Innere Kraft Durch
Atemtyp Qigong
Dank an:
Marion Schnoor (Lunar), Federico Canosa (Lunar),
Andreas Korycik † (Lunar), Andreas Krügersen (Lunar),
Brigitte Wendt (Solar), Winfried Huthmacher (Solar)
Innere Kraft durch
Atemtyp Qigong
Gesund durch richtiges Atmen
© tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld
l.Auflage 2009
Autor: Frieder Anders, Judith Hechler
Umschlagfotos: ©Adobe Stock – Sean Xu, ©Adobe Stock – Sea Wave
Lektorat/Korrektorat: Susanne Klein, www.kleinebrise.net
Weitere Mitwirkende: Layout/Satz: Ingeburg Zoschke.
Fotos im Innenteil: ©Harry Tränkner.
Zeichnungen: ©Rosario Young-Poblete.
Berechnungstabellen: ©Bert Aufdemkamp.
Verlag: tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld,
www.tao.de, eMail: info@tao.de
Herstellung: tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Hardcover: 978-3-96240-480-2
ISBN Paperback: 978-3-96240-485-7
ISBN e-Book: 978-3-96240-481-9
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Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige
Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.
Auflage: Unveränderter Nachdruck der überarbeiteten Neuauflage 2015
INHALT
Vorwort
TEIL I – THEORETISCHE GRUNDLAGEN
Kapitel 1
Das neue Paradigma von Körper und Geist
Körper-Haben, Körper-Sein
Kapitel 2
Qigong – Selbstkultivierung
Ein Ausflug in die Kampfkünste
Kapitel 3
Die Lehre von den Atemtypen: Terlusollogie
Kapitel 4
Frieder Anders: Meine Erfahrung
AtemtypQigong
Atemenergetik
Der Große Himmlische Kreislauf
TEIL 2 – DIE AUSFÜHRUNG DER ÜBUNGEN
Kapitel 5
Grundprinzipien
Praxisbeispiele
Die 24 Dao-Übungen (lunar/solar)
1 Taiji Yin Yang
2 Die gekreuzten Hände öffnen und schließen
3 Kräuselnde Wellen im Meer
4 Die Flügel nach links und rechts ausbreiten
5 Das Wasserrad dreht sich
6 Das Nashorn schaut zum Mond
7 Der goldene Affe bietet Früchte an
8 Die heilige Schildkröte paddelt
9 Drehung in Form des Bagua
10 Drachenkopf und Phönixschwanz
11 Der Himmelskönig stützt seinen Rücken
12 Der Himmelskönig Li hebt eine Pagode
13 Der fliegende Adler dreht seinen Kopf
14 Große und kleine goldene Sterne
15 Hände und Füße treffen sich
16 Verbrauchte Luft ausatmen und frische Luft einatmen
17 Der heilige Kranich streckt seine Klauen
18 Schmetterlinge fliegen in Paaren
19 Das Nashorn trinkt Wasser
20 Gleichermaßen schön
21 Das Kind betet zu Guanyin
22 Die Peitsche gleichmäßig weiterdrehen
23 Die goldenen Blüten fallen sacht
24 Die Augen schließen und den Geist verjüngen
ANHANG
Anmerkungen
Berechnungstabellen zum Atemtyp
Literatur
Über die Autoren
VORWORT
Mit großer Freude habe ich dieses Buch gelesen, denn es ist das erste Mal, dass die Atemtypenlehre und damit das Gedankengut von Erich Wilk (das wir heute unter dem Begriff Terlusollogie weiterführen und entwickeln) in den traditionellen chinesischen Bewegungskünsten Einzug gehalten hat. Ich habe schon immer die Vorstellung gehabt, dass die herausragenden Leistungen der Bewegungskünste sich nur dann einstellen, wenn der Übende seinen Atemtyp und die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Körperhaltungen berücksichtigt bzw. mit einbezieht. Ich bin überzeugt, dass die großen Meister der Kampfkünste die Atemtypen früher instinktiv mit einbezogen haben.
Erich Wilks Gedanken waren von der Polarität als einem der Grundprinzipien der Natur geprägt. Aktiv/Passiv, Spannung/Entspannung, Zell-Inneres/Zell-Äußeres, Dehnungszonen/Verengungszonen, Einatmung/Ausatmung usw. – man könnte unzählige solcher Paare bilden. Um die Bedeutung zu erklären, möchte ich das Beispiel der Atmung nehmen, denn die Atmung ist der »Lebensmotor« des Menschen. In der Natur kommen nur Einatmung und Ausatmung vor, etwas Drittes gibt es nicht. Entweder bin ich Einatmer oder Ausatmer, und zwar von Geburt an. Ein Wechsel von der Einatmung zur Ausatmung und umgekehrt ist möglich, aber nicht dauerhaft. Dauerhaft in die »Gegenatmung« zu gehen oder diese gar zu trainieren ist rasch mit Leistungsminderung oder Krankheit verbunden. Da wir ein Leben lang atmen müssen, sind wir in unserem Verhalten darauf angewiesen, diesen Prozess der Atmung zu unterstützen und so energiesparend wie möglich vonstattengehen zu lassen. In der Terlusollogie nennen wir das Einsparen von Energie typenrichtiges Verhalten. Das typenrichtige Verhalten bezieht sich auf das Sitzen, Stehen, Gehen, Liegen und die Ernährung. An nur einem Beispiel sei dies hier erläutert. Liege ich auf dem Rücken, dann ist der Brustkorb in einer Vordehnung. In dieser Ausgangsposition aktiv einzuatmen fällt jedermann spürbar leichter als auszuatmen. In der Bauchlage sind die Verhältnisse anders. Hier fällt das Ausatmen leichter, und die Einatmung ist erschwert. Folglich ist es für den Einatmer notwendig, auf dem Rücken, und für den Ausatmer, auf dem Bauch zu schlafen. Hält man sich in der Schlafposition nicht an seinen Atemtyp, so vergeudet man Nacht für Nacht Energie, was letztlich zu Leistungsminderung und – über viele Jahre hinweg praktiziert – zu Krankheit führt.
Der Atemtyp mit dem typenrichtigen Verhalten ist in diesem Buch berücksichtigt worden, was zu überraschenden Ergebnissen geführt hat. Erich Wilk ist es leider nicht mehr vergönnt gewesen, einen solchen Erfolg zu erleben. Ich hätte es ihm von Herzen gegönnt, ist er doch zeitlebens angegriffen und verhöhnt worden.
Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass ich Laie auf dem Gebiet der chinesischen Bewegungskünste bin. Ich habe mit dem Lesen dieses Buches Neuland betreten. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich in der westlichen Welt aufgewachsen und erzogen worden bin und das chinesische Gedankengut für mich ungewohnt und fremd ist. Ich bin überrascht, dass es sehr viele Übereinstimmungen gibt, die mich sehr beeindruckt haben, gerade auch im Hinblick auf den Polaritätsgedanken. In der Terlusollogie haben wir es mit erstaunlichen Effekten zu tun, die sich mit dem herkömmlichen naturwissenschaftlichen Denken nicht erklären lassen. Das gleiche Phänomen erleben wir bei den Bewegungs- und Kampfkünsten. Dieses Buch hat mich in der Richtigkeit unseres Tuns bestärkt, und ich hoffe auf eine gegenseitige Befruchtung. Ich bin den Autoren dieses Buches – Herrn Frieder Anders und Frau Judith Hechler – sehr dankbar, diesen Schritt getan zu haben, gibt es doch eine direkte Verbindung zwischen Terlusollogie, Qigong und Taijiquan. Ich wünsche ihnen mit diesem Buch großen Erfolg.
Mannheim, Oktober 2008 |
Christian Hagena |
|
Arzt und Terlusollogie-Lehrtrainer |
TEIL 1
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
KAPITEL 1
Das neue Paradigma von Körper und Geist
Vor gut zwanzig Jahren entwickelte sich in der westlichen Welt, u. a. angestoßen durch die Werke Fritjof Capras (Capra 1983), ein neues Verständnis der Beziehung des Menschen zur Welt und zu seinem Körper, das inzwischen als neues Paradigma von Körper und Geist angesehen werden kann. Das Verständnis des Menschen seiner selbst und seiner geistig-körperlichen Existenz wird seitdem nicht mehr unangefochten durch unser jüdisch-christliches Erbe bestimmt, das die Seele als Gefangene des Körpers begreift und in der cartesianischen Trennung von Geist und Körper epochemachend zum Ausdruck kam.
Vielmehr gewinnt der von C. G. Jung formulierte Vorsatz, »uns mit dem geheimnisvollen Mysterium auszusöhnen, dass die Seele das innerlich geschaute Leben des Körpers und der Körper das äußerlich geoffenbarte Leben der Seele ist, dass die beiden nicht zwei, sondern eins sind« (Seem 1994, S. 19), immer mehr Raum.1 Für die Medizin und verwandte Heilmethoden bedeutet das, dem Menschen zu helfen, über die Relativität der Krankheit oder Symptome hinauszugehen und zu spüren, »wie er wäre, wäre er gesund: körperlich, geistig und spirituell mehr eine Ganzheit« (Seem 1994, S. 20). Diese ganzheitliche Ausrichtung der Medizin sieht den Menschen als Teil der Welt, nicht bloß als isolierten Körper in ihr, und setzt auf die Selbstheilungskräfte der Patienten. Dabei berücksichtigt sie sowohl philosophische als auch spirituelle Fragen und findet im Menschen ein regelrechtes bio-elektrisches Selbst, ein Kraftfeld, das von denselben dynamischen Kräften durchdrungen ist, die alles Leben beseelen. Bei Seem heißt es dazu, bei dem neuen Paradigma des Körper/Geist2 liege der Nachdruck weniger auf Diagnose und Behandlung von Krankheit, die immer in den medizinischen Bereich fallen würden, sondern man konzentriere sich mehr auf die Entdeckung und auf energetische Unausgewogenheiten (Seem 1994, S. 28). Die Betonung liegt auf »energetisch«. Derartige bio-elektrische Kräfte wurden durch R. O. Becker3 in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen Versuchen nachgewiesen und zur Stimulierung von Heilungsprozessen eingesetzt. Interessanterweise finden sich diese neueren Erkenntnisse der westlichen Physik und Medizin schon seit Jahrhunderten in den östlichen Traditionen der Medizin, deren Heilmethoden auf der Annahme der Existenz eines solchen Kraftfeldes aufbauen. Gemeint sind hier die Methoden der Selbstkultivierung wie Qigong, Taijiquan und Meditation,4 östliche Philosophien und Praktiken, in denen die Begriffe der Lebenskraft und der Energie eine wesentliche Rolle spielen. Diese Begriffe ergänzten die Ideen, die in der modernen Physik auftauchen, und führten schließlich zur Entstehung einer neuen Richtung in der Medizin, der Energiemedizin. (Oschman 2006)
Östliche Philosophien und Praktiken werden im Westen jedoch oft übernommen, ohne hinterfragt zu werden. Sie werden als etwas ganz anderes erlebt und, weil metaphysisch und mysteriös, sozusagen durch eine romantisierende Brille betrachtet. Da die westlich-wissenschaftliche Sicht auf den Menschen von vielen als steril und seelenlos empfunden wird, scheinen östliche Konzepte Befreiung aus den Zwängen der eigenen kulturellen Tradition zu verheißen.
Beispiel Sport
Fast alle Bewegung, die dem Freizeitbereich zugehörig ist, wird im Westen als Sport bezeichnet. Diesem Begriff des Sports liegt nach wie vor die cartesianische Trennung von Körper und Geist zugrunde. Der Geist – das Ego, das Selbst – hat einen Körper, über den er als Instrument verfügen kann. Dieser Körper muss dem eigenen Geist, der sich vor allem an äußeren Zielen ausrichtet, gehorchen und darf nicht seinen eigenen Bedürfnissen folgen. Er muss trainiert werden, damit er diese Ziele erreicht. Die Ziele werden, zumindest im Leistungssport, immer höher gesteckt und folgen dabei den Kriterien des Messbaren: schneller, höher, weiter. Werden sie erreicht, wird auch eine Art »Einheit« mit dem Körper hergestellt, denn der Körper hat zufriedenstellend funktioniert und die ihm vom Geist gestellten Vorgaben erfüllt. Eine unmittelbare Befriedigung aus der Bewegung – sich gut fühlen, eins mit sich sein – ist also immer an das Erreichen von Zielen gekoppelt, die der Körper für sich genommen nicht kennt und wahrscheinlich auch nicht wünscht, sonst müsste er nicht gedopt werden. Die Grenze zwischen so erlangter Gesundheit und Selbstzerstörung ist äußerst schmal; Wohlbefinden wird nur über Leistung erreicht.
Im Qigong und im Taijiquan gibt es keine messbaren Leistungen: Man befindet sich entweder still an einem Platz oder bewegt sich im Kreis. Kein Wille zwingt den Körper zu einer Leistung. Hier gibt es einen Weg zu einem anderen harmonischen Zusammenspiel von Körper und Geist, das mehr das unmittelbare Erleben des Körpers fördert als die Herrschaft über ihn, das das Körper-Sein über das Körper-Haben stellt. Das kann sehr befreiend wirken auf diejenigen, die dem Zwang, ihren Körper zu »trimmen«, entfliehen wollen. Es muss jedoch hinterfragt werden, ob unser westliches Verständnis der fernöstlichen Bewegungsmethoden diesen auch tatsächlich entspricht, ob und wie eine Übernahme überhaupt möglich und unter welchen Bedingungen sie sinnvoll ist.
Psychologie in Ost und West
Die pauschale Übernahme eines östlichen Denkmodells wird der Entwicklung eines neuen westlichen Paradigmas der Gesundheit nicht zuträglich sein, denn die asiatischen Medizinmodelle verfügen nicht über eine hinreichende psychologische Theorie, um der Psychologie des westlichen Individuums Rechnung zu tragen. Viel mehr als eine Einzelpsychologie entwickelten die Chinesen eine Einzelsoziologie.
»… das konfuzianische Konzept des Individuums, das die chinesische Gesellschaft beeinflusst hat, besteht nicht aus einem psychologischen Selbst, sondern aus einem aktiv in der Gemeinschaft stehenden (Familie, Provinz, Staat, Welt). … In der alten chinesischen Kultur war das Selbst demnach ein grundsätzlich soziales … Verhaltensprobleme, die wir im Westen als Störung der Persönlichkeitsentwicklung verstehen, wären in China grundsätzlich Fragen der sozialen Anpassung. … Hier besteht ein krasser Gegensatz zum westlichen Selbst, das als isoliertes Einzelwesen verstanden wird … das psychologische Selbst (Ego), das im Zentrum der Praxis der westlichen Psychologie, Psychiatrie und Psychosomatik steht, ist in China praktisch unbekannt.« (Seem 1994, S. 94)
Körper-Haben, Körper-Sein
Die menschliche Existenz ist von zwei Modi geprägt: von Körper-Haben und von Körper-Sein. Beide Modi, die »exzentrische Positionalität«, wie sie Helmuth Plessner5 genannt hat, zu versöhnen ist die Aufgabe des Menschen. Die westliche Kultur bevorzugt das Körper-Haben, nicht nur in der Arbeitswelt, sondern, wie das Beispiel des Sports zeigt, auch in der Freizeit; dem Körper-Sein wird in der von »Wellness« geprägten Freizeit Rechnung getragen; die »3 S« im Bett: Schlaf, Sexualität und Siechtum sind, unabhängig von dieser Mode, ebenso typisch.
Untersucht man sorgfältig die Beschaffenheit der östlichen Wege und stülpt ihnen kein romantisierendes Wunschdenken über, so entdeckt man, dass das Verhältnis von Geist und Körper hier ebenso hierarchisch ist wie im Westen. Der Geist steht auch hier an erster Stelle und der Körper an zweiter. Zwar ist das Verhältnis nicht eines von Herr und Knecht, zu dem der bürgerliche Fortschritt der Jahrhunderte nach Descartes es hierzulande machte, aber es ist hierarchisch, weil »der Geist führt und Qi und Körper folgen«, wie es eine Maxime in Bezug auf Taijiquan ausdrückt. Diese Hierarchie anzunehmen und zu gestalten, also den Ausgleich zwischen Körper-Haben und Körper-Sein zu finden, wie er in den östlichen Wegen angelegt ist, bringt erst deren erstaunliche Wirkung hervor und macht diese Übungen auch für uns als westliche Individuen zugänglich. Unser »psychologisches Selbst« kann diese mit der Intentionalität des Geistes führen und so das Selbst erweitern und stärken, ohne als »Wille« dem Körper zu befehlen und ohne in die Regression des einseitigen Körper-Habens zu versinken.