit den Aufwartefrauen bumste, im Schlafzimmer oder in der Küche, aber das machte ihm nichts. Die Eskapaden seines Vaters wirkten sich nur insoweit auf sein Verhalten aus, dass er das Radio ein wenig lauter stellte und sich weiter vorbeugte auf der Couch, um näher am Lautsprecher zu sein. Er machte die Sprecher nach, die aus New York, Philadelphia und Baltimore berichteten, und manchmal wünschte er sich, Fußballberichterstatter zu sein, mehr als ein Abwehrspieler. Lautlos sprach er ihre Worte nach und bemühte sich, genau wie sie seine Worte zu wählen. Sie standen ihm näher, als die Freunde, die er in seinen unzähligen Fußballspielen gewann. Die Folge war, dass sein südlicher Akzent sich immer mehr abschwächte; als er älter wurde, verlor er ihn gänzlich. Nicht seine Umwelt hatte ihn geformt, sondern er selber hatte sich zu dem gemacht, was er war.
Als Flash zwölf Jahre alt war, starb Maxwell Gordon. Er wurde in einer Bar niedergestochen, die er mit einer sehr jungen Dame aufgesucht hatte. Wie sich herausstellte, war die Dame fünfzehn Jahre alt, und der Vater hatte ihr ausnahmsweise den Abend freigegeben. Der Täter, Behördenangestellter und überzeugter Demokrat, plädierte auf Notwehr. Da die Gäste in der Bar massiv mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren und der Kampf sie nichts anging, hatte niemand gesehen, wer das Messer gezogen hatte; Maxwells Mörder bekam sechs Monate auf Bewährung. Flash war dem Angestellten nicht böse gesonnen; er ging davon aus, dass der Mann sich noch seinem eigenen Gewissen würde stellen müssen.
Erst auf der Beerdigung wurde es Flash so richtig klar, wie allein sein Vater gewesen war. Die Leichenträger waren vom Bestattungsinstitut bestellt, und an dem Gottesdienst nahmen Flash teil, Maxwells Vorgesetzter, noch ein anderer Pförtner und Flashs Tante, die Zwillingsschwester seiner Mutter. Die Grabrede des Baptistenpredigers auf Maxwell Gordons geistige Größe und sein edles Herz war wenig berauschend. Flash musste es sich schließlich eingestehen, dass der Prediger überhaupt nichts von seinem Vater speziell erwähnt hatte.
Seine Tante Candace nahm ihn mit sich auf ihre kleine Farm im Norden. Wenn Flash nicht gerade in der Schule war oder den Dienstleuten auf dem Hof half, warf er einen Fußball durch einen schlaffen Reifen, der von einem knorrigen Baum herunterhing. Zu seinem Geburtstag schenkte ihm Candace einen funkelnagelneuen Fußball. Jetzt konnte er immer zwei Würfe machen, bevor er die Bälle wieder einsammelte. Als es ihm zu langweilig wurde, immer mit dem rechten Arm zu werfen, brachte er sich zur Abwechslung das zielsichere Werfen mit dem linken Arm bei. Nachts las er aufmerksam die Detektivromane, nach denen Candace geradezu süchtig war. Der junge Flash verstand nie so richtig die Leidenschaften, die einen Menschen zum Mord trieben, doch konnte er eine gewisse Faszination nicht verhehlen, die die Person des unschuldig Verdächtigten auf ihn ausübte, der das oberste Gesetz herausforderte, ebenso wenig, dass er erleichtert aufatmete, wenn der Detektiv zu guter Letzt dann doch noch den Schuldigen aus der Tasche zog.
Im Sommer, wenn die Arbeit getan oder er nicht gebraucht wurde, die Hitze so unerträglich war, dass jeder Atemzug die zusammengepressten Lungenflügel über die Maßen beanspruchte, die Tante im Wohnraum saß und so sehr schwitzte, dass sich ihr Büstenhalter durch das nasse Kleid abzeichnete, kurzum sich jeder lieber tot als lebendig wünschte, dann streifte Flash durch das hohe braune Gras auf den Feldern und kletterte über die im Laufe der Jahre vom Wind niedergerissenen Kabel und Telegrafenmasten. Das Hemd über die Schulter geworfen, Oberkörper und Arme so nass, als habe jemand einen Eimer Wasser über ihn geschüttet, starrte er zu den Hütten der Schwarzen und den Häusern der Farmer in einiger Entfernung. Er hörte gedämpft das Lachen der Kinder, die sich mit einem Gartenschlauch nassspritzten, er hörte die kläglichen Töne einer Harmonika, Händeklatschen und Fußstampfen. Dann kletterte er so lange über Zäune, bis er keine Hütten mehr sehen, kein Gelächter und keine Harmonika mehr hören konnte.
Er ging in den Wald, in eine friedliche Welt schattiger Bäume. Mit seiner Seele - so vermutete er jedenfalls, denn er hatte noch nicht die Begriffe kennengelernt, mit denen er seinen Geist analysieren konnte - nahm er das Sein der stillen Bäume in sich auf. Sie wurden für ihn zu geheimnisvollen Wesen, die die Natur mit Frieden, langem Leben und Weisheit ausgestattet hatte. Ihre dunklen Schatten besänftigten ihn, befreiten ihn von der Besessenheit, die ihn dazu trieb, stundenlang einen Fußball durch einen Reifen zu werfen. Manchmal überkam ihn unbändiges Verlangen, berühmt zu werden, sich für den Tod seiner Mutter und das verpfuschte Leben seines Vaters zu rächen. Mit unvermeidbarer Logik vermischte sich im Erleben des Waldes das Gefühl von Leben und Tod. Er wurde eins mit der Natur, zielstrebig wie er war.
Und der Wald, seinerseits, nahm ihn auf. Auf Flashs Schultern ließen sich Vögel nieder, Waschbären und Beutelratten fürchteten sich nicht vor ihm, Rehböcke fraßen ihm die Blätter aus der Hand, Kaninchen hoppelten hinter ihm her und das Stachelschwein gab keinen Warnpfiff von sich, wenn er vorbeikam.
Als er weiter in die Stille eindrang und den Lebenskampf der Pflanzen beobachtete, die sich in ihrem Bedürfnis zu wachsen und zu leben gegenseitig strangulierten, verlor der Tod seinen Schrecken für Flash, noch sah er einen Grund, den Tod jener, die ihm nahegestanden hatten, jahrelang zu betrauern. Während seiner Streifzüge durch die Wälder befreite er sich von Ängsten, die er unbewusst in sich getragen hatte. Und als er älter wurde, bewahrte er etwas von der Ruhe der Wälder, eine Ruhe, die ihm vor allen Dingen in den Situationen zugutekam, in denen das Äußerste von ihm abverlangt wurde, physisch wie psychisch. Als er an der Hochschule Fußball spielte, erwies sich diese Fähigkeit als hilfreich. Er gewann ein Stipendium für die Universität von Alabama und ein Verteidigerposten bei den New York Jets war nicht auszuschließen.
Sein innerer Frieden gab ihm auch Halt, als seine Tante bei einem Autounfall ums Leben kam, und er das erste Mal in seinem Leben wirklich allein war. Er kam sicher durch die politisch turbulenten sechziger und die folgenden trübsinnigen siebziger Jahre. Er wurde zu einem großen, starken Mann, der seine mächtigen Muskeln mit der Anmut eines Leichtathleten verband. Blondes Haar, blonde Augenbrauen, dunkle Augen, die Sensibilität verrieten und Einfühlungsvermögen, wie man es bei einem hochdotierten Fußballspieler nicht für möglich gehalten hätte. Ein Mensch, der Körper, Geist und Gefühle seines Gegenübers analysierte. Sein hübsches Gesicht trug keine Spuren der rauen Fußballjahre, sondern erinnerte eher an den romantischen Dichter, dem man es zutraut, dass er im Umriss einer Rose die ewigwährende Evolution der Natur durchdringt und der sich vor der Ewigkeit unter dem Baldachin des Sternenhimmels verbeugt. Niemals wäre Flash ein Fußballspieler geworden, wenn nicht seine Kindheitsträume gewesen wären. Er liebte das Spiel und sein Können war ohnegleichen, doch er wehrte sich gegen den Einsatz von Brutalität zu seinem Vorteil. Er wäre vertragsbrüchig geworden und hätte eilends die Mannschaft verlassen, die nach dem Motto spielte, Gewinnen steht über allem!
Die Sportkommentatoren waren nicht die ersten, die die ungewöhnlichen Fähigkeiten in Flash Gordon erkannten. Frauen aus allen Schichten fühlten sich von ihm angezogen und gingen auf ihn ein; Männer reagierten eher mit Verwirrung. Frauen, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollten und nur an Flashs sexuelle Instinkte appellierten, waren in der Regel von ihm enttäuscht. Flash genoss zwar sehr die körperlichen sexuellen Erlebnisse, doch hauptsächlich fesselte ihn die geistige Verbundenheit in der Liebe. Er genoss den Ruf eines Playboys, den vor allen Dingen das People Magazine und ähnliche Blätter geschustert hatten; er gab ihnen in der Folge wenig Nahrung.
Jedoch konnte man nicht von der Hand weisen, dass die Summe an Verhaltensweisen und Überzeugungen, die seine Persönlichkeit ausmachten, das Bild eines Menschen zeichneten, dem zuweilen das Temperament durchgeht.
*
»Verdammt, Guiraldes!«, rief Flash. »Das war nicht nötig!«
Noch zwei Minuten und zehn Sekunden im Super Bowl zu spielen. Feucht und warm war das Klima in New Orleans. Ein riesiger Schweißtropfen, vermischt mit Dreck, tropfte Guiraldes von der Nase. Der Torwart hob die Gesichtsmaske an und strich sich behutsam über die wunde Haut und den Knorpel; beim letzten Spiel, dem >Playoff Game«, hatte er einen doppelten Nasenbeinbruch davongetragen. Ständig waren Fäuste und Ellbogen unter seinen Helm gefahren. »Was war nicht nötig?«, fragte Guiraldes mit seiner Rausschmeißerstimme zurück.
Flash starrte ihn an. Er sah einen Augenblick lang rot, seine Hände zitterten. Dann bezwang er seine Wut. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde ihm bewusst, dass er erschöpft war, dass ihn die Zurufe und Pfiffe der Fans anwiderten. Seine Arme und Beine schmerzten; in seinen Gedärmen pochte der Schmerz, denn er hatte zu viel und unkontrolliert Luft geschluckt. Er schmeckte den salzigen Schweiß auf seiner Oberlippe. Jedesmal, wenn er keuchend seine Lungen ausdehnte, spannten sich schmerzhaft die Muskeln um seinen Brustkorb, doch er war zu erschöpft, um ruhig atmen zu können. Mit Mühe beruhigte er sich. Er sah nicht seine Mannschaftskameraden, die sich auf dem Spielfeld zusammengedrängt hatten. Flash wandte dem bohrenden Blick des Torwarts den Rücken zu. Seine Kinnmuskulatur entspannte sich, er nickte. Ja, er wusste, was er zu tun hatte.
Der Pistolenschuss kündigte die letzten beiden Minuten an.
Ohne sich noch einmal zu seinen Kameraden umzublicken oder den Helfern, die mit Handtüchern und Wassereimern auf das Spielfeld gelaufen kamen, strebte Flash den Begrenzungslinien des Spielfeldes zu, nahm den Helm ab und wischte sich mit einem Zipfel seines Trikots die Stirn.
Er tat so, als würde er den Zorn in den Augen des Trainers nicht bemerken. Flash sagte nur »Hol Guiraldes raus. Nimm Hank rein.«
Trainer Hodges zerbiss vor Wut seine kalte Zigarre. Er warf sie auf den Boden und trampelte darauf herum; stellte plötzlich seinen Fuß darauf, wie ein Soldat, der ertappt und der zur Ordnung gerufen wurde. Tabakspuckend sagte er: »Was zum Teufel willst du damit bezwecken?« Den Rest dessen, was er auf dem Herzen hatte, drückte er in bedeutend blumigeren Worten aus.
»Guiraldes hat Bulgarella absichtlich ein Bein gestellt«, sagte Flash und zeigte auf einen Riesen aus der gegnerischen Mannschaft, der beleidigt am Boden saß und sich von einem Helfer einen Verband um die Wade wickeln ließ.
»Oh der arme Kleine.«
»Er macht schon die ganze Zeit über solche Sachen. Mindestens zehn Verletzungen dieser Art gehen auf seine Rechnung. Ich weigere mich, länger mit ihm zusammenzuspielen.«
Coach Hodges Sprache verlor ihren Blumenreichtum, er wurde direkt. Sinngemäß sagte er: »Was tust du?«
»Entweder er geht, oder ich gehe.«
Coach Hodges zog eine neue Zigarre aus ihrer Zellophanhülle. »Flash, vielleicht verstehst du es so: Das hier ist der Super Bowl. Ich habe keine Zeit und keine Lust, mich um deinen Mist zu kümmern.« Er zerknüllte das Zellophan und warf es in den nächsten Papierkorb.
»Du hast völlig Recht«, fauchte Flash, »das hier ist der Super Bowl. Noch zwei Minuten zu spielen und wir sind mit fünf Punkten im Rückstand. Wir sind am Ball, aber der ist im letzten Drittel. Sechs Yards bis zu ihrem Tor, fünfundzwanzig bis zu unserem eigenen. Was meinst du, wer holt die Kohlen eher aus dem Feuer: Guiraldes oder ich?«
Coach Hodges zerbiss seine Zigarre. Er hatte den Mund voller Tabakkrümel. Mit dem Handrücken wischte er sich die Zunge sauber und strich die Krümel an der Jacke ab. Dann rief er gellend: »Hank, geh' für Guiraldes rein.« Und zu Flash gewandt: »Okay Gordon, spiel sauber, wenn du meinst, du kannst nicht anders, aber hol die Punkte rein!«
Flash grinste. »Ist doch klar, Coach!«
*
Flash stützte sich mit seinen großen Händen an den Innenseiten der Schenkel ab. Er bekam den Ball zu fassen und gab ihn blitzschnell an Ricky Robur am linken Ende des Spielfelds ab. Ein Stopper brach durch die Linien und warf Flash zu Boden. Robur hatte den Ball nicht so schnell erwartet und ihn zwischen linkem Arm und rechter Hand gefangen. Kaum dass er dazu Gelegenheit hatte, dribbelte er den Ball und bewegte sich in das Spielfeld hinein. Er und Flash wussten, dass, wenn der Pass nur drei Sekunden später gekommen wäre, die gegnerische Mannschaft den Ball bekommen hätte. Coach Hodges wusste das nicht. Er warf seine Zigarre zu Boden, trampelte mit beiden Füßen völlig außer sich darauf herum, schlug sich vor die Stirn, schloss die Augen, öffnete sie wieder, stöhnte, ruderte zuckend mit den Armen in der Luft wie eine Windmühle, beschwor die Götter und die göttliche Vorsehung, den Himmel und die Sterne und trommelte schließlich mit den Fäusten auf den Schultern eines Ersatzspielers herum, der vor ihm saß, und von dem überraschenden Angriff überrumpelt zu Boden ging. Drei Mann hatten sich inzwischen an Robur gehängt, um einen Ausbruch von ihm zu verhindern.
Flash kämpfte gegen das unwiderstehliche Verlangen an, sich hinzulegen und ruhig zu atmen, dann riss er sich zusammen und stand auf; er sollte einen time-out machen.
Die Menge raste vor Begeisterung oder vor Enttäuschung, das war nicht auszumachen. Zweimal musste Flash um Ruhe schreien. Die Spieler drängten sich zusammen. In den kurzen Momenten relativer Ruhe brüllte Hodges mit hochrotem Kopf unverständliche Anweisungen über das Spielfeld. Unter diesen Umständen gab es nur eine Möglichkeit zu spielen, und Flash wusste das: Ein langer Pass.
Die Spieler der gegnerischen Mannschaft lauerten. Flash nahm den Ball, sprang zurück und hob den Arm, als wenn er werfen wollte. Er konnte keinen Spieler anspielen. Alle waren gedeckt. Die Mittelfeldspieler waren auf einen kurzen Pass eingerichtet. Dem Gegner war es gleichgültig, wie viele Punkte die Jets auf dem Feld sammelten, denn die würden nicht ausreichen, um das Spiel zu gewinnen! Der Gegner war nur daran interessiert, einen Torschuss zu verhindern.
Flash war sich in diesem Augenblick seiner Verantwortung bewusst. Alle Mühen und Hoffnungen der letzten Saison hingen davon ab, wie er sich in den nächsten zwei Sekunden verhalten würde. Er wusste, dass seine Mannschaftskameraden Anspruch auf den Sieg im Super Bowl hatten, sei es, dass sie den finanziellen Bonus gut gebrauchen konnten, sei es, dass der Stolz ihr Selbstbewusstsein stärkte. Die Menge der Zuschauer, die mit ihm bangte, und die Millionen am Fernseher zu Hause und in den Kneipen kam ihm ins Bewusstsein. Auch wie diese Millionen ihn morgen aufnehmen würden, hing davon ab, ob er jetzt erfolgreich war oder nicht. Doch an diesen letzten Gedanken verschwendete Flash keinen Augenblick Zeit. Stattdessen sammelte er sich, beschwor den Frieden und die Ruhe der Wälder von Alabama und gewann die Sicherheit, dass, egal wie er sich entscheiden würde, es richtig war.
Viele Sportreporter vertraten die Meinung, dass die Selbstsicherheit, mit der Flash Fußball spielte, nur auf seine ausgeglichene Persönlichkeit zurückzuführen war.
Ein Verteidiger durchbrach die Angriffslinie und stürmte nach vorn. Flash verstaute sorgfältig den Ball unter dem Arm und rannte hinter die Linien der eigenen Verteidigung. Die Mittelstürmer von beiden Seiten rannten aufeinander zu und kollidierten. Flash nutzte die Situation und durchbrach die Angriffslinie.
Der Ausbruch war so gewagt, dass sekundenlang - ca. fünfzehn Meter lang - alle Spieler auf dem Feld ihm begeistert nachstarrten. Selbst die Zuschauer waren verblüfft und schwiegen.
Und dann dämmerte es jedem im Stadion. Flash Gordon versuchte einen fünfundfünfzig-Meter-Sprint aufs gegnerische Tor, so verrückt das auch erscheinen mochte.
Die Menge brüllte, schüttelte mit hocherhobenen Fäusten. Hüte, Flaschen, Zeitungen, alles, was greifbar war, warfen die Leute in die Luft.
Coach Hodges rief nach einem Helfer. Er brauchte Herztropfen.
Die Rundfunk- und Fernsehsprecher verstummten sprachlos, erstarrten, als sie sahen, wie dieser völlig erschöpfte Abwehrspieler einen Sprint auf den Rasen legte, der nur noch mit dem des großen Jim Brown vergleichbar war.
Flash hatte sich nie lebendiger gefühlt, als in diesem Augenblick der Anspannung, den er hinterher als teuflisch bezeichnete. Instinktiv wehrte er Angriffe ab, wich zur Seite aus und umklammerte fest den Ball. Ein Angreifer lief geradewegs in ihn hinein und presste ihm die Rippen zusammen. Das Summen in den Ohren, das sich daraufhin einstellte, begleitete ihn noch die nächsten zehn Minuten. Aber Flash schleuderte den Angreifer zur Seite, neigte den Kopf und rammte ihn in den Magen eines zweiten Angreifers, schlug ihn im hohen Bogen aus dem Feld. Vage nahm er Robur wahr, der vor den Beinen eines neuen potentiellen Angreifers niedertauchte und ihn der Länge nach zu Fall brachte. Flash wusste, dass auch seine anderen Kameraden Abwehrblocks bildeten und nächstes Frühjahr, wenn sie sich gemeinsam die Filme über die Spiele ansehen würden, dessen war er sich sicher, würde er sie beglückwünschen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, fühlte er nur die Kraft seiner angespannten Sinne, die Kraft, die in seine Arme und Beine überging, Kraft, die Körper und Geist einzigartig im Kampf vereinte, ein Sportler, wie er im Buche steht!
Flash rannte als einziger in den Strafraum.
Er warf das entscheidende Tor für den Sieg im Super Bowl.
*
Am Abend, als seine Spielkameraden den Sieg in den Bars im französischen Viertel von New Orleans feierten, saß Flash unter heißen Studiolampen, ein Interview für die Kinderstunde am Samstagmorgen sollte aufgenommen werden. Er trug weiße Jeans und ein weißes T-Shirt, auf dem in roten Buchstaben sein Name prangte; das Geschenk einer unbekannten Verehrerin. Er trug es in der Hoffnung, dass sie es sehen würde und wüsste, dass er ihr Geschenk schätzte (es sind die kleinen Dinge, auf die die Leute achteten).
»Ja, Phyllis, weißt du, ich würde den Kindern überall im Lande erzählen, dass sie jeden Morgen brav ihr Frühstück essen und Mama und Papa gehorchen müssten, dass sie im Übrigen nicht lügen dürften, wenn sie erfolgreiche Sportler werden wollen. Denn Trainer mögen keine Lügner leiden.«
Phyllis Franklin, eine affektierte ehemalige Schönheitskönigin, die der Sender angeheuert hatte, um ein wenig Glanz in ihre Sportsendungen zu bringen, schlug die Beine übereinander und verschränkte keusch die Hände vor den Knien. Sie zog ostentativ ihren Rock glatt und damit einen halben Meter herunter, so dass auch nicht die kleinste Andeutung nackter Haut auf den heimischen Bildschirmen zu sehen sein würde. Eine hübsche Frau, frisch geschieden von irgendeinem Ölmulti. Sie trug eine Unmenge von Klammem in ihrem kurzen blonden Haar, die angeblich die Frisur halten sollten, aber es sah eher so aus, als ob das von einer halben Flasche Haarspray übernommen worden sei. »Finden Sie, Mr. Gordon, dass alle Kinder sich wünschen sollten, Sportler zu werden?«
Flash lachte. »Natürlich nicht. Fit und in Form zu bleiben ist ganz wichtig, egal, welchen Beruf man ausübt. Fußballspielen ist ein Beruf wie jeder andere, und wenn ich z.B. Nachrichtensprecher wäre oder ihren Job hätte, würde ich ihn mit dem gleichen Ehrgeiz ausüben, ebenso wie ich engagierter Buchhalter oder Versicherungskaufmann wäre. Oder Pförtner, wie mein Vater.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns etwas über ihre bescheidenen Anfänge zu erzählen?«
Flash lächelte, ein ernsthaftes Lächeln, denn er wollte nichts Falsches sagen. »Niemand fängt bescheiden an. Niemand sollte sich seiner Eltern oder seiner Eltern Arbeit schämen!«
Phyllis sperrte Mund und Augen auf; zum ersten Mal betrachtete sie Flash Gordon als ein menschliches Wesen und nicht als einen der üblichen Trottel, die sie interviewen musste. Nach ihrer Meinung waren die meisten Spieler gefühllose Scheusale. »Würden Sie den Jugendlichen heute noch einen Rat mit auf den Weg geben wollen?«
»Oh, ich fürchte, es ist nicht besonders wichtig. Denke immer daran, dass hoffentlich ein Sprichwort ist. Geschwindigkeit tötet. Setz' dich nicht an den gedeckten Tisch.«
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Als der Aufnahmeleiter ihr das Zeichen gab, das Interview zu beenden, streckte Phyllis impulsiv Flash die Hand hin. »Vielen Dank, Mr. Gordon«, sagte sie. Dann fiel ihr ein, dass diese Geste nicht gut auf den Fernsehschirmen daheim ankommen würde. Sie ließ die Hand fallen und setzte sich wieder auf ihren Platz. Aber ihr Interview war damit schon verdorben. Es drängte sich ihr ein Fluch auf, mit dem sie in Gedanken ihre Kritiker bedachte und schon ging es ihrem Selbstbewusstsein wieder besser. »Es hat mich sehr gefreut, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen.«
»Vielen Dank, Mrs. Franklin«, sagte Flash.
Phyllis wandte sich der Hauptkamera zu. »Das war Flash Gordon, Abwehrspieler beim Weltmeister New York Jets. Und es ist Phyllis Franklin, die euch fürs Zuschauen dankt und euch alle, ihr Jungens und Mädchen, daran erinnern möchte, dass ihr euch nächste Woche wieder einschaltet in unsere Sendung, in die Welt des Sports. George Plimpton wird dann unser Gast sein und uns über die ungerechtfertigten Beschränkungen erzählen, die man ihm im Boxen auferlegt hat.«
Die Kamera wurde nach hinten weggezogen und nach einigen Augenblicken erloschen die hellsten und heißesten der Studiolampen. Flash seufzte erleichtert auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Phyllis sagte: »Mr. Gordon, das war eins der besten Interviews, die ich je geführt habe. Ich danke Ihnen.«
»Nenn mich Flash... Phyllis.« Es war nicht zu übersehen, die Fernsehleute ließen Phyllis links liegen. Der Aufnahmeleiter hatte sie nur mit einem kurzen Blick gestreift und sich dann schon wieder jemand anderem zugewendet. Und solange er sich mit Phyllis unterhielt, wurde sogar Flash nicht beachtet.
»Ich bin hier nicht sehr beliebt«, sie konnte sich denken, was in seinem Kopf vorging, als sie seine Blicke verfolgte. »Ihrer Meinung nach habe ich keine Ahnung vom Fußball.«
»Es war bestimmt nicht leicht für dich, hier anzufangen und ich wette, dass du nächstes Jahr um die Zeit schon dreimal so viel weißt wie jetzt.«
Sie hielt sich die linke Hand vor den Mund und lachte. »Aber dreimal null bleibt null.«
»Oh, Phyllis, du solltest wirklich eine höhere Meinung von dir selbst haben. Die dem weiblichen Geschlecht durchschnittlich zugesprochene Dummheit, was Berufsfußball angeht, ist Merkmal einer kulturell ausschließlich sexistisch ausgerichteten, männlich-beherrschten Gesellschaft, die die Frauen unterdrückt. Um denen da zu beweisen...« - Er machte eine abschätzende Handbewegung - »...dass du was vom Thema verstehst, musst du mindestens sechsmal besser sein als sie.«
Sie schauten sich in die Augen und sprachen kein Wort, mindestens eine halbe Minute lang. Das vertraute Gefühl der Leere überkam Flash, Sehnsucht, die Gewalttätigkeiten des Nachmittags auszulöschen.
»Hättest du Lust, mit mir noch etwas trinken zu gehen?«, fragte Phyllis.
»Hattest du an eine bestimmte Bar gedacht?«
»Direkt um die Ecke ist ein nettes Lokal.« Sie zog mehrere Klammern aus ihrem Haar.
»Mein Hotel ist nur zwei Blocks von hier. Wir könnten den Zimmerservice in Anspruch nehmen.«
»Dann sollten wir in mein Hotel gehen.« Sie schüttelte ihren Kopf und das Haar fiel herunter. Es war doch nicht so kurz geschnitten. »Mein Zimmerservice geht auf Kosten der Gesellschaft.«
Als der gelangweilte Monarch und Klytus sich entschlossen, den Planeten Erde zu erforschen, waren seit dem Sieg der New York Jets im Super Bowl drei Monate vergangen.
Die roten und grünen Strahlen hatten sich zwischen den Gestirnen Jupiter und Mars materialisiert, nachdem sie unergründliche Entfernungen zurückgelegt hatten. Die Weite des Universums war kein Problem für die Maschinen des überdrüssigen Herrschers.
Die wenigen Astronomen, die die Strahlen auf den Mond auftreffen sahen, hatten nicht genügend Zeit, um sich gefühlsmäßig darauf einzustellen, dass sie damit ein bis dahin unbekanntes Phänomen beobachteten.
Einer der Beobachter auf dem Mount Wilson in Los Angeles bemerkte die Strahlen nur zufällig dadurch, dass die Asteroiden, die er in einer Ausschnittvergrößerung studierte, um Daten über den ganzen Komplex zu gewinnen, plötzlich von den roten Strahlen getroffen wurden und auseinanderflogen, um anschließend von den grünen Strahlen völlig zersetzt zu werden.
Der Wissenschaftler schaute finster drein und rieb sich das Kinn. Dann entschied er, dass die Strahlen auf atmosphärische Störungen zurückzuführen wären, die wiederum ihre Ursache in einem Erprobungsversuch einer neuen Waffe des Pentagons hätten.
Astronomen auf Palomar Mountain in San Diego, bei Arecibo, in Puerto Rico, in den Anden in Chile und auf dem Kitt Peak in Arizona kamen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Die führenden Wissenschaftler hielten ihre Ergebnisse zurück, mit der Begründung, dass erst alle Daten erfasst werden müssten; ein Prozess, von dem sie hofften, dass er endlos dauern würde. Doch als die Strahlen auf den Mond auftrafen und in einer lautlosen Explosion Mondgestein in den Raum beförderten, trafen die Schlussfolgerungen, und mochten sie noch so scharfsinnig gewesen sein, nicht mehr zu. Es gab keine gültige Aussage über das Phänomen bis auf zwei Ausnahmen: Die Erscheinung war zu schrecklich, als dass man sie ohne Gehirn bewundern konnte und sie war so ehrfurchtsgebietend, dass sie den Verstand lahmlegte.
Die erste Ausnahme war Pete Whittaker, der in einem vornehmen Vorort von Miami lebte. Eine offene Flasche Bier zwischen die Beine geklemmt, saß Pete in seinem Garten und lugte durch sein neuestes Spielzeug - ein zwanzigtausend-Dollar Teleskop. Als er die funkelnden roten und grünen Blitze sah, kurz bevor sie auf den Mond auftraten, sprang er auf, verschüttete das Bier und rief aus, »Oh mein Gott! Eine Invasion! Wir werden angegriffen!« Visionen von Wells außerirdischen Marsianern und den japanischen Mysterianen drängten sich ihm auf und er fiel auf der Stelle tot um.
Die zweite Ausnahme entwickelte sich langsam in einer Reihe unvorhergesehener Ereignisse, denen die gebieterischen Höhepunkte fehlten. Diese Ausnahme war Dr. Hans Zarkov.
Flash verbrachte seine Ferien allein im Wochenendhaus eines Freundes, dreißig Meilen von einem kleinen Kreisstädtchen entfernt. Zweimal in der Woche fuhr er dorthin, um seine Einkäufe zu machen und auf einem Flughafen auf dem flachen Lande Flugstunden zu nehmen. Die meiste Zeit hatte er keinen Kontakt mit der Menschheit (abgesehen von zwei Briefen, die ihm Phyllis Franklin schrieb). Er stemmte Gewichte, schlug Feuerholz klein und beschäftigte sich mit isometrischen Übungen. Jeden Morgen meditierte er mindestens eine Stunde lang, mitten im Wohnraum neben den rotglühenden Kohlen der Feuerstelle, in Zen- oder Lotus-Position. Außer Radio und Fernsehen war die Hütte mit allen Annehmlichkeiten der modernen Technik ausgestattet. Sein Fluglehrer hob die alten Zeitungen für ihn auf, außerdem standen ihm zum Lesen zur Verfügung: das Lexikon, James Varieties of Religious Experience, Wilsons The Outsider und Order of Assassins, Bücher von Jack London und Günter Grass sowie mehrere Science-Fiction-Romane (darunter Rif und The Prince of Sleep). Manchmal spielte er Platten von Waylon Jennings, Merle Haggard, Hank Williams Jr. und Johnny Cash oder er genoss die Ruhe des fallenden Schnees und freute sich, wie der Boden, die kahlen Äste und die Nadeln der Bäume weiß überzogen wurden. Manchmal stellte er sich vor, dass in dieser andächtigen Stille das Universum eingefangen wäre und er verspürte in sich in unvergleichbarem Maße Frieden. Allein, reinigte sich Flash von den letzten Resten des Kummers über die, die ihn verlassen hatten (die Leere, die sie in ihm hinterlassen hatten, würde dennoch nie mehr ausgefüllt werden können). Allein, fand er dennoch immer genügend zu tun, um in Form zu bleiben und sich nicht zu langweilen. Allein, war er nicht einsam, denn er hatte in seinem Bewusstsein unterschiedliche Ebenen entdeckt und gelernt, zwischen seinem Leben und dem Leben allgemein eine Verbindung herzustellen. Mit all seinen Sinnen trank er jeden Augenblick, die Zeit erschien ihm unendlich. Doch die Zeit, die er sich für seine Ferien zugestanden hatte, verging schneller, als ihm lieb war.
In den letzten Tagen seiner selbst auferlegten Isolation lächelte Flash zuweilen, denn er stellte fest, dass ein Teil seiner Persönlichkeit unruhig war und sich nach der Geschäftigkeit des Lebens und des Trainingslagers sehnte. Er gab seinem Bedürfnis nach, aber dann entdeckte er, dass der einzige Flug am Tag vor Trainingsbeginn auf sechs Uhr dreißig morgens angesetzt war.
Mit seinem vergeistigten Bewusstsein sah sich Flash außerstande, um fünf Uhr morgens aufzuwachen. Er schlief immer so lange wie möglich. Also verbrachte er die letzte Nacht seiner Ferien im Dark Harbor Inn.