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Elisabeth Lukas

Frankl und GOTT

Erkenntnisse und Bekenntnisse eines Psychiaters

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2019, 1. Auflage

© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt GmbH, München

Umschlaggestaltung und Satz: Neue-Stadt-Grafik

E-Book:

ISBN 978-3-87996-435-2

Printausgabe:

ISBN 978-3-7346-1183-4

www.neuestadt.com

… ein guter Mensch ist nicht gut um eines guten Gewissens willen, sondern einer Sache –

der „guten“ Sache! – wegen oder einer Person zuliebe – oder aber um Gottes willen.

Viktor E. Frankl

Inhalt

Vorwort: Wer war Viktor E. Frankl?

Geblieben ist: die Ehrfurcht vor Gott

Psychotherapie und Theologie

Der Logotherapie liegt die Religion am Herzen

Religion ist ein Phänomen am Menschen

Unterschied zwischen Mensch und Tier

Religiöses Erleben und Intimität

Nichtschwimmer in Ertrinkungsgefahr

Die unbewusste Gläubigkeit

Die Ruinen, die den Blick freigeben

Frankls Kritik an Carl G. Jungs Theorien

Niemanden zum Glauben drängen!

Zwischen Psychophysiologie und Theologie

Den Anthropozentrismus überwinden

Sigmund Freuds „niedriges Häuschen“

Dürfen Christen seelisch krank werden?

Eine gestörte Beziehung zur Transzendenz

Der menschliche Anteil an der Depression

Blasphemische Zwangsvorstellungen

Worte von Sören Kierkegaard

Die zehnte These über die Person

Hinter dem Gewissen steht das Du Gottes

Frankls Parabel vom Nabel

Ein Spruch von Rabbi Hillel

Verlieren die „Zehn Gebote“ an Geltung?

Wofür und wovor verantwortlich?

Letzte oder vorletzte Instanz?

Die Position des „homo religiosus“

Gibt es so etwas wie einen Moraltrieb?

Ein divinatorisches Vermögen

Der Zettel des Diskussionsleiters

Das Gleichnis von Samuel und Eli

War es ein Wink vom Himmel?

… der Ort, an dem das Wunder nistet

Worte des Arztes Paracelsus

Das Bild, das der Liebende erschaut

Die Engel sind selig im liebenden Schauen

Die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz

Die Intention ist unser – der Effekt …

Vergötzung und Verzweiflung

Werte vor dem göttlichen Schiedsgericht

Seelische Heilung und Seelenheil

Frau Koteks Bild vom strafenden Gott

„… und gehen dem Herrn zu sagen …“

Wozu war das Kainszeichen gut?

Die Möglichkeit zum Engel oder Teufel

Das religiöse Empfinden im KZ

War Gott „after Auschwitz“ gestorben?

Das Scheitern der Theodizee

Das Leiden und die Sinnfrage

Wer glaubt nicht an das Du des anderen?

Der Partner unserer Selbstgespräche

Die Eigengesetzlichkeit alles Geistigen

Inkongruenz von Vaterbild und Gottesbild

Die Eltern hauchen nicht den Geist ein

Am 7. Tag legte Gott die Hände in den Schoß

Blickt Gott auf uns herab?

Auf der Theaterbühne geblendet

Alle religiösen Aussagen sind Analogien

Negative Theologie, negative Noologie

Kritik an der Theorie der Seelenwanderung

Einwände gegen einen „Monismus“

Frankls Konzeption von einem „Übersinn“

Denknotwendigkeit und Denkunmöglichkeit

Bedeutet „unwissbar“ auch „unglaublich“?

Vom „Übersinn“ zum „Übersein“

Der Glaube macht schöpferisch

Die Wolke schwebte dem Volk voraus …

Der „Übersinn“ setzt sich durch

Sind Gottesbeweise Gotteslästerungen?

Gott immer schweigend – immer gerufen

Wie tief ist der Meeresboden?

Bedenken bezüglich des Begriffs „Gotteskindschaft“

James C. Crumbaughs vernünftiger Hund

Der nach dem Finger schnappende Hund

„Aus der Enge rief ich den Herrn“

Das Gebet macht Gott gegenwärtig

Das Auge ist ein Beweis für die Sonne

Amo (Deum) – ergo (Deus) est

Fluchtlinien zu einem Fluchtpunkt

Unser Kontakt mit „ebenbürtig Seiendem“

Die verschiedenen Sprachen der Konfessionen

Zwei Gefahren: Verschwommenheit und Starre

Führt der Trend von der Religion weg?

Ein fulminantes Schlusswort

Literaturangaben

Über die Autorin

Vorwort

Wer war Viktor E. Frankl?

Wer war Viktor E. Frankl? Es ist unmöglich, sein bewegtes Leben und sein vielfältiges Wirken in wenigen Worten zusammenzufassen. Ein paar Stichpunkte müssen genügen:

– Frankl war Facharzt für Neurologie und Psychiatrie – und Philosoph, Psychologe, Psychotherapeut.

– Frankl war Inhaber von zwei Doktoraten, 29 Ehrendoktoraten und zahlreichen Auszeichnungen seitens diverser Wissenschaftsgremien.

– Frankl war a. o. Professor an der Universität Wien und Gastdozent an insgesamt 230 Universitäten weltweit.

– Frankl war der Autor von ca. 30 Fachbüchern und Hunderten Artikeln, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden sind.

– Frankl war der Begründer einer eigenen Psychotherapierichtung, genannt „Logotherapie und Existenzanalyse“.

– Frankl, geb. 1905, gest. 1997, war ein berühmter Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts.

– Frankl war Überlebender von vier Konzentrationslagern im Zweiten Weltkrieg, in dem er (bis auf eine Schwester) seine gesamte Familie verlor.

– Frankl war hochintelligent, innovativ und ein kritischer Denker, der vorgefertigte Lehrmeinungen strengen Prüfungen unterzog.

– Frankl entstammte einer jüdischen Familie und war ein tief gläubiger Mensch.

Zählt man diese Lebensdaten zusammen, vor allem Frankls enorme Menschenkenntnis, seine dramatischen Holocausterlebnisse und seinen kritischwachen Intellekt, dann ist es spannend zu erfahren, welche Art von Glauben Frankl entwickelt hat. Welches Gottesbild war für ihn glaub-würdig?

Ich selbst bin Frankl 1968 an der Universität Wien begegnet und blieb bis zu seinem Tod mit ihm und seiner Frau Elly in Kontakt. Seit einem halben Jahrhundert beschäftige ich mich intensiv mit seiner Lehre. Deshalb wage ich es auf mehrfache Bitten hin, in diesem Buch der Frage nach Frankls Glauben nachzuspüren. Um Frankl gerecht zu werden, werde ich mich eng an seine Texte halten und die jeweiligen Quellen zum Nachstudium beifügen. Mündlich war Frankl außerordentlich zurückhaltend, was seinen religiösen Bezug betraf. Er pflegte zu sagen, dass drei „Tätigkeiten“ unter dem Schutz der Scham stehen und nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden sollten, nämlich das Lieben, das Beten und das Sterben. Die Religiosität eines jeden Menschen war für ihn eine zu respektierende „Intimsphäre“. Schriftlich aber hat Frankl seine Überzeugungen offen kundgetan, hat sogar ein eigenes Buch zum Thema des „unbewussten Gottes“ verfasst. Aus diesem literarischen Vermächtnis Frankls will ich seine bemerkenswertesten Glaubensansichten herausfiltern und für die Leserinnen und Leser von heute verständlich aufbereiten.1

Vielleicht helfen sie dem einen oder anderen in unserer aufgewühlten Zeit, in der die Traditionen schwinden, die Kirchen sich leeren, die Kulturen sich vermischen, die verschiedenen politischen Strömungen aufeinanderprallen und die wirtschaftlichen Profite häufig der einzige Interessensmaßstab zu sein scheinen, sich innerlich neu zu orientieren. Vielleicht gewinnt der eine oder andere2 dank Frankls Anregungen einen metaphysischen Halt von ähnlicher Stärke, wie er Frankl durch sämtliche Torturen hindurch getragen hat. Vielleicht wird das 21. Jahrhundert noch eines werden, in dem es ein wahrer Segen ist, einen solchen Halt zu haben.

Elisabeth Lukas, im Dezember 2018

1Die Quellenangaben zu den (fett gedruckten und eingerückten) Zitaten von Viktor E. Frankl, die in ihrem ursprünglichen Wortlaut wiedergegeben werden, sind in Kurzzitierweise am Ende eines jeden Abschnitts angegeben, die vollständigen bibliografischen Angaben finden sich im Anhang, S. 185f.

2Um der flüssigen Lesbarkeit willen habe ich in diesem Buch auf das Gendern verzichtet und bitte diesbezüglich um Verständnis und Nachsicht.

Geblieben ist: die Ehrfurcht vor Gott

In seinem Bestseller „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ hat Frankl seine furchtbaren Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern der 1940er-Jahre aus psychologischer Sicht geschildert. Das Buch ist millionenfach verkauft worden. Es ist seiner in der Gaskammer umgekommenen Mutter, zu der er ein inniges Verhältnis gehabt hat, gewidmet. In den letzten Kapiteln dieses berührenden Zeitdokuments beschrieb Frankl, wie schwer es den zum Kriegsende von amerikanischen Soldaten befreiten Häftlingen fiel, sich nach dem langen Martyrium an ihrer wiedergewonnenen Freiheit zu freuen. Dennoch war er gewiss, dass ihnen eines fernen Tages ihre Gefangenschaft wie ein böser Traum vorkommen werde, aus dem sie endlich „erwacht“ sind. Danach endet das Buch mit folgendem Satz:

Gekrönt wird aber all dieses Erleben des heimfindenden Menschen von dem köstlichen Gefühl, nach all dem Erlittenen nichts mehr auf der Welt fürchten zu müssen – außer seinen Gott.

War es die Meinung Frankls, dass man Gott fürchten muss? Nein, aus zahlreichen anderen Textstellen wissen wir es besser. Was Frankl hat ausdrücken wollen, war, dass ihn nichts „Menschliches“ mehr erschrecken konnte, hatte er doch in die tiefsten Abgründe menschlicher Abscheulichkeit geschaut. Aber diese erlangte „Souveränität“ eines „jenseits aller Schrecken Stehens“ durfte in keinen Hochmut oder Zynismus ausarten. Was ihn davor bewahren sollte, war die bedingungslose Ehrfurcht vor Gott. Sie, so Frankl, hatte im Lager kein Jota eingebüßt, keinen Kratzer abbekommen. Im Gegenteil: Diese seine Ehrfurcht war geblieben und gewachsen und sollte fortan sein Leben und sein Werk bestimmen.

tJL 139

Psychotherapie und Theologie

Frankl hat die Entwicklung der Psychotherapie als einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin sozusagen von ihren „Kindertagen“ an mitverfolgen können. Er hatte eine enge Verbindung mit den Pionieren Sigmund Freud und Alfred Adler und hat sich bis ins fortgeschrittene 20. Jahrhundert mit sämtlichen aufkommenden Strömungen der analytischen Therapieformen, der Verhaltenstherapie, Humanistischen Psychologie, Suggestionstherapien, Gesprächspsychotherapie etc. intensiv auseinandergesetzt. Daher wiegt seine Behauptung schwer, wonach

… niemand, der ehrlich ist und die Psychotherapie ernst nimmt, deren Konfrontation mit der Theologie aus dem Wege gehen [kann].

Warum ist das so? Nun, das liegt allein schon im Seelenbegriff begründet, der in der griechischen Version „Psyche“ in „Psychotherapie“ steckt, der aber auch eine zentrale Rolle in der Theologie spielt. Freilich wird er jeweils unterschiedlich definiert und interpretiert. Jede Seite versteht etwas anderes unter „Seele“, was nur ein Anlass mehr ist, miteinander im Gespräch zu bleiben. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die „Seele“ leiden kann, sich irren und verirren kann, dass sie des Trostes und der Hilfe bedarf. Da beide Disziplinen in der Pflicht sind, diesen Trost und diese Hilfe zu gewähren, ist es nur vernünftig, trotz verschiedener Prämissen und getrennter Vorgehensweisen einander wohlwollend gegenüberzustehen und die gegenseitige Konfrontation nicht durch Misstrauen und Vorurteile zu belasten.

In dieser Hinsicht war Frankl ein leuchtendes Vorbild im Strudel vieler Animositäten zwischen strikten Naturwissenschaftlern und ebenso strikten Geisteswissenschaftlern, die beide beanspruchen, das Wunder „Seele“ komplett enthüllen zu können. Es war Frankls Stärke, bei aller Präferenz für empirische Präzision dem Wunder Raum zu geben.

DuG 8

Der Logotherapie liegt die Religion am Herzen

Die von Frankl begründete Logotherapie ist eine sinnzentrierte Psychotherapie, die weltanschaulich neutral sein muss, weil ihre Methoden und Argumentationen für jeden Ratsuchenden, Kranken und Patienten, unabhängig von dessen religiösen oder politischen Überzeugungen, gleichermaßen akzeptabel und einsichtig sein müssen. Psychotherapeutische Hilfe ist „ohne Ansehen der Person“ zu leisten, was Frankl in bewundernswerter Weise unter Beweis gestellt hat, als er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine ärztliche Tätigkeit wieder aufnahm, ohne jemals einen seiner Patienten zu fragen, ob dieser vielleicht bei der antisemitischen Hetzjagd und dem arischen Größenwahn mitgemacht habe oder nicht.

Für die Logotherapie kann die Religion daher nur ein Gegenstand der Betrachtung und Erforschung sein, nicht aber ein Standort. Trotzdem hat Frankl gleich zweimal in seinem Schrifttum versichert, dass der Logotherapie die Religion am Herzen liegt,

… und zwar aus einem einfachen Grund: im Zusammenhang mit Logotherapie meint Logos Sinn.

Es zeichnet sich also hinsichtlich der Logotherapie eine zweite Überschneidung mit der Theologie ab: Nicht nur die „(Geist-)Seele“ des Menschen verknüpft beide Disziplinen miteinander, sondern auch der Sinnbegriff schlägt eine Brücke dazwischen, je nachdem, wie eng oder weit man ihn fasst. Therapeutisch geht es oft darum, mit einem Patienten den kleinen „Sinn des Augenblicks“ im Hier und Jetzt zu entdecken und seine Realisierung zu erleichtern. Theologisch war der Logos „im Anfang“ … und wird wohl auch im Ende sein.

DuG 62, LsL 101

Religion ist ein Phänomen am Menschen