VORWORT
Liebe Freunde phantastischer Geschichten,
die einzelnen Ausgaben unserer Reihe »Gegen unendlich« kennen keinerlei Themenausrichtung, die Herausgeber sind offen für alle Motive und Spielarten der Phantastik. So öffnet sich ein weites Feld, das eine lebendige, abwechslungsreiche Mischung verspricht. Trotzdem kommt es vor, dass eine Anthologie eine Eigendynamik entwickelt und sich durch die Zusammenstellung der ausgewählten Geschichten wie von selbst zu einem Schwerpunkt hin verdichtet.
Das ist auch mit der vorliegenden Ausgabe passiert. Tiefgründig, hintersinnig und nachdenklich, aber auch abenteuerlich und böse sind die erzählerischen Streifzüge, zu denen die Leser eingeladen sind. Schon die Titel der einzelnen Geschichten wirken wie zufällige Markierungspunkte im Kontinuum einer harmlos scheinenden und dennoch verstörenden Welt: Sonne, Schatten, Schwärze, die Nacht, Stille, letzte Tage und Sommernächte kommen darin vor.
Den Reigen eröffnet Michael J. Awe mit »Unter der Sonne von Cela 14«. Ein menschlicher Besucher erhofft sich einen Traumurlaub in einem fernen Urlaubsparadies, muss aber erkennen, dass die heimische Flora mehr zu bieten hat als prächtige Blüten und verführerischen Duft.
Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Aus welchem Stoff der besteht, davon erzählt Andreas Fieberg in seiner Geschichte, in der es um Fluch und Segen des Schattenmachens geht.
Von schwarzen Löchern, mit denen die Zeit ausgetrickst wird, handelt Kurt Tichys fulminante Geschichte »Schwarze Hügel«. Der Reisende durch Vergangenheit und Zukunft erscheint allerdings nicht allzu glaubwürdig, so schillernd seine Berichte auch sein mögen.
Matthias Ramtke führt uns an den Rand einer Grube auf einem Gefängnisplaneten, in der ein Rätsel lauert. Das verheißt dem einzigen überlebenden Häftling nichts Gutes.
Hubert Katzmarz taucht in seiner bildgewaltigen, symbolschweren Geschichte »Nachtwanderung« tief ein in einen Alptraum, der den Erzähler fest im Griff hat, während Uwe W. Appelbe in seiner atmosphärisch dichten Geschichte »Die Kinder« das Grauen in einer nebelverhangenen englischen Grafschaft beschwört.
Ebenfalls eine düstere Angelegenheit ist – trotz ihres heiteren Titels – die Anekdote »In einer Sommernacht« von Ambrose Bierce, die das Motiv der Beerdigung eines Lebenden nonchalant parodiert.
Stefan Lammers beweist mit seiner virtuos abgezirkelten Kürzestgeschichte »Acht Grad«, dass effektives Erzählen auch auf engstem Raum funktioniert. Er liefert hier die ultimative Story zum Thema »Internet der Dinge«.
Schließlich konnten wir mit Herbert W. Franke, Alban Nikolai Herbst, Georg Klein und Friedrich Wilhelm Korff vier Autoren gewinnen, von denen jeder auf seine ganz eigene Art beträchtliches literarisches Gewicht in die Waagschale wirft.
Georg Kleins Erzählung »Allwurzler« macht uns mit einer bizarren Symbiose bekannt, die trotz ihrer Fremdheit etwas Heimeliges und Tröstendes hat. Den Lesern dürfte nicht neu sein, dass Georg Klein zuletzt mit dem vieldiskutierten phantastischen Roman »Miakro« hervorgetreten ist, der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde.
Alban Nikolai Herbst wiederum ist genre-affinen Lesern vor allem dank seiner monumentalen »Thetis«-Trilogie vertraut, deren erster Teil mit dem Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar ausgezeichnet wurde. In der hier vorgestellten Erzählung erliegen die Figuren der Magie der geschwungenen Linie, die markant war in der Gestaltung des Architekten Antoni Gaudí.
Herbert W. Franke steht mit seiner Kurzgeschichte »Das Spiel der letzten Tage« den beiden Vorgenannten in stilistischer Brillanz und erzählerischem Tiefgang in nichts nach. Schauplatz ist ein mondänes Schloss, in dem vergnügliche Kurzweil herrscht, dessen Inszenierung über eine fatale Situation hinwegtäuschen soll.
Gleiches wie über seine Kollegen lässt sich von Friedrich Wilhelm Korff sagen, der – von Marcel Reich-Ranicky einst hochgelobt – seinerzeit als eine der Hoffnungen der jungen deutschen Literatur galt. »Der stille Katarakt« berichtet von einer Stromschnelle in einem Zufluss des Amazonas, die jene verzaubert, die ihren Lockungen nachgeben. Diese Erzählung steht stellvertretend für viele von Korffs Texten: »Es entsteht ein Sog des Irrationalen, der sich als plötzliches Erschrecken vor einer rätselhaften Wirklichkeit mitteilt« (Manfred Durzak). Es ist uns ein Anliegen, diesen Autor mit seinen bemerkenswerten Texten einer neuen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Titelbild verdanken wir wie schon oft, so auch diesmal Stefan Böttcher, der es gleich den hier vertretenen Autoren versteht, seinen Motiven unverwechselbare Gestalt zu geben.
Wir wünschen Ihnen so viel Freude beim Schmökern, wie wir beim Zusammenstellen dieser Ausgabe hatten. Lassen Sie sich gut unterhalten!
Die Herausgeber
Awe / Fieberg / Pack
Bonn, im August 2018
Michael J. Awe
UNTER DER SONNE VON CELA 14
Der Blick auf Cela 14 aus dem Orbit ähnelte dem auf die Erde von vor dreihundert Jahren.
Velon Harris checkte die Anzeigen des Bordcomputers und lehnte sich in den tiefen Ledersessel zurück. Der Autopilot berechnete den optimalen Eintrittswinkel in die Atmosphäre des Planeten.
Velon beobachtete die näherkommende Oberfläche mit der Neugierde eines Menschen, der hier die nächsten Wochen verbringen würde. Die wenigen Kontinente waren klein und zerklüftet, sie ähnelten eher einer Ansammlung verschiedener Inseln, die sich zerstreut in den grünblauen Gewässern der Ozeane erstreckten.
Als hätte die Hand Gottes sie achtlos verstreut, dachte er.
Es gab hier keine Industrie und nur den notwendigsten Flugverkehr. Der Planet lebte hauptsächlich von dem Tourismus mit wohlhabenden Gästen aus dem ganzen System und galt als eine Oase der Ruhe, die wie aus der Zeit gefallen wirkte. Das Schiff steuerte einen kleinen Kontinent an, der die Form einer geballten Faust besaß und schnell näherkam. Velon beugte sich nach vorne und besah sich die villenähnlichen Häuser, die im großzügigen Abstand voneinander errichtet worden waren, durch riesige Gartenareale getrennt. Die Pflanzenwelt, für die Cela 14 bekannt war, ließ an ein subtropisches Klima denken, obwohl die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit eher gemäßigt waren und den vorwiegend menschlichen Besuchern entgegenkamen. Das üppig wuchernde Grün eines Waldes unter ihm wurde von einem winzigen Landeplatz durchbrochen, auf dem die Hüllen zweier Raumschiffe in der Sonne glänzten. Die Steuerdüsen zündeten und drückten Velon sanft in den Ledersessel. Das Aufsetzen auf dem Planeten war kaum zu spüren.
Als sich die dickwandige Tür zischend öffnete, erklang ein wahres Sinfoniekonzert von Vogelstimmen aus dem sie umgebenden Urwald. Velon trat mit der Reisetasche in der Hand hinaus und zog die frische Luft ein. Während er in tiefen Zügen einatmete, dachte er an die unzähligen Übersetzungsmikroben in Nanopartikelgröße, die überall in der Atmosphäre waren. Nach dem Inhalieren gelangten sie von seiner Lunge über den Blutkreislauf in sein Gehirn und würden dafür sorgen, dass er jede Sprache auf Cela 14 beherrschte. Dadurch wurde sichergestellt, dass sich alle Besucher auf diesem Planeten wohlfühlte und es zu keinen Schwierigkeiten bei der Verständigung kam. Angeblich waren die Mikroben so vielfältig gestaltet, dass sie bei über achtzig Spezies wirkten.
In seinem Sichtfeld erschien die aktuelle Temperatur von 31 Grad und einige andere Daten zum Klima, die sein Augenimplantat einblendete. Er schaltete das Implantat und den RID-Chip in seiner Großhirnrinde aus und trennte den beständigen Datenstrom zwischen der Erde und ihm. Für die nächsten drei Wochen brauchte er ihn nicht. Der Chip war jetzt nur noch für dringende Regierungsnachrichten freigegeben.
Am Fuß der Treppe wartete ein Mann in einem bunten Wickelrock und einem weißen Hemd. Er verbeugte sich mit einem Lächeln, auf seinem dichten kohlrabenschwarzen Haar saß eine merkwürdige Kopfbedeckung, deren lose Enden beide Ohren bedeckte.
»Willkommen auf Cela 14, Celot’on Harris«, sagte der Einheimische. »Ich bin Ach’tun, Ihr Fahrer. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«
Der Mann warf einen neugierigen Blick auf die funkelnde Hülle des Raumschiffes. Selbst unter den Reichen, die hier ihren Urlaub verbrachten, so wusste Velon, war eine Sternennadel ein seltener Anblick. Trotz seiner kompakten Außenmaße war das Einpersonenschiff für Fernreisen gerüstet und verfügte über allen erdenklichen Luxus. Sein Antrieb gehörte zum Schnellsten, was außerhalb des militärischen Einsatzes Verwendung fand, und der Bordcomputer besaß die Rechenkapazität einer mittelgroßen Stadt. Aber spätestens die Außenhülle aus Biotech, die sich bei Schäden selbst regenerieren konnte, verriet Velon als einen hohen Regierungsbeamten oder einen Vertreter der Wirtschaftselite.
»Hier entlang, bitte.«
Sie bestiegen den in der Nähe stehenden Gleiter, der sich lautlos in Bewegung setzte. Ach’tun benutzte keinen Autopiloten, sondern steuerte das Fahrzeug über einen Steuerknüppel, was ihm eine gewisse Befriedigung zu verschaffen schien. Geräuschlos schwebten sie zwischen den breiten Stämmen der Baumriesen einher. Ach’tun lenkte das Gefährt mit leichter Hand und sah lächelnd zu ihm herüber, als er seinen Blick bemerkte.
»Möchten Sie auch mal?«
Velon schüttelte den Kopf. »Früher sind wir auch selber gefahren und geflogen.«
»Was ist passiert?«
»Es starben mehr Menschen durch Fahrzeuge als durch Kriege. Wir gaben es schließlich auf.«
Der Einheimische lachte, dass die Zähne in seinem kaffeebraunen Gesicht weiß aufblitzten. »Sie sollten es versuchen, es macht Spaß!«
Velon legte den Kopf in den Nacken, um zu dem dichten Laubdach hinaufzublicken. Affenähnliche, achtgliedrige Tiere sprangen über ihnen zwischen den Ästen hin und her und gaben ein melodisches Singen von sich.
»Das sind Wach’tins«, erklärte der Fahrer.
Velon nickte, er hatte von diesen Tieren gehört. Es gab sie überall auf Cela 14 und ihr Gesang bildete ein beständiges Begleitgeräusch.
Sie glitten zwischen den ersten weitläufigen Gärten entlang, die sich über Hunderte von Metern bis zu den entfernten Häusern erstreckten. Velon schüttelte den Kopf. Selbst ihm, als privilegiertem Mitglied des Parlaments, stand nur eine achtzig Quadratmeterwohnung in einem der Megatower zu, die sich nahe des Regierungsviertels befanden. Hier hingegen schien Platz in verschwenderischer Fülle vorhanden zu sein.
All unsere Technik, dachte Velon, und wir sehnen uns noch immer zurück nach dem Garten Eden.
Ach’tun verringerte die Geschwindigkeit, als sie sich einer steinernen Toreinfahrt näherten und der Gleiter schwebte kaum hörbar über den kiesbedeckten Pfad. Sie durchquerten einen riesigen, alten Garten mit hohen Bäumen und einer Vielzahl von blühenden Büschen und Blumen in allen Farben und Formen. Am Ende des langen Weges stand eine einstöckige Villa mit weißen Wänden und einem Flachdach, die mitten in dem weiten Garten lag.
»Bin ich der einzige Bewohner?«, fragte Velon.
»Sie und die Bediensteten des Hauses, Celot’on Harris.«
Was für eine Verschwendung, dachte Velon. Statt sich durch die Menschenmassen seiner Heimatstadt schieben zu müssen, würde er hier für drei Wochen niemanden sehen außer den Bediensteten und den einen oder anderen Einheimischen außerhalb des Grundstücks.
Ach’tun hielt den Gleiter vor dem flachen Gebäude und griff sich das Reisegepäck. »Wenn Sie mir bitte folgen würden!«
Velon trat hinter dem Fahrer in das weitläufige, kühle Haus und sah sich aufmerksam um. Die dicken, schmucklosen Wände waren geweißt und auf dem Boden lagen großformatige Steinfliesen, alles strahlte Ruhe und Schlichtheit aus, sodass Velon sich augenblicklich wohlfühlte. Ach’tun ging einen langen Flur hinunter und Velon konnte einen Blick in die Zimmer zu ihrer Rechten werfen, die auf den sonnendurchfluteten Garten hinausgingen, eine Reihe von spärlich möblierten Räumen, in denen sich niemand aufhielt. Ihre Schritte hallten leise durch das stille Gebäude.
Lächelnd blieb Ach’tun vor einer geöffneten Tür stehen und zeigte in das Innere des Raumes. »Hier befindet sich Ihr Schlafzimmer, Celot’on Harris!«
Durch die offen stehende Terrassentür gegenüber drang leichter Wind in das Zimmer und bauschte die dünnen, weißen Vorhänge. An der Wand stand ein schlichtes Bett, dessen dunkelbraunes Holz die gleiche Farbe wie die Betttruhe am Fußende und der Kleiderschrank in der Ecke besaß. Ansonsten befanden sich nur ein hölzernes Sideboard, auf dem eine blauglasierte Wasserschüssel stand, und ein runder Tisch mit zwei Stühlen in dem Raum. Velon nickte zufrieden.
»Ich lass Sie jetzt alleine«, sagte Ach’tun und stellte das Gepäck vor das Bett. »Das Abendessen wird gegen 17 Uhr auf der Terrasse serviert. Auf Wunsch können Sie das Essen auch in einer der Räumlichkeiten einnehmen. Sollten Sie Fragen haben, klopfen Sie bitte jederzeit an meine Tür am anderen Ende des Ganges.«
Mit einem Nicken zog er sich zurück. Velon schob den dünnen Vorhang beiseite und trat auf die breite Terrasse hinaus, die die ganze Vorderseite des Gebäudes umgab und auch um die Ecken zu verlaufen schien. An der Hauswand entlang standen große, metallbeschlagene Holzeimer, in denen üppige Büsche mit großen Blüten wuchsen, die einen angenehmen Geruch verströmten. Auf dem ersten Blick waren die Blüten von einem dunklen Rot, als Velon jedoch näher herantrat, erkannte er, dass die Blätter in allen Regenbogenfarben schimmerten. Die Pflanzen wirkten außerordentlich gut gepflegt, nicht ein welkes Blatt fand sich an ihnen und die Äste wurden pedantisch zurückgeschnitten. Dennoch verspürte er eine diffuse Abneigung ihnen gegenüber. Velon trat zurück und blickte auf seine extra für diesen Anlass gekaufte Uhr, eine ungewohnte Geste für jemanden, der für gewöhnlich die aktuelle Zeit über sein Chipimplantat eingeblendet bekam.
Langsam stieg er die steinernen Stufen in den Garten hinunter. Vor dem blauen, wolkenlosen Himmel stach das Grün der Baumwipfel deutlich hervor. Sträucher und Blumen wuchsen in allen Formen und Farben, nicht wenige von ihnen waren mannshoch. Die meisten Pflanzen kannte er nicht. Instinktiv wollte er die benötigten Informationen vom Chip holen, besann sich aber eines Besseren und genoss die namenlose Schönheit. Unter einigen hohen Bäumen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den früheren Palmen der Erde besaßen, blieb er stehen. Mit zusammengekniffenen Augen blickte Velon den langen, gebogenen Stamm hinauf zu den grünen Blättern oben im Wipfel, zwischen denen große, braune Früchte wuchsen. Er legte die Hand auf den Stamm, der rau und von vielen dünnen, dunkelbraunen Fasern bedeckt war.
»Die Milchnüsse der Ko’wen sind sehr schmackhaft, Celot’on Harris«, sagte eine weibliche Stimme hinter ihm.
Überrascht drehte er sich um. Vor ihm stand eine junge Frau, die die Hände zu einem rituellen Gruß zusammenlegte. Die Einheimische trug schulterlanges braunes Haar, das vorne kinnlang geschnitten war und zum Nacken hin kürzer wurde. Ihre Haut war von der Sonne gebräunt. Sie reichte ihm bis zur Schulter. Ein schlichtes Kleid aus einem seidenähnlichen Stoff ging ihr bis zu den Knien. Velon fragte sich, wie die Frauen auf diesem Planeten ohne Bionengeneering und Körpermodifikationen von solcher Schönheit sein konnten.
Er neigte den Kopf zum Gruß. »Sie erinnern mich an Kokosnüsse, die es früher auf meiner Welt einmal gab.«
»Ich kenne keine Kokosnüsse«, sagte sie, »aber die hier essen wir jeden Tag.«
Er sah den schlanken Baumstamm empor, der sich astlos bis in die hohe Krone erstreckte. Der ganze Baum wiegte sich leicht im Wind und die Früchte befanden sich in luftiger Höhe. Ob sie Drohnen zuhilfe nahmen, um sie zu pflücken?
Als hätte sie seine Gedanken erraten, trat die Frau an den Baumstamm, wie um ihn zu umarmen, und verschränkte ihre Handflächen hinter ihm. Mühelos sprang sie an den Stamm und presste ihre nackten Fußsohlen gegen die raue Rinde. Ohne sichtbare Anstrengung kletterte sie den Baum hinauf. Erstaunt sah Velon ihr nach. Ihr Körper schien wie für die Bewegung gemacht zu sein. Das Spiel ihrer geschmeidigen Oberschenkelmuskeln zeugte von ausdauernder Kraft, während sie flink höher stieg. Oben angekommen, pflückte sie mit geübter Hand eine der Milchnüsse und warf sie herunter. Dann kletterte sie ebenso mühelos wieder nach unten. Auf ihrer Haut glänzte ein dünner Schweißfilm, dessen sich Frauen auf der Erde seit vielen Jahren schon mit genetisch angepassten Bakterien entledigten.
»Bei uns«, sagte sie, ohne außer Atem zu sein, »ist es Aufgabe der Frauen, die Früchte zu ernten.«
Sie bückte sich geschmeidig und hielt ihm die Ko’wen hin. Ihre Schale war fest und trocknen. Als er sie schüttelte, hörte er das Gluckern einer Flüssigkeit im Inneren.
»Der Saft ist weiß«, sagte sie. »Wir trinken ihn gerne am frühen Morgen oder tun ihn ins Essen.«
Velon reichte ihr die Ko’wen zurück und bedankte sich.
»Mein Name ist La’lyn«, sagte sie und legte die Hände zum rituellen Abschiedsgruß zusammen. »Ich werde sie dem Koch geben, damit Sie die Ko’wen zum Abendessen zu sich nehmen können.«
La’lyn drehte sich um und schlenderte zum Haus zurück. Er sah ihr eine Weile nach und wunderte sich, wie eine Frau ohne Schuhe sich so anmutig zu bewegen vermochte.
Velon schlug die Augen auf und blickte an die hohe Decke. Durch die offene Verandatür drang kühle Morgenluft und die Geräusche des Waldes. Automatisch wollte er auf seinen RID-Chip zugreifen, um sich die neuesten Nachrichten und den Posteingang anzeigen zu lassen, bis ihm bewusst wurde, dass der Chip ausgeschaltet war. Er gähnte ausgiebig und zog den dünnen Vorhang beiseite. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und das frühe Grau des neuen Tages zeichnete alles mit seinem weichen Licht. Kein Geräusch war zu hören, nur einige Wach’tins stießen ihre langgezogenen Rufe aus. Velon hatte überraschend gut geschlafen, trotz des üppigen Abendessens am Vortag, fühlte aber eine merkwürdige Unruhe, als würde sein Gehirn nach Informationen hungern. Es war viele Jahre her, dass er den RID-Chip deaktiviert hatte. Er kam sich vor wie auf einer einsamen Insel, abgetrennt vom Rest der Welt.
»Urlaub«, sagte er leise und trat auf die Terrasse hinaus.
Die palmenartigen Bäume zeichneten sich schwach vor dem dämmrigen Himmel ab und rosenähnliche Sträucher wucherten um einen Teich, den er gestern nur am Rande beachtet hatte. Eine Gartenlaube stand halb verborgen am hinteren Teil des Wassers. Die Luft auf der Terrasse war getränkt vom Duft der unzählig blühenden Büsche in den Holzeimern.
Velon ließ sich auf den Boden nieder und begann damit, seine morgendlichen Liegestütze zu absolvieren. Die Steinfliesen waren angenehm kühl unter den Händen. Akkurat und flüssig drückte er sich immer wieder von Boden hoch, ließ sich herabsinken, bis sein Brustbein die Erde berührte, und stemmte sich erneut in die Höhe. Bald merkte er, wie die Muskeln warm wurden und der letzte Rest von Müdigkeit von ihm abfiel. Wie üblich hörte er exakt bei der einhundertsten Wiederholung auf.
Als er sich erhob, sah er eine Frau über den Rasen des alten Grundstücks auf das Gebäude zukommen. Die gebeugte Gestalt schleppte zwei Wassereimer, die sie mit geübtem Gang in ihren sehnigen Händen trug. Während sie die fünf flachen Stufen zur Terrasse hochstieg, sah er, dass die Frau sehr alt war und nur aus Haut und Knochen bestand, als hätte die Sonne alles überflüssige Fleisch verdorren lassen. Sie blieb oben einen Moment stehen und verschnaufte ein wenig. Ihre grauen Haare waren zu einem langen Zopf gebunden, einen Schutz gegen die Hitze trug sie nicht. Als ihre zusammengekniffenen Augen seiner gewahr wurden, gab sie sich einen Ruck und schleppte die beiden Eimer ohne ihn zu grüßen zu einem Kübel, in denen einer von den prächtig blühenden Büschen wuchs. Ihr Verhalten stand so sehr im Widerspruch zu der vorherrschenden Höflichkeit auf Cela 14, dass Velon mehr interessiert als verstimmt reagierte. Ohne sich um ihn zu kümmern, begann sie damit, die Pflanzen zu gießen, eine Aufgabe, der sie sich mit voller Aufmerksamkeit widmete. Velon beobachtete die Bedienstete, die mit zusammengepressten Lippen die Eimer zu einer weiteren Pflanze schleppte. Ihm kam die schlichte Tätigkeit reizvoll vor und er fragte sich, ob diese alte Frau ihr Leben damit zugebracht hatte, den üppigen Garten auf einem der schönsten Planeten des Systems zu pflegen. Er wusste natürlich, dass er der romantischen Vorstellung einer einfachen Existenz verfiel, wenn er sich dieses Leben vorstellte, aber für einen Moment fragte er sich, ob ein solches Leben nicht das bessere gewesen wäre. Arm und glücklich! Amüsiert schüttelte Velon den Kopf und ging wieder hinein.
Er schlenderte durch das leere Haus mit der Muße eines Menschen, der nichts zu tun hatte. Velons unruhiger Geist sehnte sich immer noch nach dem Input des Chips, und so lenkte er seine Gedanken bewusst auf jedes Detail der äußeren Umgebung. Er kam an einem weiteren Zimmer vorbei, stockte und schüttelte ungläubig den Kopf. Velon trat langsam ein und warf nur einen kurzen Blick auf die die hohen Fenster und die bequemen Sessel und Liegen. Auf vier niedrigen Tischchen lagen Zeitschriften. Er lächelte und nahm eine von ihnen zur Hand.
»Auf Papier«, murmelte er und ließ seine Finger über die Seiten streichen.
Er hatte davon gehört, aber es mit eigenen Augen zu sehen war etwas ganz anderes. Das Papier raschelte leise unter den Fingern und schien keinen Geruch zu besitzen. Vorsichtig blätterte er eine Seite um, die sich dünn und zerbrechlich anfühlte. Es handelte sich offensichtlich um eine Zeitschrift über Innenarchitektur, auch wenn ihm die Schriftzeichen fremd waren. Die farbigen Fotos zeigten eine Küche mit grünen Wänden und ein Wohnzimmer, in dessen Mitte ein gläserner Kamin stand. Er tippte auf eines der Bilder, bevor ihm bewusst wurde, dass es sich nicht vergrößern würde. Behutsam legte er das Heft zurück und ging zu einem der anderen Tische.
Eine Zeitschrift über die einheimische Kochkunst war in seiner Sprache verfasst. Statt einer Suchfunktion gab es ein Inhaltsverzeichnis, man musste selbst zu dem gewünschten Artikel blättern. Velon nahm auf einer der gepolsterten Liegen vor dem Fenster Platz und vertiefte sich in die Publikation. Begierig überflog er die Seiten, gewöhnte sich nach und nach an das Umblättern und betrachtete die Fotos der Gerichte, bei denen es sich zumeist um Meeresfrüchte handelte. Viele Fische waren ihm nicht bekannt, aber da es keine Möglichkeit gab, von der Zeitschrift aus die fehlenden Informationen aufzurufen, und sein RID-Chip deaktiviert war, begnügte er sich damit, sie mit irdischen Fischen zu vergleichen. Es war ein anderes Lesen, eine Lektüre wie in einer Isolierkammer, keine neue Inhalte kamen herein, keine Textverlinkungen führten heraus. Man musste sich mit dem Text begnügen, der von den Herausgebern ausgewählt worden war und der seinen Platz auf den Seiten fand. Begierig sog er die wenigen Informationen auf.
Die Auswahl der Zeitschriften war ein Spiegelbild der unterschiedlichen Besucher all der Planeten im System, die hier ihre Zeit verbrachten, und er fragte sich, ob man diese Papiermedien extra auf Cela 14 anfertigte. Auf all seinen Reisen hatte er noch nie Magazine auf bedrucktem Papier gesehen. Manche der Zeitschriften, stellte er beim Durchblättern fest, waren schon mehrere Jahre alt. Während draußen die Sonne langsam über die Baumwipfel stieg, vertiefte er sich in einen Artikel von der Erde über die schwimmenden Städte im Atlantik, die nach Jahren des ungebremsten Wachstums mittlerweile an ihre räumlichen Grenzen stießen. Der nächste Bericht behandelte die neoalchimistischen Strömungen in den Zentralstaaten, die immer mehr Zulauf erhielten, und die der Wissenschaftsrat mit Skepsis beobachtete. Auf den folgenden Seiten wurde der neue Supertower in der Hauptstadt beschrieben, der sich fünf Fußminuten von Velons Wohnung entfernt in den Himmel streckte.
Er schaute auf seine Uhr und stellte fest, dass es schon vormittags war. Velon legte die Zeitschrift zurück, reckte sich und ging auf die Terrasse hinaus. Von der alten Gärtnerin war nichts mehr zu sehen. Ach’tun hatte den Tisch für das Frühstück gedeckt und erschien wie auf ein geheimes Kommando, als sich Velon hinsetzte. Nach der üppigen Mahlzeit, die aus vielen Früchten, Fisch und einer scharfen Reissuppe bestand, schlenderte Velon durch den Garten bis zur Grundstücksgrenze. Ein schmaler Fußweg führte hinter dem halbhohen Zaun aus Flechtwerk, der das Grundstück der Villa einfasste, entlang. Unter den hohen Bäumen wuchsen Farne, die größer als er waren, und Sträucher mit duftenden Blüten, die von schwarz-gelben Hautflüglern besucht wurden. Auf der Erde waren Bienen und Hummeln längst ausgestorben und ihre Arbeit wurde von winzigen Drohnen verrichtet, die sich automatisiert um das Bestäuben der Blüten kümmerten. Eine Weile sah er einem dicken Insekt, das er für eine Hummel hielt, dabei zu, wie es brummend von Blüte zu Blüte flog. Es schwankte erstaunlich unkoordiniert durch die Luft, als müsste es gleich zur Notlandung ansetzen. Die Drohnen auf der Erde flogen lautlos und mit einprogrammierter Zielstrebigkeit. Das Tier hier sollte vom Aussehen her nicht mal in der Lage sein, zu fliegen. Mit einem Mal änderte das Insekt spontan seinen Kurs und prallte ihm gegen die Stirn. Erschrocken sprang Velon zurück, aber dem Tier schien nichts passiert zu sein. Unbeeindruckt setzt es seinen Weg fort. Lächelnd rieb er sich die Stirn und ging weiter.
Nach wenigen Minuten Fußweg erreichte er den Strand. Ein schmaler Streifen bläulichen Sandes reichte bis zu dem funkelnden, grünblauen Wasser, in dem unzählige andere kleine Inseln verstreut lagen. Außer ihm schien sich weit und breit niemand am Strand aufzuhalten. Er schlüpfte aus den Schuhen und ließ sie an Ort und Stelle zurück. Der feine Sand unter seinen Fußsohlen war warm und drang zwischen die Zehen, es ließ sich aber angenehm in ihm gehen. Als Velon das glitzernde Wasser erreichte, watete er ohne zu zögern hinein.
Das Meer war so klar, dass man die entfernten Korallen erkennen konnte. Bunte Fische flohen vor seinen unbeholfenen Bewegungen und weiche Unterwasserpflanzen wogten in der leichten Strömung. Er ging so weit, bis er den Boden unter den Füßen verlor, und schwamm dann mit einigen kräftigen Zügen hinaus.
Es ist herrlich! Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal im offenen Meer schwimmen war?
Seine dünne Kleidung war nicht schwer und störte ihn kaum, sodass er bis zu einem Felsmassiv kraulte, das eine kleine Insel in Sichtweite des Strandes bildete. Prustend zog sich Velon an Land. Das Gestein war warm und unter dem blauen Himmel brauchte er nicht zu frieren. Er rollte sich auf den Bauch und beobachtete die vielen Fische, die an der abfallenden Felswand zwischen den bunten Pflanzen hin- und herschwammen. Der Meeresboden mochte knapp acht Meter tief sein und doch konnte Velon jede Kleinigkeit erkennen. Sein Körper war angenehm schwer. Er drehte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und schloss die Augen, das leise Platschen der Wellen im Ohr.
Als er die Augen wieder öffnete, war seine Kleidung getrocknet. Er musste eingeschlafen sein. Velon setzte sich auf und sah zufrieden über das Meer hinaus. Er fühlte sich wie der einzige Mensch auf dem Planeten. Was sind wir doch für Narren gewesen, dachte er.
Mit einem Kopfsprung hechtete er in das schillernde Nass und tauchte mit weitausholenden Arm- und Beinbewegungen durch die fremdartige Unterwasserlandschaft. Der Boden unter ihm war sanft gewellt und voller Korallen und ihm unbekannter Seepflanzen, deren hellgrüne schmale Blätter in der Strömung schaukelten. Er überschwamm er eine Senke von knapp vier Metern Tiefe, in der ein Schwarm von kleinen, bunten Fischen schillernd vorüberzog. Velon kannte sie in der freien Wildbahn nur von alten Aufnahmen oder als Gericht auf seinem Teller. Sie aber mit eigenen Augen zu erblicken, wie sie nur wenige Meter entfernt im offenen Meer an ihm vorbeischwammen, war ein überwältigendes Gefühl. Wie auf ein Kommando hin änderten die Fische ihre Schwimmrichtung, als wären sie ein einziger großer Organismus. Das Sonnenlicht glitzerte auf ihren Körpern und Velon wurde fast schwindelig vom Zusehen. Keuchend tauchte er auf und ließ sich auf der sanft wogenden Wasseroberfläche treiben, bis er spürte, wie er allmählich auskühlte.
Seine Schuhe lagen noch am Waldrand. Sie anzuziehen kam ihm überflüssig und einengend vor, und so knotete er die Schnürsenkel aneinander und hängte sie sich über die Schultern. Die nasse Kleidung war angenehm auf seiner Haut, während er im lichten Schatten der tropischen Bäume den schmalen Pfad zur Villa zurückging. Der Gesang der Wach’tins erklang über ihm und er legte den Kopf in den Nacken, um den affenähnlichen Wesen beim Sprung von einer Baumkrone zur nächsten zuzusehen. Kleine, graue Gestalten, mit acht langen Gliedmaßen und einem Greifschwanz, den sie geschickt beim Schwingen von Ast zu Ast einsetzten. Ihr Rufen hallte durch den Wald und wurde von einigen Artgenossen weiter hinten aufgenommen, sodass die ganze Insel von ihrem Gesang widerhallte.
Der laue Wind brachte einen aromatischen Duft mit sich. Etwas tiefer im Wald entdeckte Velon große Sträucher, an denen violette Blüten wuchsen. Die Blumen hatten sich im Halbschatten der dichten Baumkronen geöffnet und strömten einen Geruch nach Weihrauch, Sandelholz und etwas aus, das Velon nicht benennen konnte. Eine Gestalt bewegte sich zwischen den Sträuchern und er erkannte La’lyn, die dort mit einem Korb umherging und behutsam die Blüten pflückte. Sie sprach dabei leise und eindringlich mit den Pflanzen, jede Blüte führte sie kurz an ihre Lippen, bevor sie sei zu den anderen in den Korb legte. Velon winkte ihr zu, aber sie sah ihn nicht und so ging er langsam weiter.
Als er den großen Garten der alten Villa betrat, war sein Hemd wieder getrocknet. Ach’tun hatte auf der Terrasse das Mittagessen vorbereitet. Im Schatten einer hellen Markise stand der gedeckte Holztisch mit unzähligen Schüsseln und Tellern, die zum größtenteils schon gefüllt waren. Während Velon die Stufen zur Terrasse hochschritt, kam ihm Ach’tun entgegen und legte die Hände lächelnd zusammen.
»Wie ich sehe«, sagte er, »sind Sie am Strand gewesen!«
Unter dem luftigen Stoffdach war es angenehm kühl. Ach’tun goss ihm aus einem irdenen Krug die süße Milch der Ko’wen-Frucht ein, die schäumend das Glas füllte. Velon leerte das Glas auf einen Zug. Das Schwimmen im Meer und der Schlaf unter freiem Himmel hatten ihn durstig gemacht. Acht’un goss ihm sofort wieder nach.
»Ich werde das Meer vermissen!«, sagte Velon, als er ausgetrunken hatte.
»Das Meer ist gut zu uns«, antwortete Ach’tun. »Es ernährt uns und ist die Heimat für Pflanzen und Tiere.«
»Vor einigen Jahrzehnten«, sagte Velon, »sah es auf der Erde fast so aus wie hier. Es gab große Wälder und Plätze, die nicht bebaut waren ... Ein Luxus, den wir uns heute nicht mehr leisten können. Wussten Sie, dass wir sogar schon Flächen des Meeres mit schwimmenden Städten besiedelt haben, um allen Menschen einen Platz zum Leben zu geben?«
Der junge Mann sah ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf.
»Die Ozeane auf der Erde sind nicht wie die Meere hier. Es gibt keine Fische mehr und auch die Unterwasserpflanzen sind ausgestorben. Ich könnte es nicht wagen, in ihnen zu baden, wenn ich nicht mit schweren Krankheiten oder Schlimmerem rechnen wollte.«
»Dann esst ihr keine Fische?«
»Doch, aber nicht mehr aus der freien Natur. Wir züchten sie in künstlichen Gewässern.« Velon blickte über die Wipfel der Bäume hinweg, hinter denen sich das endlose Meer erstreckte, und erinnerte sich daran, wie er als Junge mit seinen Eltern an der Nordsee gewesen war und dort in den Wellen geplanscht und die ersten Schwimmversuche unternommen hatte. Er war einer von der letzten Generation, die dieses Gefühl noch kannten. Heutzutage war selbst der Regen ein großes Problem, vor dem man sich schützen musste.
Nachdem Ach’tun nach drinnen gegangen war, um den gegrillten Fisch zu holen, nahm sich Velon ein Stück einer grünen Frucht, die in lange Scheiben geschnitten war, und blickte kauend in den Garten. In diesem Moment sah er die alte Frau, die er am Morgen beim Gießen der Pflanzen getroffen hatte.
Regungslos stand die greise Gärtnerin in der prallen Sonne und hatte den Kopf vorgereckt. Ihre Augen fixierten einen Punkt unterhalb der Terrasse, etwas weiter rechts von Velon. Nachdem Ach’tun den Fisch gebracht hatte, sprach ihn Velon auf die Frau an.
»Das ist Cela’ta Co’neta. Sie steht dort jeden Tag.«
»Was macht sie da?«
Ach’tun lächelte gequält und Velon sah ihm an, dass er nicht gerne über das Thema sprach. »Cela’ta Co’neta lebt schon lange hier im Haus. Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht von ihr gestört.«
»Nein«, sagte Velon und wandte sich dem Fisch zu.
Gegen Abend brachte ein milder Wind eine frische Meeresbrise mit sich. Velon lag auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und lauschte dem fernen Meeresrauschen, während der Wind die langen Vorhänge an der offenen Terrassentür bauschte. Er sah an die Decke und dachte an nichts, ein Luxus, den er sich zu Hause auf der Erde nicht erlaubten konnte. Die weißen Wände, grob verputzt, strahlten eine Schlichtheit aus, die seine Gedanken zur Ruhe kommen ließ. Kein Bild, kein Schmuck lenkte das Auge ab.
Müßig erhob er sich und trat in den Flur hinaus. Der lange Gang war verwaist. Das Haus lag in tiefer Stille da. Im Eingangsbereich mit der wuchtigen Haustür blieb er eine Weile unschlüssig stehen. Sein Blick fiel auf den gegenüberliegenden Gang. Das musste der Bereich mit den Hauwirtschaftsräumen und die Zimmer der Bediensteten sein.
Kurzentschlossen betrat Velon den anderen Flur, der genauso leblos war wie sein eigener, nur dass hier die Türen fast alle verschlossen waren. Die Doppeltür zur Küche stand offen. Glänzende Töpfe und Pfannen hingen unter der Decke, auf einer Arbeitsfläche an der Wand stapelten sich runde Behältnisse aus Holz mit einigen Sieben, die wohl als Einsätze gedacht waren. Velon ging bis zum Ende des Flurs, an dessen Kopf sich das Zimmer von Ach’tun befand. Links davor lag eine Art von Speiseraum. In dem schmalen Raum stand ein länglicher Tisch mit sechs Stühlen, auf einer Anrichte lagerten Teller aus einem dunkel gemaserten Holz und Schüsseln unterschiedlicher Größe.