FREIBAD
Ein ganzer Sommer
unter dem Himmel
Peter Hammer Verlag
1 Wir waren im Hallenbad und standen im Nichtschwimmerbecken, Katinka, Robbie und ich. Robbie wollte richtig schwimmen lernen, und wir zeigten ihm, wie das geht. Aber er schluckte andauernd Wasser und hustete wie ein Verrückter. Katinka haute ihm auf den Rücken, das half. Robbie gab nicht auf. Wir erklärten ihm, was er mit den Beinen machen sollte, aber er strampelte bloß herum wie ein kranker Hund. Er hatte zwar schon Seepferdchen, trotzdem hatte er oft Angst allein im Wasser.
Neben dem Becken standen Liegen zum Ausruhen. Auf einer lag eine Frau mit einem kleinen Kind und blätterte in einer Zeitschrift. Das Kleine hatte eine Windel um, sonst nichts. Wahrscheinlich langweilte es sich, auf jeden Fall fing es an zu quengeln. Doch die Frau guckte nur immer weiter in ihre Zeitschrift.
Auf einmal klingelte ihr Handy, und sie ging ran. Sofort fing sie an zu quatschen, so laut, dass alle es mitbekamen. Erst lachte sie. Dann aber regte sie sich auf. Das Kind krabbelte von der Liege runter und wackelte in Richtung Wasser. Die Frau schimpfte in ihr Handy: „Du hast was mit dieser blöden Mona, das merk ich doch!“ Sie war so wütend, dass sie nichts anderes mehr mitbekam, zum Beispiel, dass ihr Kleines auf das Schwimmbecken zuwackelte. Wir dachten, na ja, sie wird schon wissen, was sie tut, und kümmerten uns weiter um Robbie.
Da machte es plötzlich PLATSCH, und es spritzte. Wir drehten uns um, und da lag das Kleine im Wasser und strampelte mit Armen und Beinen, so ähnlich wie Robbie, und es schluckte Wasser und guckte ganz komisch. Wir sahen zu der Frau auf der Liege. Sie war voll weggetreten und telefonierte wild drauflos und bekam nichts mit. Der Bademeister war eine komplette Null: Er saß in seiner Glaskabine und starrte auf seinen Computer.
Katinka und ich fackelten nicht lange, wir schwammen zum Beckenrand, wo das Kleine inzwischen untergegangen war, nur noch die Haare guckten raus. Ich tauchte unter, packte es an den Armen und zog es nach oben, es ging ganz einfach. Als das Kleine den Kopf über Wasser hatte, war es erst ganz still, und wir dachten, hoffentlich ist es nicht tot. Aber dann fing es an zu kreischen und lief rot an.
Erst jetzt fiel der Frau auf, dass ihr Kind weg war. Wir winkten ihr zu und zeigten auf das Kleine. Die Frau schrie. Sie ließ ihr Handy fallen und rannte zum Becken, hielt sich die Nase zu und sprang ins Wasser. Sie riss mir das Kleine aus den Armen und fing an zu weinen. Dann schimpfte sie uns aus, das war so was von krass.
Schließlich kam auch der Bademeister angerannt, und wir erzählten, was Sache war. Er rief den Krankenwagen, denn vielleicht hatte das Kleine schon zu viel Wasser geschluckt und bekam einen Gehirnschaden. Zum Glück war aber alles in Ordnung, und die Frau beruhigte sich und sagte zehntausend Mal Danke, und jemand von der Zeitung kam und machte Fotos von uns und dem Kind in seiner Windel.
Wir wurden mit einem Schlag berühmt, in der Schule guckten uns alle an und waren stolz auf uns, obwohl uns sonst kaum jemand mochte.
Ein paar Tage später kam der Chef vom Hallenbad zu uns nach Hause, schüttelte allen die Hand und lobte uns. Wir dachten, das reicht jetzt aber auch mal.
„Und um euch dreien eine Freude zu machen“, sagte der Mann, „erlauben wir uns, euch diese Freikarte zu überreichen.“
Wir kapierten erst nicht.
„Ihr dürft den ganzen Sommer lang umsonst ins Freibad. Wann immer ihr wollt!“
Wir waren natürlich einverstanden.
Es war schon Ende April. Am 15. Mai machten sie auf.
2 Alle sagten, wir wären Helden. Waren wir aber nicht. Wir hatten nur zufällig in der Nähe gestanden.
Ich hab das auch nur kurz erzählt, damit du verstehst, wie es kam, dass wir ab jetzt jeden Tag im Freibad verbrachten. Jeden einzelnen Tag. Den ganzen Sommer lang. Vom 15. Mai bis zum 15. September. Über einhundert Tage. Auch wenn es regnete.
Wir hatten ja sonst keine Möglichkeit, ich meine, unsere Eltern. Es war einfach nie genug Geld da für Ferien woandershin oder so. Und Robbie musste ins Wasser.
3 Robbie heißt eigentlich Robert. Ich heiße Alfred, aber jeder sagt Alf zu mir, was mich lange geärgert hat. Jetzt nicht mehr. Jetzt finde ich das gut.
Katinka heißt ganz einfach Katinka.
Wir sind die Bukowskis aus dem Wohnblock hinter den Gleisen. Ich bin zehn Jahre alt, Katinka ist acht, Robbie sieben. Mama arbeitet in der Bahnhofsbäckerei. Papa fährt Taxi.
Wir wohnen in der Georg-Elser-Straße. Wir haben drei Zimmer. Das Wohnzimmer, das Schlafzimmer von Mama und Papa und unser Zimmer. Dazu eine Küche und ein Bad. Keinen Balkon.
Doch wer braucht schon einen Balkon, wenn er einen ganzen Sommer im Freibad verbringen kann, immer unter dem Himmel?
Wo es einen Zehnmeterturm gibt.
Und neben dem Volleyballfeld einen Kiosk, wo sie alles haben, was du brauchst. Falls du Geld hast.
Unser Freibad.
Wo du mal eben rausgehen und beim Fußballtraining einer Bundesligamannschaft zugucken kannst, gleich nebenan auf dem Trainingsplatz.
Und wo du denkst, so ein Sommer, der hört nie auf.
4 Am 15. Mai war es schön warm. Kaum war die Schule vorbei, holten wir Robbie im Hort ab. Er saß wütend in der Ecke, als wir kamen. Jemand hatte ihm sein Lieblingsauto weggenommen, ein Junge, der viel stärker war als er. Katinka wollte gleich auf den Jungen los, aber ich fand das nicht gut, nicht jetzt. Wir wollten doch ins Freibad. Also zeigte Katinka dem Jungen nur die Faust. Der Junge grinste. Er war schon acht und hatte keine Angst vor meiner Schwester.
Wir hatten kein Geld für den Bus, also gingen wir den ganzen Weg zu Fuß. Daran würden wir uns jetzt gewöhnen müssen, denn Geld würde auch morgen keins da sein. Auch nicht übermorgen.
Wir gingen über den Fluss und kamen in das Viertel mit den vielen Kneipen. Die Leute saßen draußen und tranken alle möglichen Sachen. Als wir an einem Café vorbeikamen, zeigte Robbie auf einen Mann mit einer Flasche Limonade vor sich. „Will ich auch“, sagte Robbie.
„Geht nicht“, sagte ich. „Ist zu teuer.“
Mama hatte uns drei Euro mitgegeben, das musste für alle reichen.
Robbie machte eine wütende Grimasse, und wir gingen weiter.
Wir kamen an allen möglichen Leuten vorbei, die Kuchen aßen oder Eis, und ich nahm mir vor, nie mehr durch dieses Viertel zu gehen. Nicht mit so wenig Geld in der Tasche. Nicht mit Robbie an der Hand.
Dann überquerten wir eine breite Straße. Und da sahen wir es: das Stadion. Dahinter war das Freibad.
Robbie machte sich von mir los und fing an zu rennen. Katinka rannte ihm hinterher. Ich lachte.
5 Am Eingang zeigten wir unsere Freikarten. Die Frau an der Kasse guckte uns misstrauisch an und fragte einen Kollegen. Sie riefen irgendwo an, wahrscheinlich beim Chef vom Hallenbad.
Als alles in Ordnung war, durften wir rein.
Wir waren hier schon manchmal gewesen, mit unseren Eltern. Wenn man reinkommt, ist da zuerst die große Wiese. Dahinter sind die Becken. Eins für die ganz Kleinen, dann das Nichtschwimmerbecken mit den Rutschen. Daneben ist das Sprungbecken. Und dahinter sind die 50-Meter-Bahnen.
Die Sonne schien – und ich hatte gedacht, es wären bestimmt viele Leute da. Aber das war nicht so. Ich verstand bald, warum.
Wir suchten uns einen Platz für unsere Decke und zogen unsere Badesachen an. Dann liefen wir zu dem Becken mit den Rutschen und sprangen direkt ins Wasser. Es war höllekalt.
Im Hallenbad ist das Wasser immer schön warm, besonders im Nichtschwimmerbecken. Hier nicht. Hier war es, als hätte jemand Eiswürfel reingetan, mindestens zehn Tonnen. Katinka rannte gleich wieder raus, ich auch. Robbie aber blieb im Wasser und freute sich. Wir behielten ihn genau im Auge. Die Kälte machte ihm null was aus, er sprang im Wasser herum und war glücklich.
Da kam ein Bademeister und stellte sich breit neben uns hin. Er hatte einen dicken Bauch, als hätte er einen Riesenball verschluckt. Außerdem hatte er einen Riesenschnauzbart und sah aus wie ein Walross. Nur ohne Stoßzähne.
„Das Wasser ist saukalt“, sagte Katinka zu ihm. „Das ist bescheuert.“
„Beschwer dich bei der Stadt“, sagte er. „Hier wird nicht geheizt.“
„Wieso nicht?“, fragte sie.
„Sparmaßnahmen“, brummte er. „Ihr seid die mit dem Gutschein, oder? Mein Kollege vom Hallenbad hat mich informiert. Wo sind eigentlich eure Eltern?“
„Bei der Arbeit.“
„Passt auf den Kleinen auf. Ihr bleibt mit ihm im Nichtschwimmerbereich, verstanden? Ich hab ein Auge auf euch.“
„Klar“, sagte ich. „Und ich hab ja auch schon Silber und meine Schwester Bronze.“
Das beeindruckte ihn nicht. Er machte einen auf hart und guckte irgendwohin. Schließlich ließ er uns einfach stehen und ging zu seinen Kollegen, um Kaffee zu trinken.
Robbie winkte uns zu, wir sollten ins Wasser kommen. Er sah so glücklich aus in dem großen Becken, wo sonst kaum jemand war. Aber auch ein bisschen allein. Er patschte aufs Wasser und rief unsere Namen.
„Okay“, sagte Katinka. „Lass uns reingehen.“
6 Wenn du erst mal eine Weile im kalten Wasser bist, gewöhnst du dich daran. Hauptsache, du bewegst dich. Dann merkst du überhaupt nicht mehr, wie kalt es ist. Wir spielten alles Mögliche, zum Beispiel Haifisch. Wir schwammen um Robbie herum, griffen ihn an und bissen zu. Er liebte das.
Es stimmt nicht, dass er behindert ist oder zurückgeblieben. Er ist nur anders. Wenn er malt, sieht es aus, als hätte ein Baby das Bild gemalt, oder ein Alien. Nur buntes Krickelkrakel. Und er spricht auch nicht viel, sondern zeigt lieber auf Sachen. Mama und Papa waren mit ihm beim Arzt. Mehrmals. Aber der sagt, alles ist in Ordnung.
Robbie kann schnell mal wütend werden. Oder er weint plötzlich los, bloß weil jemand auf eine Ameise tritt oder seinen Kakao verschüttet. So ist er eben. Robbie Bukowski.
Irgendwann liefen wir blau an und mussten dringend raus aus dem Becken und an die Sonne. Robbie wollte nicht, wir zogen ihn aber einfach mit. Weil er nicht sehr stark ist, konnte er sich nicht wehren.
Wir trockneten uns ab und legten uns auf die Decke. Kaum lagen wir da, bekamen wir Hunger. Wir hatten aber nichts dabei.
„Pommes wären jetzt gut“, sagte Katinka.
„Mmmh“, machte Robbie. „Lecker!“
Im Kiosk gab es welche. Eine kleine Portion kostete 1 Euro 50. Wir bestellten zwei.
„Tu aber ganz viel drauf“, sagte Katinka zu dem Mann am Tresen. „Wir sind ja drei. Und wir sind hungrig wie die Leoparden.“
Der Mann lächelte und fragte, was wir draufhaben wollten, Ketchup oder Mayonnaise.
„Beides“, sagte Katinka. „Und ganz viel!“
Er tat ganz viel drauf und stellte beide Portionen auf ein kleines Tablett. Es gab aber auch noch ganz viel anderes leckeres Zeug, Limo, Fruchtschnecken oder Eis. Robbie zeigte darauf und rollte mit den Augen.
„Vergiss es“, sagte ich. „Unsere drei Euro sind weg.“
Als wir abziehen wollten, kam ein Mädchen rein, genau in dem Moment. Sie hatte lange braune Haare. Sie hatte ein weißes T-Shirt an und eine weiße Hose. Sie kam herein und blendete mich wie eine Sonne.
Das Tablett fiel mir aus der Hand, und die Pommes landeten auf dem eklig nassen Boden.
„Mann!“, schimpfte Katinka. „Du Blödmann!“
Robbie fing an zu weinen und begann, die Pommes vom Boden zu essen.
„Nee, lass das mal bleiben!“, rief der Mann uns vom Tresen zu. „Ich mach euch neue.“
„In echt?“, fragte Katinka. „Das machst du?“
„Ja“, sagte er. „Heute ist mein Geburtstag!“
„Oh! Hast du schöne Geschenke bekommen?“
„Nee“, antwortete der Mann.
„Warum nicht?“
„Weil … es niemanden gibt, der mir was schenkt …“
„Und wie alt bist du geworden?“
„49.“
„Mann, dann bist du ja noch älter als unser Papa!“, rief Katinka. „Steinalt!“
„Na ja“, sagte der Mann und gab uns die neuen Pommes. Zwei Portionen!
„Danke“, sagten Katinka und ich. Robbie sah ihn nur an.
Wir gingen zurück zu unserer Decke und aßen. Als wir fertig waren, sonnten wir uns. Danach versuchten wir wieder, Robbie das Schwimmen beizubringen. Aber er kapierte es einfach nicht.
Wir gingen mit ihm auf die kleine Rutsche. Er rutschte bestimmt fünfzig Mal, danach war er fix und fertig.
„Morgen gehen wir auf die große“, sagte ich.
Robbie lachte.
„Du aber nicht“, sagte Katinka. „Weil die nämlich erst ab acht ist.“
Er sah aus, als würde er gleich losheulen.
Dann legten wir uns noch ein bisschen in die Sonne.
Um halb sieben zogen wir uns wieder an und wollten gehen, denn um sieben mussten wir zu Hause sein.
Auf der Wiese wuchsen Gänseblümchen, sehr viele Gänseblümchen – und Robbie zeigte darauf.
„Stimmt“, sagte Katinka und pflückte einen kleinen Strauß. Ich dachte, die will sie wohl Mama mitbringen, aber sie ging damit zum Kiosk. Wir hinterher.
„Happy birthday to you, happy birthday to you“, sang sie, als wir reinkamen. Sie sang laut und feierlich und überreichte dem Pommes-Mann den Gänseblümchenstrauß.
„Mach dir noch einen schönen Geburtstagstag“, sagte sie. „Und such dir eine Frau. Die schenkt dir dann auch mal was.“
„Ich … Ich geb mir Mühe“, sagte der Mann und schluckte. „Danke!“
Wir waren schon am Ausgang, als plötzlich das schöne Mädchen wieder auftauchte. Sie stand an der Kasse und unterhielt sich mit einem der Bademeister. Als wir an ihr vorbeigingen, sah sie einfach durch uns hindurch.
7 Wir gingen am Fluss entlang und sahen den vielen Leuten zu, die auf dem Rasen Fußball spielten oder grillten. Es roch lecker nach gebratenen Würstchen, und wir bekamen Hunger. Wir hatten noch einen langen Weg vor uns, bis zur Brücke und dann weiter durch die Vorstadt.
Wir hätten natürlich auch mit dem Fahrrad fahren können, aber das ging nicht, wegen Robbie. Er fuhr nämlich Rad wie eine betrunkene Katze, immer im Zickzack. Und andauernd blieb er stehen, um nachzudenken oder sich was anzugucken. „Im Stadtverkehr ist das zu gefährlich“, hatte Papa gesagt. Also mussten wir zu Fuß gehen. Von einem Fleischgeruch zum nächsten.
Wir redeten über alles Mögliche. Katinka erzählte von einem Mädchen aus ihrer Klasse, das Klara hieß. Klara hatte zwei verschieden lange Beine und hinkte. Außerdem stotterte sie und konnte nicht gut sehen. Es gab noch ein paar andere Sachen, die bei ihr nicht in Ordnung waren, aber die hab ich vergessen. Klara hatte einen Hund, der sie jeden Morgen zur Schule brachte. Der Hund war schon alt und konnte nur noch langsam vor sich hin trotten. Aber er brachte Klara immer bis zum Eingang. Und wenn die Schule aus war, stand auch der Hund wieder da und begleitete Klara nach Hause.
Ich erzählte von dem Boxstudio, das vor ein paar Wochen bei uns um die Ecke aufgemacht hatte. Ich war da reingegangen, hatte mich auf eine Bank gesetzt und zugeguckt. Wahrscheinlich dachten die, ich wäre der Bruder von einem der Boxer. Kaum war ich drin, wusste ich, dass ich hier richtig war. Genau so was wollte ich auch machen. Boxen. Und zwar bald.
Robbie sagte nicht viel, aber er zeigte ständig auf Sachen, die ihm auffielen. Irgendwelche Steine am Wegrand oder ein Schiff am Ufer.
Wir redeten auch darüber, was wir uns vornahmen, für den Sommer, meine ich. Katinka wollte einen Kilometer kraulen. Ich wollte vom Zehner runter. Bei Robbie war die Sache klar: Er musste anständig schwimmen lernen. Seepferdchen reichte nicht.
„Kriegen wir hin, mein Süßer“, sagte Katinka. „Man muss einen eisenharten Willen haben, weißt du.“
Robbie lächelte sie an, wie nur Robbie jemanden anlächeln kann.
Plötzlich, einfach so, sprang Katinka auf die Kühlerhaube eines Autos und von da aus aufs Dach. Es war ein schwarzer VW Golf.
Sie fing an zu tanzen.
„Komm da runter!“, rief ich. „Das gibt Ärger.“
„Ärger, Ärger!“, sang sie und tanzte weiter.
Als jemand von innen an die Fensterscheibe klopfte und uns mit der Faust drohte, sprang sie vom Dach, und wir rannten los.
Punkt sieben kamen wir zu Hause an, in unserer Siedlung.
8 Wir rannten das Treppenhaus rauf, weil wir nicht gern mit dem Aufzug fuhren. Der roch komisch. Außerdem waren drei Stockwerke ein Klacks. Für uns, meine ich. Für den alten Herrn Mahlstedt von gegenüber war das natürlich wie auf den Himalaya rauf. Nach ein paar Stufen machte er Halt, pfiff aus dem letzten Loch und schlurfte dann weiter. Katinka bewunderte Herrn Mahlstedt. Weil er nie aufgab. Weil er einen eisenharten Willen hatte. Und er war immer nett und lachte, wenn er uns sah, obwohl er schon beinahe tot war.
Mama saß in der Küche und schnitt Zwiebeln. Davon hatte sie Tränen in den Augen. Ansonsten aber war ihr Gesicht ganz fröhlich.
„Na, wie war euer erster Tag?“, fragte sie gleich.
Wir sagten, dass er gut gewesen war, unser erster Tag. Wir erzählten von dem eiskalten Wasser, dem Pommes-Mann und Katinkas Geburtstagslied. Von ihrem Tänzchen auf dem Autodach sagten wir natürlich nichts.
„Bist du weitergekommen mit dem Schwimmen?“, fragte Mama.
Robbie zuckte mit den Schultern.
Sie fragte nicht, ob wir auch schön auf ihn aufgepasst hatten. Sie wusste, auf uns war Verlass. Bei so was, meine ich.
„Wird schon werden“, sagte sie und warf die Zwiebeln in die Pfanne. „Deckt mal auf. Papa kommt gleich.“
Papa kam. Er ging immer erst ins Bad, um sich zu waschen. Dann in die Küche, um Mama zu küssen. Erst Mama und dann uns.
„Mann, was für ein Tag!“, stöhnte er. „Da war so ein Typ, der wollte nicht zahlen. Hat gesagt, er braucht das Geld für was Besseres.“
„Und was hast du gemacht?“, fragte ich.
„Ihn am Kragen gepackt und ihn mal kräftig durchgeschüttelt. Das hat gewirkt.“
Ich sah Papa an. Er war stark wie ein Grizzly. Wenn ein Grizzly dich eben mal kräftig durchschüttelt, hast du ein Problem.
„Was gibt’s denn Leckeres?“, fragte er.
„Spaghetti mit Tomatensauce.“
„Oh, toll!“, sagten wir alle. Obwohl es Spaghetti mit Tomatensauce ziemlich oft gab.
„Selbstgemachte Sauce!“, sagte Mama.
„Oh, toll!“, sagten wir noch einmal.
Vorher aber mussten wir Salat essen. Sehr viel Salat. Wegen der Gesundheit.
Auch Papa wollte wissen, wie es beim Schwimmen gewesen war. Dann erzählte Mama von Maria, einer Kollegin, die Rückenschmerzen hatte und trotzdem arbeiten musste. Von ihrem Chef, der nie Danke sagte. Von dem neuen Putzmittel, das eklig roch.
Nach dem Essen guckten wir alle zusammen einen Film. Er hieß Minusch und handelte von einer Frau, die früher eine Katze gewesen war. Den hatte sich Mama schon als Mädchen angeguckt. Sie fand ihn immer noch schön.
Danach gingen wir ins Bett. Wir waren müde von dem langen Tag. Und morgen war ja Schule.
Mama machte das Licht aus.