Über das Buch:
Wie aus heiterem Himmel wird auf die Bestsellerautorin Josephine Bourdillon ein Attentat verübt. Am helllichten Tag. Auf der Intensivstation kämpft sie um ihr Leben. Eine erste Spur scheint gefunden, als die Töchter der Polizei Drohbriefe übergeben, die sich in der Fanpost der Autorin finden. Doch die Ermittlungen kommen ins Stocken.
Auch die Familie rätselt, wer dieser liebenswerten, zurückgezogen lebenden Frau so etwas Schreckliches angetan haben könnte. Dabei stoßen die Töchter auf ein Ereignis, das viele Jahre zurückliegt. Aber keiner der Beteiligten will so recht über jenen besagten Sommer reden, in dem Unfassbares geschehen sein muss. Die Ereignisse von damals sind im Gedächtnis der Familie wie ausgelöscht. Liegt hier der Schlüssel für die Aufklärung des Attentats?
Über die Autorin:
Elizabeth Musser wuchs in Atlanta auf. Seit dem Abschluss ihres Studiums englischer und französischer Literatur an der Vanderbilt Universität in Tennessee ist sie als Missionarin tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann Paul in der Nähe von Lyon in Frankreich. Die beiden haben zwei Söhne.
Kapitel 6
Paige – Dienstagmorgen
Ich bestellte einen ganzen Stapel Blaubeer-Pancakes im Waffle House und ertränkte sie in Butter und Blaubeersirup.
„Immer noch das Leckermäulchen von früher, ja?“ Wenn Drake lächelte, bekam er Grübchen. Drake hatte sich ganz schön verändert, obwohl mir das nicht mehr wichtig war. Für mich war Drake einfach Drake: lockiges strohblondes Haar, blaugrüne Augen, schlank, der Körper eines Langstreckenläufers, stark und verlässlich.
„Ja, und ich verbitte mir jeden weiteren Kommentar.“
„Bourdy, du könntest den ganzen Tag Pancakes essen und wärst immer noch schlank.“
Ich nickte. „Und ich bin sehr dankbar dafür. Ich plane nämlich nicht, damit aufzuhören.“
Er lachte und ich fragte ihn übers Studium aus und war dankbar, die Sache mit Momma für ein paar Minuten vergessen zu können. „Und? Bist du in festen Händen?“ Diese Frage stellte ich ihm jedes Mal.
Seine Antwort war immer dieselbe. „Du weißt genau, dass ich nicht auf der Suche bin.“
Meine Reaktion auch. „Ha, unmöglich.“
Ich hätte vorhersagen können, was jetzt kam. „So wie ich das sehe, muss ich nicht andauernd auf die Jagd nach dem perfekten Mädchen gehen. Solange ich tue, was ich tun soll, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mir irgendwann über den Weg läuft, und dann werde ich sie erkennen.“
Eine Sache, die während ihrer nächtlichen Gespräche auf Drake abgefärbt hatte, war Mommas Glaube. Wie gesagt, viele Leute besuchten Momma, die ihr ihr Herz ausschütteten. Und dann lenkte Momma ganz natürlich das Gespräch auf Gott. Ich hatte genügend dieser Gespräche mitbekommen und wusste, dass sie niemals jemanden zwang, an irgendetwas zu glauben. Aber während sie zuhörte und ihre eigene Geschichte einbrachte – mit allen Höhen und Tiefen – und erzählte, wie ihr der Glaube an Gott weitergeholfen hatte, nun, da weckte sie bei vielen das Interesse.
Dass ich mir aus dem Glauben nichts machte, der ihr und meinem Vater so viel bedeutete, muss ihr das Herz gebrochen haben, aber das zeigte sie nie. Sie war immer die sensible kleine Momma, die mit Gottes Hilfe ihr Leben zusammenzuhalten versuchte und obendrein das der halben Welt.
Drake und ich dösten bis um acht im Aufenthaltsraum, die Mägen gefüllt von unserem Raubzug im Waffle House. Die Schwestern der Intensivstation, die professionell und zugleich voller Mitgefühl ihrer Arbeit nachgingen, meinten, Drake könne zu Momma rein, wenn sie mit ihrer Runde fertig waren. Als ich unsere Krankenschwester nach Mommas Score fragte, lächelte sie knapp. „Immer noch eine 6, Miss Bourdillon.“
Es wurde nicht leichter, Leute, denen Momma etwas bedeutete, in ihr Zimmer zu führen. Drakes Gesichtsausdruck glich dem von Hannah und Tante Kit: zusammengepresste Lippen, die Hand vor den Mund geschlagen, entsetztes Räuspern und verstohlenes Tupfen der Augen. Irgendwann sank er auf den Stuhl an Mommas Bett.
„Momma Jo? Ich bin’s. Drake. Schön, dich zu sehen. Sieht so aus, als hättest du das bequemste Bett im Haus. Es ist bestimmt gemütlich.“
Er sah mich an und ich verdrehte die Augen. „Jetzt benimm dich normal, du Idiot.“
Er runzelte die Stirn. Dann redete er wie der Drake, den wir kannten. „Das letzte Studienjahr ist kein Zuckerschlecken, so viel steht jedenfalls fest. Ich hatte dir ja schon im Sommer erzählt, dass mir davor graut. Meine Ergebnisse sind ganz gut bisher, es gab nur ein paar Noten, aber alle spüren den Druck, sich jetzt irgendwo zu bewerben und auf sich aufmerksam zu machen. Ich habe nächste Woche ein Bewerbungsgespräch, in einer großen Fabrik unten in South Georgia. Sie bezahlen meinen Flug bis Columbus und holen mich am Flughafen ab. Die Fabrik ist irgendwo im Nirgendwo. Aber das Gehalt stimmt.“
Ich nickte zustimmend und verdrückte mich.
Daddy und Hannah saßen im Aufenthaltsraum – offenbar schlief Tante Kit noch. Hannah war sichtlich bewegt. „Auf der neu eingerichteten Webseite gehen massenhaft Kommentare ein. Überall auf der Welt beten Leute für Momma. Gott wird sie gesund machen, Daddy! Ich glaube ganz fest dran.“
Den Glauben meiner Schwester bewunderte ich, ich teilte ihn nur nicht.
Daddy nickte. „’eute Morgen ’ab ich mit Mamie und Papie gesprochen. Sie machen sich riesige Sorgen.“ Jedes Mal, wenn Daddy mit seinen Eltern telefonierte, hörte man hinterher seinen französischen Akzent etwas mehr heraus. Immer, wenn er müde war, rutschte er in alte Muster. Ich mochte das.
Daddy saß auf einem der gepolsterten Stühle. „Habt ihr überhaupt geschlafen?“, fragte ich.
„Ein wenig.“ Es klang wie „wönisch“. Daddy war vollkommen fertig.
Er hatte sich nicht rasiert, womöglich nicht mal geduscht. Er sah aus, als wäre er in seinen Klamotten schlafen gegangen, denn es waren dieselben, die er gestern getragen hatte. „Lange Nacht mit Tante Kit?“
Er zuckte. „Isch will nischt darübär reden.“
Oh, Daddy.
Wir schwiegen.
Aber ich wusste, was er dachte, und ich wollte ihm sagen, dass ich niemals der Polizei auch nur ein Sterbenswörtchen verraten würde und nichts auch nur andeuten würde, was sie nicht selbst herausfinden konnten – und sie konnten das meiste sowieso herauskriegen. Aber die Wahrheit war, dass ich selbst nicht alles wusste und dieser Gedanke ließ es mir kalt den Rücken hinunterlaufen, als ich sah, wie zusammengesunken Daddy dasaß.
Normalerweise hatte Daddy eine herzliche und zugängliche Art und war jemand, der schnell das Vertrauen der Menschen gewann. Das war für seine Arbeit als Versicherungsvertreter sehr von Vorteil. Und er war bedacht, fleißig, freundlich, aufmerksam und immer bei der Sache. Und lustig. Mit seinem französischen Akzent sowieso.
Aber seit der Sache mit Momma war nichts Herzliches mehr an ihm. Er war in sich gekehrt und sprach kaum mit mir und Hannah. Normalerweise hätten wir Brettspiele gespielt und Hannah hätte von Aix erzählt. Offensichtlich quälte er sich wegen des besagten Sommers. Oder wegen Tante Kit.
Ich vertraute Dad, aber ich wollte ihn am liebsten endlich fragen, was ich mich noch nie getraut hatte, trotz meines losen Mundwerks. Was war damals wirklich passiert?
* * *
Drake blieb bis zum Mittag bei Momma. Danach scheuchte ich ihn zu uns nach Hause, damit er endlich etwas aß. Danach saßen abwechselnd Hannah und ich bei ihr, erzählten und hofften verzweifelt auf irgendeine Bewegung, aber nichts passierte. Irgendwann zog mich Hannah vom Bett weg. „Daddy ist dran“, sagte sie und versuchte dabei fröhlich zu klingen. Momma hatte in den vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht den kleinsten Fortschritt gemacht. Zögernd folgte ich Hannah zum Fahrstuhl und in die altbekannte Cafeteria im ersten Stock, wo wir uns ein Sandwich und eine Coke holten und uns an einen dieser quadratischen Tische setzten.
Ich wollte nicht über Momma reden. „Drake ist zu Hause und isst etwas. Er kommt später wieder. Mit Tante Kit.“
Unsere Blicke trafen sich und wir grinsten. Armer Drake.
„Und? Hast du irgendwelche scharfen Kerle in Frankreich kennengelernt?“
Sie winkte ab. „Ist das alles, was dich interessiert? Ich bin doch erst seit drei Wochen dort.“ An ihrem Augenzwinkern merkte ich, dass sie genau wusste, worauf ich hinauswollte.
„Oder davor? Als du mit Sophie und Tess durch Europa getourt bist?“
„Ich habe total tolle und spannende Leute kennengelernt, aber nein, bisher hat kein junger Mann mein Herz im Sturm erobert. Mach dir mal keine Sorgen.“
Ich machte mir aber Sorgen um Hannah. Wahrscheinlich hatte ich Angst davor, dass sie in Tante Kits Fußstapfen trat. Wenn man aussah wie Hannah, konnte man sich kaum retten vor Jungs. Zum Glück war Hannah vernünftig und gab keinen Deut auf ihr Aussehen. „Als hätte ich irgendwas dazu beigetragen“, sagte sie immer.
„Und was ist mit dir, Paige?“
„Fehlanzeige. Außer die Männer in meinen Geschichten, und die sind immer ziemlich kaputt.“
Sie verdrehte die Augen. „Eines Tages wirst du aufwachen und endlich die Wahrheit sehen.“
„Was meinst du?“
„Drake.“
„Was? Es ist über fünf Jahre her, dass ich auf ihn stand, falls du das vergessen hast. Ich möchte nie wieder so unglücklich verknallt sein wie damals.“
„Ich weiß. Das hast du schon oft gesagt. Aber ich rede nicht von dir. Sondern von Drake. Ist dir aufgefallen, wie er dich anguckt? Wie er sich um dich Sorgen macht?“
Davon wollte ich nichts hören. „Drake ist wie ein großer Bruder für mich! Man fängt nichts mit seinem großen Bruder an. Das nennt man Inzest.“
„Hey, nicht so laut. Du musst das nicht der ganzen Cafeteria erzählen. Tut mir leid, dass ich da in ein Wespennest steche“, sagte sie und grinste, als hätte sie ein Geheimnis erfahren. „Aber ich spreche nur aus, was jedermann sieht. Wenn du tatsächlich keine Gefühle für ihn hast, würde ich niemals wollen, dass du ihm Hoffnungen machst.“
„Du liegst völlig falsch, Hannie.“ Aber auch mir war aufgefallen, wie Drake mich angesehen, wie er mich umarmt hatte. Oder ich ihn. Letzte Nacht. „Er will nichts von mir.“ Aber auch von niemandem sonst, wie er mir schon hundertmal gesagt hatte.
„Ich sag ja nur.“
Langsam wurde ich rot. „Können wir bitte über etwas anderes reden?“
„Klar. Was schreibst du denn gerade?“
„Ach, kleine Krimigeschichten à la Dorothy Sayers. Erinnerst du dich an Lord Peter Wimsey?“
„Also spielen deine Krimis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in England?“
„Derzeit, ja. Macht mir einen Riesenspaß. Ich habe die Zeitperiode für Momma doch ausführlich recherchiert: den Duke of Windsor und Wallis Simpson. Was sich da für Dramen abgespielt haben. Und Liebesgeschichten. Und Mord natürlich auch. Beste Voraussetzungen für Detektivgeschichten.“ Ich sprang auf und verschüttete fast meine Cola. „Das ist es! Wir müssen es nur aufschreiben. Ich wette, wir wissen mehr, als uns bewusst ist.“
„Hey, langsam! Was ist los?“
Ich setzte mich wieder. „Vielleicht fallen uns ein paar Leute ein, die für die Tat infrage kommen. Wir könnten der Polizei helfen.“
Hannah griff nach meiner Hand. „Paige, du brauchst Daddy nicht zu beschützen. Niemand wird es herausfinden.“
Sie konnte Gedanken lesen genau wie Drake. Vor meinen Augen verschwamm alles. „Bitte mach mit, Hannie. Bitte.“
Sie runzelte die Stirn und nickte. An diesen kleinen Gesten konnte ich ablesen, wie viel ich ihr bedeutete, ich und Momma. Und Daddy.
„Also, ich schätze, Verdächtiger Nummer eins ist der Spinner, der die Briefe geschrieben hat.“
„Genau!“ Ich biss von meinem Sandwich ab und suchte in meinem Rucksack nach dem Smartphone. Ich tippte eine neue Notiz und trug alles ein. Unter #1 schrieb ich nur „Spinner“; #2 war „Hetzreden-Fan mit Vorliebe für blumige Schriftart und bunte Hintergründe“.
Hannah stand auf und sah mir über die Schulter.
„Erinnerst du dich an den Typen, der Momma schrieb, weil er der Meinung war, sie hätte genau sein Leben beschrieben? Und wie er uns verklagen wollte, bis Daddy schließlich beweisen konnte, dass sie ihn überhaupt nicht kennen konnte?“
Hannah nickte. „Und die Frau, die mit dieser Riesenschachtel Toffees bei uns aufgetaucht ist, weil die Hauptfigur Toffees liebte? Und Momma konnte das Zeug gar nicht ausstehen.“
„Aber wir schon“, kicherte ich, und Hannah stimmte ein. „Dana Johnston. So hieß die Frau.“ Ich tippte ihren Namen in mein Telefon. „Obwohl Toffees sie nicht wirklich verdächtig machen.“
„Nein, aber weißt du noch, dass Mrs Johnston zu drei Lesungen in drei verschiedenen Bundesstaaten kam und wir schon dachten, sie sei eine Stalkerin?“ Hannahs Augen blitzten.
„Stimmt. War sie aber nicht.“
„Nein, sie war nur ein großer Fan. Aber vielleicht fallen uns ja noch ein paar Kandidaten aus Facebook ein.“ Hannah war richtig aufgeregt.
Für einen kurzen Augenblick entflohen wir der Realität und taten so, als würden wir irgendeinen Mord in einem Krimi lösen. Irgendwie fühlte es sich so weniger bedrückend an.
„Erinnerst du dich an die Frau, die behauptete, ihre Tochter hätte sich umgebracht, nachdem sie Mommas Buch gelesen hatte?“
Hannah wandte sich ab. „Erinnere mich bloß nicht daran. Wir waren damals noch so klein. Ich weiß nur, was Momma uns darüber erzählt hat. Sie brauchte Wochen, um das zu verdauen. Hatte sie nicht noch versucht, Kontakt zu der trauernden Mutter zu bekommen? Aber weil sie ihren Namen nicht kannte, hat das nicht geklappt.“
„Da kommt einiges zusammen, oder? Bei einer ganzen Reihe von Lesern könnten ‚die Sicherungen durchgebrannt‘ sein.“
„Ja.“
Ich legte das Handy auf den Tisch. „Ehrlich gesagt glaube ich, es war ein Leser, der Momma sein Herz ausgeschüttet hat, mit lauter Geheimnissen. Und dann hat er gemerkt, dass er ihr zu viel von sich verraten hat. Und dann war es ihm zu riskant, dass Momma das alles weiß, und er hat beschlossen, sie aus dem Weg zu räumen.“
„Das ist krank.“
„Ich weiß. Ich weiß, aber wenn es so wäre, dann hätten du und ich den Brief auch gelesen.“
Hannah nahm unser Tablett und brachte es weg. „Willst du damit sagen, wir sollen uns die ganzen alten Briefe und E-Mails vorknöpfen? Wir schaffen noch nicht mal den ganzen Berg, der gestern kam! Und außerdem hat Officer Hanley Mommas Computer.“
„Ich weiß, aber vielleicht fällt uns etwas wieder ein.“
Hannah wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. „Wenn ihr jemand ein Geheimnis verraten hätte, für das er hinterher töten würde, dann würden wir uns daran erinnern, meinst du nicht? Es sei denn, es war weniger offensichtlich. Wir können nur beten, dass es uns wieder einfällt. Sollen wir unsere Liste hier der Polizei zeigen?“
„Ich glaube, sie haben für den Augenblick genug von meinen Ideen. Damit warten wir lieber noch ein wenig. Detective Blaylock hat nicht allzu viel übrig für meine Grübeleien, wenn du verstehst.“
Wir saßen in der Cafeteria und dachten über Mommas potenzielle Feinde nach – oder übereifrige Fans, wenn man so wollte. Und natürlich entging es Hannah nicht, wie erleichtert ich war, als wir sieben Namen auf unserer „Liste der Verdächtigen“ hatten und Daddys Name nicht dazugehörte.
Henry – Dienstagnachmittag
Ich schaffte meine Arbeit ganz gut und Big Dan schien zufrieden zu sein, weil wir früher als geplant fertig waren. Auf dem Weg nach Hause hielt ich an der Bibliothek und war froh, dass Mabel nicht an der Ausleihe saß. Heute war eine junge Frau dort, die ich nicht kannte. Ich ging in die Belletristikabteilung und wie vermutet, das Regal, auf dem normalerweise Miz Bourdillons Bücher standen, war fast leer, wie beim letzten Mal. Aber ein Buch stand da, eins, das ich noch nicht gelesen hatte, also schnappte ich es mir und hatte wahrscheinlich ein dämliches Grinsen auf dem Gesicht, als ich es zum Einscannen auf die Theke legte.
„Sie und halb Amerika lesen gerade ihre Bücher“, meinte die junge Frau und sah mich gar nicht richtig an. „Hat Ihnen das hier gefallen?“, fragte sie und legte die Hand auf den Roman, den ich gerade zurückgab.
„Doch, echt. Ja. Der erste, den ich von ihr gelesen habe.“ Da fiel mir ein, dass ich Mabel gesagt hatte, ich würde ihn für Libby ausleihen. „Hab ihn nach meiner Frau gelesen. Jetzt will sie noch einen.“
„Also, das hier ist mein Lieblingsroman von ihr“, sagte sie, verbuchte ihn und reichte ihn mir über die Theke. „Er spielt während der Wirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre, aber seine Aussage ist heute noch aktuell, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Sie legte den Kopf schief. „Ist doch seltsam, wie historische Romane die Zukunft vorwegnehmen können, nicht wahr?“
„Seltsam, jep.“ Ich hatte genau dasselbe über den ausgelesenen Roman gedacht. Spielte in den Fünfzigern und sprach doch zu mir, als würde das ganze Ding heute in meiner Heimatstadt stattfinden.
Ich verließ die Bibliothek mit einem selbstzufriedenen Gefühl, auch wenn ich nicht wusste, wieso.
Als ich nach Hause kam, hatte ich kaum den Motor abgestellt und war ausgestiegen, als Libby aus dem Haus gestürzt kam und sich in meine Arme warf. „Oh Henry. Danke, danke, danke.“
Ich starrte sie verdutzt an. „Wovon redest du?“
„Er ist gekommen! Der Scheck! Das Geld von deinem Auftrag! Genau wie sonst auch. Er ist da!“
Ich wünschte, ich hätte wenigstens einen Hauch von Erleichterung gezeigt, aber ich fühlte nur eins: stechende Kälte im Bauch. Vier Tage, keine halben Sachen ... Halbe Sachen! Wie konnte das sein?
Sie gab mir das Einschreiben – natürlich hatte sie es gleich aufgerissen – und ich starrte auf den Scheck, derselbe Betrag wie sonst auch.
Jase!
Mir brach kalter Angstschweiß aus und meine Hände fingen an zu zittern. Passierte sonst nicht, wenn ich die Pillen abgesetzt hatte. Mir wurde schwindlig. Vielleicht wollte mich mein Kontakt für dumm verkaufen. Oder jemand anderes hatte Wind davon bekommen. Sollte das ein Köder sein? Von wem?
Auf jeden Fall war irgendetwas schiefgegangen. Und zwar so richtig schief. Wieder. Oder doch nicht?
Libby klammerte sich an mich. „Es tut mir so leid. So leid, dass ich daran gezweifelt habe, du würdest das Geld besorgen. Das mache ich nie wieder.“
Ich hielt sie fest im Arm, damit sie nicht sah, wie sehr ich das Flattern bekam.
„Es ist so wunderbar, Henry.“ Sie ließ mich los. „Du bist doch mein großer Knuddelbär!“ Ihre Begeisterung war riesig. „Es tut mir leid, dass ich dich so kritisiert habe. Henry, ich liebe dich! Danke, danke!“
Versuchte mich zusammenzureißen, während es aus Libby nur so heraussprudelte. „... und der Assistenzarzt hat angerufen und sie haben die OP für Freitag angesetzt, also müssen wir mit Jase am Donnerstag ins Krankenhaus, wie immer, aber dieses Mal in ein anderes Krankenhaus. Dr. Martin meinte, es sei eins der besten für Herzoperationen. Er operiert dort sehr gern, meinte er, und gerade Operationen am offenen Herzen …“, sie schniefte einmal, „aber Jase kriegt die bestmögliche Behandlung und ich habe meinem Chef schon Bescheid gegeben und er gibt mir Freitag und Montag frei, das Krankenhaus hört sich jedenfalls sehr gut an und man kriegt sogar Familienzimmer, wenn man will ...“ Sie hielt inne. „Henry, alles in Ordnung? Du siehst so aus, als müsstest du dich übergeben.“
„Tolle Neuigkeiten, Libs. Freu mich. Aber ich bin fertig. Lass mich mal ein paar Minuten aufs Ohr hauen, und dann fahren wir mit Jase in ein Restaurant und stoßen an.“
Sie schlang die Arme um mich. „Alles wird gut. Ich weiß es.“
Also lag ich im Bett und zermarterte mir das Hirn. Sollte ich meinen Kontakt anrufen und ihm sagen, dass etwas nicht stimmte? Nein! Ich musste es als Geschenk betrachten. Irgendwo war irgendwas schiefgegangen, aber es war nicht mein Fehler und es ging mich auch nichts an, wenn er mir das Geld schickte. Stimmte doch, oder nicht? Hatte er etwa nicht mitbekommen, dass ich den Auftrag nicht abgeschlossen hatte? Unmöglich – es sei denn, er hatte die letzten vier Tage den Kopf im Sand vergraben.
Hieß das jetzt, dass ich einfach aufhören konnte und Miz Bourdillon in Ruhe lassen konnte? Oder erwartete er trotzdem noch, dass ich die Sache zu Ende brachte? Sollte ich seine Nummer wählen? Nein, er musste den ersten Schritt gehen. Ich würde einfach warten. Warten konnte ich verflixt noch mal richtig gut. Hatte schließlich mein halbes Leben lang gewartet.
Josephine – Dienstagabend
1976
Kit kam ins Zimmer gestürmt und warf die Schulzeitung auf den Teppich. „Du kleines, nichtsnutziges ...“, worauf eine Kette von Flüchen folgte, die ihre Schwester noch nie von ihr gehört hatte. Kit schnappte sich die Zeitung und pochte mit dem Finger darauf. „Du hast das da über mich geschrieben, stimmt’s? Hast wohl gedacht, so kriegst du endlich Aufmerksamkeit, wenn du deine große Schwester verpfeifst.“ Josephine hatte ihre Schwester noch nie so wütend gesehen.
„Kit, nicht ein einziges Wort in dem Artikel ist über dich.“
„Du hättest auch gleich schreiben können, dass ich Alkoholikerin bin.“
„Ich habe den Aufsatz für Naturwissenschaften geschrieben, und dann wollten sie, dass ich ihn kürze und in die Schulzeitung setze. Das hatte nichts mit dir zu tun.“
„Ach ja? Du elende Streberin. Als ob nicht jeder, der den Artikel liest, sofort weiß, dass er über mich ist. Neidisch, ja? Nur, weil du keinen Jungen abkriegst. Also muss das hässliche Entlein ihre hübsche Schwester fertigmachen.“
„Kit, hör auf! Du hast getrunken. Du weißt nicht, was du sagst.“
Kit lachte, und ihr Lachen klang verbittert und grausam.
„Alles dreht sich immer nur um dich“, sagte Josephine mit unterdrückter Stimme. Ihre Hände fingen an zu zittern, und sie fühlte sich, als wäre sie wieder ein kleines Kind. „Du brauchst Hilfe, Kit. Und das hat nichts mit dem Artikel zu tun. Das ist nur für dich. Ich mache mir Sorgen.“
„Hilfe? Ha! Wo soll ich denn deiner Meinung nach ‚Hilfe‘ herkriegen?“
„Es gibt viele Anlaufstellen, Kit.“
„Und du glaubst allen Ernstes, dass unsere ach so tollen, gebildeten Eltern ihre Tochter, ihre Modelprinzessin, in eine Entzugsklinik stecken und damit ihren makellosen Ruf zerstören würden?“
„Natürlich würden sie das. Sie sind nicht gerade begeistert davon, dass ihre Tochter dem Alkohol verfallen ist. Du brichst ihnen das Herz.“
Kit verpasste Josephine mit solcher Wucht eine Ohrfeige, dass ihre kleine Schwester rückwärtsstolperte und gegen die Wand fiel. Kreischend lief sie zu ihr. „Es tut mir leid! Tut mir leid! Oh, JoJo. Was passiert nur mit mir?“
Josephine tat so, als würde ihr Kopf nicht wie verrückt hämmern. Sie sank mit Kit zu Boden und schlang die Arme um ihre Schwester. „Ich schreibe über das, was mich berührt“, flüsterte sie und kämpfte gegen das Zittern. „Über das, was mir etwas bedeutet. Ungerechtigkeit, Gewalt, Vorurteile, Sucht, Depressionen. Ich weiß, das sind Tabus in unserer Gesellschaft, aber ich kann nicht aufhören, in meinen Geschichten darüber zu schreiben, Kit. Ich wollte dich nicht verletzen, glaub mir. Hast du es nicht bemerkt? In meinen Geschichten gibt es immer Hoffnung.“
„Ich habe die Hoffnung auf Hoffnung vor langer Zeit aufgegeben“, sagte Kit und schmunzelte über ihre Wortwahl.
„Dann lass mich für dich daran glauben. Ich helfe dir, einen guten Platz zu finden. Und ich kläre das mit Mom und Dad. Bitte, Kit. Ich hab dich doch so lieb. Bitte.“
Kits Gesicht war tränenüberströmt. „Du hast mich lieb? Wirklich? Hast du mich wirklich lieb, JoJo? Obwohl ich alles kaputt mache? Obwohl wegen mir alles den Bach runtergeht?“
Sie umarmte ihre Schwester. „Ich habe dich lieb, so wie du bist. Und ich werde dich nicht im Stich lassen. Du schaffst das, Kit, du kriegst das hin ...“
Sie hatte ihre Schwester tatsächlich lieb, und zwar so sehr, dass sich ihr Magen jedes Mal zusammenkrampfte, wenn Kit betrunken auf dem Bett lag. Sie würde ihr helfen. Aber manchmal fragte sich Josephine, ob sie nicht eigentlich die Last ihrer Schwester trug, ob sie davon mehr zu Boden gedrückt wurde als Kit. Manchmal hatte Josephine das Gefühl, sie wäre verantwortlich für den Ruf ihrer Eltern, für Kits Gesundheit und für alle möglichen anderen Probleme, die ihr irgendwelche Freunde anvertraut hatten, und diese ganze Last war zu schwer für ihre schmalen Schultern.
Herr, ich weiß nicht, wie ich das alles tragen soll. Der Keil wird immer größer und der tiefe, dunkle Abgrund zieht mich an. Aber du hast gesagt, dass dein Joch sanft ist und deine Last leicht. Nur verstehe ich leider überhaupt nicht, was das bedeuten soll.
1978
Der Garten roch nach Frühling, alle Bäume standen in voller Blüte, auch die hochgerankten Rosen hingen schwer am Gitter und verbreiteten einen wunderbaren Duft. Überall standen Absolventen herum, die Mädchen in geblümten Sommerkleidern, die Jungs in Kakihosen und Poloshirts. Die Freunde ihrer Eltern standen in engen Grüppchen zwischen den Highschool-Absolventen. Eine Band spielte im kleinen Pavillon.
„Deine Eltern müssen so stolz auf dich sein, Josephine. Was für eine großartige Abschiedsrede! Du warst der absolute Höhepunkt. Und dass du für dein Schreibtalent das Stipendium bekommen hast, grandios!“
Josephine lächelte Mrs Lincoln höflich an. Sie wollte das Kompliment entgegennehmen und festhalten, aber in ihr rumorte die Angst. Kit hatte vergangene Nacht angerufen und von ihrem Abstecher als Model in Venedig erzählt. Ihre Eltern hatten ihr schon vor Wochen in den Ohren gelegen, für Josephines Abschluss nach Hause zu kommen, aber falls Kit überhaupt daran dachte, ließ sie sich beim Telefongespräch nichts anmerken. „Venedig ist ein Traum, JoJo. Du solltest unbedingt mal herkommen.“
Kits Modelkarriere hatte nach der Highschool begonnen und sie zuerst nach New York und dann nach Paris geführt. Und obwohl sie nur Josephine gegenüber die Wahrheit über diesen pseudoglamourösen Job erzählte, waren ihre Eltern nicht dumm. Josephine konnte ihnen dabei zusehen, wie sie sich immer mehr zurückzogen, umgeben von den Reichen und Schönen, immer ein aufgesetztes Lächeln auf den Lippen und wie sie Kits Leben in den schillerndsten Farben darstellten. Kit schrieb ihnen nie, aber ihre Briefe an Josephine zeigten die harte Realität: Drogen, Jungs, Mode, Egozentrik. Kit war im Selbstzerstörungsmodus.
„Alles in Ordnung, Miss Josephine?“
Hinter ihr stand Terence in seinem makellosen Smoking, Schweißperlen auf der Stirn, das krause Haar längst weiß geworden. Er hielt ein Tablett mit Käsespießen und kleinen, dreieckig geschnittenen Gurkenschnittchen.
Sie nahm Terences freie Hand. „Oh, Terence. Du weißt ganz genau, dass nichts in Ordnung ist. Kit bringt sich noch um und das ist Moms und Dads Ende. Außerdem streiten sie sich nur noch.“ Sie kämpfte mit den Tränen.
Terence drückte ihr die Hand und sah ihr tief in die Augen. „Miss Josephine. Das ist deine Party. Wir feiern deinen Erfolg. Also werde ich den Allmächtigen bitten, dass du für einen Abend Kit vergisst und dich daran freust, was hier ist. Du hast es nämlich verdient, Engelchen. Und daran, was mit Kit ist, kannst du heute Abend sowieso nichts ändern.“
1979
Die Skifreizeit mit ihrer Studentengruppe aus der Gemeinde während der Semesterferien sollte eigentlich großen Spaß machen, aber sie wurde in den letzten Wochen immer stärker von diesen dunklen Gedanken verfolgt. Schlechte Nachrichten von zu Hause, von Kit, und kein Date in Sicht. Während ihre Mitbewohnerinnen im Wohnheim sich in hübschen Kleidern für den Frühlingsball herausputzten, hatte sie sich in der Bibliothek eingeschlossen.
Hier in den Bergen, umgeben von Extremen – dem weißesten Schnee, dem kobaltblauen Himmel, den dunkelgrünen Tannen, deren Zweige unter dem schweren Schneemantel hervorlugten –, fiel Josephine auf die Knie. „Hilf mir doch, Gott! Hilf mir, mit meinen Schuldgefühlen fertigzuwerden, dass ich nicht alles heile machen kann und dass ich dieses Chaos endlich hinter mir lassen kann!“
An diesem Abend versammelten sich die Studenten um ein großes Lagerfeuer und Josephine beobachtete Marcia, die hübsche Betreuerin Mitte dreißig, die fröhlich in die Nacht hinauslächelte. Am nächsten Tag fuhr sie mit Marcia im Skilift und erlebte sie als faszinierende, weise und gottesfürchtige Frau. Sie war wie eine Künstlerin, die Mitgefühl ausstrahlte. Josephine spürte, wie ihr das Herz aufging. Gott hatte ihr diese Frau in den Weg gestellt.
„Marcia, könnten wir vielleicht irgendwann mal miteinander reden? Über ... so manches ... und über Gott?“ Mit pochendem Herzen brachte Josephine die Worte über ihre Lippen. „Ich meine, vielleicht mal bei einem Mittagessen oder auf einen Kaffee, wenn das Semester wieder angefangen hat?“
Sie war rot wie eine Tomate, aber Marcia mit ihren sanften Augen sagte nur: „Gern. Sehr gern sogar.“
Ihre wöchentlichen Treffen waren ein Geschenk, ein großes Geschenk, und allmählich half Marcia ihr, die Lasten abzulegen und das Gedankenkarussell zu stoppen. Sie verwies sie auf Christus, machte ihr Mut, sich mit der Bibel zu beschäftigen und die Kassette, die endlos in ihrem Kopf ablief, mit Gottes Wort zu überspielen. Die Stimmen verschwanden nicht vollständig, aber sie lernte, sie besser zu identifizieren und sich auf den mentalen Kampf vorzubereiten. Und sie lernte, dass sie ihre Familie nicht im Alleingang reparieren konnte.
„Du kannst diese Last nicht allein tragen, Josephine“, sagte Marcia.
Aber es war so unglaublich schwer, dieses Gefühl loszulassen, das ihr sagte, sie müsse perfekt sein und sie sei für die Rettung ihrer Familie verantwortlich.
Henry
Gab es sie also doch, die Zufälle. Ich hatte mich bisher nie darum geschert. Also, um die guten Zufälle. Schlechte Zufälle gab es in meinem Leben zuhauf. Wie den Tod meiner Mutter. Wer hätte gedacht, dass sie ausgerechnet von der Person erschossen wird, die sie so lange vor Pa beschützt hatte? Wer hätte das gedacht?
Aber gute Zufälle? Nie im Leben. Jedenfalls nicht in meinem.
Aber nun war doch einer gekommen. Mein Junge sollte im selben Krankenhaus operiert werden, in dem auch Miz Bourdillon lag. Libby meinte, dass die Klinik eine der fünfzig besten für Herzkrankheiten war, und das hieß schon mal was. Das erste Mal war Jase weit im Süden von Georgia gewesen, Not-OP, als er Libbys Familie besuchte. Die anderen beiden Male war Jase in der Nähe operiert worden. Aber dieses Mal meinte der Arzt, er würde ins Mission Hospital gehen, und gleich als Libby den Namen nannte – Mission Hospital in Asheville – wurde mir schlecht, weil ich natürlich den Namen erkannte und weil ich gerade von dort kam.
Aber eigentlich war es ein guter Zufall, oder? Vielleicht konnte ich so Miz Bourdillon im Auge behalten, für alle Fälle.
Oder es war doch ein schlechter Zufall. Vielleicht behielt mich so die Polizei oder sonst jemand im Auge.
Mein Kopf war einfach zu voll.
* * *
Jase bestellte sich das größte Steak im Bourbon’s Steak House und Libby strahlte. Manchmal hatte sie es – dieses Strahlen, als ob ein Engel gerade bei ihr eingezogen wäre und die Herzensgüte ausstrahlte. Oder es war ihre eigene Herzensgüte. Selbst Jase hatte etwas Farbe bekommen.
„Papa, Mommy sagt, dass wir in ein großes Krankenhaus fahren, wo man eine prima Aussicht hat. Man kann die ganzen Bäume sehen, wie sie ihre Farbe wechseln. Ist das nicht toll? Die Lehrerin in der Vorschule hat uns erklärt, welche Blätter zu den einzelnen Bäumen gehören, und wenn mein Herz wieder ganz ist, dann liege ich da und gucke mir die ganzen Blätter an und versuche rauszukriegen, was Eichen sind und Ahorn und Kiefer und Hickory.“
Er hustete und keuchte ein wenig – das passierte, wenn er beim Essen zu viel redete, und Libby hörte auf zu strahlen und sagte: „Kauen nicht vergessen, Jase.“ Und sie wurde ganz blass, weshalb ich sie ablenken wollte, bis Jase wieder ordentlich atmete, aber es half nicht. Jase fing an zu röcheln, und kurz darauf, wie immer, stürzten wir aus dem Restaurant. Bis wir die kleine Notaufnahme in der Stadt erreicht hatten, war Jase schon ganz grün.
Als sie ihn stabilisiert hatten, kam der junge Arzt zu uns in den vollen Wartesaal, wo ein Baby brüllte und ein kleiner Junge mit gebrochenem Arm stöhnte und ein alter Mann sich vor irgendwelchen Schmerzen krümmte, und er sagte, „Ich habe Ihren Operateur angerufen, Dr. Martin. Er möchte, dass Ihr Sohn mit dem Krankenwagen nach Asheville verlegt wird. Jetzt sofort. Er wartet dort auf Sie und wird vor Ort entscheiden, ob mit dem Eingriff noch bis Freitag gewartet werden kann.“
Libby war starr vor Schreck. Sie stieg in den Krankenwagen und setzte sich neben unseren Jungen. Dann gingen die Türen zu und der Wagen bog mit rot blinkenden Lichtern und kreischender Sirene auf die Straße.
Und da war ich wieder, im Dunkeln auf der kurvigen I-40, und alles, woran ich denken konnte, war, dass Miz Bourdillon nicht tot war und wir trotzdem das Geld hatten, aber vielleicht alles umsonst war, weil Jase vielleicht derjenige war, der hier sterben würde.
Und was wäre das dann für ein Zufall?