Cover

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

Einleitung

*) Das Gleiche in Frankreich.

Laie = Nicht Arzt

Freud/Meng 1980, S. 81 f.

Jones 1962, Bd. 3, S. 345.

Die erste Kränkung ist nach Freud eine »kosmologische« und betrifft die Erkenntnis, dass die Sonne, und nicht die Erde, im Mittelpunkt steht. Die zweite sei eine »biologische« Kränkung des menschlichen Narzissmus, nämlich dass der Mensch nicht die Krönung der Schöpfung sei, wie Charles Darwin (18091882) ausgeführt hatte.

Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: GW XI, S. 11.

Die Zukunft einer Illusion, in: GW XIV, S. 323380, hier S. 360.

Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: GW XV, S. 1208, hier S. 169.

Innere und äußere Gegner

Schröter 1996, S. 1130.

Geleitwort zu »Die psychoanalytische Methode« von Dr. Oskar Pfister, in: GW X, S. 448450, hier S. 449 f.

Schröter 1996, S. 1154.

Ebd., S. 1157.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 291.

Leopold-Löwenthal 1984, S. 106.

Ebd.

Jones 1962, S. 350, Brief vom 22. April 1928.

Ebd., S. 351.

Ebd., S. 354.

Vgl. Schröter 1996, S. 1170.

Psychoanalyse ist kein Spezialfach der Medizin

Sigmund Freud / Josef Breuer, Studien über Hysterie [1895], in: GW I, S. 75312.

Ebd., S. 86.

Psycho-Analysis, in: GW XIV, S. 299307, hier S. 299.

Vgl. Kurzer Abriss der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 412.

Ebd.

Ebd.

Vgl. Lorenzer 1984, S. 122.

Vgl. Laplanche 1996, S. 181.

Vgl. Kurzer Abriss der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 406.

Vgl. Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, in: GW XII, S. 312, hier S. 9.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 294.

Parin/Parin-Matthèy 1983, S. 86

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 294.

Lohmann 1986, S. 13.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 293.

Von der Psychopathologie zur Normalpsychologie zur Kulturtheorie

Sigmund Freud, Das Unbewußte, hrsg. von Lothar Bayer / Hans-Martin Lohmann, Ditzingen 2016, (Reclams Universal-Bibliothek. 18955.) S. 13.

Die Traumdeutung, in: GW II/III, S. 1626, hier S. 617.

Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, in: GW XVII, S. 141147, hier S. 146.

Kurzer Abriß der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 422.

Psycho-Analysis, in: GW XIV, S. 299307, hier S. 303.

Ebd.

Kurzer Abriß der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 415.

Ebd., S 416.

Ebd., S. 423.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 290.

Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität, in: GW VII, S. 143170.

Kurzer Abriss der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 422.

Ebd., S. 426 f.

Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, hrsg. von Lothar Bayer / Kerstin Krone-Bayer, Ditzingen 22016 (Reclams Universal-Bibliothek. 18697).

Kurzer Abriss der Psychoanalyse, in: GW XIII, S. 405427, hier S. 416 f.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, S. 290.

Lohmann 1986, S. 10.

Ebd.

Nachwort zur »Frage der Laienanalyse«, in: GW XIV, S. 287296, hier S. 291.

Zit. nach Jones 1984, Bd. 3, S. 351.

Ebd.

Zit. nach Jones 1984, Bd. 3, S. 354. Brief an Jacques Schnier (18981988) vom 571938.

Die Frage der Laienanalyse

Einleitung

Der Titel dieser kleinen Schrift ist nicht ohne weiteres verständlich. Ich werde ihn also erläutern: Laien = Nichtärzte und die Frage ist, ob es auch Nichtärzten erlaubt sein soll, die Analyse auszuüben. Diese Frage hat ihre zeitliche wie ihre örtliche Bedingtheit. Zeitlich insoferne, als sich bisher niemand darum gekümmert hat, wer die Psychoanalyse ausübt. Ja, man hat sich viel zu wenig darum gekümmert, man war nur einig in dem Wunsch, daß niemand sie üben sollte, mit verschiedenen Begründungen, denen die gleiche Abneigung zugrunde lag. Die Forderung, daß nur Ärzte analysieren sollen, entspricht also einer neuen und anscheinend freundlicheren Einstellung zur Analyse – d.h. wenn sie dem Verdacht entgehen kann, doch nur ein etwas modifizierter Abkömmling der früheren Einstellung zu sein. Es wird zugegeben, daß eine analytische Behandlung unter Umständen vorzunehmen ist, aber wenn, dann sollen nur Ärzte sie vornehmen dürfen. Das Warum dieser Einschränkung wird dann zu untersuchen sein.

Örtlich bedingt ist diese Frage, weil sie nicht für alle Länder mit gleicher Tragweite in Betracht kommt. In Deutschland und Amerika bedeutet sie eine akademische Diskussion, denn in diesen Ländern kann sich jeder Kranke behandeln lassen, wie und von wem er will, kann jeder, der will, als »Kurpfuscher« beliebige Kranke behandeln, wenn er nur die Verantwortlichkeit für sein Tun übernimmt. Das Gesetz mengt sich nicht früher ein, als bis man es zur Sühne einer Schädigung des Kranken angerufen hat. In Österreich aber, in dem und für das ich schreibe, ist das Gesetz praeventiv, es verbietet dem Nichtarzt, Behandlungen an Kranken zu unternehmen, ohne deren Ausgang abzuwarten.*1 Hier hat also die Frage, ob Laien = Nichtärzte Kranke mit Psychoanalyse behandeln dürfen, einen praktischen Sinn. Sie scheint aber auch, sobald sie aufgeworfen wird, durch den Wortlaut des Gesetzes entschieden zu sein. Nervöse sind Kranke, Laien sind Nichtärzte, die Psychoanalyse ist ein Verfahren zur Heilung oder Besserung der nervösen Leiden, alle solche Behandlungen sind den Ärzten vorbehalten; folglich ist es nicht gestattet, daß Laien die Analyse an Nervösen üben, und strafbar, wenn es doch geschieht. Bei so einfacher Sachlage wagt man es kaum, sich mit der Frage der Laienanalyse zu beschäftigen. Indes liegen einige Komplikationen vor, um die sich das Gesetz nicht kümmert, die aber darum doch Berücksichtigung verlangen. Es wird sich vielleicht ergeben, daß die Kranken in diesem Falle nicht sind wie andere Kranke, die Laien nicht eigentlich Laien und die Ärzte nicht gerade das, was man von Ärzten erwarten darf und worauf sie ihre Ansprüche gründen dürfen. Läßt sich das erweisen, so wird es eine berechtigte Forderung, das Gesetz nicht ohne Modifikation auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

I

Ob dies geschehen wird, wird von Personen abhängen, die nicht dazu verpflichtet sind, die Besonderheiten einer analytischen Behandlung zu kennen. Es ist unsere Aufgabe, diese Unparteiischen, die wir als derzeit noch unwissend annehmen wollen, darüber zu unterrichten. Wir bedauern, daß wir sie nicht zu Zuhörern einer solchen Behandlung machen können. Die »analytische Situation« verträgt keinen Dritten. Auch sind die einzelnen Behandlungsstunden sehr ungleichwertig, ein solch – unbefugter – Zuhörer, der in eine beliebige Sitzung geriete, würde zumeist keinen verwertbaren Eindruck gewinnen, er käme in Gefahr, nicht zu verstehen, was zwischen dem Analytiker und dem Patienten verhandelt wird, oder er würde sich langweilen. Er muß sich also wohl oder übel mit unserer Information begnügen, die wir möglichst vertrauenswürdig abfassen wollen.

Der Kranke möge also an Stimmungsschwankungen leiden, die er nicht beherrscht, oder an kleinmütiger Verzagtheit, durch die er seine Energie gelähmt fühlt, da er sich nichts Rechtes zutraut, oder an ängstlicher Befangenheit unter Fremden. Er mag ohne Verständnis wahrnehmen, daß ihm die Erledigung seiner Berufsarbeit Schwierigkeiten macht, aber auch jeder ernstere Entschluß und jede Unternehmung. Er hat eines Tages – unbekannt, woher – einen peinlichen Anfall von Angstgefühlen erlitten und kann seither nicht ohne Überwindung allein über die Straße gehen oder Eisenbahn fahren, hat beides vielleicht überhaupt aufgeben müssen. Oder, was sehr merkwürdig ist, seine Gedanken gehen ihre eigenen Wege und lassen sich nicht von seinem Willen lenken. Sie verfolgen Probleme, die ihm sehr gleichgiltig sind, von denen er sich aber nicht losreißen kann. Es sind ihm auch höchst lächerliche Aufgaben auferlegt, wie die Anzahl der Fenster an den Häuserfronten zusammenzuzählen, und bei einfachen Verrichtungen, wie Briefe in ein Postfach werfen, oder eine Gasflamme abdrehen, gerät er einen Moment später in Zweifel, ob er es auch wirklich getan hat. Das ist vielleicht nur ärgerlich und lästig, aber der Zustand wird unerträglich, wenn er sich plötzlich der Idee nicht erwehren kann, daß er ein Kind unter die Räder eines Wagens gestoßen, einen Unbekannten von der Brücke ins Wasser geworfen hat, oder wenn er sich fragen muß, ob er nicht der Mörder ist, den die Polizei als den Urheber eines heute entdeckten Verbrechens sucht. Es ist ja offenbarer Unsinn, er weiß es selbst, er hat nie einem Menschen etwas Böses getan, aber wenn er wirklich der gesuchte Mörder wäre, könnte die Empfindung – das Schuldgefühl – nicht stärker sein.

Oder aber, unser Patient – sei es diesmal eine Patientin – leidet in anderer Weise und auf anderem Gebiet. Sie ist Klavierspielerin, aber ihre Finger verkrampfen sich und versagen den Dienst. Wenn sie daran denkt, in eine Gesellschaft zu gehen, stellt sich sofort ein natürliches Bedürfnis bei ihr ein, dessen Befriedigung mit der Geselligkeit unverträglich wäre. Sie hat also darauf verzichtet, Gesellschaften, Bälle, Theater, Konzerte zu besuchen. Wenn sie es am wenigsten brauchen kann, wird sie von heftigen Kopfschmerzen oder anderen Schmerzsensationen befallen. Eventuell muß sie jede Mahlzeit durch Erbrechen von sich geben, was auf die Dauer bedrohlich werden kann. Endlich ist es beklagenswert, daß sie keine Aufregungen verträgt, die sich im Leben doch nicht vermeiden lassen. Sie verfällt bei solchen Anlässen in Ohnmachten, oft mit Muskelkrämpfen, die an unheimliche Krankheitszustände erinnern.

Noch andere Kranke fühlen sich gestört in einem besonderen Gebiet, auf dem das Gefühlsleben mit Ansprüchen an den Körper zusammentrifft. Als Männer finden sie sich unfähig, den zärtlichsten Regungen gegen das andere Geschlecht körperlichen Ausdruck zu geben, während ihnen vielleicht gegen wenig geliebte Objekte alle Reaktionen zu Gebote stehen. Oder ihre Sinnlichkeit bindet sie an Personen, die sie verachten, von denen sie frei werden möchten. Oder sie stellt ihnen Bedingungen, deren Erfüllung ihnen selbst widerlich ist. Als Frauen fühlen sie sich durch Angst und Ekel oder durch unbekannte Hemmnisse verhindert, den Anforderungen des Geschlechtslebens nachzukommen, oder wenn sie der Liebe nachgegeben haben, finden sie sich um den Genuß betrogen, den die Natur als Prämie auf solche Gefügigkeit gesetzt hat.

Alle diese Personen erkennen sich als krank und suchen Ärzte auf, von denen man ja die Beseitigung solcher nervösen Störungen erwartet. Die Ärzte führen auch die Kategorien, unter denen man diese Leiden unterbringt. Sie diagnostizieren sie je nach ihren Standpunkten mit verschiedenen Namen: Neurasthenie, Psychasthenie, Phobien, Zwangsneurose, Hysterie. Sie untersuchen die Organe, welche die Symptome geben: das Herz, den Magen, den Darm, die Genitalien und finden sie gesund. Sie raten zu Unterbrechungen der gewohnten Lebensweise, Erholungen, kräftigenden Prozeduren, tonisierenden Medikamenten, erzielen dadurch vorübergehende Erleichterungen – oder auch nichts. Endlich hören die Kranken, daß es Personen gibt, die sich ganz speziell mit der Behandlung solcher Leiden beschäftigen und treten in die Analyse bei ihnen ein.

Unser Unparteiischer, den ich als gegenwärtig vorstelle, hat während der Auseinandersetzung über die Krankheitserscheinungen der Nervösen Zeichen von Ungeduld von sich gegeben. Nun wird er aufmerksam, gespannt, und äußert sich auch so: »Jetzt werden wir also erfahren, was der Analytiker mit dem Patienten vornimmt, dem der Arzt nicht helfen konnte.«

Es geht nichts anderes zwischen ihnen vor, als daß sie miteinander reden. Der Analytiker verwendet weder Instrumente, nicht einmal zur Untersuchung, noch verschreibt er Medikamente. Wenn es irgend möglich ist, läßt er den Kranken sogar in seiner Umgebung und in seinen Verhältnissen, während er ihn behandelt. Das ist natürlich keine Bedingung, kann auch nicht immer so durchgeführt werden. Der Analytiker bestellt den Patienten zu einer bestimmten Stunde des Tages, läßt ihn reden, hört ihn an, spricht dann zu ihm und läßt ihn zuhören.

Die Miene unseres Unparteiischen zeugt nun von unverkennbarer Erleichterung und Entspannung, verrät aber auch deutlich eine gewisse Geringschätzung. Es ist, als ob er denken würde: Weiter nichts als das? Worte, Worte und wiederum Worte, wie Prinz Hamlet sagt. Es geht ihm gewiß auch die Spottrede Mephistos durch den Sinn, wie bequem sich mit Worten wirtschaften läßt, Verse, die kein Deutscher je vergessen wird.

Er sagt auch: »Das ist also eine Art von Zauberei, Sie reden und blasen so seine Leiden weg.«

Ganz richtig, es wäre Zauberei, wenn es rascher wirken würde. Zum Zauber gehört unbedingt die Schnelligkeit, man möchte sagen: Plötzlichkeit des Erfolges. Aber die analytischen Behandlungen brauchen Monate und selbst Jahre; ein so langsamer Zauber verliert den Charakter des Wunderbaren. Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle kundgeben, der Weg, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Worte können unsagbar wohltun und fürchterliche Verletzungen zufügen. Gewiß, zu allem Anfang war die Tat, das Wort kam später, es war unter manchen Verhältnissen ein kultureller Fortschritt, wenn sich die Tat zum Wort ermäßigte. Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.

Der Unparteiische setzt fort: »Nehmen wir an, daß der Patient nicht besser auf das Verständnis der analytischen Behandlung vorbereitet ist als ich, wie wollen Sie ihn an den Zauber des Wortes oder der Rede glauben machen, der ihn von seinen Leiden befreien soll?«

Man muß ihm natürlich eine Vorbereitung geben, und es findet sich ein einfacher Weg dazu. Man fordert ihn auf, mit seinem Analytiker ganz aufrichtig zu sein, nichts mit Absicht zurückzuhalten, was ihm in den Sinn kommt, in weiterer Folge sich über alle Abhaltungen hinwegzusetzen, die manche Gedanken oder Erinnerungen von der Mitteilung ausschließen möchten. Jeder Mensch weiß, daß es bei ihm solche Dinge gibt, die er anderen nur sehr ungern mitteilen würde, oder deren Mitteilung er überhaupt für ausgeschlossen hält. Es sind seine »Intimitäten«. Er ahnt auch, was einen großen Fortschritt in der psychologischen Selbsterkenntnis bedeutet, daß es andere Dinge gibt, die man sich selbst nicht eingestehen möchte, die man gerne vor sich selbst verbirgt, die man darum kurz abbricht und aus seinem Denken verjagt, wenn sie doch auftauchen. Vielleicht bemerkt er selbst den Ansatz eines sehr merkwürdigen psychologischen Problems in der Situation, daß ein eigener Gedanke vor dem eigenen Selbst geheim gehalten werden soll. Das ist ja, als ob sein Selbst nicht mehr die Einheit wäre, für die er es immer hält, als ob es noch etwas anderes in ihm gäbe, was sich diesem Selbst entgegenstellen kann. Etwas wie ein Gegensatz zwischen dem Selbst und einem Seelenleben im weiteren Sinne mag sich ihm dunkel anzeigen. Wenn er nun die Forderung der Analyse, alles zu sagen, annimmt, wird er leicht der Erwartung zugänglich, daß ein Verkehr und Gedankenaustausch unter so ungewöhnlichen Voraussetzungen auch zu eigenartigen Wirkungen führen könnte.

»Ich verstehe«, sagt unser unparteiischer Zuhörer, »Sie nehmen an, daß jeder Nervöse etwas hat, was ihn bedrückt, ein Geheimnis, und indem Sie ihn veranlassen es auszusprechen, entlasten Sie ihn von dem Druck und tun ihm wohl. Das ist ja das Prinzip der Beichte, dessen sich die katholische Kirche seit jeher zur Versicherung ihrer Herrschaft über die Gemüter bedient hat.«

Ja und nein, müssen wir antworten. Die Beichte geht wohl in die Analyse ein, als ihre Einleitung gleichsam. Aber weit davon entfernt, daß sie das Wesen der Analyse träfe oder ihre Wirkung erklärte. In der Beichte sagt der Sünder, was er weiß, in der Analyse soll der Neurotiker mehr sagen. Auch wissen wir nichts davon, daß die Beichte je die Kraft entwickelt hätte, direkte Krankheitssymptome zu beseitigen.

»Dann verstehe ich es doch nicht«, ist die Entgegnung. »Was soll es wohl heißen: mehr sagen als er weiß? Ich kann mir aber vorstellen, daß Sie als Analytiker einen stärkeren Einfluß auf Ihren Patienten gewinnen als der Beichtvater auf das Beichtkind, weil Sie sich soviel länger, intensiver und auch individueller mit ihm abgeben, und daß Sie diesen gesteigerten Einfluß dazu benützen, ihn von seinen krankhaften Gedanken abzubringen, ihm seine Befürchtungen auszureden usw. Es wäre merkwürdig genug, daß es auf diese Weise gelänge, auch rein körperliche Erscheinungen, wie Erbrechen, Diarrhöe, Krämpfe zu beherrschen, aber ich weiß davon, daß solche Beeinflussungen sehr wohl möglich sind, wenn man einen Menschen in den hypnotischen Zustand versetzt hat. Wahrscheinlich erzielen Sie durch Ihre Bemühung um den Patienten eine solche hypnotische Beziehung, eine suggestive Bindung an Ihre Person, auch wenn Sie es nicht beabsichtigen, und die Wunder Ihrer Therapie sind dann Wirkungen der hypnotischen Suggestion. Soviel ich weiß, arbeitet aber die hypnotische Therapie viel rascher als Ihre Analyse, die, wie Sie sagen, Monate und Jahre dauert.«

Unser Unparteiischer ist weder so unwissend noch so ratlos, wie wir ihn anfangs eingeschätzt hatten. Es ist unverkennbar, daß er sich bemüht, die Psychoanalyse mit Hilfe seiner früheren Kenntnisse zu begreifen, sie an etwas anderes anzuschließen, was er schon weiß. Wir haben jetzt die schwierige Aufgabe, ihm klarzumachen, daß dies nicht gelingen wird, daß die Analyse ein Verfahren sui generis ist, etwas Neues und Eigenartiges, was nur mit Hilfe neuer Einsichten – oder wenn man will, Annahmen – begriffen werden kann. Aber wir sind ihm auch noch die Antwort auf seine letzten Bemerkungen schuldig.

Was Sie von dem besonderen persönlichen Einfluß des Analytikers gesagt haben, ist gewiß sehr beachtenswert. Ein solcher Einfluß existiert und spielt in der Analyse eine große Rolle. Aber nicht dieselbe wie beim Hypnotismus. Es müßte gelingen, Ihnen zu beweisen, daß die Situationen hier und dort ganz verschiedene sind. Es mag die Bemerkung genügen, daß wir diesen persönlichen Einfluß – das »suggestive« Moment – nicht dazu verwenden, um die Leidenssymptome zu unterdrücken, wie es bei der hypnotischen Suggestion geschieht. Ferner, daß es irrig wäre zu glauben, dies Moment sei durchaus der Träger und Förderer der Behandlung. Zu Anfang wohl; aber später widersetzt es sich unseren analytischen Absichten und nötigt uns zu den ausgiebigsten Gegenmaßnahmen. Auch möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie ferne der analytischen Technik das Ablenken und Ausreden liegt. Wenn unser Patient an einem Schuldgefühl leidet, als ob er ein schweres Verbrechen begangen hätte, so raten wir ihm nicht, sich unter Betonung seiner unzweifelhaften Schuldlosigkeit über diese Gewissensqual hinwegzusetzen; das hat er schon selbst erfolglos versucht. Sondern wir mahnen ihn daran, daß eine so starke und anhaltende Empfindung doch in etwas Wirklichem begründet sein muß, was vielleicht aufgefunden werden kann.

»Es sollte mich wundern«, meint der Unparteiische, »wenn Sie durch solches Zustimmen das Schuldgefühl Ihres Patienten beschwichtigen könnten. Aber was sind denn Ihre analytischen Absichten und was nehmen Sie mit dem Patienten vor?«

II

Wenn ich Ihnen etwas Verständliches sagen soll, so muß ich Ihnen wohl ein Stück einer psychologischen Lehre mitteilen, die außerhalb der analytischen Kreise nicht bekannt ist oder nicht gewürdigt wird. Aus dieser Theorie wird sich leicht ableiten lassen, was wir von dem Kranken wollen und auf welche Art wir es erreichen. Ich trage sie Ihnen dogmatisch vor, als ob sie ein fertiges Lehrgebäude wäre. Glauben Sie aber nicht, daß sie gleich als solches wie ein philosophisches System entstanden ist. Wir haben sie sehr langsam entwickelt, um jedes Stückchen lange gerungen, sie in stetem Kontakt mit der Beobachtung fortwährend modifiziert, bis sie endlich eine Form gewonnen hat, in der sie uns für unsere Zwecke zu genügen scheint. Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Lehre in andere Ausdrücke kleiden müssen. Ich kann Ihnen natürlich nicht dafür einstehen, daß die heutige Ausdrucksform die definitive bleiben wird. Sie wissen, Wissenschaft ist keine Offenbarung, sie entbehrt, lange über ihre Anfänge hinaus, der Charaktere der Bestimmtheit, Unwandelbarkeit, Unfehlbarkeit, nach denen sich das menschliche Denken so sehr sehnt. Aber so wie sie ist, ist sie alles, was wir haben können. Nehmen Sie hinzu, daß unsere Wissenschaft sehr jung ist, kaum so alt wie das Jahrhundert, und daß sie sich ungefähr mit dem schwierigsten Stoff beschäftigt, der menschlicher Forschung vorgelegt werden kann, so werden Sie sich leicht in die richtige Einstellung zu meinem Vortrag versetzen können. Unterbrechen Sie mich aber nach Ihrem Belieben jedesmal, wenn Sie mir nicht folgen können oder wenn Sie weitere Aufklärungen wünschen.

»Ich unterbreche Sie, noch ehe Sie beginnen. Sie sagen, Sie wollen mir eine neue Psychologie vortragen, aber ich sollte meinen, die Psychologie ist keine neue Wissenschaft. Es hat genug Psychologie und Psychologen gegeben, und ich habe auf der Schule von großen Leistungen auf diesem Gebiete gehört.«

Die ich nicht zu bestreiten gedenke. Aber wenn Sie näher prüfen, werden Sie diese großen Leistungen eher der Sinnesphysiologie einordnen müssen. Die Lehre vom Seelenleben konnte sich nicht entwickeln, weil sie durch eine einzige wesentliche Verkennung gehemmt war. Was umfaßt sie heute, wie sie an den Schulen gelehrt wird? Außer jenen wertvollen sinnesphysiologischen Einsichten eine Anzahl von Einteilungen und Definitionen unserer seelischen Vorgänge, die dank dem Sprachgebrauch Gemeingut aller Gebildeten geworden sind. Das reicht offenbar für die Auffassung unseres Seelenlebens nicht aus. Haben Sie nicht bemerkt, daß jeder Philosoph, Dichter, Historiker und Biograph sich seine eigene Psychologie zurechtmacht, seine besonderen Voraussetzungen über den Zusammenhang und die Zwecke der seelischen Akte vorbringt, alle mehr oder minder ansprechend und alle gleich unzuverlässig? Da fehlt offenbar ein gemeinsames Fundament. Und daher kommt es auch, daß es auf psychologischem Boden sozusagen keinen Respekt und keine Autorität gibt. Jedermann kann da nach Belieben »wildern«. Wenn Sie eine physikalische oder chemische Frage aufwerfen, wird ein jeder schweigen, der sich nicht im Besitz von »Fachkenntnissen« weiß. Aber wenn Sie eine psychologische Behauptung wagen, müssen sie auf Urteil und Widerspruch von jedermann gefaßt sein. Wahrscheinlich gibt es auf diesem Rechtstitel